Hier beginnt das erste Buch „Verfeindung von Freunden“ genannt. Dessen erste Strophe ist folgende:
Im Wald wird durch den heimtückischen habgierigen Schakal des Löwen und des Stiers Liebe zerstört, die große immer wachsende.
Es wird nämlich erzählt: In einer Provinz des Südens liegt eine Stadt Mahilaropya mit Namen. In dieser lebte ein Kaufmannssohn namens Vardhamanaka („der Gedeihende oder Gesegnete“), der sich auf rechtlichem Wege seinen Lebensunterhalt erwarb. Als dieser einst nachts auf seinem Lager lag, entstand in ihm der Gedanke, daß man selbst bei großem Vermögen Mittel des Erwerbs ersinnen und ausführen müsse. Denn man sagt ja: Gibt’s doch in aller Welt gar nichts, was nicht mit Geld sich machen läßt. Drum soll auch der Kluge voller Eifer einzig nach Besitz streben. Wer Geld besitzt, besitzt Freunde; wer Geld besitzt, Verwandte auch; wer Geld besitzt, der ist ein Mann; wer Geld besitzt, ein Weiser selbst. Kein Wissen gibt es, kein Handwerk, keine Gabe und keine Kunst, keinen Mut der von Bedürftigen den Reichen nicht nachgerühmt wird. In dieser Welt wird selbst der Blutsfeind ein Freund, wenn er nur Geld besitzt. Ein Blutsfreund aber, der arm wird, ist auch sogleich ein schlechter Mensch. Denn aus den vollen Reichtümern entquellen jegliche Werke, wie aus den turmhohen Bergen jedweder Fluß. Geehrt wird, wer der Ehre unwert, gesucht, wer nicht des Suchens wert, gerühmt, wer nicht des Rühmens wert: So gewaltig ist die Macht des Geldes. Wie durch Nahrung des Leibes Sinne wachsen, so alle Taten auch durch Geld! Darum nennt man Reichtum auch das allesbewirkende Mittel. Wer Geld bedarf, sucht bei lebendigem Leibe Friedhöfe auf; verläßt den Vater, wenn er arm ist, und wandert in die weite Welt. Und von allen Erwerbsmitteln wird das Geschäft des Handelsmanns zum Gelderwerb anempfohlen; jedes andere ist zweifelhaft. Selbst Grauköpfe, wenn sie nur reich sind, gelten trotzdem für Jünglinge. Aber ohne Geld werden sogar Jüngling als Grauköpfe angesehen. Vermögen aber wird den Menschen durch sechs Mittel zuteil, nämlich durch Betteln, Königsdienst, Ackerbau, Erwerb mittels Gelehrtheit, Wucher und Handel. Doch das Beste unter ihnen ist sicherlich der Gelderwerb durch Handel. Denn man sagt auch:
Nur Gemeine lassen sich aufs Betteln ein; ein König - Ach! - schenkt nicht nach Verdienst; mühselig ist der Ackerbau; das Lernen durch die Demut sehr erschwert, die man dem Lehrer erweisen muß; und das Ende des Wuchers ist Armut, weil man sein Vermögen anderen anvertraut: So kenne ich kein Erwerbsmittel, das besser ist als der Handelsstand. Und dieser Handel dient auf siebenfache Art zum Erwerb von Reichtum, nämlich durch betrügerisches Maß und Gewicht, durch Angabe falscher Preise, durch Annahme von Pfändern, durch Ankunft eines reichen Käufers, durch Maklergeschäfte, durch Handel mit Düften und durch Warentransport in fremdes Land. Aber man sagt auch:
Bald voll, bald aber falsch messen, die reichen Leute hintergehen oder falsche Preise angeben, sei der Barbaren Eigenheit. Der Kaufmann, dem ein Maklergeschäft vertraut ist, denkt voller Freude in seiner Brust: «Die schatzgefüllte Erde ward mir zuteil; was will ich mehr?» Sieht der Kaufmann einen reichen Käufer voller Eifer nahn, dann freut er sich im eignen Herzen, gierig nach dessen Geld, wie über einen neugeborenen Sohn. Und auch so: Kommt ein Unterpfand ins Haus, so fleht der Kaufherr zu seinem Hausgott: „Laß rasch den Eigentümer sterben! Ich bring ein Opfer dir dafür.“ Und vor allem steht der Handel mit Düften! Wozu mit anderem wie Gold und so handeln? Denn was immer für eins gekauft ist, das wird für hundert abgesetzt.
Doch dieses paßt vor allem für arme Händler, über die reichen sagt man auch: Die großen Reichtum haben, holen mit großen Schätzen selbst Schätze aus der Ferne, wie man große Elefanten mit kleineren Elefanten fängt. Zweifach, dreifach mehren den Reichtum die des Großhandels Kundigen durch ihre Mühe, indem sie in entferntes fremdes Land ziehen. Und ferner: Die vor der Fremde sich sehr fürchten, sehr träge oder lässig sind, die sterben im eigenen Land. Es sind gemeine Menschen wie Hirsche und Krähen. Denn ein Spruch der Lebensweisheit lautet: Wer nicht aus der Heimat wandert und sich die ganze Welt besieht, die voll von tausendfachen Wundern ist, der gleicht einem Brunnenfrosch. Was ist zu schwer für hinlänglich Starke? Was ist fern den Beharrlichen? Wo ist eine Fremde für den Weisen? Und wer ist Feind dem freundlich Redenden?
Nachdem er so in seinem Herzen überlegt hatte, nahm er Warenballen, welche nach Mathura bestimmt waren, verabschiedete sich von seinen Eltern und Freunden, bestieg seinen Wagen und machte sich an einem glücksverheißenden Tag auf den Weg. Er hatte zwei gute Stiere, die in seinem Hause geboren waren, Nandaka und Sanjivaka mit Namen (der „Erfreuende“ und der „vereint Lebende“), welche sich als Zugtiere an einer trefflichen Deichsel befanden. Von diesen glitt der eine, nämlich Sanjivaka, am Ufer der Yamuna in einem Sumpf aus und brach das Bein, so daß er niedersank. Als ihn nun Vardhamanaka in diesem Zustand sah, versank er in tiefste Betrübnis und unterbrach aus Mitleid drei Nächte lang seine Reise. Als sie ihn so bekümmert sahen, sprachen die Gefährten der Karawane zu ihm: „Ach, Kaufherr! Warum bringst du so um eines Stieres willen die ganze Karawane in diesem von Löwen und Tigern angefüllten und gefahrenreichen Walde in Unsicherheit? Man sagt auch: Um einer Kleinigkeit willen bringt sich der Kluge nicht um Großes, sondern klug ist, wer sich Großes durch Verlust von Kleinem wahrt.“
Indem er dies nun beherzigte, befahl er einigen Leuten auf Sanjivaka zu achten und zog weiter, um die übrige Karawane zu sichern. Die Wächter aber, welche wußten, wie gefährlich der Wald war, ließen Sanjivaka im Stich, gingen der Karawane nach und sagten am folgenden Tag fälschlicherweise zu dem Kaufmann: „Oh Herr! Sanjivaka ist gestorben und wir haben ihn im Feuer bestattet.“ Der Kaufherr, nachdem er dies gehört, verrichtete aus Dankbarkeit voll Mitleid alle gewöhnlichen Totenriten.
Dem Sanjivaka aber, da er am Leben geblieben war, wurde sein Körper von dem Wasser der Yamuna, dem Walde und den kühlen Winden gestärkt. Er erhob sich allmählich und ging zum Ufer der Yamuna. Hier genoß er die trefflichsten smaragdgleichen Gräser, erhielt dadurch in wenigen Tagen einen starken Buckel, wurde so kräftig wie Shivas Stier und brachte nun Tag für Tag damit zu, daß er brüllend mit seinen Hörnern die Ameisenhaufen durchwühlte. Richtig sagt man auch: Wer unbeschützt ist, findet sich vom Geschick beschützt; was wohl beschützt ist, kommt vom Geschick geschlagen um. Am Leben bleibt, der im Walde hilflos lag; trotz aller Mühe stirbt der im Haus Verpflegte.
Da hörte einst ein Löwe namens Pingalaka („der Dunkelgelbe“), welcher von Durst gequält, umgeben von sämtlichem Wild, zum Ufer der Yamuna herabstieg, um Wasser zu trinken, schon aus weiter Ferne das sehr tiefe Gebrüll des Sanjivaka. Dieser Ton versetzte sein Herz in große Angst; doch verbarg er seine Furcht und blieb unter einem Feigenbaume stehen, wo er sein Gefolge in vier Kreisen (als Schutzwall) aufstellte. Zugleich sagte er: „Die Aufstellung in vier Kreisen ist die des Löwen! Des Löwen Gefolge ist furchtsam und feig!“ Aber auch: „Weder gesalbt noch geweiht wird der Löwe vom Wild des Waldes: Durch Tapferkeit erwirbt er Macht und wird von selbst des Wildes Herr.“
Diesem folgten nun immer zwei Schakale nach: Karataka und Damanaka mit Namen (die Übersetzung ist unklar), Söhne von Ministern, welche aber ihr Amt verloren hatten. Diese berieten sich miteinander. Da sagte Damanaka: „Lieber Karataka! Unser Gebieter Pingalaka hat sich ja auf den Weg zum Ufer der Yamuna gemacht, um Wasser zu trinken. Weswegen ist er nun, obgleich von Durst gequält, umgekehrt, hat eine Schlachtordnung eingenommen und ist von Mutlosigkeit überfallen, hier unter dem Feigenbaum stehen geblieben?“ Karataka antwortete: „Wozu sich um Dinge bekümmern, die uns nichts angehen? Denn man sagt auch: Der Mann, der sich in Dinge einläßt, welche nicht seines Amtes sind, der geht zugrunde, gleichwie der Affe, der den Keil aus dem Baumstamm zog.“ (Eine ähnliche Symbolik von König und Minister findet sich z.B. auch in MHB 12.254.)
Da fragte Damanaka „Wie war das?“, und jener erzählte:
An einem Orte in der Nähe einer Stadt hatte ein Kaufmannssohn in der Mitte einer Baumgruppe den Bau eines Göttertempels begonnen. Da gingen nun die Werkleute, der Baumeister und die übrigen, als es Mittag wurde in die Stadt, um zu essen. Einstmals aber kam eine Affenherde, welche in der Nähe hauste und sich hier und da herumtrieb.
Es befand sich da ein von einem Handwerksmann halb gespaltener Baumstamm von Andschanaholz mit einem Keil von Khadiraholz mitten darin. Da fingen nun die Affen an, nach Herzenslust auf den Wipfeln der Bäume, den Spitzen des Tempels und den Baumstämmen herumzuspielen, und einer von ihnen, welchem ein naher Tod beschieden war, setzte sich, seiner beweglichen Natur folgend, auf diesen halbgespaltenen Baumstamm, warf den Bindestrick weg und sprach: „Ah! da hat einer einen Keil an einer unrechten Stelle eingetrieben!“ Dann ergriff er diesen mit beiden Pfoten und fing an, ihn herauszuziehen. Es waren aber seine Hoden in die Öffnung des Baumstamms geraten, und sobald er den Keil aus seiner Stelle herausgezogen hatte, geschah ihm, was ich dir schon vorher gesagt habe.
Darum sage ich: „Der Mann, der sich in Dinge einläßt, welche nicht seines Amtes sind, der geht zugrunde, gleichwie der Affe, der den Keil aus dem Baumstamm zog. - Außerdem haben wir auf vierundzwanzig Stunden zu essen übrig. Was geht uns also diese Sache an?“
Damanaka sagte: „Steht dein Sinn denn auf weiter nichts als Essen? Das ziemt sich nicht. Denn es heißt auch: Um seinen Freunden Nutzen zu schaffen und seinen Feinden zu schaden, begehrt der Weise des Königs Nähe; den Bauch allein füllt jedermann. Und ferner: Durch wessen Leben viele leben, der lebt wahrhaftig in der Welt! Füllen nicht mit ihrem Schnabel auch die Vögel ihre Bäuche? Und so: Das rühmen die Kundigen als des Lebens wahrhaftige Frucht, wenn man - sei's auch einen Augenblick nur - von den Menschen gelobt lebt, mit der Erkenntnis herrlichen Gaben, der Tapferkeit und hohen Macht. Denn nur lang lebt auch die Krähe und frißt, was ihr vorgeworfen wird. Wer sich selbst nicht seinen Eltern, Verwandten, Armen oder seinen Dienern spendet, von welcher Frucht ist dessen Leben auf Erden? Denn nur lang lebt auch die Krähe und frißt, was ihr vorgeworfen wird. Leicht zu füllen sind kleine Flüßchen und leicht des Mäuschens Pfötchen auch; leicht zufrieden gemeine Menschen; mit kleinen Bißchen freuen sie sich. Und ferner: Was nützt es, wenn ein solcher geboren wird und der Mutter die Jugend raubt, der nicht, wie eine Standarte, an seines Geschlechtes Spitze steht? Welcher Mensch wird in der Wesen Kreisläufe nicht zur Welt gebracht? Doch wahrhaft geboren ist einzig, wer an Segen reich hervorstrahlt. Selbst des Schilfes Geburt am Ufer des Flusses ist glücklich zu preisen, wenn es dem Mann, dessen Sinne schwinden, im Untergehen zur Stütze dient. Und so: Brave Männer, die standhaft und edel der Menschen Not lindern, sind so selten wie Wolken, die hoch und feucht und schattig sind. Dann auch: Der Mutter allerhöchste Ehre ist nach der Weisen Urteil, wenn sie eine Frucht trug, die selbst von Großen geehrt wird. Und ein anderes: Der Starke, der seine Kraft nicht zeigt, der wird verachtet in der Welt. Denn das Feuer, so lange es im Holze wohnt, wird übersehen, wenn es nicht brennt.“
Karataka sagte: „Wir sind jetzt beide ohne Amt. Was geht uns also die Sache an? Man sagt auch: Wer ohne Amt vor dem König unaufgefordert redet, der ist ein Tor: Nicht nur gewinnt er keine Ehre, sondern zieht sich Verachtung zu. Und so: Dort ist das Wort an seiner Stelle, wo das Gesagte Nutzen bringt, und für alle Zeiten haftet, gleichwie Farbe auf weißem Stoff.“
Damanaka sagte: „Bruder! sprich nicht so! Man sagt auch: Wer ohne Ansehen ist, der gewinnt Ansehen, wenn er eifrig dem König dient. Wer aber angesehen ist und lässig im Dienst, der verliert sein Ansehen. Und so: Wer in der Nähe weilt, an den hängt sich der König, sei er auch unwissend, niederen Stamms und unbekannt. Denn Könige, Frauen und Schlinggewächse umschlingen, was ihnen zur Seite steht. Und so: Die Diener, welche Mittel suchen, den Zorn zu beschwichtigen, besteigen mit der Zeit den König (wie ein Roß), schlüge er auch hinten und vorne aus. Wissensbegabten, Hochherzigen, geschmückt mit Kunst und Tapferkeit und des Fürstendienstes Kundigen ist bei Fürsten die einzige Statt. Wer sich an Fürsten nicht anschließt, die mächtig sind durch Geburt und sonst, dem ist Dürftigkeit zur Reue zugemessen bis zu seinem Tod. Die Toren, welche angeben, daß Fürsten nicht zu lenken sind, verkünden ihre eigene Schwäche, Dummheit und Schwerfälligkeit. Gibt's doch Mittel, wie man Elefanten, Schlangen, Tiger und Löwen zähmt! Und ein König?! - Oh Kleinigkeit für einen Weisen, versäumt er nichts. Der Weise, der sich auf einen König stützt, steigt zum höchsten Ort, denn außer auf des Malaya Gipfel wächst nirgendwo der Sandelbaum. Weiße Sonnenschirme gibt es, Rosse, welche das Herz erfreuen, und muterfüllte Elefanten, sobald der König gnädig ist.“
Karataka sagte: „Was beabsichtigst du denn nun zu tun?“ Jener antwortete: „Unser Gebieter hier, Pingalaka mit Namen, ist samt seinem Gefolge in Angst. Ich werde also, sobald ich zu ihm gegangen bin, den Grund der Angst erforschen und ihn durch Frieden oder Krieg, Abzug, Abwarten, Schutzbündnis oder Zweizüngigkeit wegräumen.“
Karataka fragte: „Woher weißt du, daß unser Herr von Angst erfüllt ist?“ Jener antwortete: „Was ist da zu fragen? Sagt man doch: Was ausgesprochen wird, das begreift sogar ein Vieh; denn wenn sie angespornt wurden, ziehen Roß und Elefant. Der weise Mann versteht selbst Unausgesprochenes; denn des anderen Mienen zu erkennen ist der Weisheit Frucht. Durch Mienen und durch Andeutung, durch Stimme, Bewegung und Gang, durch des Auges und des Gesichts Wechsel wird erkannt, was im Herzen liegt. So will ich ihm denn, nachdem ich ihn von Furcht erfüllt gesehen habe, seine Furcht nehmen, ihn dann durch die Macht meines Verstandes unterwerfen und so zu der mir gebührenden Ministerstelle gelangen.“
Karataka sagte: „Du kennst ja die Natur des Fürstendienstes nicht. Wie willst du ihn also dir unterwerfen können?“ Jener antwortete: „Wie sollte ich des Fürstendienstes unkundig sein? Habe ich doch in meines Großvaters Schoß spielend, dessen treffliche Gäste das Werk über Lebensweisheit deklamieren gehört und mir die Quintessenz des Fürstendienstes daraus ins Herz geschrieben. Höre nur das Folgende: Drei Männer sind es, die gewinnen der Erde goldenen Blütenkranz: der Kriegsheld, der weise Mann und wer den Fürstendienst versteht. - Dienst heißt, daß man des Fürsten Wohl will, besonders wohl zu reden weiß. Durch diese Mittel gewinnt der Weise den König, nicht auf andere Art. Wer Gaben nicht zu würdigen weiß, den bedient der Weise nicht; denn diesem entsprießt keine Frucht, wie schlechtem Land, selbst gut bebaut. Hat einer ehrenwerte Gaben, dann diene ihm, fehlt ihm auch Gut und Macht; denn mit der Zeit wird von jenem dir der Unterhalt als Frucht zuteil. Der Weise sitzt wie ein Baumstumpf, lieber verdorrend und notgequält, als daß er Unterhalt suchte, der ihm nicht angemessen ist. Der Diener tadelt seinen Herrn, wenn er sich geizig oder grob beträgt. Warum also nicht sich selbst, da er nicht weiß, wes Dienst man sucht und wessen nicht? Ein Fürst, der seinem Gefolge gegen die Not keinen Schutz gewährt, den soll man meiden wie Arka (eine giftige Pflanze), auch wenn sie Blüten und Früchte trägt.
Des Königs Mutter und Gattin, den Kronprinzen, den ersten Rat, den Hauspriester und Türhüter behandle, wie den König selbst. Wer bei Befehlen „Lebe hoch!“ ruft und trotz Wissen, was zu tun ist und was nicht, sie unbedenklich ausführt, der wird des Königs Liebling sein. Wer von des Königs Gunst entstammte Schätze auf Würdiges verwendet, Kleider und Schmuck dem Leib anlegt, der wird des Königs Liebling sein. Wer sich nicht mit des Harems Dienern, noch mit des eignen Königs Gemahlinnen in Rat einläßt, der wird des Königs Liebling sein. Wem Spiel gleichwie des Todes Bote, Wein wie stärkstes Gift und des Königs Frauen wie Trugformen erscheinen, der wird des Königs Liebling sein. Wer in den Schlachten stets vor ihm schreitet, zu Hause hinter ihm, im Harem an des Herren Tür steht, der wird des Königs Liebling sein. Wer auf des Königs Wort keine widersprechende Antwort gibt und in seiner Nähe nicht laut lacht, der wird des Königs Liebling sein. Wer nicht vom rechten Pfad weicht, selbst in der Not, und dabei denkt „Ich bin stets vom Könige geehrt worden!“, der wird des Königs Liebling sein. Wer, was den König anwidert, immer im höchsten Grade haßt, und begünstigt, was ihm lieb ist, der wird des Königs Liebling sein. Wer, frei von Furcht, das Schlachtfeld wie seine Wohnung, die Fremde wie die eigne Vaterstadt ansieht, der wird des Königs Liebling sein. Wer mit des Königs Frauenzimmern nicht verkehrt und sich sowohl vor Tadel als Gezänk hütet, der wird des Königs Liebling sein.“
Karataka sprach: „Aber, wenn du hinkommst, was wirst du denn zuerst sagen? Laß doch einmal hören!“ Jener antwortete: „Man sagt auch: Aus der Rede erwächst Rede, wenn einer mit dem andern spricht, gleichwie aus trefflich durchnäßtem Samen neuer Samen entsteht. Und ferner: Die Weisen zeigen, wie die Lehren mit der Lebensweisheit verknüpft sind und gleichsam aus ihr hervorstrahlen, wie sich Mißgeschick durch Wahl des Schädlichen erzeugt, dagegen Glück durch Wahl des Nützlichen. Bei einigen (zeigt sich die Weisheit) im Wort wie bei Papageien, bei anderen (ruht sie) im Herzen den Fischen gleich, bei andern (erscheint sie) im Wort und im Herzen; die Weisen bewegen sich anmutsvoll.“
Karataka sagte: „Zu aller Zeit sind Könige so schwer zu erreichen wie die Berge. In diesen sind Schlangen und bei jenen Schurken, uneben sind diese und jene ungerecht; aber beide sind hart und werden von Übelgesinnten aufgesucht. Könige sind wie Schlangen bepanzert und voll Gier nach Lust, krumm und grausam, Freundesmörder, die man durch Sprüche bemeistert. Und so: Doppelzüngig, Grausamkeit liebend, nach verderbenden Blößen spähend und aus weitester Ferne schon sehend, sind Könige den Schlangen gleich. Diejenigen von des Herrn Freunden, die sich nur ein wenig vergehen, verbrennen sich selbst im Feuer, gleichwie törichte Lichtmotten. Schwer zu erklimmen ist die von den Königen aller Welt verehrte Stätte; gleich dem Brahmanentum wird sie selbst durch kleinste Schuld befleckt. Dafür bleibt des Königs schwer gewinnbare, erreichbare und haltbare Gunst lang bei dem, der vollkommen ist, wie das Wasser in einem befestigten Brunnen.“
Damanaka sagte: „Das ist wahr! Aber auch: Man soll sich stets danach richten, wie die Natur von Jemand ist. Denn wenn der Weise nachgiebig ist, gewinnt er rasch die Oberhand. Des Herrn Gedanken willfahren, das ist der Untergebenen Tun. Selbst der Geister wird man Meister, willfahrt man stets ihren Wünschen. Beschwichtigung, wenn der Herr im Zorn ist! Dem Liebe geben, der bei ihm beliebt! Haß, wer ihm Feind! Preis, seinen Gaben! So folgt er ohne Zauberspruch.“
Karataka sagte: „Wenn das dein Bestreben ist, so mögen deine Wege glücklich sein! Möge geschehen, wie du es begehrst!“
Jener verneigte sich alsdann vor ihm und machte sich auf den Weg zu Pingalaka. Als Pingalaka den Damanaka kommen sah, sagte er zum Türhüter: „Entferne den Bambusstab! Unserem alten Ministersohn Damanaka soll der Eintritt hier nicht verwehrt sein! Er möge eingeführt werden und sich dem zweiten Kreise anschließen!“ Dieser antwortete: „Wie der Herr befiehlt!“ Darauf schritt Damanaka herein, verbeugte sich vor Pingalaka und setzte sich auf den ihm angewiesenen Platz. Pingalaka aber reichte ihm seine, mit Nägeln wie mit Donnerkeilen geschmückte rechte Hand, begrüßte ihn ehrenvoll und sprach: „Du befindest dich doch Wohl? Warum hast du dich so lange nicht sehen lassen?“
Und Damanaka antwortete: „Königliche Majestät bedarf meiner ganz und gar nicht. Du hast nur zu befehlen, sobald dir die Zeit angemessen scheint; denn Könige wissen Höchste, Mittlere und selbst Niedere stets zu verwenden. Denn man sagt auch: Kann doch ein Fürst Hölzchen zum Zähnereinigen immer auch zum Ohrenkitzeln gebrauchen, geschweige denn Menschen mit Leib und Seele, mit Hand und Fuß, Rede und Rates kundig. Auch sind wir Eurer Majestät angeerbte Diener. Selbst im Mißgeschick werden wir Euch nachfolgen, sogar wenn wir unser Amt nicht besitzen. - Dennoch ist dies für Eure Majestät nicht angemessen. Man sagt auch: Diener und auch Schmuckstücke soll man an ihren passenden Platz stellen; kein Kronjuwel wird, weil es herrlich erstrahlt, an den Fuß gesteckt. Wer Tugend nicht zu schätzen weiß, diesem König folgt kein Diener nach, auch wenn er an Schätzen reich ist, von hohem Haus und angestammt. Und so: Aus drei Gründen verläßt der Dienstmann seinen Dienstherrn: wenn er mit Schlechten Umgang pflegt, von Guten nicht geachtet wird oder seine Stellung nicht erfüllen kann. Und wenn der König aus Mangel an Unterscheidungsvermögen Diener, welche zu der höchsten Stellung passen, an die allerniedrigste Stelle setzt und diese da bleiben, so ist das kein Schimpf für diese, sondern für den König. Man sagt auch: Wird ein Juwel, das in Goldschmuck zu strahlen verdient, in Zinn eingefaßt, dann jammert es nicht und verliert nicht an Glanz; doch der es eingefaßt hat, ist tadelnswert.
Und wenn der Herr sagt „Du hast dich lange nicht sehen lassen!“, so höre auch dies. Denn man sagt auch: Wo man keinen Unterschied kennt zwischen rechter und linker Hand, welcher würdige Verständige weilt da nur einen Augenblick? Bei Leuten, welche nicht Glas und Diamant zu unterscheiden wissen, in deren Nähe bleibt niemand Diener auch nur dem Namen nach. Wo keine Kenner sich im Lande finden, da gelten selbst die meergezeugten Perlen nichts: Verkaufen doch die Hirten im Lande der wilden Abhiras selbst den Mondstein nur für drei Muscheln. Wo man nicht rotes Glas und Rubine zu unterscheiden weiß, wie wäre an solchem Ort jemals ein Handel mit Juwelen möglich? Wenn der Herr ohne Unterschied alle Diener auf gleiche Art behandelt, dann erschlafft sicher die Lust der Tatbefähigten. Kein König ohne Dienstleute! Ohne König kein Dienender! Dieses gegenseitige Bedürfnis ist das Band, welches sie verknüpft. So wenig die herrliche Sonne ohne lichtreiche Strahlen erglänzt, so wenig erglänzen die herrlichen Fürsten ohne ihr Gesinde, das der Welt dient. Wie die Speichen die Nabe tragen und die Nabe die Speichen hält, so bewegt sich, einem Rad gleich, des Dieners und des Herren Tun. Wie man die Haare auf dem Kopf stets mit Öl pflegt, damit sie nicht vorzeitig ergrauen, so pflegt man auch die Diener mit dem Öl der Liebe, damit sie ihrer Farbe (d.h. ihrer Kaste) nicht untreu werden. Ein Fürst, der mit den Dienern zufrieden ist, gibt ihnen vor allem Ehre zum Lohn, und sie bringen für die bloße Ehre selbst ihr Leben zum Dank dar. Dies beherzigend muß ein König zu seinem Dienst Kluge wählen, aus guter Familie, Heldenmütige, Starke und Treue, die ihm vererbt.
Wer etwas schwer zu Tuendes, dem König liebstes, gut vollbringt, und aus Demut doch kein Wort sagt, den hat der König gern zum Freund. Wer ungerufen herbeieilt, stets an der Tür steht und befragt, mit wenig Worten die Wahrheit sagt, der ist Königen zu dienen wert. Wer selbst ohne Königs Geheiß, wenn er eine Gefahr erblickt, sich um ihre Abwendung bemüht, der ist Königen zu dienen wert. Wer geschlagen, hart angefahren, selbst bestraft von seinem Herrn, dennoch nicht auf Verrat sinnt, der ist Königen zu dienen wert. Wer durch Ehre nicht aufgebläht wird, durch Vernachlässigung nicht gekränkt, sondern immer sich treu bleibt, der ist Königen zu dienen wert. Wer nie durch Hunger gequält wird, nie durch Schlaflosigkeit, Kälte, Hitze und sonst etwas, der ist Königen zu dienen wert. Wem, so wie er nur ein Wort von einem Krieg gegen den Feind seines Herrn hört, gleich das Antlitz sich aufheitert, der ist Königen zu dienen wert. Der, unter dessen Amtsführung des Landes Umfang wie der Mond in seiner hellen Hälfte zunimmt, der ist Königen zu dienen wert. Doch unter wessen Amtsführung, wie ein in Feuer gehaltenes Fell, der Umfang schrumpft, den Diener entlasse, wer nach Herrschaft strebt. Aber nach wessen Amtsantritt man furchtlosen Sinnes ruhen kann, solch ein Diener sei dir gleich als wäre er deine zweite Frau!
Und wenn der Herr mich verachtet, indem er denkt „Er ist ein Schakal!“, so ist auch das nicht angemessen. Denn man sagt auch: Aus dem Wurme entsteht Seide, Gold aus Stein, Kusha-Gras aus den Haaren der Kühe, der Lotus aus dem Schlamm, der Mond aus dem Meer, aus Kuhmist das Nelumbium, Feuer aus Holz, aus der Schlange Haube der Edelstein, Rotschana-Salbe aus der Galle des Stiers: So erleuchten die Guten durch ihrer Tugend Aufgang auch trotz ihrer niederen Geburt. Wie Arka-, Nala - und Erandasplitter, wenn auch in großer Zahl, nicht Holz ersetzen, so grade nützen niemals Unwissende. Die Maus - obgleich im Haus geboren - wird getötet als schädlich Tier, doch die Katze wird als nützlich selbst von woanders her angekauft. Was nützt ein Treuer, der nicht stark ist, was ein Starker, der bösgesinnt? Mich, der ich treu und auch stark bin, mögest du, oh König! nicht verschmähen.“
Pingalaka sagte: „Laß gut sein! Stark oder schwach, bist du doch unser alter Ministersohn. Drum sprich unverzagt, was du irgend zu sagen wünschst!“ Darauf antworte Damanaka: „Majestät! ich habe etwas vorzutragen.“ Und Pingalaka sprach: „Tue kund, was du auf dem Herzen hast!“ Worauf jener antwortete: „Man soll sogar Kleinigkeiten, beziehen sie sich auf den König, nicht vor dem ganzen Hof melden, das ist ein Satz von Vrihaspati (dem Lehrer der Götter). Deshalb möge Majestät meinen Vortrag unter vier Augen hören. Denn: Was sechs Ohren gehört haben, verrät sich, doch was nur vier, das bleibt geheim. Drum halte ein Weiser sechs Ohren mit aller Sorgfalt fern vom Rat! Man erzählt: Wenn der Bucklige dabei ist, dann wird der Bucklige zum König, und der König zum Bettler und Vagabund.“
Da fragte Pingalaka „Wie war das?“, und Damanaka erzählte: