Fragender: Du sagst, daß alles, was du siehst, du selbst bist. Und dann gibst du auch zu, die Welt so zu sehen, wie wir sie sehen. Hier ist die heutige Zeitung mit all den Schrecken, die geschehen: Wenn du die Welt bist, wie kannst du ein solches Fehlverhalten erklären?
Maharaj: An welche Welt denkst du?
F: An unsere gemeinsame Welt, in der wir leben.
M: Bist du sicher, daß wir in derselben Welt leben? Ich meine nicht die Natur, das Meer und das Land, die Pflanzen und die Tiere. Diese sind nicht das Problem, wie auch nicht der endlose Raum, die unendliche Zeit und die unerschöpfliche Energie. Laß dich nicht durch mein Essen und Rauchen, Lesen und Reden täuschen, denn mein Verstand ist nicht hier, und auch mein Leben ist nicht hier. Deine Welt der Wünsche und deren Erfüllung, sowie der Ängste und deren Vermeidung, ist grundsätzlich nicht meine Welt. Ich nehme sie nicht einmal wahr, außer durch das, was du mir darüber erzählst. Es ist deine persönliche Traumwelt, und meine einzige Reaktion darauf ist die Bitte, mit dem Träumen aufzuhören.
F: Sicherlich sind Kriege und Revolutionen keine Träume. Auch kranke Mütter und hungernde Kinder sind keine Träume. Und unrechtmäßig erworbener und mißbrauchter Reichtum ist auch kein Traum.
M: Was sonst?
F: Einen Traum kann man nicht mit anderen teilen.
M: Wie auch deinen Wachzustand, denn alle drei Zustände von Wachen, Träumen und Tiefschlaf sind subjektiv, persönlich und intim. Sie alle geschehen zufällig und sind in der kleinen Bewußtseinsblase enthalten, die „Ich“ genannt wird. Die wahre Welt ist jenseits des persönlichen Selbst.
F: Selbst oder nicht Selbst, die Fakten sind wahr.
M: Natürlich sind Fakten wahr, und auch ich lebe mit ihnen. Aber du lebst mit Illusionen und nicht mit Fakten. Wahre Fakten widersprechen sich nie, während dein Leben und deine Welt voller Widersprüche sind. Widerspruch ist ein Zeichen von Illusionen, denn das Wahre widerspricht sich nie. Du beschwerst dich zum Beispiel darüber, daß die Menschen erbärmlich arm sind. Dennoch teilst du deinen Reichtum nicht mit ihnen. Der Krieg nebenan stört dich, aber wenn er in einem weit entfernten Land stattfindet, dann denkst du kaum darüber nach. Das wechselnde Schicksal deines Egos bestimmt deine Werte, und „Ich denke“, „Ich will“ und „Ich muß“ werden zu absoluten Maßstäben.
F: Dennoch ist das Böse wahr.
M: Nicht wahrer als du selbst. Das Böse liegt in der falschen Herangehensweise an Probleme, die durch Mißverständnisse und Mißbrauch entstanden sind. Das ist ein Teufelskreis.
F: Kann dieser Kreis durchbrochen werden?
M: Ein falscher (illusionärer) Kreis muß nicht durchbrochen werden. Es reicht aus, ihn als das zu erkennen, was er ist, nämlich Illusion.
F: Jedoch wahr genug, um uns dazu zu bringen, Demütigungen und Grausamkeiten zu ertragen und selbst zu verüben.
M: Wahnsinn ist überall, und Vernunft ist selten. Dennoch gibt es Hoffnung, denn sobald wir unseren Wahnsinn erkennen, sind wir auf dem Weg zur Vernunft. Dies ist die Funktion des Gurus, der uns den Wahnsinn unseres täglichen Lebens erkennen läßt. Das Leben macht dich bewußt, doch der Lehrer macht dich gewahr.
F: Mein Herr, du bist weder der erste noch der letzte Guru. Seit undenkbaren Zeiten dringen Menschen zur Wahrheit vor. Doch wie wenig hat das unser Leben beeinflußt! Die Ramas und Krishnas, die Buddhas und Christusse sind gekommen und gegangen, und wir sind immer noch dort, wo wir zuvor waren, und wälzen uns in Schweiß und Tränen. Was haben diese Großen vollbracht, deren Leben wir miterlebt haben? Was haben Sie getan, um die Knechtschaft dieser Welt zu lindern?
M: Du allein kannst das Böse rückgängig machen, das du selbst geschaffen hast. Dein eigener hartherziger Egoismus war und ist die Ursache dafür. So bring zuerst dein eigenes Haus in Ordnung, und du wirst sehen, daß damit deine Arbeit getan ist.
F: Viele Menschen der Weisheit und Liebe, die vor unserer Zeit lebten, haben sich selbst in Ordnung gebracht, und das oft zu einem enormen Preis. Was war das Ergebnis? Eine Sternschnuppe, so hell sie auch sein mag, macht die Nacht nicht weniger dunkel.
M: Um sie und ihr Werk beurteilen zu können, müßtest du einer von ihnen werden. Denn ein Frosch im Brunnen weiß nichts über die Vögel am Himmel.
F: Willst du damit sagen, daß es zwischen Gut und Böse keine Mauer der Trennung gibt?
M: Es gibt keine Mauer, weil es (in Wahrheit) kein Gut und Böse gibt. In jeder konkreten Situation gibt es nur das Notwendige und das Unnötige (bzw. Nutzlose). Das Notwendige ist richtig, das Unnötige ist falsch.
F: Wer entscheidet das?
M: Die Situation entscheidet, denn jede Situation ist eine Herausforderung, welche die richtige Antwort erfordert. Wenn die Antwort richtig ist, ist die Herausforderung gemeistert und das Problem gelöst. Ist die Antwort falsch, wird der Herausforderung nicht begegnet und das Problem bleibt ungelöst. Und deine ungelösten Probleme sind das, was dein Karma bildet. Löse sie richtig und sei frei!
F: Du scheinst mich immer wieder auf mich selbst zu verweisen. Gibt es keine objektive Lösung für die Probleme der Welt?
M: Die Weltprobleme wurden von unzähligen Menschen wie dir geschaffen, die von eigenen Begierden und Ängsten erfüllt sind. Wer außer dir selbst kann dich von deiner persönlichen und sozialen Vergangenheit befreien? Und wie willst du das schaffen, wenn du nicht die dringende Notwendigkeit erkennst, dich zunächst von den Begierden zu befreien, die aus Illusionen entstehen? Wie kannst du wirklich helfen, solange du selbst Hilfe benötigst?
F: Auf welche Weise haben die alten Weisen geholfen? Auf welche Weise hilfst du? Zweifellos profitieren einige wenige davon, denn deine Führung und dein Beispiel können ihnen viel bedeuten. Aber auf welche Weise beeinflußt du die Menschheit, die Gesamtheit des Lebens und des Bewußtseins? Du sagst, daß du die Welt bist, und die Welt bist du, doch welchen Einfluß hast du gehabt?
M: Welchen Einfluß erwartest du?
F: Die Menschen sind immer noch dumm, egoistisch und grausam.
M: Die Menschen sind auch weise, liebevoll und freundlich.
F: Doch warum setzt sich das Gute nicht durch?
M: Das geschieht in meiner wahren Welt. In meiner Welt ist sogar das, was du das Böse nennst, ein Diener des Guten und daher notwendig. Es ist wie Eiterbeulen und Fieber, die den Körper von Unreinheiten befreien. Krankheiten sind schmerzhaft und sogar gefährlich, aber wenn sie richtig behandelt werden, dann heilen sie.
F: Oder sie töten!
M: In manchen Fällen ist der Tod die beste Heilung, denn ein Leben kann viel schlimmer sein als der Tod, der nur selten eine unangenehme Erfahrung ist, egal wie er äußerlich erscheint. Deshalb solltest du auch mehr Mitgefühl mit den Lebenden haben, als mit den Toten. Dein Problem, daß die Dinge gut oder böse sind, existiert in meiner Welt nicht. Das Notwendige ist gut, und das Unnötige ist böse. In deiner Welt ist das Erfreuliche gut und das Schmerzhafte böse.
F: Was ist notwendig?
M: Wachsen ist notwendig, Herauswachsen ist notwendig, und das Gute zugunsten des Besseren zurückzulassen ist notwendig.
F: Mit welchem Ziel?
M: Das Ziel ist im Anfang. Du endest dort, wo du angefangen hast, nämlich im Absoluten.
F: Warum dann diese ganze Mühe, um wieder dorthin zurückzukehren, wo ich angefangen habe?
M: Wessen Mühe? Und welche Mühe? Bemitleidest du das Samenkorn, das wachsen und sich vermehren soll, um ein mächtiger Wald zu werden? Tötest du einen Säugling, um ihm die Mühen des Lebens zu ersparen? Was ist falsch mit dem Leben, um immer mehr zu Leben? Beseitige die Hindernisse für das Wachstum, und alle deine persönlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme werden sich einfach auflösen. Das Universum ist als Ganzes vollkommen, und das Streben der einzelnen Teile nach Vollkommenheit ist ein Weg der Freude. Opfere bereitwillig das Unvollkommene dem Vollkommenen, und es wird keine Rede mehr von Gut und Böse sein.
F: Dennoch haben wir Angst vor dem Besseren und klammern uns an das Schlechtere.
M: Ja, das ist unsere Dummheit, die an Wahnsinn grenzt.
Fragender: Ich hatte das Glück, mein ganzes Leben lang mit Heiligen Gesellschaft zu pflegen. Reicht das zur Selbstverwirklichung?
Maharaj: Es kommt ganz darauf an, was du daraus machst.
F: Mir wurde gesagt, daß die befreiende Wirkung des Satsangs automatisch erfolgt. So wie man von einem Fluß zur Mündung (ins Meer) getragen wird, so wird mich der subtile und stille Einfluß guter Menschen zur Wahrheit führen.
M: Der Satsang wird dich zum Fluß bringen, aber die Reise ist deine eigene. Denn Freiheit kann ohne den Willen zur Freiheit weder erlangt noch bewahrt werden. Du selbst mußt nach Befreiung streben. Zumindest kannst du die Hindernisse achtsam aufdecken und beseitigen. Wenn du Frieden willst, dann mußt du danach streben. Nur durch (passives) Schweigen wirst du keinen Frieden finden.
F: Ein Kind wächst doch auch von selbst heran. Es macht keine Pläne zum Wachsen und braucht kein System dazu. Es wächst auch nicht teilweise, eine Hand hier oder ein Bein dort, sondern es wächst ganzheitlich und unbewußt.
M: Weil es frei von Vorstellungen ist. Auch du kannst so wachsen, aber darfst dich nicht auf Vorstellungen und Pläne einlassen, die aus Erinnerungen und Erwartungen entstehen. Es gehört zu den Besonderheiten eines Weisen (Jnani), daß er sich nicht um die Zukunft kümmert. Deine Sorge um die Zukunft kommt von der Angst vor Schmerzen und dem Wunsch nach Freude. Für den Weisen ist alles Glückseligkeit, denn er ist mit allem glücklich, was kommt.
F: Sicherlich gibt es auch Dinge, die sogar einen Weisen unglücklich machen.
M: Ein Weiser mag auf Schwierigkeiten treffen, aber sie bringen ihm kein Leiden. Ein Kind von der Geburt bis zum Erwachsenenalter großzuziehen, mag eine mühevolle Aufgabe sein, aber für eine Mutter sind die Erinnerungen an diese Mühen eine Freude. Mit der Welt ist nichts falsch. Was falsch ist, liegt in der Art und Weise, wie du sie betrachtest. Es sind deine eigenen Vorstellungen, die dich in die Irre führen. Ohne Vorstellungen gibt es keine Welt. Deine Überzeugung, daß du dir einer Welt bewußt bist, ist die Welt. Die Welt, die du wahrnimmst, besteht aus Bewußtsein. Auch was du Materie nennst, ist Bewußtsein. Und du bist der (geistige) Raum, in dem sie sich bewegt, die Zeit, in der sie erhalten wird, und die Liebe, die ihr Leben gibt. Nimm alle Vorstellungen und Anhaftungen weg, und was bleibt?
F: Die Welt bleibt, und ich bleibe.
M: Ja, aber ganz anders ist es, wenn man es so sehen kann, wie es ist, und nicht durch den Schleier von Begierde und Angst.
F: Wozu dienen all diese Unterscheidungen von Wahrheit und Illusion, Weisheit und Unwissenheit, Heiliger und Sünder? Jeder ist auf der Suche nach Glück, jeder strebt verzweifelt danach. Jeder ist ein Yogi, und sein Leben ist eine Schule der Weisheit. Jeder lernt auf seine Weise die Lektionen, die er braucht. Manche werden von der Gesellschaft gebilligt, und andere nicht. Es gibt keine Regeln, die immer und überall gelten.
M: In meiner Welt ist die Liebe das einzige Gesetz. Ich bitte nicht um Liebe, ich gebe sie. Das ist meine Natur.
F: Ich sehe aber auch, wie du dein Leben nach einem Muster lebst. Morgens leitest du zur Meditation an, hältst Vorträge und führst regelmäßig Diskussionen. Zweimal täglich gibt es Gottesdienste (Puja) und abends religiöse Gesänge (Bhajan). Du scheinst dich gewissenhaft an diese Routine zu halten.
M: Gottesdienst und Gesang sind so, wie ich sie vorgefunden habe, und ich sah keinen Grund, mich einzumischen. Der restliche Ablauf richtet sich nach den Wünschen der Menschen, mit denen ich zusammenlebe oder die zum Zuhören kommen. Sie sind berufstätige Menschen mit vielen Verpflichtungen, und die Zeiteinteilung richtet sich nach ihren Möglichkeiten. Eine sich wiederholende Routine ist unvermeidlich. Sogar Tiere und Pflanzen haben ihren Zeitplan.
F: Ja, wir sehen überall im Leben einen regelmäßigen Ablauf. Wer hält diese Ordnung aufrecht? Gibt es einen inneren Herrscher, der Gesetze erläßt und für Ordnung sorgt?
M: Alles bewegt sich seiner Natur entsprechend. Wo wäre ein Polizist nötig? Jede Aktion erzeugt eine Reaktion, um die Aktion auszugleichen und zu neutralisieren. Alles passiert, aber es gibt eine ständige Aufhebung, und am Ende ist es, als ob nichts passiert wäre.
F: Tröste mich bitte nicht mit Endzeit-Harmonien. Die Rechnung mag am Ende stimmen, aber zu meinen Ungunsten.
M: Abwarten und schauen! Vielleicht erreichst du am Ende auch einen Gewinn, der die Ausgaben rechtfertigt.
F: Hinter mir liegt ein langes Leben, und ich frage mich oft, ob die vielen Ereignisse zufällig stattfanden oder ob es einen Plan dafür gab. Gab es schon vor meiner Geburt ein Muster, nach dem ich mein Leben leben mußte? Wenn ja, wer hat diese Pläne gemacht, und wer hat sie durchgesetzt? Kann es hier zu Abweichungen und Fehlern kommen? Manche behaupten, das Schicksal sei unveränderlich und jede Sekunde des Lebens vorbestimmt. Andere sagen, daß der reine Zufall alles entscheidet.
M: Du kannst es halten, wie du willst. Du kannst in deinem Leben ein bestimmtes Muster oder lediglich eine Kette von Zufällen erkennen. Solche Erklärungen werden gemacht, um den Verstand zu erfreuen, und müssen nicht wahr sein. Die Wahrheit ist undefinierbar und unbeschreiblich.
F: Du weichst meiner Frage aus! Ich möchte wissen, wie du es siehst. Wohin wir auch schauen, erkennen wir Strukturen von unglaublicher Intelligenz und Schönheit. Wie kann ich glauben, daß das Universum formlos und chaotisch ist? Deine Welt, die Welt, in der du lebst, mag zwar formlos sein, aber sie muß nicht chaotisch sein.
M: Das objektive Universum besitzt natürlich Struktur, Ordnung und Schönheit. Das kann niemand leugnen. Aber Struktur und Muster bedeuten auch Begrenzung und Zwang. Meine Welt ist vollkommen frei, und alles darin ist selbstbestimmt. Deshalb sage ich immer wieder, daß alles von selbst geschieht. Auch in meiner Welt herrscht Ordnung, aber sie wird nicht von außen auferlegt. Aufgrund ihrer Zeitlosigkeit geschieht alles spontan und unmittelbar. Die Vollkommenheit geschieht nicht in irgendeiner Zukunft, sondern ist jetzt.
F: Beeinflußt deine Welt die meine?
M: Nur an einem Punkt, im Jetzt. Das verleiht ihr ein vorübergehendes Sein, eine flüchtige Empfindung der Wahrheit. Im ganzheitlichen Gewahrsein geschieht der Kontakt, und das erfordert mühelose und nicht-ichbewußte Achtsamkeit.
F: Ist Achtsamkeit nicht eine Haltung des Verstandes?
M: Ja, wenn der Verstand nach Wahrheit strebt, dann schenkt er Achtsamkeit. An deiner Welt ist nichts falsch. Es ist nur dein Denken der Trennung von der Welt, das für Unordnung sorgt. So wird der Egoismus die Quelle allen Übels.
F: Ich komme auf meine Frage zurück: Hat mein inneres Selbst bereits vor meiner Geburt über die Einzelheiten meines Lebens entschieden, oder war es völlig zufällig und der Gnade der Vererbung und Umstände ausgeliefert?
M: Diejenigen, die von sich behaupten, sie hätten ihren Vater und ihre Mutter ausgewählt und entschieden, wie sie ihr nächstes Leben führen werden, wissen das vielleicht von sich. Ich weiß nur von mir selbst, daß ich nie geboren wurde.
F: Und doch sehe ich dich vor mir sitzen und meine Fragen beantworten.
M: Du siehst nur den Körper, der natürlich geboren wurde und sterben wird.
F: Ja, es ist die Lebensgeschichte dieses Körper-Verstandes, die mich interessiert. Wurde sie von dir selbst oder jemand anderem bestimmt, oder geschah sie zufällig?
M: Deine Frage hat einen Haken, denn ich mache keinen Unterschied zwischen diesem Körper und dem ganzen Universum. Jeder ist die Ursache des anderen, und in Wahrheit ist jeder der andere. Aber ich bin jenseits davon. Wenn ich dir sage, daß ich nie geboren wurde, warum fragst du mich dann immer wieder, was ich für die nächste Geburt vorbereitet habe? Sobald du deiner Vorstellungskraft erlaubst, sich zu bewegen, entsteht sogleich eine (entsprechende) Welt. Es ist überhaupt nicht so, wie du es dir vorstellst, und ich bin nicht an deine Vorstellungen gebunden.
F: Es erfordert zumindest Intelligenz und Energie, um einen lebendigen Körper aufzubauen und zu erhalten. Woher kommen diese?
M: Auch das sind alles nur Vorstellungen, und Intelligenz und Energie werden nur in deiner Vorstellungswelt gebraucht. Sie hat dich so völlig in ihren Bann gezogen, daß du einfach nicht begreifen kannst, wie weit du von der Wahrheit entfernt bist. Zweifellos ist die Vorstellungskraft äußerst kreativ. Eine ganze Welt innerhalb des Universums ist darauf aufgebaut. Dennoch befinden sich alle Vorstellungen in Raum und Zeit, Vergangenheit und Zukunft, die (in Wahrheit) gar nicht existieren.
F: Ich habe kürzlich einen Bericht über ein kleines Mädchen gelesen, das in seiner frühen Kindheit sehr grausam behandelt wurde. Sie war schwer verstümmelt und entstellt und wuchs in einem Waisenhaus auf, völlig entfremdet von ihrer Umgebung. Dieses kleine Mädchen war ruhig und gehorsam, aber völlig gleichgültig. Eine der Nonnen, die sich um die Kinder kümmerten, war überzeugt, daß das Mädchen nicht geistig zurückgeblieben, sondern lediglich zurückgezogen und teilnahmslos war. Ein Psychologe wurde gebeten, den Fall zu übernehmen, und zwei Jahre lang sah er das Kind einmal pro Woche und versuchte, die Mauer der Isolation zu durchbrechen. Sie war fügsam und brav, doch schenkte ihrem Therapeuten keine Beachtung. Irgendwann brachte er ihr ein Puppenhaus mit Zimmern, beweglichen Möbeln und Puppen, die Vater, Mutter und Kinder darstellten. Da kam es zu einer Reaktion, und das Mädchen zeigte Interesse. Eines Tages lebten die alten Schmerzen wieder auf und kamen an die Oberfläche. Allmählich erholte sie sich davon, mehrere Operationen brachten ihr Gesicht und ihren Körper wieder in Ordnung, und sie wuchs zu einer tüchtigen und attraktiven jungen Frau heran. Der Therapeut brauchte mehr als fünf Jahre, doch dann war die Arbeit getan. Er war ein echter Guru! Er stellte weder Bedingungen auf, noch sprach er über Bereitschaft und Voraussetzungen. Nicht aus Glauben oder Erwartung, sondern nur aus Liebe versuchte er es immer wieder.
M: Ja, das ist die wahre Natur eines Gurus. Er wird niemals aufgeben. Aber um erfolgreich zu sein, darf er nicht auf zu viel Widerstand stoßen. Zweifel und Ungehorsam bringen zwangsläufig Verzögerungen. Doch wo er Vertrauen und geistige Beweglichkeit findet, kann er im Schüler schnell eine grundlegende Veränderung bewirken. Dazu ist sowohl die tiefe Einsicht des Gurus als auch die Ernsthaftigkeit des Schülers erforderlich. Abgesehen von ihrem allgemeinen Zustand, fehlte dem Mädchen in deiner Geschichte anfangs die Ernsthaftigkeit bezüglich ihres Therapeuten. Am schwierigsten sind hier die Intellektuellen, die viel reden, aber es nicht ernst genug meinen. - Was du Selbst-Verwirklichung nennst, ist eine ganz natürliche Sache. Wenn du bereit bist, wird dich dein Guru erwarten, und das Sadhana wird mühelos sein. Wenn die Beziehung zu deinem Lehrer stimmt, dann wirst du wachsen. Vertraue ihm vor allem, er wird dich nicht irreführen.
F: Auch wenn er mich bittet, etwas offensichtlich Falsches zu tun?
M: Tu es! Ein Sannyasin wurde einst von seinem Guru gebeten, zu heiraten. Er gehorchte und litt bitterlich. Aber seine vier Kinder wurden alle Heilige und Seher, die größten in ganz Maharashtra. Sei glücklich mit allem, was von deinem Guru kommt, und du wirst ohne Anstrengung die Vollkommenheit erreichen.
F: Hast du irgendwelche Wünsche oder Bedürfnisse? Kann ich etwas für dich tun?
M: Was kannst du mir geben, das ich nicht schon habe? Um zufrieden zu sein, denkt man an materielle Dinge. Aber ich bin mit mir selbst zufrieden. Was brauche ich noch?
F: Sicherlich brauchst du auch Nahrung, wenn du hungrig bist, und Medikamente, wenn du krank bist.
M: Der Hunger bringt die Nahrung, und die Krankheit bringt die Medizin. Das ist alles ein Werk der Natur.
F: Falls ich etwas mitbringe, von dem ich glaube, daß du es brauchen könntest, wirst du es annehmen?
M: Die Liebe, die dich dazu bringt, es anzubieten, wird mich dazu bringen, es anzunehmen.
F: Und wenn dir jemand anbietet, einen wunderschönen Ashram zu bauen?
M: Dann laß ihn das auf jeden Fall tun. Laß ihn ein Vermögen ausgeben, Hunderte beschäftigen und Tausende ernähren.
F: Ist das kein Wunsch?
M: Keineswegs! Ich bitte ihn nur, es gut zu machen, nicht geizig und halbherzig. Er erfüllt damit seinen eigenen Wunsch, nicht meinen. Deshalb soll er es gut machen und unter Menschen und Göttern berühmt sein.
F: Aber willst du es?
M: Ich will es nicht.
F: Und wirst du es annehmen?
M: Ich brauche es nicht.
F: Wirst du dann darin wohnen?
M: Wenn es nötig ist.
F: Was kann dich dazu nötigen?
M: Die Liebe zu denen, die auf der Suche nach dem Licht sind.
F: Ja, ich verstehe deine Ansicht. Wie komme ich nun zu Samadhi?
M: Wenn du dich im richtigen Zustand befindest, wird dich alles, was du siehst, in Samadhi versetzen. Schließlich ist Samadhi nichts Ungewöhnliches. Wenn der Verstand intensiv interessiert ist, wird er eins mit dem Objekt des Interesses: Der Sehende und das Gesehene werden eins im Sehen, der Hörende und das Gehörte werden eins im Hören, und der Liebende und das Geliebte werden eins im Lieben. So kann jede Erfahrung die Grundlage für Samadhi sein.
F: Befindest du dich immer in einem Zustand von Samadhi?
M: Natürlich nicht, denn Samadhi ist schließlich ein Zustand des Verstandes. Ich selbst bin jenseits aller Erfahrung, sogar der Samadhi-Erfahrung. Ich bin der große Verschlinger und Vernichter, denn was auch immer ich berühre, löst sich in Leere (Akasha) auf.
F: Ich brauche Samadhi zur Selbstverwirklichung.
M: Du hast bereits die Selbstverwirklichung, die du brauchst, aber du vertraust ihr nicht. Hab Mut, vertraue dir selbst, geh, rede und wirke! Gib ihr die Chance, sich selbst zu beweisen. Bei einigen kommt die Selbstverwirklichung unmerklich, und sie müssen irgendwie davon überzeugt werden. Sie haben sich verwandelt, aber erkennen es nicht. Solche unspektakulären Fälle sind oft die zuverlässigsten.
F: Kann man glauben, sich selbst verwirklicht zu haben, und sich dann irren?
M: Natürlich. Die bloße Vorstellung „Ich bin selbstverwirklicht“ ist ein Irrtum. Denn es gibt kein „Ich bin dies oder das“ im Natürlichen Zustand.
Fragender: Vor etwa vierzig Jahren sagte J. Krishnamurti, daß nur das Leben da ist und alles Gerede über Persönlichkeiten und Individualitäten keine Grundlage in der Wahrheit hat. Er hat nicht versucht, das Leben zu beschreiben, er sagte lediglich, daß das Leben zwar nicht beschrieben werden muß und auch nicht beschrieben werden kann, aber man kann es vollkommen erleben, wenn die Hindernisse beseitigt werden, die dazu im Weg stehen. Das Haupthindernis liegt in unserer Vorstellung von der Zeit und unserer Abhängigkeit von ihr, sowie in unserer Gewohnheit, eine Zukunft im Licht der Vergangenheit anzunehmen. Die Summe der Vergangenheit wird zum „Ich war“, die erhoffte Zukunft wird zum „Ich werde“, und das Leben wird ein ständiger Versuch, vom „Ich war“ zum „Ich werde“ überzugehen. Der gegenwärtige Moment als das „Jetzt“ wird aus den Augen verloren. Du sprichst von „Ich bin“. Ist das auch eine Illusion, wie „Ich war“ und „Ich werde“, oder ist etwas Wahres daran? Und wenn auch das „Ich bin“ eine Illusion ist, wie kann man sich davon befreien? Schon die Vorstellung, ich sei frei von „Ich bin“, ist absurd. Gibt es etwas Wahres und Beständiges an dem „Ich bin“ im Unterschied zum „Ich war“ oder „Ich werde“, welche sich mit der Zeit verändern, weil hinzugefügte Erinnerungen neue Erwartungen erzeugen?
Maharaj: Das gegenwärtige „Ich bin“ ist ebenso falsch (bzw. illusorisch) wie das „Ich war“ und „Ich werde“. Es ist lediglich eine Vorstellung im Verstand, eine Empfindung aus der Erinnerung, und die getrennte Identität, die daraus entsteht, ist falsch. Diese Gewohnheit, sich auf ein falsches (illusionäres) Zentrum zu beziehen, muß abgeschafft werden, und die Vorstellungen „Ich sehe“, „Ich fühle“, „Ich denke“ oder „Ich handle“ müssen aus dem Feld des Bewußtseins verschwinden. Was dann bleibt, wenn das Falsche verschwunden ist, ist das Wahre.
F: Was bedeuten diese großen Worte über die Vernichtung des Ich? Wie kann sich das Ich selbst auslöschen? Welche metaphysische Akrobatik kann zum Verschwinden des Akrobaten führen? Am Ende wird er wieder auftauchen und mächtig stolz auf sein Verschwinden sein.
M: Man sollte nicht dem „Ich bin“ nachjagen, um es zu töten. Das kannst du auch nicht. Alles, was du brauchst, ist eine aufrichtige Liebe zur Wahrheit. Wir nennen es Atma-Bhakti, die Liebe zum Höchsten, oder Moksha-Sankalpa, die Entschlossenheit, vom Falschen frei zu sein. Ohne Liebe und einen von der Liebe inspirierten Willen kann nichts Wahres erreicht werden. Bloß über die Wahrheit zu reden, ohne etwas zu tun, ist selbstzerstörerisch. Es muß ein Liebe sein in der Beziehung zwischen der Person, die „Ich bin“ sagt, und dem Beobachter dieses „Ich bin“. Solange der Beobachter als das innere oder „höhere“ Selbst sich vom Beobachteten als dem „niederen“ Selbst (bzw. persönlichen Ich) getrennt sieht, es verachtet und verurteilt, ist die Situation aussichtslos. Erst wenn der Beobachter (Vyakta) die Person (Vyakti) als Projektion oder Manifestation seiner selbst akzeptiert und sozusagen das Ich in das Selbst aufnimmt, verschwindet die Dualität von „Ich“ und „Das“, und diese Identität des Äußeren und Inneren manifestiert sich als die Höchste Wahrheit. Diese Vereinigung des Sehers und des Gesehenen geschieht, wenn der Seher sich seiner selbst als Seher bewußt wird. Er interessiert sich also nicht nur für das Gesehene, was er sowieso macht, sondern auch dafür, die Achtsamkeit auf die Achtsamkeit zu richten und sich des Gewahrseins gewahr zu sein. Ein Gewahrsein voller Liebe ist der entscheidende Faktor, der die Wahrheit in den Fokus bringt.
F: Den Theosophen und nahestehenden Okkultisten zufolge besteht der Mensch aus drei Aspekten: Persönlichkeit, Individualität und Spiritualität. Jenseits der Spiritualität liegt die Göttlichkeit. Die Persönlichkeit ist zwingend vorübergehend und nur für eine einzige Geburt gültig. Sie beginnt mit der Geburt des Körpers und endet mit der Geburt des nächsten Körpers. Wenn sie einmal vergeht, dann ist das endgültig, und nichts davon bleibt übrig, außer einigen süßen oder bitteren Lektionen. Die Individualität beginnt beim tierhaften Menschen und endet beim vollkommenen Menschen. Die Spaltung zwischen Persönlichkeit und Individualität ist charakteristisch für unser heutiges Menschsein. Auf der einen Seite steht die Individualität mit ihrer Sehnsucht nach dem Wahren, Guten und Schönen, und auf der anderen Seite ein häßlicher Kampf zwischen Gewohnheit und Ehrgeiz, Angst und Gier, Passivität und Gewalt. Der Aspekt der Spiritualität ist noch in der Schwebe und kann sich in einer Atmosphäre der Dualität nicht manifestieren. Erst wenn die Persönlichkeit wieder mit der Individualität vereint ist und zu einem zwar begrenzten, aber wahrhaften Ausdruck davon wird, kommen das Licht, die Liebe und die Schönheit des Spirituellen zur Geltung. Auf diese Weise lehren sie über Vyakti, Vyakta und Avyakta (Beobachter, Beobachtetes und Beobachtungsgrund). Stimmt diese Ansicht?
M: Ja, wenn der Vyakti seine Nichtexistenz in der Trennung von Vyakta erkennt und das Vyakta den Vyakti als seinen eigenen Ausdruck sieht, dann entstehen Frieden und Stille des Avyakta-Zustands. In Wirklichkeit sind die drei eine Einheit: Vyakta und Avyakta sind untrennbar miteinander verbunden, während Vyakti der Prozeß des Fühlens, Empfindens und Denkens ist, der auf dem Körper basiert, der aus den fünf Elementen besteht und von ihnen ernährt wird.
F: Welche Beziehung besteht zwischen Vyakta und Avyakta?
M: Wie kann es eine Beziehung geben, wenn sie eins sind? Alles Gerede über Trennung und Beziehung ist auf den illusorischen und verfälschenden Einfluß der Vorstellung „Ich bin der Körper“ zurückzuführen. Das äußere Selbst (Vyakti) ist lediglich eine Projektion des inneren Selbst (Vyakta) auf den Körper-Verstand, was wiederum nur ein Ausdruck des Höchsten Selbst (Avyakta) ist, welches alles und nichts ist.
F: Es gibt Lehrer, die nicht über das höhere und niedere Selbst sprechen. Sie sprechen vom Menschen, als ob nur das niedere Selbst existiert. Weder Buddha noch Christus erwähnten jemals ein höheres Selbst. Auch J. Krishnamurti vermeidet jede Erwähnung des höheren Selbst. Wie kommt das?
M: Wie kann es zwei Selbste in einem Körper geben? Das „Ich bin“ ist eins. Es gibt kein höheres „Ich bin“ und kein niederes „Ich bin“. Alle Arten geistiger Zustände werden dem Gewahrsein präsentiert, und dann findet eine Selbst-Identifikation mit ihnen statt. Die Objekte der Beobachtung sind nicht das, was sie zu sein scheinen, und die Einstellungen, mit denen sie beobachtet werden, sind nicht das, was sie sein müßten. Wenn du denkst, daß ein Buddha, Christus oder Krishnamurti zu irgendeiner Person sprechen, dann irrst du dich. Sie wissen genau, daß der Vyakti als das äußere (persönliche) Selbst nur ein Schatten des Vyakta als das innere Selbst ist, und sie sprechen und ermahnen nur den Vyakta. Sie fordern ihn auf, seine Aufmerksamkeit auf das äußere Selbst zu richten, es zu führen und ihm zu helfen, sich entsprechend verantwortlich zu fühlen: Kurz gesagt, sich dessen vollkommen gewahr zu sein. Das Gewahrsein kommt vom Höchsten und durchdringt das innere Selbst. Das sogenannte äußere Selbst ist nur ein Teil des eigenen Wesens, dessen man sich nicht gewahr ist. Man mag zwar bewußt sein, denn jedes Wesen ist bewußt, aber man ist sich nicht (ganzheitlich) gewahr. Was im Gewahrsein enthalten ist, wird zum Inneren und nimmt am Inneren teil. Oder anders gesagt: Der Körper bestimmt das äußere Selbst, das Bewußtsein das innere, und im reinen Gewahrsein wird das Höchste berührt.
F: Du sagst, der Körper definiere das äußere (persönliche) Selbst. Hast du dann auch ein äußeres Selbst, weil du einen Körper hast?
M: Das würde ich haben, wenn ich (persönlich) an den Körper gebunden wäre und ihn für mich selbst halten würde.
F: Aber du bist dir dessen bewußt und kümmerst dich um seine Bedürfnisse.
M: Das Gegenteil liegt näher an der Wahrheit: Der Körper kennt mich und ist sich meiner Bedürfnisse bewußt. Aber wahr ist beides nicht, denn dieser Körper erscheint nur in deinem Verstand, während in meinem Verstand nichts davon ist.
F: Willst du damit sagen, daß du dir gar nicht bewußt bist, einen Körper zu haben?
M: Im Gegenteil, ich bin mir bewußt, daß ich keinen Körper habe.
F: Ich sehe dich aber rauchen!
M: Ganz genau! Du siehst mich rauchen. Nun finde für dich heraus, wie du dazu gekommen bist, mich rauchen zu sehen, und du wirst leicht erkennen, daß es dein geistiger Zustand „Ich bin der Körper“ ist, der für diese Vorstellung von „Ich sehe dich rauchen“ verantwortlich ist.
F: Es gibt also den Körper, und es gibt mich selbst. Ich kenne den Körper, doch davon abgesehen, was bin ich?
M: Getrennt vom Körper gibt es weder ein „Ich“, noch eine Welt. Die drei erscheinen und verschwinden gemeinsam. Die Wurzel ist die Empfindung „Ich bin“. Geh jenseits davon! Die Vorstellung „Ich bin nicht der Körper“ ist lediglich ein Gegenmittel für die falsche Vorstellung „Ich bin der Körper“. Was ist dieses „Ich bin“? Was könntest du wissen, wenn du dich selbst nicht kennst?
F: Aus dem Gesagten komme ich zu dem Schluß, daß es ohne den Körper auch keine Befreiung geben kann. Wenn die Vorstellung „Ich bin nicht der Körper“ zur Befreiung führt, ist die Anwesenheit des Körpers unerläßlich.
M: Ganz richtig! Wie kann ohne den Körper die Vorstellung „Ich bin nicht der Körper“ entstehen? Doch die Vorstellung „Ich bin frei“ ist genauso falsch wie die Vorstellung „Ich bin in Knechtschaft“. Finde das „Ich bin“ heraus, das beiden gemeinsam ist, und geh darüber hinaus!
F: Es ist also alles nur ein Traum!?
M: Das sind alles nur Worte. Welchen wahren Nutzen haben sie für dich? Du bist im Netz begrifflicher Definitionen und Formulierungen verstrickt. Geh über deine Konzepte und Vorstellungen hinaus! In der Stille der Gedanken und Erwartungen wird die Wahrheit gefunden.
F: Man muß sich also daran erinnern, sich nicht zu erinnern. Was für eine Aufgabe!
M: Das ist natürlich unmöglich. Es muß einfach geschehen, und es geschieht, wenn du wahrhaftig die Notwendigkeit erkennst. Auch hier ist Ernsthaftigkeit der goldene Schlüssel.
F: Im Hintergrund meines Verstandes ist die ganze Zeit ein Wispern zu hören. Unzählige schwache Gedanken schwirren und wispern, und diese formlose Wolke ist immer bei mir. Geht es dir auch so? Was passiert in deinem Hintergrund des Verstandes?
M: Wo es keinen Verstand gibt, gibt es auch keinen Hintergrund. Ich bin ganz vorn, nicht hinten! Die Leere spricht, und die Leere bleibt.
F: Gibt es keine Erinnerungen mehr?
M: Es bleibt keine Erinnerung an vergangene Freuden oder Schmerzen zurück. Jeder Moment ist neu geboren.
F: Ohne Erinnerung kannst du doch nicht bewußt sein.
M: Natürlich bin ich bewußt, und dessen auch völlig gewahr. Ich bin kein Holzklotz! Vergleiche das Bewußtsein und seinen Inhalt mit einer Wolke: Du bist in der Wolke, während ich sie betrachte. Du verlierst dich darin und kannst kaum deine Fingerspitzen sehen, während ich die Wolke und viele andere Wolken sowie den blauen Himmel und Sonne, Mond und Sterne sehe. Die Wahrheit ist für uns beide eins, aber für dich ist sie ein Gefängnis und für mich ein Zuhause.
F: Du hast von der Person (Vyakti), dem Zeugen (Vyakta) und dem Höchsten (Avyakta) gesprochen. Was kommt zuerst?
M: Im Höchsten erscheint der Zeuge. Der Zeuge erschafft die Person und denkt, er sei von ihr getrennt. Der Zeuge erkennt, daß die Person im Bewußtsein erscheint, das wiederum dem Zeugen erscheint. Diese Erkenntnis der grundlegenden Einheit ist das Wirken des Höchsten. Es ist die Kraft hinter dem Zeugen, die Quelle, aus der alles fließt. Sie kann nicht begriffen werden, solange zwischen der Person und dem Zeugen keine Einheit, Liebe und gegenseitige Hilfe besteht, so daß das Tun in Harmonie mit dem Dasein und dem Wissen ist. Das Höchste ist sowohl die Quelle als auch die Frucht dieser Harmonie. Während ich mit dir spreche, befinde ich mich im Zustand losgelöster, doch liebevollem Gewahrsein (Turiya). Wenn sich dieses Gewahrsein auf sich selbst richtet, dann kann man es den Höchsten Zustand (Turiyatita) nennen. Aber die grundlegende Wahrheit liegt jenseits des Gewahrseins, jenseits der drei Zustände von Werden, Sein und Nichtsein.
F: Wie kommt es, daß sich mein Verstand in deiner Gegenwart mit höchsten Themen beschäftigt und es einfach und angenehm findet, darin zu verweilen? Wenn ich nach Hause zurückkehre, dann vergesse ich alles, was ich hier gelernt habe, mache mir Sorgen und ärgere mich und kann mich nicht einmal für einen Moment an meine wahre Natur erinnern. Was kann die Ursache dafür sein?
M: Du fällst in deinen kindhaften Zustand zurück, weil du noch nicht ganz erwachsen bist. Es gibt (Bewußtseins-) Ebenen, die noch unentwickelt sind, weil sie nicht beachtet werden. Richte deine Achtsamkeit voll und ganz auf das, was in dir grob und primitiv, unvernünftig und unfreundlich, kleinlich und kindhaft ist, und du wirst wachsen und reifen. Denn die Reife von Herz und Verstand ist entscheidend und kommt mühelos, wenn das Haupthindernis beseitigt wurde, nämlich die Unachtsamkeit und das Nicht-Gewahrsein. Im Gewahrsein wirst du (er-) wachsen.
Fragender: Wir waren längere Zeit im Satya Sai Baba Ashram und dann für zwei Monate im Sri Ramana Ashram in Tiruvannamalai. Jetzt sind wir auf dem Weg zurück in die USA.
Maharaj: Und hat Indien in dir irgendwelche Veränderungen bewirkt?
F: Wir haben das Gefühl, unsere Last abgelegt zu haben. Sri Satya Sai Baba forderte uns auf, alles ihm zu überlassen und jeden Tag so wahrhaftig wie möglich zu leben. Er sagte uns immer wieder: „Sei gut, und überlasse alles andere mir.“
M: Was hast du im Sri Ramana Ashram gemacht?
F: Wir haben das Mantra fortgesetzt, das uns der Guru gegeben hatte, und auch etwas meditiert. Es gab nicht viel nachzudenken oder zu studieren. Wir haben vor allem versucht, still zu sein. Wir gehen den Bhakti-Weg (der liebenden Hingabe) und sind eher arm an Philosophie (des Jnana Yoga). Wir müssen nicht viel darüber nachdenken, sondern vertrauen einfach unserem Guru und leben unser Leben.
M: Die meisten Bhaktas vertrauen ihrem Guru nur solange, wie es ihnen gut geht. Wenn Probleme auftauchen, fühlen sie sich im Stich gelassen und machen sich auf die Suche nach einem anderen Guru.
F: Ja, wir wurden vor dieser Gefahr gewarnt. Wir versuchen, die Schwierigkeiten wie auch die Freuden anzunehmen. Die Empfindung „Alles ist Gnade“ muß sehr stark sein. Ein Sadhu wanderte nach Osten, als sich von dort ein starker Wind erhob. Da drehte sich der Sadhu einfach um und ging nach Westen. Wir hoffen, ebenso einfach zu leben, indem wir uns an die Umstände anpassen, die uns unser Guru geschickt hat.
M: Ja, es gibt nur das Leben, und es gibt niemanden, der ein Leben führt.
F: Das verstehen wir gut, und doch versuchen wir ständig, unser Leben zu leben, anstatt nur lebendig zu sein. Es scheint eine tiefverwurzelte Gewohnheit zu sein, Pläne für die Zukunft zu schmieden.
M: Ob man es plant oder nicht, das Leben geht weiter. Aber im Leben selbst erscheint ein kleiner Wirbel im Verstand, der sich Illusionen hingibt und sich vorstellt, das Leben zu beherrschen und zu kontrollieren. Das Leben selbst hat keine Wünsche. Aber das illusorische Selbst will sich immer weiter fortsetzen und (persönliche) Freude erleben. Daher ist es stets darum bemüht, den eigenen Fortbestand zu sichern. Das Leben selbst ist mühelos und frei. Solange du die Vorstellung hast, Ereignisse beeinflussen zu können, ist für dich keine Freiheit möglich, denn schon die Vorstellung, ein Handelnder zu sein und etwas zu verursachen, ist Knechtschaft.
F: Wie kann man die Dualität von Handelndem und Handlung überwinden?
M: Betrachte das Leben als unendlich, ungeteilt, immer gegenwärtig und immer wirksam, bis du erkennst, daß du eins mit ihm bist. Das ist gar nicht so schwierig, denn du wirst nur zu deinem eigentlichen natürlichen Zustand zurückkehren. Sobald du erkennst, daß alles von innen kommt, daß die Welt, in der du lebst, nicht auf dich, sondern von dir projiziert wurde, findet deine Angst ein Ende. Ohne diese Erkenntnis identifizierst du dich mit den Äußerlichkeiten, wie dem Körper, dem Verstand, der Gesellschaft, der Nation, der Menschheit oder sogar mit Gott oder dem Absoluten. Aber das sind alles (illusorische) Fluchtwege aus der Angst. Nur wenn du deine Verantwortung für die kleine Welt, in der du lebst, vollkommen akzeptierst und den Prozeß ihrer Entstehung, Erhaltung und Zerstörung erkennst, kannst du von deiner illusionären Knechtschaft befreit werden.
F: Warum habe ich eine solche Vorstellung, die mich so elend macht?
M: Das machst du nur aus Gewohnheit. Verändere deine Gefühls- und Denkweisen, mache eine Bestandsaufnahme und prüfe sie genau. Du bist durch Unwissenheit in Knechtschaft geraten, und die Achtsamkeit befreit. Du hältst so viele Dinge für wahrhaftig. Nun beginne, zu hinterfragen! Die offensichtlichsten Dinge sind die zweifelhaftesten. Stell dir solche Fragen wie: „Wurde ich wirklich geboren?“ „Bin ich wirklich so und so?“ „Woher weiß ich, daß ich existiere?“ „Wer sind meine Eltern?“ „Haben sie mich erschaffen, oder habe ich sie erschaffen?“ „Muß ich alles glauben, was mir über mich erzählt wird?“ „Wer bin ich überhaupt?“ Du hast so viel Energie in den Bau deines Gefängnisses gesteckt. Nun gib genausoviel für den Abriß aus! Tatsächlich ist die Zerstörung sogar einfacher, denn das Illusionäre löst sich auf, wenn es entdeckt wird. Alles hängt von der (grundlegenden) Vorstellung „Ich bin“ ab. Untersuche diese sehr gründlich, denn es ist die Wurzel aller Probleme. Es ist wie eine Haut, die dich von der Wahrheit trennt. Die Wahrheit ist sowohl innerhalb als auch außerhalb der Haut, aber die Haut selbst ist nicht wahr. Diese Vorstellung von „Ich bin“ wurde nicht mit dir geboren, und du hättest sehr gut ohne sie leben können. Sie kam erst später aufgrund deiner Selbst-Identifikation mit dem Körper und erzeugte die Illusion einer Trennung, wo gar keine ist. Sie machte dich zu einem Fremden in deiner eigenen Welt, und machte auch die Welt fremd und feindselig. Auch ohne die Empfindung von „Ich bin“ geht das Leben weiter. Es gibt immer wieder Momente, in denen wir ohne die Empfindung von „Ich bin“ glücklich und zufrieden leben. Und mit der Rückkehr des „Ich bin“ beginnt der Ärger.
F: Wie kann man von dieser „Ich“-Empfindung frei werden?
M: Du mußt dich mit dieser Empfindung von „Ich“ auseinandersetzen, wenn du davon frei werden willst. Beobachte seine Wirkung und seinen Frieden, wie es beginnt und wann es aufhört, was es will und wie es dieses bekommt, bis du es klar sehen und vollkommen durchschauen kannst. Schließlich haben alle Yoga-Wege, egal woher sie kommen oder wie sie erscheinen, nur ein Ziel, nämlich dich vor dem Unglück einer getrennten Existenz zu bewahren und damit nur ein bedeutungsloser Punkt in einem riesigen und schönen Bild zu sein. Du leidest, weil du dich selbst von der Wahrheit entfremdet hast und nun einen Ausweg aus dieser Entfremdung suchst. Doch du kannst deinen eigenen Zwangsvorstellungen nicht entfliehen, sondern nur aufhören, sie zu ernähren. Weil das „Ich bin“ illusorisch ist, will es sich immer weiter erhalten. Doch die Wahrheit muß nicht erhalten werden, denn sie ist sich seiner Unvergänglichkeit bewußt, und damit ist sie gleichgültig gegenüber der Zerstörung von Formen und Ausdrücken. Um das „Ich bin“ zu stärken und beständig zu machen, tun wir alles mögliche, doch alles vergeblich, denn das „Ich bin“ muß jeden Moment neu aufgebaut werden. Das ist eine endlose Arbeit, und die einzige grundlegende Lösung besteht darin, die trennende Empfindung von „Ich bin diese oder jene Person“ für immer und ewig aufzulösen. Das Dasein bleibt, aber nicht das Ichsein.
F: Ich habe bestimmte spirituelle Wünsche. Sollte ich nicht für deren Erfüllung arbeiten?
M: Kein Wunsch ist spirituell. Alle Wünsche dienen dem „Ich bin“. Wenn du wahre Fortschritte machen willst, mußt du alle Vorstellungen von persönlichem Erfolg aufgeben. Persönliche Wünsche eines sogenannten Yogis sind absurd. Der Wunsch eines Mannes nach einer Frau ist höchst unschuldig im Vergleich mit dem Wunsch nach ewiger persönlicher Glückseligkeit. Der Verstand ist ein Betrüger, und je heiliger er erscheint, desto größer ist der Betrug.
F: Sehr oft kommen Menschen mit ihren weltlichen Problemen zu dir und bitten um Hilfe. Woher weißt du, was du ihnen sagen sollst?
M: Ich erzähle ihnen einfach, was mir gerade in den Sinn kommt. Ich habe kein standardisiertes Vorgehen im Umgang mit Menschen.
F: Du bist dir deiner selbst sicher. Wie kann auch ich sicher sein, daß mein Rat richtig ist, wenn mich Leute um Rat bitten?
M: Beobachte, in welchem Zustand du dich befindest und auf welcher Ebene du sprichst. Wenn du vom Verstand aus sprichst, dann liegst du möglicherweise falsch. Doch wenn du mit ganzheitlicher Einsicht in die Situation sprichst und deine eigenen mentalen Gewohnheiten nicht wirken, dann kann dein Rat eine wahre Antwort sein. Der wichtigste Punkt besteht darin, sich vollkommen darüber gewahr zu sein, daß weder du noch der Mensch vor dir nur ein Körper ist. Wenn also dein Bewußtsein klar und ganzheitlich ist, dann ist ein Fehler unwahrscheinlich.
Fragender: Ich bin pensionierter Buchhalter, und meine Frau arbeitet im Sozialbereich für arme Frauen. Unser Sohn reist in die USA, und wir sind bis hierher mitgekommen, um ihn nun zu verabschieden. Wir sind Panjabis (aus Punjab), aber leben in Delhi. Dort haben wir einen Guru des Radhasoami-Glaubens und legen großen Wert auf Satsang. So fühlen wir uns sehr glücklich, daß wir auch hierherkommen durften. Wir haben bereits viele Heilige getroffen und freuen uns, noch einen weiteren zu besuchen.
Maharaj: Man kann viele Einsiedler und Asketen treffen, aber ein vollkommen Selbst-Verwirklichter, der sich seiner Göttlichkeit (Swarupa) vollbewußt ist, ist schwer zu finden. Viele Weise und Yogis erlangen durch gewaltige Anstrengungen und Opfer viele wundersame Kräfte und können viel Gutes tun, indem sie Menschen helfen und ihren Glauben erwecken, aber das macht sie nicht vollkommen. Das ist kein Weg zur Wahrheit, sondern lediglich eine Bereicherung der Illusion, denn jede Anstrengung führt zu mehr Anstrengung. Was aufgebaut wurde, muß erhalten werden, und was erworben wurde, muß vor Verfall oder Verlust beschützt werden. Alles, was verlorengehen kann, ist nicht wahrhaft dein. Und was nicht dein ist, welchen wahren Nutzen kann es für dich haben? In meiner Welt wird nichts (mit Anstrengung) vorangetrieben, denn alles geschieht von selbst. Jede Existenz besteht in Raum und Zeit und ist entsprechend begrenzt und vorübergehend. Und wer diese Existenz erfährt, ist ebenfalls begrenzt und vorübergehend. So kümmere ich mich weder darum, „was existiert“, noch darum, „wer existiert“. Mein Dasein ist darüber hinaus, wo ich beides und keines von beiden bin.
Die Personen, die mit viel Mühe und Buße ihre Wünsche erfüllt und eine höhere Ebene an Erfahrung und Taten erlangt haben, sind sich ihres Zustandes normalerweise sehr bewußt. Deshalb ordnen sie auch die Menschen in Ebenen ein, vom niedrigsten Nichtsnutz bis zum höchst Erfolgreichsten. Für mich sind alle gleich. Es mag Unterschiede im Aussehen und Ausdruck geben, aber das ist unwichtig. So wie die Form eines Goldschmucks keinen Einfluß auf das Gold hat, bleibt auch das wahre Wesen des Menschen unberührt. Wo diese Empfindung der Gleichheit fehlt, wurde die Wahrheit noch nicht berührt. Bloßes Wissen reicht nicht aus. Der Wissende muß erkannt sein. Die Gelehrten und Yogis mögen viele Dinge wissen, aber welchen Nutzen hat bloßes Wissen, wenn das Selbst nicht erkannt ist? Solches Wissen wird sicherlich mißbraucht werden, denn ohne die Erkenntnis des Wissenden kann es keinen Frieden geben.
F: Wie erkennt man den Wissenden?
M: Ich kann dir nur von meiner eigenen Erfahrung berichten. Als ich meinen Guru traf, sagte er zu mir: „Du bist nicht das, wofür du dich hältst. Finde heraus, was du bist! Achte auf die Empfindung von ‚Ich bin‘ und finde dein wahres Selbst.“ Ich gehorchte ihm, weil ich ihm vertraute, und tat, was er mir sagte. Meine ganze Freizeit verbrachte ich damit, mich schweigend zu betrachten. Das brachte in kürzester Zeit eine große Veränderung, und es dauerte nur drei Jahre, bis ich meine wahre Natur erkannte. Mein Guru starb kurz nachdem ich ihn traf, aber das machte keinen Unterschied. Ich erinnerte mich beharrlich an das, was er mir gesagt hatte, und die Frucht davon ist hier bei mir.
F: Was ist das für eine Frucht?
M: Ich kenne mich selbst, wie ich in Wahrheit bin. Ich bin weder der Körper, noch der Verstand oder die geistigen Fähigkeiten. Ich bin jenseits von all dem.
F: Bist du einfach nichts?
M: Nun komm, und sei vernünftig! Natürlich bin ich da, sogar sehr greifbar. Nur bin ich nicht das, wofür du mich vielleicht hältst. Das sagt dir alles.
F: Es sagt mir nichts.
M: Weil es nicht gesagt werden kann. Du mußt deine eigenen Erfahrungen machen. Du bist es gewohnt, mit körperlichen und geistigen Dingen umzugehen, doch ich bin kein Ding, und du auch nicht. Wir sind weder Materie noch Energie, weder Körper noch Verstand. Sobald du einen Einblick in dein eigenes Dasein hast, wird es dir nicht schwerfallen, mich zu verstehen. Wir glauben an so viele Dinge vom Hörensagen. Wir glauben an ferne Länder und Menschen, an Himmel und Höllen, an Götter und Göttinnen, weil es uns erzählt wurde. Ebenso wurde uns etwas über uns selbst, unsere Eltern, Namen, Positionen, Pflichten usw. erzählt. Doch wir haben uns nie darum gekümmert, dies zu überprüfen. Der Weg zur Wahrheit liegt in der Vernichtung des Falschen (Illusorischen). Um das Falsche zu vernichten, mußt du deine tiefsten Überzeugungen in Frage stellen. Und von diesen ist die Vorstellung, daß du der Körper bist, die schlimmste. Mit dem Körper kommt die Welt, mit der Welt Gott, der die Welt erschaffen haben soll, und so beginnt alles, Ängste, Religionen, Gebete, Opfer und alle möglichen Systeme. Und das alles zum Schutz und zur Erhaltung des kindhaften Menschen, der von selbsterschaffenen Monstern zu Tode erschreckt wird. Erkenne, daß das, was du bist, weder geboren noch sterben kann und daß alles Leid ein Ende hat, wenn die Angst verschwunden ist. Was der Verstand gemacht hat, zerstört der Verstand auch wieder. Aber die Wahrheit ist nicht gemacht und kann nicht zerstört werden. Halte daran fest, worüber der Verstand keine Macht hat! Was ich dir erkläre, liegt weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft und ist auch nicht im gegenwärtigen Fluß des täglichen Lebens. Es ist zeitlos, und seine vollkommene Zeitlosigkeit übersteigt den Verstand. Mein Guru und seine Worte „Du bist ich selbst“ sind zeitlos mit mir. Am Anfang mußte ich mich darauf konzentrieren, aber jetzt ist es ganz natürlich und einfach geworden. Der Punkt, an dem der Verstand die Worte des Gurus als wahr akzeptiert und spontan und in jedem Detail des täglichen Lebens danach lebt, ist die Schwelle der Selbst-Verwirklichung. In gewisser Weise ist es eine Erlösung durch Vertrauen, aber das Vertrauen muß intensiv und beständig sein. Du solltest jedoch nicht denken, daß dieses Vertrauen allein genügt. Erst das in Taten verwirklichte Vertrauen ist ein sicheres Mittel zur Verwirklichung, und von allen Mitteln ist es das wirksamste. Es gibt zwar auch Lehrer, die dieses Vertrauen leugnen und nur der Vernunft vertrauen, doch eigentlich leugnen sie nicht das Vertrauen, sondern nur den blinden Glauben. Wahrhaftiges Vertrauen ist nicht blind, sondern die Bereitschaft, es ernsthaft zu versuchen.
F: Man hat uns gesagt, daß von allen Formen spiritueller Praktiken die Haltung eines bloßen Zeugens die wirksamste ist. Wie paßt das zum Vertrauen?
M: Auch die Haltung eines Zeugens ist Vertrauen, und zwar das Vertrauen in sich selbst. Du vertraust, daß du nicht das bist, was du erfährst, und betrachtest alles wie aus der Ferne. So ist es keine Anstrengung, Zeuge zu sein. Du erkennst, daß du nur der Zeuge bist und der Verstand handelt. Mehr brauchst du nicht. Erinnere dich einfach daran, daß du nur der Zeuge bist. Wenn du dich in der Haltung des Bezeugens fragst „Wer bin ich?“, dann kommt sofort die Antwort, auch wenn sie wortlos und still ist. Höre auf, ein Objekt zu sein, und werde zum Subjekt von allem, was passiert. Und sobald du dich nach innen gewandt hast, wirst du dich auch jenseits des Subjektes wiederfinden. Wenn du dich selbst gefunden hast, wirst du erkennen, daß du dich sogar jenseits aller Objekte befindest und daß sowohl Subjekt als auch Objekt in dir selbst existieren, du aber keines von beiden bist.
F: Du sprichst vom Verstand, vom beobachtenden Gewahrsein jenseits des Verstandes und vom Höchsten, das jenseits des Gewahrseins liegt. Willst du damit sagen, daß nicht einmal das Gewahrsein wahr ist?
M: Solange du mit Begriffen von wahr und falsch arbeitest, ist das Gewahrsein die einzige Wahrheit, die sein kann. Doch das Höchste liegt jenseits aller Unterscheidungen, und so trifft hier auch der Begriff „wahr“ nicht zu, denn im Höchsten ist alles wahr und muß daher nicht als solches bezeichnet werden. Es ist die eigentliche Quelle der Wahrheit und verleiht allem, was es berührt, Wahrheit. Es kann grundsätzlich mit Worten nicht begriffen werden. Sogar eine direkte Erfahrung, wie erhaben sie auch sein mag, ist lediglich ein Zeugnis, mehr nicht.
F: Doch wer erschafft die Welt?
M: Das universale Bewußtsein (Chidakash) erschafft alles und löst alles wieder auf. Und das Höchste (Paramakash) verleiht allem Erschaffenen Wahrheit. Zu sagen, daß es sich um die universale Liebe handelt, kommt diesem mit Worten vielleicht am nächsten, denn genau wie die Liebe macht es alles wahr, schön und wünschenswert.
F: Warum wünschenswert?
M: Warum nicht? Woher kommen all die mächtigen Anziehungskräfte, die alle geschaffenen Dinge aufeinander reagieren lassen und die Menschen zusammenbringen, wenn nicht vom Höchsten? Meide das Wünschen nicht! Achte nur darauf, daß es in die richtigen Kanäle fließt. Ohne Wünsche bist du tot, und mit niederen Wünschen nur ein Gespenst.
F: Welche Erfahrung kommt dem Höchsten am nächsten?
M: Unermeßlicher Frieden und grenzenlose Liebe. Erkenne, daß alles, was im Universum wahr, edel und schön ist, von dir kommt und daß du selbst die Quelle bist. Die Götter und Göttinnen, die die Welt überwachen, mögen höchst wundervolle und glorreiche Wesen sein, und dennoch sind sie wie die prächtig gekleideten Diener, welche die Macht und den Reichtum ihres Herrn verkünden.
F: Wie erreicht man das Höchste?
M: Indem man auf alle niederen (eigennützigen) Wünsche verzichtet. Solange du mit dem Niederen zufrieden bist, kannst du das Höchste nicht erreichen. Was auch immer dir gefällt, hält dich zurück. Bis du erkannt hast, daß alle Dinge unbefriedigend, vergänglich und begrenzt sind, und deine Energie in einem ganzheitlichen Wunsch gesammelt wird, hast du nicht einmal den ersten Schritt getan. Andererseits ist die Reinheit des Wunsches nach dem Höchsten selbst schon ein Ruf des Höchsten. Weder etwas Körperliches noch etwas Geistiges kann dir die Freiheit geben. Du bist frei, sobald du erkennst, daß deine Knechtschaft von dir selber verursacht wird, und du aufhörst, die Ketten zu schmieden, die dich selbst binden.
F: Wie findet man das Vertrauen in einen Guru?
M: Den Guru zu finden und dazu noch das Vertrauen in ihn, ist ein seltenes Glück. Das geschieht nicht oft.
F: Wird das vom Schicksal bestimmt?
M: Es „Schicksal“ zu nennen, erklärt wenig. Wenn es passiert, kannst du nicht sagen, warum es passiert, und indem du es Karma, Gnade oder den Willen Gottes nennst vertuschst du lediglich deine Unwissenheit.
F: Krishnamurti sagt, daß man eigentlich keinen Guru benötigt.
M: Jemand muß dir von der Höchsten Wahrheit und dem Weg dahin erzählen. Krishnamurti macht auch nichts anderes. Doch in gewisser Weise hat er recht, denn die meisten sogenannten Schüler vertrauen ihren Gurus nicht, sie gehorchen ihnen nicht und geben sie schließlich auf. Für solche Schüler wäre es unendlich besser, sie hätten keinen Guru und würden nur nach innen schauen, um geführt zu werden. Einen lebenden Guru zu finden ist ein seltenes Glück und auch eine große Verantwortung. Man sollte nicht leichtfertig damit umgehen. Ihr Menschen wollt euch den Himmel kaufen und stellt euch vor, daß ihn der Guru gegen einen gewissen Preis zur Verfügung stellen wird. Dabei versucht ihr noch ein Schnäppchen zu machen, indem ihr wenig anbietet, aber viel verlangt. Doch damit betrügt ihr euch nur selbst.
F: Dein Guru hat dir gesagt, daß du der Höchste bist, und du hast ihm vertraut und entsprechend gehandelt. Was gab dir dieses Vertrauen?
M: Man könnte sagen, ich war einfach vernünftig. Es wäre dumm gewesen, ihm zu mißtrauen. Welches Interesse könnte er daran haben, mich in die Irre zu führen?
F: Du hast einem Fragesteller geantwortet, daß wir alle gleich und ebenbürtig sind. Ich kann es nicht glauben, und wenn ich es nicht glaube, was nutzt mir dann deine Aussage?
M: Dein Unglaube ist nicht so wichtig. Meine Worte sind wahr, und sie werden ihre Wirkung haben. Das ist das Wunderbare an edler Gesellschaft (Satsang).
F: Kann das schon als spirituelle Praxis gelten, nur in deiner Nähe zu sitzen?
M: Natürlich! Der Fluß des Lebens fließt dahin. Ein Teil seines Wassers ist hier, aber ein Großteil hat bereits sein Ziel erreicht. Du kennst nur die Gegenwart, doch ich sehe viel weiter in die Vergangenheit und Zukunft, in das, was du bist und was du sein kannst. Ich kann nicht anders, als mich selbst in dir zu sehen, denn es liegt in der Natur der Liebe, keine Trennung zu sehen.
F: Wie kann ich mich selbst so sehen, wie du mich siehst?
M: Es reicht, wenn du dir nicht mehr vorstellst, dieser Körper zu sein. Es ist die Vorstellung von „Ich bin dieser Körper“, die so katastrophal wirkt und dich völlig blind gegenüber deiner wahren Natur macht. Denke nicht einmal für einen Moment, daß du der Körper bist. Gib dir keinen Namen und keine Form. In der Leere und Stille findet sich die Wahrheit.
F: Muß ich mich nicht durch Denken überzeugen, daß ich nicht der Körper bin? Wo finde ich sonst eine solche Überzeugung?
M: Verhalte dich einfach so, als ob du völlig überzeugt wärst, und das Vertrauen wird kommen. Was nützen bloße Worte? Irgendeine Formel oder ein Gedankenmuster wird dir hier nicht helfen. Aber uneigennütziges Handeln, frei von jeglicher Sorge um den Körper und seine Bedürfnisse, wird dich in das Herz der Wahrheit führen.
F: Woher soll ich den Mut nehmen, ohne Überzeugung zu handeln?
M: Die Liebe wird dir den Mut geben. Wenn du jemanden triffst, der ganz bewundernswert, liebenswert und erhaben ist, dann wird deine Liebe und Bewunderung den Drang wecken, edelmütig zu handeln.
F: Nicht jeder versteht es, das Bewundernswerte zu bewundern. Die meisten Menschen sind dafür völlig unsensibel und blind.
M: Das Leben wird ihre Sensibilität erwecken, und das Gewicht der gesammelten Erfahrung wird ihnen die Augen zum Sehen geben. Wenn du einen würdigen Menschen triffst, dann wirst du ihn lieben, ihm vertrauen und seinem Rat folgen. Dies ist die Rolle der selbstverwirklichten Menschen, ein Beispiel der Vollkommenheit zu sein, das andere bewundern und lieben können. So ist die reine Schönheit des Lebens und Charakters ein mächtiger Beitrag zum Gemeinwohl.
F: Müssen wir nicht leiden, um zu wachsen?
M: Es genügt zu erkennen, daß es Leid gibt und die Welt leidet. Weder Glück noch Leid bringen die Erleuchtung, sondern nur die Erkenntnis. Sobald du die Wahrheit erkannt hast, daß die Welt voller Leid und die Geburt selbst ein Unglück ist, wirst du den Drang und die Energie verspüren, darüber hinauszugehen. Glück läßt dich einschlafen, und Leid weckt dich auf. Wenn du nicht leiden willst, dann schläfst du nicht ein. Im Glück allein kannst du dich nicht selbst erkennen, denn Glückseligkeit liegt in deiner Natur. Du mußt dich dem Gegenteil stellen, nämlich dem, was du nicht bist, um Erleuchtung zu finden.
Fragender: Mir geht es nicht gut, und ich fühle mich sehr schwach. Was soll ich tun?
Maharaj: Wem geht es schlecht, dir selbst oder dem Körper?
F: Natürlich meinem Körper.
M: Gestern ging es dir gut. Was hat sich gut angefühlt?
F: Der Körper.
M: Du warst froh, wenn es dem Körper gut ging, und bist nun traurig, weil es dem Körper nicht mehr gut geht. Wer ist an einem Tag froh und am nächsten traurig?
F: Der Verstand.
M: Und wer erkennt den schwankenden Verstand?
F: Der Verstand.
M: Der Verstand ist der Wissende. Und wer erkennt den Wissenden?
F: Erkennt der Wissende sich nicht selbst?
M: Der Verstand ist unbeständig, denn er wird immer wieder ausgeblendet, wie im Schlaf, in Ohnmacht oder bei Ablenkung. So muß doch etwas Beständiges vorhanden sein, um eine Unbeständigkeit zu erkennen.
F: Der Verstand erinnert sich, und das zeugt von Beständigkeit.
M: Auch die Erinnerung ist immer bruchstückhaft, unbeständig und vergänglich. Sie erklärt nicht das starke Gefühl der Identität, welches das Bewußtsein durchdringt, nämlich die Empfindung von „Ich bin“. Finde heraus, was die Wurzel dafür ist!
F: So tief ich auch schaue, ich finde nur den Verstand, und deine Worte „jenseits des Verstandes“ helfen mir nicht weiter.
M: Solange du mit dem Verstand schaust, kann du nicht darüber hinausgehen. Um darüber hinauszugehen, mußt du den Blick vom Verstand und seinen Inhalten abwenden.
F: In welche Richtung soll ich schauen?
M: Alle Richtungen sind nur im Verstand! Ich bitte dich nicht, in eine bestimmte Richtung zu schauen. Schau einfach weg von allem, was in deinem Verstand passiert, und richte den Blick auf die Empfindung „Ich bin“. Das „Ich bin“ hat keine Richtung. Es ist die Negation aller Richtungen. Und letztendlich muß sogar das „Ich bin“ verschwinden, denn das Offensichtliche mußt man nicht ständig bekräftigen. Den Verstand auf die Empfindung „Ich bin“ zu richten, hilft lediglich dabei, den Verstand von allem anderen abzuwenden.
F: Wohin führt mich das alles?
M: Wenn der Verstand von seinen Sorgen ferngehalten wird, dann wird er still. Und wenn du diese Stille nicht störst und in ihr verweilst, dann wirst du feststellen, daß du von einem Licht und einer Liebe durchdrungen bist, die du bisher nie gekannt hast, und doch erkennst du sie sogleich als deine eigene Natur. Sobald du diese Erfahrung gemacht hast, wirst du nie wieder der alte Mensch sein. Der gegensätzliche Verstand mag gelegentlich den Frieden stören und diese Sicht verdecken, aber sie wird zwangsläufig wiederkehren, solange du dich darum bemühst. Und zwar bis zu dem Tag, an dem alle Bindungen gelöst werden, alle Wahnvorstellungen und Anhaftungen enden und das Leben sich vollkommen auf die Gegenwart konzentriert.
F: Was macht das für einen Unterschied?
M: Es gibt keinen Verstand mehr, sondern nur allwirkende Liebe.
F: Woran erkenne ich diesen Zustand, falls ich ihn erreiche?
M: Es wird keine Angst mehr geben.
F: Wie kann ich keine Angst haben, umgeben von einer Welt voller Geheimnisse und Gefahren?
M: Auch dein eigener kleiner Körper ist voller Geheimnisse und Gefahren, doch du hast keine Angst davor, weil du ihn als dein eigen annimmst. Und du weißt nicht, daß das ganze Universum dein Körper ist und du keinerlei Angst davor haben mußt. Man könnte also sagen, du hast zwei Körper, den persönlichen und den universalen. Der persönliche kommt und geht, und der universale ist immer bei dir. Die gesamte Schöpfung ist dein universaler Körper. Aber du wirst vom persönlichen so geblendet, daß du den universalen nicht siehst. Diese Blindheit wird nicht von selbst enden, sondern muß geschickt und bewußt rückgängig gemacht werden. Wenn alle Illusionen durchschaut und aufgegeben sind, erreichst du den fehlerfreien und vollkommenen Zustand, in dem keine Unterschiede mehr zwischen dem Persönlichen und Universalen bestehen.
F: Ich bin eine Person und daher begrenzt in Raum und Zeit. Ich nehme wenig Raum ein und existiere nur kurze Zeit. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, ewig und allesdurchdringend zu sein.
M: Trotzdem bist du es. Wenn du auf der Suche nach deiner wahren Natur tief in dich selbst eintauchst, dann wirst du entdecken, daß nur dein Körper klein und deine Erinnerung kurz ist, während (in Wahrheit) das grenzenlose und ewige Meer des Lebens dein ist.
F: Die Worte „ich“ und „universal“ sind doch widersprüchlich. Das eine schließt das andere aus.
M: Das stimmt nicht. Die Empfindung der Identität durchdringt auch das Universale. Wenn du suchst, dann wirst du erkennen, daß du die universale Person und unendlich mehr bist. Versuche in jeder Hinsicht zu erkennen, daß die Welt in dir ist und nicht du in der Welt bist.
F: Wie kann das sein? Ich bin doch nur ein Teil der Welt. Wie kann die ganze Welt in einem Teil enthalten sein, außer durch Reflexion wie in einem Spiegel?
M: Was du sagst, ist wahr. Dein persönlicher Körper ist ein Teil, in dem sich das Ganze auf wunderbare Weise widerspiegelt. Doch du hast auch einen universalen Körper. Und du kannst nicht einmal behaupten, daß du das nicht weißt, weil du es ständig siehst und erlebst. Aber du nennst es „die Welt“ und hast Angst davor.
F: Ich habe das Gefühl, daß ich meinen kleinen Körper kenne, während ich den anderen nur „wissenschaftlich“ verstehe.
M: Auch dein kleiner Körper ist voller Geheimnisse und Wunder, die du nicht kennst, und auch hier ist die „Wissenschaft“ dein einziger Wegweiser. So wirst du nicht nur von der Anatomie, sondern auch von der Astronomie beschrieben.
F: Selbst wenn ich deine Lehre vom universalen Körper als eine Theorie akzeptiere, auf welche Weise kann ich sie prüfen, und welchen Nutzen hat sie für mich?
M: Wenn du dich selbst als Bewohner beider Körper erkennst, wirst du nichts mehr verleugnen. Das ganze Universum wird dein Anliegen sein, und du wirst jedes Lebewesen lieben und überall liebevoll und weise helfen. So wird es keine Interessenkonflikte zwischen dir und anderen mehr geben. Jede Ausbeutung wird völlig aufhören. All deine Handlungen werden von Nutzen, und jede Bewegung wird ein Segen sein.
F: Das kling alles sehr verlockend, aber wie kann ich mein universales Wesen verwirklichen?
M: Du hast zwei Wege: Du kannst dein Herz und deinen Verstand der Selbstfindung widmen, oder du akzeptierst meine Worte voller Vertrauen und handelst entsprechend. Oder anders gesagt: Du wirst entweder völlig selbstsicher oder völlig selbstlos. Und es ist das Wort „völlig“, das hier entscheidend ist, denn um das Höchste zu erreichen, muß man vollkommen sein.
F: Wie kann ich solche Höhen anstreben, so klein und begrenzt wie ich bin?
M: Erkenne dich selbst als das Meer des Bewußtseins, in dem alles geschieht. Das ist nicht schwierig. Ein wenig Achtsamkeit, eine genaue Selbstbeobachtung, und du wirst erkennen, daß sich kein Ereignis außerhalb deines Bewußtseins befindet.
F: Die Welt ist aber auch voller Ereignisse, die in meinem Bewußtsein nicht auftauchen.
M: Sogar dein Körper ist voller Ereignisse, die nicht in deinem Bewußtsein auftauchen. Doch dies hindert dich nicht daran, deinen Körper als deinen eigenen zu betrachten. Du kennst die Welt nur genauso, wie du deinen Körper kennst, nämlich durch deine Sinne. Es ist dein Verstand, der die Welt außerhalb deiner Haut von der Welt in deinem Inneren getrennt und in Gegensätzlichkeit gebracht hat, was Angst, Haß und all das Elend des Lebens erzeugte.
F: Was du über das Hinausgehen über das Bewußtsein sagst, kann ich nicht verstehen. Ich verstehe die Worte, aber ich kann mir die Erfahrung nicht vorstellen. Schließlich hast du selbst gesagt, daß doch alle Erfahrungen im Bewußtsein stattfinden.
M: Du hast Recht, jenseits des (wirkenden) Bewußtseins kann es keine Erfahrung geben. Dennoch gibt es auch die Erfahrung, einfach nur da zu sein. Damit gibt es einen Zustand jenseits des Bewußtseins, der nicht unbewußt ist. Manche nennen ihn Überbewußtsein, reines Bewußtsein oder höchstes Bewußtsein. Es ist reines Gewahrsein, frei von der Subjekt-Objekt-Beziehung.
F: Ich habe Theosophie studiert und finde in diesen Worten nichts Vertrautes. Ich gebe zu, daß es in der Theosophie vor allem um die Manifestation geht. Sie beschreibt ausführlich das Universum und seine Bewohner. Sie läßt zwar viele Ebenen der Materie und entsprechende Ebenen der Erfahrung zu, aber scheint nicht darüber hinauszugehen. Was du sagts, geht über alle Erfahrung hinaus. Doch wenn es nicht erfahrbar ist, warum sollte man überhaupt darüber reden?
M: Das Bewußtsein ist bruchstückhaft und voller Lücken. Dennoch gibt es eine Kontinuität der Identität. Worauf ist dieses Identitätsgefühl zurückzuführen, wenn nicht auf etwas jenseits des Bewußtseins?
F: Wie könnte ich mich verändern, wenn ich jenseits des Verstandes bin?
M: Worin besteht die Notwendigkeit, etwas zu verändern? Es ist der ruhelose Verstand, der sich ständig verändert. Betrachte deinen Verstand leidenschaftslos, und das reicht aus, um ihn zu beruhigen. Wenn er ruhig ist, kannst du darüber hinausgehen. Halte ihn nicht ständig in geschäftiger Bewegung. Halt ein, und sei einfach da! Wenn du ihm Ruhe gönnst, dann kommt er zur Ruhe und gewinnt seine Reinheit und Stärke zurück. Ständiges Denken verdirbt ihn.
F: Wenn mein wahres Wesen immer bei mir ist, wie kommt es dann, daß ich mir dessen nicht bewußt bin?
M: Weil es sehr subtil ist, und dein Verstand ist grob, voller grober Gedanken und Gefühle. Beruhige und kläre deinen Verstand, und du wirst dich selbst so erkennen, wie du bist.
F: Brauche ich den Verstand, um mich selbst zu kennen?
M: Du bist jenseits des Verstandes, aber du weißt es mit deinem Verstand. Es ist offensichtlich, daß Umfang, Tiefe und Art des Wissens davon abhängen, welches Werkzeug du verwendest. Verbessere dein Werkzeug, und dein Wissen wird sich verbessern.
F: Um vollkommen zu wissen, brauche ich einen vollkommenen Verstand.
M: Du brauchst nur einen ruhigen Verstand. Alles andere wird vollkommen geschehen, sobald dein Verstand zur Ruhe kommt. Wie die aufgehende Sonne die Welt erwachen läßt, so wird auch das Selbst-Gewahrsein den Verstand erwecken. Im Licht des ruhigen und stetigen Selbst-Gewahrseins erwachen die inneren Energien und wirken Wunder, ohne daß du dich dafür anstrengen mußt.
F: Willst du damit sagen, daß die größte Arbeit dadurch geleistet wird, daß man ruht?
M: Ganz genau! Erkenne, daß die Erleuchtung dein Schicksal ist. Arbeite mit deinem Schicksal zusammen, widersprich ihm nicht und verhindere es nicht. Erlaube, daß es sich erfüllt. Alles, was du tun mußt, ist auf die Hindernisse zu achten, die der unwissende Verstand erzeugt.
Fragender: Ich komme aus England und bin auf dem Weg nach Madras. Dort will ich meinen Vater treffen, und wir werden mit dem Auto über Land nach London zurückkehren. Ich möchte dort Psychologie studieren, weiß aber noch nicht, was ich nach meinem Abschluß machen werde. Vielleicht versuche ich es mit Arbeitspsychologie oder Psychotherapie. Mein Vater ist Allgemeinarzt, und vielleicht folge ich auch seinem Weg. Aber damit sind meine Interessen nicht erschöpft. Es gibt bestimmte Fragen, die mich nie verlassen haben. Ich denke, daß du einige Antworten auf solche Fragen hast, und das hat mich dazu bewogen, dich aufzusuchen.
Maharaj: Ich frage mich, ob ich der Richtige bin, um deine Fragen zu beantworten, denn ich weiß wenig über Dinge und Menschen. Ich weiß nur, daß ich da bin, und so viel weißt du auch. Diesbezüglich sind wir gleich.
F: Natürlich weiß ich, daß ich da bin. Aber ich weiß nicht, was das bedeutet.
M: Was du für das „Ich“ im „Ich bin“ hältst, das bist du nicht. Zu wissen, daß man da ist, ist natürlich, aber zu wissen, was man ist, ist das Ergebnis intensiver Erforschung. Du mußt das gesamte Feld des Bewußtseins erforschen und darüber hinausgehen. Dafür mußt du den richtigen Lehrer finden und die Voraussetzungen für die Entdeckung schaffen. Im Allgemeinen gibt es dazu zwei Möglichkeiten, einen äußerlichen oder einen innerlichen Lehrer. Entweder du lebst mit jemandem zusammen, der die Wahrheit kennt, und unterwirfst dich ganz seinem führenden und formenden Einfluß, oder du suchst den inneren Lehrer und folgst dem inneren Licht, wohin es dich auch führt. In beiden Fällen müssen deine persönlichen Wünsche und Ängste außer acht gelassen werden. So lernst du entweder durch Nähe oder durch Nachforschung, auf passive oder aktive Weise. Entweder läßt du dich vom Fluß des Lebens und der Liebe tragen, der von deinem Guru repräsentiert wird, oder du unternimmst eigene Anstrengungen, geleitet von deinem inneren Stern. In beiden Fällen mußt du beständig und ernsthaft vorangehen. Es gibt selten Menschen, die das Glück haben, jemanden zu finden, der volles Vertrauen und ganze Liebe verdient. Die meisten müssen den härteren Weg gehen, den Weg der Intelligenz und des Verständnisses, der Unterscheidung und Loslösung (Viveka-Vairagya). Das ist der Weg, der allen offensteht.
F: Ich habe das Glück, hierhergekommen zu sein. Auch wenn ich morgen abreise, kann ein Gespräch mit dir mein ganzes Leben beeinflussen.
M: Ja, sobald du dich entscheidest „Ich möchte die Wahrheit finden“, wird es dein ganzes Leben zutiefst beeinflussen. Alle deine geistigen und körperlichen Gewohnheiten, Gefühle und Emotionen, Wünsche und Ängste, Pläne und Entscheidungen werden eine grundlegende Veränderung erfahren.
F: Was soll ich als nächstes tun, wenn ich mich entschieden habe, die Wahrheit zu finden?
M: Das hängt von deinem Temperament ab. Wenn du es wirklich ernst meinst, dann wird dich der gewählte Weg zum Ziel führen. Entscheidend ist die Ernsthaftigkeit.
F: Was ist die Quelle dieser Ernsthaftigkeit?
M: Es ist das instinktive Heimfinden, das einen Vogel zu seinem Nest zurückbringt und den Fisch zum Gebirgsbach, wo er geboren wurde. Der Samen kehrt zur Erde zurück, wenn die Frucht reif ist. Wichtig ist die Reife.
F: Und was wird mich reifen lassen? Brauche ich Erfahrung?
M: Du hast bereits die nötige Erfahrung, sonst wärst du nicht hierhergekommen. Nun mußt du nichts mehr ansammeln, sondern über die Erfahrung hinausgehen. Welche Anstrengung du auch unternimmst und welche Methode (Sadhana) du verfolgst, sie wird lediglich zu mehr Erfahrung führen, aber dich nicht weiterbringen. Auch das Lesen von Büchern wird dir nicht helfen. Du wirst nur deinen Verstand bereichern, aber die Person, die du bist, wird bestehenbleiben. Wenn du dir von deiner Suche einen materiellen, intellektuellen oder spirituellen Nutzen versprichst, hast du den entscheidenden Punkt verfehlt. Die Wahrheit bringt keinen (persönlichen) Nutzen, gibt dir keinen höheren Status und keine Macht über andere. Alles, was du erreichst, ist die Wahrheit und die Freiheit vom Falschen (bzw. von Illusion).
F: Doch sicherlich gibt die Wahrheit auch die Macht, anderen zu helfen.
M: Das ist bloße Einbildung, wie edel sie auch erscheinen mag! In der Wahrheit hilfst du nicht anderen, weil es keine „anderen“ gibt. Du unterteilst noch die Menschen in edle und unedle und bittest die edlen, den unedlen zu helfen. Du trennst, bewertest, urteilst und verurteilst im Namen der Wahrheit, und zerstörst sie damit. Schon dein Wunsch, die Wahrheit zu formulieren, verleugnet sie, weil sie nicht in Worte gefaßt werden kann. Die Wahrheit kann nur durch die Leugnung des Falschen verwirklicht werden. Dafür mußt du das Falsche als falsch erkennen (Viveka) und es zurückweisen (Vairagya). Der Verzicht auf das Falsche ist befreiend und erhebend, und damit wird der Weg zur Vollkommenheit geebnet.
F: Wann weiß ich, daß ich die Wahrheit entdeckt habe?
M: Wenn die Vorstellung „dies oder das ist wahr“ nicht mehr entsteht. Die Wahrheit behauptet sich nicht, sondern liegt darin, das Falsche als falsch zu erkennen und zurückzuweisen. Es ist sinnlos, nach der Wahrheit zu suchen, wenn der Verstand gegenüber dem Falschen blind ist. Er muß vollständig vom Falschen gereinigt werden, bevor ihm die Wahrheit dämmern kann.
F: Aber was ist falsch?
M: Sicherlich ist das, was kein Dasein hat, falsch.
F: Was meinst du damit, kein Dasein zu haben? Auch das Falsche ist da, hart wie ein Nagel.
M: Was sich selbst widerspricht, das hat kein Dasein. Oder es hat nur ein vorübergehendes Sein, was auf dasselbe hinausläuft. Denn was einen Anfang und ein Ende hat, hat keine wahre Mitte, denn es ist hohl und leer. Es hat nur den Namen und die Form, die ihm der Verstand gibt, aber es hat weder Substanz noch Essenz.
F: Wenn alles, was vergeht, kein Dasein hat, dann hat auch das Universum kein Dasein.
M: Wer bestreitet das? Natürlich hat das Universum kein Dasein.
F: Was hat dann Dasein?
M: Nur das, dessen Existenz nicht von einer anderen abhängt. Das nicht entsteht, wenn das Universum entsteht, noch mit dem Untergang des Universums untergeht, und das keinen Beweis braucht, sondern allem, was es berührt, Wahrheit verleiht. Es liegt in der Natur des Falschen, daß es für einen Moment wahr erscheint. Man könnte auch sagen, daß das Wahre zum Vater des Falschen wird. Aber das Falsche ist zeitlich und räumlich begrenzt und wird durch die Umstände hervorgebracht.
F: Wie kann ich das Falsche loswerden und das Wahre erhalten?
M: Zu welchem Zweck?
F: Um ein besseres und zufriedeneres Leben zu führen, ganzheitlich und glückselig.
M: Was auch immer der Verstand sich vorstellt, muß falsch sein, denn es ist zwangsläufig relativ und begrenzt. Das Wahre ist unvorstellbar und kann nicht für irgendeinen Zweck benutzt werden. Es muß um seiner selbst willen gewollt sein.
F: Wie kann ich das Unvorstellbare wollen?
M: Was wäre sonst noch würdig, zu wollen? Zugegeben, das Wahre kann nicht gewollt werden, soweit etwas Bestimmtes gewollt wird. Aber du kannst das Unwahre als unwahr erkennen und verwerfen. Denn es ist das Verwerfen des Falschen, was den Weg zum Wahren eröffnet.
F: Ich verstehe, aber wie sieht das im praktischen Leben aus?
M: Eigennutz und Selbstsucht sind die Zeichen des Falschen. Dein Alltag schwankt zwischen Begierde und Angst. Beobachte alles aufmerksam und du wirst sehen, wie der Verstand unzählige Namen und Formen annimmt, wie ein Fluß, der sich schäumend zwischen den Felsen hindurchschlängelt. Verfolge jede Handlung bis zu ihrem selbstsüchtigen Motiv zurück, und betrachte dieses Motiv achtsam, bis es sich auflöst.
F: Um zu leben, muß man doch für sich selbst sorgen und auch Geld für sich selbst verdienen.
M: Du mußt nichts für dich selbst verdienen, aber vielleicht mußt du es für Frau und Kinder tun. Möglicherweise mußt du für das Wohl anderer weiterhin arbeiten. Sogar das Leben zu erhalten, kann ein Opfer sein. Doch es gibt überhaupt keinen Grund, egoistisch zu sein. Verwirf jedes selbstsüchtige Motiv, sobald es erkannt wird, und du mußt nicht nach der Wahrheit suchen, denn die Wahrheit wird dich finden.
F: Aber es gibt doch ein Minimum an Bedürfnissen.
M: Wurdest du seit deiner Empfängnis nicht damit versorgt? Gib die Fesseln der Selbstsucht auf und sei, was du bist, Intelligenz und wirkende Liebe.
F: Aber man muß doch überleben!
M: Du kannst nicht anders, als zu überleben. Dein wahres Ich ist zeitlos und jenseits von Geburt und Tod. Und der Körper wird so lange überleben, wie er gebraucht wird. Dabei ist es nicht wichtig, daß er lange lebt, denn ein erfülltes Leben ist besser als ein langes Leben.
F: Wer bestimmt, was ein erfülltes Leben ist? Das hängt doch von meinem kulturellen Hintergrund ab.
M: Wenn du die Wahrheit suchst, dann mußt du dich von allen Hintergründen befreien, von allen Kulturen und allen Mustern der Gedanken und Sinne. Sogar die Vorstellung, ein Mann oder eine Frau oder sogar ein Mensch zu sein, sollte aufgegeben werden. Das Meer des Lebens enthält alles, nicht nur die Menschen. Gib also zuerst jede Selbst-Identifikation auf und betrachte dich nicht mehr als dies oder das oder irgendetwas. Gib alle Sorgen um dich selbst auf, sorge dich nicht mehr um dein Wohlergehen, sei es materiell oder spirituell, und gib auch jegliche Wünsche auf, sowohl die groben als auch die subtilen, und denke nicht mehr an irgendwelche Errungenschaften. Du bist hier und jetzt vollkommen und brauchst absolut gar nichts. Das bedeutet nicht, daß du hirnlos und tollkühn sein sollst, unvorsichtig oder gleichgültig, sondern nur die grundsätzliche Angst um dich selbst soll verschwinden. Du brauchst natürlich etwas Nahrung, Kleidung und Unterkunft für dich und deine Angehörigen, aber das wird keine Probleme schaffen, solange die persönliche Gier nicht als Bedürfnis angesehen wird. Lebe im Einklang mit den Dingen, wie sie sind, und nicht so, wie du sie wünschst!
F: Was bin ich, wenn nicht ein Mensch?
M: Was dich denken läßt, ein Mensch zu sein, das ist kein Mensch. Es ist ein dimensionsloser Punkt des Bewußtseins, ein bewußtes Nichts. Alles, was du über dich selbst sagen kannst, ist: „Ich bin.“ Und du bist reines Sein - Bewußtsein - Glückseligkeit (Satchitananda). Das zu erkennen ist das Ende allen Suchens. Dahin kommst du, wenn du alles, was du selber zu sein denkst, als bloße Einbildung betrachtest und du jenseits davon im reinen Gewahrsein bist, nämlich im Gewahrsein des Vergänglichen als Vergängliches, des Eingebildeten als Einbildung und des Illusorischen als Illusion. Es ist überhaupt nicht schwierig, aber eine gewisse Loslösung ist erforderlich. Denn es ist nur das Festhalten am Falschen, das es so schwierig macht, das Wahre zu erkennen. Sobald du erkennst, daß das Falsche Zeit braucht und alles, was Zeit braucht, falsch ist, kommst du der Wahrheit näher, die zeitlos und immer im Jetzt ist. In der Ewigkeit ist die Zeit nur eine bloße Wiederholung, wie die Bewegung einer Uhr. Sie fließt endlos von der Vergangenheit in die Zukunft, und bleibt doch eine leere Ewigkeit. Es ist die Wahrheit, welche die Gegenwart so lebenswichtig macht und von der Vergangenheit und Zukunft unterscheidet, die lediglich im Verstand existieren. Sobald du Zeit brauchst, um irgendetwas zu erreichen, muß es falsch (illusorisch) sein. Das Wahre ist immer bei dir, und du mußt nicht darauf warten, das zu sein, was du bist. Nur darfst du nicht zulassen, daß dein Verstand außerhalb deiner selbst auf die Suche geht. Wenn du etwas willst, dann frage dich: „Brauche ich das in Wahrheit?“ Und wenn die Antwort „nein“ ist, dann laß es einfach sein.
F: Soll ich denn nicht glücklich werden? Ich brauche es vielleicht nicht, aber wenn es mich glücklich machen kann, warum sollte ich es nicht ergreifen?
M: Nichts kann dich glücklicher machen als du es bereits bist. Jede Suche nach Glück ist Leiden und führt zu noch mehr Leiden. Das einzige Glück, das diesen Namen verdient, ist das natürliche Glück des bewußten Daseins.
F: Brauche ich nicht viel Erfahrung, um einen so hohen Grad des Gewahrseins zu erreichen?
M: Erfahrung hinterläßt nur Erinnerungen und erhöht die Last, die schon schwer genug ist. Du brauchst keine weiteren Erfahrungen. Die bisherigen reichen aus, und wenn du wirklich das Gefühl hast, mehr zu brauchen, dann schau in die Herzen der Menschen um dich herum. Dort wirst du eine Vielfalt an Erfahrungen finden, die du sonst in tausend Jahren nicht machen könntest. Lerne aus den Sorgen anderer und rette dich vor deinen eigenen! Es ist nicht die Erfahrung, die du brauchst, sondern die Freiheit von jeglicher Erfahrung. Deshalb sei nicht gierig nach Erfahrung, denn du brauchst keine.
F: Machst du nicht auch deine Erfahrungen?
M: Um mich herum passieren Dinge, aber ich nehme daran nicht teil. Ein Ereignis wird erst dann zur Erfahrung, wenn ich mich emotional beteilige. Doch ich bin in einem Zustand der Vollkommenheit, der nicht danach strebt, sich selbst zu verbessern. Was könnte mir Erfahrung nützen?
F: Man braucht doch Wissen und Bildung.
M: Um mit Dingen umzugehen, braucht man Wissen über die Dinge. Um mit Menschen umzugehen, braucht man Verständnis und Mitgefühl. Aber um mit sich selbst umzugehen, braucht man nichts. Sei, was du bist, bewußtes Dasein, und weiche nicht von dir selbst ab!
F: Eine Universitätsausbildung ist doch sehr nützlich.
M: Zweifellos hilft sie dir, deinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber sie lehrt dich nicht, wie man selbst lebt. Du studierst Psychologie, und das kann dir in bestimmten Situationen helfen. Aber kannst du durch Psychologie leben? Das Leben verdient diesen Namen nur dann, wenn es die Wahrheit in Aktion widerspiegelt. Keine Universität wird dir beibringen, wie man so lebt, daß man am Ende, wenn die Zeit des Sterbens kommt, sagen kann: „Ich habe gut gelebt und muß nicht noch einmal leben.“ Die meisten von uns sterben mit dem Wunsch, noch einmal zu leben. Denn so viele Fehler wurden gemacht, und so viel blieb unerledigt. Die meisten Menschen vegetieren, aber leben nicht. Sie sammeln lediglich Erfahrungen an und bereichern ihr Gedächtnis. Aber solche Erfahrung ist die Leugnung der Wahrheit, die weder sinnlich noch gedanklich ist und weder vom Körper noch vom Verstand kommt, obwohl sie beide einschließt und transzendiert.
F: Erfahrung kann auch sehr nützlich sein, denn durch Erfahrung lernt man zum Beispiel, nicht in eine Flamme zu greifen.
M: Ich habe dir bereits gesagt, daß Wissen im Umgang mit Dingen sehr nützlich ist. Doch es erklärt nicht, wie man mit Menschen und sich selbst umgeht und wie man selbst ein Leben führt. Dabei reden wir nicht über Autofahren oder Geldverdienen. Dafür braucht man natürlich Erfahrung. Aber um ein Licht für dich selbst zu sein, wird dir das Wissen über die Materie nicht helfen. Dafür brauchst du etwas viel Intimeres und Tieferes als nur vermitteltes Wissen, um im wahrsten Sinne des Wortes du selbst zu sein. Dein äußeres Leben ist dabei nicht so wichtig. Du kannst Nachtwächter werden und glücklich leben. Es kommt nur darauf an, was du innerlich bist. Deinen inneren Frieden und deine Freude mußt du dir verdienen, und das ist viel schwieriger als Geld zu verdienen. Keine Universität kann dir beibringen, du selbst zu sein. Der einzige Weg, das zu lernen, ist das Leben selbst. So beginne hier und jetzt, du selbst zu sein! Verwirf alles, was du nicht bist, und geh immer tiefer. So wie ein Mensch, der einen Brunnen gräbt, alles wegwirft, was kein Wasser ist, bis er die wasserführenden Schichten erreicht, so mußt auch du alles wegwerfen, was dir nicht gehört, bis nichts mehr übrigbleibt, was du wegwerfen kannst. Dann wirst du feststellen, daß das, was übrigbleibt, nichts ist, was sich der Verstand aneignen kann. Dann bist du nicht einmal mehr ein Mensch. Du bist einfach da, ein dimensionsloser Punkt des Gewahrseins, verbunden mit Zeit und Raum und auch jenseits davon, die höchste Ursache, die selbst keine Ursache hat. Wenn du mich fragst „Wer bist du?“, dann wäre meine Antwort: „Nichts Bestimmtes, und doch bin ich da.“
F: Wenn du nichts Bestimmtes bist, dann mußt du das Universale sein.
M: Was bedeutet „universal“, nicht als Konzept, sondern als Lebensweise? Es bedeutet, nicht zu trennen und sich nicht zu widersetzen, sondern zu erkennen und zu lieben, was auch immer mit dir in Berührung kommt. So daß du wahrhaftig sagen kannst: Ich bin die Welt, und die Welt bin ich. Ich bin in der Welt zu Hause, und die Welt gehört mir. Jede Existenz ist meine Existenz, jedes Bewußtsein ist mein Bewußtsein, jeder Schmerz ist mein Schmerz, und jede Freude ist meine Freude. Das ist universales Leben. Mein wahres Dasein und auch deines liegt jenseits des Universums und daher jenseits der Kategorien von Bestimmtem und Universalem. Es ist, was es ist, vollkommen selbstseiend und unabhängig.
F: Das finde ich schwer zu verstehen.
M: Du mußt dir Zeit nehmen, über diese Sicht zu brüten. Die alten Bahnen in deinem Verstand müssen beseitigt werden, ohne daß neue entstehen. Du mußt dich selbst als das Unbewegliche erkennen, das hinter und jenseits des Beweglichen steht und der stille Zeuge von allem ist, was passiert.
F: Bedeutet das, daß ich alle Vorstellungen von einem aktiven Leben aufgeben muß?
M: Ganz und gar nicht. Es kann eine Ehe geben, es kann Kinder geben, und man kann Geld verdienen, um eine Familie zu ernähren. All dies kann im natürlichen Lauf der Dinge geschehen, denn das Schicksal muß sich erfüllen. Du kannst es ohne Widerstand durchlaufen und dich den Aufgaben, wie sie kommen, achtsam und gründlich stellen, sowohl im Kleinen als auch im Großen. Aber die allgemeine Haltung wird von liebevoller Losgelöstheit, höchstem Wohlwollen ohne Erwartung einer Gegenleistung und beständigem Geben ohne zu bitten geprägt sein. In der Ehe bist du weder Ehemann noch Ehefrau, sondern die Liebe zwischen den beiden. Du bist die Klarheit und Freundlichkeit, die alles geordnet und glücklich macht. Es mag dir fraglich erscheinen, doch wenn du ein wenig darüber nachdenkst, wirst du feststellen, daß das Mystische am praktischsten ist, denn es macht dein Leben auf kreative Weise glücklich. Dein Bewußtsein wird in eine höhere Dimension erhoben, wo du alles viel klarer und intensiver sehen kannst. Du erkennst, daß die Person, die du bei deiner Geburt geworden bist und die bis zum Tod existiert, nur vorübergehend und illusorisch ist. Du bist nicht der sinnliche, emotionale und intellektuelle Mensch, der von Wünschen und Ängsten getrieben wird. Finde dein wahres Dasein! Was bin ich? Das ist die Grundfrage aller Philosophie und Psychologie. Tauche tief hinein!
Maharaj: Der Suchende ist jemand, der auf der Suche nach sich selbst ist. Bald erkennt er, daß er nicht sein eigener Körper sein kann. Wenn dann die Überzeugung „Ich bin nicht der Körper“ so fest verankert ist, daß er nicht mehr im Namen des Körpers fühlen, denken und handeln kann, dann wird er leicht entdecken, daß er das universale Dasein, Wissen und Handeln ist und daß das gesamte Universum durch ihn und in ihm wahrhaft, bewußt und wirksam ist. Das ist der Kern des Problems. Entweder bist du ein verkörpertes Bewußtsein und ein Sklave der Umstände, oder du bist das universale Bewußtsein selbst und hast die vollkommene Kontrolle über jedes Ereignis. Doch auch das Bewußtsein, ob individuell oder universal, ist nicht mein wahrer Wohnsitz. Ich bin nicht darin, es gehört mir nicht, und es gibt kein „Ich“ darin. Ich bin jenseits davon, obwohl es nicht leicht zu erklären ist, wie man weder bewußt noch unbewußt sein kann, sondern einfach jenseits davon. Ich kann auch nicht sagen, daß ich in Gott bin oder Gott selbst bin. Gott ist das universale Licht und die Liebe, der universale Zeuge. Doch ich bin jenseits des Universalen.
Fragender: In diesem Fall bist du ohne Name und Form. Was hast du dann für ein Dasein?
M: Ich bin, was ich bin, weder formhaft noch formlos, weder bewußt noch unbewußt. Ich bin jenseits aller begrifflichen Kategorien.
F: Du verfolgst den Neti-Neti-Weg („Nicht dies, nicht das“).
M: Durch bloßes Verneinen kann man mich auch nicht finden. Ich bin sowohl Alles als auch Nichts, und weder beides noch eins von beiden. Solche Definitionen gelten für den Herrn (bzw. Schöpfer) des Universums, doch nicht für mich.
F: Willst du damit sagen, daß du einfach leer bist?
M: Oh nein! Ich bin ganz und vollkommen. Ich bin das Sein des Daseins, das Wissen der Weisheit und die Fülle der Glückseligkeit. Du kannst mich nicht einfach in eine Leerheit reduzieren.
F: Wenn du jenseits von Worten bist, worüber sollen wir dann reden? Metaphysisch betrachtet ist das stimmig, was du sagst, und es gibt keinen inneren Widerspruch. Aber in deinen Worten finde ich keine Nahrung, denn sie sind auch völlig jenseits meiner Bedürfnisse, die ich dringend suche. Wenn ich um Brot bitte, gibst du Juwelen. Sie sind zweifellos wunderschön, doch ich habe Hunger.
M: Das stimmt nicht ganz. Ich biete dir genau das an, was du brauchst, nämlich das Erwachen. Du hast (in Wahrheit) keinen Hunger und brauchst kein Brot. Du brauchst ein Aufhören, Entsagen und Loslösen. Was du zu brauchen glaubst, ist nicht das, was du in Wahrheit brauchst. Ich kenne dein wahres Bedürfnis, aber du nicht. Du mußt in den Zustand zurückkehren, in dem ich mich befinde, in deinen natürlichen Zustand. Alles andere, woran du denkst, ist nur Illusion und Hindernis. Glaube mir, du brauchst nichts, außer das zu sein, was du bist. Du stellst dir vor, durch Ansammlung deinen Wert zu steigern. Als könnte man durch die Zugabe von Kupfer den Wert des Goldes steigern. Beseitigung, Reinigung und Entsagung von allem, was deiner Natur fremd ist, sind genug. Alles andere ist nur Eitelkeit.
F: Das ist leichter gesagt als getan. Jemand kommt mit Magenschmerzen zu dir, und du rätst ihm, seinen Magen auszuspucken. Ohne den Verstand wird es natürlich keine Probleme geben. Aber der Verstand ist da, und zwar sehr greifbar.
M: Es ist der Verstand, der dir sagt, daß der Verstand da ist. Laß dich von ihm nicht täuschen! Alle endlosen Argumente über den Verstand werden vom Verstand selbst hervorgebracht, und zwar zu seinem eigenen Schutz, zur Fortführung und Ausweitung. Nur die bloße Weigerung, die Verwicklungen und Verwirrungen des Verstandes zu beachten, kann dich darüber hinausbringen.
F: Mein Herr, ich bin ein einfacher Suchender, während du die höchste Wahrheit selbst bist. Wenn sich nun der Suchende dem Höchsten nähert, um Erleuchtung zu erlangen, was macht dann das Höchste?
M: Höre auf das, was ich dir immer wieder sage, und weiche nicht davon ab. Denke beständig daran und an nichts anderes. Wenn du so weit gekommen bist, dann gib alle Gedanken auf, nicht nur über die Welt, sondern auch über dich selbst. Bleibe jenseits aller Gedanken im stillen Gewahrsein des Daseins. Das ist kein Fortschritt, denn das, was du erreicht hast, ist bereits in dir und wartet auf dich.
F: Du sagst also, ich sollte versuchen, mit dem Denken aufzuhören und fest bei der Empfindung „Ich bin“ zu bleiben.
M: Ja, und welche Gedanken auch immer im Zusammenhang mit dem „Ich bin“ auftauchen, entleere sie aller Bedeutung und schenke ihnen keine Beachtung.
F: Ich treffe auch viele junge Menschen aus dem Westen und finde, daß es einen grundlegenden Unterschied im Vergleich mit den Indern gibt. Es sieht so aus, als ob ihre Psyche (Antahkarana) anders ist. Konzepte wie Selbst, Wahrheit, reiner Geist oder universales Bewußtsein erfaßt der indische Verstand leichter. Sie klingen vertraut und schmecken süß. Der westliche Verstand reagiert wenig darauf oder lehnt sie einfach ab. Er konkretisiert und will sie sogleich im Rahmen seiner anerkannten Werte benutzen. Diese Werte sind oft persönlicher Natur, wie eigene Gesundheit, Wohlbefinden und Reichtum. Manchmal sind sie auch sozialer Natur, wie eine bessere Gesellschaft oder ein glücklicheres Leben für alle. Doch alle Werte sind mit weltlichen Problemen verbunden, seien sie persönlich oder unpersönlich. Eine weitere Schwierigkeit, auf die man im Gespräch mit Westlern oft stößt, besteht darin, daß für sie alles Erfahrung ist. Und wie sie Essen und Trinken, Frauen, Kunst oder Reisen erfahren wollen, so wollen sie auch Yoga, Selbstverwirklichung und Befreiung erfahren. Für sie ist es nur eine weitere Erfahrung, die man zu einem bestimmten Preis bekommen kann. Sie gehen davon aus, daß solche Erfahrungen käuflich erworben werden können, und verhandeln über die Kosten. Wenn ein Guru bezüglich Zeit und Aufwand zu hohe Anforderungen stellt, geht er zu einem anderen, der Ratenzahlungen anbietet, die scheinbar viel günstiger sind, aber oft mit unerfüllbaren Bedingungen verbunden. Es ist die alte Geschichte, daß man bei der Einnahme der Medizin nicht an den grauen Affen denken soll! In diesem Fall geht es nicht darum, an die Welt zu denken, wie „alle Selbstsucht aufzugeben“, „jedes Verlangen auszulöschen“, „vollkommen enthaltsam zu werden“ usw. So gibt es natürlich auf allen Ebenen großen Betrug ohne wahre Ergebnisse. Einige Gurus geben aus reiner Verzweiflung jegliche Disziplin auf, schreiben keine Bedingungen vor, raten zu leichtfertiger Natürlichkeit und zu einem Leben in passivem Bewußtsein, ohne jedes Muster von „das darfst du“ und „das darfst du nicht“. Entsprechend gibt es viele Schüler, deren frühere Erfahrungen dazu geführt haben, daß sie sich selbst so sehr ablehnen, daß sie sich gar nicht mehr ansehen wollen. Wenn sie nicht angewidert sind, dann langweilen sie sich. Sie haben die Selbsterkenntnis satt und wollen etwas anderes.
M: Dann laß sie nicht über sich selbst nachdenken, wenn sie das nicht wollen. Laß sie bei einem Guru bleiben, ihn beobachten und an ihn denken. Bald werden sie eine Art Glückseligkeit erleben, ganz neu und noch nie zuvor erlebt, außer vielleicht in der Kindheit. Diese Erfahrung ist so unverkennbar neu, daß sie ihre Achtsamkeit erregen und ihr Interesse wecken wird. Und sobald das Interesse erwacht ist, wird die ordnungsgemäße Anwendung folgen.
F: Diese Menschen sind sehr kritisch und mißtrauisch. Sie können gar nicht anders, nachdem sie so viel gelernt und so viele Enttäuschungen erlebt haben. Einerseits wollen sie Erfahrung, andererseits mißtrauen sie ihr. Nur Gott allein weiß, wie man sie erreichen kann!
M: Wahre Einsicht und Liebe werden sie erreichen.
F: Wenn sie eine spirituelle Erfahrung machen, entsteht eine weitere Problematik. Sie beschweren sich darüber, daß die Erfahrung nicht von Dauer ist, daß sie zufällig kommt und geht. Nachdem sie den süßen Lutscher einmal errungen haben, wollen sie die ganze Zeit daran lutschen.
M: Erfahrungen, so erhaben sie auch sein mögen, sind noch keine Wahrheit. Es liegt in ihrer Natur, daß sie kommen und gehen. Die Selbstverwirklichung ist keine Errungenschaft. Ihre Natur ist mehr eine Erkenntnis, und wenn diese einmal erreicht ist, kann sie nicht mehr verlorengehen. Andererseits ist das Bewußtsein veränderlich, fließend und wandelt sich jeden Moment. Deshalb halte nicht am Bewußtsein und seinen Inhalten fest! Das festgehaltene Bewußtsein ist vergänglich. Der Versuch, einen Blitz der Einsicht oder einen Ausbruch von Glückseligkeit festzuhalten, zerstört das, was man bewahren will. Denn was kommt, muß auch wieder gehen. Das Dauerhafte liegt jenseits allen Kommens und Gehens. Deshalb dringe zur Wurzel aller Erfahrung vor, zur Empfindung des Daseins. Jenseits von Sein und Nichtsein liegt die unermeßliche Wahrheit. Versuche es immer wieder!
F: Um es zu versuchen, braucht man Vertrauen.
M: Zuerst muß der Wunsch da sein. Und wenn der Wunsch stark ist, dann kommt auch das Vertrauen, es zu versuchen. Denn wenn der Wunsch stark genug ist, brauchst du keine Erfolgsgarantie und bist zum Spiel bereit.
F: Kraftvoller Wunsch und kraftvolles Vertrauen, das läuft auf das Gleiche hinaus. Doch diese (westlichen) Menschen vertrauen weder ihren Eltern noch der Gesellschaft und nicht einmal sich selbst. Denn alles, was sie festhalten wollten, verwandelte sich in Asche. Gib ihnen eine Erfahrung, die absolut echt und unzweifelhaft ist und über die Argumente des Verstandes hinausgeht, und sie werden dir bis ans Ende der Welt folgen.
M: Ich mache doch nichts anderes! Unermüdlich lenke ich ihre Achtsamkeit auf die eine unbestreitbare Tatsache, nämlich des Daseins. Das Dasein braucht keine Beweise und beweist alles andere. Wenn sie nur tief in diese Tatsache des Daseins eintauchen und die Weite und Herrlichkeit entdecken, zu der das „Ich bin“ das Tor ist, und durch dieses Tor gehen und darüber hinaus, wird ihr Leben voller Glück und Licht sein. Glaube mir, der erforderliche Aufwand ist nichts im Vergleich zu den Entdeckungen, die dadurch gemacht werden.
F: Es ist richtig, was du sagst, aber diese Menschen haben weder Vertrauen noch Geduld. Schon eine kurze Anstrengung ermüdet sie. Es ist wirklich erbärmlich zu sehen, wie sie blind herumtasten und trotzdem nicht fähig sind, die helfende Hand zu ergreifen. Sie sind im Grunde so nette Leute, doch völlig verwirrt. Ich sage ihnen immer wieder, daß sie die Wahrheit nicht zu ihren eigenwilligen Bedingungen haben können, sondern die gegebenen Bedingungen akzeptieren müssen. Doch darauf antworten sie, daß sie einige Bedingungen akzeptieren und andere nicht. Akzeptanz oder Nichtakzeptanz sind bei ihnen oberflächlich und zufällig. Aber die Wahrheit ist doch in allen, und so muß es auch einen Weg geben, den jeder beschreiten kann, ohne bestimmte Bedingungen.
M: Ja, es gibt einen solchen Weg, der allen offensteht, auf jeder Ebene und in jedem Lebensbereich, denn jeder ist sich seiner selbst gewahr. Die Vertiefung und Erweiterung dieses Selbst-Gewahrseins ist der königliche Weg. Nenne es Achtsamkeit, Bezeugen oder einfach nur Aufmerksamkeit. Dieser Weg steht allen offen. Keiner ist dafür unreif, und keiner kann damit scheitern. Aber es reicht natürlich nicht aus, nur (äußerlich) achtsam zu sein, sondern deine Achtsamkeit muß auch den Verstand einbeziehen. Dann ist das Bezeugen vor allem das Gewahrsein des Bewußtseins und seiner Bewegungen.
Fragender: Wir sprachen neulich über die Wege des modernen westlichen Verstandes und dessen Schwierigkeiten, sich der moralischen und intellektuellen Disziplin des Vedanta zu unterwerfen. Eines der Hindernisse liegt in der Sorge der jungen Europäer oder Amerikaner über die katastrophale Lage der Welt und der dringenden Notwendigkeit, sie in Ordnung zu bringen. Sie haben keine Geduld mit Menschen wie dir, die persönliche Verbesserung als Voraussetzung für die Verbesserung der Welt predigen. Sie sagen, es sei weder nötig noch möglich. Die Menschheit sei bereit für einen Systemwechsel auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene. Eine Weltregierung, eine Weltpolizei, eine Weltplanung und die Abschaffung aller körperlichen und ideologischen Barrieren würden ausreichen, und es bedarf keiner persönlichen Transformation. Zweifellos prägen Menschen die Gesellschaft, aber die Gesellschaft prägt auch die Menschen. In einer humanen Gesellschaft würden auch die Menschen menschlich sein. Darüber hinaus liefert die Wissenschaft die Antwort auf viele Fragen, die früher in den Bereich der Religion fielen.
Maharaj: Zweifellos ist das Streben nach einer Verbesserung der Welt eine höchst lobenswerte Beschäftigung. Uneigennützig durchgeführt, klärt es den Geist und reinigt das Herz. Doch bald wird der Mensch erkennen, daß er einer Fata Morgana nachjagt. Örtlich und zeitlich beschränkte Verbesserungen sind immer möglich und wurden unter dem Einfluß großer Könige oder Lehrer immer wieder erreicht. Aber schon bald verschwanden sie wieder und ließen die Menschheit in einem neuen Teufelskreis des Elends zurück. Denn es liegt in der Natur aller Manifestation, daß Gutes und Böses aufeinanderfolgt und gleichermaßen vorhanden ist. Die wahre Zuflucht liegt nur im Unmanifestierten.
F: Rätst du damit nicht zur Flucht?
M: Im Gegenteil! Der einzige Weg zu einer Erneuerung liegt in der Auflösung. Du mußt den alten Schmuck zu formlosem Gold einschmelzen, bevor du einen neuen formen kannst. Nur die Menschen, die über die Welt hinausgegangen sind, können die Welt verändern. Das geschah schon immer so. Die wenigen, deren Einfluß nachhaltig war, kannten alle die Wahrheit. Erreiche ihr Niveau, und erst dann kannst du davon reden, der Welt zu helfen.
F: Wir wollen nicht den Flüssen und Bergen helfen, sondern den Menschen.
M: Ja, an der Welt ist nichts falsch, außer an den Menschen, die sie schlecht machen. Geh und bitte sie, sich vernünftig zu verhalten!
F: Begierde und Angst lassen sie so handeln.
M: Ganz genau! Solange das Verhalten der Menschen von Begierde und Angst beherrscht wird, gibt es wenig Hoffnung. Und um effektiv auf die Menschen zugehen zu können, muß man selbst von allen Begierden und Ängsten frei sein.
F: Doch bestimmte grundlegende Begierden und Ängste sind unvermeidlich, wie in Verbindung mit Nahrung, Fortpflanzung und Tod.
M: Das sind Bedürfnisse, und als Bedürfnisse sind sie leicht zu erfüllen.
F: Ist sogar der Tod ein Bedürfnis?
M: Nach einem langen und fruchtbaren Leben verspürt man natürlich das Bedürfnis zu sterben. Begierde und Angst sind nur destruktiv, wenn sie falsch angewendet werden. Deshalb sollte man in jedem Fall das Richtige begehren und das Falsche fürchten. Denn wenn die Menschen das Falsche begehren und das Richtige fürchten, erzeugen sie Chaos und Verzweiflung.
F: Was ist richtig, und was ist falsch?
M: Relativ gesehen ist alles falsch, was Leid verursacht, und alles richtig, was es vermindert. Absolut gesehen ist das richtig, was dich in die Wahrheit zurückbringt, und das falsch, was dir die Wahrheit verdunkelt.
F: Wenn wir davon sprechen, der Menschheit zu helfen, dann meinen wir den Kampf gegen die Unordnung und das Leiden.
M: Du redest nur vom Helfen. Hast du jemals einem einzigen Menschen geholfen, wahrhaft geholfen? Hast du jemals eine einzige Seele über die Notdurft für weitere Hilfe hinausgebracht? Kannst du einem Menschen den Charakter geben, der zumindest auf der vollständigen Verwirklichung seiner Pflichten und Möglichkeiten beruht, wenn nicht sogar auf der Einsicht in sein wahres Wesen? Wie kannst du wissen, was für andere gut ist, wenn du nicht weißt, was für dich selbst gut ist?
F: Eine ausreichende Versorgung mit Lebensunterhalt ist für alle gut. Auch wenn du Gott selbst wärst, so brauchst du doch einen gut genährten Körper, um mit uns zu sprechen.
M: Du bist es, der meinen Körper braucht, um mit dir zu sprechen. Ich bin weder mein Körper, noch brauche ich ihn. Ich bin nur der Zeuge und habe keine eigene Form. Du hast dich so sehr daran gewöhnt, dich selbst als einen Körper zu betrachten, der ein Bewußtsein besitzt, daß du dir gar nicht mehr vorstellen kannst, daß das Bewußtsein den Körper besitzt. Sobald du erkennst, daß die körperliche Existenz nur ein Verstandeszustand ist, eine Bewegung im Bewußtsein, und daß das Meer des Bewußtseins unendlich und ewig ist, und daß du nur der Zeuge bist, wenn du mit dem Bewußtsein in Berührung kommst, dann wirst du fähig sein, dich vollständig jenseits des Bewußtseins zurückzuziehen.
F: Uns wird gesagt, daß es viele Ebenen der Existenz gibt. Existierst und funktionierst du auf allen Ebenen? Bist du auch im Himmel (Swarga), während du auf der Erde verweilst?
M: Ich bin nirgends zu finden! Ich bin kein Ding, dem unter anderen Dingen ein Platz gegeben wird. Alle Dinge sind in mir, aber ich bin nicht unter den Dingen. Du erzählst mir vom Aufbau, während ich das Fundament meine. Die Aufbauten entstehen und vergehen, aber das Fundament bleibt bestehen. Das Vergängliche interessiert mich nicht, während du von nichts anderem redest.
F: Gestatte mir eine ungewöhnliche Frage: Welche Bedeutung hätte es für dich, wenn jemand mit einem scharfen Schwert plötzlich deinen Kopf abschlagen würde?
M: Überhaupt keine! Der Körper wird seinen Kopf verlieren, und bestimmte Kommunikationswege werden unterbrochen. Das ist alles. Wie zwei Menschen, die miteinander telefonieren, und das Kabel wird unterbrochen. Den Menschen passiert nichts, sie müssen sich nur nach anderen Kommunikationsmitteln umsehen. In der Bhagavad Gita heißt es: „Das Schwert zertrennt es nicht“. Das ist buchstäblich so, denn es liegt in der Natur des Bewußtseins, seinen Träger zu überleben. Ähnlich wie das Feuer, das seinen Brennstoff verbrennt, aber nicht sich selbst. Und wie das Feuer einen großen Berg Brennstoff überdauern kann, so überlebt das Bewußtsein unzählige Körper.
F: Der Brennstoff beeinflußt aber die Flamme.
M: Ja, solange er existiert. Und wenn du die Art des Brennstoffs veränderst, dann verändert sich auch die Farbe und das Aussehen der Flamme. Wenn wir jetzt miteinander reden, ist dafür Präsenz nötig, denn ohne unsere Anwesenheit könnten wir nicht reden. Aber Präsenz allein reicht nicht aus. Es muß auch der Wunsch zum Reden vorhanden sein. Und vor allem wollen wir bewußt bleiben. Wir wollen lieber jedes Leid und jede Demütigung ertragen, als das Bewußtsein verlieren. Solange wir uns nicht gegen dieses Verlangen nach Erfahrung entscheiden und das Manifestierte völlig loslassen, kann es keine Erleichterung geben, und wir werden gefangenbleiben.
F: Du behauptest, der stille Zeuge zu sein und gleichzeitig auch jenseits des Bewußtseins. Ist das kein Widerspruch? Wenn du jenseits des Bewußtseins bist, was bezeugst du dann?
M: Ich bin bewußt und unbewußt, sowohl beides als auch keines von beiden. Und auch dafür bin ich der Zeuge. Aber in Wahrheit gibt es gar keinen Zeugen, weil es nichts Wahres gibt, wofür man Zeuge sein könnte. So bin ich vollkommen leer von allen geistigen Formen, ohne Verstand, und doch vollkommen gewahr. Und damit versuche ich meine Aussage zu erklären, daß ich jenseits des Verstandes bin.
F: Wie kann ich dich dort erreichen?
M: Sei dir gewahr, bewußt zu sein, und suche nach der Quelle des Bewußtseins! Das ist alles. Mit Worten läßt sich hier nur sehr wenig erreichen. Doch wenn du mit Taten meinen Worten folgst, dann werden sie dir das Licht bringen, was die Worte allein nicht vermögen. Die Mittel spielen keine große Rolle, entscheidend sind Wunsch, Entschluß und Ernsthaftigkeit.
Fragender: Mein Freund ist Deutscher, und ich wurde in England als Kind französischer Eltern geboren. Nun bin ich seit über einem Jahr in Indien und wandere von Ashram zu Ashram.
Maharaj: Übst du irgendwelche spirituelle Praktiken (Sadhanas)?
F: Ja, Studien und Meditation.
M: Worüber hast du meditiert?
F: Über das, was ich gelesen habe.
M: Gut.
F: Und was machst du, Maharaj?
M: Sitzen.
F: Und was sonst?
M: Reden.
F: Worüber redest du?
M: Möchtest du einen Vortrag? Frage lieber nach etwas, das dich wirklich berührt, so daß du ein starkes Gefühl dafür bekommst. Wenn du nicht emotional berührt wirst, werden wir vielleicht argumentieren, aber es wird kein wirkliches Verständnis zwischen uns geben. Doch wenn du sagst „Mir macht nichts Sorgen, und ich habe keine Probleme“, dann wäre das für mich in Ordnung, und wir können schweigen. Nur wenn dich etwas wirklich berührt, dann hätte das Reden einen Sinn. Darf ich dich fragen, warum du so von Ort zu Ort wanderst?
F: Um Menschen treffen und versuchen, sie zu verstehen.
M: Welche Menschen versuchst du zu verstehen? Was genau hast du vor?
F: Integration.
M: Wenn du Integration willst, dann mußt du auch wissen, wen du mit ihnen integrieren möchtest.
F: Indem man Menschen trifft und sie beobachtet, lernt man auch sich selbst kennen. Das gehört zusammen.
M: Das gehört nicht unbedingt zusammen.
F: Der eine verbessert den anderen.
M: So funktioniert das nicht. Der Spiegel reflektiert das Bild, aber das Bild verbessert nicht den Spiegel. Darüber hinaus bist du weder der Spiegel noch das Bild im Spiegel. Denn nachdem du den Spiegel so vollkommen gemacht hast, daß er richtig und wahrhaftig reflektiert, kannst du den Spiegel umdrehen und darin ein wahres Spiegelbild von dir selbst sehen, so wahrhaftig, wie der Spiegel reflektieren kann. Aber das Spiegelbild bist nicht du selbst, denn du bist der Seher des Spiegelbildes. Verstehe es klar: Was auch immer du wahrnimmst, du bist nicht das, was du wahrnimmst.
F: Bin ich der Spiegel, und die Welt ist das Bild?
M: Du kannst sowohl den Spiegel als auch das Bild sehen. Also bist du weder das eine noch das andere. Wer bist du? Folge hier nicht irgendwelchen Begriffen. Die Antwort liegt nicht in Worten. Das Beste, was man mit Worten noch sagen kann, ist: „Ich bin das, was die Wahrnehmung ermöglicht, das Leben jenseits des Erfahrenden und seiner Erfahrung.“ Kannst du dich damit sowohl vom Spiegel als auch vom Spiegelbild lösen und ganz vollkommen und allein da sein?
F: Nein, das kann ich nicht.
M: Woher weißt du das? Es gibt so viele Dinge, die man tut, ohne zu wissen, wie man es macht. Du verdaust deine Nahrung, läßt dein Blut und deine Lymphe zirkulieren und bewegst deine Muskeln, und das alles, ohne zu wissen wie. In gleicher Weise nimmst du wahr, fühlst und denkst, ohne zu wissen warum und wie. Und ebenso bist du du selbst, ohne es zu wissen. An dir als das Selbst ist nichts falsch, denn es ist, was es ist, in reiner Vollkommenheit. Das Problem ist der Spiegel, der nicht rein und wahrhaftig ist und dir daher falsche Bilder vermittelt. Du mußt dich also nicht selbst korrigieren, sondern nur deine Vorstellungen von dir selbst. Lerne, dich vom Bild und vom Spiegel zu lösen, und denke immer daran: Ich bin weder der Verstand noch seine Vorstellungen. Übe es geduldig und überzeugend, und du wirst mit Sicherheit zur direkten Sicht auf dich selbst als Quelle des Daseins kommen, von allem Erkennen und Lieben, ewig, allumfassend und alldurchdringend. Du bist das Unendliche, das in einem Körper konzentriert wurde. Zur Zeit siehst du nur den Körper. Versuche es ernsthaft, und du wirst nur noch das Unendliche sehen.
F: Wird diese Erfahrung der Wahrheit von Dauer sein, wenn sie einmal kommt?
M: Jede Erfahrung ist notwendigerweise vergänglich. Aber der Grund aller Erfahrungen ist unvergänglich. Nichts, was als Ereignis bezeichnet werden kann, wird von Dauer sein. Doch manche Ereignisse reinigen den Geist und andere beflecken ihn. Momente tiefer Einsicht und allumfassender Liebe reinigen den Geist, während Begierden und Ängste, Neid und Wut, blinder Glaube und intellektuelle Arroganz die Psyche verunreinigen und schwerfällig machen.
F: Ist die Selbstverwirklichung wirklich so wichtig?
M: Ohne sie wirst du von Begierden und Ängsten verzehrt, die sich sinnlos in endlosem Leiden wiederholen. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, daß das Leiden ein Ende haben kann. Doch sobald sie diese gute Nachricht gehört haben, ist es offensichtlich die dringendste Aufgabe, über alle Gegensätze und Kämpfe hinauszukommen. Denn nun weißt du, daß du frei sein kannst, und jetzt liegt es an dir. Entweder bleibst du für immer hungrig und durstig, sehnst dich, suchst, ergreifst, behältst, verlierst und leidest immer wieder, oder du begibst dich mit ganzem Herzen auf die Suche nach dem Dasein zeitloser Vollkommenheit, dem nichts hinzugefügt und nichts weggenommen werden kann. Dort gibt es keine Begierden und Ängste, nicht weil sie aufgegeben wurden, sondern weil sie ihre Bedeutung verloren haben.
F: Bis hierher kann ich dir folgen. Doch was soll ich nun tun?
M: Es gibt nichts zu tun. Sei einfach da. Tue nichts, und sei da! Du mußt keine Berge besteigen und in Höhlen sitzen. Ich sage nicht einmal „Sei du selbst!“, weil du dich selbst nicht kennst. Sei einfach da. Nachdem du erkannt hast, daß du weder die „äußere“ Welt des Wahrnehmbaren noch die „innere“ Welt des Denkbaren bist, und daß du weder Körper noch Verstand bist, sei einfach da!
F: Sicherlich gibt es doch Grade der Verwirklichung.
M: Es gibt keine Schritte zur Selbstverwirklichung, denn daran ist nichts Graduelles. Sie geschieht plötzlich und ist nicht rückgängig zu machen. Du kehrst dich in eine neue Dimension, von der aus gesehen die vorherigen bloße Abstraktionen sind. Wie man bei Sonnenaufgang die Dinge im Licht sieht, wie sie sind, so sieht man auch bei der Selbstverwirklichung alles so, wie es ist, und die Welt der Illusionen läßt du zurück.
F: Verändern sich die Dinge im Zustand der Verwirklichung? Werden sie bunter und voller Bedeutung?
M: Diese Erfahrung ist völlig richtig, aber es ist nicht die Erfahrung der Wahrheit (Sadanubhav), sondern die Erfahrung der Harmonie (Satvanubhav) des Universums.
F: Dennoch gibt es doch Fortschritte.
M: Nur in der Vorbereitung (Sadhana) kann es Fortschritte geben. Die Verwirklichung kommt plötzlich, wie eine Frucht langsam reift, aber plötzlich und unwiederbringlich abfällt.
F: Ich bin körperlich und geistig in Frieden. Was brauche ich mehr?
M: Dein Zustand ist möglicherweise noch nicht der höchste. Du wirst erkennen, daß du in deinen natürlichen Zustand zurückgekehrt bist, wenn du keinerlei Begierden und Ängste mehr hast. Schließlich liegt allen Begierden und Ängsten das Gefühl zugrunde, noch nicht das zu sein, was man ist. So wie ein ausgerenktes Gelenk nur schmerzt, bis es wieder eingerenkt ist, und vergessen wird, sobald es in Ordnung gebracht wurde, so ist jede Sorge um dich selbst ein Symptom geistiger Ausrenkung, das verschwindet, sobald man sich im natürlichen Zustand befindet.
F: Ja, aber was ist das Sadhana, um den natürlichen Zustand zu erreichen?
M: Halte an der Empfindung „Ich bin“ fest und schließe alles andere aus. Wenn der Geist auf diese Weise völlig still wird, dann erstrahlt er in neuem Licht und vibriert mit neuem Wissen. Das geschieht alles spontan, man muß nur am „Ich bin“ festhalten. Genauso wie man sich beim Aufwachen aus dem Schlaf oder einem Zustand der Verzückung ausgeruht fühlt und dennoch nicht erklären kann, warum und wie man sich so gut fühlt, genauso fühlt man sich durch die Selbstverwirklichung vollkommen erfüllt und damit frei von dem Freude-Schmerz-Komplex. Und doch kann man nicht immer erklären, was geschehen ist, warum und wie. Man kann es nur negativ formulieren: „An mir ist nichts mehr falsch.“ Nur durch den Vergleich mit der Vergangenheit weiß man, daß man darüber hinaus ist. Ansonsten bist du einfach du selbst. Versuche nicht, es anderen zu vermitteln. Was du versuchst, ist nicht das Original. Schweige und beobachte, wie es sich verwirklicht!
F: Wenn du mir genau sagst, was ich werden soll, dann könnte es mir helfen, meine Entwicklung zu überwachen.
M: Wie kann dir jemand sagen, was du werden sollst, wenn es gar kein Werden gibt? Du entdeckst lediglich, was du bist. Sich nach einem bestimmten Muster zu formen, ist eine schmerzliche Zeitverschwendung. Denke weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, und sei einfach da!
F: Wie kann ich einfach da sein? Veränderungen sind doch unvermeidlich.
M: Veränderungen sind im Veränderbaren unvermeidlich, aber du selbst bist ihnen nicht unterworfen. Du bist der unveränderliche Hintergrund, vor dem die Veränderungen wahrgenommen werden.
F: Alles verändert sich, auch der Hintergrund. Es ist kein unveränderlicher Hintergrund erforderlich, um Veränderungen wahrzunehmen. Das Selbst ist vorübergehend und lediglich der Punkt, an dem die Vergangenheit auf die Zukunft trifft.
M: Natürlich ist das (persönliche) Selbst, das auf Erinnerungen basiert, vorübergehend. Aber ein solches Selbst benötigt eine ununterbrochene Kontinuität als Hintergrund. Aus Erfahrung weißt du, daß es Lücken gibt, wenn man sich selbst vergißt. Doch was bringt dich wieder ins Leben? Was weckt dich morgens? Es muß also einen konstanten Faktor geben, der die Lücken im Bewußtsein überbrückt. Wenn du genau hinschaust, wirst du feststellen, daß sogar dein Alltagsbewußtsein vielen Blitzen gleicht und ständig Lücken dazwischen sind. Was ist in diesen Lücken? Was kann dort sein, außer dein wahres Dasein, das zeitlos besteht und sowohl die Anwesenheit als auch die Abwesenheit des Verstandes ist.
F: Gibt es einen bestimmten Ort, den du mir empfehlen kannst, um diese geistige Sicht zu erreichen?
M: Der einzig richtige Ort ist im Inneren. Die Außenwelt kann weder helfen noch verhindern. Kein System und kein Muster von Handlungen werden dich an dein Ziel bringen. Gib jede Arbeit für eine Zukunft auf, konzentriere dich ganz auf das Jetzt, und kümmere dich nur um deine Reaktion auf jede Bewegung des Lebens, so wie sie geschieht.
F: Was ist der Grund für den Drang, in der Welt umherzuwandern?
M: Es gibt keinen Grund, denn du träumst nur, daß du umherwanderst. In ein paar Jahren wird dir dein Aufenthalt in Indien wie ein vergangener Traum erscheinen, und du wirst in jener Zeit einen anderen Traum träumen. Mach dir bewußt, daß du es nicht bist, der sich von Traum zu Traum bewegt, sondern daß die Träume vor dir dahinfließen und du der unveränderliche Zeuge bist. Kein Ereignis beeinflußt dein wahres Dasein, und das ist die absolute Wahrheit.
F: Kann ich mich nicht körperlich bewegen und innerlich ruhig bleiben?
M: Das kannst du, aber welchen Zweck hat es? Wenn du es ernst meinst, wirst du schließlich das Umherwandern satt haben und die Energie- und Zeitverschwendung bereuen. Um dich selbst zu finden, mußt du keinen einzigen Schritt machen.
F: Gibt es einen Unterschied zwischen der Erfahrung des Selbst (Atman) und des Absoluten (Brahman)?
M: Es kann keine Erfahrung des Absoluten geben, weil es jenseits aller Erfahrung ist. Andererseits ist das Selbst der erfahrende Faktor in jeder Erfahrung und bestätigt so in gewisser Weise die Vielfalt der Erfahrungen. Die Welt mag voller Dinge von großem Wert sein, aber wenn es niemanden gibt, der sie kauft, dann haben sie keinen Preis. So enthält auch das Absolute alles Erfahrbare, aber ohne einen Erfahrenden gibt es da nichts. Das, was die Erfahrung ermöglicht, ist das Absolute, und das, was sie wirklich macht, ist das Selbst.
F: Erreichen wir das Absolute nicht durch die Stufen der Erfahrungen? Wir beginnen mit dem Gröbsten und enden mit dem Erhabensten.
M: Ohne den Wunsch nach Erfahrung kann es keine Erfahrung geben. Dabei kann es natürlich Stufen zwischen den Wünschen geben, aber zwischen dem erhabensten Wunsch und der Freiheit von allen Wünschen gibt es immer noch einen Abgrund, der überwunden werden muß. Das Unwahre mag wahrhaftig aussehen, aber es ist vergänglich. Nur das Wahre fürchtet keine Zeit.
F: Ist das Unwahre nicht ein Ausdruck des Wahren?
M: Wie kann das sein? Es ist, als würde man sagen, daß sich die Wahrheit in Illusionen ausdrückt. Das Unwahre gehört nicht zur Wahrheit. Es scheint nur wahr zu sein, weil man daran glaubt. Zweifle daran, und es verschwindet. Wenn du in jemanden verliebt bist, schafft du eine Wahrheit und stellst dir vor, daß deine Liebe allmächtig und ewig ist. Und wenn sie vergeht, dann sagst du: „Ich glaubte, sie sei wahr, aber das war sie nicht.“ Vergänglichkeit ist der beste Beweis für die Unwahrheit. Was zeitlich und räumlich begrenzt und nur eine Person betrifft, ist nicht wahr, denn das Wahre ist für alle und für immer. Du liebst vor allem dich selbst und würdest nichts gegen deine Existenz eintauschen. Denn der Wunsch nach Existenz ist der stärkste aller Wünsche und wird nur durch die Verwirklichung deiner wahren Natur vergehen.
F: Auch im Unwahren gibt es doch einen Hauch von Wahrheit.
M: Ja, die Wahrheit, die du ihm verleihst, indem du es für wahr hältst. Nachdem du dich selbst davon überzeugt hast, wirst du an deine Überzeugung gebunden. Wenn die Sonne scheint, erscheinen die Farben, und wenn sie untergeht, verschwinden sie. Wo sind die Farben ohne Licht?
F: Das sind Gedanken der Dualität.
M: Alles Denken ist in der Dualität. In der Einheit überlebt kein Gedanke.
Maharaj: Woher kommst du? Und warum bist du hierhergekommen?
Fragender: Ich komme aus Amerika, und mein Freund kommt aus Irland. Ich bin seit etwa sechs Monaten hier und reiste von Ashram zu Ashram. Mein Freund ging seine eigenen Wege.
M: Was hast du gesehen?
F: Ich war im Sri Ramana Ashram und habe auch Rishikesh besucht. Darf ich dich fragen, was du von Sri Ramana Maharshi hältst?
M: Wir sind beide in demselben ursprünglichen Zustand. Aber was weißt du über Maharshi? Du betrachtest dich selbst als einen Namen und Körper, und so nimmst du auch nur Namen und Körper wahr.
F: Was würde geschehen, wenn du Maharshi treffen würdest?
M: Wahrscheinlich wären wir ziemlich glücklich und würden vielleicht sogar ein paar Worte wechseln.
F: Würde er dich auch als einen Befreiten erkennen?
M: Natürlich. Wie ein Mensch einen Menschen erkennt, so erkennt ein Weiser einen Weisen (Jnani). Denn was man erfahren hat, kann man auch erkennen. Entsprechend bist auch du das, wofür du dich hältst, und kannst nicht erkennen, daß du etwas bist, was du nicht erfahren hast.
F: Um Ingenieur zu werden, mußte ich das Ingenieurwissen erlernen. Was muß ich erlernen, um Gott zu werden?
M: Dazu mußt du alles verlernen, denn Gott ist das Ende von allem Wünschen und Wissen.
F: Willst du damit sagen, daß ich Gott werde, indem ich den Wunsch aufgebe, Gott zu werden?
M: Ja, alle Wünsche müssen aufgegeben werden, denn durch das Habenwollen nimmst du die Form deiner Wünsche an. Wenn keine Wünsche mehr bestehen, kehrst du in dein natürliches Dasein zurück.
F: Wie kann ich erkennen, daß ich diese Vollkommenheit erreicht habe?
M: Vollkommenheit kann man nicht erkennen, sondern nur Unvollkommenheit. Denn damit irgendein Wissen existieren kann, muß es Trennung und Gegensätze geben. So kannst du zwar erkennen, was du nicht bist, aber niemals dein wahres Dasein. Was du darin bist, kannst du nur sein. Die einzige Herangehensweise (zur Vollkommenheit) beruht auf dem Verständnis, das versucht, das Falsche als falsch zu erkennen (bzw. das Illusorische als illusorisch). Doch um das zu erkennen, muß du es wie von außerhalb betrachten.
F: Das Vedanta-Konzept von Maya als Illusion gilt für alles Manifestierte, und daher ist unser Wissen über das Manifestierte unzuverlässig. Aber unserem Wissen über das Unmanifestierte sollten wir doch vertrauen können.
M: Es kann kein Wissen über das Unmanifestierte geben, denn das Potentielle ist nicht erkennbar. Nur das Wirkliche kann bekannt sein.
F: Warum sollte der Erkennende unbekannt bleiben?
M: Der Erkennende erkennt das Erkennbare. Erkennst du den Erkennenden? Und wer ist dann der Erkennende des Erkennenden? Du willst das Unmanifestierte erkennen. Kannst du denn behaupten, das Manifestierte zu erkennen?
F: Ich erkenne die Dinge und Vorstellungen mit ihren Beziehungen. Das ist die Summe all meiner Erfahrungen.
M: Aller?
F: Nun ja, aller tatsächliche Erfahrungen. Ich gebe zu, ich kann nicht erkennen, was nicht passiert ist.
M: Wenn das Manifestierte die ganze Summe aller tatsächlichen Erfahrungen wäre, einschließlich ihrer Erfahrenden, wieviel erkennst du dann von diesem Ganzen? Es ist doch in Wirklichkeit nur ein sehr kleiner Teil. Und was ist dieses Wenige, das du erkennst?
F: Vor allem die Sinneserfahrungen die mit mir im Zusammenhang stehen.
M: Und nicht einmal das, denn du erkennst nur, daß du reagierst. Doch wer reagiert und worauf, das erkennst du nicht. Nur durch Kontakt erkennst du, daß du existierst, und das heißt: „Ich bin.“ Während das „Ich bin dies oder das“ illusionär ist.
F: Ich erkenne das Manifestierte, weil ich daran teilnehme. Ich gebe zu, mein Anteil daran ist sehr gering, aber ebenso wirklich wie das Ganze. Und was noch wichtiger ist, ich gebe ihm eine Bedeutung, denn ohne mich wäre die Welt dunkel und still.
M: Ein Glühwürmchen, das die Welt erleuchtet! Gib nicht der Welt eine Bedeutung, sondern finde sie. Tauche tief in dich selbst ein und finde die Quelle, aus der alle Bedeutung fließt! Denn sicherlich ist es nicht der oberflächliche Verstand, der (wahre) Bedeutung geben kann.
F: Was macht mich so begrenzt und oberflächlich?
M: Die Ganzheit ist offen und zugänglich, doch du willst sie nicht annehmen. Du hängst an dieser kleinen Person, für die du dich hältst. So sind auch deine Wünsche engbegrenzt und deine Bestrebungen kleinlich. Denn wo wäre all das Manifestierte ohne ein Zentrum der Wahrnehmung? Ohne Wahrnehmung wäre das Manifestierte genausogut wie das Unmanifestierte. Und du bist der Punkt der Wahrnehmung, die dimensionslose Quelle aller Dimensionen. So erkenne dich selbst als das Ganze!
F: Wie kann ein Punkt ein Universum enthalten?
M: In einem Punkt ist genug Raum für unendlich viele Universen, denn seine Kapazität ist unbegrenzt. Das einzige Problem ist die Selbstbegrenzung. So kannst du auch nicht vor dir selbst davonlaufen, denn wie weit du auch läufst, du kommst immer wieder zu dir selbst zurück und erkennst die Notwendigkeit, diesen Punkt zu verstehen, der wie Nichts ist und doch die Quelle von Allem.
F: Deshalb bin ich nach Indien gekommen, um einen Yogalehrer zu suchen, und suche immer noch.
M: Welche Art von Yoga möchtest du praktizieren, den Yoga des Erlangens oder des Aufgebens?
F: Kommt das am Ende nicht auf das Gleiche hinaus?
M: Wie könnte es? Das eine versklavt, und das andere befreit. Das Motiv ist entscheidend. Freiheit kommt durch Aufgeben, denn jeder Besitz ist Knechtschaft.
F: Warum sollte ich aufgeben, woran ich die Kraft und den Mut habe, festzuhalten? Und wenn ich nicht die Kraft habe, wie kann ich dann aufgeben? Ich verstehe die Notwendigkeit des Aufgebens nicht. Wenn ich etwas will, warum sollte ich es dann nicht verfolgen? Aufgeben ist etwas für Schwache.
M: Wenn du nicht die Weisheit und die Kraft zum Aufgeben hast, dann schau dir doch deine Besitztümer an, und dein ungetrübter Blick wird sie bald verbrennen. Wenn du außerhalb deines Verstandes stehen kannst, wirst du bald feststellen, daß das völlige Aufgeben von Besitz und Wünschen das offensichtlich Vernünftigste ist, was du tun kannst. Du erschaffst eine Welt, und machst dir Sorgen um sie. Diese Selbstsucht macht dich schwach. Du denkst, daß du Kraft und Mut hast, etwas zu wünschen, weil du noch jung und unerfahren bist. Das Objekt der Begierde zerstört unaufhaltsam die Mittel, um es zu erlangen, und verkümmert dann selbst. Aber das geschieht alles zum Besten, denn es lehrt dich, Begierden wie Gift zu meiden.
F: Wie kann ich Wunschlosigkeit üben?
M: Die brauchst du nicht üben, denn keine Tat des Aufgebens ist erforderlich. Wende einfach deinen Verstand ab, das ist alles. Begehren ist lediglich die Fixierung des Verstandes auf eine Vorstellung. Bring sie aus ihrer Fassung, indem du ihr die Aufmerksamkeit entziehst.
F: Das ist alles?
M: Ja, das ist alles. Was auch immer deine Begierde oder Angst sein mag, verweile nicht darin. Probiere es aus und überzeuge dich selbst! Ab und zu vergißt du es vielleicht, doch das spielt keine Rolle. Versuche es immer wieder, bis das Verschwinden aller Begierden und Ängste nach jeder Reaktion automatisch erfolgt.
F: Wie kann jemand ohne Emotionen leben?
M: Du kannst alle Emotionen haben, die du willst, aber hüte dich vor Reaktionen und Gegenemotionen. Sei völlig selbstbeherrscht und von innen regiert, nicht von außen. Nur etwas aufzugeben, um sich etwas Besseres zu sichern, ist kein wahres Aufgeben. Gib es auf, weil du seine Wertlosigkeit erkennst. Je mehr du aufgibst, desto mehr wirst du erkennen, daß deine Intelligenz und Kraft sowie unerschöpfliche Liebe und Freude spontan wachsen.
F: Warum soll das so wichtig sein, alle Begierden und Ängste aufzugeben? Sind sie nicht natürlich?
M: Nein, das sind sie nicht, sondern insgesamt vom Verstand erschaffen. Deshalb mußt du alles aufgeben, um zu erkennen, daß du nichts brauchst, nicht einmal deinen Körper. Deine Bedürfnisse sind illusionär und deine Bemühungen sinnlos. Du stellst dir vor, daß dein Besitz dich beschützt, doch in Wirklichkeit macht er dich verletzlich. Verwirkliche dich so, daß du von allem erlöst bist, was als „dies“ oder „das“ bezeichnet werden kann. Keine Sinneserfahrung oder begriffliche Konstruktion kann dich erreichen. Wende dich von ihnen ab und verweigere jede Personalisierung.
F: Was soll ich tun, nachdem ich all dies gehört habe?
M: Nur das Hören hilft dir nicht viel. Du mußt es im Gedächtnis behalten und darüber nachdenken und versuchen, den Geisteszustand zu erkennen, der mich sagen läßt, was ich sage. Denn ich spreche aus der Wahrheit. So strecke deine Hand danach aus und nimm sie an! Du bist nicht das, wofür du dich hältst, das versichere ich dir. Das Bild, das du von dir selbst hast, ist aus Erinnerungen gemacht und rein zufällig.
F: Was ich bin, ist das Ergebnis meines Karmas.
M: Was du zu sein scheinst, bist du nicht. Und „Karma“ ist nur ein Wort, das du gelernt hast, zu wiederholen. Du warst nie eine Person, und wirst es auch nie sein. Höre auf, dich selbst als eine Person zu betrachten. Doch solange du nicht einmal daran zweifelst, ein Herr Soundso zu sein, gibt es wenig Hoffnung. Was kann man dir aufzeigen, wenn du dich weigerst, die Augen zu öffnen?
F: Ich stelle mir Karma als eine mystische Kraft vor, die mich zur Vollkommenheit drängt.
M: Das haben dir die Leute erzählt. Doch du bist bereits vollkommen, hier und jetzt. Was sich vervollkommnen läßt, das bist nicht du. Du stellst dir vor, daß du etwas bist, was du nicht bist. Gib das auf! Wichtig ist das Aufgeben und nicht das, was du aufgeben willst.
F: Hat mich das Karma nicht gezwungen, das zu werden, was ich bin?
M: Nichts zwingt dich. Du bist, was du glaubst, daß du bist. Gib diesen Glauben auf!
F: Auch du sitzt auf deinem Platz und redest mit mir. Was dich dazu zwingt, ist dein Karma.
M: Nichts zwingt mich. Ich vollbringe nur, was geschehen soll. Aber du machst so viel Unnötiges. Es ist deine Weigerung zu hinterfragen, die dein Karma erzeugt. Und das ist deine Unwissenheit über das eigene Leiden, die es fortbestehen läßt.
F: Ja, das stimmt. Was kann diese Unwissenheit beenden?
M: Der Drang muß von innen kommen, als eine Welle des Loslassens oder des Mitgefühls.
F: Kann ich diesen Drang unterstützen?
M: Natürlich! Beobachte deinen eigenen Zustand, und beobachte den Zustand der Welt.
F: Uns wurde von Karma, Wiedergeburt, Evolution, Yoga, Meistern und Schülern erzählt. Was machen wir mit all diesem Wissen?
M: Laß alles hinter dir und vergiß es! Geh voran, unbelastet von Vorstellungen und Überzeugungen. Gib alle begrifflichen Konstrukte, alle relativen Wahrheiten und alle greifbaren Objekte auf! Das Absolute kann nur durch absolute Hingabe erreicht werden. Sei nicht halbherzig!
F: Ich muß mit einer absoluten Wahrheit beginnen. Gibt es eine?
M: Ja, es gibt die Empfindung von „Ich bin“. Beginne damit!
F: Nichts anderes ist wahr?
M: Alles andere ist weder wahr noch falsch. Es erscheint wahr, wenn es erscheint, und verschwindet, wenn es verleugnet wird. Vergängliche Dinge sind ein Mysterium.
F: Ich dachte, das Wahre ist das Mysterium.
M: Wie kann das sein? Das Wahre ist einfach da, offen, klar, gütig, schön und freundlich. Es ist völlig frei von Widersprüchen, immer neu, immer frisch und unendlich kreativ. Sein und Nichtsein, Leben und Tod, sowie alle anderen Unterscheidungen verschmelzen darin.
F: Ich kann zugeben, daß alles falsch ist. Aber löst das meinen Verstand auf?
M: Der Verstand ist, was er denkt. Um ihn wahr zu machen, denke wahrhaftig!
F: Wenn die Form der Dinge nur Erscheinung ist, was sind sie dann in Wahrheit?
M: In Wahrheit gibt es nur Wahrnehmung. Der Wahrnehmende und das Wahrgenommene sind begriffliche Konzepte, und die Tatsache der Wahrnehmung ist wirklich.
F: Und wie kommt hier das Absolute ins Spiel?
M: Das Absolute ist der Geburtsort der Wahrnehmung und macht damit die Wahrnehmung möglich. Aber zu viel Analysieren führt dich nirgendwo hin. In dir steckt der Kern des Daseins, der jenseits aller Analyse und damit jenseits des Verstandes ist. Du kannst es nur an der Wirkung erfahren. So verwirkliche es im täglichen Leben, und sein Licht wird immer heller. Die berechtigte Funktion des Verstandes besteht darin, dir zu sagen, was nicht da ist. Wenn du bejahendes Wissen willst, dann mußt du über den Verstand hinausgehen.
F: Gibt es im gesamten Universum etwas Einziges von Wert?
M: Ja, die Macht der Liebe.
Fragender: Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, daß die Schüler ihren Gurus viel Schaden zufügen, denn sie schmieden Pläne und führen sie aus, ohne die Wünsche des Gurus zu berücksichtigen. Am Ende gibt es nur endlose Sorgen für den Guru und Bitterkeit für seine Schüler.
Maharaj: Ja, das passiert.
F: Wer zwingt den Guru, sich diesen Demütigungen zu unterwerfen?
M: Der Guru hat grundsätzlich keine Wünsche. Er sieht, was passiert, verspürt aber keinen Drang einzugreifen. Er trifft keine Entscheidungen und macht keine Entschlüsse. Als reiner Zeuge beobachtet er das Geschehen und bleibt davon unberührt.
F: Aber seine Arbeit leidet darunter.
M: Der Sieg liegt am Ende immer bei ihm. Er weiß, daß die Schüler, wenn sie nicht aus seinen Worten lernen, aus ihren Fehlern lernen werden. Innerlich bleibt er ruhig und still. Er hat nicht das Gefühl, eine getrennte Person zu sein. Das gesamte Universum gehört ihm, einschließlich seiner Schüler mit ihren kleinlichen Plänen. Nichts Besonderes beeinflußt ihn, oder, was dasselbe ist, das gesamte Universum beeinflußt ihn ganzheitlich.
F: Gibt es nicht so etwas wie die Gnade des Gurus?
M: Seine Gnade ist beständig und universal. Sie wird nicht dem einen gegeben und dem anderen verweigert.
F: Welche Auswirkungen hat das auf mich persönlich?
M: Durch die Gnade des Gurus beschäftigt sich dein Verstand mit der Suche nach der Wahrheit, und durch seine Gnade wirst du sie finden. Sie arbeitet beständig auf dein höchstes Wohlergehen hin. Und das gilt für alle.
F: Doch einige Schüler sind gereift und bereit, andere nicht. Muß der Guru nicht Auswählen und Entscheidungen treffen?
M: Der Guru kennt das Höchste und treibt den Schüler unermüdlich dorthin. Doch der Schüler ist voller Hindernisse, die er selbst überwinden muß. Der Guru kümmert sich nicht sehr um die Oberflächlichkeiten im Leben des Schülers. Er wirkt wie die Schwerkraft, und die Frucht muß fallen, wenn sie nicht mehr zurückgehalten wird.
F: Wenn aber der Schüler das Ziel nicht kennt, wie kann er dann die Hindernisse erkennen?
M: Das Ziel wird vom Guru gezeigt, und Hindernisse werden vom Schüler entdeckt. Der Guru hat keine Vorlieben, aber diejenigen, die Hindernisse zu überwinden haben, scheinen langsamer voranzukommen. Doch in Wahrheit unterscheidet sich der Schüler nicht vom Guru. Er ist das gleiche dimensionslose Zentrum der Wahrnehmung und wirkenden Liebe. Es sind nur die Vorstellungen des Schülers und seine Selbst-Identifikation mit dem Vorgestellten, die ihn eingrenzen und in eine Person verwandeln. Der Guru kümmert sich wenig um diese Person, denn seine Aufmerksamkeit gilt dem inneren Beobachter. So ist es die Aufgabe des Beobachters, die Person zu erkennen und dadurch aufzulösen. Denn während einerseits die Gnade (des Gurus) wirkt, muß auf der anderen Seite die Hingabe an die Verwirklichung vorhanden sein.
F: Aber die Person will sich nicht auflösen lassen.
M: Die Person ist nur das Ergebnis eines Mißverständnisses, denn in Wahrheit gibt es gar keine Person. Gefühle, Gedanken und Handlungen rasen in endloser Folge vor dem Beobachter vorbei, hinterlassen Spuren im Gehirn und erzeugen die Illusion einer Kontinuität. Eine Spiegelung des Beobachters im Verstand erzeugt das Ich-Gefühl, und die Person erlangt eine scheinbar unabhängige Existenz. Doch in Wahrheit gibt es diese Person nicht, sondern nur den Beobachter, der sich mit dem „Ich“ und „Mein“ identifiziert. Und der Lehrer sagt dem Beobachter: Das bist du nicht! Darin ist nichts von dir, außer dem kleinen Punkt „Ich bin“, der die Brücke zwischen dem Beobachter und seinem Traum darstellt. „Ich bin dies oder jenes“ ist der Traum, während das reine „Ich bin“ bereits den Stempel der Wahrheit trägt. Du hast so viele Dinge probiert, und alles war umsonst. Nur die Empfindung „Ich bin“ ist geblieben, ganz unverändert. So bleibe in diesem Unveränderlichen inmitten des Veränderlichen, bis du fähig wirst, auch darüber hinauszugehen.
F: Wann wird das geschehen?
M: Es wird geschehen, sobald du die Hindernisse beseitigt hast.
F: Welche Hindernisse?
M: Die Begierde nach Illusion und die Angst vor der Wahrheit. Als Person stellst du dir vor, daß der Guru an dir als Person interessiert ist. In keiner Weise! Für ihn ist deine Person ein Problem und Hindernis, das es zu beseitigen gilt. Sein tatsächliches Ziel ist es, deine Existenz als Person im Bewußtsein auszulöschen.
F: Was bleibt dann übrig, wenn ich ausgelöscht bin?
M: Nichts bleibt, und alles bleibt. Die Empfindung der Identität (von „Ich bin“) bleibt, aber nicht mehr die Identifikation mit einem bestimmten Körper. Dasein-Gewahrsein-Liebe wird in vollkommenen Glanz erstrahlen. Die Befreiung ist niemals für die Person, sondern immer von der Person.
F: Und von der Person ist dann keine Spur mehr übrig?
M: Nur eine vage Erinnerung bleibt, wie die Erinnerung an einen Traum oder an die frühe Kindheit. Was gibt es schließlich zu erinnern? Ein Fluß von Ereignissen, meist zufällig und bedeutungslos, eine Abfolge von Begierden und Ängsten sowie dummen Fehlern. Gibt es etwas Wertvolles, an das man sich erinnern sollte? Die Person ist nur eine Hülle, die dich gefangenhält. Zerbrich diese Hülle!
F: Wen bittest du, diese Hülle zu zerbrechen? Wer soll diese Hülle zerschlagen?
M: Zerbrich die Bindungen der Erinnerung und Selbst-Identifikation, und die Hülle wird von selbst zerbrechen. Es gibt ein Zentrum, das allem Wahrgenommenen eine Wirklichkeit verleiht. Du mußt nur erkennen, daß du die Quelle der Wirklichkeit bist, daß du Wirklichkeit gibst, anstatt sie zu bekommen, und daß du selbst keine Stütze und keine Bestätigung brauchst. Die Dinge sind, wie sie sind, weil du sie so akzeptierst, wie sie sind. Hör auf, sie zu akzeptieren, und sie werden sich auflösen. Was auch immer du mit Begierde oder Angst denkst, erscheint dir wirklich. Betrachte es ohne Verlangen oder Angst, und es verliert seine Wirklichkeit. Freude und Schmerz sind vorübergehend, und es ist immer einfacher, sie zu ignorieren, als darauf zu reagieren.
F: Wenn alle Dinge vorübergehend sind, warum sind sie dann überhaupt erschienen?
M: Das Schöpfen liegt in der Natur des Bewußtseins. Das Bewußtsein verursacht die Erscheinungen, und die Wahrheit ist jenseits des Bewußtseins.
F: Wenn wir uns der Erscheinungen bewußt sind, wie kommt es, daß wir uns nicht bewußt sind, daß es nur Erscheinungen sind?
M: Der Verstand vertuscht die Wahrheit, ohne es zu wissen. Um diese Natur des Verstandes zu erkennen, braucht man Intelligenz, nämlich die Fähigkeit, den Verstand im stillen und leidenschaftslosen Gewahrsein zu betrachten.
F: Wenn meine Natur das allesdurchdringende Bewußtsein ist, wie konnten mir dann Unwissenheit und Illusion geschehen?
M: Weder Unwissenheit noch Illusion sind dir jemals geschehen. Finde das Selbst, dem du Unwissenheit und Illusion zuschreibst, und deine Frage wird beantwortet. Du sprichst, als ob du dein Selbst kennst und siehst, daß es unter der Herrschaft von Unwissenheit und Illusion steht. Aber in Wahrheit kennst du dein Selbst nicht und bist dir auch nicht der Unwissenheit bewußt. Werde in jeder Hinsicht bewußt, und das wird dich zum Selbst führen, und du wirst erkennen, daß darin weder Unwissenheit noch Illusion ist. Es ist, als würdest du fragen: „Wenn die Sonne da ist, wie kann es dann Dunkelheit geben?“ So wie es unter einem Stein Dunkelheit gibt, egal wie stark das Sonnenlicht ist, so muß es im Schatten des „Ich bin der Körper“-Bewußtseins auch Unwissenheit und Illusion geben.
F: Aber warum ist dieses Körperbewußtsein entstanden?
M: Frage nicht nach dem „Warum“, sondern nach dem „Wie“. Es liegt in der Natur der schöpferischen Vorstellungskraft, sich mit ihren Schöpfungen zu identifizieren. Damit kannst du jederzeit aufhören, indem du die entsprechende Aufmerksamkeit ausschaltest oder untersuchst.
F: Wie kommt die Schöpfung zu dieser Untersuchung?
M: Zuerst erschaffst du eine Welt, und dann wird das „Ich bin“ zu einer Person, die aus verschiedensten Gründen unglücklich ist. Danach macht sie sich auf die Suche nach dem Glück und trifft einen Guru, der ihr sagt: „Du bist keine Person. Untersuche, wer du bist!“ Er macht es und geht darüber hinaus.
F: Warum hat sie es nicht gleich am Anfang gemacht?
M: Es ist ihr nicht in den Sinn gekommen. Sie brauchte jemanden, der es ihr sagte.
F: War das genug?
M: Ja, das hat gereicht.
F: Und warum funktioniert es bei mir nicht?
M: Weil du mir nicht vertraust.
F: Warum ist mein Vertrauen so schwach?
M: Begierden und Ängste haben deinen Verstand vernebelt, und er muß gereinigt werden.
F: Wie kann ich meinen Verstand reinigen?
M: Indem du ihn unablässig beobachtest. Unachtsamkeit vernebelt, Achtsamkeit reinigt.
F: Warum befürworten die indischen Lehrer das Nicht-Handeln?
M: Die meisten Handlungen der Menschen sind wertlos, wenn nicht sogar destruktiv. Beherrscht von Begierde und Angst können sie nichts Gutes bewirken. Das Aufhören, Bösartiges zu tun, geht voraus, bevor man beginnt, Gutes zu tun. Daher ist es notwendig, alle (persönlichen) Handlungen eine Zeitlang einzustellen, die eigenen Triebe und ihre Motive zu untersuchen, alles Falsche in seinem Leben zu erkennen, den Verstand von allem Bösen zu reinigen und dann erst wieder mit der Arbeit fortzufahren und mit den offensichtlichen Pflichten zu beginnen. Wenn du die Chance hast, jemandem zu helfen, dann tue es auf jeden Fall, und zwar umgehend. Laß ihn nicht warten, bis du vollkommen bist. Aber werde kein professioneller Weltverbesserer!
F: Ich habe das Gefühl, daß es unter den Schülern nicht allzu viele Weltverbesserer gibt. Die meisten von denen, die ich getroffen habe, sind zu sehr in ihre eigenen kleinen Konflikte verstrickt und haben kein Herz für andere.
M: Eine solche Selbstzuwendung ist vorübergehend. Sei geduldig mit solchen Menschen. So viele Jahre lang haben sie sich auf alles mögliche konzentriert, nur nicht auf sich selbst. Laß sie sich zur Abwechslung einige Zeit sich selbst zuwenden.
F: Was sind die Früchte dieses Selbstbewußtseins?
M: Du wirst intelligenter. Im Bewußtsein lernst du, und im Selbstbewußtsein lernst du etwas über dich selbst. Natürlich kannst du nur lernen, was du nicht bist. Um zu erkennen, was du bist, mußt du über den Verstand hinausgehen.
F: Liegt das Gewahrsein außerhalb des Verstandes?
M: Das Gewahrsein ist der Punkt, an dem der Verstand über sich selbst hinaus in die Wahrheit vordringt. Im Gewahrsein suchst du nicht nach dem, was dir gefällt, sondern nach dem, was wahr ist.
F: Ich finde, daß Gewahrsein einen Zustand innerer Stille hervorruft, einen Zustand psychischer Leere.
M: So wie es kommt, ist es in Ordnung, aber das reicht noch nicht aus. Hast du jemals die allumfassende Leere empfunden, in der das Universum wie eine Wolke am blauen Himmel schwimmt?
F: Ich möchte zunächst meinen eigenen inneren Raum gut kennenlernen.
M: Zerstöre diese trennende Mauer der Vorstellung „Ich bin der Körper“, und das Innere und Äußere werden eins sein.
F: Bedeutet das meinen Tod?
M: Welche Bedeutung hat dein körperlicher Tod? Es ist gerade das Festhalten am sinnlichen Leben, das dich bindet. Wenn du die innere Leere vollständig erleben könntest, dann wäre die Explosion in die Vollkommenheit nahe.
F: Meine eigenen spirituellen Erfahrungen haben ihre Schwankungen. Manchmal fühle ich mich wunderbar herrlich und dann auch wieder niedergeschlagen, wie ein hilfloser Junge, mit dem es auf- und abgeht, nach oben und nach unten.
M: Alle Bewußtseinsschwankungen sind auf die Vorstellung von „Ich bin der Körper“ zurückzuführen. Ohne diese Vorstellung wird der Verstand ruhig. Dann ist nur reines Dasein, ohne irgendetwas Besonderes zu erfahren. Doch um das zu verwirklichen, mußt du dem Rat deines Lehrers folgen. Bloßes Zuhören oder gar Auswendiglernen reicht nicht aus. Wenn du nicht mit aller Kraft versuchst, jedes Wort von ihm in deinem täglichen Leben anzuwenden, brauchst du dich nicht darüber zu beschweren, daß du keine Fortschritte machst. Jeder wahre Fortschritt ist unumkehrbar. Höhen und Tiefen zeigen lediglich, daß die Lehre noch nicht völlig beherzigt und in die Tat umgesetzt wurde.
F: Vor einigen Tagen hast du uns gesagt, daß es kein Karma gibt. Trotzdem sehen wir, daß alles irgendeine Ursache hat und daß die Summe aller Ursachen Karma genannt werden kann.
M: Solange du glaubst, ein Körper zu sein, wirst du allem irgendwelche Ursachen zuordnen. Ich sage nicht, daß Dinge keine Ursachen haben. Jedes Ding hat unzählige Ursachen, und es ist, wie es ist, weil die ganze Welt so ist, wie sie ist. Und jede Ursache umfaßt in ihren Auswirkungen das ganze Universum. Doch nur, wenn du erkennst, daß du völlig frei bist, das zu sein, was du zu sein bereit bist, und daß du das bist, was du aufgrund von Unwissenheit oder Gewohnheit zu sein scheinst, dann hast du die Freiheit, dich zu erheben und zu verändern. Ansonsten willst du das sein, was du (in Wahrheit) nicht bist, und suchst nach den Ursachen dafür, das zu sein, was du nicht bist. Das ist eine vergebliche Suche, denn es gibt keine Ursachen, außer deiner Unwissenheit über dein wahres Dasein, das vollkommen und jenseits aller Kausalität (von Ursache und Wirkung) ist. Für alles, was auch immer geschieht, ist das ganze Universum verantwortlich, und du bist die Quelle des Universums.
F: Ich kann mich nicht als Ursache des Universums sehen.
M: Weil du nicht danach forschst. Erforsche, suche in dir selbst, und du wirst es erkennen.
F: Wie kann ein winziger Punkt wie ich das riesige Universum erschaffen?
M: Wenn du mit dem „Ich bin der Körper“-Virus infiziert bist, dann entsteht ein ganzes Universum. Und wenn du das satt hast, dann hegst du phantasievolle Vorstellungen von Befreiung und verfolgst völlig vergebliche Handlungen. Du konzentrierst dich, meditierst, quälst deinen Körper und Verstand und tust viele unnötige Dinge, aber verpaßt das Wesentliche, nämlich die Auflösung der Person.
F: Vielleicht müssen wir am Anfang einige Zeit beten und meditieren, bevor wir zur Selbst-Erforschung bereit sind.
M: Wenn du das glaubst, dann fahre fort. Für mich ist jede Verzögerung Zeitverschwendung. Du kannst diese gesamte Vorbereitung überspringen und direkt mit der höchsten Suche beginnen. Das ist der einfachste und kürzeste aller Yoga-Wege.
Maharaj: Willkommen zurück in Indien! Wo warst du, was hast du erlebt?
Fragender: Ich komme aus der Schweiz, wo ich bei einem bemerkenswerten Mann war, der behauptet, es erkannt zu haben. Er hat früher viel Yoga geübt und viele Erfahrungen gemacht, die alle vorübergingen. Nun beansprucht er weder besondere Fähigkeiten noch Wissen. Das einzig Ungewöhnliche sind seine Empfindungen, daß er nicht mehr fähig ist, den Seher vom Gesehenen zu trennen. Wenn er zum Beispiel sieht, wie ein Auto auf ihn zurast, weiß er nicht, ob das Auto auf ihn zukommt oder er auf das Auto. Er scheint beides zugleich zu sein, der Seher und das Gesehene. Sie wurden eins. Was auch immer er sieht, darin sieht er sich selbst. Als ich ihm einige Fragen über Vedanta stellte, sagte er: „Ich kann sie wirklich nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Alles, was ich weiß, ist diese seltsame Identität mit allem, was ich wahrnehme. Ehrlich gesagt, ich habe alles andere als das erwartet.“ Im Großen und Ganzen ist er ein bescheidener Mann, beansprucht keine Schüler und stellt sich in keiner Weise auf ein Podest. Er ist bereit, über seinen seltsamen Zustand zu sprechen, und das ist alles.
M: Jetzt weiß er, was er weiß, und alles andere ist verschwunden. Zumindest redet er noch, doch schon bald könnte er auch damit aufhören.
F: Was wird er dann tun?
M: Untätigkeit und Stille sind nicht unwirksam. Die Blume erfüllt den Raum mit Duft, und die Kerze mit Licht. Sie tun nichts, und doch verändern sie alles durch ihre bloße Anwesenheit. Du kannst die Kerze fotografieren, jedoch nicht die Wirkung ihres Lichtes. So kannst du einen Menschen kennen, seinen Namen und sein Aussehen, aber nicht seinen Einfluß. Seine bloße Anwesenheit ist Wirkung.
F: Ist es nicht natürlich, tätig zu sein?
M: Jeder möchte tätig sein, aber woher kommt sein Handeln? Es gibt hier kein Zentrum (eines Handelnden), denn jede Handlung bringt eine andere hervor, bedeutungslos und schmerzhaft, in endloser Folge. Es fehlt der Wechsel von Tätigkeit und Untätigkeit. Finde zuerst das unveränderliche Zentrum, von dem alle Bewegung ausgeht! Wie sich ein Rad um seine Achse dreht, so solltest auch du dich immer im Zentrum der Achse befinden und nicht an der Peripherie des Rades bewegen.
F: Wie gehe ich praktisch vor?
M: Wann immer dir ein Gedanke oder ein Gefühl von Begierde oder Angst in den Sinn kommt, wende dich einfach davon ab.
F: Indem ich meine Gedanken und Gefühle unterdrücke, werde ich aber eine Reaktion provozieren.
M: Ich spreche nicht von Unterdrückung. Verweigere einfach deine Aufmerksamkeit.
F: Muß ich mich nicht anstrengen, um die Bewegungen des Verstandes aufzuhalten?
M: Dies hat nichts mit Anstrengung zu tun. Wende dich einfach ab und schau zwischen die Gedanken hindurch, anstatt auf die Gedanken. Wenn du in einer Menschenmenge läufst, kämpfst du doch auch nicht gegen jeden, der auf dich zukommt, sondern findest einfach deinen Weg hindurch.
F: Wenn ich meinen Willen dazu nutze, den Verstand zu beherrschen, dann stärkt das nur das Ego.
M: Natürlich! Wenn du kämpfst, lädst du zum Kampf ein. Doch wenn du keinen Widerstand leistest, dann triffst du auch auf keinen Widerstand. Sobald du dich weigerst, das Spiel zu spielen, bist du raus.
F: Wie lange werde ich brauchen, um von meinem Verstand frei zu werden?
M: Das kann tausende Jahre dauern, aber eigentlich ist dafür gar keine Zeit erforderlich. Alles, was du brauchst, ist Ernsthaftigkeit, denn hier ist der Wille die Tat. Wenn du aufrichtig bist, hast du ihn, denn letztendlich ist es eine Frage der Einstellung. Nichts hält dich davon ab, hier und jetzt ein Weiser (Jnani) zu sein, außer deine Angst. Du hast Angst davor, unpersönlich zu werden, ein unpersönliches Dasein. Es ist alles ganz einfach: Wende dich von deinen Begierden und Ängsten ab, sowie von den Gedanken, die sie hervorrufen, und du befindest dich sogleich in deinem natürlichen Zustand.
F: Es geht also nicht darum, den Verstand zu erneuern, zu verändern oder zu vernichten?
M: In keiner Weise! Laß deinen Verstand in Ruhe, das ist alles. Folge ihm nicht! Schließlich gibt es keinen Verstand unabhängig von den Gedanken, die kommen und gehen und ihren eigenen Gesetzen gehorchen, und nicht den deinen. Sie beherrschen dich nur, weil du an ihnen interessiert bist. Es ist genauso, wie Christus gesagt hat: „Widerstrebe nicht dem Übel! (Matth. 5.39)“ Denn indem du dem Übel widerstrebst, stärkst du es nur.
F: Ja, jetzt verstehe ich. Alles, was ich tun muß, ist, dem Übel die Existenz zu verweigern, und dann verschwindet es. Aber läuft das nicht auf eine Art Autosuggestion hinaus?
M: Die Autosuggestion ist bereits in vollem Gange, wenn du denkst, eine Person zu sein, die zwischen Gut und Böse gefangen ist. Ich rate dir, damit aufzuhören und aufzuwachen und die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Um auf deinen Aufenthalt in der Schweiz mit deinem seltsamen Freund zurückzukommen: Was hast du in seiner Gesellschaft gewonnen?
F: Eigentlich nichts, denn seine Erfahrung hat mich in keiner Weise berührt. Nur eines habe ich verstanden: Es gibt nichts zu suchen. Wohin ich auch gehe, am Ende jeder Reise erwartet mich nichts. Entdeckung ist nicht das Ergebnis weltlicher Bewegung.
M: Ja, du bist vollkommen unabhängig von allem, was gewonnen oder verloren werden kann.
F: Sprichst du von Vairagya, Verzicht und Entsagung?
M: Es gibt nichts, dem du entsagen müßtest. Es ist genug, mit dem Ergreifen aufzuhören. Um zu geben, muß man haben, und um zu haben, muß man ergreifen. Es ist besser, nichts zu ergreifen. Das ist einfacher, als Entsagung zu üben, die zu einer gefährlichen Form von „spirituellem Stolz“ führen kann. All dieses Abwägen, Aussuchen, Auswählen oder Austauschen ist alles wie das Einkaufen auf einem „spirituellen Markt“. Was ist dein Geschäft dort? Welchen Handel willst du machen? Und wenn du kein Geschäft suchst, was nützt dir dann diese endlose Angst vor dem Auswählen? Solche Unruhe bringt dich nirgendwohin. Irgendetwas hindert dich an der Erkenntnis, daß es nichts gibt, was du brauchst. Finde es heraus und erkenne, daß es falsch (bzw. illusorisch) ist! Es ist, als hättest du etwas Giftiges verschluckt und leidest nun unter unstillbarem Verlangen nach Wasser. Warum nicht das Gift beseitigen und dich von diesem brennenden Durst befreien, anstatt immer mehr Wasser zu trinken?
F: Ich muß also das Ego beseitigen!
M: Ja, die Empfindung „Ich bin eine Person in Raum und Zeit“ ist das Gift. In gewisser Weise erscheint damit auch die Zeit als Gift. Denn mit der Zeit gehen alle Dinge zu Ende und Neues wird geboren, um seinerseits wieder verschlungen zu werden. Identifiziere dich nicht mit der Zeit und frage nicht ängstlich immer wieder: „Was kommt als nächstes?“ Tritt aus der Zeit heraus und erkenne, wie dich die Welt verschlingt. Sag: „Gut, es liegt in der Natur der Zeit, allem ein Ende zu bringen. So soll es sein! Doch mich betrifft das nicht, denn ich selbst bin weder brennbar, noch muß ich irgendwelchen Brennstoff sammeln.“
F: Kann der Zeuge ohne die Dinge da sein, die er bezeugt?
M: Es gibt immer etwas zu bezeugen. Und wenn es kein Ding ist, dann ist es seine Abwesenheit. Das Bezeugen ist ganz natürlich und kein Problem. Das Problem ist das übertriebene Interesse, das zur Selbst-Identifikation führt. Was du damit auch immer beanspruchst, das nimmst du als Wirklichkeit an.
F: Ist das „Ich bin“ wahr oder unwahr? Ist das „Ich bin“ der Zeuge? Und ist dieser Zeuge wahr oder unwahr?
M: Was rein, unverfälscht und ungebunden ist, das ist wahr. Was verdorben, durcheinander, abhängig und vergänglich ist, das ist unwahr. Doch laß dich nicht durch Worte irreführen, denn ein Wort kann mehrere und sogar widersprüchliche Bedeutungen haben. Das „Ich bin“, das das Angenehme verfolgt und das Unangenehme meidet, ist falsch. Das „Ich bin“, das Glück und Leid als untrennbar erkennt, sieht richtig. Der Zeuge, der sich in seine Wahrnehmung verstrickt, ist die Person. Der Zeuge, der jenseits, unbewegt und unberührt steht, ist der Wachturm der Wahrheit, der Punkt, an dem das Gewahrsein, das dem Unmanifestierten innewohnt, das Manifestierte bezeugt. Ohne den Zeugen kann es kein Universum geben, und ohne ein Universum kann es keinen Zeugen geben.
F: Die Zeit verschlingt die Welt. Wer ist der Zeuge der Zeit?
M: Derjenige, der jenseits der Zeit ist, der Unbenennbare. Eine leuchtende Glut, die schnell genug hin und her bewegt wird, erscheint als leuchtender Kreis. Wenn die Bewegung aufhört, bleibt die Glut. Ebenso erschafft das „Ich bin“ in der Bewegung die Welt, und das „Ich bin“ im Frieden wird zum Absoluten. Du bist wie ein Mann, der mit einer Taschenlampe durch eine Galerie geht und nur sehen kannst, was sich innerhalb des Lichtstrahls befindet. Der Rest liegt im Dunkeln.
F: Wenn ich die Welt projiziere, dann sollte ich doch auch fähig sein, sie zu verändern.
M: Natürlich kannst du das. Aber dazu mußt du aufhören, dich mit ihr zu identifizieren, und darüber hinausgehen. Dann hast du die Macht sie aufzulösen und wieder zu erschaffen.
F: Ich möchte aber nur frei sein.
M: Dazu mußt du zwei Dinge wissen: Wovon willst du frei sein, und was hält dich gefangen?
F: Warum willst du das Universum auflösen?
M: Das Universum interessiert mich nicht. Laß es kommen und gehen. Es reicht, wenn ich mich selbst kenne.
F: Wenn du außerhalb der Welt bist, dann bist du ihr doch von keinem Nutzen.
M: Kümmere dich um das Selbst, das da ist, und nicht um die Welt, die nicht da ist! In einem Traum gefangen, hast du dein wahres Selbst vergessen.
F: Ohne die Welt gibt es auch keinen Raum für die Liebe.
M: Genau! All diese Eigenschaften wie Sein, Bewußtsein, Liebe und Schönheit sind Widerspieglungen der Wahrheit in der Welt. Ohne Wahrheit gibt es keine Widerspieglung.
F: Die Welt ist voll begehrenswerter Dinge und Menschen. Wie kann ich mir vorstellen, daß sie nicht wahr ist?
M: Überlasse das Begehrenswerte denen, die es begehren, und ändere den Fluß deines Begehrens vom Nehmen zum Geben. Der Wunsch des Gebens durch Mitteilen wird ganz natürlich die Vorstellung einer Außenwelt aus deinem Verstand auflösen, und schließlich auch die Vorstellung des Gebens. So wird jenseits des Gebens und Nehmens nur der reine Glanz der Liebe bleiben.
F: In der Liebe muß es doch Dualität geben, den Liebenden und den Geliebten.
M: In der wahren Liebe gibt es nicht einmal das Eine, wie kann es dann zwei geben? Denn wahre Liebe ist die Weigerung, etwas zu trennen und Unterscheidungen zu machen. Bevor du an die Einheit denken kannst, mußt du zuerst eine Dualität erschaffen. Doch wenn du wahrhaft liebst, sagst du nicht mehr: „Ich liebe dich!“ Denn wo immer ein gedanklicher Begriff ist, dort ist Dualität.
F: Was zieht mich immer wieder nach Indien zurück? Das kann nicht nur an der relativ günstigen Lebensweise oder an der bunten Vielfalt der Eindrücke hier liegen. Es muß einen wichtigeren Grund geben.
M: Es gibt noch den spirituellen Aspekt. Die Trennung zwischen dem Äußeren und dem Inneren ist in Indien geringer, und so ist es hier einfacher, das Innere im Äußeren auszudrücken. Die Sicht der Einheit fällt leichter, und die Gesellschaft übt weniger Druck aus.
F: Ja, im Westen gibt es vor allem nur Tamas und Rajas (Unwissenheit und Leidenschaft), während es in Indien mehr das Sattwa der Harmonie und Ausgeglichenheit gibt.
M: Kannst du nicht über diese drei Gunas hinausgehen? Warum Sattwa verfolgen? Sei, was du bist, wo immer du bist, und mach dir keine Sorgen um die Gunas (der natürlichen Eigenschaften).
F: Dazu habe ich keine Kraft.
M: Das zeigt lediglich, daß du auch in Indien wenig gewonnen hast. Doch was du in Wahrheit hast, kannst du niemals verlieren. Würdest du in dir selbst gegründet sein, dann wäre der Ort völlig unwichtig, wo du lebst.
F: In Indien ist das spirituelle Leben einfacher als im Westen, wo man sich viel stärker an die Umgebung anpassen muß.
M: Warum erschaffst du nicht deine eigene Umgebung? Die äußere Welt hat nur so viel Macht über dich, wie du ihr gibst. Erhebe dich, geh über die Dualität hinaus und mach keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West.
F: Was soll man tun, wenn man in einer so unspirituellen Umgebung lebt?
M: Tue nichts, und sei du selbst. Bleib draußen, und schau darüber hinaus!
F: Zu Hause könnte es zu Konflikten kommen, denn die Eltern verstehen das nur selten.
M: Wenn du dein wahres Wesen kennst, hast du keine Konflikte. Du kannst deinen Eltern gefallen oder nicht, heiraten oder nicht, viel Geld verdienen oder nicht, denn das ist dir nicht wichtig. Handle einfach den Umständen entsprechend, aber dennoch in engem Kontakt mit dem Dasein und der Wahrheit in jeder Situation.
F: Ist das nicht ein sehr hoher Zustand?
M: Oh nein, das ist der normale Zustand. Du nennst ihn hoch, weil du Angst davor hast. Sei zuerst frei von Angst, und erkenne, daß es keinen Grund zur Angst gibt. Angstlosigkeit ist die Tür zum Höchsten.
F: Keine noch so große Anstrengung kann mich von der Angst befreien.
M: Angstlosigkeit kommt von selbst, wenn man erkennt, daß es gar nichts gibt, vor dem man Angst haben muß. Wenn du auf einer belebten Straße gehst, dann gehst du einfach an den vielen Menschen vorbei. Manche siehst du näher, andere nur von weitem, aber halte nicht an. Es ist das Anhalten, das die Stauungen verursacht. Bleib in Bewegung! Ignoriere all die Namen und Formen und halte nicht an ihnen fest, denn deine Bindung wird dein Gefängnis.
F: Und was soll ich tun, wenn mir jemand ins Gesicht schlägt?
M: Dann wirst du spontan nach deinem angeborenen und erworbenen Charakter reagieren.
F: Ist das unvermeidlich? Bin ich und die Welt dazu verdammt, immer nur so zu bleiben, wie wir geformt sind?
M: Ein Juwelier, der ein Schmuckstück umgestalten möchte, schmilzt es zunächst zu formlosem Gold ein. Ebenso muß man zum ursprünglichen Zustand zurückkehren, bevor ein neuer Name und eine neue Form entstehen können. So ist der Tod für eine Erneuerung unerläßlich.
F: Du betonst immer die Notwendigkeit, darüber hinauszugehen, zurückzukehren und einsam zu sein. Die Worte „richtig“ und „falsch“ verwendest du selten. Warum?
M: Es ist richtig, man selbst zu sein, und es ist falsch, es nicht zu sein. Alles andere wird dadurch bedingt. Du versuchst, richtig und falsch zu unterscheiden, weil du eine Basis für dein Handeln brauchst. Und so willst du immer irgendetwas tun. Doch persönlich motiviertes Handeln, das auf solcher Bewertung basiert und auf entsprechende Ergebnisse abzielt, ist schlimmer als Untätigkeit, denn seine Früchte werden immer bitter.
F: Sind Gewahrsein und Liebe ein und dasselbe?
M: Natürlich! Gewahrsein ist dynamisch, und Liebe ist Dasein. Gewahrsein ist also wirkende Liebe. Der Verstand kann sich beliebig viele Möglichkeiten verwirklichen, aber wenn sie nicht von der Liebe motiviert werden, sind sie wertlos. Liebe geht jeder Schöpfung voraus, und ohne sie gibt es nur Chaos.
F: Wo geschieht die Wirkung im Gewahrsein?
M: Du bist so unheilbar funktionsorientiert! Solange du keine Bewegung, Unruhe oder Aufruhr siehst, sprichst du nicht von Wirkung. Doch Bewegung um der Bewegung willen ist nur Chaos. Wahre Wirkung bewegt nichts, sondern verwandelt. Ein Ortswechsel wäre bloße Bewegung, aber ein Wandel des Herzens wäre wahre Wirkung. Denke daran: Nichts Greifbares ist wahr. Die greifbare Wirklichkeit ist keine wahre Wirkung. Die wahre Wirkung ist verborgen, unsichtbar und nicht erkennbar. Du kannst nur die Früchte davon erkennen.
F: Ist Gott nicht der Allwirkende?
M: Warum bringst du einen äußerlich Wirkenden ins Spiel? Die Welt entsteht aus sich selbst heraus immer wieder neu. Das ist ein endloser Prozeß, in dem das Vergängliche das Vergängliche erzeugt. Es ist nur dein Ego, das dich denken läßt, daß da ein wirklich Handelnder sein muß. So erschaffst du einen Gott nach deinem eigenen Bild, wie düster das auch sein mag. Durch den Film deines Verstandes projizierst du eine Welt und auch einen Gott, der ihr einen Grund und Zweck geben soll. Das ist alles nur Einbildung, die du verlassen solltest.
F: Es ist so schwierig, diese Welt als reine Vorstellung zu betrachten! Die greifbare Wirklichkeit erscheint so völlig überzeugend.
M: Das ist das Geheimnis der Vorstellungskraft, daß alles so wirklich zu sein scheint. Du magst ledig oder verheiratet sein, ein Mönch oder ein Familienvater, doch das ist nicht der Punkt, sondern ob du ein Sklave deiner Einbildung bist oder nicht. Welche Entscheidung du auch immer triffst und welche Arbeit du tust, alles wird ausnahmslos auf Einbildung und Vorstellungen basieren, die (vom Verstand) als Fakten angenommen werden.
F: Wenn ich hier vor dir sitze, wieviel davon ist Einbildung?
M: Alles, sogar Raum und Zeit sind Einbildungen.
F: Bedeutet das, daß ich gar nicht existiere?
M: Auch ich existiere nicht, denn jede Existenz ist Einbildung.
F: Ist das Dasein auch eine Einbildung?
M: Reines Dasein, das alles erfüllt und über alles hinausgeht, ist keine Existenz, die begrenzt ist. Jede Begrenzung ist eingebildet, und nur das Grenzenlose ist wahr.
F: Was siehst du, wenn du mich ansiehst?
M: Ich sehe, daß du dir einbildest, hier zu sein.
F: Es gibt hier viele wie mich, und doch ist jeder anders.
M: Die Gesamtheit aller Vorstellungen ist das, was Maha-Maya genannt wird, die große Illusion.
F: Und was siehst du, wenn du dich selbst betrachtest?
M: Es kommt darauf an, wie ich schaue. Wenn ich durch den Verstand schaue, sehe ich viele Menschen. Wenn ich jenseits des Verstandes schaue, dann sehe ich den Zeugen, und jenseits des Zeugens die unendliche Intensität der Leere und Stille.
F: Wie kann man dann mit Menschen umgehen?
M: Warum Pläne machen und wofür? Solche Fragen deuten auf Angst. Beziehung ist etwas Lebendiges. Sei im Frieden mit deinem inneren Selbst, und du wirst mit allen im Frieden sein. Erkenne, daß du kein Herr darüber bist, was passiert. Du kannst die Zukunft nur in rein technischer Hinsicht kontrollieren. Menschliche Beziehungen sind nicht planbar, weil sie zu reichhaltig und vielfältig sind. Sei einfach nur verständnisvoll und mitfühlend, sowie frei von jeglicher Selbstsucht.
F: Sicherlich bin ich kein Herr darüber, was geschieht, eher dessen Sklave.
M: Sei weder Herr noch Sklave, sondern jenseits davon!
F: Heißt das, alle Handlungen zu vermeiden?
M: Du kannst dem Handeln nicht entgehen, denn es geschieht von selbst, wie alles andere.
F: Meine Handlungen kann ich doch sicherlich beherrschen.
M: Versuche es, und du wirst bald erkennen, daß du tust, was du tun mußt.
F: Ich kann aber nach meinem Willen handeln.
M: Deinen Willen erkennst du erst, nachdem du gehandelt hast.
F: Ich erinnere mich an meine Wünsche, die Wahlmöglichkeiten und die gemachten Entscheidungen und handle entsprechend.
M: Dann entscheidet dein Gedächtnis, aber nicht du.
F: Wo komme ich ins Spiel?
M: Du machst es möglich, indem du ihm Aufmerksamkeit schenkst.
F: Gibt es denn keinen freien Willen? Bin ich nicht frei zu wünschen?
M: Oh nein, du bist gezwungen zu wünschen. Im Hinduismus gibt es die Idee des freien Willens nicht und daher auch kein Wort dafür. Wille bedeutet Verpflichtung, Festlegung und Bindung.
F: Dann habe ich wenigstens die Freiheit, meine Grenzen zu wählen.
M: Dazu mußt du zuerst frei sein. Und um in der Welt frei zu sein, muß man von der Welt frei sein. Ansonsten entscheidet deine Vergangenheit über dich und deine Zukunft. Und so bist du gefangen zwischen dem, was geschah, und dem, was geschehen muß. Nenne es Schicksal oder Karma, aber niemals Freiheit. Kehre zu deinem wahren Dasein zurück, und dann handle aus dem Herzen der Liebe.
F: Was ist im Manifestierten der Ausdruck des Unmanifesten?
M: Da gibt es keinen. Sobald du beginnst, nach dem Ausdruck des Unmanifesten zu suchen, löst sich das Manifestierte auf. Wenn du versuchst, das Unmanifeste mit dem Verstand zu erfassen, gehst du sogleich über den Verstand hinaus, wie man das Feuer mit einem Holzstäbchen anzündet und das Stäbchen mit verbrennt. So benutze den Verstand, um das Manifestierte zu untersuchen. Sei wie das Küken, das an der Eierschale pickt! Über das Leben außerhalb der Schale zu spekulieren hätte ihm wenig geholfen, doch mit dem Picken wird die Schale von innen aufgebrochen und das Küken befreit. So zerbreche in ähnlicher Weise den Verstand von innen heraus, indem du seine Widersprüche und Absurditäten untersuchst und aufdeckst.
F: Woher kommt dieses Verlangen, die Schale zu durchbrechen?
M: Aus dem Unmanifesten.
Fragender: Muß man nicht erst eine Person sein, bevor man seine eigene wahre Natur verwirklichen kann? Hat das Ego nicht seinen Wert?
Maharaj: Die Person ist von geringem Nutzen, denn sie ist tief in ihre eigenen Angelegenheiten verstrickt und völlig unwissend über ihr wahres Dasein. Solange das bezeugende Bewußtsein nicht beginnt, die Person zu bezeugen, so daß sie nicht mehr zum Subjekt, sondern zum Objekt der Zeugung wird, ist diese Verwirklichung (der wahren Natur) unmöglich. Es ist der Zeuge, der diese Verwirklichung wünschenswert und erreichbar macht.
F: Es kommt also ein Punkt im Leben einer Person, an dem sie zum Zeugen wird.
M: Oh nein! Die Person selber wird niemals zum Zeugen. Das ist, als würde man erwarten, daß eine kalte Kerze im Laufe der Zeit zu brennen beginnt. Die Person kann endlos in der Dunkelheit der Unwissenheit verharren, es sei denn, die Flamme des Gewahrseins berührt sie.
F: Wer entzündet diese Kerze?
M: Der Guru mit seiner Anwesenheit und seinen Worten. In Indien ist es oft auch ein Mantra. Und sobald die Kerze angezündet ist, verzehrt die Flamme die Kerze.
F: Warum ist das Mantra so wirksam?
M: Die ständige Wiederholung des Mantras ist etwas, was die Person nicht um ihrer selbst willen macht. Denn die Person ist davon nicht der Nutznießer, ähnlich wie auch die Kerze durch die Flamme nicht größer wird.
F: Kann sich die Person selber nicht selbst gewahr werden?
M: Ja, das geschieht manchmal als Folge von unerträglich viel Leid. Der Guru möchte dir diese große Qual ersparen. Das ist seine Gnade. Auch wenn es äußerlich keinen erkennbaren Guru gibt, so gibt es doch immer den Sadguru, den innerlichen Guru, der von innen heraus führt und hilft. Dabei beziehen sich diese Worte „äußerlich“ und „innerlich“ nur auf den Körper, denn in Wahrheit ist alles eins, und das Äußerliche ist lediglich eine Projektion des Innerlichen. Nur das Gewahrsein kommt wie aus einer höheren Dimension.
F: Was verändert sich, wenn der Funke die Flamme anzündet?
M: Bevor der Funke zündet, gibt es keinen Zeugen, um einen Unterschied wahrzunehmen. Die Person mag bewußt sein, aber sie ist sich nicht gewahr, bewußt zu sein, denn sie ist völlig identifiziert mit dem, was sie denkt, fühlt und erfährt. Die darin enthaltene Dunkelheit ist ihre eigene Schöpfung, und erst, wenn diese Dunkelheit in Frage gestellt wird, löst sie sich auf. Und der Wunsch, sie in Frage zu stellen, wird vom Guru gesät. Mit anderen Worten: Der Unterschied zwischen der Person und dem Zeugen besteht darin, daß sich die Person selbst nicht erkennt, sondern nur der Zeuge erkennt sich selbst. So ist die im Bewußtsein gesehene Welt von der Natur des Bewußtseins, wenn Harmonie (Sattwa) herrscht. Wenn jedoch Trägheit und Leidenschaft (Tamas und Rajas) herrschen, dann verdunkeln und verzerren sie alles, und du siehst das Falsche als das Wahre.
F: Was kann die Person tun, um sich auf das Kommen des Gurus vorzubereiten?
M: Der bloße Wunsch, bereit zu sein, bedeutet, daß der Guru gekommen ist und die Flamme entzündet wurde. Das kann auch ein einzelnes Wort oder eine Seite in einem Buch sein, denn die Gnade des Gurus wirkt auf mysteriöse Weise.
F: Kann man sich denn nicht selber darauf vorbereiten? Wir hören doch so viel über Yoga Sadhana?
M: Es ist nicht die Person, die Sadhana übt. Die Person ist in Unruhe und Widerstand bis zu ihrem Ende. Es ist der Zeuge, der auf die Person wirkt, auf die Gesamtheit ihrer Illusionen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
F: Wie können wir wissen, daß deine Aussage wahr ist? Auch wenn sie in sich geschlossen und frei von inneren Widersprüchen erscheint, wie können wir wissen, daß sie nicht das Produkt einer lebendigen Phantasie ist, die durch ständige Wiederholung genährt und bereichert wird?
M: Der Beweis ihrer Wahrhaftigkeit liegt in der Wirkung auf den Zuhörer.
F: Worte können eine äußerst starke Wirkung haben. Durch ihr Hören oder Wiederholen kann man verschiedenste Trancezustände erfahren. Damit können Erfahrungen des Zuhörers erzeugt werden und deshalb nicht als Beweis gelten.
M: Die Wirkung muß nicht unbedingt eine Erfahrung sein. Es kann auch eine Veränderung des Charakters, der Motivation, der Beziehung zu Menschen oder zu sich selbst sein. Trancezustände oder Visionen, die durch Worte, Drogen oder andere sensorische oder mentale Mittel hervorgerufen werden, sind vorübergehend und nicht verläßlich. Doch die Wahrheit dessen, was hier gesagt wird, ist unveränderlich und ewig. Und der Beweis dafür liegt im Zuhörer, in den tiefen und dauerhaften Veränderungen in seinem gesamten Wesen. Daran kann er nicht zweifeln, es sei denn, er zweifelt an seinem eigenen Dasein, was undenkbar ist. Wenn dann meine Erfahrung auch zu deiner Erfahrung wird, welchen besseren Beweis wünschst du dir?
F: Der Erfahrende selbst ist also der Beweis seiner Erfahrung.
M: Richtig, und der Erfahrende braucht keinen Beweis. „Ich bin da, und ich weiß, daß ich da bin.“ Brauchst du dann noch weitere Beweise?
F: Kann es auch wahres Wissen über die Dinge geben?
M: Relativ ja. Absolut gibt es keine Dinge. Zu wissen, daß da nichts ist, ist wahres Wissen.
F: Welche Verbindung besteht zwischen dem Relativen und dem Absoluten?
M: Sie sind identisch.
F: Aus welcher Sicht sind sie identisch?
M: Wenn die Worte verklungen sind, herrscht Stille. Wenn das Relative vergangen ist, bleibt das Absolute. Unterscheidet sich die Stille, bevor die Worte gesprochen wurden, von der Stille, die danach kommt? Die Stille ist eins, und ohne sie hätten die Worte nicht gehört werden können. Sie ist immer da, im Hintergrund der Worte. Richte deine Aufmerksamkeit von den Worten auf die Stille, und du wirst sie hören. Der Verstand sehnt sich nach Erfahrung, und die Erinnerung daran hält er für Wissen. Der Weise (Jnani) ist jenseits aller Erfahrung, und sein Gedächtnis ist von der Vergangenheit befreit. Er hat keinerlei Beziehung zu irgendetwas Besonderem. Doch der Verstand sehnt sich nach Formulierungen und Definitionen und ist immer bestrebt, die Wahrheit in eine begriffliche Form zu pressen. Von allem will er eine Vorstellung, denn ohne Vorstellungen kann kein Verstand sein. Die Wahrheit besteht im Grunde für sich allein, aber der Verstand will sie nicht allein lassen und beschäftigt sich statt dessen mit dem Illusorischen. Und so ist alles, was der Verstand tun kann, das Illusorische als illusorisch zu entdecken.
F: Und das Wahre als wahr sehen?
M: Es gibt keinen Zustand, in dem man das Wahre sieht. Wer könnte hier was sehen? Das Wahre kannst du nur sein, nämlich das, was du im Grunde bereits bist. Das Problem ist nur geistiger Natur. Gib die illusorischen Vorstellungen auf, das ist alles. Es bedarf keiner wahren Vorstellung, denn es gibt keine.
F: Warum werden wir dann ermutigt, die Wahrheit zu suchen?
M: Der Verstand braucht ein Ziel. Um ihn zu ermutigen, sich vom Illusorischen zu befreien, wird ihm eine Gegenleistung versprochen. Doch in Wahrheit ist gar kein Ziel erforderlich. Von der Illusion frei zu sein, ist an sich schon vollkommen und bedarf keiner Belohnung. Es ist, wie die Reinheit zu erreichen, die ihre eigene Belohnung ist.
F: Ist nicht die Selbsterkenntnis die Belohnung?
M: Der Lohn der Selbsterkenntnis ist die Freiheit vom persönlichen Selbst. Du kannst den Wissenden nicht erkennen, denn du selbst bist der Wissende. Die Tatsache des Wissens beweist den Wissenden. Du brauchst keinen anderen Beweis. Der Wissende des Wissens ist nicht erkennbar. Wie man das Licht nur in den Farben erkennt, so erkennt man den Wissenden nur im Wissen.
F: So ist der Wissende nur eine Schlußfolgerung?
M: Du kennst doch auch deinen Körper, deinen Verstand und deine Gefühle. Ist das nur eine Schlußfolgerung?
F: Ich bin also eine Schlußfolgerung für andere, aber nicht für mich selbst.
M: Wie auch ich eine Schlußfolgerung für dich bin, doch nicht für mich selbst. Ich kenne mich selbst, weil ich ich selbst bin. Wie du auch weißt, daß du ein Mensch bist, weil du einer bist. Du mußt dich nicht ständig daran erinnern, daß du ein Mensch bist. Erst wenn deine Menschlichkeit in Frage gestellt wird, mußt du es bestätigen. In gleicher Weise weiß ich, daß ich alles bin, und muß mir nicht ständig wiederholen: „Ich bin alles, ich bin alles.“ Nur wenn du mich für etwas Besonderes hältst, für eine Person, dann protestiere ich. So wie du immer ein Mensch bist, so bin ich immer, was ich bin. Und was immer du unveränderlich bist, daß bist du jenseits aller Zweifel.
F: Wenn ich dich frage, woher du weißt, daß du ein Weiser (Jnani) bist, dann antwortest du: „Ich finde kein Verlangen mehr in mir. Ist das kein Beweis?“
M: Auch wenn ich voller Wünsche wäre, wäre ich immer noch das, was ich bin.
F: Wenn wir beide voller Wünsche wären, wo läge dann der Unterschied?
M: Du identifizierst dich mit deinen Wünschen und wirst ihr Sklave. Für mich sind Wünsche wie Dinge unter anderen Dingen, bloße Wolken am geistigen Himmel, und ich spüre keinerlei Bedürfnis, sie zu erfüllen.
F: Der Wissende und sein Wissen, sind das nun eins oder zwei?
M: Sowohl als auch! Der Wissende ist das Unmanifeste, und das Wissen ist das Manifestierte. Das Wissen ist immer in Bewegung, verändert sich und hat keine eigentümliche Gestalt und keinen festen Wohnort. Der Wissende ist der unveränderliche Träger allen Wissens. So braucht der eine den anderen, aber die Wahrheit liegt jenseits der beiden. Der Weise (Jnani) kann nicht erkannt werden, weil es niemanden gibt, den man erkennen könnte. Wenn es eine Person gibt, dann kann man etwas über sie erzählen. Aber was kann man sagen, wenn es keine Selbstidentifikation mit etwas Besonderem gibt? Du kannst von einem Weisen alles mögliche erzählen, doch seine Frage wird immer sein: „Von wem redest du? Eine solche Person gibt es nicht.“ Wie man nichts über das ganze Universum sagen kann, weil es alles umfaßt, so kann man auch nichts über einen Weisen sagen, denn er ist Alles und nichts Besonderes. Wenn du ein Bild aufhängen willst, brauchst du einen Haken. Doch wenn es keinen Haken gibt, woran willst du das Bild hängen? Um etwas zu finden, braucht man einen Raum, und um ein Ereignis festzusetzen, braucht man Zeit. Doch das Zeit- und Raumlose entzieht sich jeder Festlegung. Es ist die Quelle aller Wahrnehmung, doch selbst jenseits der Wahrnehmung. So kann der Verstand nicht wissen, was jenseits des Verstandes ist, aber der Verstand wird davon erkannt, was jenseits ist. So hat der Weise weder Geburt noch Tod. Existenz und Nichtexistenz sind für ihn dasselbe.
F: Du bleibst also, wenn dein Körper stirbt.
M: Nichts stirbt, denn der Körper ist nur eingebildet. Es gibt keine solches Ding.
F: Bevor dieses Jahrhundert vergeht, wirst du für alle um dich herum gestorben sein. Dein Körper wird mit Blumen bedeckt, dann verbrannt und die Asche verstreut. Das wird unsere Erfahrung sein. Und wie wirst du es erfahren?
M: Die Zeit wird zu Ende sein, und das wird der Große Tod (Maha-Mrityu) genannt, der Tod der Zeit.
F: Bedeutet das, daß das Universum und seine Inhalte beendet werden?
M: Das Universum ist deine persönliche Erfahrung. Wie kann es von mir beendet werden? Vor zwei Stunden hast du einen Vortrag gehalten. Wo ist er geblieben, nachdem er beendet wurde? Er ist wieder in die Stille eingegangen, in welcher Anfang, Mitte und Ende des Vortrags vereint sind. Diese Zeit ist beendet, denn sie war da, aber ist nicht mehr da. Die Stille nach einem Leben voller Reden und die Stille nach einem Leben voller Stille ist ein und dieselbe Stille. Unsterblichkeit ist die Freiheit von der Empfindung „Ich bin“. Dennoch ist es keine Vernichtung. Im Gegenteil, es ist ein Dasein, das unendlich wahrer, bewußter und glücklicher ist, als du dir jemals vorstellen kannst. Nur das persönliche Bewußtsein gibt es nicht mehr.
F: Warum fällt der große Tod des Verstandes mit dem „kleinen Tod“ des Körpers zusammen?
M: Das stimmt so nicht! Du kannst hunderte Tode sterben, ohne daß die Unruhe des Verstandes unterbrochen wird. Oder du behältst deinen Körper und stirbst nur im Verstand. Dann ist der Tod des Verstandes die Geburt der Weisheit.
F: Die Person geht, und nur der Zeuge bleibt.
M: Wer bleibt, um zu sagen „Ich bin der Zeuge“? Wenn es kein „Ich bin“ gibt, wo ist dann der Zeuge? Im Zeitlosen gibt es kein Selbst, bei dem man Zuflucht suchen könnte. Der Mensch, der ein Paket trägt, ist besorgt, es nicht zu verlieren, denn er ist sich des Pakets bewußt. So ist sich auch der Mensch, der die Empfindung „Ich bin“ trägt, seiner selbst bewußt. Der Weise hält an nichts fest, und so kann man nicht einmal sagen, daß er bewußt ist. Und trotzdem ist er nicht bewußtlos. Er ist das reine Herz des Gewahrseins. Wir nennen ihn auch „Digambara“, der vom Raum Bekleidete, der Nackte, jenseits aller Erscheinungen. Es gibt keinen Namen und keine Gestalt, von denen man sagen könnte, daß er darunter existiert, und doch ist er der Einzige, der wahrhaft da ist.
F: Das verstehe ich nicht.
M: Wer könnte das verstehen? Der Verstand hat seine Grenzen. So reicht es aus, dich an die Grenzen des Wissens zu führen und dir die Unermeßlichkeit des Unbekannten zu zeigen. Dann liegt es an dir, darin einzutauchen.
F: Was ist mit dem Zeugen? Ist er Wahrheit oder Illusion?
M: Er ist beides, der letzte Rest der Illusion und der erste Hauch der Wahrheit. Zu sagen „Ich bin nur der Zeuge“, ist sowohl falsch als auch wahr: Falsch wegen des „Ich bin“, und wahr wegen des Zeugen. Es ist besser zu sagen: „Es gibt Bezeugung.“ Und sobald du sagst „Ich bin“, entsteht das gesamte Universum zusammen mit seinem Schöpfer.
F: Noch eine Frage: Können wir uns die Person und das Selbst wie zwei Brüder vorstellen, einen kleinen und einen großen? Der kleine Bruder ist boshaft und egoistisch, unehrlich und unruhig, während der große Bruder intelligent und freundlich, vernünftig und rücksichtsvoll ist, frei vom Körperbewußtsein mit seinen Begierden und Ängsten. Der große Bruder erkennt den kleinen, aber der kleine erkennt den großen nicht und denkt, er sei völlig auf sich allein gestellt. Dann kommt der Guru und sagt dem kleinen Bruder: „Du bist nicht allein, sondern kommst aus einer sehr guten Familie, und dein Bruder ist ein sehr beachtenswerter Mann, weise und freundlich, und er liebt dich sehr. Erinnere dich an ihn, denke an ihn, finde ihn, diene ihm, und du wirst mit ihm vereint werden.“ Die Frage ist nun, gibt es in uns zwei, das falsche persönliche und individuelle Selbst und das wahre Selbst, oder ist das nur ein Vergleich?
M: Es ist beides. Sie scheinen zwei zu sein, aber bei näherer Untersuchung findet man, daß sie eins sind. Die Dualität besteht nur so lange, wie sie nicht in Frage gestellt wird. Die Dreifalt von Verstand, Selbst und reinem Geist (Vyakti, Vyakta, Avyakta) wird bei näherer Untersuchung zur Einheit. Es sind nur verschiedene Arten der Erfahrung, nämlich Bindung, Loslösung und Transzendenz.
F: Deine Annahme, daß wir uns in einem Traumzustand befinden, macht deine Position unangreifbar. Welchen Einwand wir auch immer erheben, du leugnest einfach seine Gültigkeit. So kann man mit dir nicht diskutieren!
M: Der Wunsch zu diskutieren ist auch nur ein Wunsch. Der Wunsch nach Wissen, der Wunsch nach Macht und sogar der Wunsch nach Existenz, sind alles nur Wünsche. Jeder wünscht sich zu sein, zu überleben und fortzubestehen, denn niemand ist sich seiner selbst sicher. Doch wir sind alle unsterblich. Du machst dich nur selbst sterblich, indem du dich mit dem Körper identifizierst.
F: Nachdem du deine Freiheit gefunden hast, möchtest du mir nicht ein wenig davon abgeben?
M: Warum nur ein wenig? Nimm das Ganze! Nimm es, denn dazu ist es da. Aber du hast Angst vor der Freiheit!
F: Swami Ramdas mußte sich mit einer ähnlichen Anfrage befassen. Eines Tages versammelten sich einige Anhänger um ihn und begannen, um Befreiung zu bitten. Ramdas hörte lächelnd zu. Doch dann wurde er plötzlich ernst und sprach: „Du kannst sie hier und jetzt haben, die absolute und dauerhafte Freiheit. Wer sie will, der melde sich!“ Doch niemand bewegte sich. Dreimal wiederholte er das Angebot, aber keiner nahm es an. Dann sprach er: „Das Angebot ist zurückgezogen.“
M: Ja, Anhaftung zerstört allen Mut. Der Gebende ist immer bereit zu geben, doch der Nehmende ist nicht bereit. Freiheit bedeutet Loslassen. Doch die Menschen sind nicht bereit, alles loszulassen. Sie wissen nicht, daß das Vergängliche der Preis für das Unvergängliche ist, so wie der Tod der Preis für die Unsterblichkeit ist. Spirituelle Reife liegt in der Bereitschaft, alles loszulassen, und das Aufgeben ist der erste Schritt. Aber das wahre Loslassen besteht in der Erkenntnis, daß es gar nichts gibt, was man aufgeben kann, denn dir gehört nichts. Es ist wie im Tiefschlaf: Du gibst dein Bett nicht auf, wenn du einschläfst, sondern vergißt es einfach.
Fragender: Meine Frage lautet: Was ist der Beweis für die Wahrheit? Die Anhänger jeder Glaubensrichtung, ob metaphysisch oder politisch, philosophisch oder ethisch, sind überzeugt, daß sie die einzige Wahrheit haben und alles andere falsch ist. Und sie betrachten ihre eigene unerschütterliche Überzeugung als Beweis für die Wahrheit und sagen: „Ich bin davon überzeugt, also muß es wahr sein.“ Es scheint mir aber, daß keine Philosophie oder Religion, keine Doktrin oder Ideologie, wie vollständig, widerspruchsfrei und emotional ansprechend sie auch sein mag, der Beweis für ihre eigene Wahrheit sein kann. Sie alle sind wie Kleidungstücke, die Menschen anziehen und je nach Zeit und Umständen variieren und den Modetrends folgen. Kann es überhaupt eine Religion oder Philosophie geben, die wirklich wahr ist und nicht von persönlichen Überzeugungen abhängt? Auch nicht von den heiligen Schriften, weil diese wiederum davon abhängen, inwieweit man an sie glaubt. Gibt es eine Wahrheit, die nicht auf Glauben beruht und damit nicht subjektiv ist?
Maharaj: Was hältst du von der Wissenschaft?
F: Wissenschaft dreht sich im Kreis und endet dort, wo sie beginnt, bei den Sinnen und Gedanken. Doch hier geht es um Erfahrungen, und Erfahrungen sind subjektiv. Keine zwei Personen können die gleiche Erfahrung machen, auch wenn sie diese mit gleichen Worten beschreiben.
M: Dann mußt du nach der Wahrheit suchen, die über den Verstand hinausgeht.
F: Guter Herr, ich habe genug von Trancezuständen. Jede Droge kann sie billig und schnell hervorrufen. Selbst die klassischen Samadhis, die durch Atem- oder Geistesübungen hervorgerufen werden, sind hier nicht wesentlich besser. Es gibt Sauerstoff-Samadhis und Kohlendioxid-Samadhis sowie selbstinduzierte Samadhis, die durch die Wiederholung einer Formel oder einer Gedankenkette hervorgebracht werden. Jede Monotonie wirkt einschläfernd. Ich kann also kein Samadhi, wie herrlich es auch sein mag, als Beweis für die Wahrheit akzeptieren.
M: Das wahre Samadhi ist jenseits von Erfahrung und ein eigenschaftsloser Zustand.
F: Das Fehlen von Erfahrung kommt doch nur durch Unaufmerksamkeit. Sobald die Aufmerksamkeit wieder da ist, kommt auch die Erfahrung. Das Schließen der Augen widerlegt doch nicht das Dasein von Licht. Verneinende Zustände der Wahrheit zuzuschreiben, wird uns nicht weiterbringen, denn jede Verneinung bestätigt immer auch ihr Gegenteil.
M: In gewisser Weise hast du recht. Doch merkst du nicht, daß du nach einem Beweis für die Wahrheit fragst, ohne zu erklären, welche Wahrheit du meinst und welcher Beweis für dich überzeugend wäre? Du kannst dir alles beweisen, vorausgesetzt, du glaubst deinem Beweis. Aber was kann beweisen, daß dein Beweis wahr ist? Ich könnte dich ganz leicht zu dem Eingeständnis führen, daß du nur eins sicher wissen kannst, nämlich daß du existierst und daß du selbst der einzige Beweis bist, den du für irgendetwas haben kannst. Dabei setze ich die bloße Existenz nicht mit der Wahrheit gleich, denn eine Existenz ist vorübergehend, nur in Zeit und Raum, während die Wahrheit unveränderlich und allesdurchdringend ist.
F: Ich weiß aber nicht, was Wahrheit ist und wodurch sie bewiesen werden könnte. Verweise mich nicht auf meine eigenen Ressourcen, denn dazu habe ich keine. Hier bist du derjenige, der die Wahrheit kennt, nicht ich.
M: Du lehnst Aussagen als Beweis für die Wahrheit ab, Erfahrungen anderer nützen dir nichts, und du verwirfst auch alle Schlußfolgerungen aus den übereinstimmenden Aussagen einer Vielzahl unabhängiger Zeugen: Nun liegt es an dir, mir zu sagen, welcher Beweis dich überzeugen könnte. Was ist dein Prüfkriterium für einen gültigen Beweis?
F: Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ein überzeugender Beweis sein könnte.
M: Nicht einmal deine eigene Erfahrung?
F: Weder meine Erfahrung noch meine Existenz, denn die hängen von meinem Bewußtsein ab.
M: Und wovon hängt dein Bewußtsein ab?
F: Das weiß ich nicht. Früher hätte ich gesagt, von meinem Körper. Doch nun kann ich erkennen, daß der Körper sekundär und nicht primär ist und somit nicht als Beweis für meine Existenz gelten kann.
M: Ich bin froh, daß du diese Vorstellung von „Ich bin der Körper“ aufgegeben hast, welche die Hauptquelle für alle Irrtümer und Leiden ist.
F: Ich habe sie intellektuell aufgegeben, aber das Gefühl, etwas Besonderes und eine Person zu sein, begleitet mich immer noch. Ich kann sagen „Ich bin“, aber was ich bin, kann ich nicht sagen. Ich weiß, daß ich existiere, aber ich weiß nicht, was da existiert. Wie auch immer ich es ausdrücke, ich stehe vor dem Unbekannten.
M: Dein Dasein ist das Wahre.
F: Sicherlich reden wir nicht über dasselbe. Ich bin nicht irgendein abstraktes Wesen, sondern eine Person, die begrenzt und sich ihrer Grenzen bewußt ist. Ich bin eine Tatsache, aber eine höchst unbegründete Tatsache. Es gibt nichts, worauf ich meine gegenwärtige Existenz als Person gründen könnte.
M: Deine Worte sind weiser als du selbst! Als Person ist deine Existenz vorübergehend. Aber bist du wirklich nur eine Person? Bist du überhaupt eine Person?
F: Wie könnte ich das beantworten? Meine Empfindung des Daseins beweist lediglich, daß ich da bin, aber es beweist nichts, was unabhängig von mir ist. Ich bin relativ und sowohl das Geschöpf als auch der Schöpfer des Relativen. Was ist der absolute Beweis der absoluten Wahrheit? Und wo ist er? Kann die bloße Empfindung von „Ich bin“ der Beweis für die Wahrheit sein?
M: Natürlich nicht. „Ich bin“ und „diese Welt ist“ sind miteinander verbunden und gegenseitig abhängig. Sie beruhen auf der Tendenz des Verstandes, Namen und Formen zu projizieren.
F: Namen und Formen sowie Vorstellungen und Überzeugungen, aber nicht die Wahrheit. Ohne dich hätte ich die Relativität von allem akzeptiert, einschließlich der Wahrheit, und gelernt, mit relativen Annahmen zu leben. Aber dann treffe ich dich, wie du davon sprichst, daß das Absolute für mich erreichbar und auch überaus wünschenswert sei. Und solche Worte wie Frieden, Glückseligkeit, Ewigkeit und Unsterblichkeit erregen meine Aufmerksamkeit, weil sie die Befreiung von Schmerz und Angst versprechen. Meine angeborenen Instinkte nach Freude und Neugier werden geweckt, und ich beginne, das von dir eröffnete Reich zu erforschen. Alles scheint sehr attraktiv, und natürlich frage ich: Ist es wirklich erreichbar? Ist es wahr?
M: Du bist wie ein Kind, das sagt: „Beweise mir, daß der Zucker wirklich süß ist, denn nur dann werde ich ihn essen!“ Der Beweis für die Süße liegt doch in deinem Mund und nicht im Zucker. Um zu wissen, daß er süß ist, muß du ihn schmecken. Es gibt keinen anderen Weg. Natürlich beginnt man mit der Frage: „Ist es Zucker? Ist er süß?“ Und du bestätigst dir meine Zusicherung, wenn du ihn geschmeckt hast. Nur dann lösen sich alle Zweifel auf, und dein Wissen wird direkt und damit unerschütterlich sein. Ich bitte dich nicht, mir nur zu glauben. Vertraue mir einfach für den Anfang, und jeder weitere Schritt wird es beweisen oder widerlegen. Du scheinst den Wahrheitsbeweis vor der Wahrheit zu wollen. Und was soll dann der Beweis dieses Beweises sein? Erkenne doch, wie sich das im Kreis dreht! Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, mußt du erst einmal aufhören, nach Beweisen zu fragen, und zumindest vorläufig etwas als Wahrheit akzeptieren. Es spielt keine große Rolle, was es ist, Gott, ich oder du selbst. Auf jeden Fall akzeptiere etwas oder jemand Unbekanntes als Wahrheit. Wenn du dann diese akzeptierte Wahrheit auch nur für einen Moment verwirklichst, wirst du schnell zum nächsten Schritt geführt. Es ist, als würde man im Dunkeln auf einen Baum klettern, und man kann den nächsten Ast nur dann erreichen, wenn man auf dem vorherigen sitzt. In der Wissenschaft nennt man das den experimentellen Ansatz. Um eine Theorie zu beweisen, führt man ein Experiment gemäß den Anweisungen durch, die jene hinterlassen haben, die das Experiment vor dir gemacht haben. Nur wird bei der spirituellen Suche diese Kette von Experimenten, die man durchführen muß, Yoga genannt.
F: Es gibt so viele Yoga-Arten, welche soll man wählen?
M: Natürlich wird jeder Weise (Jnani) den Weg seiner eigenen Verwirklichung empfehlen, den er am besten kennt. Doch die meisten von ihnen sind sehr liberal und passen ihre Beratung den Bedürfnissen des Bedürftigen an. So führen dich alle Wege zur Reinigung des Verstandes. Denn der unreine Verstand ist für die Wahrheit undurchdringlich, während der gereinigte Verstand durchsichtig wird. Dadurch kann die Wahrheit leicht und klar erkannt werden.
F: Es tut mir leid, aber ich scheine nicht fähig zu sein, mein eigentliches Problem auszudrücken. Ich frage nach dem Beweis für die Wahrheit und erhalte die Methoden, um sie zu erlangen. Angenommen, ich folge den Methoden und erreiche einen wunderbaren und wünschenswerten Zustand: Wie kann ich dann wissen, daß mein Zustand wahr ist? Jede Religion beginnt mit dem Glauben und verspricht Ekstase. Ist die Ekstase wahr, oder ist sie das Produkt des Glaubens? Denn wenn es sich um einen herbeigeführten Zustand handelt, dann möchte ich damit nichts zu tun haben. Nimm zum Beispiel das Christentum. Sie sagen: „Jesus ist dein Retter. Glaube an ihn, und werde von der Sünde gerettet!“ Und wenn ich einen sündigen Christen frage, warum er trotz seines Glaubens an Christus nicht von der Sünde gerettet wurde, dann antwortet er: „Mein Glaube ist noch nicht vollkommen.“ Wieder einmal befinden wir uns im Teufelskreis: Ohne vollkommenen Glauben gibt es keine Erlösung, und ohne Erlösung gibt es keinen vollkommenen Glauben. Daher gibt es gar keine Erlösung, weil damit unerfüllbare Bedingungen gestellt werden. Und dann wird uns die Schuld dafür gegeben, daß wir sie nicht erfüllt haben.
M: Du erkennst nicht, daß dein gegenwärtiger Wachzustand ein Zustand von Unwissenheit ist. Und deine Frage nach dem Wahrheitsbeweis entspringt dieser Unwissenheit über die Wahrheit. Du kommst am Punkt „Ich bin“ mit deinen Bewußtseinszuständen der Sinne und des Verstandes in Kontakt, so daß die Wahrheit nicht vermittelt, nicht kontaktiert und nicht erfahren wird. Du nimmst die Welt der Gegensätze so selbstverständlich hin, daß du die Wahrheit nicht einmal beachtest, während die Vielfalt und Unterschiede für mich keine Trennung schaffen. Du stellst dir vor, daß die Wahrheit unabhängig von Namen und Formen besteht, während Namen und Formen für mich ständig wechselnde Ausdrucksformen der Wahrheit und nicht von ihr getrennt sind. Deshalb verlangst du einen Beweis der Wahrheit, während für mich die gesamte Existenz ein Beweis ist. Du trennst die Existenz vom Dasein und das Dasein von der Wahrheit, während für mich alles eins ist. Wie sehr du auch von der Wahrheit deines Wachzustandes überzeugt bist, so wirst du doch nicht behaupten, daß er dauerhaft und unveränderlich sei, wie ich es tue, wenn ich von meinem spreche. Trotzdem sehe ich keinen Unterschied zwischen uns, außer daß du dir Dinge einbildest und ich nicht.
F: Zuerst disqualifizierst du mich dafür, nach der Wahrheit zu fragen, dann beschuldigst du mich der Einbildung! Was für dich Einbildung ist, ist für mich Wirklichkeit.
M: Bis du es tiefer untersuchst! Ich werfe dir nichts vor. Ich bitte dich nur, vernünftige Fragen zu stellen. Anstatt nach Beweisen für die Wahrheit zu suchen, die du gar nicht kennst, untersuche lieber die Beweise für das, was du zu wissen glaubst. Dann wirst du feststellen, daß du gar nichts sicher weißt, sondern nur auf das Hörensagen vertraust. Um die Wahrheit zu finden, mußt du deine eigene direkte Erfahrung machen.
F: Ich habe große Angst vor Samadhis und anderen Trancezuständen, wie sie auch immer hervorgerufen werden. Getränke, Zigaretten, Fieber, Drogen, Atemtechniken, Singen, Schütteln, Tanzen, Wirbeln, Beten, Sex, Fasten, Mantras oder eine schwindelerregende Ekstase können mich vielleicht aus meinem Wachzustand herausreißen und eine Erfahrung erzeugen, die außergewöhnlich, weil ungewohnt ist. Aber wenn die Ursache vergeht, dann löst sich auch die Wirkung auf und es bleibt nur eine Erinnerung zurück, die zwar eindringlich ist, aber auch verblaßt. Warum nicht alle Mittel und ihre Ergebnisse aufgeben, denn die Ergebnisse sind an die Mittel gebunden? Laß mich die Frage noch einmal stellen: Kann die Wahrheit wirklich gefunden werden?
M: Wo ist der Wohnort der Wahrheit, wo man nach ihr suchen könnte? Und woher weißt du dann, daß du sie gefunden hast? Welchen Prüfstein bringst du zum Testen mit? Und damit bist du wieder bei deiner ursprünglichen Frage: Was ist der Beweis für die Wahrheit? Mit der Frage selbst muß etwas nicht stimmen, denn sie holt dich immer wieder ein. Warum fragst du nach Beweisen für die Wahrheit? Liegt es vielleicht nur daran, weil du die Wahrheit nicht aus direkter Erfahrung kennst und Angst hast, getäuscht zu werden? Du stellst dir unter der Wahrheit etwas vor, das den Namen „Wahrheit“ trägt, und daß es von Vorteil wäre, sie zu haben, vorausgesetzt, sie ist echt. Daher kommt deine Angst, betrogen zu werden. Du suchst nach der Wahrheit, aber vertraust den Händlern nicht, sondern hast Angst vor Fälschungen und Nachahmungen.
F: Ich habe keine Angst davor, betrogen zu werden, sondern Angst, mich selbst zu betrügen.
M: Aber du betrügst dich bereits selbst in deiner Unwissenheit über deine wahre Motivation. Du fragst nach der Wahrheit, doch in Wirklichkeit suchst du nur Bequemlichkeit, die du für immer haben willst. Dabei kann nichts, kein Zustand des Verstandes, für immer und ewig dauern. In Zeit und Raum gibt es immer Grenzen, weil Zeit und Raum selbst begrenzt sind. Und im Zeitlosen haben die Worte „für immer und ewig“ keinerlei Bedeutung, was auch für den „Beweis der Wahrheit“ gilt. Denn im Reich der Nicht-Dualität ist alles vollständig und alles ist sich selbst Beweis, Bedeutung und Zweck. Wo alles eins ist, sind keine Stützen nötig. Du stellst dir vor, daß Beständigkeit der Beweis der Wahrheit ist, und daß das, was länger währt, irgendwie wahrer ist. So wird die Zeit zum Maß der Wahrheit. Und weil die Zeit im Verstand existiert, wird der Verstand zum Schiedsrichter und sucht in sich selbst nach dem Beweis der Wahrheit: Ein völlig unmögliches und hoffnungsloses Unternehmen!
F: Wenn du sagen würdest, daß nichts wahr ist, sondern alles relativ, dann könnte ich dir zustimmen. Aber du behauptest, daß es Wahrheit und vollkommenes Wissen gibt. Deshalb frage ich dich: Was ist das, und woher weißt du es? Und was könnte mich dazu bringen, zu sagen: „Ja, Maharaj hatte recht!“
M: Du hältst immer noch an der Notwendigkeit eines Beweises, eines Zeugnisses oder einer Autorität fest. Du bildest dir immer noch ein, daß man auf die Wahrheit zeigen und sagen kann: „Schau, das ist die Wahrheit!“ So geht es nicht. Wahrheit ist nicht das Ergebnis einer Anstrengung oder das Ende eines Weges. Sie ist hier und jetzt, auch in der Sehnsucht und der Suche danach. Sie ist näher als der Verstand und Körper, und auch näher als die Empfindung „Ich bin“. Du siehst sie nicht, weil du zu weit außerhalb von dir selbst suchst, außerhalb deines innersten Wesens. Du hast die Wahrheit objektiviert und bestehst auf deinen gewohnten Beweisen und Prüfungen, die nur für Dinge und Gedanken gelten.
F: Ich kann aus deinen Worten nur erkennen, daß die Wahrheit über mich hinausgeht und ich nicht fähig bin, darüber zu sprechen.
M: Du bist nicht nur fähig dazu, sondern auch die Wahrheit selbst! Du machst nur einen Fehler, du verwechselst das Falsche mit dem Wahren (bzw. das Unwahre mit der Wahrheit).
F: Du scheinst zu sagen: Frage nicht nach Beweisen für die Wahrheit, sondern kümmere dich um das Unwahre.
M: Die Entdeckung der Wahrheit liegt im Durchschauen des Unwahren (bzw. der Illusion). Du kannst wissen, was unwahr ist. Aber was wahr ist, das kannst du nur sein. Denn das Wissen gibt es immer nur relativ zum Erkannten. Diesbezüglich ist das Wissen das Gegenteil zur Unwissenheit. Doch wo keine Unwissenheit ist, wo wäre da irgendein Wissen nötig? Weder Unwissenheit noch Wissen haben also für sich allein ein Sein. Es handelt sich lediglich um Zustände des Verstandes, welche wiederum nur die Erscheinung einer Bewegung im Bewußtsein sind, das in seiner Essenz unveränderlich ist.
F: Liegt dann die Wahrheit im Bereich des Verstandes oder jenseits davon?
M: Weder das eine noch das andere, sondern beides. Es läßt sich nicht in Worte fassen.
F: Dieses „unaussprechlich“ höre ich nun schon die ganze Zeit, doch das macht mich nicht weiser.
M: Es ist wohl wahr, daß es oft die bloße Unwissenheit verdecken soll. Doch der Verstand kann nur mit den Bedingungen arbeiten, die er sich selber geschaffen hat, und niemals über sich hinausgehen. Was weder sinnlich noch gedanklich ist und ohne das weder Sinne noch Gedanken existieren, kann der Verstand nicht begreifen. So erkenne, daß der Verstand seine Grenzen hat, und um darüber hinauszugehen, mußt du der Stille folgen.
F: Könnte man dann sagen, daß Taten ein Beweis für die Wahrheit sind? Wenn sie nicht in Worte faßbar ist, dann vielleicht in Handlungen.
M: Weder mit Handeln noch Nichthandeln, denn sie ist jenseits von beidem.
F: Kann ein Mensch überhaupt jemals sagen „Ja, das ist wahr!“, oder gibt es für ihn nur die Verneinung des Unwahren? Mit anderen Worten: Ist Wahrheit bloße Verneinung? Oder gibt es einen Moment, in dem sie sich behauptet?
M: Wahrheit kann man nicht beschreiben, aber erfahren.
F: Doch Erfahrung ist subjektiv und kann nicht geteilt werden. Deine Erfahrungen bringen mich nicht weiter.
M: Wahrheit ist erfahrbar, aber sie ist keine bloße Erfahrung. Ich kenne sie, aber kann sie nur vermitteln, wenn du dafür offen bist. Und Offenheit bedeutet, nichts anderes zu wollen.
F: Ich bin voller Wünsche und Ängste. Bedeutet das, daß ich keinen Anspruch auf die Wahrheit habe?
M: Die Wahrheit ist weder eine Belohnung für gutes Benehmen noch ein Preis für das Bestehen von Prüfungen. Sie kann nicht hervorgebracht werden, denn sie ist die primäre, ungeborene und uralte Quelle von allem, was da ist. Und du hast Anspruch auf sie, weil du da bist. Doch brauchst du die Wahrheit nicht zu erlangen, denn du bist sie selbst. Indem du ihr hinterherläufst, läufst du von ihr weg. Hör einfach auf damit, bleib stehen und sei still!
F: Mein Herr, wenn du möchtest, daß Körper und Verstand stillstehen, dann sage mir bitte, wie das machbar ist. Im Selbst-Gewahrsein sehe ich, wie Körper und Verstand durch Ursachen bewegt werden, die außerhalb meiner Kontrolle liegen, denn Vererbung und Umwelt beherrschen mich völlig. Das mächtige „Ich bin“ als Schöpfer des Universums kann nur durch eine Droge vorübergehend oder durch ein Gift dauerhaft zum Stillstand gebracht werden.
M: Und wieder betrachtest du dich selbst als einen Körper.
F: Auch wenn ich mich selbst nicht als diesen Körper aus Knochen, Fleisch und Blut betrachte, bleibe ich dennoch im feinstofflichen Körper, der aus Gedanken und Gefühlen, Erinnerungen und Vorstellungen besteht. Und wenn ich auch diesen nicht als mein Selbst betrachte, dann bleibe ich immer noch im Bewußtsein, das ebenfalls eine Art Körper ist.
M: Damit hast du völlig recht, doch hier darfst du nicht stehenbleiben. Geh weiter! Du bist weder das Bewußtsein noch das „Ich bin“ als ein Zentrum darin. Dein wahres Wesen ist völlig nicht-selbst-bewußt, völlig frei von jeglicher Selbstidentifikation mit was auch immer, sei es grobstofflich, feinstofflich oder transzendental.
F: Ich kann mir war vorstellen, jenseits davon zu sein, doch welchen Beweis habe ich dafür? Um da zu sein, muß ich jemand sein.
M: Es ist genau umgekehrt. Um da zu sein, mußt du niemand sein. Denn zu denken, etwas oder jemand zu sein, bedeutet den Tod und die Hölle.
F: Ich habe gelesen, daß manche Menschen im alten Ägypten in Mysterien eingeweiht wurden, bei denen sie unter dem Einfluß von Drogen oder Beschwörungen aus ihren Körpern traten und tatsächlich erfahren konnten, wie sie außerhalb standen und ihre eigene daliegende Körperhülle betrachteten. Dies sollte sie von der Wahrheit einer Existenz nach dem Tod überzeugen und in ihnen eine tiefe Sorge um ihr endgültiges Schicksal wecken, was für Staat und Tempel nützlich war. Die Selbst-Identifikation mit der Person, die den Körper besaß, blieb bestehen.
M: Der Körper besteht aus Nahrung, so wie der Verstand aus Gedanken besteht. Sehe beide so, wie sie sind. Und wenn die Nicht-Identifikation natürlich und spontan ist, dann bedeutet das Befreiung. Du mußt nicht wissen, was du bist. Es reicht zu wissen, was du nicht bist. Denn wer du (in Wahrheit) bist, wirst du nie wissen, weil jede Entdeckung neue Dimensionen eröffnet, die es dann zu erobern gilt. Das Unbekannte hat keine Grenzen.
F: Bedeutet das ewige Unwissenheit?
M: Das bedeutet, daß es niemals Unwissenheit gab. Die Wahrheit liegt in der Entdeckung, nicht im Entdeckten. Und für die Entdeckung gibt es keinen Anfang und kein Ende. Hinterfrage alle Grenzen, geh darüber hinaus und setze dir Ziele, die (dem Verstand) unmöglich erscheinen: Das ist der Weg.
Fragender: Die indische Tradition sagt uns, daß ein Guru unverzichtbar ist. Wofür ist er unverzichtbar? Eine Mutter ist unverzichtbar, um dem Kind einen Körper zu geben, doch die Seele gibt sie nicht, denn ihre Rolle ist begrenzt. Wie ist es mit dem Guru? Ist seine Rolle auch begrenzt und wenn ja, worauf? Oder ist er generell und absolut unentbehrlich?
Maharaj: Der wahre Guru ist das innerste Licht, das friedlich und zeitlos im Herzen scheint. Alle anderen zeigen nur den Weg.
F: Es geht mir nicht um den inneren Guru, sondern nur um den, der den Weg zeigt. Es gibt Menschen, die glauben, daß Yoga ohne einen solchen Guru unerreichbar ist. So sind sie ständig auf der Suche nach dem richtigen Guru und tauschen einen gegen den anderen aus. Welchen Wert haben solche Gurus?
M: Das sind zeitgebundene und vorübergehende Gurus (bzw. Lehrer), die du in jedem Lebensbereich findest. Man benötigt sie zum Erwerb von Wissen oder Fähigkeiten.
F: Wie es eine Mutter nur für die Dauer eines Lebens gibt, denn sie beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod und ist nicht für immer.
M: Ebenso ist der zeitgebundene Guru nicht für immer. Er erfüllt seinen Zweck und übergibt seinen Platz dem nächsten. Das ist ganz natürlich, und daran ist keine Schuld gebunden.
F: Benötige ich für jede Art von Wissen oder Fähigkeit einen speziellen Guru?
M: Dazu kann es keine Regel geben, außer einer: Das Äußere ist vergänglich, während das Innerste dauerhaft und unveränderlich ist, obwohl es immer neu erscheint und wirkt.
F: Welche Beziehung besteht zwischen dem inneren und dem äußeren Guru?
M: Der äußere repräsentiert den inneren, und der innere akzeptiert den äußeren, zumindest eine Zeitlang.
F: Für wen geschieht dieser Aufwand?
M: Natürlich für den Schüler. Der äußere Guru gibt die Anweisungen, der innere Guru gewährt die Kraft, und die achtsame Anwendung liegt beim Schüler. Ohne Willen, Intelligenz und Energie von Seiten des Schülers ist der äußere Guru machtlos. So wartet der innere Guru auf seine Chance. Denn Stumpfheit und falsches Streben führen in die Krise, und der Schüler erkennt seine eigene Notlage. Besonders weise ist, wer nicht erst auf den Schock (einer großen Krise) wartet, der ziemlich hart sein kann.
F: Ist das eine Drohung?
M: Keine Drohung, sondern eine Warnung. Der innere Guru ist nicht zur Gewaltlosigkeit verpflichtet. Er kann manchmal ziemlich gewalttätig sein, bis hin zur Zerstörung der stumpfsinnigen oder pervertierten Persönlichkeit. Leiden und Tod sind ebenso wie Glück und Leben seine Arbeitsmittel. Nur mit Hilfe ihres Gegensatzes wird die Gewaltlosigkeit zum vereinenden Gesetz.
F: Muß man dann vor seinem eigenen Selbst Angst haben?
M: Keine Angst, denn das Selbst meint es gut. Aber es muß ernst genommen werden, und das erfordert Achtsamkeit und Gehorsam. Wenn es nicht erhört wird, dann wechselt es von der Überredung zum Zwang, denn obwohl es lange warten kann, darf es nicht übersehen werden. Die Schwierigkeit liegt also weder beim inneren noch beim äußeren Guru. Der Guru ist immer verfügbar. Woran es fehlt, ist der reife Schüler. Was kann getan werden, wenn jemand nicht bereit ist?
F: Bereit oder willig?
M: Beides, denn es läuft auf dasselbe hinaus. In Indien nennen wir es Adhikari, und das bedeutet sowohl fähig als auch berechtigt.
F: Kann der äußere Guru die Einweihung (Diksha) gewähren?
M: Er kann alle Arten von Einweihungen geben, aber die Einweihung in die Wahrheit muß von innen kommen.
F: Wer gibt diese höchste Einweihung?
M: Sie ist selbst-gegeben.
F: Ich habe das Gefühl, daß wir uns im Kreis drehen. Schließlich kenne ich nur ein Selbst, nämlich das gegenwärtige empirische Selbst. Das innere oder höhere Selbst ist nur eine Vorstellung, die zum Erklären und Ermutigen gedacht ist. Wir sprechen davon, als hätte es eine unabhängige Existenz, aber das hat es nicht.
M: Das äußere und das innere Selbst sind beides Vorstellungen. Die Besessenheit, ein „Ich“ zu sein, benötigt eine weitere Besessenheit von einem „Über-Ich“, um geheilt zu werden, wie man einen anderen Dorn gebraucht, um einen Dorn zu entfernen, oder ein anderes Gift, um ein Gift zu neutralisieren. Jede Annahme verlangt nach einer Zurückweisung. Aber das ist nur der erste Schritt, und der nächste Schritt besteht darin, über beide hinauszugehen.
F: Ich verstehe, daß der äußere Guru nötig ist, um meine Aufmerksamkeit auf mich selbst und auf die dringende Notwendigkeit zu lenken, etwas an mir zu verändern. Ich verstehe auch, wie hilflos der äußere Guru ist, wenn es um eine tiefgreifende Veränderung in mir selbst geht. Aber dazu bringst du den Sadguru ins Spiel, den inneren Guru, der anfangslos, unveränderlich, die Wurzel des Daseins, die ständige Verheißung und das sichere Ziel ist. Ist er nur ein Konzept oder eine Wahrheit?
M: Er ist die einzige Wahrheit. Alles andere sind nur Schatten, die vom Körper-Verstand auf das Gesicht der Zeit geworfen werden. Natürlich hat auch ein Schatten etwas mit der Wahrheit zu tun, aber er selber ist nicht wahr.
F: Ich selbst bin die einzige Wahrheit, die ich kenne. Der Sadguru ist nur solange da, wie ich an ihn denke. Was gewinne ich, wenn ich meine Wahrheit auf ihn verlagere?
M: Dich zu verlieren, ist dein Gewinn. Wenn der Schatten nur noch ein Schatten ist, dann hörst du auf, ihm zu folgen. Du kehrst dich um und entdeckst die Sonne, welche die ganze Zeit da war, aber hinter deinem Rücken.
F: Gibt der innere Guru auch Belehrungen?
M: Er gibt die Überzeugung, daß du die ewige und unveränderliche Wahrheit im Bewußtsein der Liebe innerhalb und jenseits aller Erscheinungen bist.
F: Eine Überzeugung reicht doch nicht aus. Es muß Gewißheit sein.
M: Ganz richtig! Aber in diesem Fall nimmt die Gewißheit die Form von Mut an, und die Angst verschwindet völlig. Dieser Zustand der Furchtlosigkeit ist so unverkennbar neu und wird doch zutiefst als der eigene natürliche Zustand empfunden, so daß er nicht übersehen werden kann. Es ist, wie sein eigenes Kind zu lieben. Wer könnte daran zweifeln?
F: Du sprachst von Fortschritten in unseren spirituellen Bemühungen. Welche Art von Fortschritt meinst du damit?
M: Wenn du über den Fortschritt hinausgehst, dann wirst du wissen, was Fortschritt ist.
F: Wodurch machen wir Fortschritte?
M: Die Stille ist der Hauptfaktor, denn in Frieden und Stille wächst man.
F: Mein Verstand ist sehr unruhig. Was ist der Weg, ihn zu beruhigen?
M: Vertraue dem Lehrer! Denke an mein Beispiel: Mein Guru riet mir, mich auf die Empfindung „Ich bin“ zu konzentrieren und auf nichts anderes. Ich habe ihm einfach gehorcht. Ich folgte keiner bestimmten Atem- oder Meditationstechnik und studierte auch keine besonderen Schriften. Was auch immer geschah, ich wandte meine Aufmerksamkeit davon ab und bliebt bei der Empfindung „Ich bin“. Das mag vielleicht zu einfach oder primitiv erscheinen, doch mein einziger Grund für diese Übung waren die Anweisungen meines Gurus. Und es hat funktioniert! Denn Gehorsamkeit ist ein machtvolles Mittel gegen alle Begierden und Ängste. Wende dich einfach von allem ab, was deinen Verstand beschäftigt. Erledige alle Arbeiten, die du erledigen mußt, aber vermeide neue Verpflichtungen. Bleib einfach leer, offen und widerstrebe nicht dem, was ungebeten kommt! Am Ende erreichst du einen Zustand des Nicht-Festhaltens, des freudigen Nicht-Anhaftens, der inneren Leichtigkeit und einer Freiheit, die unbeschreiblich und doch wunderbar wirklich ist.
F: Wenn ein Wahrheitssucher ernsthaft seinen Yoga praktiziert, führt und hilft ihn dann sein innerer Guru, oder überläßt er ihn sich selbst und wartet nur auf das Ergebnis?
M: Alles geschieht von selbst. Weder der Suchende noch der Guru tun irgendetwas. Die Dinge geschehen, wie sie geschehen. Lob oder Tadel (gut oder böse) werden erst später zugeteilt, wenn das Gefühl eines Handelnden auftaucht.
F: Wie seltsam! Sicherlich kommt doch der Handelnde vor der Handlung.
M: Nein, es ist umgekehrt. Die Handlung ist eine Tatsache, und der Handelnde nur ein Konzept. Schon deine Sprache zeigt, daß die Tat zwar sicher ist, der Täter jedoch zweifelhaft bleibt. Das Abschieben von Verantwortung ist ein Spiel, das Menschen besonders lieben. Aber angesichts der endlosen Liste von Faktoren, die erforderlich sind, damit etwas geschieht, muß man doch zugeben, daß alles für alles verantwortlich ist, auch wenn es noch so weit entfernt liegt. Täterschaft ist also ein Mythos, der aus der Illusion von „Ich“ und „Mein“ entsteht.
F: Wie mächtig ist diese Illusion?
M: Sehr mächtig, weil sie auf der Wahrheit basiert.
F: Was ist daran wahr?
M: Finde es heraus, indem du alles Unwahre erkennst und zurückweist.
F: Ich habe die Rolle des inneren Selbst bei spirituellen Bemühungen noch nicht völlig verstanden. Wer bemüht sich hier? Ist es das äußere Selbst oder das innere?
M: Du hast solche Worte wie Bemühung, inneres und äußeres Selbst usw. erfunden und versuchst, sie der Wahrheit aufzuzwingen. Die Dinge sind einfach so, wie sie sind, aber wir wollen sie in ein Muster einbauen, das durch die Struktur unserer Sprache bestimmt ist. Diese Gewohnheit ist so stark, daß wir dazu neigen, allem die Wahrheit zu verweigern, was nicht in Worte gefaßt werden kann. Wir wollen einfach nicht erkennen, daß Worte bloße Symbole sind, die durch Konvention und Gewohnheit mit wiederholten Erfahrungen verbunden wurden.
F: Welchen Wert haben dann spirituelle Bücher?
M: Sie helfen uns dabei, die Unwissenheit zu zerstreuen. So sind sie am Anfang nützlich, aber können am Ende zum Hindernis werden. Deshalb sollte man erkennen, wann sie aufzugeben sind.
F: Welche Verbindung besteht zwischen Atman und Sattwa, zwischen dem Selbst und der universalen Harmonie?
M: Wie zwischen der Sonne und ihren Strahlen. Harmonie und Schönheit, sowie Verständnis und Zuneigung sind Ausdruck der Wahrheit. Sie sind die Wahrheit als Wirklichkeit, die Wirkung des Geistes in der Materie. Tamas verdunkelt, Rajas verzerrt und Sattwa harmonisiert. Mit der Reifung des Sattwa enden alle Begierden und Ängste, und das wahre Wesen spiegelt sich unverzerrt im Verstand wider. Materie wird erlöst und der Verstand offenbart, so daß beide als eins erkannt werden. Sie waren schon immer eins, aber der unvollkommene Verstand sah sie als zwei. So ist die Vervollkommnung des Verstandes die Aufgabe des Menschen, denn im Verstand treffen Materie und Geist aufeinander.
F: Ich fühle mich wie ein Mann vor einer Tür. Ich weiß, daß sich die Tür öffnen läßt, aber sie wird von den Hunden der Begierde und Angst bewacht. Was soll ich tun?
M: Gehorche dem Lehrer und trotze den Hunden! Benimm dich, als ob sie nicht da wären. Auch hier ist Gehorsam die goldene Regel. Freiheit wird durch Gehorsam gewonnen. Um aus dem Gefängnis zu entkommen, muß du bedingungslos den Anweisungen derjenigen folgen, die sich für deine Freilassung einsetzen.
F: Die Worte des Gurus haben wenig Kraft, wenn sie nur gehört werden. Man muß Glauben haben, um ihnen zu gehorchen. Was erzeugt solchen Glauben?
M: Wenn die Zeit reif ist, kommt auch der Glaube, denn alles kommt mit der Zeit. Der Guru ist immer bereit zu geben, aber es gibt noch keinen Empfänger.
F: Ja, Sri Ramana Maharshi pflegte zu sagen: Es gibt viele Gurus, aber wo sind die Schüler?
M: Nun ja, im Laufe der Zeit wird alles Nötige geschehen. Alles wird hindurchkommen, und keine einzige Seele (Jiva) wird verlorengehen.
F: Ich fürchte mich sehr davor, ein intellektuelles Verständnis als Selbstverwirklichung zu betrachten. Ich kann von der Wahrheit sprechen, ohne sie zu kennen, und ich kann sie kennen, ohne ein einziges Wort über sie zu sagen. Ich habe gehört, daß diese Gespräche veröffentlicht werden sollen. Welche Wirkung werden sie auf den Leser haben?
M: Beim aufmerksamen und nachdenklichen Leser werden sie reifen und Blüten und Früchte hervorbringen. Denn Worte, die auf Wahrheit gründen, haben ihre eigene Macht, wenn sie ihre Prüfung voll und ganz bestehen.
Maharaj: Da ist der Körper, und im Inneren des Körpers scheint es einen Beobachter zu geben, der im Äußeren eine Welt beobachtet. Der Beobachter und seine Beobachtung sowie die beobachtete Welt erscheinen und verschwinden alle gemeinsam. Jenseits von all dem gibt es die Leere, und diese Leere ist eine für alle.
Fragender: Was du sagst, klingt einfach, aber nicht jeder würde es so sagen. Nur du allein sprichst über diese drei und die Leere dahinter. Ich sehe nur die Welt, die alles beinhaltet.
M: Sogar das „Ich bin“?
F: Sogar das „Ich bin“. Denn das „Ich bin“ ist da, weil die Welt da ist.
M: Und die Welt ist da, weil das „Ich bin“ da ist.
F: Ja, das stimmt in beide Richtungen. Ich kann die beiden nicht trennen oder darüber hinausgehen. Ich kann nicht sagen, daß etwas da ist, es sei denn, ich erfahre es, und ich kann nicht sagen, daß etwas nicht da ist, nur weil ich es nicht erfahre. Was ist es, was du erfährst, so daß du mit so viel Sicherheit sprechen kannst?
M: Ich kenne mich selbst, wie ich bin, nämlich zeitlos, raumlos und unverursacht. Du scheinst es nicht zu kennen, weil du in äußerliche Dinge verstrickt bist.
F: Warum bin ich so verstrickt?
M: Weil du daran interessiert bist.
F: Was interessiert mich daran?
M: Die Angst vor dem Leiden und die Begierde nach dem Glück. Glück ist nur das Ende eines Leidens, und Leiden ist das Ende eines Glücks. Diese drehen sich in endloser Folge im Kreis. Untersuche diesen Teufelskreis, bis du dich daraus erheben kannst!
F: Brauche ich nicht deine Gnade, um mich zu erheben?
M: Die Gnade deiner inneren Wahrheit ist immer bei dir. Schon allein deine Bitte um Gnade ist ein Zeichen dafür. Kümmere dich nicht um meine Gnade, sondern tue einfach, was dir gesagt wird. Das Tun ist der Beweis für deine Ernsthaftigkeit, nicht das Erwarten von Gnade.
F: Worin soll ich ernsthaft sein?
M: Untersuche alles gewissenhaft, was dir in den Sinn kommt. Mit dieser Übung wird sich die Sicht erweitern und die Untersuchung vertiefen, bis sie spontan und grenzenlos werden.
F: Machst du damit die Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) nicht zum Ergebnis einer praktischen Übung? Ein solche Übung operiert innerhalb der Grenzen der körperlichen Existenz. Wie kann sie das Grenzenlose hervorbringen?
M: Natürlich kann es keine direkte Verursachung zwischen praktischer Übung und reiner Weisheit geben. Aber die Hindernisse auf dem Weg zur Weisheit werden durch praktische Übung tiefgründig angegriffen.
F: Was sind das für Hindernisse?
M: Falsche Vorstellungen und Wünsche, die zu falschen Handlungen führen und Verwirrung und Schwäche von Verstand und Körper verursachen. Das Entdecken und Aufgeben des Falschen (buw. Illusorischen) beseitigt alles, was das Wahre daran hindert, in den Verstand einzutreten.
F: Ich kann zwei Zustände des Verstandes unterscheiden, nämlich „Ich bin“ und „Die Welt ist“. Sie entstehen und vergehen gemeinsam. Die Menschen sagen: „Ich bin, weil die Welt ist.“ Doch du scheinst zu sagen: „Die Welt ist, weil ich bin.“ Welches ist wahr?
M: Weder das eine noch das andere, denn beide sind ein und derselbe Zustand in Raum und Zeit. Jenseits davon ist das Zeitlose.
F: Welche Verbindung gibt es zwischen der Zeit und dem Zeitlosen?
M: Die Zeitlosigkeit kennt die Zeit, aber die Zeit kennt das Zeitlose nicht. Alles Bewußtsein ist in der Zeit, und deshalb erscheint das Zeitlose unbewußt, obwohl es doch gerade das ist, was Bewußtsein ermöglicht. So scheint das Licht in der Dunkelheit, und im Licht ist die Dunkelheit nicht sichtbar. Oder andersherum betrachtet: Im endlosen Meer des Lichtes erscheinen die dunklen und begrenzten Wolken des Bewußtseins, die nur durch Kontraste wahrnehmbar sind. - Dies sind lediglich Versuche, etwas ganz Einfaches in Worte zu fassen, das doch völlig unaussprechlich bleibt.
F: Worte sollten doch als Brücke zum Überqueren dienen.
M: Worte beziehen sich auf einen Verstandeszustand, und nicht auf die Wahrheit. Der Fluß, die beiden Ufer und die Brücke zum Überqueren - das alles existiert nur im Verstand. Worte allein können dich nicht über den Verstand hinausbringen. Es bedarf einer großen Sehnsucht nach der Wahrheit oder einen festen Glauben an den Guru. Glaube mir, es gibt hier kein Ziel und keinen Weg, um ein Ziel zu erreichen. Du selbst bist der Weg und das Ziel, und es gibt nichts anderes zu erreichen als dich selbst. Alles, was du brauchst, ist dieses Verständnis, und das ist das Aufblühen des Verstandes. Ein Baum wächst viele Jahre, und Blüten und Früchte kommen zur rechten Jahreszeit. Die Jahreszeiten ändern sich, aber nicht der Baum. Du selbst bist dieser Baum! Du hast in der Vergangenheit unzählige Zweige und Blätter wachsen lassen und wirst sie vielleicht auch in der Zukunft wachsen lassen. Und doch bleibst du der Baum. Du mußt nicht wissen, was war oder sein wird, sondern was ist. Deine Wünsche sind es, die das ganze Universum erschaffen. Erkenne die Welt als deine eigene Schöpfung und sei frei!
F: Du sagst, die Welt sei das Kind meiner Wünsche. Doch wenn ich die Schrecken sehe, von denen die Welt voll ist, all die Kriege, Konzentrationslager und unmenschlichen Ausbeutungen, wie kann ich sie als meine eigene Schöpfung anerkennen? Wie begrenzt (bzw. eigensinnig) ich auch bin, aber eine so grausame Welt hätte ich niemals erschaffen können.
M: Finde heraus, wem diese grausame Welt erscheint, und du wirst erkennen, warum sie so grausam erscheint. Deine Fragen sind völlig legitim, können aber nur beantwortet werden, wenn du erkennst, wem diese Welt gehört. Um die Bedeutung einer Sache herauszufinden, muß man ihren Schöpfer fragen. Ich sage dir: Du bist der Schöpfer der Welt, in der du lebst! Und du allein kannst sie verändern und sogar auflösen.
F: Wie kannst du sagen, daß ich diese Welt erschaffen habe? Ich kenne sie doch kaum.
M: Es gibt nichts in der Welt, was du nicht erkennen kannst, wenn du dich selbst erkennst. Solange du denkst, nur der Körper zu sein, erkennst du die Welt als eine Ansammlung materieller Dinge. Doch wenn du dich selbst als Zentrum des Bewußtseins erkennst, dann erscheint die Welt als ein Ozean des Verstandes. Wenn du dich selbst so erkennst, wie du in Wahrheit bist, dann erkennst du die Welt als dich selbst.
F: Das klingt alles sehr schön, doch beantwortet meine Frage nicht: Warum gibt es so viel Leid in der Welt?
M: Wenn du nur als Beobachter stehst, dann wirst du nicht leiden. Du wirst die Welt wie ein Schauspiel sehen, eine äußerst unterhaltsame Show.
F: Oh nein! Diese Lila-Theorie (eines göttlichen Spiels) möchte ich nicht haben. Das Leiden ist zu intensiv und allgegenwärtig. Was für eine Perversion, sich von einem Schauspiel des Leidens unterhalten zu lassen! Was für einen grausamen Gott bietest du mir an?!
M: Die Ursache des Leidens liegt in der Identifikation des Wahrnehmenden mit dem Wahrgenommenen. Daraus entsteht Begierde und mit der Begierde blindes Handeln, ohne Rücksicht auf die Folgen. Schau dich um und du wirst sehen: Das Leiden ist vom Menschen gemacht.
F: Wenn ein Mensch nur sein eigenes Leiden erzeugen würde, dann würde ich dir zustimmen. Aber in seiner Torheit läßt er auch andere leiden. Ein Träumer hat seinen eigenen privaten Albtraum, und niemand außer ihm selbst leidet darunter. Aber was für ein Traum ist es, der das Leben anderer verwüstet?
M: Es gibt viele und auch widersprüchliche Erklärungen, doch die Wahrheit ist einfach: Alles ist eins, Harmonie ist das ewige Gesetz, und niemand zwingt zum Leiden. Erst wenn man versucht, es zu beschreiben und zu erklären, fehlen einem die Worte.
F: Ich erinnere mich, daß Gandhi einmal gesagt hat, daß das Selbst nicht an das Gesetz der Gewaltlosigkeit (Ahimsa) gebunden ist. Das Selbst hat die Freiheit, seinen Ausdrucksformen Leiden aufzuerlegen, um sie in Ordnung zu bringen.
M: Auf der Ebene der Dualität mag es so sein, aber in Wahrheit gibt es nur die Quelle, die selbst dunkel ist, aber alles erscheinen läßt. Sie ist nicht wahrnehmbar, aber verursacht jede Wahrnehmung. Sie kann nicht gefühlt werden, aber verursacht alle Gefühle. Sie kann nicht gedacht werden, aber verursacht alle Gedanken. Sie hat kein Sein, aber gebiert das Sein. Sie ist der unbewegliche Hintergrund jeder Bewegung. Wenn du dort bist, dann bist du überall zu Hause.
F: Wenn ich diese Quelle bin, warum werde ich dann geboren?
M: Erinnerungen an vergangene unerfüllte Wünsche sammeln Energie an, welche sich dann als eine Person manifestiert. Wenn die angesammelte Energie erschöpft ist, stirbt die Person, und die unerfüllten Wünsche werden wiederum in die nächste Geburt übertragen. Die Selbst-Identifikation mit dem Körper erzeugt immer neue Wünsche, und diese haben kein Ende, es sei denn, dieser Mechanismus der Bindung wird klar erkannt. Es ist diese Klarheit, die befreiend wirkt, denn man kann das Wünschen nicht aufgeben, bis dessen Ursachen und Wirkungen klar erkannt sind. Ich sage damit nicht, daß dieselbe Person wiedergeboren wird. Sie stirbt für immer, aber ihre Erinnerungen bleiben und ihre Wünsche und Ängste, welche die Energie für einen neuen Menschen liefern. Das Wahre hat keinen Anteil daran, aber macht es möglich, indem es das Licht gibt.
F: Mein Problem ist folgendes: Wie ich sehen kann, hat jede Erfahrung ihre eigene Wahrheit, denn sie ist da und wird erfahren. Doch in dem Moment, wenn ich sie hinterfrage und frage, wem sie passiert, wer der Beobachter ist usw., ist die Erfahrung vorbei, und alles, was ich untersuchen kann, ist nur noch die Erinnerung daran. Ich kann den lebendigen Moment - das Jetzt - einfach nicht untersuchen. Mein Gewahrsein bezieht sich also auf die Vergangenheit und nicht auf die Gegenwart. Wenn ich mir gewahr bin, dann lebe ich nicht wirklich im Jetzt, sondern nur in der Vergangenheit. Kann es wirklich ein Gewahrsein für die Gegenwart geben?
M: Was du beschreibst, ist gar kein Gewahrsein, sondern nur das Nachdenken über die Erfahrung. Wahres Gewahrsein ist ein Zustand des reinen Bezeugens, ohne den geringsten Versuch, irgendetwas mit dem bezeugten Ereignis zu machen. Auch deine Gedanken und Gefühle, Worte und Taten können Teil des Ereignisses sein, doch du bezeugst alles unbekümmert im vollkommenen Licht der Klarheit und des Verständnisses. So erkennst du genau, was passiert, aber es betrifft dich nicht. Das mag zunächst wie eine Haltung kalter Distanziertheit erscheinen, aber das ist es nicht wirklich. Sobald du darin bist, wirst du erfahren, daß du alles liebst, was du bezeugst, ganz gleich, welche Form es annimmt. Diese ganzheitliche Liebe ist der Prüfstein des Gewahrseins, denn ohne die allumfassende Liebe, verfolgst du nur irgendwelche persönlichen Interessen.
F: Solange es Glück und Leid gibt, ist man doch zwangsläufig interessiert.
M: Und solange man bewußt ist, wird es Glück und Leid geben. Auf der Ebene deines Bewußtseins kannst du Glück und Leid niemals besiegen. Um über sie hinauszugehen, mußt du über das Bewußtsein hinausgehen, was nur möglich ist, wenn du das Bewußtsein als etwas erkennst, das dir passiert und nicht in dir ist, sondern etwas Äußeres, Fremdes und Überlagertes. Dann bist du sogleich frei vom Bewußtsein, wahrhaft allein, ohne daß etwas eindringen kann. Und das ist dein wahres Dasein. Bewußtsein ist wie ein juckender Ausschlag, der dich daran kratzen läßt. Natürlich kannst du aus dem Bewußtsein nicht heraustreten, denn bereits die Vorstellung des Heraustretens ist im Bewußtsein. Aber wenn du lernst, dein Bewußtsein als eine Art persönliches und privates Fieber zu betrachten, in dem du wie ein Küken in seiner Eierschale eingeschlossen bist, wird aus dieser Betrachtung die Krise entstehen, die das Ei zerbrechen wird.
F: Buddha sagte, daß Leben Leiden ist.
M: Damit hat er sicherlich gemeint, daß alles Bewußtsein leidhaft ist, was auch offensichtlich ist.
F: Gewährt der Tod eine Befreiung?
M: Wer glaubt, geboren zu sein, hat große Angst vor dem Tod. Für den jedoch, der sich selbst wahrhaft kennt, ist der Tod ein freudiges Ereignis.
F: Die Hindu-Tradition besagt, daß Leiden durch das Schicksal verursacht wird und daß dieses Schicksal verdient wurde. Doch schau dir diese gewaltigen Naturkatastrophen oder von Menschen verursachten Katastrophen an, all die Überschwemmungen und Erdbeben, Kriege und Revolutionen! Können wir es wagen zu glauben, daß jeder für seine eigenen Sünden leidet, von denen er nichts weiß? Sind denn diese Milliarden von Leidenden nur Kriminelle, die alle gerecht bestraft werden?
M: Muß man wirklich nur für seine eigenen Sünden leiden? Sind wir denn wirklich getrennt? In diesem riesigen Meer des Lebens leiden wir für die Sünden anderer und lassen auch andere für unsere Sünden leiden. Natürlich gilt das Gesetz des Gleichgewichts, und am Ende werden alle Schulden ausgeglichen. Aber solange das Leben dauert, beeinflussen wir uns zutiefst gegenseitig.
F: Ja, wie auch der Dichter (John Donne) sagt: „Kein Mensch ist eine Insel.“
M: Im Hintergrund jeder Erfahrung steht das Selbst und sein Interesse an der Erfahrung. Nenne es Verlangen oder nenne es Liebe. Worte spielen hier keine Rolle.
F: Kann ich mir Leiden wünschen? Kann ich bewußt um Schmerz bitten? Bin ich nicht wie ein Mann, der sich in der Hoffnung auf einen angenehmen Schlaf ein bequemes Bett macht, doch dann von Albträumen heimgesucht wird und sich im Traum hin und her wälzt und schreit? Sicherlich ist es nicht die Liebe, die diese Albträume hervorruft.
M: Alles Leid wird durch selbstsüchtige Isolation, Abgrenzung und Begierde hervorgerufen. Wenn diese Ursache des Leidens erkannt und beseitigt wird, dann verschwindet das Leiden.
F: Ich kann wohl die Ursachen meines Leidens beseitigen, aber andere werden weiterhin leiden müssen.
M: Um die Ursachen des Leidens zu erkennen, muß man über Glück und Leid hinausgehen. Deine eigenen Begierden und Ängste hindern dich daran, andere zu erkennen und ihnen dadurch zu helfen. Denn in Wahrheit gibt es keine „Anderen“, und indem du dir selbst hilfst, hilfst du allen. Wenn es dir bezüglich des Leidens der Menschheit wirklich ernst ist, dann mußt du das einzige Hilfsmittel vervollkommnen, das dir zur Verfügung steht, nämlich dich selbst.
F: Du sagst immer wieder, daß ich der Schöpfer, Erhalter und Erlöser dieser Welt bin, allgegenwärtig, allwissend und allmächtig. Doch wenn ich darüber nachdenke, frage ich mich: „Wie kommt es dann, daß es in meiner Welt so viel Böses gibt?“
M: Es gibt nichts Böses, und es gibt kein Leiden. Die Lebensfreude steht über allem. Schau nur, wie alles am Leben hängt und die Existenz geliebt wird!
F: Doch auf der Kinoleinwand meines Verstandes erscheinen solche Bilder in endloser Folge. Auch an mir selbst ist nichts Dauerhaftes.
M: Dann betrachte dich selbst einmal genauer! Die Leinwand ist da und verändert sich nicht. Auch das Licht scheint beständig. Nur der Film dazwischen ist in Bewegung und läßt die Bilder erscheinen. Und diesen Film kannst du auch „Schicksal“ nennen.
F: Wie entsteht dieses Schicksal?
M: Die Unwissenheit ist die Ursache des unvermeidlichen Schicksals.
F: Unwissenheit worüber?
M: Vor allem Unwissenheit über dich selbst. Auch Unwissenheit über die wahre Natur der Dinge und über ihre Ursachen und Wirkungen. Du siehst dich unwissend um und hältst die Erscheinung für die Wahrheit. Du glaubst, die Welt und dich selbst zu kennen, aber das ist nur deine Unwissenheit, die dich sagen läßt: „Ich weiß etwas!“ Beginne mit dem Eingeständnis, daß du nichts weißt, und geh von dort aus weiter. Es gibt nichts, was der Welt mehr helfen kann, als die Unwissenheit zu überwinden. Dann mußt du nichts Besonderes mehr tun, um der Welt zu helfen. Dein ganzes Dasein wird bereits eine Hilfe sein, mit oder ohne Taten.
F: Wie kann die Unwissenheit erkannt werden? Unwissenheit zu erkennen, setzt doch wiederum Wissen voraus.
M: Ganz richtig, und schon das Eingeständnis „Ich bin unwissend“ ist der Beginn dieses Wissens. Denn ein unwissender Mensch ist sich seiner Unwissenheit nicht bewußt. Diesbezüglich kann man sagen, daß Unwissenheit eigentlich gar nicht existiert, denn in dem Moment, in dem man sie erkennt, existiert sie nicht mehr. Daher kannst du sie auch Unbewußtheit oder Blindheit nennen. Alles, was du um dich herum und in deinem Inneren siehst, ist deine Unwissenheit, ohne überhaupt zu erkennen, daß es Unwissenheit ist. Zu erkennen, daß man nichts weiß und nichts versteht, ist wahres Wissen, das Wissen eines demütigen Herzens.
F: Ja, auch Christus sagte: „Selig sind die Armen im Geiste...“
M: Nenne es, wie du willst. Tatsache ist, daß Wissen nur aus Nichtwissen besteht. Du weißt, daß du es nicht weißt.
F: Wird dieses Nichtwissen jemals ein Ende haben?
M: Was ist falsch daran, nichts zu wissen? Du mußt nicht alles wissen. Es genüg doch, zu wissen, was du wissen mußt. Alles andere kann sich um sich selbst kümmern, ohne daß du weißt, wie es geschieht. Wichtig ist, daß dein Unbewußtes nicht gegen das Bewußtsein arbeitet, sondern eine Integration auf allen Ebenen besteht. Zu wissen ist nicht so wichtig.
F: Was du sagst, ist psychologisch richtig. Aber wenn es darum geht, andere und die Welt zu kennen, hilft mir mein Wissen, daß ich es nicht weiß, nicht viel.
M: Sobald du innerlich integriert bist, kommt das äußere Wissen ganz spontan. Und in jedem Moment deines Lebens weißt du, was du wissen mußt. Im Meer des universalen Verstandes ist alles Wissen enthalten und gehört dir, wenn du es abfragst. Das meiste davon brauchst du nie zu wissen, aber es gehört trotzdem dir. Wie mit dem Wissen verhält es sich auch mit der Kraft. Was auch immer nach deiner Empfindung getan werden muß, wird unfehlbar geschehen. Kein Zweifel, Gott kümmert sich um die Verwaltung des Universums, doch freut sich über jede Hilfe. Wenn der Helfer selbstlos und intelligent ist, denn stehen ihm alle Kräfte des Universums zur Verfügung.
F: Sogar die unbewußten Kräfte der Natur?
M: Es gibt keine unbewußten Kräfte, denn das Bewußtsein ist die Kraft. Sei dir darüber bewußt, was getan werden muß und es wird getan werden. Bleib nur wachsam und ruhig! Sobald du dein Ziel erreicht hast und deine wahre Natur kennst, wird deine Existenz ein Segen für alle sein. Du weißt es vielleicht nicht, und auch die Welt wird es nicht wissen, aber die Hilfe strahlt aus. Es gibt Menschen in der Welt, die mehr Gutes tun als alle Staatsmänner und Philanthropen zusammen. Sie strahlen Licht und Frieden aus, ohne Absicht oder Wissen, und wenn andere ihnen von den Wundern erzählen, die sie gewirkt haben, sind sie selbst erstaunt. Doch weil sie sich nichts zu eigen machen, sind sie weder stolz noch begierig nach Anerkennung. Denn sie sind einfach nicht fähig, irgendetwas für sich selbst zu wünschen, noch nicht einmal die Freude, anderen zu helfen. Sie wissen, daß Gott gut ist, und sind im Frieden.
Fragender: Ich hänge sehr an meiner Familie und meinen Besitztümern. Wie kann ich diese Anhaftung überwinden?
Maharaj: Diese Anhaftung entsteht zusammen mit dem Gefühl von „Ich“ und „Mein“. Finde die wahre Bedeutung dieser Begriffe und du wirst von allen Anhaftungen frei sein. Du hast einen Verstand, der sich in der Zeit ausbreitet. So passieren dir alle Dinge, eines nach dem anderen, und die Erinnerung bleibt. Daran ist zunächst nichts auszusetzen. Das Problem entsteht erst, wenn die Erinnerung an vergangene Schmerzen und Freuden, die für alle körperlichen Lebewesen wesentlich sind, als ein Reflex verbleibt und das Verhalten beherrscht. Dieser Reflex nimmt die Form eines „Ich“ an und benutzt den Körper und Verstand für seine Zwecke, welche stets auf die Suche nach Freude oder die Flucht vor Leid gerichtet sind. Wenn du das „Ich“ so erkennst, wie es ist, als ein Bündel von Begierden und Ängsten, sowie das Gefühl von „Mein“, das alle Dinge und Menschen umfaßt, die zur Vermeidung von Leiden und zur Sicherung von Freude benötigt werden, dann wirst du auch erkennen, daß das „Ich“ und „Mein“ illusorische Vorstellungen sind, die keine Grundlage in der Wahrheit haben. Vom Verstand erschaffen, beherrschen sie ihren Schöpfer solange, wie er diese Vorstellungen für wahr hält. Werden sie hinterfragt, dann lösen sie sich auf, denn das „Ich“ und „Mein“ haben in sich selbst keine Existenz und brauchen daher eine Unterstützung, die sie im Körper finden. So wird der Körper zu ihrem Bezugspunkt, denn wenn du von „meinem Ehepartner“ und „meinen Kindern“ sprichst, meinst du den Ehepartner deines Körpers und die Kinder deines Körpers. Gib die Vorstellung auf, dieser Körper zu sein, und stell dich der Frage: „Wer bin ich?“ Damit wird sogleich ein Prozeß in Gang gesetzt, der die Wahrheit zurückbringt oder vielmehr den Verstand zur Wahrheit führt. Nur darfst du keine Angst haben.
F: Wovor sollte ich Angst haben?
M: Damit die Wahrheit da sein kann, müssen die Vorstellungen von „Ich“ und „Mein“ verschwinden. Sie werden gehen, wenn du es zuläßt. Dann kommt dein normaler natürlicher Zustand wieder, in dem du weder Körper noch Verstand bist, weder das „Ich“ noch das „Mein“, sondern in einem völlig anderen Zustand des Daseins. Es ist das reine Gewahrsein des Daseins, ohne dies oder das zu sein, ohne jegliche Selbst-Identifikation mit irgendetwas Besonderem oder Allgemeinem. In diesem reinen Licht des Bewußtseins gibt es nichts, nicht einmal die Vorstellung vom Nichts, sondern nur reines Licht.
F: Muß ich auch die Menschen aufgeben, die ich liebe?
M: Laß einfach nur die Anhaftung los und alles andere bei ihnen. Dann verlieren sie vielleicht das Interesse an dir, oder auch nicht.
F: Wie könnten sie? Sind sie nicht ein Teil von mir?
M: Ein Teil deiner Körperlichkeit, aber nicht deines Selbst. Oder besser gesagt, es gibt niemanden, der nicht mit dir eins ist.
F: Und was geschieht mit meinen Besitztümern?
M: Wenn es das „Mein“ nicht mehr gibt, wo sind dann deine Besitztümer?
F: Bitte sage mir: Muß ich alles verlieren, wenn ich das „Ich“ verliere?
M: Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das wird dir egal sein. Was du verlierst, das gewinnt auch jemand, und so wird es dir nichts ausmachen.
F: Wenn es mir nichts ausmacht, dann möge ich alles verlieren!
M: Wer nichts besitzt, der besitzt auch keine Probleme.
F: Bleibt nur das Problem des Überlebens.
M: Das ist das Problem des Körpers, das er durch Essen, Trinken und Schlafen lösen wird. Davon ist genug für alle da, vorausgesetzt alle teilen.
F: Unsere Gesellschaft basiert aber auf Ergreifen und nicht auf Teilen.
M: Indem du teilst, wirst du sie verändern.
F: Warum sollte ich noch mehr teilen. Ich zahle doch schon für alle Besitztümer Steuern.
M: Das ist nicht dasselbe wie freiwilliges Teilen. Die Gesellschaft wird sich nicht durch Zwang verändern. Hier ist ein Sinneswandel nötig. Erkenne, daß nichts dir allein gehört, sondern alles allen gehört. Nur dann wird sich die Gesellschaft verändern.
F: Die Erkenntnis eines einzelnen Menschen wird doch diese Welt nicht verändern.
M: Die Welt, in der du lebst, wird tiefgreifend beeinflußt werden. Es wird eine gesunde und glückliche Welt sein, die strahlt und kommuniziert, wächst und sich verbreitet. Die Kraft eines wahren Herzens ist unermeßlich.
F: Bitte erzähle uns mehr davon.
M: Erzählen ist nicht mein Hobby. Manchmal erzähle ich, manchmal nicht. Das hängt von der gegebenen Situation ab und nicht von mir. Wenn es eine Situation gibt, in der ich lange reden muß, höre ich mich selbst reden. In einer anderen Situation kann es sein, daß ich mich nicht höre. Für mich macht das keinen Unterschied. Ob ich nun rede oder nicht, das Licht und die Liebe zu dem, was ich bin, werden dadurch nicht beeinflußt und stehen auch nicht unter meiner Kontrolle. Sie sind da, und ich weiß, daß sie da sind. Es gibt ein freudiges Gewahrsein, aber niemanden, der sich freut. Natürlich gibt es ein Gefühl von Identität, aber es ist die Identität einer Erinnerungsspur, wie die Identität einer Folge von Bildern auf der allgegenwärtigen Kinoleinwand. Ohne Licht und Leinwand kann es kein Bild geben. Die Erkenntnis des Bildes als Spiel des Lichtes auf der Leinwand befreit von der Vorstellung, daß die Bilder real sind. Du mußt nur erkennen, daß du das Selbst liebst und das Selbst dich liebt und daß die Empfindung „Ich bin“ die Verbindung zwischen diesen beiden ist, ein Zeichen der Einheit trotz scheinbarer Vielfalt. So betrachte das „Ich bin“ als Zeichen der Liebe zwischen dem Inneren und dem Äußeren, der Wahrheit und der Erscheinung. Wie auch in einem Traum alles andere erscheint, außer der Empfindung „Ich bin“, die dir ermöglicht zu sagen „Ich habe geträumt“, so ermöglicht dir die Empfindung „Ich bin“ zu sagen: „Nun bin ich wieder mein wahres Selbst. Ich tue nichts, noch wird mir irgendetwas angetan. Ich bin, was ich bin, und nichts kann mich beeinflussen. Ich scheine von allem abhängig zu sein, aber in Wahrheit hängt alles von mir ab.“
F: Wie kannst du behaupten, daß du nichts tust? Redest du nicht mit mir?
M: Ich habe nicht das Gefühl, daß ich selber rede. Es wird geredet, das ist alles.
F: Aber ich rede.
M: Tatsächlich? Du hörst dich selber reden und meinst: „Ich rede.“
F: Jeder sagt doch: „Ich arbeite, ich komme oder ich gehe.“
M: Ich habe nichts gegen die Konventionen deiner Sprache, aber sie verzerren und zerstören die Wahrheit. Treffender wäre die Formulierung: „Es wird geredet und gearbeitet. Es kommt und es geht.“ Denn damit etwas geschieht, muß das ganze Universum zusammenwirken. Es ist falsch zu glauben, daß nur irgendetwas Bestimmtes ein Ereignis verursacht. Jede Ursache ist universal. Dein Körper könnte gar nicht existieren, wenn nicht das ganze Universum zu seiner Entstehung und seinem Überleben beitragen würde. Deshalb bin ich mir völlig bewußt, daß die Dinge so geschehen, wie sie geschehen, weil die Welt so ist, wie sie ist. Um den Lauf der Dinge zu beeinflussen, muß ich einen neuen Faktor in die Welt bringen, und dieser Faktor kann nur ich selbst sein, die Kraft der Liebe und des Verständnisses, die in mir konzentriert ist.
Wenn dieser Körper geboren wird, passieren ihm alle möglichen Dinge, und du nimmst daran teil, weil du dich selbst für den Körper hältst. Du bist wie jemand im Kino, der mit den Bildern lacht und weint, obwohl er genau weiß, daß er die ganze Zeit auf seinem Platz sitzt und die Bilder nur ein Spiel des Lichtes sind. Es genügt, die Achtsamkeit von der Kinoleinwand auf dich selbst zu lenken, um diesen Zauber zu brechen. Wenn der Körper stirbt, denn endet das Leben, das du jetzt als eine Abfolge körperlicher und geistiger Ereignisse führst. Es kann sogar jetzt schon enden, ohne auf den Tod des Körpers zu warten. Dazu reicht es aus, die Achtsamkeit auf das Selbst zu richten und sie dort zu halten. Alles geschieht, als gäbe es eine mysteriöse Kraft, die alles erschafft und bewegt. Erkenne, daß du nicht der Beweger, sondern nur der Zeuge bist, und du wirst in Frieden sein.
F: Ist diese Kraft von mir getrennt?
M: Natürlich nicht. Aber du mußt zuerst damit beginnen, der leidenschaftslose Zeuge zu sein. Nur dann kannst du dein vollkommenes Dasein als universeller Liebhaber und Schauspieler erkennen. Solange du in die Probleme einer bestimmten Persönlichkeit verstrickt bist, kannst du darüber hinaus nichts sehen. Doch letztendlich wirst du erkennen, daß du weder das Besondere noch das Universale bist, sondern jenseits beider. Wie die winzige Spitze eines Bleistifts zahllose Bilder zeichnen kann, so zeichnet der dimensionslose Punkt des Bewußtseins den Inhalt des riesigen Universums. Finde diesen Punkt und sei frei!
F: Woraus erschaffe ich diese Welt?
M: Aus deinen eigenen Erinnerungen. Solange du dich nicht selbst als Schöpfer erkennst, ist deine Welt begrenzt und eingekreist. Sobald du über deine Selbst-Identifikation mit deiner Vergangenheit hinausgehst, bist du frei, eine neue Welt der Harmonie und Schönheit zu erschaffen. Oder du bleibst einfach jenseits von Sein und Nichtsein.
F: Was bleibt mir, wenn ich meine Erinnerungen loslasse?
M: Nichts wird dir bleiben.
F: Das macht mir Angst.
M: Du wirst Angst haben, bis du die Freiheit und ihren Segen erfährst. Natürlich sind einige Erinnerungen erforderlich, um den Körper zu identifizieren und zu führen. Solche Erinnerungen bleiben bestehen, aber an den Körper selbst besteht keine Anhaftung mehr. Er ist nicht länger dein Grund für Begierde und Angst. All dies ist nicht besonders schwer zu verstehen und zu praktizieren, doch du mußt daran interessiert sein. Ohne ernsthaftes Interesse geht gar nichts. Wenn du erst einmal erkannt hast, daß du ein Bündel von Erinnerungen bist, die durch Anhaftung zusammengehalten werden, dann tritts du heraus und schaust von außen. Vielleicht wirst du dann zum ersten Mal etwas gewahr sein, das keine Erinnerung ist. Denn du hörst auf, ein Herr Soundso zu sein, der mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt ist. So hast du endlich Frieden und erkennst, daß mit der Welt nie etwas falsch war. Nur du selber warst falsch, und das ist jetzt alles vorbei. Nie wieder wirst du im Netz der Begierden gefangen sein, das aus Unwissenheit entsteht.
Fragender: Dürfen wir dich bitten, uns die Art und Weise deiner Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) mitzuteilen?
Maharaj: Irgendwie war es in meinem Fall sehr einfach und leicht. Mein Guru sprach zu mir kurz vor seinem Tod: „Glaube mir, du bist die höchste Wahrheit. Zweifle nicht an meinen Worten und mißtraue mir nicht. Ich sage dir die Wahrheit, und nun handle entsprechend!“ Ich konnte seine Worte nicht vergessen, und weil ich sie nicht vergaß, wurde ich verwirklicht.
F: Aber was hast du tatsächlich gemacht?
M: Nichts Besonderes. Ich lebte mein Leben, ging meinem Beruf nach und kümmerte mich um meine Familie, aber verbrachte jeden freien Moment nur damit, mich an meinen Guru und seine Worte zu erinnern. Denn er starb bald darauf und mir blieb nur die Erinnerung, auf die ich zurückgreifen konnte. Das war völlig genug.
F: Das muß die Gnade und Kraft deines Gurus gewesen sein.
M: Seine Worte waren wahr, und so wurden sie wahr, denn wahre Worte werden immer wahr. Mein Guru hat nichts getan, sondern seine Worte wirkten, weil sie wahr waren. Was auch immer ich tat, kam von innen, ungebeten und unerwartet.
F: Hat der Guru einen Prozeß gestartet, ohne daran teilzunehmen?
M: Formuliere es, wie du willst. Die Dinge geschehen, wie sie geschehen. Wer kann sagen, warum und wie? Ich habe nichts mit besonderer Absicht getan. Alles kam von selbst - der Wunsch loszulassen, allein zu sein und nach innen zu gehen.
F: Hast du dich denn nicht bemüht?
M: Nein. Ob du es glaubst oder nicht, ich strebte nicht einmal nach Verwirklichung. Er sagte mir nur, daß ich das Höchste sei, und dann starb er. Ich konnte einfach nicht anders, als ihm zu glauben. Alles andere ergab sich von ganz allein. Ich sah zu, wie ich mich veränderte, und das ist alles. Tatsächlich war ich erstaunt, denn in mir entstand der Wunsch, seine Worte zu bestätigen. Ich war mir so sicher, daß er mich nicht belogen hatte, daß ich das Gefühl bekam, ich würde entweder die volle Bedeutung seiner Worte verwirklichen oder sterben. Ich war ziemlich fest entschlossen, aber wußte nicht, was genau ich tun sollte. So verbrachte ich die Stunden damit, an ihn und sein Versprechen zu denken, nicht mit Argumentieren, sondern nur in Erinnerung an das, was er mir gesagt hatte.
F: Was ist dann mit dir geschehen? Woher wußtest du, daß du das Höchste bist?
M: Niemand kam, um es mir zu sagen, und es wurde mir auch nicht innerlich gesagt. Tatsächlich machte ich nur am Anfang, als ich mich anstrengte, einige seltsame Erfahrungen, wie Lichter sehen, Stimmen hören, Göttern und Göttinnen begegnen und sich mit ihnen unterhalten. Als der Guru mir sagte „Du bist die höchste Wahrheit“, hörten diese Visionen und Trancen auf und ich wurde ganz still und einfach. Ich stellte fest, daß ich immer weniger begehrte und wußte, bis ich völlig erstaunt sagen konnte: „Ich weiß nichts, und ich will nichts.“
F: Warst du wirklich frei von Wünschen und Wissen, oder hast du dich als Weiser (Jnani) ausgegeben, der dem Bild entsprach, das dir dein Guru gab?
M: Mir wurde kein Bild gegeben, und ich hatte auch keins. Mein Guru hat mir nie gesagt, was zu erwarten wäre.
F: Vielleicht geschieht dir ja noch mehr. Oder bist du am Ende deiner Reise?
M: Es gab nie eine Reise. Ich bin, wie ich immer war.
F: Was war dann die höchste Wahrheit, die du erreichen solltest?
M: Ich werde nicht mehr getäuscht, und das ist alles. Früher erschuf ich eine Welt und bevölkerte sie, aber jetzt mache ich das nicht mehr.
F: Wo lebst du nun?
M: In der Leere jenseits von Sein und Nichtsein, und sogar jenseits des Bewußtseins. Doch diese Leere ist auch Fülle, also kein Grund, mich zu bedauern. Es ist, als würde ein Mensch sagen: „Ich habe meine Arbeit getan, und nun gibt es nichts mehr zu tun.“
F: Du gibst für deine Verwirklichung ein bestimmtes Datum an. Das bedeutet, daß dir damals etwas geschah. Was war geschehen?
M: Der Verstand hatte aufgehört, Ereignisse zu produzieren, und damit fand die uralte und unaufhörliche Suche ein Ende. Ich wollte nichts, erwartete nichts und akzeptierte nichts als mein Eigentum. Es gab kein „Ich“ mehr, für das man kämpfen mußte. Sogar das bloße „Ich bin“ verschwand. Dazu fiel mir auch auf, daß ich alle meine gewohnten Gewißheiten verloren hatte. Früher war ich mir über so viele Dinge gewiß, und jetzt bin ich mir über nichts gewiß. Trotzdem habe ich das Gefühl, durch das Nichtwissen nichts verloren zu haben, weil mein ganzes Wissen illusorisch war. Mein Nichtwissen war nun selbst das Wissen um die Tatsache, daß alles Wissen Unwissenheit ist und daß „Ich weiß nicht“ die einzig wahre Aussage ist, die der Verstand machen kann. Nimm zum Beispiel die Vorstellung „Ich wurde geboren“. Du kannst sie für wahr halten, aber es ist nicht so. Du selbst wurdest niemals geboren, und wirst auch niemals sterben. Es ist deine Vorstellung, die geboren wurde und sterben wird, doch nicht du selbst. Nur indem du dich damit identifiziertest, wurdest du sterblich. Wie im Kino alle Bilder Licht sind, so wird das Bewußtsein zur weiten Welt. Schau genau hin, und du wirst erkennen, daß alle Namen und Formen nur vorübergehende Wellen auf dem Meer des Bewußtseins sind, von denen man nur sagen kann, daß das Bewußtsein da ist und nicht seine Transformationen. In der Unermeßlichkeit des Bewußtseins erscheint ein Licht, ein winziger Punkt, der sich schnell bewegt und Formen, Gedanken, Gefühle, Konzepte und Vorstellungen zeichnet, wie eine Feder auf Papier schreibt. Die Tinte, die ihre Spuren hinterläßt, ist die Erinnerung. Und du selbst bist dieser winzige Punkt, und durch deine Bewegung wird die Welt immer wieder neu erschaffen. Hör auf, dich zu bewegen, und es wird keine Welt mehr geben. Schau nach innen und du wirst erkennen, daß der Lichtpunkt als die Empfindung „Ich bin“ die Widerspiegelung der Unermeßlichkeit des Lichtes im Körper ist. Es gibt nur Licht, und alles andere erscheint.
F: Kennst du dieses Licht? Hast du es gesehen?
M: Für den Verstand erscheint es als Dunkelheit. Nur durch seine Reflexionen kann es erkannt werden, denn alles ist im Tageslicht zu sehen, außer das Tageslicht.
F: Heißt das, daß unser beider Verstand gleich ist?
M: Wie könnte das sein, solange du deinen eigenen privaten Verstand hast, der von Erinnerungen durchwoben ist und von Begierden und Ängsten zusammengehalten wird? Ich habe keinen eigenen Verstand. Was ich wissen muß, bringt mir das Universum, wie es auch die Nahrung liefert, die ich esse.
F: Weißt du alles, was du wissen willst?
M: Es gibt nichts, was ich wissen will. Doch was ich wissen muß, wird mir bewußt.
F: Kommt dieses Wissen von innen oder von außen zu dir?
M: Das kann man so nicht sagen. Mein Inneres ist außen, und mein Äußeres ist innen. Auch von dir kann ich das momentan nötige Wissen erhalten, denn du bist nicht getrennt von mir.
F: Was ist Turiya, der vierte Zustand, von dem wir so viel hören?
M: Der Lichtpunkt zu sein, der diese Welt zeichnet, das ist Turiya. Das Licht selbst zu sein ist Turiya. Aber welchen Nutzen haben solche Namen, wenn die Wahrheit so nah ist?
F: Gibt es noch Fortschritte in deinem Zustand? Wenn du dich heute mit gestern vergleichst, erkennst du da noch Veränderungen und Fortschritte? Wird deine Sicht der Wahrheit immer weiter und tiefer?
M: Die Wahrheit ist unveränderlich und dennoch in ständiger Veränderung. Sie ist wie ein mächtiger Fluß, der fließt und ist doch immer da. Denn was fließt, ist nicht der Fluß mit seinem Bett und seinen Ufern, sondern sein Wasser. So spielt Sattwa-Guna, die universale Harmonie, ihre Spiele gegen Tamas und Rajas, die Mächte der Dunkelheit und Verzweiflung. In Sattwa gibt es immer Veränderung und Fortschritt, in Rajas gibt es Veränderung und Rückschritt, während Tamas für Chaos steht. So spielen die drei Gunas (als natürliche Grundqualitäten) ewig gegeneinander. Das ist eine Tatsache, und eine Tatsache läßt sich nicht bestreiten.
F: Muß ich für immer durch Tamas verdunkelt und durch Rajas verzweifelt sein? Wo bleibt Sattwa?
M: Sattwa ist die Ausstrahlung deiner wahren Natur, die du immer jenseits des Verstandes und seiner vielfältigen Welten finden kannst. Doch wenn du eine Welt haben willst, dann mußt du die drei Gunas als unzertrennlich akzeptieren, denn Materie, Energie und Leben (bzgl. Tamas, Rajas und Sattwa) sind eins in der Essenz, aber unterschiedlich in der Erscheinung. Sie vermischen sich und fließen gemeinsam im Bewußtsein. So gibt es in Raum und Zeit einen ewigen Fluß von Geburt und Tod sowie Fortschritt und Rückschritt, die sich scheinbar ohne Anfang und Ende wiederholen. Während die Wahrheit als zeitloses, unveränderliches, körperloses und gedankenloses Gewahrsein reine Glückseligkeit ist.
F: Ich verstehe, daß deiner Meinung nach alles ein Zustand des Bewußtseins ist. Doch die Welt ist auch voller Objekte: Ein Sandkorn ist ein Objekt, und auch ein Planet ist ein Objekt. Wie hängen sie mit dem Bewußtsein zusammen?
M: Wo das Bewußtsein nicht mehr hinreicht, dort beginnt die Materie. Ein Objekt ist eine Form des Seins, die wir nicht durchschaut haben. Es verändert sich nicht, ist immer das Gleiche und scheint für sich allein da zu sein, etwas Eigenartiges und Fremdes. Natürlich ist es im Chit, im Bewußtsein, aber aufgrund seiner scheinbaren Stabilität scheint es außerhalb zu sein. Die Grundlage aller Objekte liegt in der Erinnerung, denn ohne Erinnerung gäbe es kein Erkennen. Schöpfung, Reflexion und Zurückweisung als Brahma, Vishnu und Shiva: Das ist der ewige Prozeß, und alle Objekte werden davon beherrscht.
F: Gibt es kein Entkommen?
M: Ich mache nichts anderes, als den Ausweg aufzuzeigen. Erkenne, daß das Eine diese Drei einschließt und daß du das Eine bist! Dann wirst du frei sein vom Prozeß der Welt.
F: Was geschieht dann mit meinem Bewußtsein?
M: Nach der Schöpfungsphase kommt die Phase der Untersuchung und Reflexion und schließlich die Phase des Loslassens und Vergessens. Das Bewußtsein bleibt, aber in einem latenten und stillen Zustand.
F: Bleibt dann noch ein Zustand der Identität?
M: Der Zustand der Identität ist der Wahrheit innewohnend und vergeht nie. Aber diese Identität ist weder die vergängliche Persönlichkeit (Vyakti) noch die karmagebundene Individualität (Vyakta). Sie ist das, was bleibt, wenn jede Selbst-Identifikation als falsch aufgegeben wird, nämlich ein reines Bewußtsein und die Empfindung, alles zu sein, was ist oder sein könnte. Das Bewußtsein ist am Anfang rein und am Ende rein, nur dazwischen wird es durch die Vorstellungskraft verunreinigt, welche die Wurzel der Schöpfung ist. Das Bewußtsein selbst bleibt immer dasselbe, und es so zu erkennen, wie es ist, bedeutet Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) und zeitlosen Frieden.
F: Ist dann die Empfindung „Ich bin“ wahr oder falsch?
M: Sie ist beides. Sie ist falsch, wenn wir sagen „Ich bin dies oder das“, und sie wahr, wenn wir erkennen „Ich bin weder dies noch das“. Der Wissende kommt und geht mit dem Gewußten und ist vergänglich. Doch das, was weiß, daß es nicht weiß, was frei von Erinnerung und Erwartung ist, das ist zeitlos.
F: Ist dieses „Ich bin“ selbst der Zeuge, oder sind die beiden getrennt?
M: Ohne das eine kann das andere nicht sein, und trotzdem sind sie nicht eins. Es ist wie die Blüte und ihre Farbe. Ohne Blüte keine Farbe, und ohne Farbe wäre die Blüte unsichtbar. Dahinter befindet sich das Licht, das in Verbindung mit der Blüte die Farbe erzeugt. Erkenne, daß deine wahre Natur nur reines Licht ist und daß sowohl das Wahrgenommene als auch der Wahrnehmende gemeinsam kommen und gehen. Das, was beides ermöglicht und doch keines von beidem ist, ist dein wahres Dasein, und das bedeutet nicht, ein „Dies“ oder „Das“ zu sein, sondern das reine Gewahrsein von Sein und Nichtsein. Wenn das Gewahrsein auf sich selbst gerichtet ist, dann entsteht die Empfindung des Nichtwissens. Wenn es nach außen gerichtet wird, dann entsteht das Erkennbare. Die Aussage „Ich kenne mich selbst“ ist also ein Widerspruch in sich, denn das, was „gekannt“ wird, kann nicht „Ich selbst“ sein.
F: Wenn das Selbst für immer das Unbekannte bleibt, was wird dann in der Selbstverwirklichung verwirklicht?
M: Zu wissen, daß das Gewußte weder Ich noch Mein sein kann, ist Befreiung genug. Die Freiheit von der Selbst-Identifikation mit einer Reihe von Erinnerungen und Gewohnheiten fließt aus einer tiefen und unerschöpflichen Quelle und erzeugt einen Zustand des Staunens über die unendlichen Weiten des Daseins, seine unerschöpfliche Kreativität und völlige Transzendenz, sowie die absolute Furchtlosigkeit, die aus der Erkenntnis der Illusion und Vergänglichkeit jeglicher Form des Bewußtseins entsteht. Die Quelle als Quelle, die Erscheinung als Erscheinung und sich selbst als alleinige Quelle zu erkennen, das ist Selbstverwirklichung.
F: Auf welcher Seite steht der Zeuge? Ist er wahr oder illusorisch?
M: Niemand kann behaupten „Ich bin der Zeuge!“, weil das „Ich bin“ auch immer bezeugt wird. Der Zustand des losgelösten Gewahrseins wird zum Zeugenbewußtsein, dem „Spiegel-Verstand“. Dieses kommt und geht mit seinem Objekt und ist daher nicht völlig wahr. Doch was auch immer sein Objekt ist, es bleibt dasselbe, und daher ist es auch wahr. So nimmt es sowohl am Wahren als auch am Illusorischen teil und ist daher wie eine Brücke zwischen den beiden.
F: Wenn alles nur dem „Ich bin“ geschieht, wenn das „Ich bin“ das Gewußte, der Wissende und das Wissen selbst ist, was macht dann der Zeuge? Welchen Nutzen hat er?
M: Er bewirkt nichts und ist vollkommen nutzlos.
F: Warum reden wir dann darüber?
M: Weil er da ist. Die Brücke dient nur einem Zweck, nämlich der Überquerung. Auf einer Brücke baut man keine Häuser. Das „Ich bin“ schaut auf die Dinge, und der Zeuge durchschaut sie, denn er sieht sie so, wie sie sind, illusorisch und vergänglich. So ist es die Aufgabe des Zeugen zu sagen: „Nicht Ich, nicht Mein.“
F: Wird dann das Manifestierte (Saguna), durch das das Unmanifestierte (Nirguna) repräsentiert?
M: Das Unmanifestierte wird nicht repräsentiert, denn kein Manifestiertes könnte das Unmanifestierte repräsentieren.
F: Warum redest du dann darüber?
M: Weil es mein Geburtsort ist.
Fragender: Wir haben eine lange Geschichte mit Drogen hinter uns, die vor allem das Bewußtseins erweitern sollten. Sie gaben uns die Erfahrung anderer Bewußtseinszustände, die höher oder niedriger waren, aber auch die Überzeugung, daß Drogen unzuverlässig und bestenfalls vorübergehend und im schlimmsten Fall zerstörend für den Organismus und die Persönlichkeit sind. So sind wir nun auf der Suche nach besseren Mitteln zur Entwicklung von Bewußtsein und Transzendenz. Wir möchten, daß die Früchte unserer Suche bei uns bleiben und unser Leben bereichern, anstatt sich in blasse Erinnerungen und hilfloses Bedauern zu verwandeln. Wenn wir unter „Spiritualität“ Selbsterforschung und Entwicklung verstehen, dann ist das Ziel unserer Indien-Reise definitiv spirituell. Die euphorische Hippie-Phase liegt hinter uns, und jetzt meinen wir es ernst und sind auf dem Weg. Wir wissen, daß es Wahrheit gibt, die man finden kann, aber wir wissen nicht, wie wir sie finden und bewahren können. Wir müssen nicht mehr überzeugt werden, aber brauchen eine Führung. Kannst du uns helfen?
Maharaj: Du brauchst keine Führung, sondern nur Rat. Was du suchst, ist bereits in dir. Nimm mich selbst als Beispiel: Ich habe nichts für meine Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) getan. Mein Lehrer sagte mir, daß die Wahrheit in mir liegt. So habe ich nach innen geschaut und sie dort gefunden, genau wie es mein Lehrer gesagt hat. Die Wahrheit zu sehen ist so einfach wie das eigene Gesicht im Spiegel zu sehen. Doch der Spiegel muß klar und wahr sein. Um die Wahrheit widerzuspiegeln, ist also ein ruhiger Verstand erforderlich, der frei von Begierden und Ängsten ist, frei von Vorstellungen und Meinungen und auf allen Ebenen klar. Sei also klar und ruhig, wachsam und losgelöst, und alles andere geschieht von selbst.
F: Du mußtest also deinen Verstand klar und ruhig machen, bevor du die Wahrheit sehen konntest. Wie hast du das gemacht?
M: Ich habe nichts getan, denn es ist einfach geschehen. Ich habe mein Leben gelebt und mich um die Bedürfnisse meiner Familie gekümmert. Auch mein Guru hat es nicht getan. Es ist einfach so geschehen, wie er es gesagt hatte.
F: Dinge geschehen doch nicht einfach so. Für alles muß es eine Ursache geben.
M: Alles, was geschieht, ist die Ursache von allem, was geschieht. Es gibt also zahllose Ursachen, und die Vorstellung einer einzigen Ursache ist nur Illusion.
F: Du mußt doch etwas Bestimmtes gemacht haben, wie Meditation oder Yoga. Wie kann man sagen, daß die Selbstverwirklichung einfach von allein geschieht?
M: Ich habe nichts Bestimmtes gemacht, sondern einfach mein Leben gelebt.
F: Da bin ich erstaunt!
M: Ich auch, aber was ist erstaunlich daran? Die Worte meines Lehrers wurden wahr. Na und? Er kannte mich besser als ich mich selbst, das ist alles. Warum nach Ursachen suchen? Ganz am Anfang habe ich einige Aufmerksamkeit und Zeit der Empfindung „Ich bin“ gewidmet, aber nur am Anfang. Bald danach starb mein Guru, und ich lebte weiter. Seine Worte erwiesen sich als wahr, das ist alles. Und das war ein einziger (ganzheitlicher) Prozeß, doch du neigst dazu, die Dinge zeitlich zu trennen und dann nach Ursachen zu suchen.
F: Was ist jetzt deine Arbeit? Was tust du?
M: Du glaubst, Sein und Tun gehören zusammen, aber das ist nicht so. Verstand und Körper bewegen und verändern sich und bewirken, daß auch Verstand und Körper anderer bewegt und verändert werden, und das nennt man Tun und Handeln. Ich sehe, daß es in der Natur von Handlungen liegt, weitere Handlungen zu erzeugen, wie sich ein Feuer fortsetzt, indem es brennt. Ich handle nicht, noch veranlasse ich andere zum Handeln. Ich bin mir zeitlos dessen gewahr, was geschieht.
F: In deinem eigenen Verstand, oder auch im Verstand anderer?
M: Es gibt nur einen Verstand voller Vorstellungen, wie: „Ich bin dies, ich bin das, dies ist meins und das ist meins.“ Doch ich bin nicht der Verstand, war es nie und werde es auch niemals sein.
F: Wie ist dieser Verstand entstanden?
M: Die Welt besteht aus Materie, Energie und Intelligenz, die sich auf vielfältige Weise manifestieren. Begierde und Vorstellungskraft erschaffen die Welt, und Intelligenz (bzw. Vernunft) versöhnt beide und erzeugt ein Gefühl von Harmonie und Frieden. Für mich geschieht das alles von selbst. Ich bin mir dessen gewahr, doch davon unbeeinflußt.
F: Du kannst doch nicht gewahr und trotzdem unbeeinflußt sein. Das ist ein Widerspruch in sich. Wahrnehmung ist Veränderung, denn sobald du eine Empfindung erfahren hast, erlaubt dir deine Erinnerung nicht, in den vorherigen Zustand zurückzukehren.
M: Richtig, was der Erinnerung hinzugefügt wurde, kann nicht so einfach gelöscht werden. Aber es ist durchaus machbar, und tatsächlich mache ich es ständig. Wie ein Vogel in der Luft, so hinterlasse auch ich keine Spuren.
F: Hat dieser Zeuge Name und Form, oder ist er jenseits davon?
M: Der Zeuge ist lediglich ein Punkt im Gewahrsein und hat weder Name noch Form. Er ist wie die Spiegelung der Sonne in einem Tautropfen. Der Tautropfen hat Name und Form, doch der kleine Lichtpunkt wird von der Sonne verursacht. Die Klarheit und Glätte des Tropfens ist eine notwendige Voraussetzung, aber reicht allein nicht aus. Ebenso sind Klarheit und Stille des Verstandes notwendig, damit die Widerspiegelung der Wahrheit im Verstand erscheint, aber sie allein reichen noch nicht aus. Es muß eine Wahrheit jenseits davon sein. Weil die Wahrheit zeitlos gegenwärtig ist, liegt der Knackpunkt auf den notwendigen Bedingungen.
F: Kann es geschehen, daß der Verstand klar und ruhig ist und trotzdem keine Reflexion erscheint?
M: Hier muß man auch das Schicksal betrachten. Denn das Unbewußte ist im Griff des Schicksals und ist tatsächlich auch das Schicksal. Eventuell muß man einige Zeit warten. Denn so fest der Griff des Schicksals auch sein mag, durch Geduld und Selbstbeherrschung kann er gelöst werden. Integrität und Reinheit beseitigen die Hindernisse, und dann erscheint im Verstand die Sicht der Wahrheit.
F: Wie erlangt man Selbstbeherrschung? Ich bin so willensschwach!
M: Erkenne zuerst, daß du nicht die Person bist, die du selbst zu sein glaubst. Was du zu sein glaubst, ist bloße Vorstellung und Einbildung. Du hast (in Wahrheit) keine Eltern, wurdest nie geboren und wirst auch niemals sterben. Entweder du vertraust hier meinen Worten, oder du findest es durch Studium und Nachforschung heraus. Der Weg des vollkommenen Vertrauens ist der schnellste, und der andere ist langsam, aber stetig. Doch beide muß man im Leben überprüfen, und dann handle nach dem, was du als Wahrheit erkennst, denn das ist der Weg zur Wahrheit.
F: Sind das Verdienen der Wahrheit und das Schicksal ein und dasselbe?
M: Ja, beide wirken im Unbewußten. Bewußtes Verdienst wäre bloße Eitelkeit, denn Bewußtsein besteht immer aus Hindernissen, und erst wenn es keine Hindernisse mehr gibt, kann man darüber hinausgehen.
F: Wird mir das Verständnis, daß ich nicht der Körper bin, die Charakterstärke verleihen, die ich zur Selbstbeherrschung benötige?
M: Wenn du weißt, daß du weder Körper noch Verstand bist, dann wirst du dich von ihnen nicht mehr beherrschen lassen. Du wirst der Wahrheit folgen, wohin sie dich auch führt, und tun, was getan werden muß, ohne nach dem Preis zu fragen.
F: Sind Handlungen für die Selbstverwirklichung essentiell?
M: Für die Erkenntnis ist das Verständnis essentiell. Handlungen ist nur nebensächlich. Doch ein Mensch mit beständigem Verständnis wird sich nicht vom Handeln zurückhalten, denn das Handeln ist der Prüfstein für die Wahrheit.
F: Ist diese Prüfung erforderlich?
M: Wenn du dich nicht ständig prüfst, wirst du nicht fähig sein, zwischen Wahrheit und Illusion zu unterscheiden. Beobachtung und genaues Ergründen helfen bis zu einem gewissen Grad, aber die Wahrheit ist paradox. Woher willst du wissen, daß du sie verwirklicht hast, wenn du nicht deine Gedanken, Gefühle, Worte und Taten beobachtest und dich über die Veränderungen wunderst, die in dir geschehen, ohne zu wissen, warum und wie? Gerade weil sie so überraschend (bzw. irrational) sind, weißt du, daß sie wahr sind. Das Vorausgesehene (Rationale) und Erwartete ist selten wahr.
F: Wie entsteht die Person?
M: Genauso wie ein Schatten erscheint, wenn das Licht vom Körper abgefangen wird, so entsteht auch die Person, wenn das reine Selbst-Gewahrsein von der Vorstellung „Ich bin der Körper“ gefangen wird. Und so wie sich der Schatten je nach der Form des Bodens verändert, so scheint sich auch die Person zu freuen oder zu leiden, sich auszuruhen oder abzumühen, sich zu finden oder zu verlieren, entsprechend dem Muster des Schicksals (bzw. Unterbewußtseins). Wenn der Körper nicht mehr existiert, dann verschwindet die Person völlig und ohne Wiederkehr, und nur der Zeuge und das Große Unbekannte bleiben übrig. Der Zeuge ist derjenige, der sagt „Ich weiß“, und die Person sagt „Ich handle“. Diese Aussage „Ich weiß“ ist nicht falsch, sondern nur begrenzt, während die Aussage „Ich handle“ völlig falsch ist, denn es gibt niemanden, der da handelt. Alles geschieht von selbst, sogar die Vorstellung, ein Handelnder zu sein.
F: Was sind dann Handlungen?
M: Das Universum ist voller Handlungen, aber es gibt keinen Handelnden. Es gibt unzählige kleine, große und sehr große Personen, die sich durch Identifikation vorstellen, daß sie handeln. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die Welt der Handlungen ein einiges Ganzes (Mahadakash - Größter Raum) ist, in dem alles von allem abhängt und beeinflußt wird. So beeinflussen uns auch die Sterne zutiefst, und wir beeinflussen die Sterne. Tritt vom Handeln zum Bewußtsein zurück und überlasse das Handeln dem Körper und Verstand, denn das ist ihr Bereich. Bleibe als reiner Zeuge, bis sich sogar das Bezeugen im Höchsten auflöst. Stell dir einen dichten Wald voll großer Holzstämme vor. Aus dem Holz wird ein Brett geschnitten und ein kleiner Bleistift, um darauf zu schreiben. Der Zeuge liest die Schrift und weiß, daß der Bleistift und das Brett zwar entfernt mit dem Wald zu tun haben, aber nicht die Schrift. Sie ist völlig überlagert und wäre kein Verlust (für das Holz und den Wald). So ist auch die Auflösung der Persönlichkeit kein Verlust, sondern eine große Erleichterung, als ob eine schwere Last von dir gefallen wäre.
F: Wenn du behauptest, in einem Zustand jenseits des Zeugen zu sein, welche Erfahrung bringt dich zu dieser Aussage? Inwiefern unterscheidet er sich vom Zustand, in dem man nur Zeuge ist?
M: Das gleicht dem Waschen von bedrucktem Tuch. Zuerst verblaßt das Muster, dann der Hintergrund und am Ende ist das Tuch einfach weiß. Die Persönlichkeit macht dem Zeugen Platz, dann geht der Zeuge und nur reines Gewahrsein bleibt übrig. Das Tuch war am Anfang weiß und ist am Ende weiß. Die Muster und Farben waren nur eine Zeit lang geschehen.
F: Kann es denn ein Gewahrsein ohne ein Objekt des Gewahrseins geben?
M: Das Gewahrsein mit einem Objekt nennen wir Bezeugen. Und wenn auch eine Selbst-Identifikation mit dem Objekt besteht, die durch Begierde oder Angst verursacht wird, dann wird dieser Zustand als Person bezeichnet. In Wahrheit gibt es aber nur einen Zustand (des Gewahrseins). Wenn er durch Selbst-Identifikation verzerrt wird, wird er Person genannt, wenn er mit der Empfindung des Daseins gefärbt ist, heißt er Zeuge, und wenn er farblos und grenzenlos ist, wird er das Höchste genannt.
F: Ich empfinde mich oft unruhig, sehnsüchtig hoffend, suchend und findend, genießend, verlierend und immer wieder suchend. Was hält mich so in Bewegung?
M: Du bist in Wahrheit auf der Suche nach dir selbst, aber weißt es nicht. Du hast eine Sehnsucht nach Liebe, dem Liebenswürdigen und vollkommen Liebenswerten. Doch aus Unwissenheit suchst du danach in der Welt der Gegensätze und Widersprüche. Wenn du es in dir selbst findest, wird deine Suche ein Ende haben.
F: Es wird doch immer diese sorgenvolle Welt geben, mit der man zu kämpfen hat.
M: Stell dir nichts vor, denn du kannst es nicht wissen. Es ist wohl wahr, daß alle Manifestationen in Gegensätzen bestehen: Glück und Leid, Gut und Schlecht, Hoch und Tief, Fortschritt und Rückschritt, Ruhe und Kampf. Sie alle kommen und gehen gemeinsam, und solange es eine Welt gibt, wird es solche Widersprüche geben. Natürlich kann es auch Momente vollkommener Harmonie, Glückseligkeit und Schönheit geben, aber nur für kurze Zeit. Denn was vollkommen ist, kehrt zur Quelle aller Vollkommenheit zurück, und die Gegensätze spielen weiter.
F: Wie erreiche ich Vollkommenheit?
M: Bleib einfach still! Erledige deine Arbeit in der Welt, aber sei innerlich still, und dann wird alles zu dir kommen. Verlaß dich bei der Verwirklichung nicht auf dein Handeln. Vielleicht nützt es anderen, aber nicht dir. Deine Hoffnung liegt nur darin, die Stille in deinem Verstand und die Stille in deinem Herzen zu bewahren. Verwirklichte Menschen sind sehr still.
Fragender: Braucht es Zeit, das Selbst zu verwirklichen, oder kann die Zeit dabei nicht helfen? Ist also die Selbstverwirklichung nur eine Frage der Zeit oder hängt sie von anderen Faktoren ab?
Maharaj: Alles Warten ist nutzlos. Sich auf die Zeit zu verlassen, um unsere Probleme zu lösen, ist Selbstbetrug. Wird die Zukunft sich selbst überlassen, wiederholt sie lediglich die Vergangenheit. Veränderung kann nur jetzt stattfinden, niemals in der Zukunft.
F: Was bewirkt eine Veränderung?
M: Erkenne kristallklar die Notwendigkeit einer Veränderung! - Das ist alles.
F: Geschieht Selbstverwirklichung innerhalb der Materie oder jenseits davon? Ist es eine Erfahrung, deren Entstehung von Körper und Verstand abhängt?
M: Alle Erfahrungen sind illusorisch, begrenzt und zeitgebunden. Deshalb erwarte nichts von Erfahrungen. Die Selbstverwirklichung an sich ist keine Erfahrung, obwohl sie zu einer neuen Dimension von Erfahrungen führen kann. Doch die neuen Erfahrungen sind, so interessant sie auch sein mögen, nicht wahrer als die alten. Die Verwirklichung ist definitiv keine neue Erfahrung, sondern die Entdeckung des Zeitlosen in jeder Erfahrung. Und das ist das Gewahrsein, das jegliche Erfahrung ermöglicht. So wie bei allen Farben das reine Licht der farblose Faktor ist, so ist in jeder Erfahrung das Gewahrsein gegenwärtig, aber es ist selbst keine Erfahrung.
F: Wenn Gewahrsein keine Erfahrung ist, wie kann es dann verwirklicht werden?
M: Gewahrsein ist immer da und muß nicht verwirklicht werden. Öffne die Mauern des Verstandes, und er wird von Licht durchflutet.
F: Was ist Materie?
M: Was du nicht kennst, das ist Materie.
F: Die Wissenschaft kennt Materie.
M: Die Wissenschaft verschiebt lediglich die (natürlichen) Grenzen unserer Unkenntnis.
F: Und was ist Natur?
M: Die Gesamtheit bewußter Erfahrungen ist Natur. Als bewußtes Selbst bist du ein Teil der Natur. Als Gewahrsein bist du jenseits davon. Die Natur als bloßes Bewußtsein zu erkennen, ist Gewahrsein.
F: Gibt es verschiedene Ebenen des Gewahrseins?
M: Im Bewußtsein gibt es Ebenen, aber nicht im Gewahrsein, denn das besteht aus einem einzigen und homogenen Ganzen. Seine Widerspiegelung im Verstand ist Liebe und Verständnis. So gibt es verschiedene Ebenen der Klarheit im Verständnis und in der Intensität der Liebe, aber nicht in ihrer Quelle. Die Quelle ist einfach und einzigartig, aber ihre Gaben sind unendlich (vielfältig). Verwechsle nicht die Gaben mit der Quelle! Erkenne dich selbst als die Quelle und nicht als den Fluß, das ist alles.
F: Ich bin doch auch der Fluß.
M: Natürlich bist du das. Als „Ich bin“ bist du der Fluß, der zwischen den Ufergrenzen des Körpers fließt. Doch du bist auch die Quelle und das Meer und die Wolken am Himmel. Wo immer es Leben und Bewußtsein gibt, das bist du. Kleiner als das Kleinste und größer als das Größte, das bist du, während alles andere darin erscheint.
F: Die Empfindung des Seins und die Empfindung des Lebens, sind sie ein und dasselbe oder unterschiedlich?
M: Die Identität im Raum schafft das eine, und die Kontinuität in der Zeit schafft das andere.
F: Du hast einmal gesagt, daß der Seher, das Sehen und das Gesehene eins sind und nicht drei. Für mich sind diese drei getrennt. Ich zweifle nicht an deinen Worten, aber verstehe es nicht.
M: Schau genau hin und du wirst sehen, daß der Seher und das Gesehene nur dann erscheinen, wenn es ein Sehen gibt. Sie sind also Eigenschaften des Sehens. Wenn du sagst „Ich sehe dies“, dann kommen „Ich bin“ und „dies“ erst mit dem Sehen und nicht vorher. So kannst du weder ein nichtgesehenes „dies“ noch ein nichtsehendes „Ich bin“ haben.
F: Ich kann aber sagen: „Ich sehe nichts.“
M: Das „Ich sehe dies“ wurde zu „Ich sehe, daß ich nichts sehe“ oder „Ich sehe Dunkelheit“, aber das Sehen bleibt. In der Dreiheit von Gewußtem, Wissen und Wissenden ist nur das Wissen eine Tatsache. Das „Ich bin“ und das „dies“ sind zweifelhaft. Wer weiß etwas? Und was wird gewußt? Es gibt keine Gewißheit, außer daß es Wissen gibt.
F: Warum bin ich mir des Wissens sicher, aber nicht des Wissenden?
M: Wissen ist ein Spiegelbild deiner wahren Natur, zusammen mit Sein und Lieben. Der Wissende und das Gewußte werden vom Verstand hinzugefügt, denn es liegt in der Natur des Verstandes, eine Subjekt-Objekt Dualität zu schaffen, wo es keine gibt.
F: Was ist die Ursache für Begierde und Angst?
M: Offensichtlich die Erinnerung an vergangenes Glück und Leid. Daran ist nichts Geheimnisvolles. Konflikte entstehen erst dann, wenn sich Begierde und Angst auf dasselbe Objekt beziehen.
F: Wie kann man der Erinnerung ein Ende setzen?
M: Das ist weder notwendig noch möglich. Erkenne, daß alles im Bewußtsein geschieht und daß du selbst die Wurzel, die Quelle und das Fundament des Bewußtseins bist. Die Welt ist nur eine Abfolge von Erfahrungen, und du bist es, der sie bewußt macht, und bleibst doch jenseits aller Erfahrung. Es ist wie die Hitze, die Flamme und das brennende Holz: Die Hitze erhält die Flamme, und die Flamme verzehrt das Holz. Ohne Hitze gäbe es weder Flamme noch Brennstoff. Ebenso gäbe es ohne Gewahrsein kein Bewußtsein und kein Leben, das die Materie in einen Träger des Bewußtseins verwandelt.
F: Du behauptest also, daß es ohne mich keine Welt gäbe und daß die Welt und mein Wissen über die Welt identisch sind. Die Wissenschaft kommt hier zu einem ganz anderen Schluß: Die Welt existiert als etwas Konkretes und Kontinuierliches, während ich ein Nebenprodukt der biologischen Evolution des Nervensystems bin, das in erster Linie weniger ein Sitz des Bewußtseins als vielmehr ein Mechanismus zum Überleben als Individuum und Art ist. Deine Sichtweise ist insgesamt subjektiv, während die Wissenschaft versucht, alles objektiv zu beschreiben. Ist dieser Widerspruch unvermeidlich?
M: Diese Verwirrung ist nur scheinbar und begrifflich. Was ist, das ist. Es ist weder subjektiv noch objektiv. Materie und Verstand sind nicht getrennt, sondern Aspekte ein und derselben Energie. Betrachte den Verstand als eine Funktion der Materie, und du hast Wissenschaft. Betrachte die Materie als ein Produkt des Verstandes, und du hast ein Glaubenssystem.
F: Aber was ist wahr? Was kommt zuerst, Verstand oder Materie?
M: Keines steht an erster Stelle, denn keines erscheint allein. Materie ist die Form, und Verstand ist der Name. Gemeinsam erschaffen sie die Welt. Die Wahrheit ist alldurchdringend und transzendierend, reine Sein-Gewahrsein-Glückseligkeit (Satchitananda) als ihre eigene Essenz.
F: Alles, was ich weiß, ist der Strom des Bewußtseins, eine endlose Abfolge von Ereignissen. Der Fluß der Zeit fließt unaufhörlich, bringt heran und trägt fort. So geschieht eine stetige Verwandlung der Zukunft in die Vergangenheit.
M: Bist du hier nicht das Opfer deiner Sprache? Du sprichst vom Fluß der Zeit, als wärst du beständig. Aber die Ereignisse, die du gestern erlebt hast, kann morgen jemand anderes sehen. Du bist es, der sich verändert, und nicht die Zeit. Hör auf, dich zu verändern, und die Zeit wird verschwinden.
F: Was bedeutet es, wenn die Zeit verschwindet?
M: Vergangenheit und Zukunft werden im ewigen Jetzt verschmelzen.
F: Aber was bedeutet es in tatsächlicher Erfahrung? Woher weißt du, daß für dich die Zeit verschwunden ist?
M: Es könnte bedeuten, daß Vergangenheit und Zukunft keine Rolle mehr spielen. Es kann auch bedeuten, daß alles, was geschehen war und geschehen wird, zu einem offenen Buch wird, das nach Belieben gelesen werden kann.
F: Ich kann mir eine Art kosmische Erinnerung vorstellen, die mit etwas Übung zugänglich ist. Aber wie läßt sich die Zukunft erkennen? Zufälliges ist doch unvermeidlich.
M: Was auf einer Ebene (des Bewußtseins) zufällig ist, kann auf einer höheren Ebene zwangsläufig geschehen. Schließlich bewegen wir uns hier innerhalb der Grenzen des Verstandes. In Wahrheit geschieht gar nichts, denn es gibt weder Vergangenheit noch Zukunft. Alles erscheint und nichts ist.
F: Was bedeutet „nichts ist“? Wirst du dann leer oder schläfst ein? Oder löst du die Welt auf und hältst uns alle in der Leere, bis wir beim nächsten Aufleuchten deiner Gedanken wieder zum Leben erweckt werden?
M: Oh nein, so schlimm ist es nicht. Die Welt von Verstand und Materie, von Namen und Formen besteht auch weiterhin, aber sie beherrscht mich nicht. Sie ist wie der eigene Schatten. Sie ist da und folgt mir, wohin ich auch gehe, doch behindert mich in keiner Weise. Sie bleibt eine Welt der Erfahrungen, aber nicht der Namen und Formen, die durch Begierden und Ängste mit mir verbunden sind. Die Erfahrungen sind ohne „Eigenschaft“, reine Erfahrungen, wenn ich das so sagen darf. Ich nenne sie nur Erfahrungen, weil es kein besseres Wort dafür gibt. Sie sind wie die Wellen auf der Oberfläche des ewig-gegenwärtigen Meeres, aber ohne Einfluß auf seine friedliche Kraft.
F: Willst du damit sagen, daß eine Erfahrung namenlos, formlos und undefiniert sein kann?
M: Im Anfang war jede Erfahrung so. Es sind nur die Begierden und Ängste, die aus der Erinnerung entstehen, die ihr Name und Form geben und sie von anderen Erfahrungen trennen. Es war noch keine bewußte Erfahrung, denn sie stand nicht im Gegensatz zu anderen Erfahrungen, und trotzdem war es eine Erfahrung.
F: Welchen Sinn hat es, über unbewußte Erfahrungen zu reden?
M: Die meisten deiner Erfahrungen sind unbewußt, und es gibt nur sehr wenige bewußte. Du bist dir dessen nicht gewahr, denn für dich zählen nur die bewußten. Werde dir auch der unbewußten gewahr!
F: Kann man sich unbewußter Erfahrungen gewahr sein? Wie geht das?
M: Begierde und Angst sind die verdeckenden und verzerrenden Faktoren. Wenn der Verstand von ihnen befreit ist, wird auch das Unbewußte zugänglich.
F: Bedeutet das, daß das Unbewußte bewußt wird?
M: Es ist eher umgekehrt. Das Bewußte wird eins mit dem Unbewußten (im reinen Gewahrsein), und die Unterscheidung hört auf, egal wie man es betrachtet.
F: Ich bin verwirrt. Wie kann man gewahr und dennoch unbewußt sein?
M: Gewahrsein ist nicht auf Bewußtsein beschränkt. Es ist von allem, was ist. Bewußtsein besteht durch Dualität, während es im Gewahrsein keine Dualität gibt, denn es ist ein ganzheitlicher Block reiner Erkenntnis. In gleicher Weise kann man vom reinen Dasein und der reinen Schöpfung sprechen - namenlos, formlos, still und doch vollkommen wahr, kraftvoll und wirksam. Daß sie unbeschreiblich sind, beschränkt sie nicht im Geringsten. Auch wenn sie unbewußt sind, sind sie doch essentiell. So kann sich das Bewußtsein im Grunde nicht verändern, sondern nur verschiedene Formen annehmen. Denn alles, was sich verändert, muß durch den Tod, die Verdunklung und die Auflösung gehen. Wie auch ein Goldschmuck zuerst eingeschmolzen werden muß, bevor er in eine andere Form gegossen werden kann. Was sich dem Tod widersetzt, kann nicht neu geboren werden.
F: Wie kann ich sterben, abgesehen vom Tod des Körpers?
M: Rückzug, Nichtanhaftung und Loslassen ist das Sterben. Um vollständig zu leben, ist dieser Tod unerläßlich. Jedes Ende erzeugt einen neuen Anfang. Andererseits erkenne auch, daß nur die Toten sterben können, nicht die Lebenden. Das, was in dir lebt, ist unsterblich.
F: Woher bezieht die Begierde (des bewußten Festhaltens an Namen und Formen) ihre Energie?
M: Ihre Namen und Formen bezieht sie aus der Erinnerung (dem „Gedächtnis“). So fließt die Energie aus der Quelle.
F: Manche Begierden sind grundsätzlich falsch. Wie können falsche Begierden aus einer erhabenen Quelle entspringen?
M: Die Quelle ist weder richtig noch falsch. Auch Begierden sind an sich weder richtig noch falsch. Sie sind nichts anderes als das Streben nach Glück. Nachdem du dich mit einem getrennten Körper identifiziert hast, fühlst du dich verloren und suchst verzweifelt wieder nach dem Gefühl der Fülle und Vollständigkeit, das du Glück nennst.
F: Wann habe ich es verloren? Ich hatte es doch nie.
M: Du hattest es, bevor du heute morgen aufgewacht bist. Geh über dein Bewußtsein hinaus und du wirst es finden.
F: Wie kann ich darüber hinausgehen?
M: Du weißt es bereits. Vollbring es!
F: Das behauptest du, aber ich weiß davon nichts.
M: Ich wiederhole es trotzdem: Du weißt es, also vollbring es! Geh darüber hinaus, zurück zu deinem normalen, natürlichen und höchsten Zustand.
F: Ich bin verwirrt.
M: Ein dunkler Fleck auf (der Brille vor) deinen Augen läßt dich denken, du seist blind. Wasch ihn ab und schau!
F: Ich schaue, aber sehe nur Dunkelheit.
M: Entferne die Befleckung, und deine Augen werden von Licht durchflutet. Das Licht ist da und wartet. Die Augen sind da und bereit. Die Dunkelheit, die du siehst, ist nur der Schatten des kleinen Flecks. Bereinige ihn, und kehre zu deinem natürlichen Zustand zurück!
Maharaj: Woher kommst du?
Fragender: Ich komme aus den Vereinigten Staaten, aber lebe die meiste Zeit in Europa. Nach Indien bin ich erst vor kurzem gekommen, und war in Rishikesh in zwei Ashrams, wo mir Meditation und (Yoga-) Atmung beigebracht wurde.
M: Wie lange warst du dort?
F: Acht Tage in dem einem und sechs Tage in dem anderen. Aber dort war ich nicht glücklich und bin gegangen. Dann verbrachte ich noch drei Wochen bei den tibetischen Lamas, die aber vor allem in ihre Formeln und Rituale verstrickt waren.
M: Und was hast du am Ende erreicht?
F: Definitiv mehr Energie. Doch bevor ich nach Rishikesh aufbrach, habe ich in einem Sanatorium für Naturheilung im südindischen Pudukkotai eine Fasten- und Diätkur gemacht. Das hat mir sehr gut getan.
M: Vielleicht kam die Energie von einer besseren Gesundheit.
F: Das kann ich nicht sagen. Aber als Ergebnis all dieser Versuche begannen an verschiedenen Stellen in meinem Körper Feuer zu brennen und ich hörte Gesänge und Stimmen, wo keine waren.
M: Und was willst du jetzt?
F: Nun, was wollen wir alle? Etwas Wahrheit, etwas innere Gewißheit, etwas wahre Glückseligkeit. In den verschiedenen Schulen der Selbstverwirklichung wird so viel von Gewahrsein gesprochen, daß man am Ende glaubt, das Gewahrsein selbst sei die höchste Wahrheit. Ist das so? Um den Körper kümmert sich der Verstand, der Verstand wird vom Bewußtsein erleuchtet, und über das Bewußtsein wacht das Gewahrsein. Gibt es noch etwas jenseits des Gewahrseins?
M: Woher weißt du, daß du gewahr bist?
F: Ich empfinde, daß ich da bin. Anders kann ich es nicht ausdrücken.
M: Wenn du es sorgfältig vom Verstand über das Bewußtsein bis zum Gewahrsein verfolgst, dann wirst du erkennen, daß die Empfindung der Dualität bestehenbleibt. Erst wenn du über das Gewahrsein hinausgehst, ist dort ein Zustand der Nicht-Dualität, in dem es kein Erkennen gibt, sondern nur reines Sein, das man auch Nichtsein nennen kann, wenn man mit „Sein“ etwas Bestimmtes meint.
F: Was du „reines Sein“ nennst: Ist das universales Sein als ein „alles sein“?
M: „Alles“ bedeutet eine Ansammlung von Einzeldingen. Im reinen Sein gibt es die Vorstellung von einzelnen Dingen nicht.
F: Gibt es dann eine Beziehung zwischen reinem Sein und einzelnem Sein?
M: Welche Beziehung könnte es geben zwischen dem, was ist, und dem, was nur zu sein scheint? Welche Beziehung gibt es zwischen dem Meer und seinen Wellen? Das Wahre läßt das Unwahre erscheinen und wieder verschwinden. Die Abfolge vergänglicher Momente erzeugt die Illusion von Zeit, aber die zeitlose Wahrheit des reinen Seins ist nicht in Bewegung, denn jede Bewegung erfordert einen bewegungslosen Hintergrund. Sie ist selbst der Hintergrund. Sobald du diese zeitlose Wahrheit in dir selbst gefunden hast, weißt du, daß du dieses unabhängige Sein, das von allen Spaltungen und Trennungen unabhängig ist, nie verloren hast. Aber suche nicht im Bewußtsein danach, denn dort kannst du sie nicht finden. Suche nirgendwo, denn nichts enthält sie. Im Gegenteil, sie enthält alles und manifestiert alles. Sie ist wie das Tageslicht, das alles sichtbar macht und dabei selbst unsichtbar bleibt.
F: Welchen Nutzen hat es für mich, wenn du mir sagst, daß die Wahrheit nicht im Bewußtsein gefunden werden kann? Wo sonst soll ich nach ihr suchen? Wie erkennst du sie?
M: Das ist ganz einfach. Wenn ich dich frage, was der Geschmack deines Mundes ist, kannst du nur sagen: Er ist weder süß noch bitter, noch sauer oder scharf. Er ist das, was bleibt, wenn alle Geschmäcker nicht mehr da sind. So bleibt auch die einfache und solide Wahrheit übrig, wenn es keine Unterscheidungen und Reaktionen mehr gibt.
F: Ich verstehe nur, daß ich im Griff einer anfangslosen Illusion bin, und sehe nicht, wie sie enden könnte. Wenn das wirklich möglich wäre, dann wäre es schon vor langer Zeit geschehen, denn ich hatte dazu in der Vergangenheit sicherlich genauso viele Möglichkeiten, wie in der Zukunft. Doch was nicht geschehen konnte, kann offenbar nicht geschehen. Und wenn es doch geschah, konnte es nicht von Dauer sein. Unser beklagenswerter Zustand nach all diesen unzähligen Jahrmillionen birgt bestenfalls das Versprechen eines endgültigen Auslöschens oder, was noch schlimmer ist, die Gefahr einer endlosen und sinnlosen Wiederholung.
M: Welchen Beweis hast du dafür, daß dein gegenwärtiger Zustand ohne Anfang und Ende ist? Wie warst du vor deiner Geburt? Wie wirst du nach dem Tod sein? Und wieviel weißt du über deinen gegenwärtigen Zustand? Du weißt noch nicht einmal, in welchem Zustand du heute morgen vor dem Aufwachen warst? So weißt du nur wenig über deinen gegenwärtigen Zustand und ziehst daraus Schlußfolgerungen für alle Zeiten und Orte. Vielleicht träumst du nur und glaubst, dein Traum sei ewig.
F: Es einen Traum zu nennen, ändert doch nichts an der Situation. Ich wiederhole meine Frage: Welche Hoffnung bleibt übrig, die die Ewigkeit hinter mir nicht bereits erfüllen konnte? Warum sollte meine Zukunft anders sein als meine Vergangenheit?
M: In deinem Fieberzustand projizierst du eine Vergangenheit und eine Zukunft und hältst sie für wahr. Tatsächlich kennst du nur deinen gegenwärtigen Moment. Warum untersuchst du nicht, was jetzt ist, anstatt eine imaginäre Vergangenheit und Zukunft? Dein gegenwärtiger Zustand ist weder anfangs- noch endlos, sondern geht wie im Flug vorbei. Beobachte genau, woher er kommt und wohin er geht! Dann wirst du bald die zeitlose Wahrheit dahinter entdecken.
F: Warum habe ich das noch nicht getan?
M: Wie jede Welle im Meer versinkt, so kehrt auch jeder Zeitraum zu seiner Quelle zurück. Die Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) besteht darin, die Quelle zu entdecken und dort zu bleiben.
F: Wer entdeckt sie?
M: Der Verstand entdeckt sie.
F: Findet er die Antworten?
M: Er findet heraus, daß er keine (wahren) Fragen hat und daher auch keine Antworten nötig sind.
F: Geboren zu werden ist eine Tatsache, und zu sterben ist eine weitere Tatsache. Wie erscheinen sie dem (wahren) Zeugen?
M: Ein Kind wurde geboren, und ein gealterter Mensch ist gestorben: Das sind nur Ereignisse im Laufe der Zeit.
F: Gibt es Fortschritte beim Bezeugen? Entwickelt sich das Gewahrsein?
M: Das Sichtbare kann viele Veränderungen erfahren, wenn das Licht des Gewahrseins darauf gerichtet wird. Doch es ist nur das Objekt, das sich verändert, nicht das Licht. Wie auch die Pflanzen im Sonnenlicht wachsen, doch die Sonne wächst nicht. Für sich genommen ist sowohl der Körper als auch der Zeuge bewegungslos, aber wenn sie im Verstand zusammengebracht werden, scheinen sich beide zu bewegen.
F: Ja, ich kann erkennen, daß das, was sich bewegt und verändert, nur das „Ich bin“ ist. Wird das „Ich bin“ überhaupt benötigt?
M: Wer braucht es? Es ist da, und zwar jetzt. Doch es hatte einen Anfang und wird ein Ende haben.
F: Was bleibt, wenn das „Ich bin“ verschwunden ist?
M: Es bleibt das, was nicht kommt und geht. Es ist nur der stets gierige Verstand, der solche Vorstellungen von Fortschritt und Entwicklung bis hin zur Perfektion erschafft. Er verstört und redet von Ordnung, und er zerstört und sucht Sicherheit.
F: Gibt es Fortschritt und Entwicklung im Schicksal, im Karma?
M: Karma ist nur ein Speicher von unverbrauchter Energie, unerfüllter Begierden und ungelöster Ängste. Dieser Speicher wird ständig mit neuen Begierden und Ängsten angefüllt. Doch das muß nicht für immer so sein. Erkenne die Ursache deiner Ängste in der Entfremdung von dir selbst und die Ursache deiner Begierden in der Sehnsucht nach dir selbst, und dein Karma wird sich wie ein Traum auflösen. Dann geht das Leben zwischen Himmel und Erde weiter, aber beherrscht dich nicht, denn nur Körper wachsen und verfallen.
F: Welche Beziehung besteht zwischen der Person und dem Zeugen?
M: Es kann (eigentlich) keine Beziehung zwischen ihnen geben, weil sie im Grunde eins sind. Trenne sie nicht und suche keine Beziehung!
F: Wenn der Seher und das Gesehene eins sind, wie kam es dann zur Trennung?
M: Fasziniert von Namen und Formen, die von Natur aus unterschiedlich und vielfältig sind, unterscheidest du, was natürlich zusammengehört, und trennst, was eins ist. Die Welt ist reich an Vielfalt, während dein ängstliches Gefühl der Armut nur auf Mißverständnisse zurückzuführen ist. Es ist dein Körper, der gefährdet ist, nicht du selbst.
F: Ich kann erkennen, daß die grundlegende biologische Angst als Fluchtinstinkt viele Formen annimmt und meine Gedanken und Gefühle verzerrt. Doch wie entstand diese Angst?
M: Das ist ein Geisteszustand, der durch die Vorstellung „Ich bin der Körper“ verursacht wird. Er kann durch die gegenteilige Vorstellung „Ich bin nicht der Körper“ beseitigt werden. Beide Vorstellungen sind zwar falsch, aber die eine zerstört die andere. So erkenne schließlich, daß keine Vorstellungen deine eigenen sind, denn sie kommen alle von außen zu dir. Du mußt sie alle für dich selbst wegdenken und selbst zum Objekt deiner Meditation werden. Der Versuch, dich selbst zu erkennen, ist Yoga. Sei ein Yogi, gib dein Leben dafür, grüble, staune und suche, bis du zur Wurzel des Irrtums und dann zur Wahrheit jenseits des Irrtums kommst!
F: Wer meditiert in der Meditation, die Person oder der Zeuge?
M: Meditation ist ein bewußter Versuch, in die höheren Bewußtseinszustände vorzudringen und schließlich darüber hinauszugehen. Die Kunst der Meditation ist es, die Aufmerksamkeit auf immer subtilere Ebenen zu verlagern, ohne die zurückgelassenen Ebenen aus den Augen zu verlieren. In gewisser Weise ist es, als hätte man den Tod unter Kontrolle. Man beginnt mit den untersten Ebenen: Soziale Umstände, Sitten und Gewohnheiten, physische Umgebung, die Haltung und Atmung des Körpers, die Sinne mit ihren Gefühlen und Wahrnehmungen, der Verstand mit seinen Gedanken und Empfindungen, bis der gesamte Mechanismus der Persönlichkeit erfaßt und kontrolliert ist. Die letzte Stufe der Meditation ist erreicht, wenn das Identitätsgefühl über das „Ich bin dies und das“, „Ich bin da“ und „Ich bin nur der Zeuge“ hinausgeht, jenseits von „Es ist“ und allen Vorstellungen in das unpersönlich-persönliche reine Dasein. Aber du mußt ernsthaft und energisch sein, wenn du meditierst. Es handelt sich definitiv um keine Teilzeitbeschäftigung. Beschränke alle deine Interessen und Aktivitäten nur noch auf das, was für dich und deine Angehörigen wirklich nötig ist. Verwende alle deine Energie und Zeit, um die Mauer (der „Vorstellungen“) zu durchbrechen, die dein Verstand um dich herum aufgebaut hat. Glaube mir, und du wirst es nicht bereuen!
F: Wie erkenne ich dann, daß meine Erfahrung universal ist?
M: Am Ziel deiner Meditation erkennst du alles auf direkte Weise, und es sind keinerlei Beweise mehr erforderlich. Wie jeder Tropfen des Ozeans den Geschmack des Ozeans in sich trägt, so trägt auch jeder Augenblick den Geschmack der Ewigkeit in sich. Definitionen und Beschreibungen haben ihren Zweck als nützliche Anreize für die weitere Suche, doch du mußt über sie hinausgehen und dich auf das konzentrieren, was undefinierbar und unbeschreiblich ist, außer in Negationen. Schließlich sind auch Universalität und Ewigkeit bloße Konzepte als Gegensätze der Orts- und Zeitgebundenheit. Die Wahrheit ist weder ein Konzept noch die Manifestation eines Konzepts. Sie hat nichts mit Konzepten zu tun. Kümmere dich um deinen Verstand und entferne seine Verzerrungen und Unreinheiten. Wenn du einmal den Geschmack von deinem eigenen Selbst kennengelernt hast, wirst du ihn überall und jederzeit finden. Deshalb ist es so wichtig, dies zu erreichen. Wenn du es einmal kennst, wirst du es nie mehr verlieren. Doch du mußt dir selbst die Möglichkeit dazu geben, indem du intensiv meditierst und dich darum bemühst.
F: Was genau soll ich tun?
M: Brüte mit Herz und Verstand über das „Ich bin“, was es ist, wie es ist und was seine Quelle, sein Leben und seine Bedeutung ist. Das gleicht dem Graben eines Brunnens: Du verwirfst alles, was kein Wasser ist, bis du die lebensspendende Quelle erreichst.
F: Woher weiß ich, daß ich in die richtige Richtung gehe?
M: Durch deine Fortschritte in der Absicht, in der Klarheit und der Hingabe an das Ziel.
F: Uns Europäern fällt die Stille besonders schwer, denn die Welt beschäftigt uns zu sehr.
M: Oh nein, ihr seid auch Träumer, und wir unterscheiden uns nur im Inhalt der Träume. Ihr strebt nach Perfektion in der Zukunft, und wir wollen sie im Jetzt finden. Doch nur das Begrenzte läßt sich perfektionieren. Das Unbegrenzte ist bereits perfekt. So bist auch du perfekt, aber weißt es nicht. Lerne dich selbst erkennen, und du wirst Wunder entdecken! Alles, was du brauchst, ist bereits in dir. Du mußt dich nur mit Ehrfurcht und Liebe nähern. Sich selbst zu verurteilen und zu mißtrauen sind schwerwiegende Fehler. Deine ständige Flucht vor dem Leiden und die Suche nach dem Glück sind Zeichen der Liebe, die du zu dir selbst hegst. Ich bitte dich nur darum: Mach die Liebe zu dir selbst perfekt! Verweigere dir selbst nichts, vereine dich der Unendlichkeit und Ewigkeit und entdecke, daß du sie nicht brauchst, denn du bist jenseits davon.
Fragender: Ein Krieg ist ausgebrochen. Wie stehst du dazu?
Maharaj: Irgendwo und irgendwie gibt es immer Krieg. Gab es jemals eine Zeit ohne Krieg? Manche sagen sogar, das sei der Wille Gottes. Andere sagen, es sei das Spiel Gottes. Was nur eine andere Art ist auszudrücken, daß Kriege unvermeidlich sind und niemand dafür verantwortlich ist.
F: Doch was ist deine eigene Einstellung?
M: Warum willst du mir eine Einstellung aufzwingen? Ich habe keine Einstellung, die ich mein Eigen nennen könnte.
F: Sicherlich ist doch jemand für dieses schreckliche und sinnlose Blutbad verantwortlich. Warum töten sich Menschen gegenseitig so bereitwillig?
M: Suche nach dem Schuldigen im Inneren! Die Vorstellungen von „Ich“ und „Mein“ sind die Wurzel aller Konflikte. Sei frei von ihnen, und du wirst auch frei von Konflikten sein.
F: Das würde doch den Krieg nicht beeinflussen, wenn ich von Konflikten frei wäre. Wenn ich die Ursache des Krieges wäre, dann wäre ich bereit, zu sterben. Doch es liegt auf der Hand, daß auch der Tod von Tausenden wie mir die Kriege in der Welt nicht stoppen wird. Denn sie begannen nicht mit meiner Geburt und enden auch nicht mit meinem Tod. Ich bin also nicht verantwortlich. Wer ist es dann?
M: Streit und Kampf sind ein Teil der Existenz. Warum fragst du nicht, wer für die Existenz verantwortlich ist?
F: Warum sagst du, daß Existenz und Konflikt untrennbar verbunden sind? Kann es ohne Streit keine Existenz geben? Ich muß doch nicht gegen andere kämpfen, um ich selbst zu sein.
M: Du kämpfst ständig gegen andere, und zwar um dein Überleben als separater Körper-Verstand mit einem bestimmten Namen und einer bestimmten Form. So mußt du zerstören, um zu leben. Vom Moment deiner Zeugung an hast du einen Krieg mit deiner Umwelt begonnen, einen gnadenlosen Krieg der gegenseitigen Vernichtung, bis dich der Tod befreit.
F: Meine Frage bleibt unbeantwortet. Du beschreibst lediglich, was ich bereits kenne, nämlich das Leben und seine Sorgen. Aber wer dafür verantwortlich ist, sagst du nicht. Wenn ich dich dazu dränge, dann schiebst du die Schuld auf Gott oder mein Karma oder auf meine eigene Begierde und Angst, was lediglich zu weiteren Fragen führt. Bitte gib mir eine endgültige Antwort!
M: Die endgültige Antwort lautet: Nichts ist. Alles erscheint nur vorrübergehend im Bereich des universalen Bewußtseins. Die Kontinuität als Name und Form ist nur eine Formation (bzw. „Information“) des Verstandes, die leicht aufzulösen ist.
F: Ich frage aber nach dem Gegenwärtigen, dem Vergänglichen und der Erscheinung. Hier ist ein Bild eines von Soldaten getöteten Kindes. Das ist eine Tatsache, die dich anstarrt. So etwas kann man doch nicht leugnen. Wer ist nun für den Tod des Kindes verantwortlich?
M: Niemand und jeder. Die Welt ist das, was sie enthält, und jede Sache beeinflußt alle anderen. Wir alle töten das Kind, und wir alle sterben mit ihm. Jedes Ereignis hat unzählige Ursachen und erzeugt unzählige Wirkungen. Es ist sinnlos, darüber Buch zu führen, denn nichts ist nachvollziehbar.
F: Dein Volk spricht hier von Karma und Vergeltung.
M: Das ist nur eine grobe Annäherung. In Wirklichkeit sind wir alle Schöpfer und Geschöpfe des anderen, und so verursachen und tragen wir gegenseitig jede Last.
F: Also leiden die Unschuldigen für die Schuldigen?
M: In unserer Unwissenheit sind wir unschuldig, und in unserem Handeln sind wir schuldig. Wir sündigen, ohne es zu wissen, und leiden, ohne es zu erkennen. Unsere einzige Hoffnung ist: Innehalten, hinschauen, erkennen und aus den Fallen der Erinnerung herauskommen. Denn die Erinnerung nährt die Vorstellung, und die Vorstellung erzeugt Begierde und Angst.
F: Warum stelle ich mir überhaupt etwas vor?
M: Das Licht des Bewußtseins geht durch den Film der Erinnerung und wirft Bilder auf deinen Verstand. Und aufgrund des mangelhaften und ungeordneten Zustands deines Verstandes wird deine Wahrnehmung durch Gefühle von Zuneigung und Abneigung verzerrt und gefärbt. Bring dein Denken in Ordnung und befreie es von emotionalen Überlagerungen, und du wirst die Menschen und Dinge so sehen, wie sie sind, mit Klarheit und Liebe. Der Zeuge von Geburt, Leben und Tod ist ein und derselbe. Es ist der Zeuge von Leid und Liebe, denn obwohl die Existenz durch Begrenzung und Trennung leidvoll ist, lieben wir sie. Wir lieben sie und hassen sie gleichzeitig. Wir kämpfen, wir töten, wir zerstören Leben und Besitz, und sind dennoch liebevoll und aufopfernd. Wir pflegen das Kind mit Liebe und machen es auch zum Waisenkind. So ist unser Leben voller Widersprüche, und trotzdem halten wir daran fest. Dieses Festhalten ist die Wurzel von allem, obwohl es völlig oberflächlich ist. Wir halten uns mit aller Kraft an etwas oder jemandem fest, und im nächsten Moment vergessen wird es, wie ein Kind, das seine Sandkuchen formt und sie leicht wieder vergißt. Berühre sie, und es wird vor Wut schreien. Doch lenke das Kind ab, und es vergißt sie. Denn unser Leben ist jetzt, und die Liebe dazu ist jetzt. Wir lieben die Abwechslung, das Spiel von Leid und Lust, und sind fasziniert von Kontrasten. Dazu brauchen wir die Gegensätze und ihre scheinbare Trennung. Wir genießen sie eine Zeit lang, doch werden dann müde und sehnen uns nach der Ruhe und Stille des reinen Daseins. Das kosmische Herz schlägt unaufhörlich. Ich bin der Zeuge und auch das Herz.
F: Ich kann das Bild sehen, aber wer ist der Maler? Wer ist für diese schreckliche und doch so bezaubernde Erfahrung verantwortlich?
M: Der Maler ist im Bild selbst. Du trennst den Maler vom Bild und suchst ihn. Trenne nicht und stell keine falschen Fragen! Die Dinge sind so, wie sie sind, und kein Einzelner trägt die Verantwortung. Die Vorstellung einer persönlichen Verantwortung entspringt der Illusion eines persönlich Handelnden: „Jemand muß es getan haben, und jemand ist dafür verantwortlich.“ Die heutige Gesellschaft mit ihrem Rahmen aus Gesetzen und Bräuchen basiert auf der Vorstellung einer eigenständigen und verantwortlichen Persönlichkeit, doch das ist nicht die einzig mögliche Form, die eine Gesellschaft annehmen kann. Es kann auch andere Formen geben, bei denen das Gefühl der Trennung schwach und die Verantwortung verteilt ist.
F: Ist ein Mensch mit einem schwachen Persönlichkeitsgefühl der Selbstverwirklichung näher?
M: Nimm das Beispiel eines kleinen Kindes: Das „Ich bin“ Gefühl ist noch nicht ausgebildet und die Persönlichkeit ist rudimentär. Es gäbe nur wenige Hindernisse für die Selbsterkenntnis, doch die Kraft und Klarheit des Gewahrseins sowie seine Weite und Tiefe fehlen. Im Laufe der Jahre wird das Gewahrsein stärker, aber auch die veranlagte Persönlichkeit wird erscheinen und es verdunkeln und verkomplizieren. Je härter das Holz, desto heißer die Flamme, und je stärker die Persönlichkeit, desto heller das Licht, das durch ihre Vernichtung erzeugt wird.
F: Hast du keine Probleme?
M: Natürlich habe ich auch Probleme, das sagte ich dir bereits. Mit Namen und Form zu existieren, ist schmerzlich, doch ich liebe es.
F: Denn du liebst alles!
M: Alles ist in der Existenz enthalten, und meine Natur ist zu lieben. Selbst das Schmerzliche ist liebenswert.
F: Das macht es nicht weniger schmerzlich. Warum nicht im Unbegrenzten bleiben?
M: Es ist der Entdeckertrieb und die Liebe zum Unbekannten, die mich in die Existenz bringen. Es liegt in der Natur des Seins, im Werden ein Abenteuer zu sehen, so wie es in der Natur des Werdens liegt, den Frieden im Sein zu suchen. Dieser Wechsel von Sein und Werden ist unvermeidlich, doch mein Zuhause ist jenseits davon.
F: Ist dein Zuhause in Gott?
M: Einen Gott zu lieben und anzubeten ist auch Unwissenheit. Mein Zuhause ist jenseits aller Vorstellungen, so erhaben sie auch sein mögen.
F: Aber Gott ist keine Vorstellung! Er ist die Wahrheit jenseits der Existenz.
M: Du kannst jedes beliebige Wort verwenden: Was auch immer du dir vorstellst, ich bin jenseits davon.
F: Wenn du dein Zuhause kennst, warum bleibst du dann nicht dort? Was zieht dich heraus?
M: Aus Liebe zur gemeinschaftlichen Existenz wird man geboren, und wenn man einmal geboren ist, folgt man dem Schicksal, denn das Schicksal ist untrennbar mit dem Werden verbunden. Der Wunsch, etwas Besonderes zu sein, macht dich zu einem Menschen mit all seiner persönlichen Vergangenheit und Zukunft. Schau dir einen berühmten Menschen an: Was für ein wunderbarer Mensch er war! Und doch, wie schwierig war sein Leben, und wie begrenzt waren seine Früchte. Wie völlig abhängig ist die Person des Menschen, und wie gnadenlos seine Welt. Und doch lieben und beschützen wir sie trotz ihrer Bedeutungslosigkeit.
F: Der Krieg tobt und es herrscht Chaos, und du wirst gebeten, die Leitung einer Verpflegungsstation zu übernehmen. Man gibt dir das Nötige, und nun liegt es an dir, diese Aufgabe zu erfüllen. Würdest du es ablehnen?
M: Arbeiten oder nicht arbeiten ist für mich ein und dasselbe. Ich kann die Verantwortung übernehmen oder auch nicht. Vielleicht gibt es auch andere, die für solche Aufgaben besser geeignet sind als ich, zum Beispiel professionelle (bzw. „berufene“) Versorger, denn meine Haltung ist anders. Ich betrachte den Tod nicht als ein Unglück, wie ich auch in der Geburt eines Kindes kein Glück sehe. Auf das Kind warten Probleme, die der Tote hinter sich hat. Anhaftung am Leben ist Anhaftung am Leiden, und wir lieben, was uns Schmerzen bereitet. Das ist unsere (weltliche) Natur. Für mich wird die Stunde des Todes ein Moment der Freude sein, nicht der Angst. Ich habe geweint, als ich geboren wurde, und werde lachend sterben.
F: Wie verändert sich das Bewußtsein im Moment des Todes?
M: Welche Veränderung erwartest du? Am Ende einer Filmvorführung bleibt alles wie zuvor. Der Zustand vor deiner Geburt wird auch der Zustand nach dem Tod sein, falls du dich erinnerst.
F: Ich erinnere mich an nichts.
M: Weil du es nie versucht hast. Es ist nur eine Frage, den Verstand darauf einzustimmen, und erfordert natürlich etwas Übung.
F: Warum engagierst du dich nicht in der Sozialarbeit?
M: Ich mache doch die ganze Zeit nichts anderes. Welche soziale Arbeit sollte ich sonst noch leisten? Teillösungen sind nichts für mich. Meine Position ist klar: Produziere, um es zu verteilen, ernähre, bevor du ißt, gib, bevor du nimmst, und denke an andere, bevor du an dich selber denkst. Nur eine uneigennützige Gesellschaft, die auf Teilen basiert, kann stabil und glücklich sein. Dies ist die einzig praktikable Lösung. Wenn du sie nicht willst, dann kämpfe.
F: Das ist alles eine Frage der Gunas (der drei natürlichen Grundqualitäten von Güte, Leidenschaft und Trägheit). Wo Tamas und Rajas vorherrschen, muß es Krieg geben. Wo Sattwa herrscht, wird Frieden sein.
M: Wie auch immer du es ausdrückst, es kommt auf dasselbe hinaus. Die Gesellschaft basiert auf Motiven. Wenn der gütige Wille zum Fundament wird, braucht sie keine besonderen Sozialarbeiter.
F: So wird die Welt besser.
M: Die Welt hatte alle Zeit, sich zu verbessern, doch sie tat es nicht. Welche Hoffnung gibt es also für die Zukunft? Natürlich gab und wird es Zeiten der Harmonie und des Friedens geben, in denen Sattwa vorherrscht, doch alles wird durch seine eigene Vollkommenheit zerstört. Eine vollkommene Gesellschaft ist notwendigerweise statisch, und wenn sie stagniert, dann verfällt sie. Vom Gipfel führen alle Wege nach unten. Gesellschaften sind wie Menschen: Sie werden geboren, wachsen zu einem gewissen Grad relativer Vollkommenheit und verfallen dann wieder und sterben.
F: Gibt es nicht einen Zustand absoluter Vollkommenheit, der nicht verfällt?
M: Alles, was einen Anfang hat, muß auch ein Ende haben. Nur im Zeitlosen ist alles vollkommen, im hier und jetzt.
F: Werden wir zu gegebener Zeit das Zeitlose erreichen?
M: Zu gegebener Zeit werden wir nur zum Ausgangspunkt zurückkehren. Die Zeit kann uns nicht aus der Zeit herausholen, so wie der Raum uns nicht aus dem Raum herausholen kann. Das Warten bringt nur noch mehr Warten mit sich. Absolute Vollkommenheit gibt es nur hier und jetzt, nicht in einer nahen oder fernen Zukunft. Das Geheimnis liegt im Handeln, und zwar hier und jetzt. Es ist dein Verhalten (und „Behalten“), das dich dir selbst gegenüber blind macht. Ignoriere alles, wofür du dich hältst, und handle so, als wärst du absolut vollkommen - was auch immer deine Vorstellung von Vollkommen sein mag. Alles, was du brauchst, ist Mut.
F: Wo finde ich solchen Mut?
M: In dir selbst natürlich. Schau nach innen!
F: Deine Gnade wird mir helfen.
M: Meine Gnade sagt dir jetzt: Schau nach innen! Du hast bereits alles, was du brauchst. Benutze es! Verhalte dich so gut, du kannst, und tue, was du für richtig hältst. Hab keine Angst vor Fehlern! Du kannst sie jederzeit korrigieren, nur die Motivation zählt. Welche Form die Dinge annehmen, liegt nicht in deiner Macht, aber die Motivation deines Handelns.
F: Wie kann aus Unvollkommenheit geborenes Handeln zur Vollkommenheit führen?
M: Handeln führt nicht zur Vollkommenheit, doch Vollkommenheit drückt sich im Handeln aus. Während du dich selbst durch deinen Ausdruck prüfst, schenkst du ihm größte Achtsamkeit. Und wenn du dann dein eigenes Dasein erkennst, wird dein Verhalten vollkommen sein, ganz spontan.
F: Wenn ich zeitlos vollkommen bin, warum wurde ich dann überhaupt geboren? Was ist der Sinn dieses Lebens?
M: Das ist, als würde man fragen: Was nützt es, wenn Gold zu einem Schmuckstück verarbeitet wird? Das Schmuckstück bekommt die Farbe und Schönheit des Goldes, und das Gold selbst wird damit nicht bereichert. Ebenso macht die in Handlungen ausgedrückte Wahrheit die Handlung bedeutungsvoll und schön.
F: Was gewinnt das Wahre durch seine Ausdrucksformen?
M: Was kann es gewinnen? Eigentlich gar nichts. Aber es liegt in der Natur der Liebe, sich auszudrücken, sich zu bestätigen und Schwierigkeiten zu überwinden. Sobald du erkannt hast, daß die ganze Welt gelebte Liebe ist, wirst du sie mit ganz anderen Augen sehen. Aber zuerst muß sich deine Einstellung zum Leiden ändern. Leiden ist in erster Linie ein Ruf nach Aufmerksamkeit, was in sich selbst ein Ausdruck der Liebe ist. Liebe will mehr als nur Glück, sondern Wachstum, Erweiterung und Vertiefung des Bewußtseins und des Seins. Was dies verhindert, wird zur Ursache von Schmerz, und die Liebe schreckt nicht vor Schmerz zurück. Sattwa, die Energie, die für Gerechtigkeit und geordnete Entwicklung arbeitet, darf nicht vereitelt werden. Wenn sie verhindert wird, dann wendet sie sich gegen sich selbst und wirkt zerstörend. Wann immer die Liebe zurückgehalten wird und sich das Leiden ausbreitet, wird Krieg unvermeidlich. So bringt unsere Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden unseres Nächsten das Leiden in unser eigenes Haus.
Fragender: Du sagtest neulich, daß die Wurzel deiner Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) das Vertrauen in deinen Guru war. Er versicherte dir, daß du bereits die Absolute Wahrheit bist und nichts mehr getan werden müsse. Du hast ihm vertraut und es dabei belassen, ohne dich anzustrengen, ohne dich zu bemühen. Meine Frage lautet nun: Hättest du es auch ohne Vertrauen in deinen Guru verwirklicht? Denn was du bist, das bist du, ob dein Verstand nun vertraut oder nicht. Können Zweifel die Wirkung der Worte des Gurus behindern und sie wirkungslos machen?
Maharaj: Du sagst es, sie würden für einige Zeit wirkungslos bleiben.
F: Und was würde mit der Energie oder Kraft in den Worten des Gurus geschehen?
M: Sie würde latent und unmanifestiert bleiben. Doch deiner gesamten Frage liegt ein Mißverständnis zugrunde. Der Meister, der Schüler, die Liebe und das Vertrauen zwischen ihnen, das ist eine einzige Tatsache und nicht viele unabhängige Tatsachen. Jeder ist ein Teil des anderen. Ohne Liebe und Vertrauen hätte es weder einen Guru noch einen Schüler und auch keine Beziehung zwischen ihnen gegeben. Es ist, als würde man einen Schalter betätigen, um eine elektrische Lampe anzuzünden. Nur weil die Lampe, die Verkabelung, der Schalter, der Transformator, die Übertragungsleitungen und das Kraftwerk ein Ganzes bilden, entsteht das Licht. Fehlt irgendein Faktor, dann gäbe es kein Licht. Du solltest das Untrennbare nicht trennen. Worte schaffen keine Tatsachen, sondern beschreiben sie nur mehr oder weniger verzerrt. Die Tatsache selbst ist immer unbeschreiblich.
F: Ich verstehe es immer noch nicht. Kann das Wort des Gurus unerfüllt bleiben, oder wird es sich in jedem Fall als wahr erweisen?
M: Die Worte eines Verwirklichten verfehlen niemals ihr Ziel. Sie warten darauf, daß die richtigen Bedingungen entstehen, was einige Zeit dauern kann. Und das ist ganz natürlich, denn es gibt eine Zeit für die Aussaat und eine Zeit für die Ernte. Dabei ist das Wort eines Gurus ein Samen, der nicht vergehen kann. Natürlich muß der Guru ein wahrer Guru sein, der jenseits von Körper und Verstand ist, jenseits des Bewußtseins selbst, jenseits von Raum und Zeit, jenseits von Dualität und Einheit, jenseits von Verständnis und Beschreibung. Die guten Menschen, die viel gelesen und viel zu sagen haben, können dir viele nützliche Dinge beibringen, aber sie sind nicht die wahren Gurus, deren Worte immer wahr werden. Sie sagen dir vielleicht auch, daß du die Höchste Wahrheit bist, doch was sagt dir das?
F: Wenn ich dir aus irgendeinem Grund vertraue und gehorche, werde ich dann der Verlierer sein?
M: Wenn du vertrauen und gehorchen kannst, dann wirst du bald deinen wahren Guru finden, oder besser gesagt, er wird dich finden.
F: Wird jeder, der das Selbst erkennt, ein Guru, oder kann man die Wahrheit kennen, ohne andere dahin zu führen?
M: Wenn du wirklich erkannt hast, was du lehrst, dann kannst du auch lehren, was du erkennst, denn dann sind Seher und Lehrer eins. Aber die reine Wahrheit liegt jenseits von beiden. Die selbsternannten Gurus reden von Reife und Anstrengung, von Verdiensten und Erfolgen, von Schicksal und Gnade, doch all dies sind (oft) nur gedankliche Vorstellungen und Projektionen eines süchtigen Verstandes, und anstatt zu helfen, behindern sie.
F: Wie kann ich erkennen, wem ich folgen und wem ich mißtrauen soll?
M: Mißtraue allen, bis du überzeugt bist. Der wahre Guru wird dich niemals erniedrigen oder von dir selbst entfremden. Er wird dich immer wieder auf die Tatsache deiner innewohnenden Vollkommenheit zurückführen und dich ermutigen, nach innen zu suchen. Er weiß, daß du nichts brauchst, nicht einmal ihn, und wird nie müde, dich daran zu erinnern. Während sich der selbsternannte Guru mehr um sich selbst kümmert als um seine Schüler.
F: Du sagtest, daß die Wahrheit jenseits des Wissens und der Lehre von der Wahrheit liegt. Ist nicht das Wissen von der Wahrheit das Höchste selbst und die Lehre der Beweis für deren Verwirklichung?
M: Das Wissen um die Wahrheit oder um das Höchste ist ein Zustand des Verstandes, und andere zu belehren ist eine Bewegung in der Dualität. Beide betreffen nur den Verstand, wie auch Sattwa immer noch zu den Gunas (den natürlichen Qualitäten) gehört.
F: Was ist dann das Wahre?
M: Wer den Verstand als unwirklich und wirklich erkennt, wer also Unwissenheit und Wissen als Zustände des Verstands erkennt, der ist das Wahre. Wenn du eine Mischung aus Kieselsteinen und Diamanten erhältst, dann kann es sein, daß du die Diamanten übersiehst oder aber entdeckst. Das Sehen ist entscheidend. Wo wäre das Grau der Kiesel und die Schönheit des Diamanten ohne die Fähigkeit des Sehens (und Erkennens)? Das Gewußte ist nur eine Form, das Wissen nur ein Name (bzw. Begriff), und der Wissende nur ein Zustand des Verstandes. Das Wahre liegt jenseits davon.
F: Doch sicherlich sind objektives Wissen und Vorstellungen von Dingen nicht dasselbe wie das Wissen vom Selbst. Das eine braucht ein Gehirn, das andere nicht.
M: Zum Zweck der Diskussion kann man Worte arrangieren und ihnen eine Bedeutung geben, aber Tatsache bleibt, daß alles Wissen eine Form von Unwissenheit ist. Auch die genaueste Landkarte ist nur auf Papier gezeichnet. So ist auch alles Wissen im Gedächtnis und nur ein Wiedererkennen, während die Wahrheit jenseits der Dualität des Wissenden und Gewußten liegt.
F: Woran erkennt man dann die Wahrheit?
M: Wie irreführend deine Sprache ist! Du gehst unbewußt davon aus, daß die Wahrheit auch durch Wissen ergreifbar ist. Und dann stellst du dir einen Wissenden der Wahrheit jenseits der Wahrheit vor. Erkenne doch, daß man die Wahrheit nicht wissen muß, um sie zu sein. Unwissenheit und Wissen sind im Verstand, und nicht in der Wahrheit.
F: Wenn es kein Wissen über die Wahrheit gibt, wie kann ich sie dann erreichen?
M: Du mußt nicht danach greifen, was du bereits bist. Schon allein durch deine Bemühung verlierst du es. Gib die Vorstellung auf, daß du es noch nicht gefunden hast, und laß es einfach hier und jetzt in den Fokus der direkten Wahrnehmung rücken, indem du alles entfernst, was dem Verstand angehört.
F: Wenn alles weg ist, was bleibt?
M: Die Leere bleibt, das Gewahrsein bleibt, und das reine Licht des bewußten Daseins bleibt. Es ist, als würde man fragen, was von einem Raum übrigbleibt, wenn alle Möbel entfernt wurden. Es bleibt ein sehr brauchbarer Raum übrig. Und selbst wenn die Wände eingerissen werden, bleibt der Raum. So bleibt auch jenseits von Raum und Zeit das Hier und Jetzt der Wahrheit.
F: Bleibt auch der Zeuge?
M: Solange es Bewußtsein gibt, ist auch dessen Zeuge da. Die beiden erscheinen und verschwinden gemeinsam.
F: Wenn auch der Zeuge vergänglich ist, warum wird ihm dann so viel Achtsamkeit geschenkt?
M: Nur um den Bann des Gewußten zu brechen, die Illusion, daß nur das Wahrnehmbare wahr ist.
F: Die Wahrnehmung ist primär, der Zeuge sekundär.
M: Das ist der Kern der Sache! Solange du glaubst, daß nur die äußere Welt wahr ist, bleibst du ihr Sklave. Um frei zu werden, muß deine Achtsamkeit auf das „Ich bin“ als den Zeugen gerichtet werden. Natürlich sind der Wissende und das Gewußte eins und nicht zwei, aber um den Bann des Gewußten zu brechen, muß der Wissende in den Vordergrund gerückt werden. Doch keins von beiden ist primär, denn beide sind nur Reflexionen in der Erinnerung an die unbeschreibliche Erfahrung, die immer neu und immer gegenwärtig ist, unbegreifbar und schneller als der Verstand.
F: Mein Herr, ich bin nur ein einfacher Suchender, der auf der Suche nach Erlösung von Guru zu Guru wandert. Mein Geist ist krank, brennt vor Verlangen und erstarrt vor Angst. Meine Tage vergehen wie im Flug, rot vor Schmerz und grau vor Langeweile. Ich werde immer älter, meine Gesundheit verschlechtert sich, meine Zukunft ist düster und beängstigend. Wenn es so weitergeht, werde ich sorgenvoll leben und verzweifelt sterben. Gibt es noch Hoffnung für mich? Oder ist es bereits zu spät?
M: Mit dir ist nichts verkehrt, nur die Vorstellungen, die du von dir selbst hast, sind völlig verkehrt. Nicht du selbst bist es, der begehrt, sich ängstigt und leidet, sondern die Person, die durch Umstände und Einflüsse auf dem Fundament deines Körpers aufgebaut wurde. Du selbst bist nicht diese Person! Das muß fest im Geist verankert sein und darf niemals aus den Augen verloren werden. Normalerweise bedarf es einer längeren Übung (Sadhana) mit jahrelanger Askese und Meditation.
F: Mein Geist ist schwach und schwankt. Ich habe weder die Kraft noch die Beharrlichkeit für Sadhana. Mein Fall ist hoffnungslos.
M: Ganz im Gegenteil, in gewisser Weise bist du ein höchst hoffnungsvoller Fall. Denn es gibt eine Alternative zum Sadhana, nämlich das Vertrauen. Wenn du die Überzeugung nicht aus einer fruchtbaren Suche gewinnen kannst, dann nutze meine Entdeckung, die ich gerne mit dir teilen möchte. Ich kann mit größter Klarheit erkennen, daß du der Wahrheit nie entfremdet warst, noch bist oder sein wirst, sondern hier und jetzt die Fülle der Vollkommenheit bist, und daß dir nichts und niemand dieses Erbe dessen, was du bist, rauben kann. Du bist in keiner Weise anders als ich, nur weißt du es nicht. Du weißt nicht, was du bist, und deshalb stellst du dir vor, daß du etwas bist, was du nicht bist. Daher kommen all die Begierden und Ängste, die überwältigende Verzweiflung und die sinnlosen Versuche, davor zu fliehen. Vertraue mir einfach und lebe in diesem Vertrauen! Ich werde dich nicht in die Irre führen. Du bist die Höchste Wahrheit jenseits der Welt und ihres Schöpfers, jenseits des Bewußtseins und seines Zeugen, jenseits aller Behauptungen und Verneinungen. Erinnere dich daran, denke darüber nach und handle entsprechend. Gib jedes Gefühl der Trennung auf, erkenne dich selbst in allem und handle danach. Mit den Taten wird die Glückseligkeit kommen und damit auch die Überzeugung. Schließlich zweifelst du nur an dir selbst, weil du traurig bist. Natürliche, spontane und dauerhafte Freude kann man sich nicht vorstellen. Entweder ist sie da oder nicht da. Sobald du beginnst, Frieden, Liebe und Freude zu erfahren, die keiner äußeren Ursache bedürfen, werden sich alle deine Zweifel auflösen. Halte einfach daran fest, was ich dir gesagt habe, und lebe entsprechend.
F: Du sagst mir, ich solle aus der Erinnerung leben?
M: Du lebst sowieso aus der Erinnerung. Ich bitte dich lediglich, die alten Erinnerungen durch die Erinnerung an das zu ersetzen, was ich dir gesagt habe. Wie du auf deine alten Erinnerungen reagiert hast, so handle nun entsprechend der neuen. Hab keine Angst! Für einige Zeit wird es zwangsläufig einen Konflikt zwischen den alten und neuen Erinnerungen geben, aber wenn du dich entschieden auf die Seite der neuen stellst, wird der Streit bald ein Ende haben. Du wirst den mühelosen Zustand erkennen, du selbst zu sein, und dich nicht mehr von Begierden und Ängsten täuschen lassen, die aus Illusionen entstehen.
F: Viele Gurus haben die Angewohnheit, ein Zeichen ihrer Gnade zu verschenken, ein Kopftuch, ihren Stock, ihre Bettelschale oder ein Gewand, und übertragen oder bestätigen damit die Selbstverwirklichung ihrer Schüler. Ich kann in solchen Praktiken keinen Sinn erkennen. Damit wird keine Selbstverwirklichung vermittelt, sondern nur Selbstgefälligkeit. Welchen irdischen Nutzen hat es, wenn man etwas sehr Schmeichelhaftes erzählt, was dann aber gar nicht wahr ist? Einerseits warnst du mich vor den vielen selbsternannten Gurus, und andererseits möchtest du, daß ich dir vertraue. Warum glaubst du, eine Ausnahme zu sein?
M: Ich bitte dich nicht, mir (persönlich) zu vertrauen. Vertraue meinen Worten und erinnere dich daran. Ich möchte dein Glück, nicht meins. Mißtraue denen, die dich von deinem wahren Dasein trennen und sich dann als Vermittler anbieten. Ich mache nichts dergleichen. Ich gebe nicht einmal irgendwelche Versprechungen. Ich sage nur: Wenn du meinen Worten vertraust und sie auf die Probe stellst, dann wirst du selbst herausfinden, wie vollkommen wahr sie sind. Und wenn du einen Beweis verlangst, bevor du es wagst, kann ich nur sagen: Ich selbst bin der Beweis. Ich vertraute den Worten meines Lehrers und behielt sie im Gedächtnis, und ich fand, daß er Recht hatte, daß ich die unendliche Wahrheit war, bin und sein werde, die alles umfaßt und alles übersteigt. Du sagst ja selbst, daß du weder die Zeit noch die Energie für langwierige Übungen hast. So biete ich dir eine Alternative. Akzeptiere vertrauensvoll meine Worte und lebe ein neues Leben, oder lebe (wie bisher weiter) und sterbe voller Sorgen.
F: Das klingt zu gut, um wahr zu sein.
M: Laß dich nicht von der Einfachheit des Ratschlags täuschen. Es gibt nur sehr wenige, die den Mut haben, dem Unschuldigen und Einfachen zu vertrauen. Die Erkenntnis, daß du ein Gefangener deines Verstandes bist und in einer eingebildeten Welt lebst, die du selbst erschaffen hast, ist der Beginn der Weisheit. Nichts davon zu wollen und bereit zu sein, alles aufzugeben, ist Ernsthaftigkeit. Nur eine solche Ernsthaftigkeit, die aus echter Verzweiflung entsteht, wird dir das Vertrauen in mich geben.
F: Habe ich nicht schon genug gelitten?
M: Das Leiden hat dich abgestumpft und unfähig gemacht, sein ganzes Ausmaß zu erkennen. Deine erste Aufgabe besteht darin, das Leiden in dir und um dich herum zu erkennen, und die nächste im intensiven Verlangen nach Befreiung. Die Intensität des Verlangens wird dich leiten. Du brauchst keinen anderen Führer.
F: Ja, das Leiden hat mich abgestumpft und sogar mir selbst gegenüber gleichgültig gemacht.
M: Vielleicht waren es nicht die Sorgen, sondern die Freuden, die dich abgestumpft haben. Finde es heraus!
F: Was auch immer die Ursache sein mag, ich bin abgestumpft und habe weder Willen noch Energie.
M: Oh nein! Für den ersten Schritt hast du genug, und jeder Schritt erzeugt genügend Energie für den nächsten. Energie kommt mit dem Vertrauen, und das Vertrauen kommt mit der Erfahrung.
F: Ist es denn richtig, den Guru zu wechseln?
M: Warum nicht? Gurus sind wie Wegweiser, und es ist ganz natürlich, von einem zum anderen weiterzugehen. Jeder zeigt dir die Richtung und die Entfernung, während der Sadguru, der ewige Guru, der Weg selbst ist. Sobald du erkennst, daß der Weg das Ziel ist und daß du immer auf dem Weg bist, nicht um ein Ziel zu erreichen, sondern um seine Schönheit und Weisheit zu genießen, dann ist das Leben kein Bemühen mehr und wird natürlich und einfach, in sich selbst eine große Freude.
F: Es gibt also keine Notwendigkeit, zu verehren, zu beten oder Yoga zu praktizieren?
M: Ein bißchen tägliches Auskehren, Waschen und Baden kann nicht schaden. Das Selbst-Gewahrsein sagt dir bei jedem Schritt, was als nächstes zu tun ist. Und wenn alles erledigt ist, bleibt der Verstand still. Jetzt bist du im (traumhaften) Wachzustand, eine Person mit Namen und Form sowie mit Freuden und Leiden. Diese Person war vor deiner Geburt nicht da und wird auch nach deinem Tod nicht da sein. Anstatt mit der Person zu kämpfen, damit sie zu dem wird, was sie niemals ist, warum gehst du nicht über diesen (traumhaften) Wachzustand hinaus und gibst das ganze Privatleben auf? Das bedeutet nicht das Auslöschen der Person, sondern nur die Sicht aus der richtigen Perspektive.
F: Noch eine Frage: Du sagst, daß ich vor meiner Geburt eins mit dem reinen Dasein der Wahrheit war. Wenn dem so ist, wer hat dann entschieden, daß ich geboren werden sollte?
M: In Wahrheit wurdest du nie geboren und wirst niemals sterben. Doch jetzt stellst du dir vor, einen Körper zu haben, und fragst dich, was diesen Zustand verursacht hat. Innerhalb der Grenzen der Illusion lautet die Antwort: Das aus der Erinnerung geborene Begehren zieht diesen Körper an und läßt dich denken, daß du eins mit ihm bist. Dies gilt jedoch nur aus relativer Sicht. Tatsächlich gibt es weder einen Körper noch eine Welt, die ihn enthält. Es gibt nur einen verstandesmäßigen Zustand, einen traumähnlichen Zustand, der sich leicht auflöst, wenn seine Wahrheit hinterfragt wird.
F: Wirst du nach deinem Tod wiederkommen? Wenn ich lange genug lebe, werde ich dich wiedersehen?
M: Für dich ist dieser Körper etwas Wirkliches, für mich gibt es ihn gar nicht. Ich, wie du mich siehst, existiere nur in deiner Vorstellung. Sicherlich wirst du mich wiedersehen, wenn und wann du mich brauchst. Mich beeinflußt das ebensowenig, wie die Sonne von ihren Auf- und Untergängen beeinflußt wird. Und weil es unbeeinflußt da ist, wird es sicherlich auch da sein, wenn es gebraucht wird. Du bist nach Wissen begierig, ich nicht. Ich habe dieses Gefühl der Unsicherheit nicht, das dich so begierig nach Wissen greifen läßt. Ich bin neugierig, wie ein Kind, aber habe keine Ängste, die mich ins (vermeintliche) Wissen flüchten lassen. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen, ob ich wiedergeboren werde oder wie lange diese Welt bestehen wird. Das sind alles Fragen, die aus Angst entstehen.
Fragender: Du sprachst davon, daß es viele selbsternannte Gurus gibt, aber ein wahrer Guru sehr selten ist. Es gibt viele Lehrer, die glauben, sie seien verwirklicht, aber alles, was sie haben, ist Bücherwissen und eine überhebliche Meinung von sich selbst. Manchmal sind sie sehr beeindruckend, sogar faszinierend, ziehen Schüler an und lassen sie ihre Zeit mit sinnlosen Praktiken verschwenden. Und wenn der Schüler nach einigen Jahren seine Bilanz zieht, dann stellt er fest, daß sich nichts verändert hat. Wenn er sich dann bei seinem Lehrer beschwert, bekommt er den üblichen Vorwurf, daß er sich nicht genug Mühe gegeben habe. Die Schuld liegt also beim Mangel an Vertrauen und Liebe im Herzen des Schülers, während die Schuld in Wirklichkeit beim Guru liegt, der eigentlich kein Recht hatte, Schüler anzunehmen und ihre Hoffnungen zu wecken. Wie kann man sich vor solchen Gurus schützen?
Maharaj: Warum kümmerst du dich so sehr um andere? Wer auch immer der Guru sein mag, wenn er mit reinem Herzen und gutem Glauben handelt, dann wird er seinen Schülern auch keinen Schaden zufügen. Wenn es keinen Fortschritt gibt, liegt der Fehler bei den Schülern, ihrer Trägheit und mangelnder Selbstbeherrschung. Wenn der Schüler jedoch ernsthaft ist und sich intelligent und mit Begeisterung seiner Übung widmet, wird er zwangsläufig einen qualifizierteren Lehrer treffen, der ihn weiterbringt. Deine Frage beruht hier auf drei falschen Annahmen: Daß man sich um andere kümmern muß, daß man einen anderen bewerten kann, und daß der Fortschritt des Schülers die Aufgabe und Verantwortung seines Gurus ist. In Wirklichkeit besteht die Rolle des Gurus nur darin, zu unterweisen und zu ermutigen. Der Schüler ist völlig für sich selbst verantwortlich.
F: Uns wurde gesagt, daß völlige Hingabe an den Guru ausreicht und daß der Guru den Rest erledigen wird.
M: Natürlich beginnt ein neues Leben voller Liebe und Schönheit, wenn völlige Hingabe verwirklicht wird, völliger Verzicht auf alle Sorgen um die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sowie um die körperliche und geistige Sicherheit und das eigene Ansehen. Dann ist der Guru nicht mehr wichtig, denn der Schüler hat die Hülle der Selbstverteidigung zerbrochen. Völlige Selbsthingabe ist die Befreiung an sich.
F: Was passiert, wenn sowohl der Schüler als auch sein Lehrer nicht reif genug sind?
M: Auf lange Sicht wird alles gut. Schließlich wird das wahre Selbst beider von der vorrübergehenden Komödie, die sie spielen, nicht beeinflußt. Sie werden vernünftiger und reifer und erreichen eine höhere Ebene ihrer Beziehung.
F: Oder sie trennen sich.
M: Ja, sie können sich auch trennen, denn schließlich gibt es keine Beziehung für die Ewigkeit. Jede Dualität ist ein vorübergehender Zustand.
F: War es ein Zufall, daß ich dich kennengelernt habe, und werden wir uns durch einen weiteren Zufall trennen, um uns nie wiederzusehen? Oder ist unser Zusammentreffen ein Teil eines kosmischen Musters, ein Abschnitt im großen Drama unseres Lebens?
M: Das Wahre ist sinnvoll, und das Sinnvolle bezieht sich auf die Wahrheit. Wenn unsere Beziehung für dich und mich sinnvoll ist, dann kann sie nicht zufällig sein. Die Zukunft beeinflußt die Gegenwart ebenso wie die Vergangenheit.
F: Wie kann ich erkennen, wer ein wahrer Heiliger ist und wer nicht?
M: Das kannst du nicht, es sei denn, du hast einen klaren Einblick in das Herz des Menschen. Der äußerliche Schein trügt. Um klar zu sehen, muß dein Geist rein und ungebunden sein. Wenn du dich selbst nicht richtig erkennst, wie kannst du dann einen anderen erkennen? Und wenn du dich selbst erkennst, dann bist du der andere. Deshalb laß andere zunächst in Ruhe und untersuche dich selbst, denn es gibt so vieles, was du über dich selbst nicht weißt: Was bist du? Wer bist du? Wie kam es, daß du geboren wurdest? Was machst du jetzt und warum? Wohin gehst du? Was ist der Sinn und Zweck deines Lebens, deines Todes und deiner Zukunft? Hast du überhaupt eine Vergangenheit und eine Zukunft? Wie kommt es, daß du in Unruhe und Kummer lebst, während dein ganzes Wesen nach Freude und Frieden strebt? Das sind gewichtige Fragen, die zuerst geklärt werden müssen. Es ist also für dich weder die rechte Zeit noch eine Notwendigkeit herauszufinden, wer ein Heiliger ist und wer nicht.
F: Aber ich muß doch meinen Guru richtig auswählen.
M: Sei der richtige Mann, und der richtige Guru wird dich mit Sicherheit finden.
F: Damit beantwortest du nicht meine Frage: Wie finde ich den richtigen Guru?
M: Doch, ich habe deine Frage beantwortet. Suche nicht nach einem Guru, denke nicht einmal an einen. Mach dein Ziel zu deinem Guru! Schließlich ist der Guru nur ein Mittel zum Zweck und nicht der Zweck an sich. Er selbst ist nicht so wichtig. Wichtig für dich ist, was du von ihm erwartest. Was erwartest du?
F: Durch seine Gnade werde ich glücklich, kraftvoll und friedvoll gemacht.
M: Was für Ambitionen! Wie kann eine zeitlich und räumlich begrenzte Person, ein bloßer Körper-Verstand, ein schmerzlicher Atemzug zwischen Geburt und Tod, glücklich sein? Die Bedingungen dieser Entstehung machen wahres Glück unmöglich. Denn Frieden, Kraft und Glück sind niemals persönliche Zustände, und niemand kann „mein Frieden“ oder „meine Kraft“ sagen, weil das „mein“ eine Abtrennung bedeutet, die zerbrechlich und vergänglich ist.
F: Ich kenne nur meine konditionierte Existenz, und sonst gibt es nichts.
M: Das kannst du so nicht behaupten, denn im Tiefschlaf bist du nicht konditioniert. Wie bereitwillig du schlafen gehst, und wie friedlich, frei und glücklich du im Schlaf bist!
F: Aber davon weiß ich nichts.
M: Sieh es von der anderen Seite: Wenn du schläfst, dann leidest du nicht, bist nicht gebunden und auch nicht unruhig.
F: Ich verstehe. Während ich wach bin, weiß ich, daß ich da bin, aber bin nicht glücklich. Im Schlaf bin ich da und glücklich, aber ich weiß es nicht. Ich muß also nur erkennen, daß ich frei und glücklich bin.
M: Ganz genau! Geh nun nach innen, in einen Zustand, den du mit einem Zustand des Wachschlafs vergleichen kannst, in dem du dir selbst bewußt bist, aber nicht der Welt. In diesem Zustand wirst du ohne den geringsten Zweifel erkennen, daß du im Grunde deines Seins frei und glücklich bist. Das einzige Problem ist, daß du süchtig nach Erfahrungen bist und deine Erinnerungen wertschätzt. In Wahrheit ist es umgekehrt: Das, woran man sich erinnert, ist niemals wahr, denn das Wahre ist immer nur jetzt.
F: Das alles begreife ich verbal, aber es wird kein Teil von mir. Es bleibt wie ein Bild in meinem Verstand, das ich betrachten kann. Ist es denn nicht die Aufgabe des Gurus, diesem Bild Leben einzuhauchen?
M: Auch hier ist es umgekehrt: Das Bild ist lebendig, aber der Verstand ist tot. Wie der Verstand aus Worten und Bildern besteht, so besteht auch jede Reflexion im Verstand. Er verdeckt die Wahrheit mit Worten (bzw. Begriffen) und beschwert sich dann. So sagst du auch, daß es einen Guru braucht, der für dich Wunder vollbringt, und spielst dabei nur mit Worten. Der Guru und sein Schüler sind eine Einheit, wie die Kerze und ihre Flamme. Wenn der Schüler es nicht ernst meint, kann er nicht als Schüler bezeichnet werden. Und wenn ein Guru nicht voller Liebe und Hingabe ist, kann er nicht als Guru gelten. Nur die Wahrheit erzeugt Wahrheit, nicht die Illusion.
F: Ich kann sehen, daß ich falsch bin. Wer kann mich wahr machen?
M: Deine Worte werden es bewirken, denn der Satz „Ich kann sehen, daß ich falsch bin.“ enthält bereits alles, was du zur Befreiung brauchst. Brüte darüber, geh tief hinein und geh der Wurzel auf den Grund. Das funktioniert, denn die Kraft liegt im Wort, nicht in der Person.
F: Das verstehe ich nicht ganz. Einerseits sagst du, daß ein Guru benötigt wird, und andererseits kann der Guru nur Ratschläge geben, aber die Bemühung liegt bei mir. Bitte formuliere es klar: Kann man das Selbst ohne einen Guru verwirklichen, oder ist die Suche nach einem wahren Guru unerläßlich?
M: Wesentlicher ist es, einen wahren Schüler zu finden. Glaube mir, ein wahrer Schüler ist sehr selten, denn in kürzester Zeit verliert er das Bedürfnis nach einem Guru, wenn er sein eigenes Selbst findet. Verschwende also deine Zeit nicht damit, herauszufinden, ob der erhaltene Rat nur auf Wissen oder auf wahrer Erfahrung beruht. Befolge ihn einfach vertrauensvoll, und das Leben wird dir einen anderen Guru bringen, wenn du einen weiteren brauchst. Oder es nimmt dir alle äußere Führung und überläßt dich deinem eigenen Licht. Es ist sehr wichtig zu verstehen, daß es auf die Lehre ankommt und nicht auf die Person des Gurus. Wenn du einen Brief bekommst, der dich zum Lachen oder Weinen bringt, dann ist das nicht der Postbote, der das tut. Der Guru überbringt dir nur die gute Nachricht von deinem wahren Selbst und zeigt dir den Weg dorthin zurück. In gewisser Weise ist der Guru nur sein Bote. Es wird immer viele Botschafter geben, aber die Botschaft ist nur eine: Sei, was du bist! Oder anders ausgedrückt: Bis du dich selbst erkennst, kannst du nicht wissen, wer dein wahrer Guru ist. Und wenn du dich selbst verwirklichst hast, wird dir klar, daß alle Gurus, die du hattest, zu deinem Erwachen beigetragen haben. Nur deine Verwirklichung ist der Beweis dafür, daß dein Guru ein wahrer Guru war. Nimm ihn daher so, wie er ist, tue mit Ernst und Eifer, was er dir sagt, und vertraue darauf, daß dein Herz dich warnt, wenn etwas schiefgeht. Wenn Zweifel aufkommen, dann bekämpfe sie nicht. Halte dich ans Unzweifelhafte und laß das Zweifelhafte in Ruhe.
F: Ich habe einen Guru, und ich liebe ihn sehr. Aber ich weiß nicht, ob er mein wahrer Guru ist.
M: Beobachte dich selbst, und wenn du erkennst, wie du dich veränderst und wächst, dann bedeutet das, daß du den richtigen gefunden hast. Er kann schön oder häßlich, angenehm oder unangenehm sein, dir schmeicheln oder dich beschimpfen - nichts davon zählt, außer der einen entscheidenden Tatsache deines inneren Wachstums. Wenn das nicht geschieht, ist er vielleicht dein Freund, aber nicht dein Guru.
F: Wenn ich mit einem wohlgebildeten Europäer über einen Guru und seine Lehren spreche, dann kommt gewöhnlich die Reaktion: „Der Mann muß verrückt sein, solchen Unsinn zu lehren.“ Was kann ich ihm antworten?
M: Führe ihn zu sich selbst und zeige ihm, wie wenig er sich selbst kennt und wie er die absurdesten Behauptungen über sich selbst als heilige Wahrheit betrachtet. Ihm wurde gesagt, daß er der Körper ist, daß er geboren wurde und sterben wird, daß er Eltern und Verpflichtungen hat, zu mögen lernt, was andere mögen, und zu fürchten, was andere fürchten. Er ist völlig ein Geschöpf der Vererbung und der Gesellschaft, lebt aus Erinnerungen und handelt nach Gewohnheiten. Er kennt sich selbst und seine wahren Interessen nicht, verfolgt verkehrte Ziele und ist ständig frustriert. Sein Leben und sein Tod sind sinnlos und schmerzhaft, und es scheint keinen Ausweg zu geben. Und dann sage ihm, daß es für ihn tatsächlich einen Ausweg gibt, der leicht erreichbar ist, nicht eine Bekehrung zu anderen Vorstellungen, sondern eine Befreiung von allen Vorstellungen und Lebensmustern. Erzähle ihm nichts von Gurus und Schülern, denn diese Denkweise ist nichts für ihn. Sein Weg ist ein innerer Weg, er wird von einem inneren Drang getrieben und von einem inneren Licht geleitet. Lade ihn zur Rebellion ein, und er wird antworten. Versuche nicht, ihm einzureden, daß dieser oder jener ein Verwirklichter sei und als Guru akzeptiert werden könne. Solange er sich selbst nicht vertraut, kann er auch niemand anderen vertrauen. Dieses Vertrauen wird mit der Erfahrung kommen.
F: Wie seltsam! Ich kann mir ein Leben ohne Guru nicht vorstellen.
M: Es ist eine Frage des Temperaments. Auch du hast recht. Für dich ist es genug, das Lob Gottes zu singen. Du brauchst keine Verwirklichung oder Sadhanas begehren. Gottes Name ist alles an Nahrung, was du brauchst. Lebe davon!
F: Ist diese ständige Wiederholung von ein paar Worten nicht auch irgendwie verrückt?
M: Es ist verrückt, aber eine absichtliche Verrücktheit. Jede Wiederholung ist Tamas (Trägheit), doch den Namen Gottes zu wiederholen ist aufgrund seines hohen Ziels Sattwa-Tamas (Güte-Trägheit). Aufgrund der Anwesenheit von Sattwa wird sich Tamas erschöpfen und die Form völliger Gelassenheit, Loslösung, Hingabe, Unabhängigkeit und Unveränderlichkeit annehmen. So wird Tamas zum festen Grund, auf dem ein ganzheitliches Leben gelebt werden kann.
F: Das Unveränderliche - stirbt es?
M: Es ist nur die Veränderung, die stirbt. Das Unveränderliche kann weder leben noch sterben, sondern ist der zeitlose Zeuge von Leben und Sterben. Man kann es nicht tot nennen, denn es ist sich gewahr, und man kann es auch nicht lebendig nennen, denn es verändert sich nicht. Es ist wie dein Tonbandgerät. Es nimmt auf und gibt wieder, ganz von selbst, und du hörst nur zu. Ebenso beobachte ich alles, was geschieht, einschließlich meiner Gespräche mit dir. Ich bin es nicht, der spricht. Die Worte tauchen in meinem Kopf auf, und dann höre ich, wie sie gesprochen werden.
F: Ist das nicht bei jedem so?
M: Wer bestreitet das? Doch du bestehst darauf, daß du selber denkst und sprichst, während für mich Denken und Sprechen einfach da sind.
F: Ich sehe aber immer noch zwei Möglichkeiten: Entweder habe ich einen Guru gefunden, oder nicht. Was ist im jeweiligen Fall das richtige Verhalten?
M: Du bist niemals ohne einen Guru, denn er ist zeitlos in deinem Herzen gegenwärtig. Manchmal nimmt er eine äußerliche Form an und erscheint dir als erhebender und erneuernder Faktor in deinem Leben, als Mutter, Ehefrau oder Lehrer. Oder er bleibt als ein innerer Drang nach Gerechtigkeit und Vollkommenheit. Alles was du tun mußt, ist ihm zu gehorchen und seinen Worten zu folgen. Was er von dir möchte, ist einfach: Lerne Selbstbewußtsein, Selbstbeherrschung und Selbsthingabe. Es mag mühsam erscheinen, aber es ist einfach, wenn du es ernst meinst, und ansonsten ganz unmöglich. Ernsthaftigkeit ist sowohl notwendig als auch ausreichend. Alles weicht der Ernsthaftigkeit.
F: Wie wird man ernsthaft?
M: Mitgefühl ist die Grundlage der Ernsthaftigkeit. Mitgefühl für dich selbst und andere, geboren aus dem eigenen Leiden und dem Leiden anderer.
F: Muß ich leiden, um ernsthaft zu sein?
M: Das ist nicht nötig, wenn du sensibel bist und auf das Leiden anderer reagierst, wie Buddha es tat. Doch wenn du gefühllos und ohne Mitleid bist, wird dich dein eigenes Leiden dazu bringen, die unvermeidlichen Fragen zu stellen.
F: Ich leide, aber wohl nicht genug. Das Leben ist zwar unangenehm, aber erträglich. Meine kleinen Freuden entschädigen mich für meine kleinen Schmerzen, und im Großen und Ganzen geht es mir besser als den meisten Menschen, die ich kenne. Ich weiß aber, daß mein Zustand unzuverlässig ist und daß mich jeden Moment eine Katastrophe überwältigen könnte. Muß ich erst auf eine Krise warten, die mich auf den Weg zur Wahrheit bringt?
M: In dem Moment, in dem du erkennst, wie unzuverlässig dein Zustand ist, bist du bereits wachsam. Bleibe jetzt wachsam, sei aufmerksam, hinterfrage, untersuche und entdecke deine geistigen und körperlichen Fehler und gib sie auf.
F: Woher soll die Energie dafür kommen? Ich bin wie ein Gelähmter in einem brennenden Haus.
M: Sogar Gelähmte können manchmal in einem Moment der Gefahr plötzlich ihre Beine benutzen. Denn du bist gar nicht gelähmt, das ist nur deine Vorstellung. Mach den ersten Schritt, und du bist auf dem Weg!
F: Ich habe das Gefühl, daß mein Festhalten am Körper so stark ist, daß ich die Vorstellung, dieser Körper zu sein, einfach nicht aufgeben kann. Sie wird an mir haften, solange der Körper existiert. Manche behaupten, daß zu Lebzeiten keine Verwirklichung möglich sei, und ich bin geneigt, ihnen zuzustimmen.
M: Bevor du zustimmst oder nicht, warum untersuchst du nicht diese Vorstellung eines Körpers? Erscheint der Verstand im Körper oder der Körper im Verstand? Es muß doch wohl zuerst einen Verstand geben, der die Vorstellung „Ich bin der Körper“ haben kann. Ein Körper ohne Verstand kann nicht „mein Körper“ sein. „Mein Körper“ ist immer abwesend, wenn der Verstand schweigt, und ebenfalls, wenn der Verstand tief in Gedanken und Gefühle versunken ist. Sobald du erkennst, daß der Körper vom Verstand abhängt, der Verstand vom Bewußtsein und das Bewußtsein vom Gewahrsein und nicht umgekehrt, dann wird deine Frage beantwortet, ob du auf die Selbstverwirklichung warten mußt, bis du stirbst. Du mußt nicht zuerst von der Vorstellung „Ich bin der Körper“ befreit werden, um danach das Selbst zu verwirklichen. Es ist genau umgekehrt, denn du klammerst dich an die Illusion, weil du die Wahrheit nicht kennst. Ernsthaftigkeit, nicht Perfektion, ist eine Voraussetzung für die Selbstverwirklichung. Tugenden und Kräfte kommen mit der Verwirklichung und nicht vorher.