Pushpak Panchatantra Buch 3Zurück WeiterNews

2. Erzählung - Die Katze als Richter zwischen Sperling und Hase

In einer gewissen Waldgegend wohnte ich selbst einst auf einem großen Feigenbaum. Darunter nistete in einer Höhlung desselben ein Sperling mit Namen Kapinjala. Da brachten wir beide die Zeit damit zu, daß wir stets um Sonnenuntergang zusammenkamen, uns mannigfach schön unterhielten, die alten Taten der Götterweisen, Königsweisen und Priesterweisen rühmten und uns die vielen Wunderdinge erzählten, welche wir auf unsern Wanderungen gesehen hatten, und so genossen wir das höchste Vergnügen.

Da ging einstmals Kapinjala seines Lebensunterhalts wegen mit andern Sperlingen nach einem Ort, wo sich viel reifer Reis befand. Als er von da selbst zur Nachtzeit nicht zurückkehrte, dachte ich mit Angst im Herzen und betrübt durch den Schmerz, von ihm getrennt zu sein: „Ach! Warum ist Kapinjala heute nicht zurückgekehrt? Wurde er in einer Schlinge gefangen? Oder ist er gar getötet worden? Wenn er wohlbehalten wäre, würde er auf keine Weise ohne mich die Zeit verbringen.“ In solchen Gedanken gingen mir viele Tage hin. Da kam einst mit Sonnenuntergang ein Hase namens Sighraga („Schnellläufer“) und besetzte diese Höhle. Ich aber, da ich alle Hoffnung auf Kapinjala aufgegeben hatte, verbot es ihm nicht.

Doch eines Tages kam Kapinjala, vom Reisfressen dick und fett geworden und seiner Heimat gedenkend, wieder dahin zurück. Sagt man ja doch mit Recht: Sogar im Himmel wird keine solche Freude dem Sterblichen, als in dem eignen Land, Ort und Haus, selbst wenn man dort arm ist. Als er aber in der Höhle des Feigenbaums das Häschen sitzen sah, sprach der Sperling zornig: „He! Häschen! Das ist nicht recht von dir gehandelt, daß du in meine Wohnung gezogen bist. Drum mach rasch, daß du wegkommst!“ Das Häschen aber sagte: „Tor! Dies ist nicht dein Haus sondern grade das meinige. Warum erlaubst du dir also in lügnerischer Weise grobe Worte? Mach du, daß du rasch davon kommst! Wo nicht, so ist es aus mit dir!“ Der Sperling aber sagte: „Wenn du so meinst, so sollen die Nachbarn gefragt werden. Denn es heißt ja: Für Brunnen, Teich und Zisternen, wie Häuser und Lustgärten auch, gilt als Beweis der Nachbaren Versicherung, wie Manu lehrt. Und so: Doch wenn ein Rechtsstreit entstehet über streitiges Land und Feld, Brunnen, Boden oder Lustgärten, dann gilt der Nachbar als Beweis.“ Darauf sagte der Hase: „Tor! Kennst du nicht den Spruch des Gewohnheitsrechts, welcher sagt: Hat wer öffentlich zehn Jahre Felder und ähnliches in Besitz, dann ist nur der Besitz Richtschnur, und es gelten weder Schriften noch Zeugen. Ebensowenig, du Tor! Hast du Naradas Urteil gehört: Für den Menschen gilt als Richtschnur zehn Jahre dauernder Besitz, für die Vögel und Vierfüßler die Zeit, seitdem sie drin gehaust. Demnach gehört dies Haus von Rechts wegen mir, nicht dir.“ Darauf sagte Kapinjala: „Hm! Wenn du dich nach dem Rechte richten willst, so gehe mit mir, damit wir einen Rechtsgelehrten befragen. Wem dieser das Haus von Rechts wegen zuspricht, der möge es in Besitz nehmen.“

Nachdem so geschehen, machten sie sich auf den Weg, um ihren Prozeß zu verfolgen. Ich aber dachte: „Was wird da herauskommen? Den Prozeß muß ich mir ansehen!“ Darauf ging ich aus Neugierde hinter ihnen her. Nachdem sie noch nicht weit gegangen waren, fragte das Häschen den Kapinjala: „Lieber! Wer soll denn über unseren Prozeß entscheiden?“ Dieser antwortete: „Sollte es nicht die Katze namens Dadhikarna („Milchohr“) sein, welche auf einer Insel der erhabenen Ganga lebt, die durch das Zusammenschlagen der wogenden Wellen ihres durch starke Winde bewegten Wassers rauschende Töne hervorbringt? Sie pflegt Buße, Kasteiung, Gelübde und tiefe Andacht und hegt Mitleid für alle Geschöpfe.“

Der Hase aber, nachdem er diese gesehen hatte, fühlte sein Innerstes von Furcht erbeben und sagte wiederum: „Nichts von diesem Bösewicht! Es heißt ja: Nimmer sollst du Vertrauen schenken dem Bösen, heuchelt er Buße gleich: Auch an Pilgerorten sieht man Büßer, die ihrem Hals frönen.“

Mittlerweile ging die Waldkatze namens Dadhikarna, nachdem sie vom Streit gehört hatte, welchen die beiden führten, zu dem Ufer eines dem Wege nahen Flusses. Um ihnen Zutrauen einzuflößen, hielt sie eine Handvoll heiliges Gras, war mit den zwölf heiligen Flecken versehen, kniff ein Auge zu, hob die Arme in die Höhe, berührte mit einem halben Fuß nur den Boden, und mit dem Gesicht zur Sonne gewandt gab sie folgende Sittensprüche von sich: „Ach! Wie schal ist dieses All! Das Leben Täuschung eines Augenblicks! Einem Traum ähnlich die Verbindung mit Geliebten! Einer Sinnestäuschung gleich die Umarmung der Seinigen! So gibt es denn kein Heil außer der Tugend! Denn es heißt auch: Alle Körper sind hinfällig; das Glück ruht nicht in eigner Hand, und zu jeder Zeit ist der Tod nah: Drum halte dich an der Tugend fest! Wem seine Tage immer tugendlos kommen und gehen, der ist, gleich einem Blasebalg, wenn er auch atmet, doch leblos. Und so: Nicht bedeckt er die Schamteile, wehrt nicht Fliegen und nicht Wespen ab: Gleich einem Hundeschwanz ist tugendlose Wissenschaft unnütz. Wie Kornwürmer unter Körnern, wie Katzen unter Federvieh oder wie Mücken unter Sterblichen, so sind die, die nicht die Tugend führt. Mehr als der Baum sind Blüte und Frucht, die Butter besser als die Milch, Öl ist besser als Öltrester, besser die Tugend als der Mensch. Die Menschen, welche nur leben, um Urin und Kot zu machen und zu essen, aber bar aller Tugend, sind wahrlich Tieren gleich. In allem Handeln sich gleich sein, das preist der Weisheit Kundige, das beschleunigt die Pfade des Rechts, die reich an vielen Hemmnissen sind. Kurz läßt sich sagen was Recht ist, wozu, ihr Menschen! weitläufig sein: Höchster Lohn für den Rechtschaffenen, höchste Strafe dem Bösewicht! Hört der Tugend Gesamtwesen und beherzigt was ihr hört! Was ihr nicht wollt, daß euch geschieht, das tut auch einem andern nicht!“

Als der Hase diese Sittensprüche von ihm hörte, sagte er: „Hör! Hör! Kapinjala! Da steht der Büßer Tugend lehrend am Ufer des Flusses. So laß uns ihn befragen!“ Doch Kapinjala sprach: „Ist er nicht seinem innersten Wesen zufolge unser Feind? Drum wollen wir von ihm entfernt bleiben und ihn so befragen! Es könnte vielleicht geschehen, daß seine Gelübde nicht stark genug sind.“

Darauf blieben sie in der Ferne stehen und sagten: „He, he! Büßer! Du Lehrer des Rechts! Wir beide haben einen Rechtsstreit! Darüber gib uns nach den Rechtslehren eine Entscheidung! Wer unrecht hat, den sollst du fressen!“ Jener sprach: „Meine Lieben! Um Himmels willen sprecht doch nicht so! Ich habe den Weg, welcher zur Hölle führt verlassen. Der Weg der Tugend ist: Nichts Lebendes zu verletzen. Denn man sagt auch: Nichtverletzen, das ist erste Tugend nach der Rechtschaffenen Spruch, drum schone man sogar Läuse, Wanzen, Wespen und ähnliches! Sogar wer schädliche Tiere verletzt, ist schon mitleidlos und wird zur grausen Hölle fahren, geschweige der, der gute verletzt. Selbst diejenigen, welche beim Opfer Tiere töten, selbst die sind im Irrtum befangen und kennen nicht den eigentlichen Sinn der Heiligen Schrift. Da heißt es freilich: „Mit Aja (mehrdeutig wie «Ungeboren» oder «Ziegenbock») soll man opfern!“ Allein mit Aja sind dreijährige oder siebenjährige Reiskörner gemeint, insofern diese nicht wiedergeboren werden können (siehe MHB 12.338). Es heißt auch: Wer Bäume fällt, Vieh tötet und sich mit Blutvergießen befleckt – wenn der ins Paradies kommt, für wen ist dann die Hölle da? Drum werde ich keinen fressen, sondern nur entscheiden, wer gewonnen hat und wer unterliegt.

Allein ich bin alt und kann aus der Ferne den Inhalt eurer Rede nicht gut hören. Dies beherzigt und kommt in meine Nähe, um vor meinen Augen euer Recht auszuführen, damit ich mit richtiger Einsicht einen, den innersten Kern des Protestes treffenden Spruch fälle und meine ewige Seligkeit nicht verscherze. Denn es heißt ja: Wer, sei's aus Hochmut, aus Habsucht, Feindschaft oder Furcht in einem Rechtsstreit falsch urteilt, der wird in den Höllenschlund fahren. Fünf schlägt, wer um ein Tier lügt, zehn schlägt, wer um eine Kuh, hundert, wer um einer Maid willen und tausend, wer um einen Mann lügt. Wer im Gerichtssaal sitzend nicht deutlich seine Sache führt, der muß darum zurückstehen, spricht nicht die Sache für sich selbst. Deswegen setzt eure Sache voll Vertrauen deutlich in der Nähe meiner Ohren auseinander!“

Um es kurz zu machen: Der Bösewicht wußte allen beiden rasch so viel Vertrauen einzuflößen, daß sie sich in seinen Schoß begaben. Alsdann aber packte er in einem und demselben Augenblick den einen mit dem Ende seines Fußes, den andern mit seinem sägegleichen Gebiß. Darauf verloren sie beide ihr Leben und wurden von ihm gefressen. - Daher sage ich: Der Hase und Kapinjala wählten den Bösewicht zum Richter, weil sie auf das Recht ihres Entscheids pochten, und kamen alle beide um.

Auch ihr, die ihr in der Nacht blind seid, werdet, indem ihr die (tagblinde) Eule zu euerm obersten Richter wählt, den Weg des Häschens und Kapinjalas gehen. Dies beherzigt und tut von jetzt an, was angemessen ist!“

Nachdem sie nun diese seine Rede gehört hatten, sagten sie: „Er hat gut geredet!“ Und mit den Worten: „Wir wollen ein andermal des Königs wegen zusammenkommen und beraten!“ gingen die Vögel allesamt hin, wohin sie Lust hatten. Nur die Eule blieb übrig, auf dem Throne sitzend und der Salbung harrend, und neben ihr (seine Ehefrau) Krikalika. Da sagte jene: „Wer? Wer ist da? He! He! Werde ich denn noch immer nicht gesalbt?“ Nachdem sie dies gehört, sagte die Krikalika: „Lieber! Deine Salbung wurde durch die Krähe verhindert, und alle Vögel haben sich davongemacht, jeder dahin, wohin ihn seine Lust trieb. Nur die Krähe allein ist - ich weiß nicht aus welchem Grund - zurückgeblieben und steht da. So erhebe dich nun schnell, damit ich dich nach deiner Wohnung bringe!“ Nachdem sie dies gehört hatte, sprach die Eule voll Ärger zur Krähe: „He! He! Du Bösewicht! Was habe ich dir Böses getan, daß du meine Salbung zum König verhindert hast? So besteht denn von heute an für alle Zukunft Feindschaft zwischen uns beiden von Geschlecht zu Geschlecht. Denn es heißt: Die Wunde, die der Pfeil brachte, und die das Schwert schlug auch, verwächst mit der Zeit, aber der Rede Schmach gebiert Ingrimm, und ihre Wunde vernarbet nie.“

Nachdem sie so gesprochen hatte, ging sie mit der Krikalika nach ihrer Wohnung. Die Krähe, von Furcht beängstigt, dachte darauf: „Ach! Da habe ich mir unvernünftiger Weise eine Feindschaft zugezogen! Warum habe ich das gesagt? Denn man sagt auch: Wer hier ein Wort redet, das unvernünftig ist, das weder Ort noch Zeit achtet, das unersprießlich oder lieblos ist, das ihm selber zur Schmach gereicht, solch ein Wort ist kein Wort, sondern Gift. Und so: Ein Starker selbst, wenn er mit Klugheit begabt ist, macht sich andere nimmer zum Feind: Denn welcher Mann, so er Verstand hat, nähme wohl ohne allen Grund Gift ein, sich denkend, daß es heilt? Ein kluger Mann wird nie in der Versammlung andere beleidigen. Nie soll man sich ein Wort erlauben, das verletzt, selbst wenn es wahr ist. Wer, was er tut vorher mit treuen Freunden erst mehrfach bedachte und zugleich selber im eigenen Geist gründlich erwog, der ist in Wahrheit voll Verstand und ein Gefäß des Ruhmes sowohl als auch des Glücks.“

Nachdem sie so gedacht hatte, entfernte sich auch die Krähe.

Der Minister Sthirajivin fuhr fort (in der Rahmenhandlung von Buch 3): „Von dieser Zeit an besteht zwischen uns und den Eulen eine erbliche Feindschaft.“

Und Meghavarna, der König der Krähen, fragte: „Vater! Was haben wir nun unter diesen Umständen zu tun?“ Dieser antwortete: „Selbst unter diesen Umständen gibt es noch ein von den sechs politischen Mitteln verschiedenes sehr gewichtiges Vorhaben. Dieses wählend werde ich selbst gehen, um sie zu überwinden. Ich werde die Feinde durch List vernichten. Denn man sagt auch: Menschen, die voll Klugheit, Scharfsinn und Verschlagenheit sind, können die auf ihre Macht Stolzen täuschen, wie der Ziegendieb den Priester.“

Da fragte Meghavarna „Wie war das?“, und jener erzählte:

3. Erzählung - Ein Brahmane wird um eine Ziege geprellt

In einem gewissen Ort wohnte ein Brahmane namens Mitrasharman (von Mitra, der alten vedischen Gottheit, beglückt), welcher sich der Pflege des heiligen Opferfeuers geweiht hatte. Dieser ging einst im Monat Magha (Januar-Februar), während ein hübscher Wind wehte, der Himmel mit Wolken bedeckt war und der Regengott allmählich zu regnen anfing, nach einem andern Dorf, um ein Tier zu suchen. Er wendete sich an einen, welcher Opfer für sich darbringen zu lassen pflegte, und bat ihn: „He! Opferspender! Kommenden Neumond werde ich ein Opfer vollziehen, gib mir deshalb ein Opfertier!“ Darauf gab dieser ihm eine den heiligen Vorschriften entsprechende fette Ziege. Er aber, nachdem er sie hatte hin und her gehenlassen und für tauglich erkannt, nahm sie auf die Schulter und machte sich eilig auf den Weg nach Hause. Da begegneten ihm, während er seines Weges ging, drei Schelme, deren Kehlen von Hunger abgezehrt waren. Da sie ein so fettes Tier auf seinen Schultern sahen, sagten sie zueinander: „Ah! Wenn wir das Tier zu essen bekommen, wird uns der heutige Frostregen nichts anhaben. Laßt uns ihn anführen, ihm das Tier abnehmen und uns damit ein Schutzmittel gegen die Kälte machen!“

Darauf wechselte einer von ihnen sein Kleid, trat jenem aus einem Seitenweg entgegen und sagte zu dem Hüter des ewigen Feuers: „He! He! Du törichter Feueropferer! Warum tust du so eine lächerliche, von den Menschen verabscheute Sache, daß du diesen unreinen Hund auf der Schulter trägst? Denn es heißt auch: Die Berührung von Auskehricht und Chandalas (Ausgestoßene) ist die des Hundes gleich, so arg wie des Kamels oder Esels; darum berührt man diese nicht!“

Darauf geriet jener in Zorn und sagte: „Ha! Bist du blind, daß du eine Ziege für einen Hund hältst?“ Jener antwortete: „Brahmane! Du mußt nicht böse werden, gehe nur zu, wohin dir beliebt!“ Als er darauf eine kleine Strecke des Weges gegangen war, begegnete ihm der zweite Schelm, trat zu ihm und sagte: „Ah! Brahmane! Welch großer Jammer! Wenn dir das tote Kind auch lieb ist, so ist es doch nicht angemessen, daß du es auf die Schulter nimmst. Denn man sagt auch: Wer aus Unverstand ein totes Tier oder auch einen toten Menschen anrührt, der reinige sich durch fünf Kühe oder schweres Fasten.“ Darauf sagte jener voller Zorn: „He! Bist du blind, daß du eine Ziege ein totes Kind nennst?“ Dieser sprach: „Erhabener! Gerate nicht in Zorn! Ich habe es aus Unwissenheit gesagt, tue, wie dir beliebt!“ Wie er darauf ein wenig in den Wald hinein kommt, da begegnet ihm der dritte Schelm in einem andren Kleid und sagte zu ihm: „Oh! Das ziemt sich nicht, daß du einen Esel auf der Schulter trägst! Wirf ihn doch ab! Man sagt ja: Der Mensch, der einen Esel anrührt, mit Wissen oder unbewußt, muß sich samt seinem Kleid baden zur Reinigung von seiner Schuld. Drum weg damit, ehe dich noch ein anderer sieht!“

Da meinte denn jener, das Vieh wäre ein böser Geist, warf es voll Angst auf die Erde und floh nach Hause. Darauf kamen die drei Schelme zusammen, nahmen das Tier in Besitz und machten sich daran, es nach Lust zu verzehren. - Daher sage ich: Menschen, die voll Klugheit, Scharfsinn und Verschlagenheit sind, können die auf ihre Macht Stolzen täuschen, wie der Ziegendieb den Priester. Sagt man ja doch mit Recht: Keinen Menschen gibt's auf Erden, den nicht die Demut von neuem Gesinde, das Wort eines Gastes, die Tränen einer Buhlerin oder der Redefluß schelmischer Leute schon angeführt hätte. Ferner auch: Selbst mit Schwachen, wenn sie zahlreich sind, soll man sich nicht verfeinden. Es heißt auch: Mit vielen soll man nicht kämpfen, und schwer besiegbar sind Mutige: Es frißt die Schar der Ameisen den Schlangenherrn, trotz seiner Wut.“

Da fragte Meghavarna „Wie war das?“, und Sthirajivin (der altehrwürdige Minister des Vaters von Meghavarna) erzählte:

4. Erzählung - Die Schlange und die Ameisen

In einem gewissen Ameisenhügel lebte eine große schwarze Schlange mit Namen Atidarpa („die sehr Stolze“). Diese wollte einst statt des gewöhnlichen Zugangs zu ihrem Loch durch eine andere enge Öffnung herausgehen. Und indem sie sich durchzwängte, erhielt ihr Körper durch die Fügung des Schicksals wegen des großen Umfangs desselben und wegen der Enge der Öffnung eine Wunde. Darauf wurde sie von den Ameisen, welche dem Geruch des aus der Wunde fließenden Blutes nachgingen, von allen Seiten umringt und in Unruhe versetzt. Einige tötete und andere verwundete sie. Wegen ihrer großen Anzahl aber bedeckten sie die Schlange mit vielen Wunden, so daß sie an allen Gliedern blutend umkam. Daher sage ich: Mit vielen soll man nicht kämpfen, und schwer besiegbar sind Mutige: Es frißt die Schar der Ameisen den Schlangenherrn, trotz seiner Wut.

Nun habe ich hier etwas zu bemerken: Das beherzige, und handle nach meinem Worte! Meghavarna sprach: „Befiehl es! Wie du befiehlst, so und nicht anders soll gehandelt werden!“ Sthirajivin sagte: „Oh Kind! Höre, welches fünfte Mittel mit Übergehung des Schmeichelns und der übrigen drei von mir beschlossen wurde! Behandle mich, als ob ich von dir abgefallen wäre, bedrohe mich mit überaus harten Worten, dann beschmiere mich so mit zusammengeholtem Blut, daß die Spione des Feindes alles für Ernst halten. Wirf mich nachher von diesem Feigenbaum herunter und begib dich alsdann zu dem Berg Rishyamuka. Dort bleibe mitsamt deinem Gefolge so lang, bis ich sämtlichen Eulen durch sehr liebevolles Benehmen Vertrauen eingeflößt und sie mir geneigt gemacht habe. Sobald ich meinen Zweck erreicht habe, werde ich die bei Tage der Blindheit verfallenden in der Mitte der mir bekannt gewordenen Burg vernichten. Ich habe sicher erkannt, daß wir auf andere Weise nichts erreichen. Denn diese Feste, welche keinen Ausweg hat, wird nur zu ihrer Ermordung dienen. Denn es heißt auch: Was zugleich einen Ausgang hat, nennen Staatsmänner eine Burg, was aber ohne Ausgang ist, das ist ein Kerker in Burggestalt.

Du darfst aber mit mir kein Mitleid haben. Man sagt auch: Selbst den eigenen Leib oder sogar liebe, geschätzte, ja ersehnte Diener soll, wenn der Krieg wütet, der Fürst ansehen wie dürres Holz. Und so: Wie sein Leben schütze er die Diener und pflege sie gleichwie seinen Leib, nur um eines einzigen Tags willen, nämlich wenn der Kampf mit dem Feind entbrennt. Deswegen darfst du mich auch in dieser Sache nicht zurückhalten.“

Nachdem er so gesprochen hatte, fing er zum Schein einen Streit mit ihm an. Als sich nun seine anderen Diener, wie sie den Sthirajivin in maßlosen Reden sich ergehen sahen, erheben wollten, um ihn zu töten, sagte Meghavarna zu ihnen: „Ach! Laßt ab! Ich will diesen Bösewicht, welcher zum Feind übergehen will, schon selbst bestrafen!“ Nachdem er so gesprochen, sprang er auf ihn, gab ihm leichte Schnabelstöße, benetzte ihn mit Blut, das er geholt hatte, und ging alsdann samt seinem Gefolge zum Berg Rishyamuka.

Mittlerweile war von der Krikalika, welche dem Feind als Spionin diente, dies ganze Unglück des Ministers von Meghavarna dem Eulenkönig gemeldet worden: „Dein Feind ist jetzt in Furcht geraten und hat sich samt seinem Gefolge irgendwohin aus dem Staub gemacht.“ Der Eulenkönig aber, nachdem er dies gehört hatte, machte sich zur Zeit des Sonnenuntergangs samt seinen Räten und Dienstmannen auf den Weg, um die Krähen zu vernichten, und sprach: „Eilt! Eilt! Ein furchtsamer flüchtender Feind ist ein Lohn für die guten Werke seines Gegners in einer früheren Existenz. Man sagt auch: Der Feind gibt sich durch Flucht die Blöße, und wie er anderswo Zuflucht sucht, wird er in seiner Verwirrung von Königsdienern leicht besiegt.“

So sprechend ließ er den Feigenbaum von allen Seiten umringen und stellte sich in Schlachtordnung. Als sich keine einzige Krähe sehen ließ, stieg der Eulenkönig Arimardana auf die Spitze eines Zweigs, und von den Lobsängern gepriesen, sprach er freudigen Herzens zu seinen Dienstmannen: „Ah! Erkundet ihren Weg, auf welcher Straße die Krähen entflohen sind! Denn ehe sie noch zu ihrer Festung zurückkehren, will ich sie verfolgen und vernichten. Man sagt auch: Wer ganz siegen will, soll den Feind töten - egal, ob er hinter einem Zaun oder einer Festung von größter Festigkeit lebt.“

Bei dieser Gelegenheit nun dachte Sthirajivin: „Wenn diese unsere Feinde nun gehen, wie sie gekommen sind, ohne zu bemerken, was mit mir vorgegangen ist, dann habe ich nicht das Geringste ausgerichtet. Man sagt auch: Eine Sache nicht anzufangen ist das erste Zeichen von Verstand, aber einmal Angefangenes zu Ende führen, ist das zweite Zeichen von Verstand. Drum ist es besser, nichts anzufangen als Angefangenes aufzugeben! So will ich denn machen, daß sie einen Ton von mir hören und mich dann selbst zeigen.“

Nachdem er so überlegt hatte, ließ er einen leisen Ton nach dem andern hören. Dieses hörend machten sich alle Eulen auf, um ihn umzubringen. Darauf sagte er: „Ach! Ich bin der Minister des Meghavarna mit Namen Sthirajivin. Durch Meghavarna selbst bin ich in diesen Zustand versetzt. Vermeldet nun eurem Gebieter, daß ich vieles mit ihm zu besprechen habe.“ Als sie es aber gemeldet hatten, geriet der Eulenkönig in Verwunderung, ging augenblicklich zu ihm und sagte: „He! He! Warum bist du in diesen Zustand gefallen? Erzähle das!“

Sthirajivin antwortete: „Majestät! höre, warum dieser Zustand herbeigeführt ward! Am vergangenen Tage hatte sich dieser bösgesinnte Meghavarna aus Leid über die vielen von euch getöteten Krähen von Zorn und Kummer über euch verzehrt, zum Kampf auf den Weg gemacht. Da sagte ich: Oh Herr! Es ist nicht angemessen für dich, aus diesem Grund zu marschieren. Jene sind stark und wir schwach. Man sagt auch: «Mit einem Kraftvollen begehre der Schwache - wenn ihm sein Heil lieb ist - nicht einmal im Herzen zu kämpfen, denn nimmer erliegt der Mächtige, sondern der Motten gleich Handelnde geht zugrunde. Deshalb ist es angemessen ihm Geschenke zu geben und sich so mit ihm zu vertragen. Es heißt auch: Wer klug ist und einen starken Feind sieht, gibt sein Hab und Gut, um nur sein Leben zu retten. Bleibt das, dann kommt auch der Reichtum zurück.» Als dies gehört ward, wurde er durch Bösewichter heftig gegen mich aufgereizt, fürchtete, daß ich zu dir übergehen wolle und versetzte mich in diesen Zustand. So sind jetzt deine Füße meine Zuflucht. Wozu vieler Reden? Wenn ich mich wieder vorwärts bewegen kann, so führe ich dich in sein Versteck und bewirke den Untergang aller Krähen.“

Arimardana aber, als er dies gehört, beriet sich mit seinen schon auf seinen Vater vom Großvater vererbten Ministern. Er hatte nämlich fünf Minister: Raktaksha („rote Augen“), Kruraksha („schreckliche Augen“), Diptaksha („flammende Augen“), Vakranasa („krumme Nase“) und Prakarakarna („Ohren wie eine Mauer“). Da fragte er zuerst den Raktaksha: „Lieber! Da ist nun des Feindes Minister in meine Hand gefallen, was soll mit ihm geschehen?“

Raktaksha antwortete: „Majestät! Was ist da zu bedenken? Er muß ohne weitere Überlegung umgebracht werden! Den schwachen Feind soll man töten, bevor er noch zu Kraft gelangt. Besitzt er erst seine volle Kraft, dann wird er schwer besiegbar sein. Ferner gibt es ein allgemeines Sprichwort in der Welt: «Wenn Fortuna selbst sich euch darbietet und verschmäht wird, dann flucht sie euch.» Auch sagt man: Hat einmal sich die Zeit günstig, doch unbenutzt dem Mann gezeigt, so findet er sie schwer wieder, wenn er das Werk zu tun begehrt. Und es wird auch erzählt: Sieh, wie mein glänzender Gürtel und meine Haube zerstört sind! Durch keine Liebe erstarkt Freundschaft erneut, die einmal gebrochen wurde.

Da fragte Arimardana „Wie war das?“, und Raktaksha erzählte:

5. Erzählung - Die Gold spendende Schlange

An einem gewissen Orte lebte ein Brahmane namens Haridatta („von Hari bzw. Vishnu gegeben“). Dieser trieb Ackerbau, aber die Zeit ging ihm stets hin, ohne gute Frucht zu bringen. Da legte sich der Brahmane eines Tages, am Ende der heißen Stunden, von Hitze gequält mitten in seinem Acker in den Schatten eines Baumes. Als er da aus einem nicht weit entfernten Ameisenhügel eine furchtbare Schlange mit einer großen Haube geschmückt hervorkriechen sah, dachte er bei sich: „Sicher ist sie die Gottheit des Feldes und wurde von mir noch kein einziges Mal verehrt. Darum ist mein Ackerbau gewinnlos. So will ich ihr denn gleich meine Verehrung bezeigen!“

Nachdem er so überlegt hatte, holte er Milch irgendwoher, goß sie in eine Schale, ging zu dem Ameisenhügel und sprach: „Oh Gebieter des Feldes! So lange Zeit habe ich nicht gewußt, daß du hier wohnest. Darum habe ich dir keine Verehrung erwiesen, das mögest du mir jetzt verzeihen!“ Nachdem er so gesprochen und die Milch dargebracht hatte, ging er nach Hause.

Als er nun am folgenden Morgen kam und nachsah, so erblickte er einen Denar in der Schale, und so ging er Tag für Tag allein hin, gibt ihr Milch und fand immer einen Denar. Eines Tages aber befahl der Brahmane seinem Sohn Milch zum Ameisenhügel zu bringen und ging selbst in ein Dorf. Der Sohn aber brachte die Milch, stellte sie hin und ging wieder nach Hause zurück. Als er am folgenden Tag hinging, einen Denar erblickte und genommen hatte, dachte er bei sich: „Sicher ist dieser Ameisenhügel voll von goldenen Denaren! Darum will ich die Schlange töten und alles auf einmal nehmen!“ Nachdem er dies erwogen hatte, schlug der Sohn des Brahmanen am folgenden Tag die Schlange als er ihr Milch gab mit einem Knittel auf den Kopf. Sie aber, die durch des Schicksals Willen eben mit dem Leben davon kam, biß ihn voll Wut mit ihren scharfen Giftzähnen so sehr, daß er augenblicklich tot war. Darauf wurde er von seinen Leuten, welche nicht weit von dem Felde einen Scheiterhaufen errichteten, bestattet. Am zweiten Tag kam sein Vater zurück. Und nachdem er von seinen Leuten erfahren hatte, durch welche Veranlassung sein Sohn umgekommen war, billigte er es ganz und gar und sagte: „Wer den Geschöpfen nicht hold ist, die Schutzes halber ihm genaht, dessen früherer Reichtum geht unter, wie der der Schwäne im Lotuswald.“

Da fragten die Leute „Wie war das?“, und der Brahmane erzählte:


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