Pushpak Panchatantra Buch 1Zurück WeiterNews

5. Erzählung - Drei Mißgeschicke aus eigner Schuld

An einem gewissen Ort ist ein Kloster, da wohnte ein Bettelmönch mit Namen Devasarman (von den Göttern geliebt), der hatte sich durch den Verkauf vieler feiner Gewänder, welche ihm die Opferherren geschenkt hatten, mit der Zeit eine große Summe Geld erworben. Da traute er nun keinem Menschen mehr. Tag und Nacht trug er es unter dem Arm, ohne es abzulegen. Sagt man ja doch mit Recht: Schwer ist es, Vermögen zu erwerben, und schwer ist auch dessen Bewahrung: Leid beim Gewinn! Leid beim Verlust! Wie voll von Pein ist doch der Reichtum! Da erblickte ihn ein verschmitzter Räuber, Ashadhabhuti mit Namen, mit der Geldsumme unter dem Arm und überlegte: „Wie mach ich es, daß ich ihm dieses Geld abnehme? Ein Loch durch die Mauer zu brechen ist doch nicht möglich, dazu sind die Steine des Gebäudes zu hart; ebensowenig kann man durch die Fenster einsteigen, weil sie zu hoch sind. Deshalb will ich ihm durch gleisnerische Reden Vertrauen einflößen und mich zu seinem Schüler machen, so daß er Zutrauen zu mir faßt. Denn man sagt ja: Wer ohne Habsucht ist, sucht keine Ämter; wer nicht verliebt ist, liebt keinen Putz; wer nicht gebildet ist, kann nicht reden, und wer nicht lügt, betrügt auch nicht.“

Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, ging er zu ihm und sagte: „OM, Verehrung dem Shiva!“ Dann warf er sich auf alle acht (Glieder, die den Boden berühren) vor ihm nieder und sprach demütig: „Oh Erhabener, eitel ist die Welt! Die Jugend gleicht der Schnelle eines Bergstroms, und das Leben einem Strohfeuer! Freuden sind wie der Schatten einer Wolke! Einem Traum gleicht die Verbindung mit Weib und Kind, mit Freund und Dienern! Das habe ich durch und durch kennengelernt. Was muß ich nun tun, damit ich diesen Weltozean durchschiffe?“

Nachdem er dies gehört hatte, sagte Devasarman mit Wohlwollen: „Mein Kind! du bist glücklich, daß du schon in frühester Jugend das Sinnliche so verachtest, denn man sagt auch: Wer seiner Leidenschaft Herr in früher Jugend wird, der ist ganz Herr: Sobald des Körpers Kraft schwindet, wem wird dann Ruhe nicht zuteil? Den Guten wird zuerst die Vernunft alt und der Körper erst hinterher, den Bösen aber zuerst der Körper und die Vernunft zu keiner Zeit. Und da du nach einem Mittel fragst, den Weltozean zu durchschiffen, so höre: Ein Diener oder anderer, selbst ein zopfgeschmückter Ausgestoßener, wird mit Shivas Mantra geweiht und Asche auf seinem Leib zum Brahmanen. Wer mit dem Spruch von sechs Silben („Om Namah Shivaya“) auch nur eine einzige Blume dem Linga auf das Haupt legt, erleidet keine Wiedergeburt mehr.“

Nachdem er dies gehört, umfaßte Ashadhabhuti dessen Füße und sagte demütig: „Oh Ehrwürdiger! dann erweise mir die Gunst, mich in den Gelübden zu unterrichten!“ Devasarman sagte: „Kind! ich werde dir diese Gewogenheit erweisen. Du darfst jedoch bei Nacht nicht ins Kloster treten. Denn die Büßer wie du und ich müssen ohne Umgang leben. Denn man sagt auch: Durch schlechten Rat verdirbt ein König, ein Büßer durch Umgang, ein Sohn, wenn er verzogen wird, ein Brahmane, wenn er nicht studiert, eine Familie durch schlechte Kinder, gute Anlagen durch schlechte Gesellschaft, Freundschaft durch Lieblosigkeit, Reichtum durch Schwelgerei, Liebe durch Entfremdung, Scham durch Trunkenheit, Landbau durch Mangel an Aufsicht, und Geld durch Verschwendung und Sorglosigkeit. Darum mußt du nach Übernahme des Gelübdes vor der Tür des Klosters in einer Laubhütte schlafen.“

Jener antwortete: „Oh Erhabener! dein Befehl ist meine Richtschnur! Denn ich tue dieses für die kommende Welt.“ Nachdem er die Bedingung in Betreff des Lagers eingegangen war, schenkte ihm Devasarman seine Gunst und unterrichtete ihn nach der in den heiligen Büchern beschriebenen Vorschrift. Jener aber bereitete diesem das größte Vergnügen durch Waschen der Hände und Füße, Herbeibringung von Sandelschminke und ähnliche Dienstleistungen. Aber trotz alledem hielt der Mönch das Geld stets unter seinem Arm fest. Indem nun die Zeit so hinging, dachte Ashadhabhuti: „Oh je! der faßt auch nicht das geringste Zutrauen zu mir! Wie wäre es, wenn ich ihn nun am hellen lichten Tag mit dem Messer umbrächte? Oder ihm Gift gäbe? Oder ihn wie ein Vieh abschlachtete?“

Indem er so überlegte, kam zu Devasarman ein Schüler aus einem Dorf, der ihm wie ein Sohn war, um ihn zu sich einzuladen und sagte: „Oh Ehrwürdiger! Mögest du zu meinem Hause kommen, um eine freundliche Bewirtung entgegenzunehmen.“ Nachdem er dies gehört, machte sich Devasarman vergnügten Herzens mit Ashadhabhuti auf den Weg. Indem er nun so ging, kam er an einen Fluß. Nachdem er diesen erblickt, nahm er das Geld unter dem Arm weg, wickelte es sorglich in ein Kleid, badete sich, verrichtete seine Andacht und sprach dann zu Ashadhabhuti: „He, Ashadhabhuti! bewache, während ich meine Notdurft verrichte und bis ich zurückkehre sorgfältig dieses Kleid deines Heiligen!“ Nachdem er dies gesagt, ging er weg. Sowie er aber aus dem Gesichtskreis war, ergriff Ashadhabhuti das Geld und machte sich eilig davon.

Während nun Devasarman, dessen Herz von den Eigenschaften seines Schülers ganz eingenommen war, niederhockte, sah er in der Mitte einer Herde von Goldwolligen (Schafen) einen Widderkampf. Da liefen die beiden Widder voll Wut weit auseinander, stürzten dann wieder aufeinander, und indem sie sich mit den Hörnern ihrer Stirn stießen, strömte viel Blut herab. Dieses leckte ein Schakal mit gieriger Zunge auf, indem er auf den Fechtboden trat. Devasarman aber, indem er dieses sah, dachte bei sich: „Oh, wie dumm ist dieser Schakal! Ich bin überzeugt, wenn er auch nur ein klein wenig zwischen sie gerät, wenn sie aufeinander stürzen, so ist er sicher des Todes.“ Und einen Augenblick darauf geriet der Schakal aus Begierde nach dem Blut zwischen ihre zusammenstoßenden Köpfe und war tot. Devasarman aber bemitleidete ihn, und nachdem er sich gereinigt hatte, machte er sich auf den Weg nach seinem Geld. Wie er nun so allmählich ankommt, sieht er Ashadhabhuti nicht, und wie er voll Unruhe das Kleid untersucht, so ist das Geld nicht darin. Darauf fiel er mit dem Ausruf „Weh, weh, ich bin bestohlen!“ ohnmächtig auf den Erdboden. Alsbald aber kam er wieder zur Besinnung, sprang wieder vom Boden auf und fing an zu wüten: „Oh, oh, Ashadhabhuti! wohin bist du gegangen, nachdem du mich betrogen hast? Gib mir doch Antwort!“

Nachdem er in dieser Art vielfach geklagt hatte, machte er sich langsam auf den Weg, indem er dessen Fußspuren aufsuchte. So gehend kam er gegen Abend zu einem Dorf. Aus diesem Dorf aber hatte sich ein Weber samt seinem Weibe nach einer benachbarten Stadt auf den Weg gemacht, um berauschende Getränke zu genießen. Wie er sie erblickte, sagte Devasarman: „Oh Lieber! ich komme als abendlicher Gast zu dir, denn ich kenne keinen Menschen in diesem Dorf. Drum erfülle die Pflicht der Gastfreundschaft! Denn man sagt auch: Am Abend soll kein Hausvater den Gast abweisen, den ihm die Sonne bringt, denn durch seine Pflege werden Hausväter Göttern gleich. Und so: Laub und Wasser sowie Erde und als viertes ein freundlich Wort, die gehen in eines braven Mannes Behausung nimmermehr zu Ende. Das Willkommen erfreut Agni, das Niedersitzen Indra, der Füße Reinigung die Ahnen, Speise und Trank den Großen Vater.“

Der Weber aber, nachdem er dies gehört, sagte zu seiner Frau: „Liebe, gehe du mit diesem Gast nach Hause! Besorge ihm die Fußreinigung, Speise, Lager und ähnliches, und bleibe dort. Ich werde dir einen tüchtigen Schluck mitbringen.“ Nachdem er dies gesagt, ging er weiter. Seine Frau aber, welche eine Buhlerin war, nahm ihn mit freudigem Antlitz nach Hause mit, im Herzen jedoch dachte sie an ihren Liebhaber Devadatta („von den Göttern gegeben“). Sagt man ja doch mit Recht: An verregnetem Tage, in wolkiger Nacht, in einsamen Straßen oder wenn der Mann in der Fremde ist, da freut sich das geile untüchtige Weib. Und so: In der Sänfte sich auszustrecken, ein liebevoller Mann, ein herzerfreuendes Lager - das ist dem verliebten Weibe, das nach verstohlener Lust begehrt, nur soviel wie ein Grashalm wert. Und so: Wollust verzehrt ihr das Mark, Liebe die Knochen, leidenschaftliches Liebesgeschwätz ist der Buhlerin Lust, aber vom Gatten ist ihr nichts genehm. Und so: Des Hauses Fall, der Menschen Tadel, Gefängnis selbst und Lebensgefahr läßt sich die Buhlerin gefallen und läßt nicht los vom fremden Mann.

Des Webers Frau ging darauf nach Hause, wies dem Devasarman eine zerbrochene Bettstelle ohne Betten an und sagte: „Oh Ehrwürdiger! bleib hier in unserem Hause und gib Acht, bis ich mit einer Freundin, die aus dem Dorf gekommen ist, gesprochen habe und so schnell wie möglich wieder zurück bin.“

Nachdem sie so gesprochen und ihren schönsten Putz angelegt hatte, ging sie zu Devadatta. Da kommt grade ihr Mann auf sie los mit vor Trunkenheit schlotterndem Körper, mit fliegendem Haar, bei jedem Schritt stolpernd und die Schnapsbuttel in der Hand. So wie sie ihn erblickte, kehrte sie schleunig um, ging ins Haus, legte den Schmuck ab und war wie vorher. Der Weber, da er sie fliehen und so überaus geschmückt sah, außerdem schon früher durch das Gerede der Leute üble Gerüchte von ihr gehört hatte und dadurch im Herzen aufgebracht war, aber seine Empfindungen verborgen hatte, hielt sich, wie er dies so gestaltige Treiben erblickte, von der Wahrheit überzeugt und geriet in heftigen Zorn. Er trat ins Haus und sagte zu ihr: „Ah, du gemeine Buhlerin! Wohin wolltest du gehen?“

Sie antwortete: „Seitdem ich von dir weg bin, bin ich nirgends hin zur Tür herausgetreten. Wie kannst du also von Schnaps berauscht so Ungebührliches von mir reden? Sagt man nicht mit Recht: Geistesverwirrung, Umsinken, Sprechen von Ungebührlichem und alle Zeichen des Wahnsinnes zeigt der Zustand eines Trunkenbolds. Wie dem Trunkenbold die Hände, so zittert der Sonne Strahlenkranz; wie der Trunkenbold sein Kleid läßt, so die Sonne den Himmelskreis; wie der Trunkenbold die Stärke, so verliert die Sonne ihre Kraft; wie der Trunkenbold von Zorn erglüht, so wird von Glut die Sonne rot: So widerfährt selbst der Sonne Ähnliches, wie dem Trunkenbold.“

Er aber, da er diese widerspenstige Rede vernahm und sah, daß sie den Schmuck abgelegt hatte, sagte zu ihr: „Du Ehebrecherin! Schon lange habe ich von deinem schlechten Ruf gehört. Darum will ich, nachdem ich mich jetzt mit meinen eigenen Augen davon überzeugt habe, dich bestrafen, wie du es verdienst.“

Nachdem er so gesprochen, schlug er ihr den Leib mit Stockprügeln mürbe, band sie dann mit einem tüchtigen Strick an einen Pfosten und verfiel alsdann, von Trunkenheit überwältigt, in Schlaf. Mittlerweile kam die Freundin des Weibes, die Frau eines Barbiers herbei, und da sie den Weber schlafen sah, sagte sie: „Freundin, Devadatta wartet an dem bewußten Ort, komm also schnell hin!“ Jene antwortete: „Sieh doch in welchem Zustand ich bin, wie kann ich kommen?! Geh du also und sage dem Geliebten, daß ich jetzt nicht mit ihm dort zusammenkommen kann.“

Die Barbiersfrau aber sagte: „Freundin, sprich nicht so! Das kommt einer Buhlerin nicht zu. Man sagt ja: Die fest und ausdauernd süße Früchte erstreben, selbst von gefährlichem Ort, die scheinen mir Kamelen gleichsam, und hoch zu preisen ist ihre Geburt. Und so: Da eine zukünftige Welt zweifelhaft ist und der Leute üble Nachrede mannigfach, so sind diejenigen glücklich, die der Jugend Frucht in den Armen eines ihnen gehörigen Galans genießen. Und ferner: Wenn durch des Schicksals Fügung selbst ein mißgestalteter Mann der Buhlerin heimlich verbunden ist, dann liebt sie selbst den schönsten eigenen Gatten nicht, auch wenn es ihr größtes Mißgeschick brächte.“

Jene sagte: „Wenn du so meinst, so sprich, wie kann ich wegkommen, da ich mit starkem Strick festgebunden bin und mein Mann in der Nähe ist!“ Die Barbiersfrau antwortete: „Freundin! der ist vom Rausch überbewältigt und wird nicht eher aufwachen, als bis ihn die Strahlen der Sonne berühren. Drum will ich dich losmachen. Binde du mich statt deiner an und komm zurück, sobald du dich mit Devadatta unterhalten hast.“ Jene antwortete: „So sei es!“

Nachdem so geschehen war, stand nach einiger Zeit der Weber auf. Sein Zorn hatte sich ein wenig gelegt, der Rausch war verflogen und er sagte zu ihr: „He, du! die du dich an andere Männer machst! Wenn du von jetzt an nicht mehr aus dem Hause gehst und dich nicht mit anderen Männern abgibst, dann will ich dich losbinden.“ Aber die Barbiersfrau gab aus Furcht, sich durch ihre Stimme zu verraten, keine Antwort darauf. So wiederholte er dieselben Worte mehrere Male. Da sie aber auch nicht das Geringste zur Antwort gab, geriet er von neuem in Zorn, nahm ein scharfes Messer und schnitt ihr die Nase ab. Dann sagte er: „He, du Ehebrecherin! bleib du nur stumm! Ich werde dir kein gutes Wort mehr geben.“ So sprechend fiel er wieder in Schlaf.

Devasarman aber, der wegen des Verlustes seines Geldes und weil seine Kehle von Hunger abgezehrt war, nicht einschlafen konnte, beobachtete dieses ganze Treiben der Frau. Die Webersfrau ihrerseits, nachdem sie nach Herzenswunsch der Liebe Lust mit Devadatta genossen hatte, kam nach einiger Zeit nach Hause zurück und fragte die Barbiersfrau: „Geht es dir gut? Ist dieser Bösewicht nicht aufgestanden, seitdem ich weg bin?“ Die Barbiersfrau sagte: „Von der Nase abgesehen, befindet sich mein übriger Körper wohl. Nun mach mich rasch vom Strick los, ehe er mich sieht, damit ich nach meinem Hause gehe!“

Nachdem dies so geschehen war, stand der Weber wieder auf und sagte zu ihr: „Du Ehebrecherin! sprichst du auch jetzt noch nicht? Soll ich dir noch eine andere stärkere Strafe zufügen und dir die Ohren abschneiden?“ Da aber sagte sie zornerfüllt folgende vorwurfsvollen Worte: „Pfui und nochmals Pfui über dich, du großer Tor! Wer wäre fähig, mich, ein so keusches und gattenergebenes Weib zu verletzen oder zu verstümmeln? Alle Welthüter zusammen mögen es hören! Man sagt ja: Sonne und Mond, Erde, Feuer, Wind und Raum, das Herz, Tag und Nacht, die beiden Dämmerungen sowie auch Yama und Dharma (der Gott der Toten und der Gerechtigkeit) kennen der Menschen Taten. Wenn ich also keusch bin, dann mögen diese Götter meine Nase so unversehrt machen, wie sie früher war. Wenn ich aber auch nur in Gedanken nach einem anderen Mann verlangt habe, dann mögen sie mich in Asche verwandeln!“

Nachdem sie dies gesagt, sprach sie weiter: „Siehe, du Bösewicht! Kraft der Macht meiner Keuschheit ist meine Nase wieder ganz ebenso geworden.“ Wie er nun ein Licht nimmt und zusieht, so hatte sie dieselbe Nase wie früher, und auf der Erde war ein großer Blutstrom. Voll Verwunderung löste er sie vom Strick, hob sie auf, legte sie aufs Bett und suchte sie durch hundert Liebkosungen zufrieden zu stellen.

Devasarman aber sah den ganzen Vorgang mit an und sagte mit Erstaunen im Herzen Folgendes: „Alles was Usanas gewußt hat und alles was Vrihaspati weiß (die Lehrer der Dämonen und Götter), reicht nicht an des Weibes Klugheit: Gegen diese gibt es keinen Schutz! Lüge verwandeln sie in Wahrheit, und Wahrheit wiederum in Lüge. Wie können sich ihrer selbst Weise in dieser Welt erwehren? An einem andern Ort wird auch gesagt: Nicht allzusehr soll man an Weibern hängen; unmäßig sonst wird die Gewalt des Weibes, und wie mit Krähen, denen die Flügel gestutzt sind, so spielt sie mit allzu ergebenen Männern. Sie reden mit freundlichem und schönem Mund, und greifen mit eisigem Herzen an. Honig liegt auf der Frauen Lippen, aber im Herzen nichts als Gift. Betört durch die kurze Freude, saugen die Männer an ihren Lippen; deren Herz aber schlagen sie nur mit Fäusten - wie es Bienen mit dem Lotus machen, wenn sie nach Nektar gieren. Und ferner: Der Gefahren Strudel, der Unverschämtheit Wohnung, der Waghalsigkeiten Residenz, der Sünden Niederlage, die Behausung von hundert Listen, der Unzuverlässigkeiten Gefilde - dieser selbst den großen Meistern unter den geschicktesten Männern unbegreifliche Korb aller Gaukeleien - dies als Frau gestaltete und mit Ambrosia gemischte Gift, von wem ist es zum Untergang des Rechts in der Welt geschaffen worden? Die Gazellenäugigen, an denen gerühmt wird: Härte des Busens (kein Mitleid), der Augen Lebhaftigkeit (Flatterhaftigkeit), des Mundes Kleinheit (Trug), der Lockenfülle Gekräusel (Falschheit), der Rede Schmachten (Torheit), der Hüften Fülle (Dummheit), denen stets nachgesagt wird des Herzens Ängstlichkeit (Grausamkeit), die klug (trügerisch) sich gegen den Liebenden benehmen und deren Charakter eine Legion von Sünden ist - warum sind diese den Männern so lieb? Ihr Weinen und ihr Lachen geschieht mit Absicht; sie wissen den Mann zutraulich zu machen und trauen selber niemals: Drum soll der Mann, dem Haus und Tugend lieb ist, die Weiber meiden wie Krüge von einem Friedhof (die rituell unrein sind).

Die Könige der Tiere mit grauenerregender Mähne, Elefanten erglühend im Strome des reichen Brunstsaftes, verständige Männer, Helden im Schlachtgewühl: sie werden alle in der Frauen Nähe zu schwachen Geschöpfen. So lange handeln sie zuerst zum Gefallen, als sie den Mann noch nicht gefesselt wissen. Doch sehen sie ihn fest in der Liebe Band, dann heraus mit ihm gleichwie der Fisch am Köder. Und: Es gleicht des Meers Gewoge in seinem Schwanken, nur einen Moment glühend wie die Abendröte, und gleich wirft das Weib den Mann weg, wie eine ausgepreßte Masse, die sie ausgesaugt hat. Sie betören, sie berauschen, sie betrügen, sie bedrohen, sie entzücken und sie betrüben. Was gibt es, was nicht die lieblich Blickende treibt, sobald sie liebend des Mannes Herz verstrickt? Denn von innen sind die Frauen voll Gift, von außen lieblich anzuschauen, gleichwie rote giftige Beeren, wie aller Welt bekannt.“

Indem der Bettelmönch so dachte, ging ihm die Nacht unter großem Leid hin. Die Kupplerin mit der abgeschnittenen Nase ging nach ihrem Hause und überlegte: „Was soll ich nun tun? Wie läßt sich dieser große Riß schließen (die Gefahr überwinden).“ Nun hatte der Mann dieser Frau, welche so überlegte, seines Geschäfts wegen die Nacht im königlichen Palast zugebracht. In der Frühe war er nach Hause zurückgekehrt und noch in der Nähe der Tür rief er, wegen des Drangs seiner vielen Geschäfte in der Stadt, seiner Frau zu: „Liebe! bringe mir rasch das Kästchen mit den Rasiermessern, damit ich gehe, um meine Geschäfte in der Stadt zu besorgen!“ Sie aber mit der abgeschnittenen Nase blieb in der Mitte des Zimmers stehen, und indem sie mit einem Trick ihren Zweck zu erreichen versuchte, nahm sie nur ein Messer aus dem Kästchen und warf es ihm entgegen. Der Barbier, da er nur dies eine Messer sah, geriet vor Eifer in Zorn und schleuderte es zurück. Während dies hin und herging, hob diese Bösewichtin ihre Arme in die Höhe und stürzte zum Hause heraus, um wütend zu schreien: „Weh, weh, seht! Dieser Bösewicht hat mir, die ich mich stets brav betragen habe, die Nase abgeschnitten! Helft mir, helft mir!“ Sogleich kamen Polizeidiener herbei, schlugen den Barbier mit Stockprügeln windelweich, banden ihn mit starken Fesseln und führten ihn samt seiner Frau mit der abgeschnittenen Nase in das Obergerichtsgebäude und sprachen zu den Richtern: „Hört, ihr Herren Richter! Von diesem Barbier ist diese Perle von einer Frau, ohne daß sie etwas getan hat, verstümmelt worden. Drum möge ihm geschehen, was er verdient!“

Nach diesen Worten sagten die Richter: „He, Barbier! Warum hast du deine Frau verstümmelt? Hat sie etwa ein Begehren nach einem andern Mann gezeigt? Oder hat sie irgendwie deinem Leben nachgestellt? Oder hat sie sich eines Diebstahls schuldig gemacht? Sag an! Worin hat sie sich vergangen?“

Der Barbier aber, dessen Körper von Schlägen windelweich war, war unfähig eine Antwort zu geben. Da sagten die Richter: „Oje! Was die Polizeidiener gesagt haben, ist wahr. Er hört nicht! Er ist ein Bösewicht. Die Arme ist von ihm ohne ihr Verschulden mißhandelt worden! Man sagt ja: Lautlos, farblos, furchtsam blickend, mit zusammengesunkener Kraft wird der Mann, der Böses getan hat, durch seine eigene Tat erschreckt. Und so: Schwankenden Schrittes schreitet er mit entfärbtem Gesicht heran, auf der Stirn stehen ihm Schweißtropfen und stotternd kommt sein Wort heraus. Zitternd und zu Boden blickend ist stets der Mann, der Böses tat. Drum mögen ihn Kundige durch diese Zeichen sorglich erkennen. Und andererseits: Mit heiterem Antlitz und freudig, mit deutlichem Wort und kühnem Blick spricht angemessen im Gerichtssaal voll Zuversicht der Redliche. Somit trägt dieser alle Zeichen eines Verbrechers. Auf Mißhandlung einer Frau steht der Tod. Deshalb soll er auf einen Pfahl gespießt werden!“

Als darauf Devasarman ihn zum Richtplatz geführt sah, ging er zu den Richtern und sagte: „Ach! dieser Arme wird mit Unrecht hingerichtet. Der Barbier ist ein ehrlicher Mann. Hört, was ich sage! Der Schakal durch ein Widderfechten und ich durch Ashadhabhuti, die Kupplerin durch Stellvertretung - drei Mißgeschicke aus eigener Schuld.“

Darauf sagten die Richter zu ihm: „Oh Ehrwürdiger! wie war das?“ Alsdann erzählte Devasarman die Geschichte von allen drein ausführlich. Nachdem die Richter alles gehört hatten, waren sie sehr erstaunt, ließen den Barbier los und sagten zueinander: „Ach! Nicht töten darf man Brahmanen, Kinder, Weiber, Kranke und Büßer: Selbst bei schwersten Verbrechen sollten diese nur Verstümmlung erleiden. Den Verlust der Nase hat sie sich durch ihre eigene Handlung zugezogen. Als Strafe im Namen des Königs müssen ihr also die Ohren abgeschnitten werden.“

Nachdem dies geschehen, ließ auch Devasarman den Kummer über den Verlust seines Geldes fahren, und ging zu seinem Kloster zurück. Daher sage ich: Der Schakal durch ein Widderfechten, ich durch Ashadhabhuti, die Kupplerin durch Stellvertretung - drei Mißgeschicke aus eigener Schuld.“

Darauf sprach Karataka: „Aber da die Dinge in dieser Lage sind, was sollen wir beide nun tun?“ Und Damanaka antwortete: „Selbst in dieser Lage wird mein Verstand solch eine Tätigkeit entfalten, daß ich damit Sanjivaka von dem Herrn trennen werde. Denn man sagt auch: Den einen ja, den andern nicht tötet des Bogenschützen Pfeil. Des Verständigen Verstand aber schießt Fürst und Fürstentum gleichzeitig nieder. Drum werde ich Betrug verbunden mit versteckter Heuchelei entfalten und ihn zerschmettern.“

Karataka sagte: „Lieber! wenn Pingalaka oder Sanjivaka deinen Betrug auch nur ein klein wenig merken, dann ist dein Verderben gewiß.“ Doch jener antwortete: „Väterchen, sprich nicht so! Männer von tiefem Verstand müssen zur Zeit des Unglücks, selbst wenn das Schicksal stürmisch ist, von ihrem Verstand Gebrauch machen. Man darf es zu keiner Zeit an Anstrengung fehlen lassen! Der Verstand erhält die Gesamtherrschaft nach Art wie der Holzwurm einmal einen Buchstaben hervorbringt (d.h. durch stetes unausgesetztes Bohren). Denn man sagt auch: Laß nie den Mut sinken, wenn auch das Schicksal stürmt: Durch Mut gewinnt man öfters festen Boden. Denn selbst im Meer, kaum daß vorbei der Sturm ist, begehrt der Seefahrer nach seinem Werke. Und so: Dem Mutigen bringt das Glück Hilfe. Denn „Schicksal, Schicksal!“ ist der Feigen Ausruf. Laß das Geschick! Wende nach Kräften Mut auf! Wenn trotz Kampf du nicht gewinnst, ist es nicht deine Schuld. Dies beherzigend werde ich sie durch die Macht tief verborgener Klugheit auf solche Weise voneinander trennen, daß sie alle beide nichts merken sollen. Man erzählt auch: Eines wohlverborgenen Truges Ende findet selbst Brahman nicht: Ein Weber in Gestalt Vishnus gewinnt des Königs Töchterlein.“

Da fragte Karataka „Wie war das?“, und jener erzählte:

6. Erzählung - Der Weber als Vishnu

An einem gewissen Ort wohnten zwei Freunde: ein Weber und ein Zimmermann. Diese hatten sich von ihrer Kindheit an sehr lieb und ihre Zeit verging ihnen, indem sie sich stets an demselben Ort miteinander vergnügten. Einst war nun an diesem Ort bei einem Göttertempel ein großes mit einem Aufzug verbundenes Fest. Es war ein Gewirr von Schauspielern, Tänzern und Sängern, und Menschen aus den verschiedensten Ländern waren zusammengeströmt. Indem nun die beiden Freunde dazwischen miteinander herumschweiften, erblickten sie eine Königstochter, auf einem jungen Elefanten sitzend, die mit allen Reizen geschmückt, von Haremsdienern und Eunuchen umgeben, herbeigekommen war, um das Götterbild (von Vishnu) zu sehen. Der Weber stürzte sogleich, nachdem er sie erblickt hatte, von den Pfeilen des Liebesgottes getroffen zu Boden, als ob er Gift getrunken hätte oder von einem bösen Geist gepackt wäre. Der Zimmermann aber, als er ihn in diesem Zustand sah, fühlte Mitleid über dessen Schmerz und ließ ihn von starken Männern aufheben und in sein Haus bringen. Da wurde er denn durch Anwendung von mancherlei kühlenden Mitteln, welche vom Arzt vorgeschrieben waren, und durch den Gebrauch von Beschwörungen nach langer Zeit mit Mühe zum Bewußtsein gebracht. Darauf fragte ihn der Zimmermann: „Oh Freund! Warum bist du so ganz ohne Veranlassung in Ohnmacht gefallen? Erzähle es mir der Wahrheit gemäß!“ Dieser antwortete: „Wenn du es willst, so höre es von mir, wenn wir ganz allein sind, damit ich es dir ohne etwas zu verbergen sage.“ Nachdem so geschehen, sagte er zu ihm: „Lieber! wenn du mich wirklich wie einen Freund liebst, so erweise mir die Gunst, Holz zu meinem Scheiterhaufen zu tragen! Gewähre mir meine Bitte! Denn was selbst bei geringer Zuneigung geschieht, das ist infolge deine großen Zuneigung für dich nicht unangemessen.“

Jener aber, als er dieses hörte, sagte mit tränenerfüllten Augen und gebrochener Stimme: „Was auch der Grund deines Leides sei, sprich es aus, damit Hilfe angewendet werde, wenn sie möglich ist. Denn man sagt ja: In dieser Welt gibt es nichts, was sich irgend in Brahmans Ei befindet, was nicht durch Kräuter, Geld, Rat und weiser Klugheit zu richten wäre. Wenn es also durch diese vier zum Ziel geführt werden kann, so werde ich es zum Ziel führen.“

Der Weber sagte: „Gegen mein Leid helfen weder diese noch tausend andere Mittel. Deswegen verzögere meinen Tod nicht!“ Der Zimmermann aber antwortete: „Lieber Freund! Trotzdem tu es mir kund, damit auch ich, wenn ich finde, daß hier nicht zu helfen ist, mich mit dir ins Feuer stürze. Die Trennung von dir werde ich auch nicht einen Augenblick ertragen. Das ist mein fester Entschluß.“

Da sprach der Weber: „Mein Jugendfreund! so höre denn! Unmittelbar, nachdem ich die Königstochter auf dem Elefanten bei dem Feste erblickt hatte, wurde ich durch den erhabenen Liebesgott, der den Fisch in der Fahne führt, in diesen Zustand versetzt. Nun kann ich diesen Schmerz nicht mehr ertragen. Es heißt ja auch so: Wann werde ich schlafen, müde vom Liebeskampfe, die Brust in das safran-feuchte runde Milchhügelpaar gesenkt, ruhend im Käfig der Arme, nur ein Moment genießend ihre Umarmung? Und so: Die kirschrote Lippe, das kelch-gleiche im Stolz der Jugend blühende Busenpaar, der tiefgesenkte Nabel, die gebogene Lotusblume der Scham und des Leibes zierlich schmale Mitte: die freilich mögen, leidenschaftlich gedacht im Herzen, wohl Schmerz erregen; doch daß mich ihre klaren Wangen fort und fort verzehren, das ziemt sich nicht.“

Der Zimmermann aber, nachdem er diese verliebte Rede gehört hatte, sagte lächelnd: „Mein Jugendfreund! Wenn das der Grund ist, so ist glücklicherweise unser Ziel erreicht! Noch am heutigen Tage sollst du eine Zusammenkunft mit ihr haben.“ Der Weber sagte: „Lieber Freund! Während nichts außer dem Winde in des Mädchens Gemach gelangen kann, wie sollte da, zumal es von Wächtern beschützt ist, eine Zusammenkunft mit ihr möglich sein? Warum täuschst du mich nun mit trügerischer Rede?“ Doch der Zimmermann bestätigte: „Freund! Du sollst die Macht meines Verstandes sehen!“

Nachdem er dies gesagt, verfertigte er sogleich aus dem Holz eines windgezeugten Baumes einen auf einem Stift sich bewegenden Garuda-Vogel, sowie auch ein mit der Muschel, der Scheibe, der Keule und dem Lotus versehenes Paar Arme samt dem Diadem und dem Brustjuwel (alle äußerlichen Merkmale der Vishnu-Ikonographie). Dann ließ er den Weber sich darauf setzen, und nachdem er ihn mit den Abzeichen des Vishnu versehen hatte, zeigte er ihm die Maschinerie des Stifts und sagte: „Mein Jugendfreund! Um Mitternacht geh in dieser Gestalt des Vishnu in das Gemach des Mädchens, erwirb dir durch gleisnerische Worte die Liebe der Königstochter, welche allein am Ende des mit sieben Stockwerken versehenen Palastes wohnt, unerfahrenen Sinnes dich für Vishnu halten wird, und genieße sie.“

Der Weber aber, nachdem er dies gehört, ging in dieser Gestalt dahin und sagte zu ihr: „Prinzessin! Schläfst du oder wachst du? Um deinetwillen komme ich in eigener Person vom Milchmeer voll Liebe zu dir, verlassend die Lakshmi (Vishnus Gattin, die Göttin des Wohlstandes). Drum komm in meine Arme!“ Sie aber, da sie ihn auf dem Vogel Garuda reiten, vierarmig mit Waffen und Vishnus Brustjuwel sah, erhob sich voll Erstaunen von ihrem Lager, legte andächtig die Hände zusammen und sprach: „Oh Erhabener! Ich bin eine unreine, wurmgleiche Sterbliche, und du der Gegenstand der Verehrung und Schöpfer der drei Welten. Wie kann also so etwas geschehen?“ Der Weber antwortete: „Beglückte! Was du sagst, ist wahr. War aber nicht meine Gattin namens Radha einst im Geschlecht des Nanda geboren? Diese hat sich in dir verkörpert. Darum bin ich hierhergekommen.“

Aber jene sprach: „Wenn es sich so verhält, so wende dich mit deinem Verlangen an meinen Vater, damit auch er unbedenklich mich dir übergibt.“ Doch der Weber sagte: „Glückliche! Ich lasse mich nicht von Menschen sehen, geschweige, daß ich mich mit ihnen unterhielte! Drum übergib dich mir nach der Sitte der Gandharva-Ehe (ohne formelle Rituale und Wissen der Eltern)! Wo nicht, so spreche ich einen Fluch, der deinen Vater samt seinem Geschlecht in Asche verwandelt.“

Nachdem er dies gesagt, stieg er vom Garuda herab, faßte ihre linke Hand, führte die Erschreckte, Verschämte und Zitternde zum Lager, und nachdem er darauf den Rest der Nacht gemäß den von Vatsyayana (im Kamasutra) gegebenen Lehren mit ihr gekost, kehrte er in der Morgendämmerung, ohne gesehen zu werden, nach seinem Hause zurück. So verging ihm die Zeit, indem er stets mit jener der Liebe pflegte. Einstmals aber bemerkten die Diener des Harems, daß ihre korallengleiche Unterlippe Spuren von Bissen zeigte, und sagten zueinander: „He da! seht einmal! Die Glieder des Körpers der Prinzessin sehen aus, als ob sie von einem Mann geliebt wäre. Wie ist nun ein solcher Verkehr in dem so wohlbewachten Hause möglich? Wir müssen das dem König mitteilen!“

Nachdem sie dies beschlossen hatten, gingen sie alle zum König und sagten: „Oh Herr! wir wissen nicht wie, aber trotzdem, daß dieses Haus wohlbewacht ist, gelangt ein Mann in das Gemach der Prinzessin. Der Herr hat nun zu befehlen!“

Der König, nachdem er dies gehört, überlegte mit verstörtem Sinn: „Ein Mädchen ist geboren!“ Schon das bedeutet große Sorge: „Wer soll sie freien?“ Das erfordert große Überlegung, und dann dies Bedenken: „Ob sie Glück hat in der Ehe oder Unglück?“ - unglücklich fürwahr! ist eines Mädchens Vater! Bei Mädchen und Flüssen ist ähnliches Treiben: Durch das Wasser der einen fallen die Ufer, durch das Laster der anderen die Häuser. Und so: Zur Welt gebracht, raubt sie der Mutter Herz. Sie wächst heran unter der Freunde Sorge, doch selbst verehelicht, bringet sie noch Schimpf auf sich. Ach! Töchter sind unüberwindliches Mißgeschick!

Nachdem er in dieser Weise mehrfach überlegt hatte, sagte er, als sie allein waren, zu seiner Gemahlin: „Königin! Was diese Haremsdiener sagen, muß untersucht werden. Gegen den, durch welchen dieses Verbrechen begangen ist, ist der Gott des Todes sehr erzürnt.“ Die Königin aber, als sie dies gehört, wurde ganz verstört, ging eilig in des Mädchens Gemach und sah, wie der Tochter Lippen zerbissen und die Glieder ihres Körpers von Nägeln zerkratzt waren. Darauf sagte sie: „Ach! du Schlechte, die du deiner Familie Schimpf und Schande bereitest, warum hast du deine Tugend so zugrunde gerichtet? Wer ist der vom Todesgott Ausersehene, der sich dir naht? Sage mir die reine Wahrheit!“

Als die Mutter so vor Zorn und Stolz gewaltig redete, senkte die Prinzessin aus Furcht und Scham ihr Gesicht zu Boden und sprach: „Oh! Mutter! Der erhabene Vishnu kommt jede Nacht auf dem Garuda reitend leibhaftig zu mir. Wenn meine Rede nicht wahr erscheint, so kann sich irgendeine Frau an einen unsichtbaren Ort verstecken und um Mitternacht den erhabenen Gemahl der Lakshmi erblicken.“

Diese aber, nachdem sie dies gehört, ging mit freudestrahlendem Gesicht, indem ihr vor Lust die Härchen an allen Gliedern in die Höhe starrten, eilends zum König und sagte: „Oh König! Glück und Segen wird dir zuteil! Beständig naht sich in der Nacht der erhabene Vishnu deiner Tochter. Er hat sie nach der Regel der Gandharva-Ehe zur Gattin genommen. Du und ich wollen heute nacht ans Fenster treten, um ihn um Mitternacht zu sehen; denn in eine Unterhaltung mit Menschen läßt er sich nicht ein.“

Nachdem er dies gehört, war der König so erfreut, daß ihm der Tag hundert Jahre lang zu sein schien. Als nun der König mitsamt seiner Frau in der Nacht am Fenster versteckt stand, den Blick an den Himmel geheftet, so sah er zu der angegebenen Zeit den Vishnu aus der Luft herabsteigend, auf dem Garuda reitend, Muschel, Diskus und Keule in den Händen und mit den ihm zukommenden Zeichen versehen. Da kam es ihm vor, als schwämme er in einem Teich von Nektar, und er sagte zu seiner Lieben: „Liebe! Kein Mensch in der Welt ist glücklicher als ich und du. Denn unserm Sproß hat sich der erhabene Vishnu genaht und liebt sie. So sind denn alle unsere Wünsche, die wir im Herzen tragen, vollendet! Jetzt werde ich mir durch die Macht meines Schwiegersohns die gesamte Erde untertänig machen.“

Nachdem er sich so entschlossen hatte, nahm er sich gegen alle benachbarten Könige Ungerechtigkeiten heraus. Diese aber, da sie sahen, daß er sich Ungerechtigkeit erlaubte, vereinigten sich allesamt und überzogen ihn mit Krieg. Daraufhin sprach der König durch den Mund der Königin zu seiner Tochter: „Tochter! Da der erhabene Vishnu durch dich, die du meine Tochter bist, mein Schwiegersohn geworden ist, wie ziemt es sich da, daß alle Könige zusammen Krieg gegen mich erheben? Drum mußt du heute deinem Gemahl zu Gemüte führen, daß er meine Feinde vernichte.“

Darauf wurde der Weber, als er in der Nacht zu ihr gekommen war, demutsvoll von ihr angeredet: „Oh Erhabener! Es geziemt sich nicht, daß mein Vater, da du sein Schwiegersohn bist, von seinen Feinden überwältigt wird. Drum zeige deine Huld und vernichte alle diese Feinde!“ Der Weber antwortete: „Oh Beglückte! Wie unbedeutend sind deines Vaters Feinde! Drum sei unbesorgt! In einem Augenblick werde ich sie mit meinem Diskus Sudarsana zu Staub zermalmen.“

Aber im Fortgang der Zeit wurde der König von seinen Feinden im ganzen Lande verdrängt und besaß nichts mehr als seine Festung. Trotzdem sandte der König dem Weber in Vishnus Gestalt, da er ihn nicht erkannte, unaufhörlich den ausgesuchtesten Kampfer, Aloe, Moschus und andere Arten von Düften, sowie mancherlei Arten von Kleidern, Blumen, Eßwaren und Getränken, und ließ ihm durch seine Tochter sagen: „Oh Erhabener! Morgen wird sicherlich die Stadt fallen. Denn Lebensmittel und Holz sind zu Ende. Auch ist allen meinen Leuten der Körper von Wunden erschöpft, so daß sie zum Kampf unfähig sind, und eine große Anzahl ist getötet. Dieses beherzige und tue, was der Zeit angemessen ist.“

Der Weber, nachdem er dies gehört, überlegte: „Fällt die Stadt, so werde auch ich sicherlich umkommen und von dieser getrennt werden. Deswegen will ich den Garuda besteigen und mich mit den Waffen in der Luft zeigen! Vielleicht werden sie mich für Vishnu halten und dann, von Furcht überwältigt und durch des Königs Krieger geschlagen, umkommen! Man sagt auch: Selbst eine Schlange, die kein Gift hat, erhebe dennoch hoch die Haube; denn auch ohne Gift erregt der Haube Prunk große Furcht. Auch ist es wahrlich viel besser, wenn ich, mich für die Stadt erhebend, umkomme. Man sagt auch: Wer für eine Kuh, für Brahmanen, seinen Herrn, sein Weib oder seine Stadt den Tod findet, der gewinnet die ewige Seligkeit. Man sagt ferner: Nur bei Neumond (wenn der Mond verschwunden ist), fällt auch die Sonne in Rahus Rachen (zur Sonnenfinsternis); für seinen Schützling selbst sterben, ist bei Helden des Preises wert.“

Nachdem er sich so entschlossen, knirschte er mit den Zähnen und sprach zu ihr: „Oh Beglückte! Ich werde nicht eher Speise oder Trank kosten, als bis alle Feinde erschlagen sind. Wozu viele Worte? Selbst mit dir werde ich nicht eher wieder zusammenkommen. Du mußt aber deinem Vater sagen, daß er morgen in der Frühe mit einem großen Heer aus der Stadt ziehe und kämpfe, und ich werde in der Luft erscheinen und jene allesamt kraftlos machen. Nachher wird er sie mit Leichtigkeit erschlagen. Wenn ich sie dagegen selbst tötete, dann würden die Bösewichter in das Paradies gelangen. Aus diesem Grunde muß es so eingerichtet werden, daß sie fliehend umkommen und also nicht in den Himmel eingehen.“

Sie aber, nachdem sie dies gehört, ging selbst und tat alles dem Vater kund. Der König glaubte nun ihrer Rede, erhob sich in der Morgendämmerung und zog mit einem wohlgerüsteten Heer zum Kampf heraus. Der Weber aber, zum Tode entschlossen, stieg mit dem Bogen in der Hand zum Himmel empor, um zu kämpfen.

Währenddessen sagte der erhabene Vishnu, welchem Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart bekannt ist, lächelnd zu dem Vogel Garuda, welcher auf die bloße Erinnerung an ihn herangekommen war: „Oh du Geflügelter! Weißt du, daß ein gewisser Weber in meiner Gestalt auf einem hölzernen Garuda sitzend die Königstochter liebt?“ Dieser antwortete: „Oh Gott! Ich kenne dieses ganze Treiben. Was sollen wir aber jetzt tun?“ Der Erhabene sagte: „Der Weber ist jetzt zum Tod entschlossen, hat Buße getan und ist zum Kampf ausgezogen. Von den Pfeilen der tapfersten Krieger getroffen, wird er nun sicher seinen Tod finden. Nach seinem Tod aber wird alle Welt sagen, daß Vishnu und sein Garuda von mächtigen Kriegern, die sich zusammengeschart hatten, besiegt wurden. Alsdann wird die Welt uns beiden keine Ehre mehr erweisen. Deswegen gehe du eilig und fahre in diesen hölzernen Garuda! Ich werde mich in den Körper des Webers versehen, damit er die Feinde vernichtet. Durch die Vernichtung der Feinde wird unsere Herrlichkeit vermehrt werden.“

Nachdem darauf der Garuda mit dem Worte „So sei es!“ seine Zustimmung gegeben hatte, vereinigte sich der erhabene Vishnu mit dem Körper des Webers. Als dieser darauf mit den Zeichen von Muschel, Diskus, Keule und Bogen in der Luft stand, lähmte er vermittelst der Herrlichkeit des Erhabenen in einem Augenblick wie im Spiel die Kraft der tapfersten Krieger. Darauf wurden sie vom König, welcher von seinem Heer umgeben war, im Kampf besiegt und getötet. Und unter allen Leuten verbreitete sich das Gerücht, daß seine Feinde durch die Macht der Verschwägerung mit Vishnu vernichtet seien.

Der Weber aber, nachdem er sie getötet sah, stieg sehr vergnügten Sinnes vom Himmel herab. Als nun der König, die Minister und die Einwohner der Stadt den Weber, ihren Mitbürger, erblickten, fragten sie ihn: „Was ist das?“ Und er berichtete ihnen von Anfang an die ganze vorhergegangene Geschichte. Der König, welcher durch die Vernichtung der Feinde an Macht gewonnen hatte, wurde dem Weber plötzlich sehr gewogen, übergab ihm vor aller Welt Augen die Prinzessin feierlich zur Ehe und fügte einen Landbesitz hinzu. So brachte der Weber sein Leben mit ihr im Genuß der fünf Arten sinnlicher Freuden zu, welche die Quintessenz der Welt des Lebendigen bilden. Daher sagt man: Eines wohlverborgenen Truges Ende findet selbst Brahman nicht: Ein Weber in Gestalt Vishnus gewinnt des Königs Töchterlein.“

Nachdem er dieses gehört, sagte Karataka: „Lieber! das ist in der Tat wahr! Aber trotzdem habe ich große Furcht. Denn Sanjivaka ist klug und der Löwe schrecklich. Darum bist du nicht mächtig genug, ihn von jenem zu trennen.“ Doch jener antwortete: „Auch ein Ohnmächtiger ist mächtig. Denn man erzählt auch: Durch Hinterlist ist ausführbar, was Gewalt nicht zustande bringt: Vermittelst einer Goldkette schuf die Krähe der Schlange Tod.“

Da fragte Karataka „Wie war das?“, und jener erzählte:


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