Pushpak Panchatantra Buch 4Zurück WeiterNews

9. Erzählung - Das Kamel mit der Glocke

In einem gewissen Orte wohnte einst ein Zimmermann namens Udajalaka („mit der Kälte des Wassers“). Der litt durch überaus große Armut und dachte bei sich: „Oh! Weh über diese Armut in unserm Hause! Während alle Leute durch ihre Arbeit Genuß haben, bringt mein Geschäft dagegen an diesem Ort nichts ein. Denn alle Leute haben Häuser aus Steinen, an denen kein Verfall mehr ist. Wozu bedarf es also meiner Zimmermannskunst?“ Nachdem er so gedacht hatte, verließ er das Land. Als er ein wenig in den Wald kam, so erblickte er mitten im Dickicht des laubenförmigen Forstes zur Zeit des Sonnenunterganges ein von ihrer Herde abgekommenes, von Geburtswehen gequältes Kamelweibchen. Nachdem er das Kamelweibchen samt ihrem Jungen gefangen hatte, kehrte er nach seinem Orte zurück. Nach Hause gekommen, nahm er einen Strick und band das Kamelweibchen fest. Dann nahm er eine scharfe Axt und ging in eine Gegend des Berges, um Zweige für sie zu holen. Da schnitt er viele junge zarte Schößlinge ab, nahm sie auf seinen Kopf und warf sie ihr vor. Sie fraß diese nach und nach auf und wurde bald dadurch, daß sie Tag und Nacht die Schößlinge verzehrte, dick und fett. Auch das junge Kamelchen wuchs zu einem großen Kamel heran. Darauf erhielt er stets Milch, womit er seine Familie ernährte.

Aus Liebe band nun der Zimmermann dem jungen Kamel eine große Glocke um den Hals. Dann dachte der Zimmermann: „Wozu andere schlechte Arbeiten!? Da grade diese Kamelzucht ein trefflicher Nahrungszweig für meine Familie geworden ist, wozu noch ein anderes Geschäft?“ Nachdem er so überlegt hatte, ging er nach Hause und sagte zu seiner Frau: „Liebe! Wenn du beistimmst, so ist Folgendes ein gutes Geschäft: Ich will von irgendeinem Geldausleiher etwas Geld nehmen und nach dem Lande Gurjara (heute Gujarat) gehen, um junge Kamele zu kaufen. Unterdes mußt du diese beiden sorgfältig hüten, bis ich mit einem andern Kamelweibchen zurückkehre.“ Darauf ging er nach einem Dorf in Gurjara, kaufte ein Kamelweibchen und kehrte nach Hause zurück. Um es kurz zu machen: Er wußte es so zu richten, daß sich ihm eine große Anzahl alter und junger Kamele ansammelte. Nachdem er darauf eine große Kamelherde hatte, nahm er einen Hirten in Dienst, und diesem gab er jährlich ein junges Kamel zum Lohn. Außerdem war ihm erlaubt, Tag und Nacht Milch zu trinken. Auf diese Weise befand sich auch der Zimmermann wohl dabei, indem er beständig mit Kamelweibchen und jungen Kamelen Handel trieb. Die jungen Kamele aber gingen, um zu grasen, in einen Lustwald des Ortes.

Nachdem sie nach Lüsten zarte Kräuter gefressen und in einem großen Teich Wasser getrunken hatten, gingen sie zur Abendzeit allmählich spielend nach Hause, und jenes erste Kameljunge ging aus zu großem Übermut immer ganz zuletzt. Da sagten die anderen jungen Kamele: „Ah! Dieses junge Kamel ist töricht, daß es von der Herde zurückbleibt und unter dem Läuten seiner Glocke ganz zuletzt herankommt. Wenn es in die Nähe irgendeines bösen Tieres gerät, so wird es sicher umgebracht.“ Und wahrlich, als sie eine Tages tiefer in den Wald eindrangen, kam ein Löwe heran, welcher den Schall der Glocke gehört hatte. Wie er nun hinsieht, so geht da eine Herde von Kamelweibchen und jungen Kamelen. Während aber eines, spielend und Kräuter abweidend, zurückbleibt, gehen die übrigen Kamele, nachdem sie Wasser getrunken haben, nach Hause zurück. Als dieses nun aus dem Walde tritt und sich in der Gegend umsieht, sieht und kennt es den Weg nicht. Während es nun, von der Herde abgekommen, allmählich und laut schreiend eine kleine Strecke zurücklegt, so steht dieser Löwe, der seinem Ton gefolgt war, mit einem Sprung hervorstürzend, vor seinem Angesicht. Als das Kamel ihm nun nahe kam, da packte es der Löwe an den Hals, daß ihm die Zunge heraushing, und brachte es um. - Darum sage ich: Wer aus Übermut nicht dem von Guten erteilten Rat folgt, der wird schleunig zugrunde gehen, wie das Kamel mit der Glocke.“

Nachdem das Krokodil dies gehört, sagte es: „Lieber! Es lehren uns die Schriftkundigen: Sieben Schritte zusammen, dann folgt Freundschaft. Darauf bauend sage ich etwas, das höre an! Männern, die andern um deren Wohl besorgt guten Rat geben, denen stößt nie ein Unglück zu, nicht in dieser noch in der jenseitigen Welt. Drum erweise mir, obgleich ich undankbar war, auf jeden Fall die Gnade, mir einen Rat zu erteilen! Es heißt auch: Wer gütig gegen Wohltäter ist, was ist an dessen Güte groß? Wer gütig gegen Schuldvolle ist, der wird von Guten gut genannt.“

Nachdem er dies gehört hatte, sagte der Affe: „Lieber! Wenn es so ist, dann gehe hin und kämpfe mit ihm! Es heißt auch: Fällst du, so kommst du zum Himmel, bleibst du leben, so kommst du zu Haus und Ruhm: So wird von zwei unschätzbaren Werten auf jeden Fall eines dir zuteil. Vor dem Mächtigsten falle nieder, gegen Helden säe Zwietracht aus, dem Schwachen gib kleines Geschenk, doch den Gleichen bekämpfe mit Macht.“

Da fragte das Krokodil „Wie war das?“, und der Affe erzählte:

10. Erzählung - Wie der Schakal den Besitz eines toten Elefanten verteidigt

In einer gewissen Waldgegend wohnte einst ein Schakal namens Mahachaturaka („sehr schlau“). Dieser fand eines Tages im Walde einen von selbst gestorbenen Elefanten. Er ging von allen Seiten um ihn herum, konnte aber die harte Haut desselben nicht zerbeißen. Während dies vorging, kam ein hier und dort umherschweifender Löwe in dieselbe Gegend. Als der Schakal nun den Starken kommen sah, legte er den Reif seiner Krone auf den Boden, faltete seine beiden Hände zusammen und sprach demütig: „Oh Herr! Ich stehe hier als dein Keulenträger und bewache diesen Elefanten für dich. Drum möge der Herr ihn verzehren!“ Der Löwe aber, da er ihn sich demütig bücken sah, sprach: „Ah! Ich esse nie und nimmer ein Tier, das von einem andern getötet wurde. Man sagt auch: Der Löwe, der sich von des Wildes Fleisch ernährt, greift selbst hungernd nimmer im Wald zum Grase: So lassen auch selbst im Unglück die Hochgeborenen nimmer ab vom Pfad der Tugend. Drum begnadige ich dich selbst mit diesem Elefanten.“ Nachdem er dies gehört hatte, sprach der Schakal voll Freude: „So geziemt es sich für einen Herrn gegen seine ergebenen Diener. Denn man sagt auch: Ein Edler weicht voll hohen Sinns nie von des Gebieters Pflicht, selbst in äußerster Not: Nimmer verliert die Perle ihren hellen Schimmer und käme sie auch aus des Feuers Mund.“

Als aber der Löwe sich entfernt hatte, kam ein Tiger heran. Als er nun diesen sah, dachte er: „Ah! Ein Bösewicht ist bereits durch einen Fußfall weggebracht. Wie werde ich aber nun diesen fortschaffen? Der ist unzweifelhaft ein Held: Dessen werde ich sicher nicht Meister werden, ohne Zwietracht zu säen. Denn man sagt auch: Wo gute Worte und auch Gaben nicht helfen können, da soll man Zwietracht aussäen, denn diese verhilft auch zum Sieg. Ja, sogar ein mit allen Tugenden Ausgerüsteter wird durch Spaltung vernichtet. Es heißt auch: Wohlgeschützt und kugelrund, von großer Härte und überschön, wird doch die Perle anbindbar, sobald sie ein Loch bekommt. Oder: Selbst der innerhalb dem höchsten Wesen stehende, sich von den äußerlichen Dingen entfernt habende, guten Lebenswandel führende, sehr brave und nach Befreiung Strebende, verfällt in die Bande des Irdischen, wenn er in sich gespalten ist (d.i. wenn die Zweiheit, statt der Einheit, in ihm Herr wird).“ Nachdem er so erwogen hatte, trat er ihm stolz mit erhobenem Nacken entgegen und sprach mit Eifer: „Lieber! Wie kommst du hierher, um dem Tod in den Rachen zu laufen? Denn dieser Elefant ist vom Löwen getötet worden, und der hat mich zum Wächter desselben bestellt und ist zum Fluß gegangen, um sich zu baden. Beim Weggehen hat er mir den Befehl gegeben: „Wenn ein Tiger hierher kommt, so mußt du es mich sorglich wissen lassen, denn ich will die Tiger aus diesem Walde ausrotten, weil einst ein Elefant, welchen ich getötet hatte, von einem Tiger heimlich angefressen und zu einem Überbleibsel gemacht worden ist. Von diesem Tage an habe ich den höchsten Zorn gegen Tiger.“ Nachdem er dies gehört, sagte der Tiger voll Schrecken zu ihm: „Oh Schwestersohn! Schenke mir mein Leben! Wenn er später hierher kommt, so gib ihm nicht die geringste Kunde von mir!“

Nachdem er so gesprochen hatte, begab er sich eilig auf die Flucht. Nachdem nun der Tiger weg war, kam ein Leopard daher. Als er auch diesen gesehen, dachte er: „Dieser Leopard hat starke Zähne. Drum will ich es dahin bringen, daß er mir in des Elefanten Fell ein Loch beißt.“ Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, sprach er auch zu diesem: „Oh Schwestersohn! Warum hast du dich so lange nicht sehen lassen? Und wie ausgehungert siehst du aus!? Drum sei mein Gast! Hier liegt ein Elefant, den der Löwe getötet hat, und ich bin angewiesen, ihn zu bewachen. Trotzdem aber kannst du, unterdes der Löwe nicht da ist, Fleisch von diesem Elefanten essen und wenn du satt bist, so rasch als möglich davongehen.“ Dieser antwortete: „Lieber! Wenn dem so ist, so will ich mit dem Fleischfressen nichts zu tun haben. Denn wer sein Leben bewahrt, kann hundert Freuden zu sehen bekommen. Es heißt auch: Welches Futter man verschlingen und auch verdauen kann, und was verdaut einem dann heilsam ist, das esse, wer sein Wohlergehen liebt. Drum ißt man unter jeder Bedingung nur das, was man verdauen kann. Deshalb werde ich mich aus dem Staube machen!“ Der Schakal aber sagte: „Oh du Feigling! Fasse nur Mut und iß! Ich will dir schon sagen, sobald er kommt, wenn er auch noch ganz fern ist.“ Nachdem dies geschehen war und der Schakal sah, daß der Leopard das Fell zerbissen hatte, rief er: „Oh Schwestersohn! Geh, geh! Da kommt der Löwe her!“ Nachdem er dies gehört hatte, machte sich der Leopard schnell weg.

Als nun der Schakal durch die vom Leoparden gemachte Öffnung etwas Fleisch gegessen hatte, da kam ein anderer, sehr wilder Schakal herbei. Als er diesen sah, der von gleicher Gattung und Kraft mit ihm war, rezitierte er folgende Strophe: Vor dem Mächtigsten falle nieder, gegen Helden säe Zwietracht aus, dem Schwachen gib kleines Geschenk, doch den Gleichen bekämpfe mit aller Macht.“ Dann schritt er ihm zum Kampf entgegen, zerfleischte ihn mit seinen Zähnen, schlug ihn in die Flucht und fraß dann selbst lange Zeit vergnügt des Elefanten Fleisch.

So überwältige auch du diesen zu deinem eigenen Geschlecht gehörigen Feind und schlage ihn in die Flucht! Wo nicht, so wirst auch du durch ihn zugrunde gehen, sobald er Wurzel gefaßt hat. Denn es heißt auch: Von Kühen erwarte man Vorteil, von Brahmanen Bußübungen, von Frauen erwarte man Leichtsinn und vom eigenen Stamm Gefahren. Und andrerseits: Gute Speisen gibt es vielfältig und auch unachtsame Bürgerfrauen! Die Fremde hat nur ein Übel: Man haßt daselbst den eignen Stamm.“

Da fragte das Krokodil „Wie war das?“, und der Affe erzählte:

11. Erzählung - Der Hund in der Fremde

An einem gewissen Ort wohnte einst ein Hund namens Chitranga („buntgefleckt“). Da trat eine langdauernde Hungersnot ein. Aus Mangel an Nahrung fingen die Hunde und übrigen Tiere an, ihre Familien zu verlassen. Da ging Chitranga, dessen Kehle von Hunger abgezehrt war, aus Furcht in ein anderes Land, und dort trat er in einer gewissen Stadt Tag für Tag in das Haus eines Hausbesitzers, aß durch die Sorglosigkeit der Hausfrau mannigfaltige Speisen und wurde aufs schönste satt. Allein, sobald er das Haus verließ, umringten ihn andere übermütige Hunde von allen Seiten und zerfleischten ihm mit ihren Zähnen den ganzen Körper. Darauf überlegte er: „Ach! Die Heimat ist doch besser, denn da kann man doch selbst bei Hungersnot vergnügt leben und keiner fängt an, sich mit einem herumzubeißen. Drum will ich auch in meine Stadt zurückgehen!“ Nachdem er so erwogen hatte, ging er nach seinem Orte zurück. Als er aber aus der Fremde zurück war, fragten ihn alle seine sämtlichen Verwandten: „He Chitranga! Erzähle uns, wie es in der Fremde zugeht? Wie ist das Land? Wie benehmen sich da die Leute? Was ist ihre Nahrung, und was ist ihre Beschäftigung dort?“ Er antwortete: „Wie kann man das eigentliche Wesen der Fremde schildern? Gute Speisen gibt es vielfältig und auch unachtsame Bürgerfrauen! Die Fremde hat nur ein Übel: Man haßt daselbst den eignen Stamm.“

Das Krokodil aber, nachdem es diesen Rat gehört hatte, faßte den Entschluß, es auf den Tod ankommen zu lassen, verabschiedete sich vom Affen und ging nach seiner Wohnung. Dort führte es Krieg mit dem in sein Haus eingedrungenen Räuber, und nachdem es ihn, gestützt auf seine gewaltige Stärke, umgebracht und seine Wohnung wieder in Besitz genommen hatte, lebte es lange Zeit vergnügt. Mit Recht sagt man Folgendes: Was ist Herrschaft wert, wenn auch freudvoll, die man nicht tapfer erkämpft hat? Heu, das ihm das Geschick zuwies, verzehrt auch ein alter Stier.

Hier endet das vierte Buch, genannt „Verlust von schon Besessenem“, dessen erste Strophe lautet:

Wer der Torheit folgt und sich schmeichelnd beschwatzen läßt, der verliert allen Besitz und ist ein Narr, ebenso betrogen wie das Krokodil und der Affe.


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