Pushpak Panchatantra Buch 5Zurück WeiterNews

Fünftes Buch - Handeln ohne sorgfältige Prüfung

Hier beginnt das fünfte Buch, genannt „Handeln ohne sorgfältige Prüfung“, dessen erste Strophe ist folgende:

Was nicht genau gesehen oder gehört, erkundet und geprüft wird, das vollziehe ein Mensch niemals, sonst geht es ihm wie dem Barbier.

1. Erzählung - Die beiden Mörder

Es wird nämlich erzählt: In einer Provinz des Südens liegt eine Stadt namens Pataliputra. Da wohnte ein vornehmer Kaufmann namens Manibhadra („glänzender Edelstein“). Indem dieser die Handlungen vollzog, welche Tugend, Erwerb, Liebe und Seligkeit notwendig machen (die vier großen Lebensziele), verlor er durch die Fügung des Schicksals sein Vermögen. Infolge der Einbuße seines Reichtums geriet er alsdann in Verachtung und verfiel deshalb in die tiefste Betrübnis. Da dachte er einst in der Nacht: „Ach! Pfui über diese Armut! Denn es heißt auch: Tugend, Rechtschaffenheit, Ergebung, Verträglichkeit, Liebenswürdigkeit und vornehme Geburt, nichts von all diesem strahlt in einem Mann, der ohne Geld ist. Ehre und Kenntnis, Stolz, Anmut und tüchtige Einsicht: Alles verschwindet zugleich mit dem Vermögen. Tag für Tag zerschmilzt, wie des Winters Schönheit, wenn er vom Wind des Frühlings getroffen wird, selbst die Einsicht bei Einsichtigen durch die Sorgen wegen der Lasten des Hauses. Selbst eines Hochverständigen Einsicht schwindet dahin, wenn sein Besitz gering ist, durch die stete Sorge für Butter und Salz, Öl und Reis, Kleidung und Holz. Wie ein Himmel ohne Sterne, wie ein ausgetrockneter Teich oder ein schreckenerregender Kirchhof wird gräulich eines Armen Haus, selbst wenn es äußerlich schön aussieht. Um schwache Arme kümmert sich niemand, auch wenn sie einst gleiche Mitbürger waren, wie Wasserblasen, die ohne Ende, kaum entstanden, schon wieder verschwunden sind. Den Hochgeborenen, Geschickten oder Braven verläßt der Menschen Fülle, und heftet sich, wie an den Paradiesbaum, an Reiche, auch wenn sie ohne Adel, Geschick und Tugend sind. Des früheren Lebens gute Werke tragen hier die Frucht: Selbst Wissensreiche von hohem Haus sind augenblicklich Knechte dem, der hier zu Macht gelangt. Gern preist die Welt mit lauter Stimme den Herrn des Wassers, auch wenn er zürnt, denn nichts ist schimpflich auf dieser Welt, was irgend nur ein Reicher tut.“

Nachdem er so erwogen hatte, überlegte er von neuem: „Drum will ich keine Speise mehr genießen und mir morgen mein Leben nehmen. Wozu solch eine unnütze Lebensqual?“ Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, schlief er ein. Darauf erschien ihm im Traum der Lotusschatz in Gestalt eines Jaina-Mönchs und sagte: „Oh Kaufherr! Verzweifle nicht! Ich bin der Lotusschatz, der durch deine frühere Seele erworben ward, drum werde ich in dieser Gestalt morgen früh in dein Haus kommen. Dann mußt du mich mit einem Keulenschlag auf den Kopf treffen, dadurch werde ich unvergänglich und zu Gold.“ Als er darauf am Morgen erwachte, erinnerte er sich des Traums und stellte sich auf das Rad der Gedanken: „Ach! Kein Mensch weiß, ob sich dieser Traum als wahr oder falsch erweisen wird. Doch nein! Er muß sich sicherlich als falsch erweisen, denn ich denke Tag und Nacht an weiter nichts als Geld. Denn man sagt auch: Träume, welche Erkrankten, Kummervollen und Sorgenzernagten, Verliebten oder Leichtsinnigen erscheinen, die tragen alle keine Frucht.“

Mittlerweile kam ein Barbier, um seiner Frau die Nägel zu reinigen, und während dieser mit dem Reinigen beschäftigt war, wurde plötzlich ein Mönch in der beschriebenen Gestalt sichtbar. Wie Manibhadra ihn erblickte, schlug er ihm, das Herz voller Freude, mit einem in der Nähe befindlichen hölzernen Knüppel auf den Kopf. Da verwandelte er sich in Gold und fiel augenblicklich auf die Erde. Wie ihn nun der Kaufmann in der Mitte des Hauses aufstellte und betrachtete, da erblickte er den Barbier. Er erschrak und dachte: „Ach! Vielleicht ist das, was ich hier getan habe, gesehen worden, dann bin ich verloren!“ Nachdem er so überlegt hatte, suchte er den Barbier zu gewinnen und sagte zu ihm: „Nimm dieses Geld und diese Kleider von mir zum Geschenk! Du darfst aber niemanden sagen, mein Lieber! was ich getan habe!“ Der Barbier aber, nachdem er dies versprochen hatte, ging nach Hause und dachte bei sich: „Gewiß verwandeln sich alle diese Mönche in Gold, wenn man sie mit einem hölzernen Knüppel auf den Kopf schlägt. Darum will auch ich morgen früh viele einladen und mit Knüppeln totschlagen, damit ich zu viel Gold komme!“ Indem er dies im Sinne trug, konnte er kaum das Ende dieses Tages und der Nacht erwarten. Am folgenden Morgen nun stand er auf, ging zu einem Kloster von Jaina-Mönchen, hing einen Mantel sorglich um, machte dreimal ehrfurchtsvoll dem Jina (Mahavira, der Begründer des Jainismus) seine Reverenz, rutschte mit den Knien auf der Erde, warf den Zipfel seines Mantels über die Öffnung seines Gesichts, legte die Hände andächtig zusammen und rezitierte mit lauter Stimme folgende Strophe:

Die Jinas mögen hoch leben, denen voll reiner Erkenntnis der Geist im Leben, welches ‚Sein‘ heißt, von des Geistigen Strahlen erglänzt. Nur was Jina preist, ist Zunge, nur was in ihn versenkt, ist Herz, und die Hände einzig löblich sind, die zu seinem Lob erhoben werden.

Nachdem er so und anderes auf vielfache Weise gepriesen hatte, trat er zu dem ersten der Mönche, senkte Knie und Fuß zu Boden und sprach: „Verehrung sei dir! Ich grüße dich!“ Nachdem er darauf den Segensspruch «Das Gesetz möge wachsen!» empfangen und durch die Segnung mit einem lieblichen Blumenkranz den Befehl zur Vollziehung einer religiösen Handlung erhalten hatte, band er den Knoten an seinem Mantel zu und sprach voll Ergebenheit: „Oh Erhabener! Mögest du heute mit allen Mönchen zusammen in meinem Hause eine Erquickung annehmen!“ Dieser sagte: „Oh Schüler! Wie sprichst du so, obgleich du das Gesetz kennst? Sind wir Brahmanen, daß du uns zu Gast bittest? Wenn wir im Dienste des gegenwärtigen Lebens stets herumirrend einen gläubigen Schüler finden und in sein Haus treten, so lassen wir uns nur mit Mühe nötigen und essen dann nicht mehr als zu des Leibes Notdurft nötig. Drum geh! Und sage so etwas niemals wieder!“

Nachdem er dies gehört, sagte der Barbier: „Oh Erhabener! ich weiß das, und werde es tun! Doch erweisen euch viele Schüler Verehrung. Ich habe nun andererseits sehr wertvolle Reste von Tüchern zurechtgelegt, welche zum Einhüllen von Büchern tauglich sind. Auch findet sich da Geld, das für Abschreiber zum Abschreiben von Büchern bestimmt ist.“ Nachdem er so gesprochen hatte, machte er sich auf den Weg nach seinem Hause. Nachdem er nach Hause gekommen war, machte er einen Knittel aus hartem Mimosaholz zurecht, stellte ihn in einen Winkel an der Tür und ging etwa nach vier Stunden nochmals zum Kloster und stellte sich neben der Tür desselben auf. Darauf führte er alle, wie sie der Reihe nach herauskamen, auf Verlangen des Oberen nach seinem Hause. Denn sie alle ließen selbst die ihnen bekannten gläubigen Schüler im Stich und gingen voll Begier nach den Tüchern und dem Geld hinter ihm her. Sagt man ja doch mit Recht: Selbst der einsame hauslose Nackte mit dem Topf in der Hand, sieh! oh Wunder! auch der wird von Begierde gepeinigt in der Welt. Dem Alternden altert das Haar, die Zähne altern und die Ohren auch, nur die Begierde bleibt immer jung.

Darauf führte sie der Barbier ins Haus, machte alsdann die Tür zu und schlug ihnen mit Knittelschlägen auf die Köpfe. Von ihnen aber, als sie so geschlagen wurden, waren einige auf der Stelle tot, andere fingen mit gespalteten Köpfen an zu wüten. Mittlerweile hörten die Polizeidiener das Jammergeschrei, liefen herbei und sagten: „Ha! Was ist das für ein großes Geschrei mitten in der Stadt?“ und als sie mit dem Ruf „Laßt uns hineingehen! Laßt uns hineingehen!“ sämtlich nach dem Hause eilten und zusahen, so erblickten sie die Mönche, deren Körper mit Blut bedeckt waren, aus dem Hause des Barbiers flüchtend. Befragt „Oh! Was ist das?“, erzählten sie die Geschichte mit dem Barbier, wie sie vorgegangen. Diese nun banden den Barbier mit festen Stricken und führten ihn samt den vom Mord übriggebliebenen Mönchen vor den Gerichtshof. Von den Richtern befragt: „He! Warum hast du diese schlechte Tat getan?“ antwortete er: „Ach! Was soll ich tun? Eine ganz ebensolche Tat habe ich im Hause des Kaufherrn Manibhadra gesehen.“ Nachdem er dies gesagt hatte, erzählte er ihnen die Geschichte mit Manibhadra, wie er sie mit angesehen hatte. Darauf sandten jene einen ab, um Manibhadra vorzuladen. Dieser ging und brachte Manibhadra herbei, der von ihnen gefragt wurde: „He Kaufherr! Hast du einen Mönch ermordet?“ Darauf erzählte er die ganze Geschichte mit dem Mönch. Alsdann sprachen jene: „He! Man spieße diesen schlechten Barbier, der ohne genaue Prüfung gehandelt hat.“ Nachdem so geschehen war, sagten sie: „Handle niemals ohne zu prüfen! Prüfe stets bevor du handelst! Sonst kommt, wie bei der Brahmanin und dem Mungo die Reue zu spät.“

Da fragte Manibhadra „Wie war das?“, und jene erzählten:

2. Erzählung - Die Brahmanin und der Mungo

In einem gewissen Orte lebte ein Brahmane namens Devasarman („von den Göttern beglückt“). Dessen Frau gebar einen Sohn und fand zur gleichen Zeit einen verwaisten Mungo. Und voll Kinderliebe pflegte sie auch den Mungo wie einen Sohn, indem sie ihm die Brust gab, ihn mit Salben einrieb und so weiter. Da sie jedoch dachte, er könnte wegen der Bosheit seiner Gattung ihrem Sohne vielleicht ein Übel zufügen, traute sie ihm nicht. Sagt man ja doch mit Recht: Selbst ein ungebildeter, schlechter, mißgestalteter, törichter oder sündiger Sohn vermag Freude zu bringen seiner Eltern Herz. Freilich sagen die Leute also: „Sandelsalbe ist kühlend fürwahr, doch eines Sohnes Umarmung übertrifft Sandelsalbe weit.“ Nicht die Verbindung mit Herzfreunden, einem guten Vater oder sonst irgendwem begehrt der Mensch so sehr, wie mit dem Sohn.

Nachdem sie nun einst den Knaben hübsch aufs Bette gelegt hatte, nahm sie den Wasserkübel und sagte zu ihrem Mann: „Höre oh Meister! Ich gehe zum Teich, um Wasser zu holen. Du mußt den Sohn hier vor dem Mungo bewachen.“ Nachdem sie sich entfernt hatte, ging auch der Brahmane irgendwohin, um Almosen zu sammeln, sodaß das Haus leer ward. Währenddessen kroch eine schwarze Schlange aus einem Loch und kroch durch des Schicksals Willen auf das Lager des Knaben zu.

Da ging aber der Mungo auf diesen seinen natürlichen Feind los, fiel ihn aus Furcht, daß er seinen Bruder töten möchte, auf seinem Wege an, begann einen Kampf mit der bösen Schlange, zerriß sie in Stücke und warf sie weit weg. Drauf ging er stolz auf seine Tapferkeit, das Gesicht mit Blut bedeckt, um seine Tat zu verkünden, der Mutter entgegen. Die Mutter aber, als sie den Mungo mit blutbenetztem Gesicht und sehr aufgeregt herankommen sah, fürchtete im Herzen „Dieser Bösewicht hat unzweifelhaft meinen Sohn gefressen!“ und warf, ohne aus Zorn weiter zu prüfen, den Kübel voll Wasser auf ihn. Sowie der Kübel fiel, war der Mungo augenblicklich tot. Wie sie nun, ohne sich darum zu bekümmern, in das Haus tritt, so liegt der Knabe ebenso noch schlafend, und neben dem Bette erblickt sie eine große schwarze Schlange in Stücke zerrissen. Da wurde ihr Herz über die unbedachte Ermordung des verdienstvollen Sohnes ergriffen, und sie schlug sich an den Kopf, die Brust und sonstige Körperteile.

Als nun während dieses Vorgangs auch der Brahmane, nachdem er Geschenke erhalten hatte, irgendwoher von seinem Herumschweifen heimkehrte, siehe da, so jammert die Brahmanin, überwältigt von Gram über ihren Sohn: „Oh! Oh du Habsüchtiger! Weil du von Habsucht beherrscht nicht getan hast, was ich dich hieß, so genieße nun als Frucht deines eigenen Sündenbaums den Schmerz über den Tod deines Sohnes! So geht es ja auch denen, die von Habsucht verblendet sind! Denn man erzählt auch: Zuviel Habsucht soll man meiden, etwas Gewinnsucht schadet nicht: Wer der Habsucht zu sehr frönt, auf dessen Haupt rollt das Rad.“

Da fragte der Brahmane „Wie war das?“, und die Brahmanin erzählte:

3. Erzählung - Die Schätze suchenden Brahmanen

Es wohnten hier in einem gewissen Orte vier Brahmanen, welche große Freundschaft miteinander hegten. Von übermäßiger Armut geschlagen, berieten sie sich miteinander: „Ach! Pfui über diesen ärmlichen Zustand! Es heißt ja: Lieber im Wald voll Elefanten und Tigern leben, von Menschen leer, aber mit Dornen reich gespickt, Laub zum Lager und Borke des Baums als einziges Kleid, als ohne Geld in der Verwandten Mitte sein! Der Herr wird feind, auch wenn man ihm noch so gut dient; die nächsten Verwandten wenden sich ab; Tugend erglänzt nicht; die eignen Kinder fliehen vor uns; Mißgeschicke häufen sich an; die Gattin liebt nicht, wäre sie gleich aus gutem Haus, und die Freunde besuchen uns nicht: So geht es Männern, sobald das Geld zu Ende ist, besitzen sie auch Weisheit und Tapferkeit. Sei man ein Held, schön an Gestalt und Eigenschaften, beredt und selbst Kenner von allen Schriften, empfängt man doch nie den Ruhm der Künste, wenn das Geld fehlt. Den Toten gleich gilt man in der Welt der Menschen. Drum besser Tod als Armut! Es heißt auch: „Steh auf mein Freund! Nur einen Augenblick, und trage die Last meiner Armut, während ich ermüdet deine dem Tod entsprossene Freude lange genieße.“ Doch wenn so der Geldentblößte den plötzlich zum Friedhof Eilenden anspricht, bleibt still die Leiche und erkennt, wie der Tod unendlich besser ist als Armut. Drum muß man auf jede Weise streben, um Geld zu gewinnen!“

Nachdem sie so erwogen und sich entschlossen hatten, in die Fremde zu gehen, verließen sie Haus und Freunde und machten sich alle vier auf den Weg. Sagt man doch mit Recht: Den Freund verläßt er, trennt sich von seiner Verwandten Schar, läßt schleunig selbst die Mutter im Stich, vom Vaterland geht er in bittere Fremde, wessen Geist durch Reichtum sich verwirrt, geschweige denn wer arm ist. So kamen sie denn allmählich in das Land Avanti. Nachdem sie sich hier im Wasser der Sipra gebadet und den Gott, den hehren Mahakala (ein Name von Shiva in seiner zerstörerischen Form) verehrt hatten, schritten sie weiter und begegneten dem Besten unter den Yogis, Bhairavananda mit Namen („Seligkeit im Schrecklichen“). Und nachdem sie sich nach der unter Brahmanen angemessenen Art mit ihm unterhalten hatten, gingen sie mit ihm in sein Kloster. Da fragte sie der Yogi: „Woher kommt ihr? Wohin geht ihr? Was bezweckt ihr?“

Darauf sagten sie: „Wir sind Pilger, die die Zauberkunst aufsuchen. Wir gehen dahin, wo wir entweder die Freuden des Reichtums oder den Tod finden. Das ist unser fester Entschluß. Man sagt auch: Manchmal fällt Wasser vom Himmel, doch kommt es zum Brunnen auch aus der Unterwelt: Wohl ist das Schicksal stark und unergründlich, doch ist nicht stark auch das Menschenwerk? Des Erstrebten volle Erreichung wird dem Menschen durch Menschenwerk, und selbst was du «Göttliches» nennst, ist eine Eigenschaft des Menschen, die den Namen «Unsichtbares» führt. Wer nicht den herben Preis der Mühe bezahlt, empfängt keine Freuden hier: Mit vom Quirlen (des Milchozeans) angestrengten Armen umfängt Vishnu, der Vernichter des Madhu, seine Gattin Lakshmi (die Göttin des Wohlstandes). Schwer zu erlangen ist Herrlichkeit, solange der Mann nicht seine Tatkraft gebraucht. So wie die Sonne der Waage Sternbild besteigt, besiegt sie selbst der Wolken Scharen (am Ende der Regenzeit).

Drum sage uns irgendein Mittel, um Geld zu gewinnen, sei es Eindringen in eine Höhle, Wohnen auf einem Kirchhof, Bemeisterung eines weiblichen Dämon, Verkauf von Menschenfleisch, ein Zauberknäul oder etwas Ähnliches. Denn du hast den Namen eines großen Zauberers, und wir sind von großem Mut erfüllt. Man sagt auch: Nur Große sind allein fähig, zu vollbringen der Großen Werk: Wer anders als das Meer könnte das Feuer der Unterwelt tragen?“

Bhairavananda aber, als er die Fähigkeit dieser Schüler erkannt hatte, machte vier Zauberknäule, gab jedem von ihnen eins derselben und sagte: „Geht in die Gegend nördlich vom Berg Himalaya, und wo irgend das Knäul von einem hinfällt, da wird er unzweifelhaft einen Schatz erhalten.“ Nachdem dies so geschehen war, so fiel, indem sie wanderten, das Knäul des an der Spitze Gehenden aus seiner Hand auf die Erde. Als er nun an dieser Stelle grub, so war die Erde voll von Kupfer. Darauf sagte er: „Ach! Nehmt dieses Kupfer, soviel ihr Lust habt!“ Die andern aber sagten: „Oh du Tor! Wozu das? Denn selbst in Fülle macht es der Armut kein Ende. Drum stehe auf! Laß uns weitergehen!“ Dieser sagte: „Geht ihr nur zu! Ich gehe nicht weiter mit!“ Nachdem er so gesprochen hatte, nahm er Kupfer, soviel ihm beliebte, und kehrte als Erster zurück.

Die übrigen gingen alle drei weiter. Nachdem sie eine kleine Strecke gegangen waren, fiel das Knäul des nun an der Spitze gehenden zu Boden. Als nun auch dieser grub, so war der Boden voll Silber. Da rief er voller Freude: „Oh! Nehmt Silber, soviel ihr Lust habt! Wir haben es nicht nötig, weiter zu gehen.“ Die beiden anderen aber sagten: „Oh du Tor! Hinter uns war der Boden voll Kupfer, hier ist er voll Silber, weiterhin wird er also sicher voll Gold sein. Es nimmt auch durch jenes, selbst in Fülle, die Armut kein Ende. Drum wollen wir beide weitergehen!“ Darauf sagte jener: „Geht nur zu! Ich gehe nicht mit.“ Nachdem er so gesprochen hatte, nahm er Silber soviel er tragen konnte und kehrte nach Hause zurück.

Als nun diese beiden zugingen, so fiel das Knäul des einen zu Boden. Als nun auch er grub, so war die Erde voll Gold. Als er dies sah, sprach er voll Freude zu dem andern: „Ah! Nimm Gold, soviel du Lust hast! Es gibt nichts, das dieses übertrifft!“ Dieser antwortete: „Oh du Tor! Weißt du denn nicht? Zuerst kam Kupfer, dann Silber und darauf Gold: So werden weiterhin sicher Diamanten kommen, von denen schon ein einziger der Armut ein Ende machen wird. Drum steh auf! Laß uns weiter gehen! Was sollen wir mit diesem, wenn es auch noch soviel ist, da es nur eine Last ist?“ Aber dieser sagte: „Geh nur zu! Ich bleibe hier und will auf dich warten.“

Nachdem so geschehen war, ging jener allein weiter. Sein Körper wurde von den Strahlen der glühenden Sonne verbrannt, seine Sinne wurden ohnmächtig vor Durst, er verfehlte den Weg zum Lande der Geister und irrte hier und dort umher. Herumirrend aber erblickte er auf einem Platze einen Mann, auf dessen Kopf sich ein Rad herumdrehte, und dessen Körper von Blut benetzt war. Aufs schleunigste ging er zu ihm und sagte: „Oh! Wer bist du? Warum stehst du so mit einem sich drehenden Rad auf dem Kopf? Sag mir, ob es hier irgendwo etwas zu trinken gibt? Denn ich werde von Durst gepeinigt.“ Indem er so sprach, verließ das Rad augenblicklich den Kopf von jenem und stellte sich auf das Haupt des Brahmanen. Dieser sagte: „Lieber! Was ist das?“ Jener antwortete: „Auch mir ist es ganz auf dieselbe Weise auf den Kopf gekommen.“ Dieser sprach: „Oh sage mir denn, wann es wieder herabsteigen wird. Ich fühle großen Schmerz.“ Jener antwortete: „Wenn irgendeiner, wie du mit einem Zauberknäul in der Hand hierherkommen und dich anreden wird, dann wird es sich auf dessen Haupt stellen.“ Dieser sagte: „Wie lange Zeit hast du hier so gestanden?“ Jener sprach: „Wer ist jetzt König auf Erden?“ Der Mann mit dem Rade antwortete: „Vinavatsa ist König.“ Da sprach der Mann: „Oh, soviel Jahre kann ich nicht zusammenrechnen. Denn als Rama noch König war, da kam ich, von Armut geschlagen, wie du mit dem Zauberknäul in der Hand hierher. Da wurde von mir ein anderer Mann mit einem Rad auf dem Kopf erblickt und befragt. Darauf sprang das Rad von dessen Kopf auf meinen, grade wie jetzt, während du fragtest, auf den deinigen.“ Der Mann mit dem Rade sagte: „Lieber! Wie erhieltest du denn zu essen und zu trinken, während du so dastandst?“ Der Mann sagte: „Von dem Gott der Schätze ist aus Furcht, daß ihm seine Schätze geraubt werden, dies als Schutzmittel gegen die Zauberer aufgestellt, damit ja niemand hierher komme. Wenn aber einer mit Mühe und Not bis hierher gelangt, so hat er, frei von Hunger, Durst und Schlaf, weder alternd noch sterbend, nichts weiter zu ertragen als ebendiesen Schmerz. Jetzt aber laß mich nach meinem Hause gehen. Ich bin durch dich von diesem langen Leid erlöst. Drum will ich nun nach meiner Heimat wandern.“ Nachdem er so gesprochen hatte, ging er weg.

Nachdem er weg war, dachte der Goldzauberer „Wie lange zögert doch mein Gefährte!?“, und machte sich deshalb auf den Weg, um ihn aufzusuchen. Er folgte der Reihe seiner Fußspuren, und als er eine kleine Strecke Weges gegangen war, so erblickte er seinen Reisegefährten, den Körper mit Blut bedeckt und schmerzgequält durch ein Rad, welches sich auf seinem Kopf herumdrehte. Als er ihm nah gekommen war, fragte er ihn mit Tränen in den Augen: „Lieber! Was ist das?“ Jener antwortete: „Des Schicksals Gewalt!“ Der Goldzauberer sagte: „So sprich doch, was ist das?“ Jener aber, von ihm befragt, erzählte die ganze Geschichte mit dem Rad. Nachdem dieser sie gehört, sagte er vorwurfsvoll: „Oh! Ich habe es dir mehrfach verwiesen, du hast aber meinem Worte nicht gehorcht. Was soll man nun tun: Zuviel Habsucht soll man meiden, etwas Gewinnsucht schadet nicht: Wer der Habsucht zu sehr frönt, auf dessen Haupt rollt das Rad. Selbst ein Gelehrter und Hochgeborener ermangelt der Einsicht. Heißt es denn nicht mit Recht: Besser Einsicht, als solches Wissen! Einsicht ist mehr als Wissenschaft, denn wem Einsicht fehlt, der geht unter, wie es jenen Löwenmachern ging.“

Da fragte der Mann mit dem Rad „Wie war das?“, und der Goldzauberer erzählte:

4. Erzählung - Je gelehrter, desto verkehrter, oder „die Löwenmacher“

An einem gewissen Orte wohnten vier Brahmanen-Söhne, welche die größte Freundschaft zueinander gefaßt hatten. Von diesen hatten drei sämtliche Wissenschaften durchaus erlernt, ermangelten aber aller Einsicht. Einer dagegen hatte nichts gelernt, sondern besaß nur die Einsicht. Einstmals nun kamen sie zusammen und beratschlagten miteinander: „Welchen Wert hat das Wissen, wenn man sich nicht dadurch Vermögen erwirbt, indem man in die Fremde geht und die Gunst von Fürsten gewinnt? Drum laßt uns auf jeden Fall alle in die Fremde gehen!“ Nachdem so geschehen und sie eine Strecke Weges gegangen waren, sagte der älteste von ihnen: „Ach! Einer unter uns, der vierte, hat nichts gelernt und ist nur verständig. Die Könige aber geben keine Geschenke für bloßen Verstand ohne Wissenschaft. Deswegen werden wir ihm keinen Anteil an dem geben, was wir erwerben. Darum möge er umkehren und nach Hause gehen!“ Da sagte der zweite: „He! Du sehr Einsichtiger! Du hast nichts gelernt, drum geh nach Haus!“ Darauf sprach der dritte: „Ach! So zu handeln geziemt sich nicht. Wir haben von Kindheit auf miteinander gespielt, drum laßt ihn mitgehen! Er ist sehr würdig und möge deshalb an dem von uns erworbenen Reichtum Anteil haben!“

Nachdem dies geschehen war und sie ihren Weg fortsetzten, erblickten sie in einem Walde die Gebeine eines toten Löwen. Da sagte der eine: „Laßt uns eine Probe der von uns früher gelernten Wissenschaft machen! Da liegt ein totes Tier! Das wollen wir durch die Macht unsrer eifrig erlernten Wissenschaft wieder beleben!“ Darauf sagte der eine: „Ich verstehe die Knochen zusammenzufügen!“ Der zweite sagte: „Ich liefere Fell, Fleisch und Blut!“ Der dritte sagte: „Ich belebe es!“ Darauf fügte der eine die Gebeine zusammen, der zweite verband sie durch Fett, Fleisch und Blut, doch als der dritte eben dabei war, sie mit Leben zu versehen, da verwies es ihm der Einsichtige und sprach: „Es ist ein Löwe! Wenn du ihn lebendig machst, dann wird er uns alle zusammen umbringen.“ Da antwortete jener: „Pfui! Unwissender! In meiner Hand soll die Wissenschaft nicht unfruchtbar sein!“ Darauf sprach der Vierte: „Dann warte einen Augenblick, bis ich auf diesen Baum in unserer Nähe geklettert bin!“ Nachdem dies so geschehen und der Löwe lebendig gemacht war, sprang dieser auf und brachte alle drei um. Der Einsichtige aber stieg, sobald der Löwe nach einem andern Ort gegangen war, von dem Baume herab und ging nach Haus. - Daher sage ich: Besser Einsicht als solches Wissen! Einsicht ist mehr als Wissenschaft, denn wem Einsicht fehlt, der geht unter, wie es jenen Löwenmachern ging.

Der Goldzauberer fuhrt fort: „Außerdem sagt man ferner: Die nur Weisheit aus Büchern schöpfen und unbekannt sind mit dem Lauf der Welt, die schaffen sich nur Gespött, wie die gelehrten Toren hier.“

Da fragte der Mann mit dem Rad „Wie war das?“, und jener erzählte:


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