Pushpak Panchatantra Buch 1Zurück WeiterNews

22. Erzählung - Der verbrannte Bettelmönch

In der Hauptstadt Ayodhya im Lande Kosala regierte ein König von großem Glanz und großer Macht namens Purushottama („bester Mann“). Einstmals kam der Gouverneur der Wälder zu ihm und berichtete, daß die Häuptlinge des Waldgebietes sich sämtlich empört hätten unter Antrieb und Anführung von Vindhyaka, dem König der Vindhya-Berge. Der König entsandte seinen ersten Minister Valabhadra, um die Aufrührer zu unterwerfen. Während Valabhadra entfernt war, kam ein nacktgehender Bettelmönch in die Stadt. Dieser hatte durch die verschieden Teile der Sternkunde - welche gebildet werden durch die Fragstellung, Erklärung, Kenntnis der Horä und der Vogelzeichen, Erwägung und Beobachtung des Aufgangs, der Einteilung in neun, zehn, zwölf und dreißig Grade, des Schattens, des unsichtbaren (Rahu), der Verdunklung, des Haupt-Elements, des Sternbilds Mula, des Jupiter und durch die mit dem Widder beginnenden (Zodiakalzeichen) - sich das ganze Land so zu eigen gemacht, als wenn er es gekauft hätte. Als der König eines Tages durch das allgemeine Gerücht von dieser Eigenschaft des Mönches hörte, ließ er ihn aus Neugierde in seinen Palast führen. Und nachdem er ihn aufs Beste aufgenommen hatte, fragte er ihn: „Ist es wirklich wahr? Kennen die Weisen die Gedanken anderer Menschen? Jener sprach: „Der Erhabene wird es aus den Früchten (bzw. Wirkungen) erkennen.“ So wurde der König durch passende Geschichten aufs höchste neugierig gemacht.

Eines Tages ließ der Mönch die Zeit, zu welcher er sich gewöhnlich einstellte vorübergehen, kam erst am Nachmittag in den Palast des Königs und sagte: „Oh König! Ich will dir etwas Angenehmes mitteilen. Ich ließ heute in der Frühe diesen Leib in meinem Studierzimmer und ging in einem für die Götterwelt passenden Körper zum Himmel, indem ich dachte: «Die gesamte Götterschar sehnt sich nach mir.» Jetzt bin ich wieder zurückgekehrt und habe dort von den Göttern den Auftrag erhalten, mich in ihrem Namen nach deinem Wohlergehen zu erkundigen.“

Als er dies hörte, geriet der König in die größte Freude und sprach voll Erstaunen: „Wie Meister! Du gehst in den Himmel?!“ Jener antwortete: „Oh großer König! Ich gehe alle Tage in den Himmel.“ Der leichtgläubige König glaubte ihm und kümmerte sich seitdem weder um Regierungsgeschäfte noch die Freuden seines Harems, sondern war einzig und allein mit ihm beschäftigt. Mittlerweile hatte Valabhadra die Feinde im Waldgebiet geschlagen und war zu des Königs Majestät zurückgekehrt. Da sah er, wie der König den Kreis seiner Minister weit abseits liegenließ, einzig und allein dem nackten Bettelmönch Zugang zu sich gestattete, und mit vor Freude strahlendem lotusgleichen Gesicht ihn wie seinen Lehrer mit den Worten: „Was nun?“ um Rat fragte.

Nachdem er erfahren hatte, wie sich die Sache verhielt, verbeugte er sich vor dem König und sagte: „Es siege der König, der Liebling der Götter!“ Darauf fragte der König den Minister nach seinem Wohlergehen und sagte: „Kennst du diesen Weisen?“ Jener sprach: „Wie sollte ich ihn nicht kennen, da er der oberste Gott vieler Meister ist. Auch sagt man, daß der Meister die Welt der Götter zu besuchen pflegt, ist das wahr?“ Der König sprach: „Alles, was du gehört hast, ist die reine Wahrheit.“ Darauf sagte der nackte Mönch: Wenn es dem Herrn Minister ein Vergnügen macht, so mag er es selbst sehen!“ Nachdem er so gesprochen hatte, ging er wieder in sein Studierzimmer, verriegelte die Tür und blieb darin. Darauf sprach der Minister, nachdem etwa eine Stunde verflossen war: „Majestät! Wie lange dauert es, bis er zurückkommt?“ Der König sprach: „Hast du solche übermäßige Eile? Er muß seinen häßlichen Leib in dem Studierzimmer ablegen und in einem anderen himmlischen Körper dahin gehen.“ Dieser sagte: „Wenn dies wirklich wahr ist, so laß eine Menge Holz und Feuer bringen, damit ich das Studierzimmer in Brand setze.“ Der König sprach: „Aus welchem Grund das?“ Der Minister antwortete: „Majestät, damit er, nachdem dieser Leib verbrannt ist, stets in jenem Körper, in welchem er zur Welt der Götter zu gehen fähig ist, sich an deiner Seite befinde. Es wird ja auch folgende Geschichte erzählt:

23. Erzählung - Der verzauberte Brahmanensohn

In der Stadt Rajagriha lebte ein Brahmane namens Devasarman. Dessen Gattin weinte sehr über ihre Kinderlosigkeit, wenn sie die Kinder der Nachbarn sah. Da sprach eines Tages der Brahmane: „Liebe! Höre auf dich zu grämen! Sieh, ich habe ein Opfer dargebracht, um einen Sohn zu erlangen. Da sprach irgendein unsichtbares Wesen mit deutlichen Worten folgendermaßen: Brahmane! Dieser Sohn wird dir zuteil werden, an Schönheit und Tugend alle Menschen übertreffend und reich an Glück!“ Nachdem sie dies gehört hatte, wurde das Herz der Brahmanin von höchster Seligkeit erfüllt und sie sagte: „Solche Orakel sind untrüglich!“ Im Verlauf der Zeit wurde sie schwanger und brachte bei ihrer Niederkunft eine Schlange zur Welt. Als man diese erblickte schrien alle übrigen: „Werft sie weg!“ Sie kümmerte sich aber nicht darum, sondern nahm sie zu sich, ließ sie baden, legte sie - voll Mutterliebe zu ihrem Sohn - in ein großes reines Gefäß, fütterte sie mit Milch, frischer Butter und ähnlichen Dingen, so daß sie in etlichen Tagen zu ihrer vollen Größe heranwuchs.

Einstmals, als die Brahmanin das Hochzeitsfest eines Nachbarsohns erblickte, wurden ihre Augen von Tränen getrübt und sie sprach zu ihrem Gatten: „Du behandelst mich doch ganz und gar verächtlich, da du dir gar keine Mühe gibst, das Hochzeitfest meines lieben Kindes herbeizuführen!“ Als er dies gehört, sagte der Brahmane: „Ehrwürdige! Da müßte ich in die tiefste Unterwelt gehen und den Schlangenkönig Vasuki ansprechen! Denn wer anders, oh Törin! würde seine Tochter einer Schlange zur Frau geben?“ Als er nach diesen Worten die Brahmanin mit ganz außerordentlich betrübtem Gesicht erblickte, so nahm er, um sie zufrieden zu stellen, etwas Reisezehrung und ging aus Liebe zu seiner Frau in ein fremdes Land. Nachdem er etliche Monate herumgereist war, kam er zu einem Ort namens Kukutanagara. Dort wurde er in dem Hause eines mit ihm bekannten Kastengenossen, in welches er gegen Abend einkehren mußte, mit Bad, Nahrung und allem Zubehör bedient und brachte daselbst die Nacht zu. Als er sich in der Frühe von dem Brahmanen verabschiedet hatte und im Begriff war, weiter zu wandern, so fragte ihn dieser: „Aus welchem Grunde bist du hierhergekommen und wohin wirst du gehen?“ Auf diese Worte entgegnete jener: „Ich bin gekommen, um ein passendes Mädchen für meinen Sohn zur Frau zu suchen.“ Nachdem er dies gehört, sagte der Brahmane: „Wenn dem so ist, so habe ich hier eine überaus passende Tochter und du bist bei mir sehr angesehen; drum nimm diese für deinen Sohn!“

Auf diese Worte nahm der Brahmane das Mädchen samt ihrer Dienerschaft und kehrte nach seinem Wohnort zurück. Als aber die Bewohner dieses Gebiets ihre unvergleichliche, mit den wunderbaren Eigenschaften des höchsten Reizes geschmückte Körperschönheit erblickten, rissen sie vor Liebe die Augen weit auf und sprachen zu ihrem Gefolge: „Wie konntet ihr ein solches Juwel von einem Mädchen einer Schlange ausliefern?“ Nachdem sie dies gehört, wurde das Herz ihrer sämtlichen Begleiter erschreckt und sie sprachen: „Sie muß diesem von dem alten Brahmanen aufgestellten Mörder entrissen werden!“ Darauf sagte die Jungfrau: „Fern sei solch ein Betrug! Denn seht! Könige entscheiden nur einmal; die Guten sprechen nur einmal und nur einmal verlobt man Mädchen: Diese drei geschehen nur einmal. Und ferner: Was vom Schicksal verhängt dir zugemessen ist, das läßt sich nimmermehr ändern. Selbst die Götter mußten das Schicksal von Pushpaka ertragen.“

Darauf fragten alle: „Wer ist dieser mit dem Namen Pushpaka?“, und das Mädchen erzählte:

24. Erzählung - Der Götter Ohnmacht gegen den Gott des Todes

Indra hatte einen Papageien namens Pushpaka („grüner Edelstein“), mit dessen Weisheit es niemand aufnehmen konnte wegen seiner Kenntnis vieler Wissenschaften, und der mit der höchsten Körperschönheit begabt war. Indem dieser einst auf Indras Handfläche saß und sein Körper durch das Vergnügen, welches ihm die Berührung verursachte, anschwoll, sah er zur Zeit, wo er mancherlei Hymnen rezitierend, seinen Hofdienst verrichtete, den Gott der Unterwelt sich nahen und eilte davon. Darauf fragten ihn sämtliche Götterscharen: „Warum bist du denn weggeeilt, als du den Gott der Unterwelt erblicktest?“ Der Papagei sagte: „Das ist der Vernichter von allem Lebenden. Wie sollte man vor dem nicht fliehen?“ Nachdem sie dies gehört, sagten sie alle, um seine Furcht zu beschwichtigen, zum Gott der Unterwelt: „Wahrlich! Du darfst, uns zu Gefallen, diesen Papagei nicht umbringen!“ Der Gott der Unterwelt antwortete: „Ich weiß nicht, der Gott der Zeit wird hier den Ausschlag geben.“ Nachdem sie diese Antwort erhalten hatten, gingen sie zum Gott der Zeit und wiederholten das oben Mitgeteilte. Darauf sagte aber der Gott der Zeit: „Das weiß der Gott des Todes, sprecht mit dem!“ Als sie nun mit dem Papagei zum Gott des Todes gingen, da starb er bereits durch den bloßen Anblick des Todes, und als sie dieses hörten, sprachen sie alle mit verwirrten Sinnen zum Gott der Unterwelt: „Wie geht das zu?“ Darauf sagte der Gott der Unterwelt: „Ihm war es verhängt, beim bloßen Anblick des Todesgottes zu sterben.“ Nachdem sie das gehört hatten, kehrten die Götter zurück in ihre Wohnung. - Daher sage ich: Was vom Schicksal verhängt dir zugemessen ist, das läßt sich nimmermehr ändern. Selbst die Götter mußten das Schicksal von Pushpaka ertragen.

Fortsetzung der 23. Erzählung

„Außerdem“, fuhr das Mädchen fort, „soll meinen Vater durch seine Tochter nicht der Vorwurf einer Lüge treffen.“ Daraufhin wurde sie unter Beistimmung ihres Gefolges mit der Schlange verheiratet. Danach fing sie an, die Schlange, nachdem sie ihr vorher ihre Ergebenheit bezeigt hatte, mit Milch und ähnlichen Dingen zu bedienen. Einst in der Nacht verließ die Schlange ihren großen Korb, welcher sich im Schlafzimmer befand, und stieg auf ihr Lager. Darauf rief die Frau: „Wer ist dieser wie ein Mann Gestaltete?“ Sie dachte, es war ein fremder Mann, sprang auf, riß an allen Gliedern zitternd die Tür auf und wollte eben davoneilen, als er sagte: „Liebe! Bleib doch! Ich bin ja dein Gemahl.“ Und um sie davon zu überzeugen, fuhr er wieder in den Leib, welchen er im Korb gelassen hatte, und verließ ihn alsdann von neuem. Der Mann war mit hoch emporragendem Diadem, mit Ringen, Spangen und Armbändern am oberen und unteren Arm geschmückt und die Frau fiel ihm zu Füßen. Darauf genossen beide die Freude der Liebe. Das sah der Vater, der Brahmane, welcher früher aufgestanden war als der Sohn, nahm die Schlangenhülle, welche im Korb geblieben war, und indem er sagte „Er soll nicht wieder in sie hineinfahren!“, verbrannte er sie im Feuer. In der Frühe alsdann zeigte er seiner Familie voller Freude seinen Sohn, welcher sich einer beständigen Liebe befleißigte und sich wie der trefflichste Sohn benahm.

Fortsetzung der 22. Erzählung

Nachdem er in dieser Erzählung den König einen ähnlichen Fall gelehrt hatte, verbrannte Valabhadra das Studierzimmer mitsamt dem nackten Mönch. - Daher sage ich: Durch Valabhadra's Rat wurde der nackte Bettelmönch verbrannt. So gewann er des Herrn Gnade zurück und sich selbst noch Ehre.

Und Karataka fuhr fort: „Doch wozu dir, einem Toren, Rat geben? Das bringt nur Schaden und keinen Nutzen. Es heißt auch: Kein unkrümmbares Holz krümmt sich; mit Messern schneidet man Steine nicht. Suchimukha! Bedenke dieses: Lehre keinen, der nicht lernen will!“

Da fragte Damanaka „Wie ist das?“, und Karataka erzählte:

25. Erzählung - Die Affen und der Vogel Suchimukha

In einer gewissen Berggegend wohnte einmal eine Affenherde. Diese konnte sich einstmals zur Winterzeit gar nicht zufrieden geben. Ihre Körper zitterten, weil ein sehr kalter Wind sie anwehte, ein Schneefall sie traf und ein heftiger Regenguß auf sie niederstürzte. Einige Affen sammelten daher Gundscha-Früchte, welche Feuerfunken ähnlich sind, stellten sich rings um sie und pusteten, um Feuer zu erlangen. Als aber ein Vogel namens Suchimukha („Spitzschnabel!“) ihre vergebliche Anstrengung sah, sprach er: „Ach, ihr seid alle Toren! Dies sind keine Feuerfunken, es sind Gundscha-Früchte. Wozu also die unnütze Anstrengung? Dadurch könnt ihr euch nicht gegen die Kälte schützen. Drum sucht irgendeine gegen den Wind geschützte Waldgegend, eine Höhle oder Berggrotte! Auch jetzt noch zeigen sich mächtige Regenwolken.“

Darauf sprach einer von diesen zu ihm: „Ha! Du Tor! Was geht das dich an? Halt deinen Schnabel. Es heißt auch: Einen in der Arbeit oft Gestörten und einen Spieler, der verliert, soll ein Kluger nicht anreden, wenn er für sich das Beste wünscht. Und so: Wer Jäger, die umsonst jagen, und Narren, die von Not geplagt sind, törichterweise anredet, der zieht sich selbst ein Übel zu.“

Jener aber, ohne sich raten zu lassen, hörte nicht auf, noch weiter zu den Affen zu sprechen: „He! Wozu die unnütze Mühe?“ Da er aber keinen Augenblick mit Schwatzen nachließ, packte ihn ein Affe, der über die vergebliche Arbeit in Zorn geraten war, an den Flügeln und schleuderte ihn an einen Felsen, so daß er umkam. - Daher sage ich: Kein unkrümmbares Holz krümmt sich; mit Messern schneidet man Steine nicht. Suchimukha! Bedenke dieses: Lehre keinen, der nicht lernen will! Denn Belehrung reizt die Narren nur und beruhigt sie nimmermehr: Das Wasser, das die Schlange einschlürft, dient nur zur Vermehrung ihres Giftes. Und ferner: Belehrung soll man nicht jedem ohne Unterschied geben: Sieh! Wie ein törichter Affe die schön Behauste hauslos macht.“

Da fragte Damanaka „Wie war das?“, und jener erzählte:

26. Erzählung - Der Affe und das Sperlingsweibchen

In einer Waldgegend wohnte einst ein wildes Sperlingspärchen, welches sein Nest auf dem herabhängenden Zweige eines Mimosa-Baums angelegt hatte. Wie sie da nun vergnügt zusammen lebten, fing einst eine winterliche Regenwolke an, langsam in einem fort zu regnen. Mittlerweile kam ein Affe, der vom Wind und Regen getroffen am ganzen Körper erstarrt war und zitternd die Zahn-Zither spielte, zu der Wurzel des Mimosa-Baums und setzte sich nieder. Als ihn das Sperlingsweibchen in dieser Verfassung sah, sagte sie zu ihm: „He! Lieber! Versehen mit Händen und Füßen, siehst du ganz wie ein Mensch aus, doch die Kälte macht dich zitternd, oh Tor! Warum baust du dir nicht ein Haus?“

Nachdem er dies gehört, sprach der Affe voll Zorn zu ihr: „Gemeines Weib! Warum hältst du deinen Schnabel nicht? Ha! Diese Frechheit! Sie sitzt in ihrem Hause und spottet über mich!“ Und dachte: „Das taugenichtsige, spitzmäulige, altklug schwätzende Weib da will unbedenklich stets babbeln. Warum schlage ich sie nicht einfach tot?“ Nachdem er so gedacht hatte, sagte er zu ihr: „Törin! Was hast du dich um mich zu bekümmern? Man sagt auch: Ein Verständiger steht Rede dem, der ihn voll Vertrauen fragt. Wer aber ungefragt redet, der heult gleichsam im wilden Wald.“

Doch wozu viele Worte? Kaum wurde dieser Affe von dem auf ihr eigenes Nest stolzen Weibchen noch einmal angeredet, als er den Mimosa-Baum hinaufkletterte und ihr Nest in hundert Stücke brach. - Daher sage ich: Belehrung soll man nicht jedem ohne Unterschied geben: Sieh! Wie ein törichter Affe die schön Behauste hauslos macht.

So hast auch du, Tor! nichts gelernt, obgleich von ehrwürdigen Lehrern unterrichtet. Vielleicht aber ist es nicht deine Schuld. Denn Weisheit fügt sich zu einem guten, nicht aber zu einem schlechten Charakter. Man sagt auch: Was nützt das Wissen aller Welt an falschem Ort angebracht, wie ein Licht in einer Laterne, die von Blenden verdunkelt ist? So erkennst du, da du unnützes Wissen erlangt hast und meiner Rede kein Gehör gibst, nicht einmal dein eignes Verderben. Du bist also sicher eine Mißgeburt. Es heißt ja: Ein Sohn ist, wie die Schriftkundigen sagen, eine Geburt, Gleichgeburt, Übergeburt oder auch eine Mißgeburt. Geburt ist, wer der Mutter gleich ist, Gleichgeburt, wer dem Vater gleicht, Übergeburt, wer mehr als dieser, und Mißgeburt, wer ganz mißraten ist.

Es heißt auch: Selbst Rama erkannte nicht die Goldgazelle (als Falle für den Raub seiner Gattin Sita), Nahusha nicht, welche Brahmanen er angeschirrt (MHB 5.17); der tausendarmige Arjuna faßte die Absicht, dem Brahmanen die Kuh samt dem Kalbe zu rauben (MHB 3.116); und im Spiel gibt des Dharmas Sohn vier Brüder samt dem Weibe hin (MHB 2.60): Naht das Verderben, verlieren gewöhnlich selbst brave Männer ihre Vernunft. Ferner: Sogar den eigenen Untergang riskiert der Bösewicht, der sich am Unglück anderer erfreut. So tanzt im Angesicht der Schlacht gewöhnlich noch der Rumpf, wenn schon das Haupt hinsank. Ach! Mit Recht sagt man auch dieses: Dharmabuddhi und Papabuddhi sind mir beide wohlbekannt: Vom Sohne ward durch nutzlose Klugheit der Vater im Rauch erstickt.“

Da fragte Damanaka „Wie war das?“, und jener erzählte:

27. Erzählung - Dharmabuddhi und Papabuddhi

In einem gewissen Ort wohnten zwei Freunde, Dharmabuddhi („gerechter Sinn“) und Papabuddhi („übler Sinn“). Da dachte einstmals der übelgesinnte Papabuddhi: „Ich bin doch ein Dummkopf und von Armut geschlagen. Drum will ich mit diesem Dharmabuddhi in die Fremde gehen, mit seinem Beistand Geld erwerben, ihn dann betrügen und so mir eine glückliche Lage verschaffen.“ Eines Tages sagte er zu Dharmabuddhi: „Höre Freund! Wenn du alt wirst, an welche von deinen Taten kannst du dich dann erinnern? Was hast du der Jugend zu erzählen, da du die Fremde nicht gesehen hast? Man sagt ja: Wer nicht in fremdem Land herumwanderte und viele Sprachen, Kenntnisse und ähnliches kennengelernt hat, dessen Geburt trug keine Frucht. Und so: Wissen, Reichtum und Kunst faßt der Mensch nicht eher ordentlich, bis er voll Freude von einem Land zum anderen herumwandert.“

Dieser aber, sobald er diese Worte gehört hatte, nahm vergnügten Herzens von seinen Eltern Abschied und machte sich an einem glücksversprechenden Tage mit seinem Freund auf den Weg in die Fremde. Da wurde durch die Tüchtigkeit des Dharmabuddhi auch von Papabuddhi während der Wanderung sehr großer Reichtum gewonnen. Alsdann kehrten sie alle beide, nachdem sie sich einen großen Schatz erworben hatten, vergnügt, aber sehnsuchtsvoll, nach ihrer Heimat zurück. Denn es heißt auch: Für die, die Weisheit, Kunst und Reichtum in der Fremde erworben haben, wird die Entfernung einer Stunde zu einer Länge von hunderten. Als sie nun in die Nähe ihres Ortes kamen, redete Papabuddhi zu Dharmabuddhi: „Lieber! Es ist nicht dienlich, diesen gesamten Schatz ins Haus zu bringen, denn Familie und Verwandte werden ihn begehren. Drum laß ihn uns hier im Dickicht des Waldes irgendwo in der Erde verbergen und nur mit einem geringen Teil davon nach Hause gehen! Wenn das Bedürfnis eintritt, können wir zusammen wieder hingehen und nur so viel als nötig von diesem Ort wegholen. Man sagt auch: Ein Kluger läßt kein Geld blicken, nicht einmal ein Bißchen. Denn durch des Goldes Anblick wird selbst des Guten Herz aufgeregt. Und so: Wie im Wasser das Fleisch von Fischen, zu Land vom Wild und in den Lüften von Vögeln gefressen wird, so allerwärts, wer Geld besitzt.“

Nachdem er dies gehört, sagte Dharmabuddhi: „Lieber! Ja! So wollen wir es tun!“ Nachdem so geschehen war, gingen sie alle beide nach ihrem Hause und lebten vergnügt zusammen. Eines Tages aber ging Papabuddhi um Mitternacht in den Wald, nahm den ganzen Schatz, füllte die Grube wieder zu und ging nach Hause. Darauf ging er eines Tages zu Dharmabuddhi und sagte: „Freund! Wir haben beide eine große Familie und leiden, weil wir kein Geld haben. Drum laß uns nach dem Ort gehen und etwas Geld holen!“ Jener antwortete: „Lieber! Das wollen wir tun!“ Als sie nun alle beide den Ort aufgruben, sahen sie das Gefäß leer. Da schlug Papabuddhi sich an den Kopf und rief: „Ha! Dharmabuddhi! Du allein, kein anderer, hast das Geld genommen! Denn die Grube ist wieder ausgefüllt. Gib mir die Hälfte von dem, was du versteckt hast, oder ich werde es am Hof des Königs zur Anzeige bringen!“ Dieser sagte: „Ha! Du Bösewicht! Sprich nicht so! Ich bin in Wahrheit Dharmabuddhi (der rechtlich Gesinnte)! Ich tue kein solches Diebeswerk. Es heißt ja: Rechtlich Gesinnte sehen eines andern Weib wie ihre Mutter, andrer Gut wie einen Erdklumpen und alle Wesen wie sich selber an.“

So gingen sie alle beide miteinander zankend zum Gerichtshof, trugen ihre Sache vor und verklagten sich gegenseitig. Als sie nun von den an der Spitze der Rechtsverwaltung stehenden Männern auf ein Gottesurteil verwiesen wurden, sagte Papabuddhi: „Ah! Dieses Urteil ist nicht gerecht. Es heißt ja: Bei Klagen sucht man Urkunden, fehlen diese, nach Zeugnissen; fehlt auch ein Zeuge, erst dann schreiben die Weisen das Gottesurteil vor. So habe ich in dieser Sache die Göttin des Baumes als Zeugin auf meiner Seite, und diese wird einen von uns beiden entweder zum Dieb oder zum ehrlichen Mann erklären. Darauf sagten alle: „Hm! Was du sagst, ist billig. Denn es heißt auch: Selbst wenn ein Mann vom niedrigsten Stand als Zeuge in einer Sache dient, ist kein Gottesurteil passend, geschweige, wo ein Gott es ist. So sind auch wir in dieser Sache sehr neugierig. Morgen in der Frühe sollt ihr mit uns nach der Gegend des Waldes gehen!“

Mittlerweile ging Papabuddhi nach Hause und sagte zu seinem Vater: „Vater! Dieses viele Geld habe ich dem Dharmabuddhi gestohlen, und durch ein Wort von dir kann es uns gesichert werden; wo nicht, dann geht es mit samt meinem Leben verloren.“ Dieser sagte: „Kind! So sage es rasch, damit ich es durch mein Wort sicher mache.“ Papabuddhi sagte: „Vater! In jener Gegend ist eine große Mimosa; und die hat eine große Höhlung. Da gehe du gleich hinein! Wenn ich alsdann morgen früh einen Eid schwöre, dann mußt du sagen, daß Dharmabuddhi der Dieb ist.“

Nachdem dies so abgemacht war, badete sich Papabuddhi am folgenden Morgen früh, zog ein reines Obergewand an, ging hinter Dharmabuddhi zusammen mit den Richtern zu dem Mimosa-Baum und sprach mit durchdringender Stimme: „Die Sonne und der Mond sowie Wind, Feuer, Himmel, Erde und Wasser, das Herz und Yama, der Tag und die Nacht, die Morgen- und Abenddämmerung sowie auch Dharma kennen der Menschen Taten. Oh hehre Waldgöttin! Sag an, wer von uns beiden der Dieb ist!“

Darauf sprach Papabuddhis Vater, welcher in der Höhlung der Mimosa stand: „Ha! Hört, hört! Dieses Geld ist von Dharmabuddhi weggenommen worden!“

Während nun des Königs Diener, nachdem sie dies gehört, mit vor Verwunderung aufgerissenen Augen in den juristischen Lehrbüchern nach einer dem Raub des Geldes angemessenen Strafe für Dharmabuddhi suchten, umgab Dharmabuddhi die Höhlung der Mimosa mit feuerfangenden Gegenständen und zündete sie an. Als aber diese in Feuer geraten war, kam Papabuddhis Vater mit halbverbranntem Körper, die Augen ausgestoßen, kläglich jammernd aus der Höhlung der Mimosa heraus. Da fragten sie ihn alle: „He! Was ist das?“ So befragt, gestand er ihnen den ganzen Anschlag des Papabuddhi ein und starb alsdann. Darauf hingen die Diener des Königs den Papabuddhi an einem Ast der Mimosa auf, belobten den Dharmabuddhi und sprachen: „Ja, mit Recht sagt man folgendes: Den Nutzen soll der Weise erwägen, doch erwäge er den Schaden auch! Vor des törichten Kranichs Augen bringt ein Mungo die Kraniche um.“

Da fragte Dharmabuddhi „Wie war das?“, und jene erzählten:

28. Erzählung - Kranich, Krebs und Mungo

In einer gewissen Waldgegend war ein Feigenbaum voll von vielen Kranichen, und in einer Höhlung desselben wohnte eine schwarze Schlange. Diese brachte ihre Zeit damit zu, daß sie die jungen Kraniche auffraß, noch ehe sie flügge geworden waren. Da stand denn einst ein Kranich, dessen Junge von ihr aufgefressen worden waren, aus Kummer über seine Kleinen mit tränengefüllten Augen und zu Boden gesenktem Gesicht am Ufer des Teichs, und ein Krebs, welcher ihn in dieser Verfassung erblickte, sagte zu ihm: „Freund! Warum weinst du da so?“ Jener antwortete: „Lieber! Was kann ich sonst? Ich Unglücklicher! Meine Jungen und Verwandten sind von einer in der Höhlung des Feigenbaums hausenden schwarzen Schlange gefressen worden. Über dieses Unglück bin ich betrübt und weine. Sag mir nun, ob es irgendein Mittel gibt, diese Schlange zu verderben?“

Nachdem er dies gehört, dachte der Krebs: „Dieser ist doch ein angeborener Feind meines Geschlechts. Darum will ich einen solchen aus Wahr und Falsch gemischten Rat geben, daß auch alle übrigen Kraniche zugrunde gehen. Es heißt auch: Die Stimme weich wie frische Butter und mitleidlos das Herz gemacht! So wird ein Feind ausgerottet, daß er mitsamt seinem Stamm verdirbt.“

Dann sagte er: „Mein Lieber! Wenn du das beabsichtigst, so wirf Stückchen von Fischfleisch von der Tür der Mungo-Höhle an bis zur Höhlung der Schlange, damit der Mungo diesen Weg verfolgt und die böse Schlange umbringt.“

Nachdem so geschehen war, ging der Mungo den Fleischstücken nach, brachte die schwarze Schlange um, fraß aber nach und nach auch alle auf diesem Baume nistenden Kraniche auf. - Daher sagen wir: Den Nutzen soll der Weise erwägen, doch erwäge er den Schaden auch! Vor des törichten Kranichs Augen bringt der Mungo die Kraniche um.“

Und Karataka für fort: „So hat auch jener Papabuddhi nur an seinen Nutzen gedacht, nicht an den Schaden. Drum ist ihm dieser Lohn zuteil geworden. Darum sage ich: Dharmabuddhi und Papabuddhi sind mir beide recht wohlbekannt: Vom Sohne ward durch nutzlose Klugheit der Vater im Rauch erstickt. Auf gleiche Weise hast auch du, Törichter! nur an den Nutzen gedacht, nicht an den Schaden. Darum bist du ein Bösewicht! Du zeigst dich hier ganz wie ein Papabuddhi. Dadurch, daß du deines Herrn Leben in Gefahr gebracht hast, habe ich dich umfassend kennengelernt. Du hast deine Bosheit und Falschheit offenbar gemacht. Ja mit Recht sagt man: Wer würde sich mühen, um der Pfauen hintere Öffnung zu sehen, wenn sie nicht töricht froh tanzten, sobald der Wolken Donner erschallt. - Welche Rücksicht wirst du also auf unsereins nehmen, wenn du sogar deinen Herrn in eine solche Lage bringst? Deswegen muß ich mich notwendig aus deiner Nähe entfernen. Es heißt auch: Wo Mäuse tausend Pfund Eisen fressen, da kann selbst ein Elefant dem Falken zum Raub werden, geschweige denn ein Jüngelchen.“

Da fragte Damanaka „Wie war das?“, und Karataka erzählte:


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