Pushpak Panchatantra Buch 3Zurück WeiterNews

6. Erzählung - Die Schwäne und der fremde Vogel

An einem gewissen Orte herrschte ein König namens Chitraratha („mit bunten Wagen“). Dieser hatte einen von Kriegern wohl bewachten See namens Padmasaras („Lotus-See“). In diesem befanden sich viele goldene Schwäne. Diese ließen jeder alle sechs Monate eine Schwanzfeder (als Abgabe) fallen. Zu diesem See kam aber ein großer Vogel namens Sauvarna („der Goldene“), dem sagten sie: „Du sollst dich nicht unter uns aufhalten, denn wir haben diesen See dafür erhalten, daß wir jeder am Ende von sechs Monaten eine Schwanzfeder abgeben.“ Und so, um es kurz zu machen, fingen sie an, miteinander zu streiten. Dieser begab sich in des Königs Schutz und sagte: „Majestät! Diese Vögel sprechen so: «Was kann uns der König tun? Wir gestatten keinem, wer es auch sei, den Aufenthalt.» Ich habe gesagt: «Was ihr sagt ist nicht recht. Ich werde gehen und es dem König sagen.» So stehen die Dinge. Majestät möge entscheiden!“ Drauf sprach der König zu seinen Dienern: „He! He! Schlagt alle Vögel tot und bringt sie schnell hierher!“ Kaum hatte der König befohlen, so machten sich diese auf den Weg. Als er nun des Königs Leute mit Knitteln in den Händen sah, da sagte ein alter Vogel: „Oh Freunde! Da kommt ein Unglück über uns! Wir müssen alle gemeinsam schnell auffliegen!“ Und so taten sie auch. Daher sage ich: Wer den Geschöpfen nicht hold ist, die Schutzes halber ihm genaht, des früherer Reichtum geht unter, wie der der Schwäne im Lotuswald.

Fortsetzung der 5. Erzählung

Nachdem er so gesprochen, nahm der Brahmane am folgenden Morgen wiederum Milch, ging dahin und pries die Schlange mit lauter Stimme. Alsdann, nachdem eine lange Zeit vergangen, erschien die Schlange, blieb aber in der Tür des Ameisenhügels und sprach zu dem Brahmanen: „Du kommst aus Habsucht hierher und läßt dafür selbst den Kummer um deinen Sohn fahren. Von jetzt an ist Freundschaft zwischen dir und mir nicht mehr angemessen. Mich hat dein Sohn in jugendlichem Unverstand geschlagen, und so wurde er von mir gebissen. Wie kann ich den Schlag mit dem Knittel vergessen? Und wie kannst du den Kummer und Schmerz über deinen Sohn vergessen?“

Nachdem sie so gesprochen, gab sie ihm eine sehr kostbare Perle zu einer Perlkette und ging. Nachdem sie noch gesagt „Du darfst nicht wiederkommen!“, verschwand sie in ihrer Höhle. Der Brahmane nahm die Perle, verwünschte seines Sohnes Unverstand und ging nach Hause. - Daher sage ich: Sieh, wie mein glänzender Gürtel und meine Haube verletzt sind! Durch keine Liebe erstarkt Freundschaft erneut, die einmal gebrochen wurde.

So wird auch durch dessen Tod deine Herrschaft notwendigerweise ungefährdet sein.

Nachdem er diese Rede desselben gehört hatte, fragte der Eulenkönig den Kruraksha (seinen zweiten Minister): „Lieber! Was denkst du aber?“ Dieser antwortete: „Majestät! Das ist grausam, was jener gesagt hat. Denn einen, der sich schutzflehend naht, tötet man nicht. Schön wahrlich ist folgende Erzählung: Es wird erzählt, daß eine Taube, zu der ihr Feind schutzflehend kam, ihn der Vorschrift gemäß ehrte und mit ihrem eigenen Fleisch speiste.“

Da fragte Arimardana „Wie war das?“, und Kruraksha erzählte:

7. Erzählung - Der Jäger und die Tauben

Ein Vogelsteller grausamen Herzens und von gemeinem Sinn, der dem Todesgott der Wesen glich, schweifte einst im großen Wald umher. Keinen gab es, der sein Freund war, kein Blutsfreund, kein Verwandter rings, alle hatten ihn verlassen wegen seines grausamen Tuns. Es heißt ja: Schlechtgesinnte und Grausame, die den Lebendigen ihr Leben nehmen, flößen ähnlich wie Giftschlangen allen Geschöpfen Schrecken ein. Mit einem Käfig in den Händen, einer Schlinge und Keule auch, schweifte er im Wald umher und stellte immer allem Lebenden nach. Als er nun eines Tags im Wald schweifte, da fiel ein Taubenweibchen in seine Hand, und dieses sperrt er in seinen Käfig ein. Indes er noch im Wald war, wurde alles ringsum von Wolken schwarz und ein gewaltiger Sturmregen erhob sich, wie am Ende der Welt. Darauf eilte er mit angsterfülltem Herzen zitternd wieder und wiederum, eine Schutzwehr für sich suchend, zu einem großen Baume hin. Sowie er nun einen Augenblick reinbestirnt den Himmel sieht, da berührt er den Baum und spricht: „Wer immer hier auch wohnen mag, zu diesem komme ich Schutz suchend, dieser bewahre mich allerwärts, welcher ich vor Frost zittre und vor Hunger ohnmächtig bin!“

Nun wohnte auf dieses Baums Zweigen seit langer Zeit der Täuberich, der nun getrennt von seinem Weibchen, von schwerem Schmerz gepeinigt klagte: „Es ist ein großer Sturmregen und meine Liebe kommt nicht heim, und ohne sie ist mir meine Behausung ganz öde. Selig ist das Geschöpf wahrlich, das eine Gattin hat wie sie, dem Manne treu und ihn liebend, nur einzig auf sein Wohl bedacht. «Nicht das Haus ist Haus» sagt man, «die Hausfrau wird das Haus genannt». Denn ein Haus, das ohne Hausfrau ist, wird wildem Walde gleich geachtet.“

Aber das Taubenweibchen im Käfig, als es des Gatten schmerzerfüllte Klage hört, war liebevoll und entgegnete diesem Wort: „Die verdient nicht der Frau Namen, die nicht dem Mann zur Freude lebt. Wenn sich der Mann des Weibes freut, dann sind auch alle Götter froh. Gleich einem, von dem Waldbrande mit Blüte und Blatt verzehrtem Strauch, soll zu Asche das Weib werden, das dem Manne keine Freude schafft. Mäßig ist, was der Vater spendet, mäßig was Mutter und was Sohn; doch den maßlos spendenden Gatten, welche Gattin verehrt ihn nicht?“

Und ferner sagte sie: „Höre, Geliebter! aufmerksam den Rat, den ich dir geben will: Selbst mit dem Leben mußt du stets beschützen, wer um Schutz dir naht. Dieser Vogelsteller liegt hier Zuflucht suchend in deinem Haus, gequält von Kälte und Hunger: Vollziehe die Pflicht der Gastlichkeit! Es wird auch überliefert: „Wer einen Gast, der Nachts naht, nicht nach seinem Vermögen ehrt, der erhält dessen böse Taten, und der Gast nimmt seine guten mit. Auch sei jenem nicht feindselig, weil er deine Geliebte fing: Mich fingen meine eigenen Taten, die Bande meines früheren Tuns. Denn: Armut, Krankheit, Leiden, Gefängnis oder Lasterhaftigkeit: das ist die Frucht der Sterblichen, von ihrer eigenen Sünden Baum. Darum laß jeden Haß fahren wegen meiner Gefangenschaft! Laß deinen Geist dem Recht dienen und verehre ihn, wie es sich gebührt.“

Sobald er dieses Wort von ihr hörte, das der Tugend entsprechend war, nahte sich der brave Täuberich und sprach zum Vogelsteller so: „Lieber! Du bist mir willkommen! Sage was kann ich für dich tun? Auch magst du keinen Gram hegen: Du bist in deinem eigenen Haus.“

Nachdem er diese Rede gehört hatte, antwortete er dem Vogel so: „Täubchen fürwahr! mich quält Kälte, verschaffe mir vor dem Froste Schutz!“

Dieser ging und holte Holz und machte damit Feuer an, und entzündete alsdann schleunig in trocknen Blättern helle Glut. Darauf, nachdem es hell brannte, da sprach zu seinem Schützling er: „Erwärme dir nun vertrauensvoll deine Glieder hier ohne Furcht! Doch hab ich hier nichts vorrätig, womit ich deinen Hunger stille. Manch einer besitzt tausend, ein anderer hundert, andere zehn: doch ich bin arm ob meiner Sünden und nähre mich selber nur mit Müh. Wer nicht mal fähig ist, einen Gast mit Speise zu sättigen, zu welchem Nutzen weilt dieser in diesem jammervollen Leib? Drum will ich meinen schmerzvollen Körper so verwenden, daß ich nicht mehr zu sagen brauch «Nichts hier!», wenn sich ein Dürftiger mir naht.“

Indem er so sich selbst tadelt, aber den Vogelsteller nicht, sprach er: „Ich werde dich sättigen, warte nur einen Augenblick!“ So sprechend, schritt der Rechtschaffene mit hocherfreutem Innersten ringsherum um das Glutfeuer und dann hinein, als wäre es sein Haus. Des Vogelstellers Herz aber, als er die Taube in die Glut sich stürzen sah, ergriff heftiges Mitleid und er sprach Folgendes: „Der Mensch, welcher Sünde begeht, der liebt sicher sich selber nicht, denn die Sünde, die er übte, die gerät ihm zu eigenem Leid. Ich hier, welcher ich Sünde übte und stets der Sünde ergeben war, ich fahre, dessen ist kein Zweifel, in den schrecklichen Höllenschlund. Wahrlich, mir, dem Totschläger, ist hier ein Musterbild in der Taube schön gezeigt, die großherzig ihr eigenes Fleisch zur Speise bot. Vom heutigen Tage an will ich den Leib, jeglicher Lust beraubt, einem winzigen Bächlein gleich zur Sommerzeit austrockenen. Kälte ertragend, Wind und Hitze, abgemagert, mit Schmutz bedeckt, unter mancherlei Art Fasten will ich die höchste Buße tun.“

Dann zerbrach der Vogelsteller seinen Knittel sowie Spieß und Käfig, zerriß das Netz und ließ das Taubenweibchen frei. Doch als das Täubchen vom Vogelsteller befreit ihren Gatten im Feuer erblickt, jammert sie, das Herz von Kummer schwer gequält: „Das Leben kann mir ohne dir, oh Gebieter! nichts mehr helfen. Welchen Nutzen gewährt das Leben einem armen verlassenen Weib? Das Selbstgefühl, des Geistes Hoheit, die Ehrfurcht der Verwandten auch, über Diener und Magd Herrschaft: alles endet im Witwenstand.“

Nachdem sie so mit viel Worten jämmerlich und voll Schmerz geklagt hatte, stürzte sich auch das treue Weib selber in dieselbe Flammenglut. Darauf sieht das Täubchen, himmlische Kleider tragend und geschmückt mit himmlischen Zierathen, ihren Gatten auf einem Götterwagen stehen. Und in himmlischem Leibe sprach er der Wahrheit gemäß zu ihr: „Ach, du Schöne! Du tatst recht daran, daß du mir nachgegangen bist. Fünfunddreißig Millionen Jahre, soviel Haare am Menschenleib wachsen, so lange wohnt das Weib im Himmel, das ihrem Manne folgt.“

So genoß der Taubengott nun täglich des Sonnenunterganges Lust, sie ihres Täuberichs Sonnenhimmel, als Folge früheren Verdienstes. Von Freude erfüllt alsdann ging der Vogelsteller zum dichten Wald, verletzte nimmermehr Lebendiges und war von tiefer Reue voll. Als er dann einen Waldbrand sah, stürzte er sich, alles Strebens frei hinein, und jeder Schuld ledig, gelangte er zu des Himmels Freude. (eine ausführlichere Geschichte ab MHB 12.143)

Daher sage ich: Es wird erzählt, daß eine Taube, zu der ihr Feind schutzflehend kam, ihn der Vorschrift gemäß ehrte und speist mit ihrem eigenen Fleisch.“

Nachdem er dies gehört hatte, fragte der Eulenkönig Arimardana den Diptaksha (seinen dritten Minister): „ Was ist deine Meinung in dieser Lage?“ Dieser antwortete: „Majestät! Er darf nicht getötet werden! Denn: Die mich immer verabscheut hat, drückt mich heute fest an sich! Heil dir! Oh du, mein Lustspender! Nimm alles hin, was mir gehört! Und der Dieb sagte: Ich sehe nichts, was dir zu nehmen wäre: Wird einmal was zu nehmen sein, dann will ich wieder herkommen, wenn jene dich nicht an sich drückt.“

Da fragte Arimardana „Wer ist die, die einen nicht an sich drückt, und wer ist dieser Dieb? Ich möchte das ausführlich hören!“, und Diptaksha erzählte:

8. Erzählung - Der alte Ehemann und die junge Frau

An einem gewissen Orte wohnte einmal ein alter Kaufmann namens Kamatura („von Liebe krank“). Dieser heiratete, da seine Frau gestorben war, die Tochter eines armen Kaufmanns, in welche er sich sehr verliebt hatte, und gab für sie eine große Summe Geldes. Sie aber, von Leid überwältigt, vermochte den alten Mann nicht einmal anzusehen. Denn es ist ja richtig: Das weiße Feld, welches vom Haar auf dem Haupt gebildet, die Stelle, die Männern die höchste Verachtung zuzieht, umgehen, gleich einem durch Knochen hervorgehobenen Chandala-Brunnen, die Mädchen im weitest entfernten Umweg. (Es heißt, daß an die Brunnen von ausgestoßenen Chandalas der Knochen eines Pferdes oder Esels zum Zeichen befestigt wird.) Und so: Gekrümmt ist der Körper, zusammengefallen der Gang, die Zähne verloren, die Sehkraft geschwächt, die Schönheit vernichtet, der Mund voll Speichel stets, die Verwandten folgen nicht seinen Worten und die Frau gehorcht nicht mehr. Weh! Weh! Dem vom Alter geschlagenen Mann! Der Sohn sogar verachtet ihn.

Als diese nun mit abgewandtem Gesicht sich auf demselben Lager mit ihm befand, da drang ein Dieb ins Haus. Sie aber, da sie den Dieb erblickte, geriet in Furcht und schloß ihren obgleich alten Mann fest in ihre Arme. Dieser aber, dem vor Verwunderung alle Haare seines Körpers entzückt in die Höhe starrten, dachte bei sich: „Ha! Warum drückt sie mich heute an sich?“ Wie er genau zusieht, und in einem Winkel des Hauses einen Dieb erblickt, da dachte er: „Sicher umarmt sie mich aus Furcht vor diesem.“ Dies einsehend, sagte er: „Die mich immer verabscheute, drücket mich heute fest an sich. Heil dir! oh du, mein Lustspender! Nimm alles hin, was mir gehört!“

Nachdem er dies gehört hatte, sagte der Dieb: „Ich sehe nichts, was dir zu nehmen wäre. Wird einmal was zu nehmen sein, dann will ich wieder herkommen, wenn jene dich nicht an sich drückt.“

So denkt man selbst an das Beste für einen Dieb, der einem Gutes erwies, geschweige für einen Schutzflehenden. Obendrein wird dieser, da er von seinem Herrn schlecht behandelt wurde, dazu dienen, uns zu verstärken und uns ihre Höhle zu zeigen. Aus diesem Grunde darf er nicht getötet werden.“

Nachdem er dies gehört hatte, fragte Arimardana den andern Minister Vakranasa: „Lieber! Was ist unter diesen Umständen zu tun?“ Dieser sagte: „Majestät! Er darf nicht getötet werden. Denn: Sogar Feinde, die sich streiten, dienen häufig zum Besten uns: Dem Dieb dankt er das Leben, und dem Dämon sein Paar Kühe.“

Da fragte Arimardana „Wie war das?“, und Vakranasa erzählte:

9. Erzählung - Wenn sich die Bösen zanken, kommt es den Guten zu gute

In einem gewissen Ort lebte ein armer Brahmane namens Drona, welcher obgleich reich an Geschenken, wie man sie den Brahmanen gibt, sich stets alles Genusses von schönen Kleidern, Salben, duftenden Kränzen, Schmucksachen, Betel und ähnlichem enthielt. Er war von ungekürztem Kopfhaar, Bart, Nägeln und Körperhaar bedeckt und sein Leib war durch Kälte, Hitze, Wind, Regen und ähnlichem schon ganz ausgedörrt. Diesem schenkte ein wohlhabender Mann, der für sich opfern zu lassen pflegte, aus Mitleid ein Paar junger Kühe, und indem sie der Brahmane von Jugend auf mit den erforderlichen Dingen, wie Butter, Öl, Heu und so weiter auffütterte, wurden sie sehr wohlgenährt. Als sie nun ein Dieb sah, dachte er auf der Stelle bei sich: „Dieses Paar Kühe will ich dem Brahmanen stehlen!“ Nachdem er sich so entschlossen hatte, nahm er einen Strick, um sie zu binden, und machte sich auf den Weg.

Da erblickte er, als er auf der Hälfte des Weges war, ein Geschöpf mit einer sehr spärlichen, aber scharfen Zahnreihe, mit einer Nase, so hoch wie ein Bambusbaum, mit großen, rotgeränderten Augen, einer gewaltigen Muskelstärke, verkrümmtem Körper, dürren Backen sowie Bart, Haaren und Körper, so braun wie ein starkes Opferfeuer. Nachdem er ihn erblickt hatte, sagte der Dieb, obwohl von heftiger Furcht erschreckt: „Wer bist du?“ Dieser antwortete: „Ich bin der Brahmanen-Dämon Satyavachana („seinen Worten treu“). Sage nun auch du, wer du bist!“ Jener sprach: „Ich bin der Dieb Krurakarman („der grausam Handelnde“), und habe mich auf den Weg gemacht, um einem armen Brahmanen ein Paar Kühe zu stehlen.“ Da faßte der Dämon Vertrauen zu ihm und sagte: „Lieber! Es ist die Stunde, wo ich meine sechste Mahlzeit zu mir nehme. Drum will ich jetzt diesen Brahmanen fressen. So trifft sich's denn gut, und wir haben grade beide denselben Weg.“

Darauf gingen sie zusammen dahin und stellten sich in ein Versteck, um eine Gelegenheit abzupassen. Als nun der Brahmane anfing einzuschlafen und der Dieb sah, daß der Dämon sich aufmachte, um ihn zu fressen, sagte er: „Lieber! Das ist nicht anständig, denn erst muß ich das Paar Kühe haben, dann kannst du den Brahmanen fressen.“ Der Dämon aber sagte: „Der Brahmane könnte ja durch das Gebrüll der Kühe aufwachen, dann wäre mein Anschlag vereitelt.“ Der Dieb dagegen sagte: „Wenn dir aber, während du dich ans Fressen machen willst, nur das kleinste Hindernis dazwischenkommt, dann kann ich das Paar Kühe nicht wegnehmen. Ich muß also erst das Joch Kühe gestohlen haben. Hinterher magst du den Brahmanen fressen!“

Indem sie nun so beide, jeder „Ich zuerst!“ „Ich zuerst!“ um die Wette schrien, entstand ein solches Gezänk, daß der Brahmane durch ihr wechselseitiges Geschrei aufwachte. Darauf sagte der Dieb zu ihm: „Brahmane! Dieser Dämon will dich fressen.“ Der Dämon dagegen rief: „Brahmane! Dieser Dieb will dir dein Paar Kühe stehlen.“ Nachdem der Brahmane dies gehört hatte, stand er auf, sagte andächtig das Gebet an seine Schutzgottheit her und schützte so sein Leben vor dem Dämon, sein Paar Kühe aber vor dem Dieb, indem er seinen Knittel schwang. - Daher sage ich: „Sogar Feinde, die sich streiten, dienen häufig zum Besten uns: Dem Diebe dankt er das Leben, und dem Dämon sein Paar Kühe.“

Arimardana, nachdem er dessen Rede erwogen hatte, fragte alsdann auch den Prakarakarna (seinen fünften Minister): „Sag! Was denkst du denn hierüber?“ Dieser antwortete: „ Majestät! Er darf in der Tat nicht getötet werden. Denn wenn wir sein Leben schonen, wird uns vielleicht die Zeit in gegenseitiger Freundschaft angenehm hinfließen. Man sagt auch: Die Wesen, welche nicht des anderen Geheimnisse wahren, die kommen gleich der Bauchschlange und der Schlange des Ameisenhügels um.“

Da fragte Arimardana „Wie war das?“, und Prakarakarna erzählte:

10. Erzählung - Die beiden Schlangen, die ihr Geheimnis verraten

In einer gewissen Stadt wohnte ein König Devashakti („Macht eines Gottes“). Dessen Sohn zehrte Tag für Tag ein Glied nach dem andern ab, weil eine der Schlangen, die sonst auf Ameisenhügeln hausen, sich in seinem Leibe befand. Obgleich er von guten Ärzten mit vielen Mitteln und allen Arzneien behandelt wurde, welche die besten Lehrbücher vorschreiben, erlangte er dennoch seine Gesundheit nicht. Da ging dieser Königssohn aus Verzweiflung in die Fremde, und nachdem er in irgendeiner Stadt seinen Almosengang vollendet hatte, brachte er seine übrige Zeit in einem großen Tempel zu.

In dieser Stadt herrschte ein König namens Bali, und dieser hatte zwei heiratsfähige Töchter. Diese kamen Tag für Tag bei Aufgang der Sonne zu des Vaters Füßen und erwiesen ihm ihre Verehrung. Da sagte die eine: „Siegreich mögest du sein, oh großer König! durch dessen Gnade alle Freude empfangen wird!“ Die zweite aber sagte: „Du mögest genießen, oh großer König! was dir bestimmt ist!“ Als er dies gehört, geriet der König in großen Zorn und sagte: „He! Minister! Gebt diese ungeziemend Redende dem ersten besten Fremdling zur Frau, damit auch sie genieße, was ihr bestimmt ist!“

Nachdem dies mit dem Wort „So sei es!“ zugesagt war, wurde das Mädchen von den Ministern mit geringem Gefolge diesem Königssohn, welcher in dem Göttertempel seine Zeit zubrachte, zur Frau gegeben. Diese aber nahm den Gatten mit hocherfreutem Herzen, als ihr vom Glück beschieden an und ging mit ihm in ein anderes Land.         

Nachher hatte sie den Königssohn mit der Bewachung ihrer Wohnung in einer von der Stadt ziemlich entfernten Gegend am Ufer eines Teiches beauftragt und war selbst mit ihrer Dienerschaft weggegangen, um Butter, Öl, Salz, Reis und ähnliches einzukaufen. Als sie nun, nachdem sie ihre Einkäufe besorgt hatte, zurückkehrte, so war der Königssohn eingeschlafen und sein Kopf lag auf einem Ameisenhügel. Aus seinem Munde heraus aber schlürfte eine Schlange mit züngelnder Zunge Luft. Auf demselben Ameisenhügel war aber noch eine andere Schlange, die aus diesem herausgekrochen war. Indem sie sich gegenseitig erblickten, röteten sich ihre Augen vor Zorn, und die auf dem Ameisenhaufen befindliche sagte: „Hör, hör! Du Bösewicht! Warum plagst du diesen am ganzen Leibe schönen Königssohn so sehr?“ Die im Munde befindliche Schlange sprach dagegen: „Hör, hör! Warum hast denn auch du, Bösewicht! die beiden Töpfe voll Gold in der Mitte des Ameisenhügels verzaubert?“

Auf diese Weise verrieten sie ihre beiderseitigen Geheimnisse. Da sagte die Schlange auf dem Ameisenhügel wiederum: „He! Bösewicht! Kennt denn kein Mensch das Mittel gegen dich, daß du nämlich durch einen Trank von zerriebenem aufgeblühtem Sephonantus und Senf (bzw. schwarzer Senf) umkommst?“ Darauf sprach die im Bauch hausende Schlange: „Kennt denn auch kein Mensch das Mittel gegen dich, daß du nämlich durch heißes Öl oder sehr heißes Wasser umkommst?“ Und auf diese Weise hörte die Königstochter hinter einem Strauch verborgen die Reden beider, durch welche sie ihre Geheimnisse verrieten, und handelte demgemäß. Nachdem sie ihren Gatten wieder vollgliedrig und gesund gemacht und den größten Schatz gehoben hatte, ging sie in ihr Land zurück, und geehrt von Vater, Mutter und Verwandten lebten sie vergnügt, nachdem sie den vom Schicksal bestimmten Genuß erlangt hatten.

Daher sage ich: Die Wesen, welche nicht des anderen Geheimnisse wahren, die kommen gleich der Bauchschlange und der Schlange des Ameisenhügels um.“

Nachdem er auch dies gehört, gab auch Arimardana selbst seine Beistimmung dazu. Als nun Raktaksha (der erste Minister) sah, was geschah, spottete er innerlich und sagte wiederum: „Weh, weh! Ihr habt den Herrn durch falschen Rat zugrunde gerichtet. Man sagt auch: Wo geehrt wird, wer unehrenwert ist, und verachtet, wer ehrenwert, da stellen sich drei Dinge ein: Hungersnot, Krankheit und Krieg. Und so: Den Tor beschwichtigen gute Worte, wird auch die Sünde vor seinem Auge vollzogen: Sieh! Der Zimmermann trägt auf seinem Kopf Weib und Galan.“

Da fragten die Minister „Wie war das?“, und Raktaksha erzählte:

11. Erzählung - Der Zimmermann und sein treuloses Weib

In einem Orte wohnte einmal ein Zimmermann namens Viradhara („einen Mann tragend“). Der hatte eine Frau namens Kamadamini („Bezähmerin des Liebesgottes“), die war wollüstig und hatte einen schlechten Ruf bei den Leuten. Er aber, da er sie auf die Probe stellen wollte, dachte bei sich: „Wie kann ich sie wohl auf die Probe stellen? Denn es heißt auch: Wenn einst des Feuers Glut kalt ist und sehr glühend des Mondes Strahl, dann mögen auch die Frauen keusch sein sowie die Bösewichter gut. Ich weiß durch das Gerede der Leute, daß sie unkeusch ist. Man sagt ja: Was weder in den profanen noch heiligen Schriften gesehen oder gehört wird, das freilich weiß die Welt: Alles, was nur in Brahmas Ei geschieht.“

Nachdem er so erwogen hatte, sagte er zu seiner Frau: „Liebe! Morgen früh werde ich nach einem andern Dorf wandern, und darauf werden einige Tage hingehen. Du mußt deshalb eine angemessene Reisezehrung besorgen!“ Sie aber, nachdem sie dies gehört, ließ voller Freude und Sehnsucht alles, was sie zu tun hatte, stehen und liegen und machte mit vieler Butter und vielem Zucker eine gekochte Speise zurecht. Sagt man ja doch mit Recht: Am regnerischen Tage, in wolkiger Nacht, wenn der Regen im Wald und sonstig strömt, und wenn der Mann in der Fremde, da freut sich das geile unzüchtige Weib.

Darauf stand er in der Frühe auf und verließ sein Haus. Sie aber, nachdem sie ihn hatte abreisen sehen, besorgte mit freudestrahlendem Gesicht Putz und Schmuck ihres Leibes und konnte kaum das Ende des Tages erwarten. Dann ging sie in das Haus ihres schon lange mit ihr bekannten Liebhabers und sagte zu ihm: „Mein schlechter Mann ist in ein anderes Dorf gegangen. Du kannst also, sobald die Leute schlafen in unser Haus kommen.“ Nachdem dies so geschehen war, kehrte der Zimmermann, welcher den Tag über im Wald zugebracht hatte, am Abend durch eine Hintertür in sein Haus zurück, legte sich unter das Bett und blieb da versteckt. Mittlerweile kam dieser Devadatta („von Gott gegeben“) und ließ sich auf das Bett nieder. Als der Zimmermann ihn sah, wurde sein Herz von Zorn ergriffen und er dachte: „Soll ich gleich aufspringen und ihn tot schlagen? Oder alle beide ermorden, wenn sie vor Wollust eingeschlafen sind? Doch ich will erst sehen, was sie tut, und hören, was sie mit ihm spricht!“

Mittlerweile hatte sie die Haustür verschlossen und bestieg das Bett. Indem sie aber darauf stieg, stieß ihr Fuß an den Körper des Zimmermanns. Darauf dachte sie: „Das muß sicher der böse Zimmermann sein, der mich auf die Probe stellen will. Ich will ihm aber einen Frauenstreich spielen.“ Während sie so dachte, wurde Devadatta begierig, sie zu berühren. Sie aber legte bittend die Hände zusammen und sagte (mit einem Zwinkern): „Oh du Hochsinniger! Du darfst meinen Leib nicht berühren! Denn ich bin meinem Gatten treu und ein sehr keusches Weib. Wo nicht, so fluche ich dir, daß du in Asche zerfällst.“ Jener sagte: „Wenn das so ist, warum hast du mich denn gerufen?“ Sie antwortete: „Oh! Höre mich aufmerksam an! Heute in der Frühe ging ich zum Tempel der Chandika, um die Göttin zu sehen. Da erhob sich plötzlich eine Stimme in der Luft: «Tochter! Was kann ich tun? Du bist meine treue Verehrerin! Dennoch wirst du binnen sechs Monaten durch des Schicksals Willen Witwe sein.» Darauf entgegnete ich: «Erhabene! Wie du das Mißgeschick kennst, so kennst du sicherlich auch eine Hilfe dagegen. Gibt es also ein Mittel, wodurch mein Gatte ein Leben von hundert Jahren erreichen kann?» Darauf sagte sie: «Ja! Es gibt eins, und dieses Mittel hängt von dir ab.» Da ich dies gehört hatte, so sagte ich: «Oh Göttin! Und wenn es um mein Leben ginge, tue es mir kund, damit ich es anwende!» Darauf sagte die Göttin: « Wenn du heute mit einem fremden Mann dasselbe Lager besteigst und diesen umarmst, dann trifft den Fremden der Tod, der deinem Gatten bevorsteht, und dein Gatte dagegen wird hundert Jahre alt werden.» Aus diesem Grunde habe ich dich gerufen. Jetzt tue, was dir zu tun gut dünkt! Denn das Wort der Göttin wird sich bewahrheiten, davon bin ich fest überzeugt.“ Der Mann begriff, und mit vor innerer Freude strahlendem Gesicht verfuhr nun jener dementsprechend (und genoß die Umarmung der Frau...).

Der törichte Zimmermann aber, als er diese ihre Rede gehört hatte, wurde von großer Freude erfüllt und kroch (nach dem die beiden sich geliebt hatten) mit in die Höhe starrendem Haar unter dem Bett hervor und sagte zu ihr: „Brav! Du treue Gattin! Brav! Du Zierde des Hauses! Ich hatte, da mein Herz durch schlechter Leute Reden in Angst geraten war, unter dem Vorwand, nach einem andern Dorf zu gehen, mich unter dem Bett versteckt, um dich auf die Probe zu stellen. So komm denn und umarme mich! Du bist die beste von allen ihren Gatten ergebenen Frauen, denn du hast selbst in den Armen eines fremden Mannes deine Keuschheit bewahrt. Du hast so gehandelt, um mein Leben zu verlängern und einen plötzlichen Tod von mir abzuwenden.“ Nachdem er so zu ihr gesprochen hatte, umarmte er sie voller Liebe, nahm sie auf seine Schulter, und sagte auch zu Devadatta: „Oh du Hochsinniger! Meine guten Werke sind es, die Dich hierher geführt haben. Durch deine Gnade habe ich ein Leben erlangt, welches hundert Jahre dauern wird. Drum umarme auch du mich und komm auf meine Schulter!“ Bei diesen Worten umarmte er den Devadatta, so sehr er sich auch sträubte, und hob ihn mit Gewalt auf seine Schulter. Alsdann tanzte er und rief: „Oh du stärkster aller Keuschheitshelden! Auch du hast mir eine Wohltat erwiesen!“ und ähnliches, ließ ihn dann von der Schulter herabsteigen, lief allenthalben an den Türen seiner Verwandten und so weiter herum und machte allerorten eine Schilderung von dieser Tugend jener beiden. - Daher sage ich: Den Tor beschwichtigen gute Worte, wird auch die Sünde vor seinen Augen vollzogen: Sieh! Der Zimmermann trägt auf seinem Kopf Weib und Galan.

Und Raktaksha fuhr fort: „So sind wir also ganz und gar mitsamt der Wurzel ausgegraben und zugrunde gerichtet. Schön wahrhaftig ist dieser Spruch: Für Feinde in Freundesgestalt gelten bei Weisen die, die guten Rat verwerfen, und grade das Widerspiel davon empfehlen. Und so: Selbst gute Dinge gehen unter, wo Ort und Zeit verkennende, unweise Männer im Rat sitzen, wie Dunkel, wenn die Sonne naht.“

Doch trotz dieser Rede begannen alle, nachdem sie Sthirajivin aufgehoben hatten, ihn in ihre Festung zu führen. Indem er so geführt wurde, sprach Sthirajivin: „Majestät! Wozu mir, der ich jetzt gar nichts zu tun vermag und mich in diesem elenden Zustand befinde, diese gütige Aufnahme? Deshalb will ich mich in das flammende Feuer stürzen. Drum erweise mir die Gnade, mich durch das Geschenk eines Scheiterhaufens zu beehren.“ Da fragte Raktaksha, welcher seine verborgene Absicht erkannt hatte: „Warum willst du dich ins Feuer stürzen?“ Jener antwortete: „Ich bin doch nur euretwegen von Meghavarna in diesen unglücklichen Zustand versetzt worden: Darum wünsche ich meine Rache an ihm zu nehmen und im nächsten Leben eine Eule zu werden.“ Als er dies gehört, sagte Raktaksha, welcher der Regeln, nach denen ein König zu handeln hat, kundig war: „Lieber! Du bist schlau und in verstellter Rede sehr geschickt. Denn wenn du auch in eine Eulengebärmutter führest, würdest du dennoch deine Krähengebärmutter hochschätzen. Man erzählt auch folgende Geschichte: Nicht die Sonne und nicht Wolke, Wind oder Berg wählt zum Gemahl das Mäuschen, sondern Gleichartiges: Denn Art läßt nimmermehr von Art.“

Da fragten die Minister „Wie war das?“, und Raktaksha erzählte:


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