Pushpak Panchatantra Buch 3Zurück WeiterNews

12. Erzählung - Die verwandelte Maus soll sich einen Bräutigam wählen

Am Ufer der Ganga - welche Wellen führt mit mächtigem, weißem Schaum, der aufgeregt wird durch das Hin- und Herschießen der Fische, die wiederum erschrocken sind durch das Gebrüll des gegen rauhe Felsen wogenden Wassers -, da ist ein Gefilde von Einsiedeleien, voll von Büßern, welche sich einzig mit der Vollziehung der Werke des Gebets, der Sinnesbändigung, der Buße, des Studiums der heiligen Schriften, des Fastens und der Meditation beschäftigen, welche nur nach sehr reinem, wenigem Wasser verlangen, ihren Körper durch den Genuß von Knollen, Wurzeln, Früchten und Wasserpflanzen kasteien, und weiter keine Bedeckung tragen, als einen aus Baumrinde gefertigten Schurz. Da lebte auch ein Familienhaupt namens Yajnavalkya.

Der Weise hatte sich in der Tochter des Jahnu (in der Ganga) gebadet und war eben im Begriff, sich den Mund auszuspülen. Während er nun der Sonne seine Verehrung erwies, fing ein Falke an diesem Orte mit der Biegung seiner sehr scharfen Klauen ein Mäuschen. Als der Weise dies sah, wurde sein Herz von Mitleid bewegt, er rief „Laß los! Laß los!“ und warf zugleich mit einem kleinen Stein nach ihm. Diesem aber wurden durch den Steinwurf die Sinne verwirrt, und er fiel zu Boden, indem er die Maus fahren ließ. Das Mäuschen lief vor Furcht zitternd zu den Füßen des Weisen und bat: „Schütze mich! Schütze mich!“ Der Falke aber, nachdem er seine Besinnung wiedererlangt hatte, sprach zu ihm: „Oh Weiser! Du hast nicht recht gehandelt, daß du mich mit einem Stein beworfen hast. Fürchtest du dich nicht vor Ungerechtigkeit? Gib mir also jenes Mäuschen zurück! Wo nicht, so wirst du eine schwere Sünde auf dich laden.“ Der Weise sprach: „Oh böser Vogel! Man muß ja doch das Leben der Lebenden schützen, die Bösen bestrafen, die Guten achten, die Eltern und Lehrer verehren, und die Götter preisen. Warum sprichst du also so unvernünftig!?“ Der Falke sagte: „Du kennst nicht das subtile Recht. Als der höchste Gott die Wesen schuf, hat er allen Lebendigen ihre Nahrung bestimmt: Wie euch gekochte Speise, so sind uns Mäuse und ähnliches zugewiesen. Warum tadelst du mich also, weil ich nach meiner Nahrung begehre? Man sagt auch: Die Speise, welche jedwedem bestimmt ist, bringt ihm keine Schuld; aber verbotene Speise bringt Sünde, deren enthalte man seinen Leib. Wie berauschende Getränke von Brahmanen oder Opferspeise vom Trunkenbold, auch wenn sie normaler Speise gleicht, nicht gespeist werden darf, so gilt es für andere mit anderer Nahrung auch. Auf Nahrung beruht der Essenden Wohlsein, und diese Nahrung gewährt kein Fest. Weswegen bestrafst du mich so ungerecht? Dies ist nicht die Weise der Weisen. Denn diese sehen nicht, was sie sehen, hören nicht, was sie hören. Wird etwa die aus Begierde entstandene Träne gepriesen? Weise sind gleichen Sinns gegen Feind und Freund, dem Erdklumpen oder Gold gleich an Gefühl, für Freunde und Feinde gleichsinnig, parteilos zwischen Liebe und Haß. Denn die Guten scheiden sich von den Bösen durch Gleichsinnigkeit: Gut sind solche, die vorwurfsfrei sich guten Brauchs befleißigen. Darum hast du durch jene Tat dich versündigt. (Diese Fabel erinnert auch an die Geschichte von König Sivi in MHB 3.197.) Denn man sagt auch: Mit „Laß los! Laß los!“ da fällt eines; mit „Laß nicht los!“ fällt das andere auch. Wie er am Boden zwei sieht, denkt er: „Schweigen nützt jederzeit.“

Da fragte der Weise Salankayana „Wie ist das?“, und der Falke sprach:

13. Erzählung - Die Kleider der Heiligen

Am Ufer eines Flusses vollzogen einst drei heilige Brüder mit Namen Ekata, Dwita und Trita zusammen Buße (siehe auch MHB 9.36), und während sie sich badeten, standen vermittelst der Macht ihrer Buße ihre gewaschenen Kleider naß von Wasser ohne alle Stütze mitten in der Luft, um nicht irgendeinen unreinen Teil der Erde zu berühren. Da wurde einst, wie von mir, so von einem Geier durch List ein kleiner Frosch gefangen. Als er dies sah, wurde das Herz des Ältesten von Mitleid bewegt, und er sprach zu jenem „Laß los! Laß los!“, wie du zu mir. In demselben Augenblick fiel, weil er sich in Dinge einmischte, die ihn nichts angingen, sein gewaschenes Kleid aus der Luft auf die Erde. Als dies der zweite sah, geriet er in Furcht und sprach: „Laß nicht los!“ Als auch dessen Kleid herabfiel, und der dritte alle beide gefallen sah, schwieg er still. - Daher sage ich: Mit „Laß los! Laß los!“ da fällt eines; mit „Laß nicht los!“ fällt das andere auch. Wie er am Boden zwei sieht, denkt er: „Schweigen nützt jederzeit.“

Fortsetzung der 12. Erzählung

Nachdem er dieses gehört hatte, sagte der Weise lächelnd: „Oh du törichter Vogel! Das ist der Charakter des damaligen Zeitalters gewesen. Denn im Zeitalter der Wahrheit (Satya-Yuga) entsteht bereits eine Sünde, wenn man einen Schlechten auch nur anredet. Daher bewirkten die beiden Brahmanen nur durch das Ansprechen mit guter Rede das Herabfallen der Kleider. Jetzt herrscht aber das Zeitalter der Schlechtigkeit (Kali-Yuga). Da ist jeder ohne Ausnahme sündig: Deshalb haftet keine Sünde ohne persönliche Handlung. Daher sagt man auch: In den anderen Zeitaltern stecken der Menschen Sünden an, doch in diesem, dem schuldreichen, versündigt sich der Täter nur. Und so: Durch Sitzen, Liegen, Gehen, Reden und durch Essen mit anderen breitet im ersten Zeitalter sich Sünde aus wie Öl im Meer. Doch wozu unnützes Gerede? Entferne dich! Wo nicht, so werde ich dir fluchen.“

So fiel dem Weisen das Mäuschen, aus dem Schnabel des Falken stürzend, in seine Hand. Nachdem er es betrachtet hatte, setzte er es auf ein Feigenblatt, badete sich von neuem, spülte sich den Mund aus, vollzog die Sühne und übrigen Andachtsübungen, verwandelte dann das Mäuschen durch die Macht seiner Buße in ein Mädchen, ging mit diesem in seine Einsiedelei und sagte zu seiner Frau, die kinderlos war, folgendes: „Liebe! Nimm hier diese an Tochterstatt an und erziehe sie sorgfältig!“ Darauf ward sie von ihr aufgezogen, geliebt und gepflegt.

Als sie zwölf Jahre alt geworden war, und die Gattin sah, daß sie heiratsfähig war, sagte sie zu ihrem Gatten: „Höre, oh Gatte! Siehst du nicht, daß die Zeit zur Verheiratung unserer Tochter überschritten wird?“ Jener sagte: „Ganz richtig gesprochen! Man sagt ja: Von Göttern wie Soma, den Gandharvas und dem Feuer werden Frauen zuerst geliebt, von Menschen dann später. Darum sind sie von Sünde frei. Soma schenkt ihnen Frömmigkeit, die Gandharvas den süßen Ton und das Feuer vollständige Reinheit: Drum sind die Frauen sündenlos. Ohne Menses wird sie Gauri genannt; Rohini, wenn sie solche hat, und wenn ohne Zeichen und Busen, heißt das Mädchen Naknika. Sobald die Zeichen (der Pubertät) eintreten, so liebt Soma auch die Maid, im Busen wohnen die Gandharvas und das Feuer im Monatsfluß. Drum leite man die Heirat ein, sobald das Mädchen die Menses hat, und sobald sie acht Jahr alt ist, wird empfohlen die Verheiratung. Das erste Zeichen wie auch das zweite verletzt der Brüste Paar, Liebesgenuß die andere Welt und den Vater der Monatsfluß. Hat sie aber die Monate, dann kommt ihr die freie Wahl zu: Darum verlobt man sie unreif, so sprach Manu Swayambhuva. Ein Mädchen, welches ehelos im Vaterhause die Monate sieht, solches ist unverheiratbar, ausgelassen und lasterhaft.

Der Vater soll dem Besten, Gleichen oder selbst Niederen eine schon Entwickelte rasch zur Frau geben, damit er nicht in Schuld verfällt. Daher will ich sie einem Gleichen zur Frau geben, keinem anderen. Man sagt auch: Nur wo beide an Reichtum gleich und beide gleich sind an Stand, da geziemt sich Ehe oder Freundschaft, doch zwischen Starken und Schwachen nicht. Und so: Stand und auch Tugend und ob ein Schutzherr, Vermögen und Wissen sowie Leib und Alter: Die sieben Dinge erwägt der Weise, wenn er sein Kind verheiratet, und sonst weiter nichts. Wenn sie es also zufrieden ist, so will ich den erhabenen Sonnengott rufen und sie diesem zur Frau geben.“

Jene sagte: „Was wäre da auszusetzen? Tu es!“ Darauf rief der Weise die Sonne. Durch die Macht der Anrufung vermittelst Vedensprüche kam die Sonne augenblicklich herbei und sprach: „Erhabener! Warum rufst du mich?“ Dieser antwortete: „Sieh! Hier steht mein Töchterchen. Wenn sie dich erwählt, so nimm sie dir zur Frau!“ Nachdem er dies gesagt hatte, sprach er zu seiner Tochter: „Tochter! Gefällt dir dieser erhabene, die drei Welten erleuchtende Sonnengott?“ Das Töchterchen aber sprach: „Väterchen! Der ist zu heiß. Den will ich nicht. Rufe irgendeinen anderen Besseren!“ Als nun der Weise ihre Rede gehört hatte, fragte er die Sonne: „Erhabener! Gibt es irgendeinen, der mächtiger ist als du?“ Die Sonne antwortete: „Ja! Es gibt einen Stärkeren als ich, das Gewölk, durch dessen Bedeckung ich unsichtbar werde.“ Darauf rief der Weise auch das Gewölk herbei und sagte zu seiner Tochter: „Töchterchen! Soll ich dich diesem zur Frau geben?“ Diese antwortete: „Das ist schwarz und kalt. Darum gib mich an irgendein anderes mächtiges Wesen!“ Darauf fragte der Weise auch das Gewölk: „Höre, oh Wolke! Gibt es irgendeinen, der mächtiger ist als du?“ Das Gewölk antwortete: „Mächtiger als ich ist der Wind! Vom Wind getroffen, zerspringe ich in tausend Stücke.“ Nachdem er dies gehört hatte, rief der Weise den Wind und sprach: „Töchterchen! Gefällt dir der Wind hier am besten zum Manne?“ Sie antwortete: „Väterchen! Der ist überaus unstet. Laß lieber irgendeinen Mächtigeren kommen!“ Der Weise sprach: „Wind! Gibt es einen noch Mächtigeren als du es bist?“ Der Wind sagte: „Mächtiger als ich ist der Berg. Denn wenn ich auch noch so stark bin, hält er mich doch aus, weil er sich entgegenstemmt.“ Darauf rief der Weise den Berg herbei und sagte zu dem Mädchen: „Töchterchen! Soll ich dich diesem zur Frau geben?“ Diese antwortete: „Väterchen! Der ist hart und starr. Drum gib mich einem anderen.“ Der Weise fragte den Berg: „Höre! König der Berge! Gibt es irgendeinen Mächtigeren als du es bist?“ Der Berg antwortete: „Mächtiger als ich sind die Mäuse, welche mit Gewalt meinen Körper durchbohren.“ Darauf rief der Weise einen Mäuserich und zeigte ihr diesen und sagte: „Töchterchen! Soll ich dich diesem zum Weibe geben? Gefällt dir der Mäusekönig hier?“ Sie aber, als sie diesen erblickte, dachte: „Der ist von meiner eigenen Gattung!“ Ihr Körper verschönte sich durch die vor Freude in die Höhe starrenden Haare, und sie sagte: „Väterchen! Mach mich zu einem Mäuschen und gib mich ihm zur Frau, damit ich die meiner Gattung vorgeschriebenen häuslichen Pflichten erfülle!“

Er verwandelte sie darauf durch die Macht seiner Buße in ein Mäuschen und gab sie jenem zur Frau. Daher sage ich: Nicht die Sonne und nicht Wolke, der Wind oder den Berg wählt zum Gemahl das Mäuschen, sondern Gleichartiges: Denn Art läßt nimmermehr von Art.“

Aber ohne des Raktakshas Rede zu achten, wurde Sthirajivin zum Verderben ihres Geschlechts zu ihrer Festung geführt. Und während er hingeführt wurde, lachte er in seinem Herzen und dachte: „Der, welcher seines Herrn Bestes anratend sagte «Tötet ihn!», der kennt einzig von all diesen das wahre Wesen der Politik. Hätten sie getan, was er riet, so würde sie auch nicht das geringste Leid treffen.“

Als sie zum Tor der Festung gekommen waren, sagte Arimardana: „He! He! Gebt diesem wohlgesinnten Sthirajivin einen Platz, wie er ihn wünscht!“ Als er dies hörte, dachte Sthirajivin: „Ich muß doch an ein Mittel denken, ihr Verderben herbeizuführen. Das ist nicht möglich, wenn ich mich in ihrer Mitte befinde. Denn sie werden sorglich auf mich achtgeben und meine Mienen und ähnliches überdenken. Drum will ich meinen Sitz vor der Festung einnehmen und da meinen Plan ins Werk setzen.“

Nachdem er so beschlossen hatte, sprach er zum Eulenkönig: „Majestät! Was der Herr gesagt, ist angemessen. Aber auch ich kenne die Gesetze der Lebensklugheit und will dein Bestes. Obgleich ich dich liebe und redlich bin, so bin ich doch nicht wert, mitten in der Festung zu wohnen. Drum will ich hier an dem Tor bleiben und meinen Körper durch den Staub deiner lotusgleichen Füße reinigen und dir täglich meine Verehrung erweisen.“ Nachdem der König mit dem Wort „So sei es!“ dieses erlaubt hatte, brachten die Diener des Eulenkönigs, welche wohlschmeckende Speise bereiteten, auf Befehl des Eulenkönigs dem Sthirajivin Tag für Tag Nahrung von ausgewähltem Fleisch. Damit wurde er nach einigen Tagen stark wie ein Pfau.

Als nun Raktaksha sah, wie Sthirajivin gepflegt ward, so sagte er voll Erstaunen zu den Ministern und dem Könige: „Ach! Betört sind die Minister und auch du! Das ist meine Überzeugung. Man sagt auch: Zuerst war ich allein töricht, alsdann der Vogelfänger auch, nachher der König samt Räten: Wahrlich ein ganzes Narrenhaus!“

Da fragten jene „Wie war das?“, und Raktaksha erzählte:

14. Erzählung - Der Gold entleerende Vogel und die Toren, die ihn besaßen

In einer gewissen Berggegend befindet sich ein großer Baum. Und da wohnte ein Vogel mit Namen Simbhuka, in dessen Entleerungen Gold entstand. Dahin kam einstmals ein Jäger, und der Vogel ließ grade vor seinen Augen seine Exkremente fallen. Als nun der Jäger sah, daß diese in demselben Augenblicke, wo sie niederfielen, sich in Gold verwandelten, geriet er in Verwunderung: „Ah! Von meiner Kindheit an beschäftige ich mich achtzig Jahre mit Vogelfang, habe aber noch kein einziges Mal in den Exkrementen eines Vogels Gold gesehen.“ Nachdem er so gedacht hatte, stellte er an dem Baum eine Schlinge auf. Darauf setzte sich dieser törichte Vogel ohne Mißtrauen im Herzen wie früher da nieder und war augenblicklich in der Schlinge gefangen. Der Jäger aber löste ihn los von der Schlinge, setzte ihn in einen Käfig und trug ihn in sein Haus. Alsdann dachte er: „Was soll ich mit diesem gefahrdrohenden Vogel anfangen? Wenn irgendeinmal jemand erfährt, daß er von dieser Art ist und es dem König meldet, dann gerät sicher mein Leben in Gefahr. Darum will ich selbst den Vogel dem König darbringen.“ Nachdem er so überlegt hatte, tat er auch demgemäß. Auch der König, als er den Vogel sah, geriet in das höchste Entzücken, riß seine Augen weit auf in seinem lotusgleichen Angesicht und sprach folgendermaßen: „He da, ihr Wächter! Bewahrt mir sorgfältig diesen Vogel und gebt ihm Essen, Trinken und alles Übrige soviel er begehrt!“

Darauf sagte aber ein Minister: „Wie kann man im Vertrauen auf das bloße Wort eines unglaubwürdigen Jägers diesen Vogel verpflegen? Entsteht denn je in den Exkrementen eines Vogels Gold? Drum befreie man diesen Vogel aus den Banden des Käfigs!“ So wurde der Vogel auf die Rede des Ministers vom König freigelassen. Indem er in das hohe Tor trat, ließ er goldene Exkremente fallen, und nachdem er die Strophe „Zuerst war ich allein töricht usw.“ rezitiert hatte, flog er, wohin er Lust hatte, durch die Luft davon. - Daher sage auch ich: Zuerst war ich allein töricht, alsdann der Vogelfänger auch, nachher der König samt Räten: Wahrlich ein ganzes Narrenhaus!“

Diese aber beachteten durch die Feindschaft des Schicksals seine obgleich gute Rede wiederum nicht, sondern pflegten die Krähe auch ferner mit mancherlei Nahrung von trefflichem Fleisch und ähnlichem. Darauf rief Raktaksha seine Schar zu sich und sagte ihr insgeheim: „Ach! Unser Gebieter hat Glück und Burg die längste Zeit gehabt. Ich habe geraten, wie ein angeerbter Minister spricht. Darum laßt uns jetzt zu einer andern Burgfeste unsere Zuflucht nehmen! Denn man sagt auch: Wer mit Bedacht handelt, der steht sich gut dabei, doch Kummer wird jenem zuteil, der unbedacht lebt. Bejahrt und grau bin ich hier im Wald geworden, doch Höhlen höre ich heute zum ersten Mal sprechen.“

Da fragten sie „Wie war das?“, und Raktaksha erzählte:

15. Erzählung - Der vorsichtige Schakal

In einer gewissen Waldgegend wohnte ein Löwe namens Kharanakhara („mit scharfen Klauen“). Der schweifte einst mit vor Hunger abgezehrter Kehle hier und dort umher, stieß aber auf kein einziges Tier. Als darauf die Sonne unterging, kam er zu einer großen Berghöhle, trat hinein und dachte: „Sicher muß irgendein Tier in der Nacht in diese Höhle kommen! Drum will ich hier im Versteck bleiben!“ Mittlerweile kam der Besitzer dieser Höhle, ein Schakal namens Dadhiputcha („mit dem Milchschweif“) heran. Wie der zusieht, so geht eine Spur von Löwentritten in die Höhle, führt aber nicht heraus. Darauf dachte er: „Oh weh! Ich bin verloren! Da muß notwendig ein Löwe hineingegangen sein. Was soll ich nun tun? Wie werde ich Sicherheit erlangen?“ Nachdem er so überlegt hatte, fing er an, an der Tür stehend, zornig zu rufen: „Heda, Höhle! He da, Höhle!“ Nachdem er so gerufen, schwieg er still und sprach dann von neuem: „He! Erinnerst du dich denn nicht, daß ich mit dir das Übereinkommen getroffen habe, daß ich dich begrüße, wenn ich von auswärts komme, und du mich einladen mußt? Wenn du mich also nicht anrufst, so werde ich in diejenige zweite Höhle gehen, die mich nachher anrufen wird.“ Als aber der Löwe das hörte, dachte er: „Sicherlich ruft ihn die Höhle immer an, wenn er kommt. Heute aber spricht sie aus Furcht vor mir keine Silbe. Sagt man ja doch mit Recht: Leute, welche vor Furcht beben, die können weder Hand noch Fuß noch irgendeinen Laut gebrauchen und erzittern gewaltiglich. Drum will ich statt ihrer rufen, damit er dem Ruf folgt und mir zum Futter wird.“ Nachdem er so erwogen hatte, stieß der Löwe für sie einen Ruf aus. Darauf wurde die Höhle vom Widerhall des Löwengebrülls erfüllt und setzte auch die übrigen in der Ferne befindlichen Tiere des Waldes in Schrecken. Der Schakal aber floh und rezitierte diese Strophe: Wer mit Bedacht handelt, der steht sich gut dabei, doch Kummer wird jenem zuteil, der unbedacht lebt. Bejahrt und grau bin ich hier im Wald geworden, doch Höhlen höre ich heute zum ersten Mal sprechen. - Dasselbe denkt auch ihr und geht mit mir!“

Nachdem er so gesprochen hatte, ging Raktaksha in Begleitung seiner ihm nachfolgenden Dienstmannen in ein entferntes anderes Land. Nachdem nun Raktaksha sich entfernt hatte, dachte Sthirajivin mit überaus erfreutem Herzen: „Ah! Das hat sich für uns gut gefügt, daß Raktaksha weggegangen ist! Denn der ist weitsichtig; diese aber sind törichten Sinnes. Nun kann ich sie mit leichter Mühe vernichten. Denn man sagt auch: Ein Herrscher, der nicht weitsichtige, angeerbte Minister hat, dem wird unzweifelhaft baldigst vollständiges Verderben nahen. Sagt man doch auch mit Recht: Für Feinde in Freundgestalt gelten bei Weisen die, die guten Rat verwerfen, aber grade das Widerspiel davon empfehlen.“

Nachdem er so überlegt hatte, legte er Tag für Tag jedesmal ein kleines Stückchen Holz in sein Nest, um die Höhle anzuzünden. Aber die törichten Eulen merkten nicht, daß er sein Nest ausbaute, um sie zu verbrennen. Sagt man ja doch mit Recht: Den Feind hält er für seinen Freund, den Freund hasset und schädigt er, Glück dünkt Unglück, Sünde Tugend dem vom Schicksal geschlagenen Mann.

Nachdem nun unter dem Vorwand, ein Nest zu bauen, an der Tür der Festung ein Haufen Holz gesammelt war, ging Sthirajivin, als die Eulen nach Aufgang der Sonne die Kraft zu sehen verloren hatten, eilig zu Meghavarna und sagte zu ihm: „Herr! Es ist so weit gebracht, daß des Feindes Höhle verbrannt werden kann. Drum komm mitsamt deinem Gefolge! Laß jeden ein brennendes Scheitchen Holz nehmen und werft sie an der Tür der Höhle in mein Nest, damit sämtliche Feinde unter denselben Leiden umkommen, als ob sie in der Hölle in Töpfen gesotten würden.“ Nachdem er dies gehört hatte, sprach Meghavarna voll Freude: „Väterchen! Erzähle deine Geschichte! Ich habe dich so lange nicht gesehen!“ Dieser antwortete: „Kind! Jetzt ist keine Zeit zum Erzählen. Denn wenn irgendein Spion diesem Feind verrät, daß ich hierhergegangen bin, so wird der Blinde, sobald er es erfährt, anderswohin abziehen. Drum eile! Man sagt auch: Sobald ein Mann sich aufs Zaudern legt, wo Raschheit von Nöten ist, dann verhindern die Götter aus Zorn sicherlich, was er vorhat. Und so: Denn von jedem Werk, und vorzüglich einem solchen, das in Blüte steht, schlürfet die Zeit seine Frucht, wird es nicht schleunig vollendet. Drum werde ich dir, wenn ich nach Haus zurückgekommen bin und du den Feind geschlagen hast, alles ausführlich und ungestört erzählen.“

Als jener diese Rede gehört hatte, nahm er samt seinen Dienstmannen jeder ein brennendes Scheitchen Holz mit der Spitze des Schnabels, und nachdem sie zum Tor der Festung gekommen waren, warfen sie es in Sthirajivins Nest. Darauf wurden jene Eulen allesamt in der Mitte der Höhle, wie in einem Höllenfeuer gesotten und kamen um. Denn der Ausgang war verschlossen, und es nützte es ihnen nichts, daß sie sich nun doch der Worte des Raktaksha erinnerten. Nachdem Meghavarna auf diese Weise seine Feinde bis auf den letzten ausgerottet hatte, kehrte er wieder zu derselben Burg auf dem Feigenbaum zurück. Darauf ließ er sich auf seinen Thron nieder und inmitten des Hofes fragte er den Sthirajivin mit hocherfreutem Herzen: „Väterchen! Wie hast du mitten unter den Feinden eine so lange Zeit zugebracht? Darauf bin ich neugierig. Erzähle es, denn: Die Männer, welche rein handeln, stürzen sich lieber ins Feuer, als einen einzigen Moment auch nur in der Feinde Kreis zu hausen.“

Nachdem er dies gehört hatte, sagte Sthirajivin: „Lieber! Für einen treuen Diener gibt es kein Leid, wenn er nach einer zu erhoffenden Frucht begehrt! Denn es heißt auch: Wenn irgendein Weg durch drohende Gefahren Vorteil zu gewähren verspricht, so ist er mit weisem Bedacht zu betreten, sei er erhaben oder auch niedrig: Denn seine elefantenrüsselgleichen, von der Sehne Anprall gezeichneten, großer Taten erfahrenen Hände umwand der Held Arjuna mit feinen Armbändern gleichwie ein Weib. Selbst der Starke, oh Männergebieter! und der Weise, hält er es für zeitgemäß, muß wahrlich hausen bei einem wie Donnerschläge zu meidenden, gemeinen und sündigen Volk: Hat nicht - die Hand mit dem Löffel beschäftigt, von Rauch geschwärzt und Arbeit geplagt - sogar der überstarke Bhima als Koch im Palast der Matsyas gelebt? Was ihm auch Unangenehmes zustößt, sei es nun gut oder tadelnswert, der Weise führt, die Zeit bedenkend, was er in Sinn gefaßt hat aus: Hat nicht der links auch den Bogen Spannende (Arjuna), die Hände schwielig vom zitternden, schweren und harten Anprall der Sehne des Gandiva-Bogen, (im gleichen Palast) geschmückt mit Frauengürtel Liebestänze getanzt? Der Weise, hat er ein Ziel im Auge, bewältigt seinen eignen Glanz, und obgleich mit der wahrhaftigen Macht versehen, beugt er sich in Geduld, wo das Schicksal es heischt: Trug nicht der herrliche Sohn des Dharma (Yudhishthira), obgleich mit Brüdern begabt, die gleich dem Götterkönig, Schatzgebieter und Todesgott waren, den dreifachen Stab eines Büßers, lange Zeit sich peinigend? Der Kunti kräftige Söhne, obgleich an Schönheit und Adel reich, gingen dennoch als Kuhhirten in den Fürstendienst bei Virata. Selbst jene, die der Göttin Shri gleich (der Gemahlin von Vishnu und Göttin des Wohlstandes) durch unvergleichliche Gestalt, durch der Jugend Gaben, durch Geburt im edelsten Haus und Schönheit, selbst diese geriet in ungeziemende Lage durch des Schicksals Willen: Hat nicht Draupadi - stolz und verächtlich von den Mägden, denen sie eine Dienstmagd schien, angeherrscht - im Palast des Matsya-Königs Sandelholz gemahlen? (siehe MHB ab 4.1)“

Meghavarna sagte: „Väterchen! Das Zusammenwohnen mit einem Feind dünkt mir so schwer, wie das Gelübde, auf der Schneide eines Schwertes zu stehen.“ Jener sprach: „Majestät! So ist es! Aber ich habe noch an keinem Ort einen solchen Haufen von Toren gesehen, denn außer dem sehr weisen Raktaksha, welcher eine unvergleichliche Einsicht in viele Schriften besitzt, hatte keiner Verstand. Nur er erkannte, was ich im Herzen beabsichtigte. Die andern Minister aber waren große Dummköpfe, die sich nur für Minister ausgaben, um davon ihren Lebensunterhalt zu haben. Sie waren nicht fähig, die Wahrheit zu erkennen, da sie nicht einmal dies durchschauten. Denn: Ein schlechter Knecht, der vom Feind kommt, denkt nur, wie er sich ihm versöhnt: Gewichen vom Pfad des Rechts, ist er für immer feig und schlecht. Im Sitzen, Liegen und Gehen sowie allen Gegenständen von Speis und Trank legt der Feind dem Feinde Schlingen, sieht er ihn sorglos oder nicht. Deswegen soll sich der Weise sorgfältig und mit Bedacht schützen, als die Wohnung der drei Güter (die drei Lebensziele von Tugend, Reichtum und Liebe), denn Sorglosigkeit vernichtet ihn.

Mit Recht sagt man auch dieses: Wen quält nicht Krankheit, ißt er Ungesundes? Wer macht nicht Fehler in der Politik, hat er schlechte Minister? Wen macht das Glück nicht stolz? Wen trifft der Tod nicht? Wen martert nicht Sinnesgenuß, wenn er ihm frönt? Dem Gierigen geht der Ruhm verloren, dem Heimtückischen die Freundschaft, dem an guten Werken Armen sein Stamm, dem auf Besitz Erpichten die Tugend, dem Sinnlichen die Frucht der Erkenntnis, dem Unglücklichen die Freude und dem Fürsten mit sorglosen Ministern sein Reich. Darum habe ich, oh König! ein Gelübde, so schwer wie auf der Schneide eines Schwertes zu stehen, durch den Aufenthalt unter den Feinden vollzogen. Was du gesagt hast, das habe ich mit meinen eignen Augen genossen. Man sagt auch: Verachtung wählend und Achtung nachsetzend, soll der Weise sein Ziel gewinnen. Denn ein Tor ist, wer nicht erreicht, was er erzielt. Selbst auf der Schulter trägt der Weise seinen Feind, wenn es die Zeit erheischt: Von der großen schwarzen Schlange sind viele Frösche umgebracht worden.“

Da fragte Meghavarna „Wie war das?“, und Sthirajivin erzählte:


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