Pushpak Panchatantra Buch 2Zurück WeiterNews

5. Erzählung - Der arme Somilaka

In einem gewissen Orte wohnte ein Weber namens Somilaka. Dieser verfertigte ohne Unterlaß feine Gewänder, welche mit mannigfachen feinen Mustern gefärbt und eines Königs würdig waren, erwarb aber auch keinen Pfennig mehr, als er für Nahrung und Kleidung nötig hatte; während die übrigen gewöhnlichen Weber, die in der Verfertigung grober Stoffe geschickt waren, großen Reichtum gewannen. Indem er nun diese betrachtete, sagte Somilaka zu seiner Gattin: „Liebe! Siehe, wie diese Verfertiger von groben Tüchern reich sind an Geld und Gold! Drum ist mir dieser Ort unerträglich. Laß uns anderswohin gehen, um Geld zu erwerben!“ Jene antwortete: „Ach, Liebster! Es ist nicht richtig, wenn du sagst, daß man in der Fremde Geld erwirbt, in der Heimat aber nicht. Denn es heißt auch: Ob die Vögel aufwärts fliegen oder zur Erde herab sinken, so ist dies des Verdienstes Folge; nichts stößt uns zu, was nicht verhängt wurde. Und so: Was nicht geschehen soll, wird nimmer geschehen, und was geschehen soll, geschieht von selbst. Was schon in der Hand ist, geht wieder verloren, wenn es ihm bestimmt ist, nicht zu geschehen. Wie das Kalb unter tausend Kühen seine Mutter zu finden weiß, so findet auch des früheren Lebens Tat ihren Täter wieder auf. Und andrerseits: Ging er auch hunderttausend Straßen, auf allen Straßen folgen ihm sowohl des Menschen böse Taten als auch die guten nach. Und wiederum: Gleichwie Schatten und Licht immer miteinander verbunden sind, so sind auch Tat und Täter stets miteinander verkettet. Drum bleibe hier und sei fleißig!“

Der Weber sagte: „Liebe! Was du sagst, ist nicht richtig. Ohne Anstrengung trägt auch die Tat keine Frucht. Die Weisen sagen: Gleichwie mit einer Hand niemals ein Beifallklatschen möglich ist, so trägt die Tat ohne Anstrengung keine Frucht. Und so: Sieh! Durch Tat erworbene Nahrung kann, wenn man sie genießen will, niemals ohne Anstrengung der Hand in den Mund gelangen. Und ferner: Nicht durch Wünsche, durch Anstrengung wird erreicht, was man bestrebt. Denn nimmer wird das Wild von allein in des schlafenden Löwen Mund fallen. Und wiederum: Wenn man nach seiner Kraft handelnd, dennoch nicht zu seinem Ziel kommt, dann ist nicht der Mann zu tadeln, dessen Kräfte das Schicksal lähmt. Deshalb muß ich notwendig in die Fremde gehen!“

Als er diesen Entschluß gefaßt hatte, ging er nach der Stadt Vardhamana („Reichtum“). Nachdem er daselbst drei Jahre zugebracht und dreihundert Goldstücke verdient hatte, machte er sich wieder auf den Weg in seine Heimat. Als er nun auf der Hälfte des Weges in einem großen Walde wanderte, ging die erhabene Sonne unter. Aus Furcht vor Raubtieren stieg er auf einen recht dicken Ast eines Feigenbaums und fing an einzuschlafen. Da hörte er um Mitternacht im Traume zwei Männer von furchtbarer Gestalt, welche sich miteinander zankten. Der eine von ihnen sagte: „He! Täter! Du weißt doch ganz gut, daß dieser Somilaka nicht mehr besitzen darf, als zu Nahrung und Kleidung nötig ist: Darum darfst du auch kein bißchen darüber gestatten. Warum hast du ihm nun dreihundert Goldstücke gegeben?“ Dieser antwortete: „He! Tat! Meine Pflicht ist, denen, die sich anstrengen, die ihrer Anstrengung entsprechende Frucht zu gewähren. Der Ausgang liegt in deiner Hand: drum nimm du sie wieder weg!“ Als der Weber, nachdem er dies geträumt hatte, aufwachte und seinen Beutel mit den Goldstücken betrachtete, so sah er ihn leer. Da machte er sich selbst Vorwürfe und dachte: „Ha! Was ist das? Das so sauer erworbene Geld ist aus Leichtsinn, Gott weiß wohin geraten! Wie kann ich, nachdem ich mich umsonst gequält habe, ohne einen Heller vor meiner Frau und meinen Freunden mein Gesicht sehen lassen?“

So entschloß er sich denn und kehrte nach derselben Stadt zurück. Und nachdem er hier in einem einzigen Jahr fünfhundert Goldstücke erworben hatte, machte er sich von neuem auf den Weg nach seiner Heimat. Als er auf dem halben Wege war und sich mitten in einem Walde befand, ging die erhabene Sonne wiederum unter. Obgleich er nun zwar sehr ermüdet war, gönnte er sich aus Furcht, die Goldstücke zu verlieren, doch keine Rast, sondern ging schnell weiter, nur von Sehnsucht nach seinem Haus beherrscht. Doch währenddessen hörte er zwei Menschengestaltige, ganz ebenso aussehende, hinter sich hergehen und miteinander sprechen. Da sagte der eine: „He! Täter! Warum hast du diesem Somilaka fünfhundert Goldstücke gegeben? Weißt du denn nicht, daß ihm nicht mehr zu erwerben bestimmt ist, als Nahrung und Kleidung?“ Der andere antwortete: „He! Tat! Meine Pflicht ist, Männern, welche sich anstrengen, zu geben: Der Ausgang liegt in deiner Hand. Weswegen machst du mir also Vorwürfe?“

Wie nun Somilaka, nachdem er dies gehört, seinen Beutel untersucht, so ist kein Goldstück mehr darin. Darauf geriet Somilaka in den größten Schmerz. „Ach! Ich bin ein geschlagener Mann!“ rief er aus, verfiel in höchste Verzweiflung und dachte: „Ach! Was hilft mir zu leben, wenn ich kein Geld habe! Drum will ich mich an diesen Baum aufhängen und so meinem Leben ein Ende machen!“ Nachdem er sich so entschlossen hatte, wand er sich einen Strick aus Darbha-Gras, befestigte eine Schlinge um seinen Hals und ging zu einem Ast. Als er seinen Hals hineingesteckt hatte und sich eben niederwerfen wollte, da erschien ein Mann in der Luft und sprach: „He! He! Somilaka! Tue keine solche Gewalttat! Ich bin es, der dir das Geld weggenommen hat. Ich leide nicht, daß du auch nur einen Heller mehr hast, als Nahrung und Kleidung. Drum gehe nach deinem Haus zurück! Übrigens hast du dir durch deine Beharrlichkeit meine Zufriedenheit erworben und sollst mich nicht umsonst gesehen haben. Drum bitte dir irgendeine Gnade aus, welche dir lieb ist!“ Somilaka sagte: „Wenn dem so ist, so gib mir großen Reichtum!“ Jener antwortete: „Was willst du mit Reichtum anfangen, da du ihn nicht genießen kannst? Denn außer Nahrung und Kleidung ist dir kein Genuß bestimmt. Man sagt ja: Was nützt eine Glücksgöttin, die bloß ein Weib ist, wie eine Gassenhure, die selbst dem gemeinsten Wanderer dienstbar ist?“

Aber Somilaka sagte: „Ach! Wenn ich den Reichtum auch nicht genießen soll, so möge er mir doch zuteil werden. Denn man sagt auch: Wenngleich verkrüppelt und ungebildet und von den Guten stets gemieden, ist doch der Mann in der Welt angesehen, der große Schätze hat. Und so: Fünfzehn Jahre, oh Herzliebe! habe ich mit dem Auge die hängenden und doch festen verfolgt, ob sie nun abfallen oder nicht.“

Da fragte der Mann „Wie war das?“, und jener erzählte:

6. Erzählung - Die Hoden des Stiers

An einem gewissen Ort wohnte ein großer Stier namens Tijnavrishana („mit tüchtigen Hoden“). Dieser verließ im Übermaß seines Stolzes seine eigne Herde und wanderte im Walde umher, wühlte die Ufer der Flüsse auf und verzehrte nach Lüsten die trefflichsten smaragdfarbigen Gräser. In demselben Wald wohnte aber auch ein Schakal namens Pralobhaka („der Verlockende“). Dieser saß einst vergnügt mit seiner Frau zusammen auf einer Insel des Flusses. Da kam der Stier zu ebendieser Insel herabgestiegen, um Wasser zu trinken. Als nun die Frau dessen herabhängende Hoden sah, sagte sie zu ihrem Mann: „Herr! Sieh einmal, wie dieser Stier zwei Stück Fleisch herabhängen hat! Diese werden sogleich oder in wenigen Stunden herunterfallen. Dies mußt du beherzigen und hinter ihm hergehen.“ Der Schakal antwortete: „Liebe! Es ist nichts weniger als gewiß, ob sie fallen werden oder nicht. Weshalb forderst du mich also zu einer vergeblichen Arbeit auf? Laß mich nur hier bleiben und mit dir zusammen die Mäuse fressen, welche hierher kommen, um zu trinken. Denn dies ist ihr Weg. Wenn ich aber dich verlasse und hinter diesem Stier hergehe, dann wird irgendein anderer kommen und diesen Ort in Besitz nehmen. Drum ist es nicht angemessen, dieses zu tun. Man sagt auch: Wer das Sichere aufgibt und Unsicheres zu erlangen strebt, dem kommt das Sichere abhanden und das Unsichere ist es schon.“

Aber die Frau des Schakals sprach: „Ach! Du bist ein niedriggesinntes Geschöpf, denn du bist mit allem, auch dem Geringsten zufrieden, was du bekommen kannst! Man sagt auch: Leicht zu füllen sind kleine Flüßchen, und leicht des Mäuschens Pfötchen auch. Leicht zufrieden sind gemeine Menschen, an kleinen Bißchen freuen sie sich. Drum muß ein braver Mann stets tätig sein. Man sagt auch: Wo das Beginnen tatkräftig ist, aber Trägheit gemieden wird, da macht der Verein von Klugheit und Kraft, fürwahr! das Glück unwandelbar. Man denke nicht «Das Schicksal herrscht!» und höre auf zu arbeiten: Denn ohne Arbeit wird nimmer dir das Öl aus Sesamkorn zuteil. Und ferner: Wenn ein törichter Mensch selbst durch Weniges hier aufs Höchste befriedigt wird, so gleicht er einem, dessen Herz schon zufrieden ist, wenn ihm Reichtum nur vorgerechnet wird.

Und wenn du sagst «Es ist ungewiß, ob sie abfallen werden oder nicht!», so ist auch das unangemessen. Man sagt auch: Tatenlustige Menschen sind zu preisen. Wer hohen Stolz hat, wird gelobt. Was ist der Chataka (ein Vogel, der den Regen liebt) für ein armer Wicht, der nur harrt, bis Indra Wasser bringt. Außerdem bin ich jetzt des Mäusefleisches gewaltig überdrüssig, und diese beiden Fleischstücke sehen aus, als ob sie bald abfallen wollten. Drum mußt du unbedingt so und nicht anders handeln.“

Er aber, nachdem er dies gehört, verließ den Ort des Mäusefangs und ging hinter dem Stier her. Sagt man ja doch mit Recht: Solange ist der Mann hier in allen Werken der Meister selbst, bis er sich von Frauenreden wider Willen fortreißen läßt. Und so auch: Untunliches erscheint tunlich, Unerreichbares scheint leicht erreichbar, das Uneßbare dünkt eßbar dem Mann, den Weiberrede spornt. So brachte er eine lange Zeit damit zu, daß er mitsamt seinem Weibe hinter jenem umherschweifte, aber die beiden Hoden fielen nicht herab. Im fünfzehnten Jahr endlich sagte der Schakal voll Überdruß zu seiner Frau: „Fünfzehn Jahre, oh Herzliebe! habe ich mit dem Auge die hängenden und doch festen verfolgt, ob sie abfallen oder nicht. So werden sie auch in Zukunft nicht abfallen. Laß uns zu dem Mäusefang zurückgehen!“

Darum sage ich: Fünfzehn Jahre, oh Herzliebe! habe ich mit dem Auge die hängenden und doch festen verfolgt, ob sie abfallen oder nicht.

(Es würde vielleicht mehr Sinn machen, wenn der Himmlische diese Geschichte dem Weber erzählt hätte. Denn sie zeigt, wie nutzlos die Jagd nach Reichtum ist, der einem vom Schicksal nicht bestimmt wurde, auch wenn er bereits greifbar erscheint.)

Fortsetzung der 5. Erzählung

Und der Weber Somilaka fuhr fort: „So (wie der Stier) ist auch jeder Reiche ohne Ausnahme beneidenswert. Darum gib mir großen Reichtum!“ Der Mann sagte: „Wenn du so meinst, so gehe nochmals zur Stadt Vardhamana („Reichtum“). Da wohnen zwei Kaufmannssöhne. Der eine ist Dhanagupta („der seinen Reichtum verwahrt“), der andere Upabhuktadhana („der seinen Reichtum genossen hat“). Lerne die Lebensweise beider kennen und dann wähle eine von beiden. Wenn dir mit einem verwahrten, nicht genießbaren Reichtum gedient ist, so will ich dich zu einem machen, der seinen Reichtum spart; wenn dir aber mit einem Vermögen gedient ist, welches Genuß gewährt hat, dann sollst du ein Upabhuktadhana werden.“

Nachdem er so gesprochen hatte, verschwand er. Somilaka aber ging mit Verwunderung im Herzen zur Stadt Vardhamana zurück. Nachdem er nun zur Zeit der Dämmerung ermüdet mit Mühe die Stadt erreicht, des Dhanaguptas Haus erfragt und mit Anstrengung gefunden hatte, trat er nach Untergang der Sonne in dasselbe ein. Da wurde er von Dhanagupta, der mit seiner Frau und seinen Söhnen zusammen war, hart angefahren, kam nur mit Gewalt in den Hof des Hauses und setzte sich nieder. Zur Essenszeit ward ihm darauf, was vom Essen übriggeblieben war, als Speise gegeben. Als er sich nun, nachdem er gegessen, daselbst schlafen gelegt hatte, siehe da! so sprachen um Mitternacht dieselben zwei Männer miteinander. Da sagte der eine: „He! Täter! Warum hast du von diesem Dhanagupta einen überflüssigen Aufwand machen lassen, daß er auch dem Somilaka zu essen gab? Darin hast du unrecht gehandelt!“ Der andere antwortete: „He! Tat! Das ist meine Schuld nicht. Ich muß jeden erlangen lassen, was er beharrlich verfolgt. Der Ausgang liegt in deiner Hand!“ Als er nun aufstand, da wurde Dhanagupta von Leibschneiden gequält und verfiel sogleich in eine Krankheit. Am zweiten Tage alsdann mußte er infolge dieses Unwohlseins fasten.

Somilaka aber verließ am Morgen darauf dies Haus und ging in das des Upabhuktadhana. Von diesem aber ward er mit allen gastlichen Gebräuchen aufgenommen, mit Speisen und Gewändern geehrt und in einem vortrefflichen Lager zur Ruhe gebracht. In der Mitternacht darauf, siehe da! sprechen dieselben zwei Männer miteinander. Der eine sagte: „He! Täter! Dieser Upabhuktadhana hat heute bei der Bedienung des Somilaka viel aufgewendet. Wie wird es mit der Bezahlung werden? Denn alles das hat er aus dem Hause eines Verleihers geholt.“ Der andre antwortete: „He! Tat! Ich habe meine Pflicht getan. Der Ausgang liegt in deiner Hand.“ Drauf kam in der Frühe ein Diener des Königs mit einer großen, von der Gnade des Königs herrührenden Summe Geldes, und händigte sie vollständig dem Upabhuktadhana aus.

Nachdem er dies gesehen, dachte Somilaka: „Ach! Obgleich er keinen Reichtum aufgehäuft hat, ist mir doch dieser Upabhuktadhana viel lieber als jener geizige Dhanagupta! Denn man sagt auch: Die Frucht der Veden ist das Feueropfer, die Frucht der Lehre ist die tugendhafte Tat, die Frucht des Weibes sind die Liebe und die Söhne, und die Frucht des Reichtums sind die Gaben und der Genuß. Darum möge der erhabene Schöpfer mich zu einem machen, der das erhält, was er genießt. Den Zustand des Dhanagupta verlange ich nicht.“

Nachdem sie dies gehört hatten, machten Täter und Tat ihn zu einem solchen und verschwanden. Daher sage ich: Reichtümer hat er sich erworben, doch zum Genuß gelangt er nicht, gleichwie der Tor Somilaka, sobald er nur den Wald betrat. Deswegen, lieber Hiranyaka! beherzige dies und mach dir in Betreff des Schatzes keinen Kummer! Denn Geld, was man hat und nicht genießen kann, ist nicht besser, als wenn man es nicht hätte. Man sagt auch: Wenn uns Schätze reich machen, die im Hause vergraben sind, wie sollten wir nicht auch reich sein, wenn keine im Hause sind? Und so: Der Grund, warum man Reichtümer erwirbt, ist, daß man geben kann, wie man Wasser in Zisternen sammelt zur Landberieselung. Und ferner: Genießen muß man und schenken, doch Schätze nicht aufspeichern: Sieh der Bienen aufgespeicherten Reichtum nehmen hier andre hin! Und so: Schenken, Genießen und Verlieren sind die drei Wege, die der Reichtum geht; wer nicht schenkt und nicht genießt, für den bleibt nur der dritte Weg.

So denkend, soll ein Verständiger nicht aus Begierde Reichtum erwerben, denn das bringt Leid. Man sagt auch: Die Toren, welche Freude erhoffen von Geld und Gut und ähnlichem, die entfachen Feuer im heißen Sommer und meinen, daß es Kühlung bringt. Deswegen soll der Tugendhafte stets genügsam sein. Man sagt auch: Die Schlangen trinken Luft und sind doch nicht kraftlos; die Elefanten werden stark von dürren Gräsern; und durch Wurzeln und Kräuter erhalten die Weisen sich das Leben. Genügsamkeit ist, fürwahr! der höchste Schatz des Menschen.

Wie kann die Freude der Herzbefriedigten, die der Genügsamkeit Nektar nährt, je zur Freude der Schätzegierigen werden, die ruhelos hin und her rennen? Oh glücklich sind jene, die nektargleiche Genügsamkeit schlürfen! Doch unendlich unglücklich die Menschen, die ungenügsam sind!

Wessen Geist getrübt ist, dem sind zugleich auch alle Sinne getrübt. Denn wenn die Sonne von Wolken beschattet wird, sind auch die Strahlen beschattet. Die geistberuhigten Hochweisen nennen Genügsamkeit der Gier Ende; nicht weicht sie durch Reichtum, wie durch Feuerwasser nicht der Durst. Selbst Untadelhaftes wird getadelt, und Unlobenswertes lobt man hoch: Was gibt's in aller Welt, was der Mensch nicht des Reichtums wegen tut? Selbst in edlen Absichten nach Reichtum zu streben, ist nicht gut. Will man nicht im Sumpf versinken, ist es am besten, man bleibt ihm fern. Es gibt keinen Schatz auf Erden, der dem Almosengeben gleicht! Und kein Feind ist größer als die Geldbegierde! Es gibt auch keine Zier, die der Tugend ähnlich! Und kein Besitz, welcher der Genügsamkeit gleicht!

Die traurigste Armut ist der Mangel an der Weisheit Schatz: Auch wenn Shivas Reichtum nur ein alter Stier ist, so ist er doch der höchste und allerreichste Gott. Warum hältst du dich demnach für unglücklich? Der Gute, fällt er auch einmal, so fällt er wie ein Federball. Aber der Böse fällt nieder, gleichwie ein Erdklumpen fällt. Dies beherzige, Lieber! und gib dich zufrieden!“

Nachdem sie Mantharakas Rede gehört, sagte die Krähe: „Lieber! Was Mantharaka gesagt hat, das mußt du dir ins Herz schreiben! Sagt man ja doch mit Recht: Leicht zu finden ist, oh König! der Mann, der immer spricht, was lieb erscheint; doch schwer zu finden der Sprecher und Hörer von Unliebem, das heilsam ist. Die Unliebes, doch Heilsames den Menschen in dieser Welt sagen, die nennt man mit Recht Freunde, andere sind es nur dem Namen nach.“

Indem sie nun so miteinander sprachen, lief plötzlich eine Gazelle namens Chitranga („mit geflecktem Leib“), von einem Jäger geschreckt, in diesen Teich. Als Laghupatanaka sie eilig herankommen sah, flog er auf den Baum; Hiranyaka verkroch sich in ein in der Nähe befindliches Rohrdickicht und Mantharaka im Wasser. Als Laghupatanaka aber die Gazelle genau betrachtet hatte, sagte er zu Mantharaka: „Komm, komm, Freund Mantharaka! Diese Gazelle ist von Durst gequält hierhergekommen und in den Teich gegangen. Von ihr rührt das Geräusch her, nicht von einem Menschen.“

Nachdem er dies gehört, sagte Mantharaka, wie es sich für Zeit und Ort ziemte, folgendes: „Ach, Laghupatanaka! Wie dieses Wild aussieht - hoch springend und mit rollenden Augen rückwärts blickend - ist es nicht von Durst gequält. Sicher ist es von einem Jäger in Furcht gesetzt! Sieh daher nach, ob es von Jägern verfolgt wird oder nicht. Man sagt ja: Ein furchterschreckter Mann schnauft gewaltig und in einem fort, blickt sich nach jeder Richtung um und fühlt sich nirgends in Sicherheit.“

Nachdem Chitranga dies gehört, sagte er: „Ach, Mantharaka! Du hast den Grund meiner Furcht ganz richtig erkannt. Ich komme hierher, nachdem ich mich mit Müh und Not vor den Pfeilschüssen eines Jägers gerettet habe. Meine Herde aber wird von diesen Jägern getötet werden. Zeige mir nun - ich begebe mich in deinen Schutz - eine Stelle, wohin die bösen Jäger nicht kommen können!“

Nachdem er dies gehört hatte, sagte Mantharaka: „Ach, Chitranga! Höre eine Regel der Lebensklugheit! Es heißt: Zwei Mittel sind es, die wir hier lehren, wie man des Feindes Blick entgeht: Das eine heißet: Rühre die Hand! Das andre heißt: Rühre den Fuß! Drum gehe rasch in den tiefen Wald, ehe noch deine bösen Jäger herankommen!“

Mittlerweile kam die Krähe Laghupatanaka eilig herbei und sagte: „Ach, Mantharaka! Die Jäger sind nach ihrem Hause zu weggegangen und tragen eine Menge Wildbret-Fleisch. Du kannst also ohne Furcht aus dem Wasser kommen, Chitranga!“

Und Chitranga sprach: „Von einer Menge Pferden, Hunden und Jägern hier und da bedrängt, aus Furcht mit großer Schnelligkeit ihnen allen entfliehend, komme ich hierher Wasser suchend. Drum wünsche ich mit euch Freundschaft zu schließen.“

Nachdem er dies gehört, sprach Mantharaka: „Wir sind Geschöpfe mit kleinen Körpern. Es ziemt sich nicht für dich mit uns Gesellschaft zu machen. Denn es gehört sich Freundschaft zu schließen mit solchen, welche fähig sind, einen Gegendienst zu leisten.“

Dieses hörend sprach Chitranga: „Lieber will ich mit Hochweisen vereint wohnen im Höllenschlund, als mit Gemeinen umgehen und sei es im Götterhimmel selbst. «Geschöpfe mit kleinen... Geschöpfe mit großen Körpern...» Wozu diese, eine Herabsetzung deiner selbst enthaltenden Worte? Doch es ist ja für gute Männer schicklich, auf eine derartige Weise zu sprechen. Drum müßt ihr unbedingt jetzt Freundschaft mit mir schließen. Es wird ja auch Folgendes überliefert: Freunde soll man sich verschaffen, starke sowohl auch schwache: Eine Elefantenherde wird von Mäusen im Wald befreit.“

Da fragte Mantharaka „Wie war das?“, und die Gazelle Chitranga erzählte:

7. Erzählung - Die Elefanten und die Mäuse

Es gibt einen gewissen Landstrich, welcher mit Quellen, Gefilden, Häusern und Göttertempeln versehen ist. Da hatten sich seit alter Zeit Mäuse niedergelassen, sich in Söhnen, Kindern von Söhnen, Töchtern und so weiter fortgepflanzt, in den Häusern und Ritzen des Bodens Wohnungen angelegt, und wohnten da dichtgedrängt Haus an Haus. Und so ging ihnen die Zeit hin im Genuß von Essen und Trinken und anderen Freuden bei mancherlei festlichen Veranlassungen und Hochzeiten. Indessen begann ein Elefantenfürst, umgeben von Tausenden von Elefanten mit seiner Herde zu einem Teich zu gehen, von welchem sie von früher her wußten, daß er Wasser enthielt, um da zu trinken. Von diesem Elefantenfürsten nun, der mitten durch die Wohnungen der Mäuse ging, wurde den Mäusen Gesicht, Augen, Kopf und Hals zerquetscht, als ob sie vom Todesgott überfallen wären, und die, welche mit dem Leben davongekommen waren, sprachen zueinander: „Diese bösen Elefanten haben uns mit ihrem Hingehen zugrunde gerichtet. Wenn sie wieder zurückkommen, dann wird von uns nicht ein Samen mehr übrig sein. Denn: Die Schlange tötet durch ihren Atem, der Elefant tötet, was er berührt, mit einem Wink tötet der König und mit List der Bösewicht. Drum muß mittlerweile notwendig an eine Hilfe gedacht werden.“

Nachdem sie nun überlegt hatten, gingen einige zu dem Teich, verbeugten sich vor dem Elefantenfürsten und sprachen: „Majestät! Nicht weit von hier ist unser durch Erbrecht in grader Linie ans uns übergegangener Wohnort. Da haben wir uns durch Folge von Kind und Kindeskind vermehrt. Nun sind wir durch euch, indem ihr des Wassers halber hierher kommt, zu Tausenden umgekommen. Wenn ihr denselben Weg zurückgeht, dann wird von uns nicht einmal ein Samen mehr übrigbleiben. Wenn ihr Mitleid mit uns habt, dann schlagt einen anderen Rückweg ein! Denn sicherlich können auch unsersgleichen euch einmal von einigem Nutzen sein.“

Nachdem der Fürst der Herde dieses gehört und in seinem Herzen erwogen hatte, sagte er „Es soll geschehen, wie die Mäuse bitten, nicht anders!“ und gewährte ihnen ihr Begehr. Im Fortgang der Zeit nun befahl ein gewisser König seinen Elefantenjägern, Elefanten zu fangen. Diese machten am Wasser eine Elefantengrube, fingen diesen Elefantenfürsten samt seiner Herde, zogen sie nach drei Tagen mit Stricken und anderen starken Hebeln von da heraus und banden sie in ebendiesem Walde an dickstämmige Bäume. Nachdem nun die Männer, welche sie angebunden hatten, sich entfernt hatten, überlegte der Elefantenfürst: „Auf welche Weise und von wem kann ich befreit werden?“ Da dachte er: „Außer diesen Mäusen gibt es für uns kein Mittel der Befreiung.“

Darauf ließ ihnen der Elefantenfürst durch eine Elefantin, welche sich außerhalb des Ortes befand, wo die Elefanten angebunden waren und den Wohnort der Mäuse von früher her kannte, das Unglück seiner Gefangenschaft melden. Diese, nachdem sie es gehört hatten, versammelten sich zu Tausenden, um ihren dankbaren Gegendienst zu erweisen, gingen zu dieser Herde, und nachdem sie den Elefantenfürsten samt derselben gebunden gesehen, zerbissen sie die Schlingen, stiegen die Baumstämme herauf und zernagten die Stricke, womit sie an den Stämmen befestigt waren, und erlösten sie aus ihrer Gefangenschaft. - Daher sage ich: Freunde soll man sich verschaffen, starke sowohl auch schwache: Eine Elefantenherde wird von Mäusen im Wald befreit.

Nachdem er dies gehört hatte, sprach Mantharaka: „Lieber! So sei es denn! Fürchte dich nicht! Betrachte dies wie dein eignes Haus, und wohne also hier nach Belieben mit unbesorgtem Herzen!“

Darauf wurden sie alle vier Freunde und brachten vergnügt ihre Zeit damit zu, daß sie an diesem Teich um die Mittagszeit unter dem Schatten der Bäume die Geselligkeit schöner Gespräche genossen. Sagt man ja doch passend: Die Weisen, denen vor Wonne beim Kosten lieblicher Reden sich das Haar aufsträubt, die erlangen Seligkeit auch ohne Liebesfreude. Wer sich nicht einen Schatz schöner Gedanken eingesammelt hat, was kann der am Festtag der Beredsamkeit zum Geschenk geben? Und so: Wer nicht begreift, was ein Wort sagt, nicht ebenso erwidern kann, und sich kurz zu fassen unfähig ist, wie käme zu dem die schöne Rede?“

Doch eines Tages kam Chitranga zur Gesellschaftszeit nicht herbei. Da gerieten die drei in Angst und fingen an, miteinander zu sprechen: „Ach! Warum ist der Freund heute nicht gekommen? Ist er etwa von Löwen oder anderen Raubtieren irgendwo umgebracht? Oder von Jägern vielleicht? Oder sollte er in das Feuer eines Waldbrandes geraten sein? Oder aus Begierde nach jungen Sträuchern in die Tiefe einer Grube? Sagt man ja doch mit Recht: Wenn einer nur in seines Hauses Garten geht, fürchtet die Liebe schon Gefahr für den Geliebten, geschweige in des Waldes Mitte, wo vieler Gefahren Schrecknisse lauern.“

Da sagte Mantharaka zu der Krähe: „Oh Laghupatanaka! Ich und Hiranyaka sind wegen unseres zu langsamen Gangs alle beide unfähig, ihn aufzusuchen. Deswegen mache du dich auf in den Wald und forsche, ob du ihn irgendwo lebendig siehst.“ Als nun Laghupatanaka sich nicht sehr weit vom See entfernt hatte, so steht da Chitranga am Ufer eines Sumpfes in einem Jagdnetz gefangen. Als er ihn erblickte, sprach er zu ihm mit vor Kummer betrübtem Herzen: „Lieber! Was ist das?“ Chitranga aber, als er die Krähe erblickte, fühlte seinen Geist vom tiefsten Schmerz bewegt. Wie könnte es auch anders sein? Denn man sagt ja: Wer in Torheit oder Unglück geraten ist, den drückt gewöhnlich von neuem des Schmerzes größte Wucht, sobald er seinen Freund erblickt.

Nachdem er sich alsdann ausgeweint, sagte er zu Laghupatanaka: „Ach! Freund! So ist denn nun mein Tod da! Trotzdem trifft es sich glücklich, daß ich dich noch zu sehen bekommen habe! Man sagt auch: Wenn man in der Todesstunde noch einmal seinen Freund erblickt, so gibt das allen beiden Freude, dem Toten und Überlebenden. So verzeihe mir denn, was ich irgend in freundschaftlichem Streite bei unseren geselligen Unterhaltungen gesagt habe, und sage dasselbe auch in meinem Namen zu Hiranyaka und Mantharaka! Man sagt ja: Habe ich mit oder wider Wissen irgendein böses Wort gesprochen, so mögt ihr beide mir verzeihen und gedenkt in größter Liebe mein!“

Nachdem er dies gehört, sprach Laghupatanaka: „Lieber! Solange solche Freunde wie wir existieren, darf man keine Furcht haben! Ich gehe nur, um Hiranyaka zu holen, und komme so rasch als möglich zurück. Was übrigens tüchtige Männer sind, die verlieren auch im Unglück nicht den Kopf.“

Nachdem er so gesprochen und den Chitranga ermutigt hatte, flog Laghupatanaka dahin, wo sich Hiranyaka und Mantharaka befanden und erzählte ihnen ausführlich, daß die Gazelle in eine Schlinge gefallen ist. Dann ließ er Hiranyaka, welcher entschlossen war, den Chitranga aus der Schlinge zu befreien, auf seinen Rücken steigen und kehrte wieder zu Chitranga zurück. Dieser aber, als er die Maus erblickte, faßte wieder etwas Hoffnung auf Rettung und sagte voll Betrübnis: „Ach! Freund! Mit Recht sagt man: Brave Freunde wähle der Kluge, um sich aus Mißgeschick zu retten, denn ein Unglück überwindet keiner ohne Freunde.“

Hiranyaka sagte: „Du bist doch ein wohlverständiger Kenner der Lehren der Lebensweisheit: Wie bist du nur in diese Falle geraten?“ Chitranga antwortete: „Ach! Es ist jetzt keine Zeit zum Disputieren! Zerschneide so schnell als möglich die Schlinge meiner Füße, ehe der böse Jäger kommt!“ Nachdem er dies gehört, sagte Hiranyaka lächelnd: „Lieber! Fürchtest du dich noch vor dem Jäger, nachdem ich schon bei dir bin? Wenn ich an deiner Seite bin, hast du nichts zu befürchten. Aber ich fühle in meinem Geiste einen großen Schmerz, den entferne mir, indem du mir erzählst, wieso du, der du das Auge der Erkenntnis hast, dennoch in die Macht dieser Banden gefallen bist.“ Da sagte die Gazelle: „Wenn du unbedingt hören willst, so erfahre denn, wie ich, obgleich ich schon früher das Unglück des Gefangenwerdens kennengelernt habe, dennoch durch die Fügung des Schicksals mich von neuem habe fangen lassen.“ Dieser sprach: „Erzähle, wieso hast du früher das Unglück des Gefangenwerdens kennengelernt, das alles wünsche ich ausführlich zu hören.“ Und Chitranga sprach:


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