Pushpak Panchatantra Buch 3Zurück WeiterNews

16. Erzählung - Die Schlange, die sich von Fröschen reiten läßt

In einer Gegend des Berges Varuna lebte eine bejahrte schwarze Schlange namens Mandavisha („mit wenig Gift“). Die dachte in ihrem Herzen folgendermaßen: „Wie fange ich es an, daß ich mir meinen Lebensunterhalt mit Leichtigkeit verschaffe?“ Darauf ging sie zu einem Teich, der reich an Fröschen war und zeigte sich so, als ob sie gleichgültig gegen alles Weltliche wäre. Indem sie nun so dastand, kam ein Frosch an den Rand des Wassers und fragte sie: „Liebe! Warum gehst du heute nicht wie sonst herum, um dir Nahrung zu verschaffen?“ Sie antwortete: „Lieber! Woher sollte ich Unglückliche nach Speise verlangen? Denn gestern abend in der Dämmerung, als ich Speise suchend herumging, sah ich einen Frosch. Ich richtete meine Bewegung ein, um ihn zu fangen. Er aber, da er mich erblickt hatte, hüpfte aus Furcht vor dem Tode zwischen Brahmanen, welche in das Studium der Heiligen Schriften vertieft waren, und ich bemerkte nicht, wohin er geraten war. Darauf wurde mein Sinn durch etwas ihm ähnliches beirrt, und ich biß den Sohn irgendeines Brahmanen, mit Namen Dradhika („der Standhafte“) in den Daumen, welcher am Ufer des Teiches im Wasser stand. Darauf starb dieser augenblicklich, ich aber wurde von seinem schmerzergriffenen Vater verflucht: «Weil du Bösewicht! meinen Sohn, der dir nichts zuleid getan, gebissen hast, darum sollst du dieser Sünde wegen den Fröschen zum Reiten dienen und von der Nahrung leben müssen, welche du von ihrer Gnade empfängst!» Darauf bin ich hierhergekommen, um euch zum Reiten zu dienen.“      

Von jenem wurde dies nun allen Fröschen kundgetan. Drauf gingen sie alle zusammen hin und meldeten es dem Froschkönig Jalapada („der Wasserfüßige“). Dieser dachte „Das ist ja wunderbar!“ und verließ eilig, von seinen Ministern umgeben, den Teich und bestieg den Rücken der Schlange Mandavisha. Auch die übrigen stiegen alle nach ihrer Rangordnung auf ihren Rücken. Um es kurz zu machen: Diejenigen, die keinen Platz auf ihr erlangen konnten, liefen hinter ihr her. Mandavisha aber zeigte zu seinem eigenen Vergnügen verschiedenförmige Gangarten. Jalapada nun, der durch die Berührung des Schlangenkörpers Freude empfand, sagte zu ihr: Nicht das Reiten auf Elefanten, nicht auf Rossen, Wagen oder Männern gefällt mir so, wie das hier auf Mandavisha.

Eines Tages aber ging Mandavischa aus Verstellung so langsam als er nur konnte. Als er dies nun bemerkte, sagte Jalapada: „Lieber Mandavisha! Warum geht das Reiten heute nicht so gut als sonst?“ Mandavisha antwortete: „Majestät! Aus Mangel an Nahrung habe ich heute keine Kraft zum Tragen.“ Da sagte jener: „Lieber! Iß ein Paar gemeine Frösche!“ Nachdem er dies gehört, war Mandavisha am ganzen Körper erfreut und sagte vergnügt: „Das ist eben der Fluch des Brahmanen über mich. Darum bin ich über diese deine Erlaubnis in Freude versetzt.“ Darauf fing er augenblicklich an, einige Frösche zu fressen, wurde in wenigen Tagen kräftig, und innerlich lachend sprach er voller Freude: „Die Frösche hier sind gar vielfältig durch List und Trug berückt, wie lange Zeit soll's wohl dauern, bis ich sie alle gefressen hab!?“

Jalapada aber, dessen Herz durch Mandavishas verstellte Rede betört war, merkte auch nicht das allergeringste. Mittlerweile kam eine andere große schwarze Schlange in diese Gegend, und als sie sah, wie jene von Fröschen geritten wurde, geriet sie in Verwunderung und sagte: „Kamerad! Du läßt dich von denen reiten, die unsere Nahrung sind, das ist widersinnig!“ Mandavisha antwortete: „Ich weiß genau, daß ich der Frösche Fuhrwerk bin. Aber warte nur, warum! Wie beim Priester, der durch Kuchen blind werden soll.“

Da fragte diese „Wie war das?“, und Mandavisha erzählte:

17. Erzählung - Der Brahmane und sein ehebrecherisch Weib

In einem gewissen Orte lebte ein Brahmane, mit Namen Yajnadatta („vom Opfer gegeben“). Der hatte eine ehebrecherische Frau, die ihr Herz an einen andern gehängt hatte, stets für ihren Liebhaber mit Zucker und geschmolzener Butter Leckerbissen machte und sie diesem hinter dem Rücken ihres Mannes gab. Aber einst sah es der Mann und sagte zu ihr: „Liebe! Wozu wird das gebacken? Und wohin bringst du das immer? Sag mir die Wahrheit!“ Sie aber, die ihren Kopf rasch bei der Hand hatte, antwortete mit lügnerischen Worten: „Nicht weit von hier ist ein Tempel der erhabenen Göttin. Dahin bringe ich, nachdem ich vorher gefastet habe, Opfer und mannigfache unvergleichliche Speisen.“ Darauf nahm sie all dieses und machte sich vor seinen Augen auf den Weg zum Tempel der Göttin: „Denn“, dachte sie, „wenn ich dieses heute der Göttin darbringe, wird mein Mann denken, daß seine Brahmanin die ausgewählten Speisen immer zu der erhabenen Göttin bringt.“

Während sie nun, nachdem sie zum Tempel der Göttin gegangen war, zum Fluß herabsteigt, um sich zu baden und dies Werk des Badens vollzieht, kam ihr Mann auf einem anderen Weg heran und stellte sich hinter den Rücken der Göttin, sodaß er nicht gesehen werden konnte. Die Brahmanin aber, nachdem sie sich gebadet und zu dem Altar der Göttin gekommen war, besorgte die Zeremonien des Waschens, Salbens, Bekränzens, Beräucherns, Opferns und so weiter, verbeugte sich alsdann vor der Göttin und sprach: „Erhabene! Durch welches Mittel wird mein Mann blind werden?“ Nachdem er dies gehört hatte, sagte der Brahmane hinter der Göttin Rücken stehend mit verstellter Stimme: „Wenn du diesem Mann immer Kuchen und andere Leckereien gibst, dann wird er bald blind sein.“ Die Ehebrecherin aber, deren Herz durch die verstellte Rede getäuscht war, gab nun ebendieses dem Brahmanen beständig.

Da sagte der Brahmane eines Tages: „Liebe! Ich kann nicht ordentlich sehen.“ Als sie dieses hörte, dachte sie: „Das ist die Gnade der Göttin, die sich jetzt eingestellt hat.“ Darauf kam ihr herzliebster Galan jeden Tag zu ihr, indem er dachte: „Was kann mir dieser blindgewordene Brahmane tun?“ Als der ihn aber einst ins Haus kommen und nahe bei sich sah, packte er ihn an den Haaren und traktierte ihn mit Stockschlägen, Fußtritten und ähnlichem solange, bis er den Geist aufgab. Der schlechten Frau aber schnitt er die Nase ab und verstieß sie. - Daher sage ich: Ich weiß genau, daß ich der Frösche Fuhrwerk bin. Aber warte nur, warum! Wie beim Priester, der durch Kuchen blind werden soll.

Fortsetzung der 16. Erzählung

Darauf sagte Mandavisha, innerlich lachend, mehrere Mal hintereinander: „Die Frösche schmecken sehr verschiedenartig.“ Als aber der Froschkönig Jalapada dieses zufällig hörte, fragte er mit höchst erschrockenem Herzen: „Lieber! Was hast du da gesagt? Das ist ein böses Wort!“ Er aber, um den Ausdruck seiner Gesinnung zu verbergen, sagte: „Das war doch nur Spaß!“ So bemerkte der Froschkönig, dessen Herz durch seine lügnerischen Reden betört war, die schlechte Absicht nicht. Um es kurz zu machen: Auf diese Weise wurden von ihm alle zusammen aufgefressen, so daß auch nicht einmal ein Samen von ihnen übrigblieb. Darum sage ich: Selbst auf der Schulter trägt der Weise seinen Feind, wenn es die Zeit erheischt: Von der großen schwarzen Schlange sind viele Frösche umgebracht worden.

Wie nun, oh König! von Mandavisha durch die Kraft des Verstandes die Frösche getötet wurden, so auch sämtliche Feinde durch mich: Und schön sagt man Folgendes: Das Feuer, das im Wald wütet, verschont wenigstens der Pflanzen Wurzeln, doch samt der Wurzel entwurzelt die weiche und kalte Wasserflut.“

Meghavarna sagte: „Väterchen! So ist es wirklich, die Hochgesinnten geben im Gefühl ihrer hohen Kraft, nicht auf, was sie begonnen haben, selbst wenn sie in Mißgeschick geraten sind. Denn es heißt auch: Das ist der Hohen Hoheit, die der Lebensweisheit Schmuck tragen, daß sie nicht lassen vom Begonnenen, selbst wenn sich schweres Leid erhebt. Und so: Der Niedriggesinnte beginnt nichts aus Furcht vor Hindernissen; der Mittelgesinnte beginnt zwar, doch weicht er vor Hindernissen zurück; der Hochgesinnte aber verläßt das einmal Begonnene niemals, auch wenn sich die Hindernisse tausendfach häufen. So ist denn mein Reich durch dich von allen Gefahren befreit, indem du die Feinde bis auf den letzten vernichtet hast. Ziemt es sich ja doch auch nicht anders für die, die der Lebensweisheit kundig sind. Denn es heißt auch: Der Weise, der nicht ein einziges Restchen von Feind, Schulden, Feuer und Krankheit übrigläßt, dem stößt keine Betrübnis zu.“

Jener sagte: „Majestät! Du bist glücklich, da alles gelingt, was du begonnen hast. Denn Tapferkeit bewirkt nur, was unumgänglich notwendig ist. Was aber durch Weisheit vollbracht wird, das bewirkt vollständigen Sieg. Es heißt auch: Denn Feinde, die durch Schwerter sterben, sind nicht vernichtet; doch Feinde, die durch Klugheit fallen, die sind wirklich vernichtet. Denn das Schwert trifft nur der Menschen Leiber; Klugheit erschlägt den Stamm, den Ruhm und die Stärke. Wer also Weisheit und Manneskraft besitzt, dem gelingen seine Unternehmungen ohne Mühe. Die Einsicht schreitet am Anfang des Unternehmens; dann wird der Wille fest; der Rat, sich selbst beschließend, gerät in keine Irrfahrt; fruchtreich blitzet die Überlegung, stolz hebt sich das Herz und Freude erfüllet den Mann, der in preiswürdige Tat sich einläßt. Und so fällt Herrschaft dem Manne zu, der Klugheit, Freigebigkeit und Heldenmut in sich vereint. Es heißt auch: Der Mann, welcher den Umgang mit Freigebigen, Helden und Weisen liebt, wird tugendhaft, dem Tugendhaften wird Reichtum, Reichtum bringt Glück, Glück bringt Macht und diese bringt Herrschaft.“

Meghavarna sagte: „Wahrlich, die Regeln der Lebensweisheit tragen auf der Stelle Frucht. Denn dadurch, daß du sie hartnäckig befolgtest, wurde (der Eulenkönig) Arimardana samt seinen Dienstmannen mit Stumpf und Stiel von dir ausgerottet.“

Sthirajivin sagte: „Selbst in Dingen, wo scharfe Mittel nötig, ist doch im Anfang Unterwerfung anzuraten: Der stolz hochanstrebende König der Bäume, der Wälder Zier, ist zu ehren, bevor er gefällt wird. Denn das, oh Herr! was unmittelbar erfolglos oder nur mit schwerem Leid zu erreichen ist, ist doch nicht Wert genannt zu werden. Schön sagt man auch: Die Reden der Unentschlossenen, Beharrlichkeit Scheuenden oder bei jedem Schritt hundert Fehler Zeigenden werden durch ihre Früchte Lügen gestraft und machen sich lächerlich in der Welt.

Auch Verständige dürfen selbst bei leichten Unternehmungen nicht sorglos verfahren: „Ich werde es können! Mühelos ist es und leicht zu enden: Wozu der Sorgfalt?“ So nimmt wohl mancher leicht, was er mit unbedachtem Sinn begonnen hat, und versinkt in Gram und Leiden, die gern zum Unglück sich gesellen.

So kann denn mein Gebieter jetzt, nachdem seine Feinde besiegt sind, wie früher sich dem Schlaf hingeben. Man sagt auch dieses: In einem Haus, worin keine Schlangen wohnen oder gefangen sind, da schläft sich's leicht; doch wo Schlangen sich stets zeigen, da schläft man kaum. Und so: Wie wird dem ungeduldigen Herzen mußegenießende Ruhe zuteil, ehe strebend mit ehrbegierigem Mut, das Ziel der Taten erreicht ist, die mit angestrengter Beharrlichkeit auszuführend, erhaben sind, Segenswünsche von den Liebenden bringen, die Höhe der Macht der Lebensweisheit zeigen, und zu der Wünsche Ziel führen? So ruht denn gleichsam mein Herz aus, nachdem mein Unternehmen sein Ziel erreicht hat. So genieße denn jetzt lange Zeit - das Glück deines Schirms und deines Throns unerschüttert - diese deine von allen Gefahren befreite Herrschaft, einzig beschäftigt mit dem Schutz deiner Untertanen, und vererbe sie so auf Kind, Kindeskind und alle ihre Nachkommen!

Und auch: Ein Fürst, der sich nicht durch Schutz und Liebe seines Volkes Herz gewinnt, dessen Herrschaft ist ganz nutzlos, wie falsche Zitzen am Ziegenhals. (Der Vergleich bezieht sich vermutlich auf eine Spezies bengalischer Ziegen, die zitzenähnliche Fortsätze am Hals haben.) Der Erdenfürst, welcher Liebe zur Tugend hegt, sich nicht den Wollüsten hingibt und sein Volk liebt, der freut sich lang des mit wogender Fahne und Schweif und weißem Schirm strahlenden Manngebieterglücks. Auch darfst du dich nicht durch den Rausch des Glücks berücken lassen, indem du denkst: „Ich bin im Besitz der Herrschaft!“ Denn schwankend ist die Macht der Könige, der Herrschaft Glück so schwer zu erklimmen wie ein Bambusbaum; sie neigt sich immer zu plötzlichem Sturz; und obgleich sie mit hundertfältiger Anstrengung gehalten wird, ist sie dennoch schwer zu halten; obgleich gepriesen und verehrt, ist sie am Ende trügerisch; wie das Geschlecht der Affen von zerstreuten und mannigfachen Sinnes; wie das Wasser auf einem Lotusblatt lose verbunden; wie des Windes Strom überaus unstet; wie der Verein mit dem Bösen unsicher und schwer zu nahen, wie das Gift der Schlange; wie der Streif der Abendwolke nur einen Augenblick purpurfarben; wie eine Schar von Wasserblasen seinem Wesen nach vergänglich ist; wie eine Boa Konstriktor undankbar; wie ein im Traum empfangener Haufen Goldes im selben Augenblick gesehen und wieder verschwunden ist.

Und auch: Sobald jemand zum Gebieter gesalbt wird, muß sich sein Geist rüsten für Mißgeschicke: Denn das Gefäß, das zur Salbung dient, gießt gleichsam Unglück im Wasserstrom aus. Und wahrlich gibt es keinen, den das Unglück nicht erreichen könnte. Es heißt auch: Das Exil des Rama, die Bezwingung des Bali, die Waldwanderung der Pandusöhne, die Vernichtung der Vrishnis, den Verlust des Königreiches durch Nala, den Dienst des Arjuna als Tänzerin und den Sturz des Herrschers von Lanka erwägend, duldet der Mensch hier alles, was das Schicksal gebietet. Wer schützt wen? Wohin ist Dasaratha gegangen, der im Himmel des großen Indras Freund war? Wohin auch König Sagar, welcher das Meer befriedigt hat? Wohin der dem Arm entsprossene Sohn des Vena, und wohin Manu, der Sonne Sohn? Sind ihnen nicht allen die Augen geschlossen worden, vom mächtigen Todesgott gefesselt? Wohin ist der Sieger der drei Welten, Mandhatri? Wohin Satyavrata? Wohin Nahusha, der König der Götter? Kesava wo, der Schriftkundige? Wir hören, wie Fürsten an Wagen und trefflichsten Elefanten reich auf Indras Thron saßen, vom gewaltigen Schicksal erhoben wurden und auch wieder vom Schicksal gestürzt. Und auch: Hier dieser König, diese Minister, diese Frauen und diese Lustwälder auch, er und sie, sie und diese: Nur ein Blick des Tods, und sie sind hin. - So herrsche denn du, nachdem du der Herrschaft Glück erlangt hast, das so unstet ist wie das Ohr eines wütenden Elefanten, und halte einzig an der Gerechtigkeit fest!“

Hier endet das dritte Buch, genannt „Der Krieg der Krähen und Eulen“, dessen erste Strophe lautet:

Vertraue nie früher bekämpften Feinden, selbst wenn sie auch Freundschaft mit dir geschlossen haben! Sieh, wie in Brand steht der Eulen Höhle, von Glut verzehrt, welche die Krähen schürten.


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