Pushpak Panchatantra EinleitungZurück WeiterNews

Einleitung

Verehrung dem hohen Ganesha!

OM - Brahma, Rudra, Kumara, Hari, Varuna, Yama, Vani, Indra, Mond und Sonne, Sarasvati, Ozean, Wolken und Berge, Wind, Erde, Schlangen, Genien, Flüsse, Aswin-Zwillinge, Shri, Diti, Aditi, Chandika und die übrigen Mütter, die Veden, die heiligen Stätten, die Opfer, die Diener des Shiva, die Vasus und göttlichen Weisen, sowie die Himmelskörper mögen ewig Schutz gewähren. Lobpreis dem Manu, Vrihaspati und Shukra (den Lehrern der Menschen, Götter und Dämonen), Parasara samt seinem Sohn Vyasa und auch dem weisen Chanakya, die der Lebensweisheit Regeln gelehrt. Nachdem er dies als Essenz von allen Schriften über das, was in der Welt nützt, erkannt hatte, hat Vishnusharman in fünf Büchern dieses sehr ergötzliche Werk verfaßt.

Es wird nämlich erzählt: In einer Provinz des Südens liegt die Stadt Mahilaropya. Da regierte ein König namens Amarashakti („unsterbliche Kraft“), ein Paradiesbaum aller Wissenschaften, welcher Meister war in allen Künsten und dessen Füße von der Strahlenfülle der Kronjuwelen der vorzüglichsten Fürsten bedeckt waren. Aber dieser König hatte drei Söhne von der allergrößten Dummheit: Vahushakti, Ugrashakti und Anantashakti mit Namen („viel, schrecklich und unendliche Kraft“). Da nun der König sah, daß diese keinen Sinn für Wissenschaft hatten, rief er seine Räte zusammen und sprach:

„Es ist euch bekannt, daß diese meine Söhne keinen Sinn für Wissenschaft haben und ohne Urteilskraft sind. Drum macht mir mein Königreich, obgleich frei von Dornen - sobald ich jene ansehe - keine Freude. Sagt man ja doch mit Recht: Besser ein Sohn wird gar nicht erst geboren oder stirbt, als daß er töricht sei. Kurz ist der Kummer um diese, aber der Tor betrübt, solang er lebt. Wozu kann eine Kuh nützen, die weder Milch noch Kälber gibt? Wozu kann uns ein Sohn helfen, der weder klug noch tugendhaft ist? Lieber auf Erden den Tod eines Sohnes, als die Dummheit eines in der Familie geborenen, wegen deren sich ein Mensch in der Mitte der Weisen wie ein Bastard schämt. Wenn auch jene als Mutter gilt, welche einen Sohn geboren hat, bei dem während der Überlieferung seiner Tugenden dem Schreiber vor Schande der Stift aus den Händen sinkt, sprich, welch Weib ist dann noch unfruchtbar? Besser eine Fehlgeburt, besser Enthaltung von Liebesgenuß, besser eine unfruchtbare Gattin, besser sogar, daß eine Tochter geboren wird, besser, daß er kaum geboren stirbt, besser Verbleibung im Mutterschoß - nur keinen unverständigen Sohn und wäre Schönheit und Reichtum auch sein Teil! Ein einziger Sohn von bravem Sinn, guten Taten und reinem Stamm ist ein Schmuck des ganzen Hauses, wie eine Perle des Diadems. Deswegen muß jedes irgend mögliche Mittel angewendet werden, ihren Verstand zu erwecken.“

Darauf sagten einige: „Majestät! Schon die Grammatik allein erfordert ein Studium von zwölf Jahren. Wenn diese einigermaßen erkannt ist, werden die Schriften über Recht, Erwerb, Genuß und Befreiung studiert, und dann findet Erweckung des Geistes statt (die vier großen Lebensziele im alten Indien: Dharma, Artha, Kama und Moksha, auch übersetzt als: Gerechtigkeit, Wohlstand, Liebe und Befreiung).

Da sprach unter ihnen ein Minister Namens Sumati („großen Verstand habend“): „Majestät! Des Lebens Dauer ist nicht ewig. Die Erlernung der schriftlichen Regeln nimmt eine lange Zeit weg. Drum ist für die Erweckung ihres Geistes ein abgekürztes Verfahren zu ersinnen. Man sagt auch: Unendlich fürwahr ist der Schriften Umfang, das Leben kurz, Störungen aber zahlreich, drum weg was unnötig und nimm den Saft nur, gleichwie der Schwan die Milch aus des Wassers Menge. (Es heißt in den Veden, daß ein Schwan den Soma-Saft aus dem Wasser extrahieren kann, das bedeutet, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen.) Nun gibt es, oh König! einen Brahmanen namens Vishnusharman, der berühmt ist als einer, der in vielen Wissenschaften Vollkommenheit erreicht hat. Diesem übergib sie! Er wird sie sicherlich in kurzer Zeit erwecken.“

Der König aber, nachdem er dies gehört hatte, ließ Vishnusharman rufen und sprach: „Oh Hochweiser! Erweise mir die Gewogenheit und bewirke, daß diese meine Söhne in der Wissenschaft des Nützlichen in kurzer Zeit alle anderen übertreffen. Ich werde dich dafür mit hundert großen Geschenken belohnen.“ Darauf sagte Vishnusharman zum König: „Majestät! höre mein wahrhaftiges Wort! Ich verkaufe Wissenschaft nicht, selbst nicht für hundert Großgeschenke. Wenn ich aber nicht bewirke, daß diese binnen sechs Monaten die Wissenschaft der Lebensweisheit erkannt haben, dann will ich meinen Namen nicht mehr führen. Wozu vieler Worte?! Höre hier meinen Schlachtruf! Ich sage es nicht aus Begierde nach Schätzen - mir, der ich achtzig Jahr alt bin und allen sinnlichen Dingen entsagt habe, sind Reichtümer von gar keinem Nutzen - nur, um deinen Wunsch zu erfüllen, werde ich der Sarasvati (der Göttin des Lernens) Spiel spielen. Drum laß den heutigen Tag niederschreiben: Wenn ich nicht binnen sechs Monaten bewirke, daß deine Söhne in der Lebensweisheit alle anderen übertreffen, dann möge Gott mir den Weg zu den Göttern nicht zeigen!“

Der König aber, nachdem er dies gehört hatte, war höchst erfreut, übergab sie ihm mit Ehrfurcht und fühlte sich ganz beruhigt. Vishnusharman übernahm sie, ging mit ihnen nach Hause und schrieb ihrethalben die nachfolgenden fünf Bücher:
1) Verfeindung von Freunden
2) Erwerb von Freunden
3) Krähen- und Eulenkrieg
4) Verlust von schon Besessenem
5) Handeln ohne sorgfältige Prüfung

All diese gab er den Söhnen des Königs zu lesen, und nachdem sie die Bücher durchstudiert hatten, wurden sie in sechs Monaten zur Befriedigung des Königs so, wie ihm vorhergesagt war. Seit dieser Zeit dient dieses „Die fünf Bücher“ genannte Lehrbuch der Lebensweisheit auf Erden zum Unterricht der Kinder. Mit einem Wort: Wer unaufhörlich dieses Werk der Lebensweisheit liest oder hört, der erleidet nie und nimmer selbst durch Indra (dem König der Götter) ein Mißgeschick.


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