Pushpak Panchatantra Buch 4Zurück WeiterNews

Viertes Buch - Verlust von schon Besessenem

Hier beginnt das vierte Buch, genannt „Verlust von schon Besessenem“, dessen erste Strophe ist folgende:

Wer der Torheit folgt und sich schmeichelnd beschwatzen läßt, der verliert allen Besitz und ist ein Narr, ebenso betrogen wie das Krokodil und der Affe.

Es wird nämlich erzählt: An einem gewissen Ort nahe am Meer steht ein großer Jambu-Baum, welcher beständig voller Früchte ist, und da wohnte ein Affe namens Raktamukha („Rotmaul“). Da stieg einmal ein Krokodil namens Vikaralamukha („Schreckmaul“) aus dem Wasser des Meeres und legte sich an dem Rand des mit sehr weichem Sand versehenen Ufers unter diesem Baume nieder. Darauf sprach Raktamukha zu ihm: „Hör! Du bist mir als Gast genaht! So iß denn die ambrosiagleichen Jambu-Früchte, welche ich dir gebe! Es heißt auch: Sei er Freund oder Feind, sei er ein kluger oder dummer Mann - kommt ein Gast nach dem Allopfer (für die Götter, Ahnen und Geister), so hilft er dir ins Paradies. Dabei werde der Gast bei dem Allopfer und Totenopfer, wie Manu lehrt, nicht nach seinem Stand, Stamme, Wissen oder Geschlecht gefragt. Wer den vom weiten Weg müden, zu dem Allopfer kommenden Gast verehrt, der wird zur allerhöchsten Seligkeit kommen. Aus wessen Haus ein Gast mit tiefem Seufzen ungeehrt schreitet, von dem entfernen sich ungnädig die Götter samt den Vätern.“

Nachdem er so gesprochen hatte, gab er ihm Jambu-Früchte. Das Krokodil aber, nachdem es diese gegessen und lange Zeit das Vergnügen seiner Unterhaltung genossen hatte, kehrte wieder nach Hause zurück. So lebten diese beiden, der Affe und das Krokodil, im Schatten des Jambu-Baumes ruhend und sich die Zeit mit mancherlei schöner Unterhaltung vertreibend, stets vergnügt. Das Krokodil aber gab die übriggebliebenen Jambu-Früchte seiner Frau, wenn es nach Haus gekommen war. Eines Tages aber wurde es von dieser gefragt: „Herr! Woher bekommst du immer derartige ambrosiagleiche Früchte?“ Es antwortete: „Liebe! Ich habe einen guten Freund, einen Affen namens Raktamukha. Dieser gibt mir unter vorhergehenden Zeichen der Zuneigung diese Früchte.“ Da sagte sie denn: „Wer immer solche ambrosiagleiche Früchte genießt, dessen Herz muß ganz wie Ambrosia sein. Wenn ich dir also als Gattin lieb bin, so gib mir dessen Herz, damit ich, nachdem ich es gegessen habe, frei von Alter und Tod mit dir die Freuden genieße.“ Jener sagte: „Sprich doch so etwas nicht! Er ist ja unser Bruder geworden. Außerdem gibt er Früchte und darf deshalb nicht getötet werden. Drum laß dieses ungerechte Gelüste fahren! Es heißt ja: Erstens gebiert eine Mutter; zweitens aber gebiert das Wort: Der Bruder, den das Wort zeugte, steht also höher als der leibliche.“

Darauf sagte das Krokodilweibchen: „Du hast noch nicht ein einziges Mal meinen Worten entgegengehandelt. Drum wird das sicherlich ein Affenweibchen sein. Denn aus Liebe zu ihr verbringst du dort sogar den ganzen Tag. Nun kenne ich dich durch und durch. Denn man sagt, auch: Kein erheiterndes Wort spendest du mir, selbst auf Bitten gibst du nicht, was ich wünsche; rasch und häufig seufzt du auf in der Nacht, wie des Feuers Flamme; locker ist dein Umfassen, wenn den Hals du umschlingest, und dein Küssen gefühllos: Denn eine andere, du Bösewicht! ruht dir im Herzen und ist deine Liebste.“

Er aber umfaßte die Füße seiner Gattin und sprach jammernd: „Indes zu Füßen dir sinkend ich vor dir liege wie ein Knecht, willst du grundlos, oh Herzliebste, in Zorn geraten, Zürnende!?“

Sie aber, nachdem sie diese Rede gehört, sprach mit tränenbedecktem Gesicht: „Mit hundert Wünschen, oh du Bösewicht! durch verstelltes Gekose reizend, erfüllt die Geliebte deinen Sinn ganz. Für mich ist da nicht der kleinste Raum noch übrig. Drum weg mit diesem nur verstellten Zubodensinken! Übrigens: Wenn sie dein Liebchen nicht ist, warum willst du sie nicht töten, obgleich ich es dir sage? Wenn es aber ein Affenmännchen ist, wieso dann diese große Liebe von dir zu ihm? Mit einem Wort: Bekomme ich sein Herz nicht zu essen, dann beginne ich um deinetwillen ein großes Fasten, und faste mich tot.“

Nachdem er ihren festen Entschluß erkannt hatte, wurde sein Herz von Gedanken beängstigt und er sagte: „Ach! Mit Recht wird folgendes gesagt: Sesamschminke, Toren und Weiber, Krebse und Fische auch, Indigo und Trunkenbolde lassen nicht los, was sie einmal gefaßt haben. Was soll ich nun tun? Wie kann ich ihn töten?“ Nachdem er so überlegt hatte, ging er zu dem Affen. Der Affe aber, da er ihn spät und ängstlich herankommen sah, fragte: „Ach Freund! Warum kommst du heute so spät? Warum sprichst du nicht heiter und rezitierst keine schönen Sprüche?“ Dieser antwortete: „Freund! Heute hat deines Bruders (d.i. meine) Frau sehr harte Worte zu mir gesprochen, wie: «Ha! Du Undankbarer! Komm mir nicht vor die Augen! Denn Tag für Tag zechst du bei deinem Freund und zeigst ihm nicht einmal die Tür deines Hauses zur Wiedervergeltung. Dafür gibt es nicht einmal eine Buße. Es heißt ja: Für den Mörder eines Brahmanen, für Säufer, Schurken, Diebe und Gelübdebrecher gibt es Bußen, aber für Undankbare nicht. Drum nimm meinen Schwager und bring ihn zur Wiedervergeltung in unser Haus! Wo nicht, so siehst du mich erst im Jenseits wieder.» So von ihr angeredet, bin ich zu dir gegangen, und weil ich wegen dir mit ihr Streit hatte, trat diese lange Verspätung ein. Drum komm in mein Haus! Deines Bruders Gattin erwartet dich sehnsuchtsvoll, mit vier doppelten Gewändern angetan und mit würdigem aus Perlen, Rubinen und ähnlichem bestehenden Schmuck geziert, nachdem sie die Umgebungen der Tür mit Empfangskränzen geschmückt hat.“

Der Affe sagte: „Oh Freund! Was meines Bruders Gattin gesagt hat, ist ganz richtig. Denn es heißt auch: Wie einen Ketzer soll meiden der weise Mann solch einen Freund, der alles immer habsüchtig vor seinen Augen an sich reißt. Sie schenkt und läßt sich beschenken, erzählt und fragt nach Geheimnissen, genießet und gewährt Genuß: so sind der Liebe Zeichen sechs. Aber ich bin ein Waldbewohner und euer Haus ist im Wasser. Wie kann ich also dahin kommen? Drum führe lieber deine Frau hierher, damit ich sie und ihren Segenswunsch empfange!“ Jener aber sagte: „Freund! Unser Haus ist in einer sehr lieblichen Gegend einer Insel mitten im Meer. Drum besteige meinen Rücken und reise vergnügt und ohne alle Furcht!“ Nachdem der Affe dies gehört hatte, sprach er voller Freude: „Wenn dem so ist, so laß uns eilen! Wozu zögern? Sieh, ich habe deinen Rücken schon bestiegen!“       

Nachdem dies geschehen war und der Affe das Krokodil im bodenlosen Meere schwimmen sah, geriet sein Herz in Angst und er sagte zu ihm: „Bruder! Laß uns so langsam wie möglich schwimmen! Mein Körper wird naß von den Wellen des Wassers.“ Nachdem es dies gehört hatte, dachte das Krokodil: „Da er nun ins bodenlose Meer gelangt ist, ist er ganz in meinen Händen. Auf meinem Rücken sitzend, kann er sich kein Sesamkörnchen weit entfernen. Drum will ich ihm jetzt mein Vorhaben mitteilen, damit er noch ein letztes Gebet an seine Schutzgottheit richten kann.“

Daraufhin sagte er: „Höre Freund! Du wirst von mir, nachdem ich dich in Sicherheit gelullt habe, auf Befehl meiner Frau zum Tode geführt: Drum bete zu deiner Schutzgottheit!“ Jener sagte: „Bruder! Was habe ich ihr oder auch dir zuleide getan, daß du eine List ersonnen hast, mich umzubringen?“ Das Krokodil sagte: „Sie hat ein Weibergelüste gefaßt, dein Herz zu essen, welches durch den Genuß des Saftes der ambrosiagleichen Früchte gereinigt ist. Deshalb habe ich dies getan.“ Darauf sprach der Affe, der den Kopf auf dem rechten Flecke hatte: „Lieber! Wenn dem so ist, warum hast du mir das dort nicht gleich gesagt? Denn mein Herz ist immer wohlverwahrt in einer Höhlung des Jambu-Baums. Ich will es der Frau meines Bruders aushändigen. Warum hast du mich nun, ohne daß ich mein Herz bei mir habe, hierher gebracht?“ Nachdem das Krokodil dies gehört, sagte es voller Freude: „Lieber, wenn dem so ist, so gib mir dein Herz, damit das böse Weib es ißt und aufhört mit Fasten. Ich will dich zum Jambu-Baum bringen.“ Nachdem es dies gesagt, kehrte es um und ging zu dem Fuße des Jambu-Baums zurück.

So gelangte der Affe, nachdem er hunderte von verschiedenartigen Gelübden zu den Göttern gemurmelt hatte, mit Ach und Weh zu dem Ufer des Meeres zurück. Darauf sprang er mit einem Sprung so weit und so rasch wie möglich auf denselben Jambu-Baum und dachte bei sich: „Ha! So hätte ich doch mein Leben gefunden! Sagt man doch mit Recht: Nichtvertrauten vertraue nimmer, und traue auch den Vertrauten nicht! Gefahr, die durch Vertrauen aufwächst, rottet bis auf die Wurzel aus. So bin ich am heutigen Tage gewissermaßen zum zweiten Mal geboren!“ Indem er so dachte, sprach das Krokodil zu ihm: „He! Freund! Gib mir das Herz her, damit deines Bruders Frau es esse und mit Fasten aufhört!“ Da lachte der Affe spöttisch und sagte zu ihm: „Pfui! Pfui! Du dummköpfiger Mörder unter der Maske der Freundschaft! Hat denn irgend jemand zwei Herzen? Geh nur schleunig unter dem Jambu-Baum weg und komm mir niemals wieder hierher! Denn man sagt auch: Wer einem einmal schlecht erfundenen Freund von neuem Vertrauen schenkt, der zieht sich selber den Tod zu, wie ein Maultier, das schwanger wird.“

Nachdem das Krokodil dies gehört hatte, dachte es voller Beschämung: „Ach! Warum habe ich Tor ihm meines Herzens Absicht kundgetan? Wenn er doch nur noch einmal irgendwie Zutrauen faßt! Ich will ihm also von neuem Zutrauen einzuflößen versuchen!“ Darauf sagte es: „Freund! Sie hat kein Verlangen nach deinem Herzen. Ich habe das nur aus Spaß gesagt, um deine Herzensmeinung zu erproben. Drum komm als Gast in unser Haus! Deines Bruders Gattin ist voll von Sehnsucht nach dir.“ Der Affe sprach: „Oh! Du Bösewicht! Daß du dich auf der Stelle fortmachst! Ich werde nicht kommen. Man sagt auch: Welch ein Vergehen scheut der, der Hunger leidet? Wen Not verzehrt, der ist bald ohne Mitleid: Geliebter! Sprich zu Priyadarshana („freundlich Aussehend“) nur: Zum Brunnen kommt nimmer mehr der Gangadatta.“

Da fragte das Krokodil „Wie war das?“, und jener sprach:

1. Erzählung - Der Froschkönig ruft eine Schlange zu Hilfe

In einem gewissen Brunnen wohnte ein Froschkönig namens Gangadatta („von der Ganga gegeben“). Dieser wurde einst von seinen Verwandten beängstigt. Da bestieg er den Eimer des Schöpfrades und verließ so den Brunnen. Darauf dachte er: „Wie kann ich diesen Verwandten Leid antun? Man sagt ja: Fürwahr! Zum zweiten Mal geboren ist der Mann, der vergolten hat dem, der im Unglück ihm Hilfe oder auch Spott geboten hat.“ Auf diese Weise vielfach überlegend, sah er eine schwarze Schlange, Priyadarshana mit Namen („lieb anzuschauen“), aus ihrer Höhle kriechen. Nachdem er sie erblickt hatte, dachte er wieder: „Wenn ich diese schwarze Schlange in den Brunnen bringe, so kann ich alle Verwandten ausrotten. Denn man sagt auch: Auf einen starken Feind hetze man einen Feind, der noch stärker ist: Denn kommt er um, erwächst für die eigene Sache kein Schaden daraus. Und so: Durch einen scharfen Feind rotte der Weise aus den scharfen Feind, den leidschaffenden Dorn grade durch einen Dorn, und wandelt Gefahr in Freude.“

Nachdem er diese Betrachtungen angestellt hatte, ging er an die Tür der Höhle und rief: „Komm, komm! Priyadarshana! Komm!“ Die Schlange, nachdem sie dies gehört hatte, dachte bei sich: „Der mich da ruft, gehört nicht zu meinem Geschlecht. Denn es ist keine Schlangenstimme. Ich habe aber mit keinem einzigen anderen Wesen in der Welt Freundschaft. Drum bleibe ich hier in der Burg, bis ich weiß, wer es sein wird. Denn es heißt auch: Wessen Charakter und Abstammung und wessen Heimat dir unbekannt ist, dessen Umgang sollst du meiden; das ist ein Spruch Vrihaspatis. Vielleicht ist es ein Kenner von Zaubersprüchen und Kräutern, der mich lockt und dann in Banden wirft; oder es ruft mich auch ein Mensch irgendeines Feindes wegen, gegen den er einen Haß trägt.“

Darauf sagte sie: „He! Wer bist du?“ Dieser antwortete: „Ich bin der König der Frösche, Gangadatta, und bin zu dir gekommen, um Freundschaft mit dir zu schließen.“ Nachdem sie dies gehört, sagte die Schlange: „Ah! Das ist unglaublich! Wo schließt je das Stroh mit dem Feuer Freundschaft? Es heißt auch: Von wem man den Tod befürchten muß, in dessen Nähe geht man nicht, selbst wenn er schläft. Darum also, was sprichst du mir so dummes Zeug?“

Gangadatta sagte: „Hm! Das ist wahr! Du bist unser natürlicher Feind. Aber ich komme infolge von Unglück zu dir. Es heißt auch: Droht vollständiges Unglück dir, und ist selbst das Leben in Gefahr, dann neige dich tief selbst vor dem Feind und schütze Leben, Hab und Gut.“ Da fragte die Schlange: „Sprich! Wer ist schuld an deinem Unglück?“ Jener antwortete: „Meine Verwandten.“ Die Schlange sprach: „Wo ist denn deine Wohnung? In einem Sumpf, Brunnen, Teich oder See? Sag mir deinen Aufenthaltsort!“ Jener entgegnete: „In einem mit Steinen ausgemauerten Brunnen.“ Die Schlange sagte: „Ich habe keine Füße, kann also nicht hineinkommen; und wenn ich hineinkäme, so ist da kein Ort, wo ich stehen und deine Verwandten umbringen kann. Drum geh nur. Es heißt auch: Welches Futter man verschlingen und verdauen kann und was verdaut einem dann heilsam ist, das esse, wem sein Wohlsein lieb.“

Doch Gangadatta sagte: „Ach! Geh nur mit! Ich werde dir durch ein leichtes Hilfsmittel den Eingang möglich machen. Denn in der Mitte ist eine recht schöne Höhle in der Nähe des Wassers. Da kannst du dich aufhalten und dich mit Leichtigkeit dieser Verwandten bemeistern.“ Nachdem sie dies gehört hatte, dachte die Schlange wiederum: „Ich bin schon alt und fange manchmal mit großer Not noch eine Maus, manchmal selbst die nicht. Drum bringt mir dieses Mittel Freude, womit ich meinen Lebensunterhalt erlangen kann und welches mir dieser Mordbrand seines eignen Geschlechts zeigt. Ich will also gehen und diese Frösche fressen. Sagt man denn nicht richtig: Der Kluge, wenn er freundlos ist und seine Kräfte schwinden sieht, der verschmäht kein Mittel, wodurch er sich leicht Nahrung schafft.“

Nachdem sie so überlegt, sprach sie zu jenem: „Höre Gangadatta! Wenn dem so ist, so geh voran, damit wir hinkommen.“ Gangadatta sagte: „Höre Priyadarshana! Ich werde dich durch ein leichtes Mittel dahin führen und dir den Ort zeigen. Aber meine Anhänger mußt du verschonen! Du darfst nur die fressen, welche ich dir zeigen werde.“ Die Schlange sprach: „Lieber! Jetzt bist du mein Freund geworden. Drum brauchst du keine Furcht zu haben. Nach deiner Anweisung werde ich deine Verwandten fressen.“ Nachdem sie so gesprochen, kam sie aus ihrem Loch, umarmte ihn und machte sich mit ihm auf den Weg. Nachdem sie nun zum Rand des Brunnens gekommen waren, brachte er selbst die Schlange vermittelst des Eimers am Schöpfrade in seine eigne Behausung. Darauf wies er ihr einen Platz in einer Höhle an und zeigte ihr seine Verwandten. Diese wurden alsdann von ihr alle ohne Ausnahme allmählich aufgefressen. Als es nun an Fröschen fehlte, sagte die Schlange: „Lieber! Deine Feinde sind vollständig ausgerottet. Drum gib mir irgendeine andere Nahrung, da du mich ja hierher gebracht hast!“ Gangadatta antwortete: „Dein Werk der Freundschaft ist zu Ende. Drum gehe jetzt vermittelst derselben Schöpfmaschine weg!“ Die Schlange sprach: „He Gangadatta! Was du sagst, ist nicht recht. Wie kann ich gehen? Das Loch, welches mir als Burg diente, wird von einem andern in Besitz genommen sein. Drum bleibe ich hier, und du gibst mir jeden Tag einen Frosch von deinen Anhängern. Wo nicht, so fresse ich sie alle ohne Ausnahme.“

Nachdem er dies gehört hatte, dachte Gangadatta mit erschrecktem Sinn: „Oh weh! Was habe ich da getan, daß ich den hierher geführt habe!? Wenn ich nun das verweigere, wird er alle ohne Ausnahme fressen. Ja mit Recht sagt man auch: Wer einen Feind sich zum Freund erwählt, der ihn an Stärke überragt, der hat sich zweifellos mit eigner Hand Gift zum Trank gemischt. Drum will ich jeden Tag einen ausliefern, und wäre es auch ein Freund. Es heißt auch: Den Feind, der stark genug ist, einem alles zu nehmen, stellt der Kluge mit kleiner Gabe zufrieden, wie das Meerfeuer der Ozean. Der Schwache, der einem Starken auf dessen Bitte nicht Körner darreicht im Guten, der wird ihm später Scheffel voll Mehl geben müssen, ohne daß ihm jener auch nur die Ehre des Stolzes erweist. Und so: Wenn dem Ganzen Verlust droht, gibt der Kluge die Hälfte preis und behilft sich mit der andern: Alles verlieren, ist gar zu hart. Um einer Kleinigkeit willen bringt sich der Kluge um Großes nicht, sondern klug ist, wer sich Großes durch Verlust von Geringem bewahrt.“

Nachdem er sich so entschlossen, lieferte er der Schlange immer einen Frosch aus. Sie fraß diesen und unbemerkt auch manch anderen. Heißt es ja doch mit Recht: Wie man mit schmutzigen Kleidern sich sorglos überall hinsetzt, so wird von angegriffener Habe der Überrest auch nicht geschont. Eines Tages aber, als die übrigen Frösche aufgefressen waren, fraß die Schlange auch Gangadattas Sohn, Yamunadatta mit Namen („von der Yamuna gegeben“). Als Gangadatta bemerkte, daß dieser aufgefressen war, rief er mit dem Tone der Liebe „Oh weh! Oh weh!“ und hörte keinen Augenblick auf zu jammern. Darauf sagte seine Gattin zu ihm: „Was jammerst du, du Selbstmörder des unglücklichen eigenen Stammes? Nun, da der eigene Stamm hin ist, wer wird unser Beschützer sein? Drum denke auf der Stelle an deine Flucht oder an ein Mittel, die Schlange zu töten.“

Bald war im Laufe der Zeit der gesamte Stamm der Frösche aufgefressen; nur Gangadatta allein war noch übrig. Darauf sagte Priyadarshana zu ihm: „Lieber! Ich bin hungrig, und alle Frösche sind bis auf den letzten ausgerottet. Du bist noch übrig. Drum gib mir irgendetwas zu essen, da du mich ja hierher gebracht hast!“ Jener sagte: „Ach! Freund! Solange ich lebe, brauchst du dir darüber keine Gedanken zu machen. Wenn du mich nur wegschicken willst, so werde ich auch die in anderen Brunnen befindlichen Frösche überreden, daß sie hierher kommen.“ Jene antwortete: „Bis jetzt darf ich dich nicht essen, weil du mir ein Bruder bist. Wenn du aber das ausrichtest, so werde ich dich sogar einem Vater gleich achten. Drum tue, wie du sagst!“

Jener aber, nachdem er dies gehört, hing sich an den Eimer des Schöpfrades, gelobte vielen Göttern Dankopfer, wenn sie ihm helfen würden, und kam aus diesem Brunnen heraus. Priyadarshana blieb voll Erwartung darin und sehnte sich nach seiner Rückkehr. Als aber eine lange Zeit verging, ohne daß Gangadatta zurückkehrte, sprach Priyadarshana zu einer Echse, der in einer andern Höhle wohnte: „Lieber! Erweise mir eine kleine Gefälligkeit! Da du ein alter Bekannter des Gangadatta bist, so gehe zu ihm, suche ihn in irgendeinem Wasserbehälter auf und melde ihm im Auftrag von mir: „Daß er so schnell als möglich, wenn auch ganz allein, kommen möge, wenn die andern Frösche nicht kommen wollen. Ich könne es ohne ihn hier nicht aushalten, und wenn ich irgendetwas Böses gegen ihn beginge, so sollten die guten Werke meines Lebens auf ihn übergehen.“ Die Echse suchte infolge dieser Rede den Gangadatta so rasch als möglich auf und sagte zu ihm: „Lieber Gangadatta! Dein Freund Priyadarshana wartet in einem fort auf deine Rückkehr, drum komm schnell zurück! Auch verpfändet er dir zur Sicherheit, daß er dir nichts Ungefüges tun wird, die guten Werke seines Lebens. Drum komm ohne alle Furcht im Herzen zurück!“

Nachdem er dies gehört, sprach Gangadatta: „ Welch ein Vergehen scheut der, der Hunger leidet? Wen Not verzehrt, der ist auch ohne Mitleid: Geliebter! Sprich zu Priyadarshana nur: Zum Brunnen kommt nimmer mehr der Gangadatta!“ Mit diesen Worten entließ er die Echse.“

Und der Affe fuhr fort: „So, du böses Wassertier! werde auch ich, wie Gangadatta, unter keiner Bedingung in dein Haus kommen.“ Nachdem das Krokodil dieses gehört, sagte es: „Ach, Freund! Dies zu tun, ist nicht angemessen für dich. Befreie mich auf jeden Fall von der Sünde der Undankbarkeit dadurch, daß du in mein Haus kommst. Sonst werde auch ich mich um deinetwillen zu Tode fasten.“ Der Affe sagte: „Tor! Soll ich so ein Dummkopf sein, wie Lambakarna („Langohr“), der, obgleich er die Gefahr gesehen hatte, aus freien Stücken nach demselben Orte zurückkehrte, und mich so selbst umbringen? Denn: Wer gekommen und entkommen ist, nachdem er des Löwen Kraft gesehen hat, und dennoch zurückkehrt, ist ein Tor, der weder Herz noch Ohren hat.“

Da fragte das Krokodil „Wer ist dieser Lambakarna? Wieso kam er um, obgleich er die Gefahr gesehen hatte?“, und der Affe erzählte:

2. Erzählung - Der Esel, der weder Herz noch Ohren hat

In einer gewissen Waldgegend wohnte ein Löwe namens Karalakesara („mit schrecklicher Mähne“), und dieser hatte als beständigen Begleiter und Diener einen Schakal namens Dhusaraka („der Graufarbige“). Eines Tages nun erhielt dieser Löwe, als er mit einem Elefanten kämpfte, sehr starke Wunden am Leibe, sodaß er nicht einen Fuß mehr rühren konnte. Da er sich nun nicht bewegen konnte, so wurde auch Dhusaraka, indem seine Kehle von Hunger abgezehrt ward, ganz kraftlos. Eines Tages sprach er zum Löwen: „Oh Herr! Ich bin von Hunger gequält! Ich kann keinen Fuß mehr vor den andern setzen. Wie kann ich dir nun Dienste leisten?“ Der Löwe sagte: „Höre! Gehe und suche irgendein Tier, damit ich es umbringe, obgleich ich so daniederliege.“

Der Schakal suchte darauf und kam zu einem in der Nähe befindlichen Dorf. Da erblickte er am Rande eines Teiches einen Esel, Lambakarna mit Namen, der mühselig sehr spärliche Distelschößlinge verzehrte. Darauf näherte er sich ihm und sprach: „Mein Freund! Laß mich dir meine Verehrung bezeigen! Ich habe dich lange nicht gesehen. Drum erzähle mir, wieso du so schwach geworden bist.“ Lambakarna antwortete: „Ach Schwestersohn! Was soll ich erzählen? Ein sehr unbarmherziger Wäscher quält mich mit übermäßiger Last, und gibt mir nicht einmal eine Handvoll Futter. Ich habe nichts zu essen als diese mit Staub bedeckten Distelschößlinge. Woher sollte ich nun einen starken Körper haben?“ Der Schakal sagte: „Freund! Wenn dem so ist, so gibt es eine überaus schöne Gegend mit einem Fluß, der reich an smaragdgleichen Gräsern ist. Komm dahin und genieße dort das Vergnügen schöner geselliger Unterhaltung mit mir!“ Lambakarna sagte: „Ach, Schwestersohn! Was du sagst, klingt gut. Aber wir Haustiere werden von euch Waldtieren getötet. Was hilft mir also jene schöne Gegend?“ Der Schakal sagte: „Freund! Sprich nicht so! Diese Gegend ist durch meine Arme wie durch einen Käfig rings umfriedigt, und kein anderer kann hineinkommen. Außerdem sind da drei unverehelichte Eselinnen, die ganz auf dieselbe Art wie du von einem Wäscher geplagt waren. Diese sind stark geworden, und brünstig durch ihre Jugendfülle, haben sie zu mir gesagt: «Wenn du dich als wahrer Mutterbruder von uns erweisen willst, so gehe einmal in irgendein Dorf und führe uns einen passenden Gemahl zu.» Aus diesem Grunde will ich dich dahin bringen.“

Nachdem er diese Worte des Schakals gehört hatte, sprach Lambakarna, den Körper von Liebe gequält: „Lieber! Wenn dem so ist, dann gehe voran! Wir wollen eilig hingehen!“ Sagt man ja doch mit Recht: Keinen Nektar und kein Gift gibt's weiter als eine schöne Maid: Leben spendet ihre Umarmung, ihre Trennung dagegen Tod. Und so: Durch deren Nennung schon Liebe, ganz ohne Nähe und Sehen entsteht, welche Seligkeit bietet diese, wenn man sie sieht und sich ihr naht?!

Nachdem dies geschehen, ging er mit dem Schakal zu dem Löwen. Als aber der Löwe, von Krankheit schwach, sich erhebt, so versuchte der Esel auf und davonzulaufen. Während er aber weglief, gab ihm der Löwe einen Tritt mit der Fußpranke. Dieser hatte aber, wie die Anstrengung eines vom Glück nicht Begünstigten, keinen Erfolg. Darauf sprach der Schakal zu ihm von Zorn überwältigt: „Ha! Ist dein Stoß derart? Wenn selbst ein Esel vor deinen Augen dir zum Trotz davonkommt, wie kannst du den Kampf mit einem Elefanten wagen? Jetzt sehe ich, wie weit deine Macht her ist!“ Der Löwe aber sagte, beschämt lächelnd: „Ach! Was kann ich dafür? Mein Fuß war nicht vorbereitet. Sonst kommt selbst ein Elefant nicht davon, wenn ihn mein Fuß getroffen hat.“ Der Schakal sprach: „Ich werde ihn dir noch am heutigen Tage nochmals vorführen. Sorge dafür, daß dein Fuß dann vorbereitet ist!“ Der Löwe sagte: „Lieber! Wie wird einer, nachdem er mich mit eigenen Augen gesehen hat und davongekommen ist, zu demselben Orte wieder zurückkehren? Drum suche irgendein anderes Tier!“ Der Schakal aber sagte: „Ist das deine Sorge? Stehe du nur mit vorbereitetem Fuße bereit!“

Nachdem dies so geschehen war, folgte der Schakal der Spur des Esels und sah ihn an demselben Ort weiden. Der Esel nun, als er den Schakal sah, sagte: „Ach, du Schwestersohn! Du hast mich an einen schönen Ort gebracht! Wenig fehlte, so wäre ich umgekommen. Sag nur, was war das für ein ganz gräßliches Geschöpf, vor dessen donnerkeilgleichem Faustschlag ich mich gerettet habe?“ Nachdem er dies gehört hatte, rief der Schakal laut lachend: „Freund! Das war eine vom Waldvergnügen überaus stark gewordene Eselin, welche, sowie sie dich kommen sah, aus Begierde herbeilief, um dich leidenschaftlich zu umarmen. Wie du nun auf und davonliefst, so streckte sie die Hand aus, um dich zu halten, aus keinem anderen Grund. Drum komm! Sie hat den Entschluß gefaßt, sich um deinetwillen zu Tode zu fasten, und sagt: «Wenn Lambakarna nicht mein Gatte wird, dann gehe ich ins Feuer oder ins Wasser oder nehme Gift. Von ihm getrennt zu sein, das kann ich nicht aushalten.» Drum zeige dich gnädig und gehe hin! Wo nicht, so begehst du einen Frauenmord, und der Gott der Liebe wird einen grimmigen Zorn gegen dich fassen. Denn es heißt auch: Die Törichten, die das siegreiche Banner des Liebesgottes mit dem Siegel eines Seeungeheuers, das in Gestalt eines Weibes erscheint, verschmähen und falschen Früchten nachstrebend umherwandern, die werden von jenem aufs grausamste geschlagen, (sie müssen Asketen und Mönche werden) sind nackenden Leibes mit geschorenem Haupt, einige in rote Gewänder gehüllt, andere mit Haarzopf und Schädelkette.“

Er ließ sich von diesen Worten überreden und machte sich mit ihm nochmals auf den Weg. Sagt man ja doch mit Recht: Das Schicksal treibt den Mann, daß er wissentlich selbst das Üble tut: Denn wie sonst in aller Welt fände einer am Üblen Gefallen? So kam der Esel, durch die hundert Reden des Schelms angeführt, wiederum in die Nähe des Löwen. Da wurde denn Lambakarna von dem Löwen, der seinen Fuß vorher in Bereitschaft gesetzt hatte, mit einem Schlag umgebracht. Nachdem er ihn nun getötet hatte, befahl er dem Schakal, ihn zu bewachen, und ging selbst in einen Fluß, um sich zu baden. Der Schakal aber verzehrte aus überheftiger Begierde das Herz des Esels samt den Ohren. Unterdessen nun, daß der Löwe sich gebadet, die Götter verehrt und der Schar der Väter geopfert hatte, so liegt da der Esel ohne Herz und Ohren. Wie er dies sieht, wird der Löwe von Zorn ergriffen und tadelt den Schakal: „Bösewicht! Was für eine unziemliche Tat hast du da getan? Denn dadurch, daß du Ohren und Herz gegessen hast, ist dies zu einem Überbleibsel geworden (und Löwen essen keine Reste).“

Der Schakal aber antwortete ehrfurchtsvoll: „Oh Herr! Sag das nicht! Denn dieser Esel hatte weder Ohren noch Herz: Aus diesem Grunde ist er, nachdem er hierhergekommen und bei deinem Anblick vor Schrecken davongelaufen war, dennoch wieder zurückgekehrt.“ Dem Löwen aber schien diese Rede glaubwürdig. Er teilte mit ihm und aß ohne Bedenken. - Daher sage ich: Wer gekommen und entkommen ist, nachdem er des Löwen Kraft gesehen hat, und dennoch zurückkehrt, ist ein Tor, der weder Herz noch Ohren hat.“

Und weiter sprach der Affe zum Krokodil: „So hast du Dummkopf mich zu betrügen versucht, aber der Versuch ist mißglückt, weil du wie Yudhishthira die Wahrheit sagtest. Sagt man ja doch mit Recht: Vergißt ein Schelm, was er sucht, und spricht aus Unvernunft die Wahrheit, so verfehlt er sicher sein Ziel, wie ein zweiter Yudhishthira.“

Da fragte das Krokodil „Wie war das?“, und der Affe erzählte:


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