Fragender: Es gibt so viele Theorien über die Natur des Menschen und des Universums, wie die Schöpfungstheorie, die Illusionstheorie, die Traumtheorie und viele mehr. Doch welche ist wahr?
Maharaj: Alle sind wahr, und alle sind falsch. Du selbst kannst wählen, welche dir am besten gefällt.
F: Du scheinst die Traumtheorie zu bevorzugen.
M: Das sind alles verschiedene Arten, um Begriffe zusammenzusetzen. Manche bevorzugen diesen Weg und andere einen anderen. Theorien sind weder wahr noch falsch, sondern Versuche, das Unerklärliche zu erklären. Es kommt nicht auf die Theorie an, sondern auf die Art und Weise, wie sie bestätigt wird. Es ist die Prüfung der Theorie, die sie fruchtbar macht. So experimentiere mit jeder Theorie, die dir gefällt, und wenn du wirklich ernsthaft und ehrlich bist, dann wirst du die Wahrheit erreichen. Als Lebewesen steckst du in einer unerträglichen und schmerzhaften Situation und suchst einen Ausweg. So werden dir mehrere Pläne für dein Gefängnis angeboten, von denen keiner völlig wahr ist. Aber sie haben alle einen gewissen Wert, wenn man es wirklich ernst meint. Es ist also die Ernsthaftigkeit, die befreit, und nicht die Theorie.
F: Theorie kann irreführend, und Ernsthaftigkeit kann blind sein.
M: Deine Wahrhaftigkeit wird dich leiten, und die Hingabe an das Ziel der Befreiung und Vollkommenheit wird dich dazu bringen, alle Theorien und Systeme aufzugeben und von Weisheit, Vernunft und lebendiger Liebe zu leben. Theorien mögen als Ausgangspunkte gut sein, aber sie müssen dann aufgegeben werden, je früher, desto besser.
F: Es gibt einen Yogi, der behauptet, daß der achtfache Yoga für die Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) nicht nötig sei, denn allein die Willenskraft reicht aus. Es genügt, sich im vollen Vertrauen auf die Kraft des reinen Willens auf das Ziel zu konzentrieren, um mühelos und schnell das zu erreichen, wofür andere Jahrzehnte brauchen.
M: Konzentration, volles Vertrauen und reine Willenskraft! Mit solchen Fähigkeiten ist es kein Wunder, daß man die Verwirklichung in kürzester Zeit erreicht. Dieser Yoga des Willens reicht für den reifen Sucher, der alle Wünsche außer einem aufgegeben hat. Denn was sonst ist dieser Wille, als die Standhaftigkeit von Herz und Geist? Mit solcher Standhaftigkeit kann man alles erreichen.
F: Ich habe das Gefühl, daß der Yogi nicht nur die bloße Beständigkeit der Absicht meinte, die zu ununterbrochenem Streben und Hingabe führt. Er meinte, daß keine Verfolgung oder Anstrengung mehr nötig sei, wenn der Wille auf das Ziel fixiert ist. Die bloße Tatsache des Wollens zieht die entsprechende Verwirklichung an.
M: Wie auch immer du es nennst: Wille, beständige Einsicht oder zielgerichteter Geist, man kommt immer zurück zu Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Wenn du es wirklich ernst meinst, richtest du jedes Ereignis und jede Sekunde deines Lebens auf dein Ziel aus und verschwendest keine Zeit und Energie mit anderen Dingen. Du bist völlig hingebungsvoll, nenne es Wille, Liebe oder einfach Wahrhaftigkeit. Gewöhnlich sind wir komplexe Wesen, die sich innerlich und äußerlich im Krieg befinden. Wir widersprechen uns ständig und machen heute die Arbeit von gestern zunichte. Kein Wunder, daß wir feststecken. Ein wenig Wahrhaftigkeit würde schon viel bewirken.
F: Was ist mächtiger, der Wunsch oder das Schicksal?
M: Die Wünsche formen das Schicksal.
F: Und das Schicksal formt die Wünsche, denn meine Wünsche werden durch Vererbung und Umstände, sowie Gelegenheiten und Zufälle bestimmt, durch das, was wir Schicksal nennen.
M: Ja, das kann man so sagen.
F: In wieweit bin ich frei, das zu wünschen, was ich möchte?
M: Du bist JETZT frei. Was ist es, das du dir wünschen möchtest? Wünsche es dir!
F: Natürlich habe ich die Freiheit zu wünschen, aber nicht die Freiheit alle meine Wünsche zu erfüllen. Andere Triebe werden mich davon ablenken, und meine Wünsche sind nicht stark genug, auch wenn sie meine Zustimmung haben. Andere Wünsche, die ich eigentlich mißbillige, sind stärker.
M: Vielleicht betrügst du dich selbst. Vielleicht verwirklichst du deine wirklichen Wünsche, und jene, denen du aus Gründen der Ehrbarkeit zustimmst, bleiben nur oberflächlich.
F: Vielleicht ist es so, wie du sagst, aber das ist eine weitere Theorie. Tatsache ist, daß ich mich nicht frei fühle, das zu wünschen, was ich denke, wünschen zu sollen. Und wenn ich das vermeintlich Richtige wünsche, dann handle ich nicht entsprechend.
M: Das läßt sich alles auf die Schwäche des Geistes und der Spaltung durch das Denken zurückführen. Sammle und stärke deinen Geist, und du wirst feststellen, daß sich deine Gedanken, Gefühle, Worte und Taten entsprechend deines Willens ausrichten.
F: Wieder ein Ratschlag zur Perfektion! Den Geist zu sammeln und zu stärken ist keine leichte Aufgabe. Wie fängt man das an?
M: Du kannst nur dort beginnen, wo du bist. Du bist hier und jetzt, und du kannst nicht aus dem Hier und Jetzt herauskommen.
F: Aber was kann ich hier und jetzt tun?
M: Du kannst dir deines Daseins bewußt sein, hier und jetzt.
F: Das ist alles?
M: Das ist alles. Mehr gibt es nicht zu tun.
F: Während ich wache und träume, bin ich mir meiner selbst bewußt. Aber das hilft mir nicht viel.
M: Du warst dir des Denkens, Fühlens und Handelns bewußt, aber nicht deines Daseins.
F: Was ist der neue Aspekt, den ich einbringen soll?
M: Die Haltung des reinen Bezeugens, des Bezeugens der Ereignisse, ohne dich darin zu verstricken.
F: Was wird das mit mir machen?
M: Unwissenheit ist auf mangelnde Weisheit und zerstreuten Geist zurückzuführen, was wiederum das Ergebnis von fehlendem Gewahrsein ist. Durch das Streben nach Gewahrsein sammelst du deinen Geist und stärkst ihn.
F: Ich bin oft völlig gewahr, was vor sich geht, und dennoch nicht fähig, es in irgendeiner Weise zu beherrschen.
M: Du irrst dich, denn was vor sich geht, ist eine Projektion deines Verstandes. Der schwache Verstand kann seine eigenen Projektionen nicht beherrschen. Sei dir daher deines Verstandes und seiner Projektionen gewahr, denn was du nicht kennst, kannst du nicht beherrschen. Dagegen gibt die Erkenntnis Macht. In der Praxis ist es sehr einfach: Erkenne dich selbst, um dich selbst zu beherrschen!
F: Vielleicht kann ich mich irgendwann beherrschen, aber werde ich dann auch das Chaos in der Welt beherrschen?
M: Es gibt kein Chaos in der Welt, außer dem Chaos, das dein Verstand erschafft. In diesem Sinne ist es selbstgeschaffen, weil im Zentrum deines Verstandes die fälschliche Vorstellung von einem Selbst steht, das wie ein Ding von anderen Dingen verschiedenen und getrennt ist. Doch in Wahrheit bist du weder ein Ding noch getrennt. Du bist die unendliche Potentialität, die unerschöpfliche Möglichkeit (das endlose Meer der Möglichkeiten). Weil du das bist, kann alles sein, und das Universum ist nur eine teilweise Manifestation deiner grenzenlosen Fähigkeit, etwas zu werden.
F: Ich finde, daß meine Motivation vor allem im Verlangen nach Freude und in der Angst vor Schmerz besteht. Wie edel mein Wunsch und wie gerechtfertigt meine Angst auch sein mag, Freude und Schmerz sind die beiden Pole, zwischen denen mein Leben hin- und herschwingt.
M: Dann geh zur Quelle von Freude und Schmerz, von Verlangen und Angst! Beobachte, untersuche und versuche zu erkennen.
F: Verlangen und auch Angst sind Gefühle, die durch körperliche oder geistige Faktoren verursacht werden. Sie sind da und leicht zu beobachten. Aber warum sind sie da? Warum sehne ich mich nach Freude und fürchte den Schmerz?
M: Freude und Schmerz sind Zustände des Verstandes. Solange du glaubst, der Verstand zu sein, oder besser gesagt, der Körper-Verstand, werden zwangsläufig solche Fragen erscheinen.
F: Und wenn ich erkenne, daß ich nicht der Körper bin, werde ich dann frei von Verlangen und Angst sein?
M: Solange es einen Körper und einen Verstand gibt, der den Körper beschützt, werden Anziehung und Abstoßung wirken. Sie werden draußen auf der Bühne der Geschehnisse sein, aber können dich nicht mehr beunruhigen, denn der Fokus deiner Aufmerksamkeit wird nicht mehr dort sein, und so wirst du auch nicht mehr abgelenkt.
F: Sie werden also trotzdem da sein. Kann man nie völlig frei davon sein?
M: Du bist immer völlig frei, sogar jetzt. Was du Schicksal (Karma) nennst, ist nur das Ergebnis deines eigenen Lebenswillens. Wie stark dieser Wille ist, kannst du anhand der allgemeinen Angst vor dem Tod beurteilen.
F: Menschen sterben oft auch freiwillig.
M: Nur wenn die Alternative schlimmer als der Tod ist. Aber auch dieser Wille zum Sterben entspringt derselben Quelle wie der Wille zum Leben, einer Quelle, die tiefer liegt als das Leben selbst. Ein Lebewesen zu sein ist nicht der höchste Zustand. Es gibt darüber hinaus noch viel Wundervolleres, das weder Sein noch Nichtsein, weder Leben noch Tod ist. Es ist ein Zustand reinen Gewahrseins, jenseits der Grenzen von Raum und Zeit. Sobald die Illusion, dieser Körper-Verstand zu sein, aufgegeben wird, verliert der Tod seinen Schrecken und wird ein Teil des Lebens.
Fragender: Wenn ich dich betrachte, scheinst du ein armer Mann mit sehr begrenzten Mitteln zu sein, der wie viele andere mit allen Problemen der Armut und des Alters konfrontiert ist.
Maharaj: Wäre ich sehr reich, welchen Unterschied würde das machen? Ich bin, was ich bin. Was könnte ich sonst noch sein? Ich bin weder reich noch arm, ich bin Ich selbst.
F: Dennoch erlebst du Freude und Schmerz.
M: Ich erlebe diese im Bewußtsein, aber ich bin weder das Bewußtsein noch dessen Inhalt.
F: Du sagst, daß wir in unserem wahren Dasein alle gleich sind. Wie kommt es dann, daß deine Erfahrung so anders ist als unsere?
M: Meine tatsächlichen Erfahrungen sind nicht anders, aber meine Beurteilungen und Einstellungen dazu sind anders. Ich sehe die gleiche Welt wie du, aber nicht auf die gleiche Weise. Daran ist nichts Geheimnisvolles. Jeder sieht die Welt durch die Vorstellung, die er von sich selbst hat. So wie du denkst, daß du bist, so denkst du auch, daß die Welt ist. Wenn du dir vorstellst, von der Welt getrennt zu sein, dann erscheint die Welt als getrennt von dir, und du wirst Verlangen und Angst spüren. Ich sehe die Welt nicht als getrennt von mir, und daher gibt es für mich nichts, was ich mir wünschen oder vor was ich mich fürchten müßte.
F: Du bist ein Punkt des Lichtes in der Welt, was nicht jeder ist.
M: Es gibt absolut keinen Unterschied zwischen mir und anderen, außer darin, daß ich mich selbst so kenne, wie ich bin. Ich bin alles, und das weiß ich mit Sicherheit, aber du weißt es nicht.
F: Wir sind also trotzdem unterschiedlich.
M: Nein, das sind wir nicht. Der Unterschied besteht nur im Verstand und ist vorübergehend. Ich war wie du, und du wirst sein wie ich.
F: Gott hat eine überaus vielfältige Welt der Unterschiede geschaffen.
M: Diese Vielfalt der Unterschiede liegt nur in dir. Erkenne dich selbst, wie du bist, und du wirst auch die Welt erkennen, wie sie ist, als einen einzigen Block der Wahrheit, unteilbar und unbeschreiblich. Deine eigene schöpferische Kraft projiziert darauf ein Bild, und alle deine Fragen beziehen sich auf dieses Bild.
F: Ein tibetischer Yogi schrieb, daß Gott die Welt zu einem bestimmten Zweck erschafft und einen entsprechenden Plan verfolgt. Der Zweck ist gut und der Plan äußerst weise.
M: Das alles ist vorübergehend, während ich mich mit dem Ewigen befasse. Götter und ihre Welten entstehen und vergehen, Avatare erscheinen in endloser Folge, und am Ende sind wir wieder an der Quelle. Und hier spreche ich nur von der zeitlosen Quelle aller Götter mit allen ihren Welten in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
F: Kennt du sie alle? Erinnerst du dich an sie?
M: Was gibt es da zu erkennen und zu erinnern, wenn ein paar Kinder zum Spaß ein Theaterstück aufführen?
F: Warum ist die Hälfte der Menschheit männlich und die andere Hälfte weiblich?
M: Zu ihrem Glück. Das Unpersönliche (Avyakta) wird zum Persönlichen (Vyakta) für das Glück in einer Beziehung. Durch die Gnade meines Gurus kann ich sowohl das Unpersönliche als auch das Persönliche mit dem Auge der Einheit sehen. Für mich ist beides eins, denn im Leben vereint sich das Persönliche mit dem Unpersönlichen.
F: Wie entsteht das Persönliche aus dem Unpersönlichen?
M: Beide sind nur Aspekte einer Wahrheit. Es ist nicht richtig, davon zu sprechen, daß das eine dem anderen vorausgeht. Alle diese Vorstellungen gehören zum (traumhaften bzw. gedanklichen) Wachzustand.
F: Was erzeugt diesen Wachzustand?
M: Die Wurzel aller Schöpfung liegt im Wünschen. Wünsche und Vorstellungskraft fördern und verstärken sich gegenseitig. Der vierte Zustand (Turiya - traumloses Wachsein) ist ein Zustand des reinen Bezeugens, des losgelösten Gewahrseins, ohne Leidenschaft und ohne Begriffe. Er ist wie der Raum, der von dem, was er enthält, unberührt bleibt. Körperliche und geistige Probleme erreichen ihn nicht, denn sie sind äußerlich „dort“, während der Zeuge immer „hier“ ist.
F: Was ist wahr, das Subjektive oder das Objektive? Ich neige dazu zu glauben, daß das objektive Universum das Wahre ist und meine subjektive Psyche veränderlich und vergänglich ist. Du scheinst die Wahrheit für deine inneren subjektiven Zustände zu beanspruchen und der konkreten Außenwelt jegliche Wahrheit zu verweigern.
M: Sowohl das Subjektive als auch das Objektive sind veränderlich und vergänglich, und diesbezüglich ist an ihnen nichts Wahres. Finde das Ewige im Vergänglichen, den einzigen unveränderlichen Faktor in jeder Erfahrung!
F: Was ist dieser unveränderliche Faktor?
M: Es wird dir nicht viel helfen, wenn ich ihn mit verschiedenen Namen benenne und auf verschiedene Arten aufzeige, es sei denn, du hast die Fähigkeit, ihn zu sehen. Ein kurzsichtiger Mensch wird den Papagei auf dem Ast eines Baumes nicht sehen, so sehr du ihn auch zum Hinsehen aufforderst. Bestenfalls wird er deinen Zeigefinger sehen. Reinige zuerst deine Sicht und lerne zu sehen anstatt zu starren, und du wirst den Papagei wahrnehmen. Dazu mußt du auch ernsthaft sehen wollen, denn zur Selbsterkenntnis brauchst du sowohl Klarheit als auch Ernsthaftigkeit. Du brauchst die Reife des Herzens und des Geistes, die durch die ernsthafte Anwendung des Wenigen, das du verstanden hast, im täglichen Leben erreicht wird. Im Yoga gibt es keine Kompromisse. Wenn du sündigen willst, dann sündige offen und mit ganzem Herzen. Für den ernsthaften Sünder haben auch die Sünden ihre Lektionen, ebenso wie die Tugenden für den ernsthaften Heiligen. Es ist die Vermischung dieser beiden, die so katastrophal (verwirrend) wirkt. Nichts kann dich so wirksam behindern wie Kompromisse, denn sie zeigen deinen Mangel an Ernsthaftigkeit, ohne die nichts vollbracht werden kann.
F: Ich befürworte zwar die Entsagung, aber in der Praxis suche ich nach Luxus. Die Angewohnheit, dem Vergnügen nachzujagen und das Leiden zu vermeiden, ist so tief in mir verwurzelt, daß alle meine guten Vorsätze, die auf der theoretischen Ebene durchaus lebendig sind, keine Wurzeln in meinem täglichen Leben finden. Mir zu sagen, daß ich nicht ehrlich bin, hilft mir aber nicht weiter, denn ich weiß einfach nicht, wie ich ehrlich werden soll.
M: Du bist weder ehrlich noch unehrlich, denn solchen geistigen Zuständen Namen zu geben, ist nur gut, um deine Zustimmung oder Ablehnung auszudrücken. Das Problem liegt nicht bei dir selbst, sondern nur in deinem Verstand. Beginne damit, dich von deinem Verstand zu lösen. Erinnere dich ernsthaft daran, daß du nicht der Verstand bist und daß seine Probleme nicht die deinen sind.
F: Ich kann mir immer wieder sagen „Ich bin nicht der Verstand und kümmere mich nicht um seine Probleme!“, aber der Verstand bleibt, und auch seine Probleme bleiben genauso, wie sie waren. Doch sage mir jetzt bitte nicht, daß es daran liegt, daß ich nicht ernst genug bin und daß ich ernster sein sollte! Ich weiß es, gebe es zu und frage dich nur: Wie wird es gemacht?
M: Zumindest fragst du, und das ist gut genug für den Anfang. Grüble weiter, wundere dich und sei bestrebt, einen Weg zu finden! Sei dir deiner selbst bewußt und beobachte deinen Verstand mit ganzer Aufmerksamkeit. Suche nicht nach schnellen Ergebnissen. Es kann sogar sein, daß du keine Ergebnisse erreichst. Auch ohne solche zu erreichen, wird sich deine Psyche verändern, und es wird mehr Klarheit in deinem Denken, deinem Wohlwollen der Gefühle und deiner Reinheit im Verhalten geben. Du mußt nicht darauf abzielen und kannst trotzdem Zeuge der Veränderung sein. Denn was du jetzt bist, ist das Ergebnis von Unaufmerksamkeit, und was du werden wirst, ist die Frucht der Aufmerksamkeit.
F: Warum sollte die bloße Aufmerksamkeit eine solche Veränderung bewirken?
M: Bisher war dein Leben dunkel und unruhig (Tamas und Rajas). Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, Gewahrsein, Klarheit, Lebendigkeit und Vitalität sind alles Manifestationen von Integrität und Einheit mit deiner wahren Natur (Sattwa). Es liegt in der Natur von Sattwa, auszugleichen und Tamas und Rajas zu neutralisieren, um die Persönlichkeit im Einklang mit der wahren Natur des Selbst wieder abzubauen. So ist Sattwa der treue Diener des Selbst, immer aufmerksam und nützlich.
F: Und ich werde durch bloße Aufmerksamkeit dorthin gelangen?
M: Unterschätze die Aufmerksamkeit nicht, denn sie bedeutet nicht nur Interesse sondern auch Liebe. Um zu wissen, zu tun, zu entdecken oder zu erschaffen, mußt du dich mit ganzem Herzen dafür einsetzen, und das bedeutet Aufmerksamkeit, und daraus fließen alle Segnungen.
F: Du rätst uns die Konzentration auf „Ich bin“. Ist das auch eine Form von Aufmerksamkeit?
M: Was sonst? Schenke deine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Wichtigsten in deinem Leben, dir selbst! Du bist das Zentrum deines persönlichen Universums. Was sonst solltest du erkennen, außer dieses Zentrum?
F: Aber wie kann ich mich selbst erkennen? Um mich selbst zu erkennen, müßte ich mir gegenüberstehen. Aber was mir gegenübersteht, das kann niemals ich selbst sein. Es sieht also so aus, als ob ich mich selbst niemals erkennen kann, sondern nur das, was ich für mein Selbst halte.
M: Ganz richtig! So wie du dein Gesicht nicht sehen kannst, sondern nur das Spiegelbild, so kannst du nur dein Bild erkennen, das im reinen Spiegel des reinen Bewußtseins reflektiert wird.
F: Wie bekomme ich einen solchen reinen Spiegel?
M: Offensichtlich durch das Entfernen der Flecken. Sieh dir die Flecken an und entferne sie! Diese uralte Lehre ist immer noch vollkommen gültig.
F: Was ist das Sehen, und was das Entfernen?
M: Der vollkommene Spiegel ist so beschaffen, daß man ihn nicht sehen kann. Was immer du siehst, ist mit Sicherheit ein Fleck. Wende dich davon ab, gib ihn auf und erkenne ihn als etwas Unreines.
F: Handelt es sich bei allen wahrnehmbaren Dingen um Flecken?
M: Alles sind Flecken.
F: Die ganze Welt ist also ein Fleck.
M: Ja, so ist es.
F: Wie schrecklich! Das Universum ist also wertlos?
M: Es ist von größtem Wert, denn indem du darüber hinausgehst, erkennst du dich selbst.
F: Warum ist es überhaupt entstanden?
M: Das wirst du erkennen, wenn es endet.
F: Wird es jemals enden?
M: Ja, für dich.
F: Und wann begann es?
M: Jetzt.
F: Wann wird es enden?
M: Jetzt.
F: Aber es endet jetzt nicht?
M: Weil du es nicht zuläßt.
F: Ich möchte es zulassen.
M: Das tust du nicht. Dein ganzes Leben ist damit verbunden. Deine Vergangenheit und Zukunft mit all deinen Wünschen und Ängsten haben ihre Wurzeln in der Welt. Wo und wer bist du ohne die Welt?
F: Aber genau dafür bin ich hierhergekommen, um das herausfinden.
M: Und ich sage dir genau das: Finde einen sicheren Halt jenseits, und alles wird klar und einfach sein!
Fragender: Wir kommen beide aus weit entfernten Ländern. Einer von uns ist Brite, der andere Amerikaner. Die Welt, in der wir geboren wurden, bricht zusammen, und weil wir noch jung sind, machen wir uns darüber Sorgen. Die alten Menschen hoffen, daß sie ihren natürlichen Tod sterben werden, aber die jungen Menschen haben keine solche Hoffnung. Einige von uns weigern sich vielleicht, zu töten, aber niemand kann sich weigern, getötet zu werden. Können wir hoffen, die Welt noch zu unseren Lebzeiten wieder in Ordnung zu bringen?
Maharaj: Warum glaubt ihr, daß die Welt untergehen wird?
F: Die Werkzeuge der Zerstörung sind unvorstellbar mächtig geworden. Außerdem ist unsere Produktivität schädlich für die Natur und unsere kulturellen und sozialen Werte.
M: Du sprichst von der Gegenwart. War es denn schon immer und überall so? Deshalb kann diese belastende Situation vorübergehend und örtlich begrenzt sein. Und sobald sie vorbei ist, wird sie wieder vergessen.
F: Das Ausmaß der bevorstehenden Katastrophe ist unglaublich groß, und wir leben inmitten einer umfassenden Explosion.
M: Jeder Mensch leidet allein und stirbt allein. Die Zahlen sind irrelevant. Der Tod ist genauso groß, wenn Millionen sterben, als wenn nur einer stirbt.
F: Die Natur tötet millionenfach, aber das macht mir noch keine Angst. Es mag eine Tragödie oder ein Geheimnis darin sein, aber keine Grausamkeit. Was mich entsetzt, ist das von Menschen verursachte Leid, die Zerstörung und Verwüstung. Die Natur ist großartig in ihrem Werden und Vergehen. Aber in den Taten des Menschen liegen Grausamkeit und Wahnsinn.
M: Richtig! Das heißt also, nicht Leiden und Tod sind dein Problem, sondern die Grausamkeit und der Wahnsinn als deren Wurzel. Ist Grausamkeit nicht auch eine Form des Wahnsinns? Und ist Wahnsinn nicht der Mißbrauch des Verstandes? So liegt das Problem der Menschheit allein in diesem Mißbrauch des Verstandes. Alle Schätze der Natur und des Geistes stehen dem Menschen offen, der seinen Verstand richtig gebraucht.
F: Was ist der richtige Gebrauch des Verstandes?
M: Angst und Gier verursachen den Mißbrauch des Verstandes. Der richtige Gebrauch des Verstandes steht im Dienst der Liebe, des Lebens, der Wahrheit und der Schönheit.
F: Das ist leichter gesagt als getan. Liebe zur Wahrheit, zur Menschlichkeit und zum Wohlwollen - was für ein Luxus! Davon brauchen wir wohl reichlich, um diese Welt wieder in Ordnung zu bringen. Aber woher soll sie kommen?
M: Man kann eine Ewigkeit damit verbringen, woanders nach Liebe und Wahrheit, Vernunft und Wohlwollen zu suchen und Gott und die Menschen anzuflehen, das wird alles vergeblich sein. Du mußt bei dir selbst beginnen, mit dir selbst, das ist das unumgängliche Gesetz. Du kannst das Spiegelbild nicht ändern, ohne das Gesicht zu ändern. Erkenne zuerst, daß deine Welt nur ein Spiegelbild deiner selbst ist, und höre auf, an diesem Spiegelbild Fehler zu finden. Kümmere dich um dein Selbst, und bringe dich geistig und emotional in Ordnung. Das Körperliche wird automatisch folgen. Du redest so viel von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformen. Laß ab von den Reformen und kümmere dich um den Reformer! Was für eine Welt kann ein Mensch erschaffen, der unwissend, gierig und herzlos ist?
F: Wenn wir auf einen Sinneswandel warten sollen, dann müssen wir auf unbestimmte Zeit warten. Dein Rat ist ein Rat der Vollkommenheit, der aber auch ein Rat der Verzweiflung ist. Wenn alle vollkommen sind, dann wird natürlich auch die Welt vollkommen sein. Was für eine nutzlose Binsenweisheit!
M: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt: Du kannst die Welt nicht ändern, bevor du dich selbst änderst. Ich habe nicht gesagt, daß zuvor alle anderen verändert werden müssen. Es ist weder notwendig noch möglich, andere zu ändern. Aber wenn du dich selbst änderst, dann wirst du feststellen, daß keine weitere Änderung erforderlich ist. Um das Kinobild zu verändern, greife nicht die Kinoleinwand an, sondern wechsle nur den Film!
F: Wie kannst du dir selbst so sicher sein? Woher weißt du, daß deine Aussage wahr ist?
M: Ich bin mir nicht selbst sicher, sondern ich bin mir deiner sicher. Alles, was du brauchst, ist aufzuhören, im Äußeren nach dem zu suchen, was nur im Inneren gefunden werden kann. Berichtige deine Sicht bevor du handelst, denn du leidest unter einem akuten Mißverständnis. Kläre deinen Verstand, reinige dein Herz und heilige dein Leben! Das ist der schnellste Weg, um deine Welt zu verändern.
F: So viele Heilige und Mystiker lebten und starben, aber sie haben meine Welt nicht verändert.
M: Wie konnten sie? Deine Welt ist nicht die ihre, und die ihre ist nicht deine Welt.
F: Sicherlich gibt es doch eine faktische Welt, die allen gemeinsam ist.
M: Meinst du die Welt der Dinge, der Energie und Materie? Selbst wenn es eine solche gemeinsame Welt von Dingen und Kräften gäbe, dann ist es doch nicht die Welt, in der wir leben. Unsere Welt ist eine Welt der Gefühle und Vorstellungen, der Anziehung und Abstoßung, der Wertmaßstäbe, Motive und Anreize, also insgesamt eine geistige Welt. Biologisch gesehen brauchen wir sehr wenig. Unsere Probleme sind anderer Natur, und solche Probleme, die durch Wünsche, Ängste und illusorische Vorstellungen entstehen, können nur auf der Ebene des Geistes gelöst werden. Du mußt deinen eigenen Verstand besiegen, und dafür mußt du über ihn hinausgehen.
F: Was bedeutet es, über den Verstand hinauszugehen?
M: Du bist doch auch über den Körper hinausgegangen. Oder überwachst du deine Verdauung, deinen Kreislauf oder deine Organfunktionen? Sie geschehen automatisch, und ebenso sollte auch der Verstand automatisch arbeiten, ohne deine Aufmerksamkeit zu erregen. Dies kann aber nur geschehen, wenn der Verstand ordnungsgemäß funktioniert. Wir richten unsere Aufmerksamkeit die meiste Zeit auf den Körper und Verstand, weil sie ständig um Hilfe rufen. Denn Schmerz und Leid sind nur der Ruf von Körper und Verstand nach Aufmerksamkeit. Um über den Körper hinauszugehen, muß man gesund sein. Und um über den Verstand hinauszugehen, muß der Verstand in vollkommener Ordnung sein. Du kannst kein Chaos hinterlassen und darüber hinausgehen, denn diese Unordnung wird dich wieder einholen und verwirren. „Entsorge deinen eigenen Müll“ scheint das universale Gesetz zu sein, und dazu ein gerechtes Gesetz.
F: Darf ich dich fragen, wie du über den Verstand hinausgegangen bist?
M: Durch die Gnade meines Gurus.
F: Welche Form nahm seine Gnade an?
M: Er hat mir gesagt, was wahr ist.
F: Was hat er dir gesagt?
M: Er sagte mir, ich sei die höchste Wahrheit.
F: Was hast du damit getan?
M: Ich habe ihm vertraut und mich daran erinnert.
F: Ist das alles?
M: Ja, ich erinnerte mich an ihn und was er gesagt hatte.
F: Willst du damit sagen, daß das genug war?
M: Was sonst muß noch getan werden? Es war ziemlich viel, sich an den Guru und seine Worte zu erinnern. Mein Rat an dich ist noch einfacher: Erinnere dich nur an dich selbst. „Ich bin“ reicht aus, um deinen Verstand zu heilen und dich darüber hinauszuführen. Habe einfach etwas Vertrauen. Ich führe dich nicht in die Irre. Warum sollte ich? Will ich etwas von dir? Ich wünsche dir alles Gute, und das ist meine Natur. Warum sollte ich dich in die Irre führen? Auch die Vernunft wird dir sagen, daß du deinen Verstand auf den Wunsch konzentrieren mußt, der erfüllt werden soll. Wenn du deine wahre Natur kennenlernen möchtest, dann mußt du dich immer an dein Selbst erinnern, bis das Geheimnis deines Daseins enthüllt ist.
F: Warum sollte Selbsterinnerung zur Selbstverwirklichung führen?
M: Weil sie nur zwei Aspekte desselben Zustandes sind. Selbsterinnerung findet im Verstand statt, und Selbstverwirklichung liegt jenseits des Verstandes. So zeigt das Spiegelbild das Gesicht jenseits des Spiegels.
F: Gut, aber welchen Zweck hat das?
M: Um anderen zu helfen, muß man selbst frei von Hilfebedürftigkeit sein.
F: Ich möchte nur glücklich sein.
M: Sei glücklich, um glücklich zu machen.
F: Laß doch andere für sich selbst sorgen.
M: Mein Freund, du bist nicht getrennt von ihnen! Das Glück, das man nicht mit allen teilen kann, ist kein wahres Glück. Nur das Ganzheitliche ist wirklich wünschenswert.
F: Das ist richtig. Aber brauche ich dazu einen Guru? Was du mir sagst, ist einfach und überzeugend, und ich werde mich daran erinnern. Doch das macht dich nicht zu meinem Guru.
M: Nicht die Verehrung einer Person ist entscheidend, sondern die Beständigkeit und Tiefe deiner Hingabe an die Aufgabe. Das Leben selbst ist der höchste Guru. Sei aufmerksam gegenüber seinen Lehren und gehorche seinen Geboten. Wenn du seine Quelle personalisiert, dann hast du einen äußerlichen Guru. Wenn du sie direkt aus dem Leben nimmst, ist der Guru im Inneren. Erinnere dich daran, wundere dich, denke darüber nach, lebe damit, liebe es, wachse hinein, wachse mit ihm und mach es dir zu eigen - das Wort deines Gurus, sei er äußerlich oder innerlich. Gib alles, und du wirst alles empfangen! So habe ich es getan und meine ganze Zeit meinem Guru gewidmet und dem, was er mir sagte.
F: Ich bin Schriftsteller von Beruf. Kannst du mir einen Rat geben, speziell für mich?
M: Schreiben ist sowohl ein Talent als auch eine Fähigkeit. Wachse in deinem Talent, und entwickle deine Fähigkeit! Wünsche dir, was wert ist, gewünscht zu werden, und wünsche es von Herzen. Wie du dich in einer Menschenmenge zurechtfindest und zwischen den Menschen hindurchgehst, so findest du dann auch zwischen den Ereignissen deinen Weg, ohne die allgemeine Richtung zu verfehlen. Es ist einfach, wenn du ernsthaft gehst.
F: Du erwähnst oft, wie wichtig es ist, ernsthaft zu sein. Aber wir sind keine Menschen mit nur einem einzigen Willen. Wir sind eine Ansammlung von Wünschen und Bedürfnissen, Instinkten und Eingebungen. Sie überlagern sich, und manchmal dominiert das eine, manchmal das andere, aber nie für lange.
M: Es gibt keine Bedürfnisse, sondern nur Wünsche.
F: Und was ist mit Essen, Trinken und dem Schutz des Körpers, um zu leben?
M: Der Wunsch zu leben ist der einzige grundlegende Wunsch. Alles andere hängt davon ab.
F: Wir leben, weil wir müssen.
M: Wir leben, weil wir uns nach einer sinnlichen Existenz sehnen.
F: Eine so universale Sache kann doch nicht falsch sein.
M: Natürlich ist sie nicht falsch. Am rechten Ort und zu seiner Zeit ist alles richtig. Aber wenn es dir um die Wahrheit geht, um die Realität, dann mußt du alles in Frage stellen, sogar dein Leben. Indem du die Notwendigkeit sinnlicher und intellektueller Erfahrung behauptest, grenzt du deine Suche auf Bequemlichkeit ein.
F: Ich suche nach Glück, nicht nach Bequemlichkeit.
M: Welches Glück kennst du jenseits der Bequemlichkeit von Verstand und Körper?
F: Gibt es noch anderes Glück?
M: Finde es für dich selbst heraus! Hinterfrage jeden Drang und halte keinen Wunsch für legitim. Sei frei von körperlichem und geistigem Besitz, frei von jeglicher Ichhaftigkeit und offen für Entdeckungen.
F: Es ist ein Teil der indischen spirituellen Tradition, daß das bloße Leben in der Nähe eines Heiligen oder Weisen der Befreiung förderlich ist und keine anderen Mittel erforderlich sind. Warum gründest du keinen Ashram, damit Menschen in deiner Nähe leben können?
M: Sobald ich eine Institution erschaffe, werde ich ihr Gefangener. Ganz natürlich stehe ich allen zur Verfügung. Ein gemeinsames Dach und gemeinsames Essen werden die Menschen nicht willkommener machen. „In der Nähe leben“ heißt nicht, die gleiche Luft zu atmen. Es heißt, zu vertrauen und zu gehorchen, um die guten Absichten des Lehrers nicht ungenutzt zu lassen. Bewahre deinen Guru immer in deinem Herzen, und erinnere dich an seine Lehren: Das ist wahre Treue zur Wahrheit. Die körperliche Nähe ist am wenigsten wichtig. Mache dein ganzes Leben zum Ausdruck deines Vertrauens und der Liebe zu deinem Lehrer: Das ist wahres Leben beim Guru.
Fragender: Stirbt ein Jnani (Weiser)?
Maharaj: Er ist jenseits von Leben und Tod. Was wir für unvermeidlich halten, nämlich geboren zu werden und zu sterben, das erscheint ihm nur als eine Ausdrucksweise der Bewegung im Unbeweglichen, der Veränderung im Unveränderlichen und des Endens im Unendlichen. Für den Jnani ist es offensichtlich, daß nichts geboren wird und nichts stirbt, nichts währt und sich nichts verändert, denn alles ist, wie es ist, und zwar zeitlos.
F: Du sagst, daß der Jnani jenseits davon sei. Jenseits wovon? Jenseits von Wissen?
M: Wissen hat sein Aufgehen und Untergehen, denn das Bewußtsein kommt ins Dasein und verläßt das Dasein. Es ist eine Frage des täglichen Geschehens und der Beobachtung. Wir alle wissen, daß wir manchmal bei Bewußtsein sind und manchmal nicht. Wenn wir nicht bei Bewußtsein sind, erscheint es uns als Dunkelheit oder Leere. Aber ein Jnani ist sich seiner selbst gewahr, weder bewußt noch unbewußt, sondern als reines Gewahrsein, als Zeuge der drei Zustände des Verstandes und ihrer Inhalte.
F: Wann beginnt dieses Bezeugen?
M: Für einen Jnani hat nichts einen Anfang oder ein Ende. Wie sich Salz im Wasser auflöst, so löst sich auch alles im reinen Dasein auf. Weisheit bedeutet, das Unwissen auf ewig zu verneinen. Das Unwissen zu erkennen, ist Weisheit, und darüber hinaus liegt das Unerkennbare.
F: In mir herrscht die Überzeugung „Ich bin der Körper“. Zugegeben, ich spreche aus Unwissenheit. Doch wann begann dieser Zustand, sich selbst als Körper, als Körper-Verstand, Verstand-Körper oder sogar als bloßen Verstand zu fühlen?
M: Von einem Beginn des Bewußtseins kann man nicht sprechen. Denn auch die Vorstellung von Anfang und Zeit ist im Bewußtsein. Um sinnvoll über den Anfang von etwas zu sprechen, muß man aus der Zeit heraustreten. Und in dem Moment, in dem man heraustritt, wird einem klar, daß es so etwas nicht gibt und auch nie gegeben hat. Es gibt nur die Wahrheit, in der kein „Ding“ ein eigenständiges Sein hat. So wie die Wellen untrennbar mit dem Meer verbunden sind, so wurzelt auch jegliche Existenz im Dasein.
F: Tatsache ist, daß ich dich hier und jetzt frage: Wann ist die Empfindung „Ich bin der Körper“ entstanden? Bei meiner Geburt? Oder heute morgen?
M: Sie entsteht jetzt.
F: Aber ich erinnere mich auch, daß ich sie gestern hatte!
M: Die Erinnerung an gestern ist auch nur im Jetzt.
F: Aber sicherlich existiere ich in der Zeit und habe eine Vergangenheit und eine Zukunft.
M: So stellst du dir das vor, und zwar im Jetzt.
F: Es muß doch einen Anfang gegeben haben.
M: Jetzt!
F: Und was ist mit dem Ende?
M: Was keinen Anfang hat, das kann nicht enden.
F: Aber ich bin mir meiner Frage bewußt.
M: Eine falsche (illusorische) Frage kann nicht beantwortet werden, sondern nur als falsch erkannt werden.
F: Für mich ist sie wahr.
M: Und wann erscheint sie dir wahr? Im Jetzt!
F: Ja, sie ist für mich ganz wahr, im Jetzt.
M: Und was ist an deiner Frage wahr? Sie ist ein Zustand des Verstandes. Und kein Zustand des Verstandes kann wahrer sein als der Verstand selbst. Ist der Verstand wahr? Es handelt sich lediglich um eine Ansammlung von Zuständen, von denen jeder vorübergehend ist. Wie kann eine Abfolge von vorübergehenden Zuständen als Wahrheit angesehen werden?
F: Wie Perlen auf einer Schnur folgen Ereignisse auf Ereignisse, und das für immer.
M: Sie alle basieren auf der grundlegenden Vorstellung „Ich bin der Körper“. Aber auch das ist ein Zustand des Verstandes und nicht von Dauer. Er kommt und geht wie alle anderen Zustände. Die Illusion, ein Körper-Verstand zu sein, existiert nur deshalb, weil sie nicht untersucht worden ist. Diese Nicht-Untersuchung ist die Schnur, an der alle Zustände des Verstandes hängen. Sie ist wie Dunkelheit in einem geschlossenen Raum, die scheinbar da ist. Aber wohin geht sie, wenn der Raum geöffnet (erleuchtet und untersucht) wird? Sie geht nirgendwohin, weil sie nicht da war. So haben alle Zustände des Verstandes mit allen Namen und Formen der Existenz ihre Wurzeln im Nicht-Untersuchen, Nicht-Hinterfragen, in der Vorstellungskraft und Leichtgläubigkeit. Es ist richtig, zu sagen „Ich bin“, aber „Ich bin dies oder jenes“ ist ein Zeichen dafür, daß man nicht hinterfragt und prüft, und damit auch von geistiger Schwäche oder Trägheit.
F: Wenn alles Licht ist, wie ist dann die Dunkelheit entstanden? Wie kann es inmitten von Licht Dunkelheit geben?
M: Es gibt keine Dunkelheit inmitten von Licht. Sich selbst zu vergessen, das ist die Dunkelheit. Wenn wir in andere Dinge versinken, die nicht das Selbst sind, dann vergessen wir das Selbst. Daran ist nichts Unnatürliches. Doch warum sollte man sich selbst durch übermäßige Anhaftung vergessen? Weisheit liegt darin, niemals das Selbst als die allgegenwärtige Quelle sowohl des Erfahrenden als auch seiner Erfahrung zu vergessen.
F: In meinem gegenwärtigen Zustand entsteht die Vorstellung „Ich bin der Körper“ spontan, während die Vorstellung „Ich bin reines Dasein“ dem Verstand als etwas Wahres, aber nicht Erfahrenes aufgezwungen werden muß.
M: Ja, Sadhana (Übung) besteht darin, sich mit Nachdruck an sein reines „Dasein“ zu erinnern, daran, daß man nichts Besonderes ist, noch eine Summe von Einzelheiten, nicht einmal die Gesamtheit aller Einzelheiten, die ein Universum bilden. Alles existiert im Verstand, sogar der Körper ist eine Verbindung einer Vielzahl von Sinneswahrnehmungen im Verstand, wobei jede Wahrnehmung auch ein geistiger Zustand ist. Wenn du sagst „Ich bin der Körper“, dann zeige es!
F: Hier ist er!
M: Nur wenn du darüber nachdenkst. Sowohl Verstand als auch Körper sind vorrübergehende Zustände. Die Summe dieser Blitze erzeugt die Illusion einer Existenz. Untersuche, was im Vergänglichen ewig und im Unwahren wahr ist. Das ist Sadhana.
F: Es bleibt eine Tatsache, daß ich mich selbst als einen Körper betrachte.
M: Denke in jeder Weise an dich selbst, aber bringe niemals die Vorstellung eines Körpers in das Bild. Es gibt nur einen Strom von Empfindungen, Wahrnehmungen, Erinnerungen und Vorstellungen. Der Körper ist eine Abstraktion, die durch unsere Tendenz erschaffen wurde, eine Einheit in der Vielfalt zu suchen, was wiederum (im Ganzen) nicht falsch ist.
F: Mir wurde aber gesagt, daß der Gedanke „Ich bin der Körper“ ein Makel im Verstand sei.
M: Warum so reden? Solche Äußerungen schaffen nur Probleme. Das Selbst ist die Quelle von allem und das letztendliche Ziel von allem. Nichts ist äußerlich.
F: Ist es nicht völlig falsch, wenn die Vorstellung eines Körpers zur Besessenheit wird?
M: Es gibt nichts Falsches an der Vorstellung eines Körpers, noch nicht einmal an der Vorstellung „Ich bin der Körper“. Aber sich selbst nur auf einen Körper zu beschränken, ist ein Fehler. In Wahrheit ist jede Existenz und jede Form mein Eigentum, nämlich innerhalb meines Bewußtseins. Ich kann nicht sagen, was ich bin, weil Worte nur beschreiben können, was ich nicht bin. Ich bin, und weil ich bin, ist alles. Aber ich selbst bin jenseits des Bewußtseins und kann daher im Bewußtsein nicht sagen, was ich bin. Und doch bin ich. Auf die Frage „Wer bin ich?“ gibt es also keine Antwort. Auch keine Erfahrung kann die Antwort geben, denn das Selbst ist jenseits der Erfahrung.
F: Dennoch muß die Frage „Wer bin ich?“ irgendwie nützlich sein.
M: Ja, weil es keine Antwort im Bewußtsein gibt, hilft sie, über das Bewußtsein hinauszugehen.
F: Ich bin hier, im gegenwärtigen Moment. Was ist daran wahr und was nicht? Doch sage mir jetzt bitte nicht, daß meine Frage falsch ist. Das Hinterfragen meiner Fragen führt mich nirgendwo hin.
M: Deine Frage ist nicht falsch, aber unnötig. Du hast doch gesagt: „Ich bin hier und jetzt.“ Halte hier ein, und das ist wahr. Verwandle diesen Fakt nicht in eine Frage. Darin liegt dein Fehler. Du bist weder Wissen noch Nichtwissen, weder Geist noch Materie. Versuche nicht, dich selbst mit Begriffen von Geist und Materie zu beschreiben.
F: Vorhin kam ein Junge mit einem Problem zu dir. Du sagtest ihm ein paar Worte und er ging weg. Hast du ihm geholfen?
M: Natürlich.
F: Wie kannst du dir so sicher sein?
M: Das Helfen ist meine Natur.
F: Woher weißt du das?
M: Das muß man nicht wissen, denn es funktioniert von selbst.
F: Und doch hast du diese Aussage gemacht. Worauf ist sie gegründet?
M: Auf das, was mich die Leute fragen. Doch du verlangst nach Beweisen. Ich brauche keine. Es liegt in meiner Natur, die Dinge in Ordnung zu bringen, nämlich die Natur von Satyam, Shivam und Sundaram (Wahrheit, Gutheit und Schönheit).
F: Wenn dich jemand um Rat bittet und du ihm einen Rat gibst, woher kommt dieser dann, und mit welcher Kraft hilft er?
M: Sein eigenes Dasein beeinflußt seinen Verstand und bewirkt eine Reaktion.
F: Und was ist deine Rolle dabei?
M: In mir kommen Mensch und Selbst zusammen.
F: Warum hilft das Selbst dem Menschen nicht auch ohne dich?
M: Ich bin das Selbst! Du betrachtest mich als getrennt von dir, und daher kommt deine Frage. Es gibt kein „mein Selbst“ und „dein Selbst“. Es gibt nur das Selbst, das einzige Selbst von allem. Durch die Vielfalt der Namen und Formen des Verstandes und des Körpers in die Irre geführt, stellst du dir mehrere Selbste vor. Wir sind beide das Selbst, aber du scheinst nicht davon überzeugt zu sein. Dieses Gerede über das persönliche Selbst und das universale Selbst ist der Zustand eines Lernenden. Geh darüber hinaus und bleibe nicht in der Dualität stecken!
F: Laß uns noch einmal zu dem Menschen zurückkommen, der Hilfe sucht. Er kommt doch zu dir.
M: Wenn er kommt, bekommt er sicherlich Hilfe. Denn er kam, weil es ihm bestimmt war, Hilfe zu bekommen. Daran ist nichts Mystisches. Ich kann nicht manchen helfen und anderen nicht. Allen, die kommen, wird geholfen, denn so ist das Gesetz. Lediglich die Form der Hilfe variiert je nach Bedarf.
F: Warum muß er dann hierherkommen, um Rat zu holen? Kann er es nicht aus seinem Inneren bekommen?
M: Er wird nicht zuhören, denn sein Verstand ist nach außen gerichtet. Doch in Wirklichkeit findet jede Erfahrung (innerlich) im Verstand statt, und auch daß er zu mir kommt und Hilfe findet, geschieht alles in seinem Inneren. Anstatt eine Antwort in sich selbst zu finden, stellt er sich eine Antwort von außen vor. Für mich gibt es kein Ich, keinen Menschen und keinen Ratgeber. Das alles ist nur ein Aufflackern im Verstand. Ich bin unendlicher Frieden und eine Stille, in der nichts erscheint, denn alles, was erscheint, verschwindet. Niemand sucht Hilfe, niemand bietet Hilfe an, und niemand bekommt Hilfe. Das sind alles nur Vorstellungen im Bewußtsein.
F: Dennoch ist die Macht zur Hilfe vorhanden und es gibt jemanden oder etwas, das diese Macht zeigt, nenne es Gott oder das Selbst oder den universalen Geist. Der Name spielt keine Rolle, aber die Tatsache.
M: Das ist der Standpunkt, den der Körper-Verstand einnimmt. Der reine Verstand (bzw. die Vernunft) sieht die Dinge so, wie sie sind, als Blasen im Bewußtsein. Diese Blasen erscheinen, verschwinden und tauchen wieder auf, ohne ein wahres Dasein. Man kann ihnen keine besondere Ursache zuschreiben, denn jede Blase wird von allem verursacht und beeinflußt auch alles. Jede Blase ist ein Körper, und alle diese Körper bin ich.
F: Willst du damit sagen, daß du die Macht hast, alles richtig zu machen?
M: Es gibt keine Macht, die von mir getrennt wäre, und das liegt in meiner Natur. Nenne es Kreativität. Aus einer Menge Gold kann man viele Schmuckstücke machen, aber jedes bleibt Gold. Ebenso bleibe ich, was ich bin. Dieses „Ich bin“ ist unveränderbar, unerschütterlich und unabhängig, egal in welcher Rolle ich auftrete und welche Funktion ich ausübe. Was du das Universum oder die Natur nennst, ist meine spontane Kreativität. Was auch immer passiert, es passiert. Aber es liegt in meiner Natur, daß alles in Freude endet.
F: Ich kenne einen Fall, in dem ein Junge erblindete, weil ihm seine unwissende Mutter Methylalkohol gegeben hat. Nun bitte ich dich, ihm zu helfen. Du bist voller Mitgefühl und offensichtlich hilfsbereit. Mit welcher Kraft kannst du ihm helfen?
M: Sein Fall ist im Bewußtsein registriert, und zwar unauslöschlich. So wird das Bewußtsein entsprechend wirken.
F: Macht es einen Unterschied, wenn ich dich um Hilfe bitte?
M: Deine Bitte ist ein Teil der Blindheit des Jungen. Weil er blind ist, bittest du. Du hast damit nichts hinzugefügt.
F: Aber deine Hilfe kann ein neuer Faktor sein.
M: Nein, alles ist in der Blindheit des Jungen enthalten, alles, die Mutter, der Junge, du und ich und alles andere. Es ist alles ein Geschehen.
F: Willst du damit sagen, daß bereits unsere Diskussion über den Fall des Jungen vorherbestimmt war?
M: Was sonst? Alle Dinge enthalten ihre Zukunft. Der Junge erscheint im Bewußtsein. Ich selbst bin darüber hinaus und erteile dem Bewußtsein keine Befehle mehr. Ich weiß, daß es in der Natur des Bewußtseins liegt, die Dinge in Ordnung zu bringen. Laß das Bewußtsein für seine Schöpfungen sorgen! Die Trauer des Jungen, dein Mitleid, mein Zuhören und mein bewußtes Handeln, all das ist ein einziges Geschehen. Zertrenne es nicht in unterschiedliche Ereignisse, um dann Fragen darüber zu stellen!
F: Wie seltsam dein Verstand funktioniert!
M: Du bist seltsam, nicht ich. Ich bin normal und gesund. Ich sehe die Dinge so, wie sie sind, und deshalb habe ich keine Angst vor ihnen. Aber du hast Angst vor der Wirklichkeit.
F: Warum sollte ich?
M: Es ist die Unwissenheit über dein Selbst, die dir bewußt und unbewußt Angst macht. Versuche nicht, keine Angst zu haben, sondern zerbreche zuerst die Mauer der Unwissenheit! Die Menschen haben Angst zu sterben, weil sie nicht wissen, was der Tod ist. Der Jnani ist vor seinem Tod gestorben und erkannte, daß es nichts gab, wovor er Angst haben mußte. Sobald du dein wahres Wesen erkennst, hast du vor nichts mehr Angst. Dieser Tod gibt Freiheit und Macht. Um in der Welt frei zu sein, mußt du der Welt absterben. Dann gehört das ganze Universum dir und ist dein Körper als ein Ausdruck und Werkzeug. Die Glückseligkeit, absolut frei zu sein, ist unbeschreiblich. Wer hingegen Angst vor der Freiheit hat, kann nicht sterben.
F: Du meinst, daß jemand, der nicht sterben kann, auch nicht leben kann?
M: Nenne es, wie du willst. Anhaftung ist Knechtschaft, Loslösung ist Freiheit. Verlangen bedeutet, ein Sklave zu sein.
F: Folgt daraus, daß die Welt gerettet ist, wenn man selbst gerettet wird?
M: Als Ganzes muß die Welt nicht gerettet werden. Der Mensch macht Fehler und verursacht damit Leiden. Und wenn dies in das Feld des Gewahrseins eintritt, des Bewußtseins eines Jnani, dann wird es in Ordnung gebracht, denn das ist seine Natur.
F: Wir können beobachten, was man „spirituelle Entwicklung“ nennen könnte: Ein egoistischer Mensch wird religiös, beherrscht sich, verfeinert seine Gedanken und Gefühle, praktiziert spirituelle Übungen und erkennt sein wahres Dasein. Wird diese Entwicklung durch Kausalität bestimmt oder ist sie zufällig?
M: Aus meiner Sicht geschieht alles von selbst, ganz spontan. Aber der Mensch bildet sich ein, daß er durch einen Anreiz auf ein Ziel hinarbeitet. So hat er immer eine Belohnung im Sinn und strebt danach.
F: Ein grober und wenig entwickelter Mensch wird nicht ohne Belohnung arbeiten. Ist es dann nicht richtig, ihm Anreize zu bieten?
M: Er wird sich von selbst Anreize schaffen. Er weiß nicht, daß Wachstum in der Natur des Bewußtseins liegt. Er wird von Anreiz zu Anreiz voranschreiten und den Gurus nachjagen, um seine Wünsche zu erfüllen. Und wenn er dann durch die Gesetze seines Daseins den Weg zur Rückkehr findet (Nivritti), dann gibt er alle Anreize auf, denn sein Interesse an der Welt ist gestorben. Er will nichts mehr, weder von anderen noch von sich selber. Er stirbt für alle und wird zum All. Nichts wollen und nichts tun, das ist wahre Schöpfung! Zu sehen, wie das Universum im eigenen Herzen entsteht und vergeht, ist das Wunder (Gottes).
F: Langeweile (bzw. Trägheit) ist aber das größte Hindernis für die innere Anstrengung, wenn sich der Schüler langweilt.
M: Trägheit und Ruhelosigkeit (Tamas und Rajas) wirken zusammen und unterdrücken Klarheit und Harmonie (Sattwa). Tamas und Rajas müssen also besiegt werden, bevor Sattwa erscheinen kann. Das wird alles zu gegebener Zeit kommen, ganz spontan.
F: Ist dazu keine Anstrengung nötig?
M: Wenn Anstrengung nötig ist, wird Anstrengung erscheinen. Und wenn Mühelosigkeit erforderlich ist, wird sie sich durchsetzen. Du brauchst das Leben nicht anzutreiben. Fließe einfach mit dem Leben und gib dich ganz der Anforderung des gegenwärtigen Augenblicks hin. Das ist das Sterben im Jetzt für das Jetzt. Denn Leben ist Sterben. Ohne Tod kann es kein Leben geben. So ergreife das Grundlegende, daß die Welt und das Selbst eins sind und vollkommen. Nur deine Einstellung ist fehlerhaft und muß korrigiert werden. Dieser Prozeß oder diese Korrektur wird Sadhana genannt. Dies erreichst du, indem du der Trägheit ein Ende setzt und deine ganze Energie einsetzt, um den Weg für reine Klarheit und allumfassende Liebe freizumachen. Aber in Wahrheit sind das alles Zeichen eines unvermeidlichen Wachstums. Hab keine Angst, widersetze dich nicht und zögere nicht. Sei, was du bist! Es gibt nichts, wovor du Angst haben mußt. Vertraue und versuche es! Experimentiere ehrlich, und gib deinem wahren Dasein eine Chance, dein Leben zu gestalten. Du wirst es nicht bereuen.
Fragender: Ich bin gebürtiger Schwede, und gegenwärtig unterrichte ich Hatha Yoga in Mexiko und den USA.
Maharaj: Wo hast du es gelernt?
F: Ich hatte einen Lehrer in den USA, einen indischen Swami.
M: Was hat es dir gebracht?
F: Es brachte mir gute Gesundheit und einen Lebensunterhalt.
M: Gut! Ist das alles, was du suchst?
F: Ich suchte auch den geistigen Frieden. Ich war angewidert von all den grausamen Dingen, die die sogenannten Christen im Namen Christi taten. Eine Zeitlang war ich ohne Religion, und dann fühlte ich mich zum Yoga hingezogen.
M: Was hast du damit gewonnen?
F: Ich habe die Yoga-Philosophie studiert, und das hat mir geholfen.
M: Inwiefern hat es dir geholfen? Anhand welcher Anzeichen kamst du zu dem Schluß, daß dir geholfen wurde?
F: Gute Gesundheit ist etwas sehr Greifbares.
M: Zweifellos ist es sehr angenehm, sich gesund zu fühlen. Ist das Wohlbefinden alles, was du vom Yoga erwartest?
F: Die Freude am Wohlbefinden ist die Belohnung des Hatha Yoga. Aber Yoga im Allgemeinen bringt mehr als das. Es beantwortet viele Fragen.
M: Was meinst du mit Yoga?
F: Die gesamte hinduistische Lehre Indiens von Evolution, Wiedergeburt, Karma und so weiter.
M: Gut, du hast nun das gesamte Wissen, das du wolltest. Aber welchen Nutzen hast du davon?
F: Es hat mir geistigen Frieden gegeben.
M: Wirklich? Ist dein Verstand friedlich? Ist deine Suche beendet?
F: Nein, noch nicht.
M: Natürlich nicht, denn es wird kein Ende geben, weil es keinen Frieden im Verstand gibt. Verstand bedeutet Störung, die Unruhe selbst ist der Verstand. Und Yoga ist weder eine Eigenschaft des Verstandes noch ein Zustand des Verstandes.
F: Doch ein gewisses Maß an Frieden habe ich im Yoga empfangen.
M: Schau genau hin und du wirst sehen, daß der Verstand vor Gedanken kocht. Gelegentlich kann er zu einer Leerheit kommen, doch sie bleibt nur eine Zeitlang bestehen, und dann fällt er wieder in seine übliche Ruhelosigkeit. Ein beruhigter Verstand ist noch kein friedlicher Verstand. Du sagst, daß du deinen Geist (als Verstand) beruhigen willst. Ist denn derjenige, der den Geist beruhigen will, selbst voller Frieden?
F: Nein, ich selbst bin nicht im Frieden, sondern brauche die Hilfe von Yoga.
M: Erkennst du nicht den Widerspruch? Viele Jahre lang hast du den Frieden im Verstand gesucht. Du konntest ihn nicht finden, denn was im Grund unruhig ist, kann nicht in Frieden sein.
F: Es gibt aber einige Fortschritte.
M: Der Frieden, den du vermeintlich gefunden hast, ist sehr vergänglich, und jede Kleinigkeit kann ihn stören. Was du Frieden nennst, ist nur die Abwesenheit von Störung. Das ist kaum den Namen wert. Wahrer Frieden kann nicht gestört werden. Oder kannst du einen Frieden des Geistes beanspruchen, der unangreifbar ist?
F: Danach strebe ich.
M: Dieses Streben ist auch eine Form der Unruhe.
F: Was bleibt also übrig?
M: Das Selbst muß nicht zur Ruhe gebracht werden. Es ist der Frieden selbst, und nicht in Frieden. Nur der Verstand ist unruhig. Alles, was er weiß, ist die Unruhe mit ihren vielen Arten und Stufen. Das Angenehme gilt als höherwertig, und das Schmerzhafte wird abgewertet. Was wir Fortschritt nennen, ist lediglich ein Verändern vom Unangenehmen zum Angenehmen. Aber Veränderungen allein können uns nicht zum Unveränderlichen führen, denn alles, was einen Anfang hat, muß auch ein Ende haben. Das Wahre beginnt nicht. Es offenbart sich nur als anfangs- und endlos, alldurchdringend, allmächtig, zeitlos, unveränderlich und unbeweglich, obwohl es alles bewegt.
F: Was sollte man also tun?
M: Durch Yoga hast du Wissen und Erfahrung gesammelt. Dies läßt sich nicht leugnen. Aber was nützt dir das alles? Yoga bedeutet Verbindung und Vereinigung. Was hast du wieder verbunden und vereint?
F: Ich versuche, die Persönlichkeit wieder mit dem wahren Selbst zu vereinen.
M: Die Persönlichkeit (Vyakti) ist nur ein Produkt der Vorstellungskraft, und das Selbst (Vyakta) ist das Opfer dieser Vorstellung. Diese Vorstellung, daß du dich für etwas hältst, was du nicht bist, ist das, was dich bindet. Oder kannst du sagen, daß die Person als eine Wahrheit existiert? Es ist das Selbst, das glaubt, daß es eine Person gibt, und sich deren Existenz bewußt wird. Jenseits des Selbst (Vyakta) liegt das Unmanifeste (Avyakta), die unverursachte Ursache von allem. So ist es unsinnig, von der Wiedervereinigung der Person mit dem Selbst zu sprechen, denn es gibt keine Person, sondern nur ein geistiges Bild, dem durch Überzeugung eine illusorische Wahrheit verliehen wird. Nichts wurde jemals getrennt, und so gibt es auch nichts, was sich wieder vereinen könnte.
F: Doch Yoga hilft bei der Suche und dem Finden des Selbst.
M: Du kannst vielleicht etwas finden, was du verloren hast. Aber du kannst nicht finden, was du niemals verlieren kannst.
F: Hätte ich niemals etwas verloren, wäre ich erleuchtet. Aber das bin ich nicht, sondern ich bin auf der Suche. Ist meine Suche nicht ein Beweis dafür, daß ich etwas verloren habe?
M: Es zeigt nur, daß du glaubst, etwas verloren zu haben. Doch wer glaubt das? Und was glaubst du als verloren? Hast du etwas Eigenes wie dich selbst verloren? Was ist das Selbst, nach dem du sucht? Was genau erwartest du zu finden?
F: Das wahre Wissen über das Selbst.
M: Das wahre Wissen über das Selbst (als „Selbsterkenntnis“) ist kein Wissen. Es ist nicht etwas, das man durch Suchen findet, indem man überall nachschaut. Es ist weder im Raum noch in der Zeit zu finden. Wissen ist nur eine Erinnerung, ein Gedankenmuster und eine geistige Gewohnheit. All dies ist durch Glück und Leid motiviert. Weil du von Glück und Leid angetrieben wirst, bist du auf der Suche nach Wissen. Dein Selbst zu sein, liegt völlig jenseits jeder Motivation. Du kannst nicht aus irgendeinem Grund dein Selbst sein. Du bist dein Selbst, und es bedarf keines Grundes.
F: Durch Yoga hoffe ich (zumindest) den Frieden finden.
M: Kann es Frieden getrennt von deinem Selbst geben? Sprichst du aus eigener Erfahrung oder nur aus Büchern? Dein Bücherwissen ist anfangs nützlich, aber schon bald muß es der direkten Erfahrung geopfert werden, die ihrer Natur nach unaussprechlich ist. Dazu können die Worte auch zur Zerstörung verwendet werden. Denn aus Worten entstehen Bilder, und durch Worte werden sie auch wieder zerstört. Du hast dich durch begriffliches Denken in deinen gegenwärtigen Zustand gebracht und mußt auch auf diesem Weg wieder herauskommen.
F: Ich habe ein gewisses Maß an innerem Frieden erreicht. Soll ich ihn wieder zerstören?
M: Alles, was erreicht wurde, wird wieder verlorengehen. Nur wenn du den wahren Frieden verwirklichst, den Frieden, den du nie verloren hast, wird dieser Frieden bei dir bleiben, denn er war nie abwesend. Anstatt nach dem zu suchen, was du nicht behalten kannst, finde das, was du nie verloren hast! Das, was vor dem Anfang und nach dem Ende von allem da ist. Das, was nie geboren wurde und nie sterben wird. Dieses unveränderliche Dasein, das durch die Geburt und den Tod eines Körpers oder Verstandes nicht beeinflußt wird. Das mußt du wahrnehmen.
F: Wie erreicht man eine solche Wahrnehmung?
M: Im Leben kann man nichts erreichen, ohne Hindernisse zu überwinden. Die Hindernisse für die klare Wahrnehmung des eigenen wahren Daseins sind der Wunsch nach Freude und die Angst vor Leid. Es ist diese Freude-Leid-Motivation, die im Weg steht. Die Freiheit von jeglicher Motivation, der Zustand, in dem kein Wunsch aufkommt, ist der natürliche (wahre) Zustand.
F: Braucht ein solches Aufgeben von Wünschen Zeit?
M: Wenn man es der Zeit überläßt, werden Millionen Jahre benötigt. Denn das Aufgeben eines Wunsches nach dem anderen ist ein langwieriger Prozeß, dessen Ende nie in Sicht ist. Laß deine Wünsche und Ängste einfach in Ruhe und richte deine ganze Aufmerksamkeit auf das Subjekt, nämlich auf den, der hinter der Erfahrung von Wünschen und Ängsten steht. Frage „Wer wünscht?“, und laß dich von jedem Wunsch zu dir selbst zurückbringen.
F: Die Wurzel aller Wünsche und aller Ängste ist dieselbe, nämlich die Sehnsucht nach Glück.
M: Das Glück, an das man denken kann und nach dem man sich sehnt, ist nur körperlicher oder geistiger Genuß. Solche sinnliche oder geistige Freude ist kein wahres, absolutes Glück.
F: Auch die Sinnes- und Geistesfreuden und das allgemeine Wohlbefinden, das mit körperlicher und geistiger Gesundheit einhergeht, müssen doch ihre Wurzeln in der Wahrheit haben.
M: Sie haben ihre Wurzeln in der Fantasie. Ein Mann, dem ein Stein geschenkt und versichert wird, daß es sich um einen unbezahlbaren Diamanten handelt, wird sich riesig freuen, bis er seinen Fehler erkennt. In gleicher Weise verlieren die Freuden ihren Genuß und die Leiden ihren Stachel, wenn das Selbst erkannt wird. Beide werden so gesehen, wie sie sind, nämlich als konditionierte Antworten, bloße Reaktionen und schlichte Anziehung und Abstoßung, basierend auf Erinnerungen oder Vorurteilen. Gewöhnlich werden Freude und Leid erlebt, wenn sie erwartet werden. So ist alles eine Frage erworbener Gewohnheiten und Überzeugungen.
F: Nun ja, Freuden können eingebildet sein. Aber das Leiden ist doch echt.
M: Freude und Leid gehören immer zusammen. Freiheit von einem bedeutet Freiheit von beiden. Wenn du dich nicht um Freude kümmerst, wirst du auch keine Angst vor Leid haben. Doch es gibt eine Glückseligkeit, die weder das eine noch das andere ist und völlig jenseits besteht. Das Glück der Freude, das du kennst, ist beschreibbar und meßbar, sozusagen objektiv. Aber das Objektive kann nicht dein eigenes sein. Es wäre ein schwerer Fehler, sich mit etwas Äußerlichem zu identifizieren. Diese verschiedenen Ebenen zu vermischen, führt nirgendwo hin. Die Wahrheit liegt jenseits des Subjektiven und Objektiven, jenseits aller Ebenen und Unterscheidungen. Ganz sicher ist die Wahrheit nicht deren Ursprung, Quelle oder Wurzel. Denn sie entstehen aus der Unkenntnis der Wahrheit und nicht aus der Wahrheit selbst, die unbeschreiblich ist, jenseits von Sein und Nichtsein.
F: Ich bin vielen Lehrern gefolgt und habe viele Lehren studiert, doch sie konnten mir nicht geben, was ich wollte.
M: Der Wunsch, das Selbst zu finden, wird sicherlich erfüllt, vorausgesetzt, du willst nichts anderes. Aber du mußt ehrlich zu dir selbst sein und wirklich nichts anderes wollen. Wenn du in der Zwischenzeit viele andere Dinge willst und dich mit deren Verfolgung befaßt, dann wird sich dein Hauptziel verzögern, bis du weiser wirst und nicht mehr zwischen widersprüchlichen Trieben hin- und hergerissen bist. Geh nach innen, ohne abzuweichen und ohne jemals nach außen zu schauen.
F: Aber meine Wünsche und Ängste sind immer noch da.
M: Wo sind sie, außer in deiner Erinnerung? Erkenne, daß ihre Wurzel in der Erwartung liegt, die aus der Erinnerung entsteht, und sie werden aufhören, dich zu bedrängen.
F: Ich habe (bzgl. der Erwartung) auch klar verstanden, daß soziale Dienste eine endlose Aufgabe sind, weil hier Verbesserung und Verfall, Fortschritt und Rückschritt Hand in Hand gehen. Das können wir überall und auf jeder Ebene sehen. Doch was bleibt dann?
M: Welche Arbeit du auch immer übernommen hast, vollende sie, aber übernimm keine neuen Aufgaben, es sei denn, eine konkrete Leidenssituation verlangt nach Linderung des Leidens. Finde zuerst dich selbst, und endlose Segnungen werden folgen. Es gibt keinen größeren Gewinn in der Welt, als den Verzicht auf Gewinn. Ein Mensch, der nicht länger in den Begriffen von Verlust und Gewinn denkt, ist ein wirklich gewaltloser Mensch, denn er ist jenseits aller Konflikte.
F: Ja, die Idee von Ahimsa (Gewaltlosigkeit) hat mich schon immer angezogen.
M: Ahimsa bedeutet vor allem „nicht verletzen“. Es geht nicht so sehr darum, Gutes zu tun, sondern nicht mehr zu schaden und das Leid nicht zu vergrößern. Anderen zu gefallen, ist kein Ahimsa.
F: Ich spreche nicht davon, anderen zu gefallen, aber ich wünsche, anderen zu helfen.
M: Die einzige Hilfe, die wirklich wertvoll ist, ist die Befreiung von der Notwendigkeit weiterer Hilfe. Immer weiter helfen zu müssen, ist keine wahre Hilfe. Sprich also nicht davon, einem anderen zu helfen, es sei denn, du führst ihn jenseits aller Hilfebedürftigkeit.
F: Wie kommt man jenseits aller Hilfebedürftigkeit? Kann einer dem anderen dabei helfen?
M: Wenn du erkannt hast, daß jegliche Existenz in Trennung und Begrenzung leidvoll ist, und wenn du willens und fähig bist, ganzheitlich im Einssein mit allem Leben als reines Dasein zu leben, dann hast du alle Hilfebedürftigkeit überwunden. Und dann kannst du auch anderen durch Gebot und Beispiel und vor allem durch dein eigenes Dasein helfen. Denn du kannst nicht geben, was du nicht hast, und du hast nicht, was du nicht bist. Du kannst nur geben, was du bist, und davon kannst du grenzenlos geben.
F: Ist es wirklich wahr, daß jede Existenz leidvoll ist?
M: Was sollte sonst der Grund für diese allgemeine Suche nach Glück sein? Oder sucht ein glücklicher Mensch nach Glück? Wie rastlos doch die Menschen sind, ständig in Bewegung! Weil sie leiden, suchen sie Erleichterung im Glück. Doch alles Glück, das sie sich vorstellen können, liegt in der Hoffnung auf ein zurückkehrendes Glück (bzgl. ihrer persönlichen Erinnerung).
F: Wenn das, was ich bin, die Person, für die ich mich halte, nicht glücklich sein kann, was soll ich dann tun?
M: Du kannst nur aufhören das zu sein, was du jetzt zu sein glaubst. In dem, was ich sage, ist nichts Grausames. Einen Menschen aus einem Albtraum aufzuwecken, ist Mitgefühl. Du bist hierhergekommen, weil du leidest, und ich sage nur: Wach auf, erkenne dich selbst und sei du selbst! Das Ende des Leidens liegt nicht im Glück. Wenn du erkennst, daß du selbst jenseits von Glück und Leid bist, frei und unangreifbar, dann hört das Streben nach Glück auf und damit auch das daraus resultierende Leid. Denn das Leid strebt nach Glück, und dieses Glück endet unbarmherzig im Leid.
F: Gibt es im Höchsten kein Glück?
M: Und auch kein Leid, sondern nur Freiheit. Glück hängt von irgendetwas ab und kann verlorengehen. Die Freiheit von allem ist unabhängig und kann nicht verlorengehen. Die Freiheit vom Leiden hat keine Ursache und kann daher auch nicht zerstört werden. Verwirkliche diese Freiheit!
F: Bin ich nicht dazu geboren, unter den Wirkungen meiner Vergangenheit zu leiden? Ist Freiheit überhaupt möglich? Wurde ich aus eigenem Willen geboren? Bin ich nicht nur ein Geschöpf?
M: Was sind Geburt und Tod anderes als der Anfang und das Ende eines Stroms von Ereignissen im Bewußtsein? Aufgrund der Vorstellung von Trennung und Begrenzung sind sie leidvoll. Eine vorübergehende Linderung dieses Leidens nennen wir Glück, und wir bauen Luftschlösser in der Hoffnung auf endloses Glück, das wir Glückseligkeit nennen. Das sind alles Mißverständnisse und Illusionen. Wach auf, geh darüber hinaus und lebe wahrhaftig!
F: Mein Wissen ist begrenzt, und meine Macht gering.
M: Sei die Quelle von beiden! Das Selbst ist jenseits von Wissen und Macht. Das Beobachtbare ist im Verstand. Die Natur des Selbst ist reines Gewahrsein, reines Bezeugen, unbeeinflußt von der Anwesenheit oder Abwesenheit von Wissen oder Neigungen. Wenn du dein Dasein jenseits dieses Körpers hast, der Geburt und Tod unterliegt, dann werden alle deine Probleme gelöst sein. Denn sie existieren, weil du glaubst, daß du zum Sterben geboren wurdest. Enttäusche dich selbst und sei frei! Du bist keine Person.
Fragender: Von allen Seiten höre ich, daß die Freiheit von Wünschen und Neigungen die erste Voraussetzung für die Selbstverwirklichung sei. Aber ich halte es für unmöglich, diese Bedingung zu erfüllen. Unwissenheit über sich selbst führt zu Wünschen, und Wünsche nähren die Unwissenheit. Ein echter Teufelskreis!
Maharaj: Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Es gibt nichts zu tun und nichts aufzugeben. Schau einfach hin und erinnere dich: Was auch immer du wahrnimmst, das bist nicht du, noch gehört es dir. Es ist im Feld des Bewußtseins wirksam, aber du bist nicht das Feld und seine Inhalte, noch nicht einmal der Kenner des Feldes. Es ist deine Vorstellung, daß du irgendwelche Dinge tun mußt, die dich wiederum in die Früchte deiner Taten verstricken. Das Motiv, der Wunsch, das Scheitern und das Gefühl der Frustration - all das hält dich zurück. Schau dir einfach alles an, was auch immer passiert, und erkenne, daß du jenseits davon bist.
F: Bedeutet das, daß ich auf alle Taten verzichten soll?
M: Das kannst du nicht! Was läuft, muß weiterlaufen. Wenn du plötzlich anhältst, fällst du um.
F: Geht es darum, das Wissen und den Wissenden zu vereinen?
M: Beides sind Vorstellungen im Verstand und Worte, die diese ausdrücken. Es gibt kein Selbst in ihnen. Das Selbst ist weder dazwischen noch drumherum. Auf der Verstandesebene danach zu suchen, ist vergeblich. Höre auf, zu suchen, und erkenne: Es ist hier und jetzt, es ist das „Ich bin“, das du so gut kennst. Du mußt nur aufhören, dich selbst im Feld des Bewußtseins zu erkennen. Wenn du diese Sache nicht bereits sorgfältig betrachtet hast, wird es nicht ausreichen, mir nur einmal zuzuhören. Vergiß deine vergangenen Erfahrungen und Erfolge, stehe nackt, den Winden und Regenfällen des Lebens ausgesetzt, und du wirst eine Chance haben.
F: Hat auch Hingabe (Bhakti) einen Platz in deiner Lehre?
M: Wenn du dich krank fühlst, gehst du zu einem Arzt, der dir sagt, was nicht stimmt und was das Heilmittel ist. Und wenn du Vertrauen zu ihm hast, dann ist die Sache ganz einfach: Du nimmst das Medikament ein, hältst dich an die Diätvorschriften und wirst wieder gesund. Falls du ihm nicht vertraust, kannst du es trotzdem wagen oder selbst Medizin studieren. In jedem Fall ist es dein Wunsch nach Heilung, der dich bewegt, nicht der Arzt. So gibt es auch ohne Vertrauen keinen Frieden. Irgend jemandem vertraust du immer, sei es deiner Mutter oder auch deiner Ehefrau. Doch von allen Menschen ist der Kenner des Selbst, der Befreite, der vertrauenswürdigste. Aber nur zu vertrauen reicht nicht aus. Du mußt es auch wünschen. Denn was nützt dir das Vertrauen, daß du die Freiheit erlangen kannst, ohne den Wunsch nach Freiheit? Wünschen und Vertrauen müssen zusammenspielen. Je stärker dein Wunsch ist, desto leichter kommt die Hilfe. Der größte Guru ist hilflos, solange der Schüler nicht zu lernen wünscht. Wunsch und Ernsthaftigkeit sind von entscheidender Bedeutung, und das Vertrauen kommt mit der Erfahrung. Bleibe deinem Ziel treu, und die Hingabe an deinen Führer wird folgen, der dich führen kann. Wenn dein Wunsch und dein Vertrauen stark sind, werden sie wirken und dich zum Ziel führen, denn du wirst keine Verzögerungen durch Zögerlichkeit und Kompromisse bewirken. Der größte Guru ist dein inneres Selbst! Er ist wahrlich der höchste Lehrer, und er allein kann dich an dein Ziel bringen, und er allein erwartet dich am Ende des Weges. Vertraue ihm und du brauchst keinen äußeren Guru. Doch auch hier mußt du den starken Wunsch haben, ihn zu finden und nichts zu tun, was zu Hindernissen und Verzögerungen führt. Dabei verschwende keine Energie und Zeit mit Reue, sondern lerne aus deinen Fehlern und wiederhole sie nicht!
F: Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?
M: Ja, warum nicht?
F: Ich sehe dich auf einem Antilopenfell sitzen. Wie verträgt sich das mit der Gewaltlosigkeit (Ahimsa)?
M: Mein ganzes Berufsleben lang war ich Zigarettenmacher und habe damit Menschen geholfen, ihre Gesundheit zu verderben. Und direkt vor meiner Tür hat die Behörde eine öffentliche Toilette errichtet, die meiner Gesundheit schadet. Wie kann man in dieser gewalttätigen Welt jegliche Art von Gewalt vermeiden?
F: Doch sicherlich sollte jede vermeidbare Gewalt vermieden werden. Trotzdem hat in Indien jeder heilige Mann sein Tiger-, Löwen-, Leoparden- oder Antilopenfell, auf dem er sitzen kann.
M: Vielleicht, weil es früher keine Kunststoffe gab und ein Tierfell am besten war, um die Feuchtigkeit fernzuhalten. Rheumatismus hat keinen Reiz, selbst für einen Heiligen! So entstand die Tradition, daß für längere Meditationen ein Fell nützlich ist. Wie das Fell auf einer Trommel im Tempel, so sitzt auch ein Yogi auf dem Antilopenfell. Das stört uns nicht.
F: Aber das Tier mußte getötet werden.
M: Ich habe noch nie von einem Yogi gehört, der einen Tiger wegen seines Fells getötet hat. Mörder sind keine Yogis, und Yogis sind keine Mörder.
F: Solltest du nicht deine Mißbilligung dadurch zum Ausdruck bringen, daß du dich weigerst, auf einem Fell zu sitzen?
M: Was für eine Vorstellung! Ich mißbillige das gesamte Universum, warum nur ein Fell?
F: Was stimmt mit dem Universum nicht?
M: Sich selbst zu vergessen, ist die größte Verletzung, und daraus entstehen alle Katastrophen. Kümmere dich also um das Wichtigste, und die geringeren Dinge werden sich von selbst erledigen. Einen dunklen Raum kann man nicht aufräumen. Es ist besser, das Fenster zu öffnen und das Licht hereinzulassen. So warten wir lieber damit, andere zu verbessen, bis wir uns selbst so erkennen, wie wir sind, und uns selbst verbessert haben. Es besteht keine Notwendigkeit, sich in endlosen Fragen ständig im Kreis zu drehen. Finde dich selbst und alles wird in Ordnung kommen!
F: Der Drang, zur Quelle zurückzukehren, ist sehr selten. Ist das überhaupt natürlich?
M: Am Anfang ist das Ausgehen natürlich, am Ende das Eingehen. Aber in Wahrheit sind beide eins, so wie das Ein- und Ausatmen eins sind.
F: Sind in gleicher Weise auch der Körper und dessen Bewohner eins?
M: Ereignisse in Zeit und Raum, wie Geburt und Tod oder Ursache und Wirkung, können als eins betrachtet werden, aber der Körper und dessen Bewohner gehören nicht zur gleichen Ebene der Wirklichkeit. Der Körper existiert in Zeit und Raum, vergänglich und begrenzt, während der Bewohner zeitlos und raumlos, ewig und alldurchdringend ist. Die beiden gleichzustellen (und sich mit dem Körper zu identifizieren), ist ein schwerer Fehler und die Ursache für endloses Leiden. Man kann von Verstand und Körper als eine Einheit sprechen, aber Körper-Verstand ist nicht die zugrundeliegende Wahrheit.
F: Wer auch immer er sein mag, der Bewohner hat doch die Kontrolle über den Körper und ist daher für ihn verantwortlich.
M: Es gibt eine universale Macht, welche die Kontrolle hat und verantwortlich ist.
F: So kann ich also tun, was ich will, und einer universalen Macht die Verantwortung zuschieben? Wie einfach!
M: Ja, ganz einfach. Erkenne einfach den einen Beweger hinter allem, was sich bewegt, und überlasse ihm alles. Wenn du nicht zögerst oder betrügst, dann ist dies der kürzeste Weg zur Wahrheit. Sei ohne Verlangen und Angst und gib jegliche Kontrolle und Verantwortung auf!
F: Was für eine Verrücktheit!
M: Ja, göttliche Verrücktheit. Was ist falsch daran, die Illusion einer persönlichen Kontrolle und persönlichen Verantwortung aufzugeben? Beides geschieht nur im Verstand. Solange du glaubst, die Kontrolle zu haben, mußt du dir natürlich auch vorstellen, verantwortlich zu sein. Das eine erfordert das andere.
F: Wie kann das Universale für das Einzelne verantwortlich sein?
M: Alles Leben auf der Erde hängt von der Sonne ab. Und trotzdem kannst du die Sonne nicht für alles verantwortlich machen, was passiert, auch wenn sie die grundlegende Ursache ist. Licht verursacht die Farbe der Blüte, aber es hat weder die direkte Kontrolle noch trägt es die Verantwortung dafür. Es ermöglicht die Farbe, und das ist alles.
F: Was mir an all dem nicht gefällt, ist die Zuflucht zu einer universalen Macht.
M: Die Fakten kannst du nicht bestreiten.
F: Welche Fakten? Deine oder meine?
M: Deine! Meine Fakten kannst du nicht in Frage stellen, denn du kennst sie nicht. Könntest du sie kennen, würdest du sie nicht leugnen. Hierin liegt das Problem, denn du hältst deine Vorstellungen für Fakten und meine Fakten für Vorstellungen. Ich weiß mit Sicherheit, daß alles eins ist. Unterschiede sind keine (wahre) Trennung. Entweder bist du für nichts verantwortlich, oder für alles. Sich vorzustellen, daß man nur die Kontrolle über einen bestimmten Körper hat und nur für diesen verantwortlich ist, ist eine Verirrung des Körper-Verstandes.
F: Dennoch bist du durch deinen Körper eingeschränkt.
M: Nur in Sachen, die den Körper betreffen, und das macht mir nichts aus. Es ist, als würde man die Jahreszeiten ertragen. Sie kommen und gehen, ohne daß ich komme und gehe. In gleicher Weise kommen und gehen Körper und Verstand, denn so ist das Leben immerfort auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen.
F: Solange du Gott nicht die ganze Last des Bösen aufbürdest, bin ich zufrieden. Mag es einen Gott geben, aber für mich ist er eine vom menschlichen Verstand projizierte Vorstellung. Für dich mag er eine Wahrheit sein, aber für mich ist die Gesellschaft wahrer als Gott, denn ich bin sowohl ihr Geschöpf als auch ihr Gefangener. Deine Werte sind Weisheit und Mitgefühl, und die Werte der Gesellschaft sind kluger Egoismus. Ich lebe also in einer Welt, die ganz anders ist als deine.
M: Keiner zwingt dich dazu.
F: Vielleicht zwingt dich keiner, aber ich werde gezwungen. Meine Welt ist eine bösartige Welt voller Tränen, Mühe und Leiden. Und der Versuch, diese durch die Intellektualisierung mittels Evolutions- und Karma-Theorien wegzuerklären, macht alles nur noch schlimmer. Der Gott einer bösartigen Welt ist ein grausamer Gott.
M: Du bist selbst der Gott deiner Welt, und du bist sowohl unwissend als auch grausam. Laß Gott ein Konzept deiner eigenen Schöpfung sein, und finde lieber heraus, wer du bist und wie du dazu gekommen bist, in einer bösartigen Welt zu leben und dich nach Wahrheit, Güte und Schönheit zu sehnen. Welchen Nutzen hat es, für oder gegen Gott zu argumentieren, wenn du gar nicht weißt, wer Gott ist und wovon du redest? Der Gott, der aus Angst und Hoffnung geboren und von Verlangen und Vorstellungen geformt ist, kann doch nicht die (wahre) Macht sein, die da ist, der Geist und das Herz des Universums.
F: Ich gebe zu, daß die Welt, in der ich lebe, und der Gott, an den ich glaube, beides Geschöpfe der Vorstellung sind. Aber auf welche Weise werden sie durch Verlangen geschaffen? Warum stelle ich mir eine so schmerzhafte Welt und einen so gleichgültigen Gott vor? Was ist los mit mir, daß ich mich so grausam quäle? Der Erleuchtete kommt und sagt mir: „Es ist nur ein Traum, den man beenden muß.“ Aber ist er nicht selbst ein Teil dieses Traumes? Ich fühle mich gefangen und sehe keinen Ausweg. Du sagst, du bist frei. Wovon bist du frei? Doch füttere mich um Himmels willen nicht mit Worten! Erleuchte mich und hilf mir aufzuwachen, denn du bist es, der mich im Schlaf wälzen (und im Traum gefangen) sieht.
M: Wenn ich sage, daß ich frei bin, lege ich lediglich einen Fakt dar. Wenn du erwachsen bist, dann bist du von der Kindheit befreit. Und so bin ich von jeglicher Beschreibung und Identifikation befreit. Was auch immer du hörst, siehst oder denkst, das bin ich nicht. Ich bin frei davon, eine Wahrnehmung oder ein Konzept zu sein.
F: Dennoch hast du einen Körper und bist auf ihn angewiesen.
M: Wieder gehst du davon aus, daß deine Sichtweise die einzig richtige ist. Ich wiederhole: Ich war, bin und werde kein Körper sein. Für mich ist das ein Fakt. Auch ich hatte die Illusion, geboren zu sein, aber mein Guru ließ mich erkennen, daß Geburt und Tod bloße Vorstellungen sind. Geburt ist lediglich die Vorstellung „Ich habe einen Körper“, und der Tod „Ich habe meinen Körper verloren“. Wenn ich also weiß, daß ich kein Körper bin, dann kann der Körper da sein oder nicht - welchen Unterschied macht das? Der Körper-Verstand ist wie eine Wohnung. Sie ist zwar da, aber ich muß nicht für immer darin leben.
F: Dennoch gibt es einen Körper, und du kümmerst dich um ihn.
M: Die Macht, die den Körper erschaffen hat, kümmert sich auch um ihn.
F: Wir springen ständig von einer Ebene zur anderen.
M: Es sind zwei Ebenen zu berücksichtigen, die körperliche Ebene der Tatsachen und die geistige Ebene der Vorstellungen. Ich bin jenseits von beiden. Weder deine Tatsachen noch deine Vorstellungen gehören mir. Was ich sehe, ist jenseits davon. Komm auf meine Seite und sieh mit mir!
F: Was ich sagen möchte, ist sehr einfach: Solange ich glaube „Ich bin der Körper“, kann ich nicht sagen „Gott wird für meinen Körper sorgen“. Gott wird es nicht tun. Er wird ihn verhungern, erkranken und sterben lassen.
M: Was erwartest du sonst noch von einem bloßen Körper? Warum bist du so besorgt darüber? Weil du denkst, daß du der Körper bist, willst du, daß er unzerstörbar sei. Du kannst zwar seine Lebensdauer durch geeignete Mittel erheblich verlängern, aber wozu dient das letztendlich?
F: Es ist doch besser, lange und gesund zu leben. Das gibt uns die Chance, die Fehler der Kindheit und Jugend, die Frustrationen der Erwachsenen, sowie das Elend und den Schwachsinn der Alten zu vermeiden.
M: Dann führe mit allen Mitteln ein langes Leben! Und doch bist du nicht Herr darüber. Oder kannst du den Tag deiner Geburt und deines Todes bestimmen? Wir sprechen wohl nicht dieselbe Sprache. Deine Sprache ist eine Scheinsprache, die von Vermutungen und Annahmen abhängt. Du sprichst mit Sicherheit über Dinge, derer du dir nicht sicher sein kannst.
F: Deshalb bin ich hier.
M: Du bist noch nicht hier. Ich bin hier. Komm herein! Aber das tust du nicht. Du willst, daß ich dein Leben lebe, deine Gedanken denke und deine Sprache spreche. Das kann ich nicht, und es würde dir auch nicht helfen. Du mußt zu mir kommen. Worte kommen vom Verstand, und der Verstand vernebelt und verzerrt. Daher ist es absolut notwendig, über Worte hinauszugehen und auf meine Seite zu kommen.
F: Dann nimm mich hinüber.
M: Das mache ich, aber du wehrst dich. Du gibst Konzepten Wahrheit, während doch Konzepte nur Verzerrungen der Wahrheit sind. Gib alle Vorstellungen auf und bleibe ruhig und aufmerksam! Sei ernsthaft dabei, und alles wird gut für dich sein.
Fragender: Vor tausend Jahren lebte und starb ein Mann. Seine Identität (Antahkarana) erschien in einem neuen Körper wieder. Warum erinnert er sich nicht an sein früheres Leben? Und falls das möglich wäre, wie kann die Erinnerung ins Bewußtsein gebracht werden?
Maharaj: Woher weißt du, daß dieselbe Person im neuen Körper wieder aufgetaucht ist? Ein neuer Körper kann auch eine völlig neue Person bedeuten.
F: Stell dir einen Topf Ghee vor (geklärte Butter). Wenn der Topf zerbricht, bleibt das Ghee übrig und kann in einen anderen Topf umgefüllt werden. Der alte Topf hatte seinen eigenen Duft, wie auch der neue, denn das Ghee trägt den Duft von Topf zu Topf. In gleicher Weise wird auch die persönliche Identität von Körper zu Körper übertragen.
M: Das ist soweit in Ordnung. Wenn es den Körper gibt, dann wirken sich seine Eigenschaften auf den Menschen aus. Und ohne den Körper haben wir die reine Identität in der Empfindung „Ich bin“. Aber wenn du in einem neuen Körper wiedergeboren wirst, wo bleibt die Welt, die du zuvor erlebt hast?
F: Jeder Körper erlebt seine eigene Welt.
M: Ist der vorhergehende Körper im gegenwärtigen Körper nur eine Vorstellung, oder ist es eine Erinnerung?
F: Eine Vorstellung natürlich. Wie könnte sich ein Gehirn an das erinnern, was es nicht erlebt hat?
M: Damit hast du deine eigene Frage beantwortet. Warum mit Vorstellungen spielen? Sei zufrieden mit dem, dessen du dir sicher bist. Und das Einzige, dessen du dir sicher sein kannst, ist „Ich bin“. Bleibe dabei und lehne alles andere ab! Das ist Yoga.
F: Ich kann nur verbal etwas ablehnen. Bestenfalls erinnere ich mich daran, die Formel zu wiederholen: „Das bin nicht ich, das ist nicht meins. Ich bin jenseits davon.“
M: Gut genug! Zuerst verbal, dann geistig und emotional, und dann in der Tat. Konzentriere dich auf die Wahrheit in dir, und sie wird ans Licht kommen. Es ist, als würde man den Rahm zu Butter rühren. Mach es richtig und gewissenhaft, und das Ergebnis wird mit Sicherheit kommen.
F: Wie kann das Absolute das Ergebnis eines Prozesses sein?
M: Du hast Recht, das Relative kann nicht zum Absoluten führen. Doch das Relative kann das Absolute verhindern, genauso wie das Nichtrühren des Rahms das Abscheiden der Butter verhindern kann. Es ist das Wahre, das den Drang erzeugt. Das Innere regt das Äußere an, und das Äußere reagiert mit Interesse und Anstrengung. Aber letztendlich gibt es weder ein Inneres noch ein Äußeres. Das Licht des Bewußtseins ist sowohl der Schöpfer als auch das Geschöpf, der Erfahrende und die Erfahrung, der Verkörpernde und der Körper. Kümmere dich um jene Macht, die das alles projiziert, und deine Probleme werden ein Ende finden!
F: Was ist die Macht der Projektion?
M: Die durch Wünsche hervorgebrachte Vorstellung.
F: Ich weiß das alles, aber habe keine Macht darüber.
M: Dies ist eine weitere Vorstellung von dir, die aus dem Wunsch nach Ergebnissen geboren wird.
F: Was ist falsch an zielgerichtetem Handeln?
M: In diesem Fall nützt es nichts, denn es ist weder eine Frage des Zwecks noch der Handlung. Alles, was du brauchst, ist zuzuhören, sich zu erinnern und nachzudenken. Es ist wie die Nahrungsaufnahme. Alles, was du tun kannst, ist abzubeißen, zu kauen und zu schlucken. Alles andere geschieht unbewußt und automatisch. Hör einfach zu, erinnere dich und erkenne: Der Verstand ist sowohl Schauspieler als auch Bühne. Alles kommt vom Verstand, aber du bist nicht der Verstand. Der Verstand wird geboren und wiedergeboren, aber nicht du. Der Verstand erschafft die Welt und all ihre wunderbare Vielfalt. Wie in einem guten Theaterstück hast du alle denkbaren Charaktere und Bühnenbilder und gebrauchst von allem etwas, um eine Welt zu erschaffen.
F: Aber in einem Theaterstück leidet niemand.
M: Es sei denn, man identifiziert sich damit. Deshalb identifiziere dich nicht mit der Welt, und du wirst nicht leiden!
F: Aber andere werden leiden.
M: Dann mache deine Welt in jeder Hinsicht vollkommen! Wenn du an Gott glaubst, dann arbeite mit ihm zusammen. Wenn nicht, dann werde eins. Betrachte die Welt entweder als ein Theaterstück oder arbeite mit all deiner Kraft daran (daß sie vollkommen werde). Oder auch beides.
F: Und wie ist das mit der Identität eines Sterbenden? Was passiert damit, wenn er tot ist? Kannst du bestätigen, daß es in einem anderen Körper weitergeht?
M: Es geht weiter und auch nicht. Alles hängt davon ab, wie man es betrachtet. Was ist schließlich Identität? Eine Kontinuität in der Erinnerung? Oder kannst du von Identität ohne Erinnerung sprechen?
F: Ja, das kann ich. Das Kind kennt seine Eltern möglicherweise nicht, und doch sind die erblichen Merkmale vorhanden.
M: Und wer identifiziert diese? Es ist doch jemand mit einem Gedächtnis, um zu registrieren und zu vergleichen. Erkennst du denn nicht, daß die Erinnerung die Kette deines Geistlebens ist? Und Identität ist lediglich ein Muster von Ereignissen in Zeit und Raum. Ändere das Muster, und du hast den Menschen verändert!
F: Das Muster ist wirklich bedeutsam und wichtig. Es hat seinen eigenen Wert. Doch wenn du sagst, daß ein gewebtes Muster lediglich aus farbigen Fäden besteht, dann übersiehst du das Wichtigste, nämlich die Schönheit. Oder wenn du ein Buch als Papier mit Tintenflecken beschreibst, dann verkennst du die Bedeutung. So ist die Identität wertvoll, weil sie die Grundlage der Individualität ist, und zwar das, was uns einzigartig und unersetzlich macht. „Ich bin“ ist die Intuition der Einzigartigkeit.
M: Ja und nein. Identität, Individualität und Einzigartigkeit sind die wertvollsten Aspekte des Verstandes, aber eben nur des Verstandes. „Ich bin alles, was ist“ ist eine ebenso gültige Erfahrung. Das Besondere und das Universale sind untrennbar miteinander verbunden. Sie sind die beiden Aspekte des Namenlosen, von außen und von innen betrachtet. Leider erwähnen das die Worte nur, aber sie vermitteln es nicht. Deshalb versuche, über die Worte hinauszugehen!
F: Was stirbt dann mit dem Tod?
M: Die Vorstellung „Ich bin dieser Körper“ stirbt, und nicht der Zeuge.
F: Die Jains glauben an eine Vielzahl von Zeugen, die für immer getrennt sind.
M: Das ist ihre Tradition, die auf der Erfahrung einiger großartiger Menschen basiert. Der eine Zeuge spiegelt sich in den unzähligen Körpern als „Ich bin“ wider. Solange die Körper, wie subtil sie auch sein mögen, bestehen, erscheint das „Ich bin“ in der Vielzahl. Doch jenseits des Körpers gibt es nur das Eine.
F: Gott?
M: Der Schöpfer ist eine Person, deren Körper die Welt ist. Der Namenlose ist jenseits aller Götter.
F: Auch Sri Ramana Maharshi ist gestorben. Welchen Unterschied machte das für ihn?
M: Keinen. Was er war, das bleibt er - die absolute Wahrheit.
F: Aber für den gewöhnlichen Menschen macht doch der Tod einen Unterschied.
M: Was er vor dem Tod zu sein glaubte, das bleibt er auch nach dem Tod. Sein Selbstbild überlebt.
F: Neulich gab es ein Gespräch über Tierfelle, die ein Jnani (Weiser) zur Meditation usw. gebraucht. Das hat mich nicht überzeugt. Es ist leicht, alles mit dem Verweis auf Bräuche und Traditionen zu rechtfertigen. Doch Bräuche können grausam und Traditionen korrupt sein. Sie erklären den Gebrauch, aber rechtfertigen ihn nicht.
M: Ich wollte damit nicht sagen, daß der Selbstverwirklichung eine Gesetzlosigkeit folgt. Ein Befreiter ist sogar äußerst gesetzestreu. Aber seine Gesetze sind die Gesetze seines wahren Selbst, nicht die der Gesellschaft. Diese befolgt oder bricht er je nach Umständen und Notwendigkeit. Aber er wird niemals illusorisch oder unordentlich sein.
F: Eine Rechtfertigung durch Sitte und Gewohnheit kann ich nicht akzeptieren.
M: Die Schwierigkeit liegt in unseren unterschiedlichen Standpunkten der Sicht. Du sprichst vom Standpunkt des Körper-Verstandes und ich von dem eines Zeugens. Der Unterschied ist grundlegend.
F: Dennoch bleibt es eine Grausamkeit.
M: Nichts zwingt dich dazu, grausam zu sein.
F: Die Grausamkeit anderer Menschen auszunutzen, ist stellvertretende Grausamkeit.
M: Wenn du den Lebensprozeß achtsam betrachtest, wirst du überall Grausamkeit finden, denn das Leben ernährt sich vom Leben. Das ist eine Tatsache, und trotzdem fühlst du dich nicht schuldig, lebendig zu sein. Du hast ein Leben voller Grausamkeit begonnen, indem du deiner Mutter zahllose Sorgen bereitet hast. Bis zum letzten Tag deines Lebens wirst du in einer Welt der Unsicherheit und des Todes um Nahrung, Kleidung und Unterkunft streiten, deinen Körper festhalten, für seine Bedürfnisse kämpfen und dir Sicherheit wünschen. Aus Sicht des Tieres ist das Getötetwerden nicht die schlimmste Form des Sterbens, und sicherlich besser als Krankheit und Altersschwäche. Die Grausamkeit liegt im Motiv, nicht in der Tatsache. Töten schadet dem Mörder, nicht dem Getöteten.
F: Einverstanden, aber dann sollte man auch nicht die Dienste von Jägern und Metzgern in Anspruch nehmen.
M: Wer sagt dir, daß du das akzeptieren sollst?
F: Du akzeptierst es doch.
M: So siehst du mich! Und so schnell wird angeklagt, verurteilt, bestraft und hingerichtet. Warum bei mir beginnen, und nicht bei dir selbst?
F: Ein Mann wie du sollte ein Vorbild sein.
M: Bist du bereit, meinem Vorbild zu folgen? Ich bin für die Welt tot, und ich will nichts, nicht einmal leben. So sei, wie ich bin, und tue, was ich tue! Du beurteilst mich aufgrund meiner Kleidung und meinem Essen, während ich nur auf deine Motive schaue. Wenn du glaubst, Körper und Verstand zu sein, und danach handelst, dann begehst du die schlimmste Grausamkeit, nämlich die Grausamkeit gegenüber deinem eigenen wahren Dasein. Im Vergleich dazu zählen alle anderen Grausamkeiten nichts.
F: Du flüchtest dich in das Argument, daß du nicht der Körper bist. Aber du hast die Kontrolle über den Körper und bist für alles verantwortlich, was er tut. Dem Körper volle Autonomie zuzugestehen, wäre Dummheit und Wahnsinn!
M: Rege dich ab! Ich bin auch gegen jegliches Töten von Tieren wegen ihres Fleisches oder Fells, aber ich weigere mich, diesem die höchste Priorität einzuräumen. Vegetarismus ist eine gute Sache, aber nicht die dringendste. Wirklich allen Angelegenheiten dient am besten der Mensch, der zu seiner Quelle zurückgekehrt ist.
F: Als ich im Sri Ramana Ashram war, spürte ich Bhagwan überall, alles durchdringend und alleserkennend.
M: Du hattest den nötigen Glauben. Wer wirklich an ihn glaubt, wird ihn überall und jederzeit sehen. Alles geschieht entsprechend deines Glaubens, und dein Glaube ist die Form deines Wunsches.
F: Ist der Glaube, den du an dich selbst hast, nicht auch die Form eines Wunsches?
M: Wenn ich sage „Ich bin“, damit meine ich keine eigenständige Einheit mit einem Körper als Kern. Ich meine die Gesamtheit des Daseins, das ganze Meer des Bewußtseins und das gesamte Universum jeglicher Existenz mit allem Wissen. So habe ich nichts zu wünschen, denn ich bin für immer vollkommen.
F: Kannst du das innere Leben anderer Menschen berühren?
M: Ich bin diese Menschen selbst.
F: Ich meine nicht die Identität des Wesens oder der Substanz und auch nicht die Ähnlichkeit der Form. Ich meine das tatsächliche Eindringen in die Gedanken und Herzen anderer und die Teilnahme an ihren persönlichen Erfahrungen. Kannst du mit mir leiden und dich freuen, oder erschließt du nur aus Beobachtung und Analogie, was ich fühle?
M: Alle Wesen sind in mir. Aber um den Inhalt eines anderen Gehirns in dieses zu übertragen, wäre ein besonderes Training erforderlich. Es gibt nichts, was man durch Training nicht erreichen kann.
F: Ich bin weder deine Projektion, noch bist du meine. Ich existiere auf meinem eigenen Grund und wurde nicht von dir geschaffen. Diese grobe Philosophie der Imagination und Projektion gefällt mir nicht. Du entziehst mir damit jegliche Wahrheit. Wer ist das Bild von wem? Bist du mein Bild, oder bin ich deins? Oder bin ich ein Bild in meinem eigenen Bild! Nein, irgendwie stimmt das nicht.
M: So zeigen die Worte ihre Unfähigkeit. Die Wahrheit läßt sich nicht beschreiben, sondern muß erlebt werden. Ich kann keine besseren Worte für das finden, was ich jetzt bin. Was ich sage, mag lächerlich klingen. Aber was die Worte zu vermitteln versuchen, ist die höchste Wahrheit. Alles ist eins, so sehr wir auch streiten. Und alles geschieht, um die eine Quelle und das Ziel aller Wünsche zu befriedigen, die wir alle als „Ich bin“ kennen.
F: Die Wurzel des Wünschens ist das Leiden, denn der grundlegende Drang besteht darin, dem Leiden zu entfliehen.
M: Und was ist die Wurzel des Leidens? Die Unwissenheit über dein Selbst. Und was ist die Wurzel des Wünschens? Der Drang, das Selbst zu finden. Die ganze Schöpfung arbeitet für das Selbst und wird nicht ruhen, bis sie dahin zurückkehrt.
F: Wann wird sie zurückkehren?
M: Sie kann jederzeit zurückkehren, wenn du es möchtest.
F: Und die Welt?
M: Die kannst du mitnehmen.
F: Muß ich diese Vollkommenheit erreichen, bevor ich der Welt helfen kann?
M: Versuche in jedem Fall der Welt zu helfen! Du wirst vielleicht wenig helfen, aber die Anstrengung wird dich wachsen lassen. Denn es ist nichts Falsches daran, der Welt helfen zu wollen.
F: Es gab doch sicherlich Leute, ganz normale Leute, die viel geholfen haben.
M: Wenn die Zeit gekommen ist, der Welt zu helfen, wird einigen Menschen der Wille, die Weisheit und die Macht gegeben, auch große Veränderungen zu bewirken.
Maharaj: Zuerst mußt du erkennen, daß du der Beweis für alles bist, auch für dich selbst. Niemand anderes kann deine Existenz beweisen. Sie muß allein von dir bestätigt werden. Dein Dasein und Wissen schuldest du niemandem. Erkenne, daß du völlig auf dich allein gestellt bist! Du kommst nicht von irgendwoher, und du gehst auch nirgendwo hin. Du bist zeitloses Dasein und Gewahrsein.
Fragender: Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen uns. Du kennst die Wahrheit, während ich nur die Wirklichkeit meines Verstandes kenne. Deshalb ist das, was du sagst, nicht das, was ich höre. Was du sagst, ist wahr, aber was ich verstehe, ist falsch, obwohl die Worte gleich sind. So gibt es eine Kluft zwischen uns. Wie kann diese Kluft überwunden werden?
M: Gib die Vorstellung auf, das zu sein, wofür du dich hältst, und es wird keine Kluft mehr geben. Mit der Vorstellung, daß du getrennt bist, hast du diese Kluft geschaffen. Du mußt sie nicht überwinden. Erschaffe sie einfach nicht! Alles bist du, und alles ist dein. Es gibt niemanden sonst. Das ist Tatsache.
F: Wie seltsam, dieselben Worte, die für dich wahr sind, sind für mich falsch. „Es gibt niemanden sonst.“ Das ist doch offensichtlich falsch!
M: Laß die Worte wahr oder falsch sein. Das ist nicht das Problem. Was zählt, ist die Vorstellung, die du von dir selbst hast, denn diese blockiert dich. Gibt sie auf!
F: Von früher Kindheit an wurde mir beigebracht zu denken, daß ich auf meinen Namen und meine Form beschränkt bin. Nur das Gegenteil zu behaupten, wird meine tief verankerte geistige Konditionierung nicht auslöschen. Eine regelmäßige Gehirnwäsche wäre wohl nötig, falls es überhaupt möglich ist.
M: Du nennst es Gehirnwäsche, und ich nenne es Yoga, um alle geistigen Konditionierungen aufzulösen. Du darfst dich nicht mehr dazu zwingen, immer wieder dieselben Gedanken zu denken. Geh darüber hinaus!
F: Leichter gesagt als getan!
M: Sei nicht kindisch! Es ist einfacher, sich zu ändern, als zu leiden. Entwachse deiner Kindlichkeit, das ist alles.
F: So etwas kann nicht getan werden. Es passiert einfach.
M: Ständig passiert alles mögliche, aber du mußt dafür offen sein. Diese Offenheit ist das Wachsen. Sonst erkennst du das Wahre nicht, weil dein Geist nicht offen dafür ist.
F: Wenn die Wahrheit meine wahre Natur ist, wie kann ich dann jemals nicht offen sein?
M: Nicht offen zu sein, bedeutet Angst. Du hast Angst vor dem, was du bist. Dein Ziel ist das Ganze, aber du hast Angst, deine Identität zu verlieren. Das ist Kindlichkeit, das Festhalten an den Spielsachen, an deinen Wünschen und Ängsten, Meinungen und Vorstellungen. Gib alles auf und sei offen dafür, daß sich das Wahre verwirklicht. Diese Selbst-Verwirklichung läßt sich am besten mit den Worten ausdrücken: „Ich bin.“ Nichts anderes hat Dasein, und darin bist du absolut sicher.
F: Natürlich „Ich bin“, aber auch „Ich weiß“. Und ich weiß, daß ich so und so der Besitzer des Körpers bin und in vielfältigen Beziehungen zu anderen Besitzern stehe.
M: Das ist alles Erinnerung, die ins Jetzt übertragen wird.
F: Ich kann mir nur dessen sicher sein, was jetzt ist. Vergangenheit und Zukunft, Erinnerung und Vorstellung, das sind mentale Zustände, und sie sind alles, was ich weiß, und das ist jetzt. Du sagst mir, ich soll sie aufgeben. Wie kann ich das Jetzt aufgeben?
M: Du bewegst dich ständig in die Zukunft, ob es dir gefällt oder nicht.
F: Ich bewege mich vom Jetzt ins Jetzt, und eigentlich bewege ich mich gar nicht. Alles andere bewegt sich, aber nicht ich.
M: Richtig, aber dein Verstand bewegt sich. Im Jetzt bist du sowohl das Bewegliche als auch das Unbewegliche. Bisher hast du dich für das Bewegliche gehalten und das Unbewegliche übersehen. Wende deinen Geist nach innen! Wenn du das Bewegliche außer acht läßt, dann wirst du erkennen, daß du die allgegenwärtige und unveränderliche Wahrheit bist, unbeschreiblich, aber fest wie ein Fels.
F: Wenn das jetzt so ist, warum bin ich mir dessen nicht bewußt?
M: Weil du an der Vorstellung festhältst, daß du dir dessen nicht bewußt bist. Laß diese Vorstellung los!
F: Das macht mich nicht bewußter.
M: Moment mal! Du willst gleichzeitig auf beiden Seiten der Mauer sein. Das kannst du, aber dazu muß die Mauer beseitigt werden. Oder erkenne, daß die Mauer und ihre beiden Seiten ein einziger Raum sind, für den keine Vorstellungen wie „hier“ oder „dort“ zutreffen.
F: Solche Gleichnisse beweisen nichts. Meine einzige Beschwerde ist folgende: Warum sehe ich nicht, was du siehst? Und warum klingen deine Worte in meinem Verstand nicht wahrhaftig? Laß mich dies erkennen! Alles andere kann warten. Du bist weise, und ich bin unwissend. Du siehst, ich nicht. Wo und wie kann ich meine Weisheit finden?
M: Wenn du erkennst, daß du unwissend bist, dann bist du nicht mehr unwissend!
F: Wie mich die Erkenntnis meiner Krankheit noch nicht gesund macht, so kann mich auch die Erkenntnis meiner Unwissenheit, nicht weise machen.
M: Um zu erkennen, daß man krank wurde, muß man dafür nicht erst gesund gewesen sein?
F: Oh nein! Ich erkenne es in einem Vergleich: Wenn ich von Geburt an blind wäre und du mir sagst, daß du Dinge erkennst, ohne sie zu berühren, während ich sie berühren muß, um sie zu erkennen, dann bin ich mir bewußt, daß ich blind bin, ohne zu wissen, was es bedeutet, zu sehen. Ebenso erkenne ich, daß mir etwas fehlt, wenn du Dinge behauptest, die ich nicht begreifen kann. Du erzählst mir so wundervolle Dinge über mich, denn deiner Meinung nach bin ich ewig, allgegenwärtig, allwissend, höchst glückselig, Schöpfer, Bewahrer und Zerstörer von allem, was es gibt, sowie die Quelle allen Lebens, das Herz des Daseins und der Herr und Geliebte aller Geschöpfe. Du setzt mich mit der ultimativen Wahrheit gleich, der Quelle und dem Ziel aller Existenz. Ich lächle nur, denn ich weiß, daß ich ein winzig kleines Bündel aus Wünschen und Ängsten bin, eine Blase des Leidens, ein vorübergehender Bewußtseinsblitz in einem Ozean der Dunkelheit.
M: Bevor es Leiden gab, warst du bereits da. Und wenn alles Leiden vergangen ist, wirst du immer noch da sein. Das Leiden ist vergänglich, aber du nicht.
F: Es tut mir leid, aber ich sehe nicht, was du siehst. Vom Tag meiner Geburt bis zu meinem Tod werden Glück und Leid das Muster meines Lebens bestimmen. Über das Leben vor der Geburt und nach dem Tod weiß ich nichts. Das kann ich weder bestätigen noch widerlegen. Ich höre, was du sagst, aber erkenne es nicht.
M: Bist du jetzt bei Bewußtsein, oder nicht?
F: Ja, aber bitte frage mich nicht nach dem Vorher und Nachher. Ich weiß nur, was jetzt ist.
M: Das genügt! Du bist bei Bewußtsein, so halte daran fest. Denn es gibt auch Zustände, in denen du nicht bei Bewußtsein bist, nennen wir es unbewußtes Sein.
F: Kann ich unbewußt sein?
M: Bewußtheit und Unbewußtheit erfassen es (das Dasein bzw. Gewahrsein) hier nicht. Die Existenz liegt im Bewußtsein, doch die Essenz ist unabhängig vom Bewußtsein.
F: Ist es leer? Ist es Stille?
M: Warum so kompliziert? Das Dasein durchdringt und transzendiert das Bewußtsein. Objektives Bewußtsein ist ein Teil des reinen Bewußtseins, aber kommt nicht darüber hinaus.
F: Wie erkennst du den Zustand des reinen Daseins, der weder bewußt noch unbewußt ist? Alles Wissen liegt doch nur im Bewußtsein. Es könnte ein Zustand sein, wie die Abwesenheit des Verstandes. Bleibt dann das Bewußtsein als Zeuge bestehen?
M: So ein Zeuge registriert Ereignisse (als Erfahrungen). Doch in der Abwesenheit des Verstandes löst sich sogar die Erfahrung von „Ich bin“ auf. Denn ohne Verstand gibt es auch kein „Ich bin“.
F: Ohne Verstand bedeutet ohne Gedanken. „Ich bin“ als ein Gedanke verschwindet, aber „Ich bin“ als Erfahrung des Daseins bleibt bestehen.
M: Alle Erfahrungen verschwinden mit dem Verstand. Ohne Verstand kann es keinen Erfahrenden und keine Erfahrung geben.
F: Bleibt nicht der Zeuge bestehen?
M: Der Zeuge registriert lediglich die Anwesenheit oder Abwesenheit einer Erfahrung. Das ist noch keine Erfahrung an sich, aber es wird zu einer Erfahrung, wenn der Gedanke „Ich bin der Zeuge“ aufkommt.
F: Ich weiß nur, daß der Verstand manchmal arbeitet und manchmal nicht. Die Erfahrung geistiger Stille nenne ich das Schweigen des Verstandes.
M: Nenne es Stille, Leere oder Schweigen! Tatsache ist, daß es nicht die drei sind, nämlich Erfahrender, Erfahren und Erfahrung. Im Bezeugen, im Gewahrsein und im Selbst-Bewußtsein gibt es die Erfahrung nicht, dieses oder jenes zu sein. Es bleibt ein Dasein übrig, das sich mit nichts identifiziert.
F: Als ein Zustand der Unbewußtheit?
M: In Bezug auf irgendetwas ist es immer das Gegenteil. Es liegt sowohl zwischen als auch jenseits aller Gegensätze. Es ist weder Bewußtheit noch Unbewußtheit, noch dazwischen oder jenseits der beiden. Es besteht für sich selbst und nicht in Bezug auf irgendetwas, das man Erfahrung oder deren Abwesenheit nennen könnte.
F: Wie seltsam! Du sprichst aber davon, als wäre es eine Erfahrung.
M: Wenn ich daran denke, wird es zu einer Erfahrung.
F: Wie das unsichtbare Licht, das zur Farbe wird, wenn es von einer Blume abgefangen wird?
M: Ja, das kann man so sagen. Das Licht erscheint als Farbe, aber es ist nicht die Farbe.
F: Das ist die gleiche, alte vierfache Verneinung von Nagarjuna: Weder dies noch das, noch beides, noch eins von beiden. Mein Verstand schwankt!
M: Deine Schwierigkeit ergibt sich aus der Vorstellung, daß die Wahrheit ein Bewußtseinszustand ist, einer unter vielen. Du neigst dazu, zu sagen: „Das ist wahr, und das ist unwahr! Oder das ist teilweise wahr und unwahr!“ Als ob die Wahrheit eine Eigenschaft oder Qualität wäre, die man in unterschiedlichem Maße haben kann.
F: Laß es mich anders formulieren: Das Bewußtsein wird erst dann zum Problem, wenn es Leiden verursacht. Ein beständig glückseliger Zustand wirft keine Fragen auf. Doch wir empfinden alles Bewußtsein als eine Mischung aus Glück und Leid. Warum?
M: Alles Bewußtsein ist begrenzt und daher leidvoll. An der Wurzel des Bewußtseins liegt das Verlangen als ein Drang zur Erfahrung.
F: Willst du damit sagen, daß es ohne Verlangen kein Bewußtsein geben kann? Welchen Vorteil hätte es, bewußtlos zu sein? Wenn ich für die Freiheit vom Leiden auf das Glück verzichten muß, dann behalte ich lieber beides.
M: Jenseits von Glück und Leid ist die Glückseligkeit.
F: Welchen Nutzen hat unbewußte Glückseligkeit?
M: Sie ist weder bewußt noch unbewußt, aber wahr.
F: Was ist dein Einwand gegen das Bewußtsein?
M: Es ist eine Last. Der Körper bedeutet Last, und auch Erfahrungen, Wünsche und Gedanken sind alles Lasten. So besteht jegliches Bewußtsein aus Konflikten.
F: Die Wahrheit wird als wahres Dasein, reines Bewußtsein und unendliche Glückseligkeit beschrieben. Was hat das Leiden damit zu tun?
M: Glück und Leid passieren. Das Leiden ist der Preis des Glücks, und das Glück ist der Lohn des Leidens. Im Leben erreicht man Glück durch Leiden, und man leidet durch das Glück. Zu erkennen, daß Glück und Leid eins sind, ist Zufriedenheit.
F: Das alles ist zweifellos sehr interessant, aber mein Ziel ist einfacher. Ich möchte mehr Glück und weniger Leiden im Leben. Was soll ich tun?
M: Solange es Bewußtsein gibt, muß es Glück und Leid geben. Es liegt in der Natur des „Ich bin“ als Bewußtsein, sich mit Gegensätzen zu identifizieren.
F: Welchen Nutzen hat das dann alles für mich? Es ist unbefriedigend.
M: Wer bist du? Wer ist unzufrieden?
F: Das bin ich, der Glück-Leid-Mensch.
M: Glück und Leid sind beide Ananda (Glückseligkeit). Hier sitze ich vor dir und sage dir aus meiner eigenen unmittelbaren und unveränderlichen Erfahrung, daß Glück und Leid die Kämme und Täler der Wellen auf dem Meer der Glückseligkeit sind, und tief im Inneren herrscht vollkommene Fülle.
F: Ist deine Erfahrung verläßlich?
M: Sie ist zeitlos und unveränderlich.
F: Alles, was ich erfahre, ist der Wunsch nach Glück und die Angst vor Leid.
M: Das ist es, was du über dich selbst denkst. Hör auf damit! Wenn du eine Gewohnheit nicht sofort ablegen kannst, dann denke über die gewohnte Denkweise nach und erkenne ihre Fehlerhaftigkeit. Das Gewohnte in Frage zu stellen ist die Pflicht des Verstandes, denn was der Verstand geschaffen (bzw. geschöpft) hat, das muß auch der Verstand wieder auflösen. Oder erkenne, daß es außerhalb des Verstandes kein Verlangen gibt, und bleibe außerhalb.
F: Ehrlich gesagt mißtraue ich dieser Erklärung, daß alles vom Verstand gemacht sei. Der Verstand ist doch nur ein Werkzeug, so wie das Auge ein Werkzeug ist. Kann man denn sagen, daß Wahrnehmung auch eine Schöpfung ist? Ich sehe die Welt durch das Fenster, nicht im Fenster. Alles, was du sagst, paßt aufgrund der ganzheitlichen Grundlage gut zusammen, aber ich weiß nicht, ob deine Grundlage tatsächlich vorhanden ist oder nur im Verstand besteht. Ich kann mir nur eine verstandesmäßige Vorstellung davon machen. Was es für dich bedeutet, weiß ich nicht.
M: Solange du deinen Standpunkt im Verstand vertrittst, wirst du mich im Verstand verstehen.
F: Wie unzureichend sind doch die Worte zum Verstehen!
M: Was gäbe es ohne Worte zu verstehen? Das Bedürfnis nach Verständnis entsteht im Mißverständnis. Was ich sage, ist wahr, aber für dich ist es nur eine Theorie. Wie kannst du erfahren, daß es wahr ist? Durch zuhören, erinnern, nachdenken, sehen und erleben. Wende es auch in deinem täglichen Leben an. Hab Geduld mit mir und vor allem Geduld mit dir selbst, denn du bist dein einziges Hindernis. Der Weg führt durch dich selbst über dich hinaus. Solange du glaubst, daß nur etwas Bestimmtes (bzw. Getrenntes) wahr, bewußt und glücklich ist, und du die nicht-dualistische Wahrheit als etwas Vorgestelltes wie ein abstraktes Konzept ablehnst, wirst du denken, daß ich Konzepte und Abstraktionen mitteile. Aber sobald du das Wahre in deinem eigenen Wesen berührt hast, wirst du erkennen, wie ich dir das Nächstliegende und Liebenswerteste beschreibe.
Fragender: Die Westler, die dich gelegentlich besuchen, stehen vor einer besonderen Schwierigkeit. Denn die reine Vorstellung von einem befreiten Menschen, einem wahren Menschen, einem Selbstkenner, einem Gottkenner, einem Menschen jenseits der Welt ist ihnen unbekannt. Sie haben in ihrer christlichen Kultur nur die Vorstellung eines Heiligen: Ein frommer Mann, gesetzestreu, gottesfürchtig, mitfühlend, betend, manchmal zur Ekstase geneigt und durch ein paar Wunder bestätigt. Die reine Vorstellung eines Jnani (erleuchteten Weisen) ist der westlichen Kultur fremd, etwas Exotisches und ziemlich Unglaubliches. Selbst wenn seine Existenz akzeptiert wird, betrachtet man ihn mit Mißtrauen als einen Fall von selbstverursachter Euphorie, die durch seltsame körperliche und geistige Zustände verursacht wird. Die Vorstellung einer neuen Dimension des Bewußtseins erscheint ihnen weder plausibel nach wahrscheinlich. Was ihnen helfen kann, ist die Gelegenheit, einem Jnani zuzuhören, wie er seine eigene Erfahrung der Selbstverwirklichung beschreibt, deren Ursachen und Anfänge, Fortschritte und Errungenschaften, sowie seine tatsächliche Praxis im täglichen Leben. Vieles von dem, was er sagt, erscheint vielleicht seltsam, sogar bedeutungslos, aber es bleibt ein Gefühl der Realität, eine Atmosphäre tatsächlicher Erfahrung, unbeschreiblich und doch sehr real, ein Zentrum, von dem aus ein vorbildliches Leben gelebt werden kann.
Maharaj: Diese Erfahrung ist womöglich nicht mitteilbar. Kann man überhaupt eine Erfahrung mitteilen?
F: Ja, wenn man ein Künstler ist. Das Wesen der Kunst ist die Mitteilung von Gefühlen und Erfahrungen.
M: Um Mitteilungen zu empfangen, mußt du aber empfänglich sein.
F: Natürlich muß ein Empfänger vorhanden sein. Aber welchen Nutzen hat der Empfänger, wenn der Sender nicht sendet?
M: Der Jnani gibt allen. Er gibt sich unermüdlich und ganz jedem hin, der zu ihm kommt. Wenn er kein Gebender ist, ist er kein Jnani. Was auch immer er hat, er teilt es.
F: Aber kann er auch mitteilen, was er ist?
M: Du meinst, kann er andere zu Jnanis machen? Ja und nein. Nein, weil Jnanis nicht erschaffen werden. Sie erkennen sich selbst als solche, wenn sie zu ihrer Quelle, ihrer wahren Natur, zurückkehren. Ich kann dich nicht zu dem machen, was du bereits bist. Ich kann dir nur sagen, welchen Weg ich gegangen bin, und dich einladen, mitzugehen.
F: Das beantwortet meine Frage nicht. Ich denke an den kritischen und skeptischen Westler, der die Möglichkeit höherer Bewußtseinszustände leugnet. In letzter Zeit haben Drogen seinen Unglauben angekratzt, aber ohne seine materialistische Einstellung zu beeinträchtigen. Drogen oder keine Drogen, der Körper bleibt die grundlegende Tatsache, der Verstand ist zweitrangig und jenseits des Verstandes sehen sie nichts. Seit Buddhas Zeiten wird der Zustand der Selbstverwirklichung mit negativen Begriffen beschrieben, wie „nicht dies, nicht das“. Ist das unvermeidlich? Ist es nicht möglich, es zu veranschaulichen, was nicht zu beschreiben ist? Ich gebe zu, daß keine verbale Beschreibung ausreicht, wenn das zu Beschreibende nicht in Worte faßbar ist, obwohl es doch auch in den Worten liegt. Die Poesie ist zum Beispiel eine Kunst, um das Unaussprechliche in Worte zu fassen.
M: An religiösen Poeten mangelt es nicht. Wende dich mit deinen Wünschen an sie! Meine Lehre ist einfach: Vertraue mir eine Weile und tue, was ich dir sage. Wenn du durchhältst, wirst du erkennen, daß dein Vertrauen gerechtfertigt war.
F: Und was geschieht mit denen, die zwar interessiert sind, aber kein Vertrauen haben?
M: Wenn sie bei mir bleiben könnten, würden sie das Vertrauen finden. Und sobald sie mir vertrauen, werden sie meinem Rat folgen und es selbst entdecken.
F: Meine Fragen beziehen sich nicht so sehr auf den Übungsweg, sondern auf die Ergebnisse. Du hast beides, und bist bereit, uns alles über die Übung zu erzählen. Aber wenn es um die Ergebnisse geht, verweigerst du uns die Auskunft. Entweder sagst du, daß dein Zustand unbeschreiblich ist oder daß es keinen Unterschied gibt, so daß du keinen Unterschied siehst, wo wir einen sehen. In beiden Fällen bekommen wir keinen Einblick in deinen Zustand.
M: Wie kannst du einen Einblick in meinen Zustand bekommen, wenn du keinen Einblick in deinen eigenen hast? Wenn das eigentliche Werkzeug der Einsicht fehlt, ist es dann nicht wichtig, zuerst dieses Werkzeug zu finden? Es ist wie bei einem Blinden, der das Malen lernen möchte, bevor er sein Augenlicht wiederfindet. Du willst meinen Zustand erkennen: Kennst du denn den Zustand deiner Frau oder deines Dieners?
F: Ich bitte nur um einige Hinweise.
M: Nun, ich habe dir einen sehr wichtigen Hinweis gegeben: Wo du Unterschiede siehst, dort sehe ich keine. Für mich reicht das aus. Wenn du der Meinung bist, daß es nicht ausreicht, kann ich es nur wiederholen: Das reicht aus! Denke gründlich darüber nach, und du wirst sehen, was ich sehe. Du scheinst einen sofortigen Einblick zu wünschen und vergißt dabei, daß dem Sofortigen immer eine lange Vorbereitung vorausgeht. Die Frucht fällt plötzlich ab, aber die Reifung braucht seine Zeit. Wenn ich davon spreche, mir zu vertrauen, dann nur für einige Zeit, gerade genug, damit du in Bewegung kommst. Je ernsthafter du bist, desto weniger Vertrauen brauchst du, denn schon bald wirst du feststellen, daß dein Vertrauen in mich gerechtfertigt ist. Du möchtest, daß ich dir beweise, daß ich vertrauenswürdig bin! Wie könnte ich, und warum sollte ich? Was ich dir schließlich anbiete, ist der operative Ansatz, der in der westlichen Wissenschaft so gebräuchlich ist: Wenn ein Wissenschaftler ein Experiment und seine Ergebnisse beschreibt, dann akzeptiert man normalerweise seine Behauptungen mit Vertrauen und wiederholt sein Experiment so, wie er es beschreibt. Und sobald du dieselben oder ähnliche Ergebnisse erzielst, brauchst du ihm nicht mehr zu vertrauen, sondern vertraust deiner eigenen Erfahrung. Davon ermutigt machst du weiter und kommst am Ende im Wesentlichen zu identischen Ergebnissen.
F: Der indische Geist wurde durch Kultur und Erziehung mehr auf metaphysische Experimente vorbereitet. Für den Inder haben Worte wie „direkte Wahrnehmung der höchsten Wahrheit“ einen Sinn und rufen Reaktionen aus den tiefsten Tiefen seines Wesens hervor. Einem Westler bedeuten sie wenig. Selbst wenn er in seinem jeweiligen Umfeld des Christentums aufgewachsen ist, denkt er nicht über das Befolgen der (äußerlichen) Gebote Gottes und Christi hinaus. Die direkte Erkenntnis der Wahrheit übersteigt nicht nur die Bestrebungen, sondern auch das Vorstellungsvermögen. Einige Inder sagen mir: „Es ist hoffnungslos. Der Westler wird und kann das nicht. Erzähle ihm nichts über Selbstverwirklichung! Laß ihn ein nützliches Leben führen und eine Wiedergeburt in Indien verdienen. Nur dann hat er eine Chance.“ Andere sagen: „Die Wahrheit ist für alle gleich, aber nicht alle sind gleichermaßen mit der Fähigkeit ausgestattet, sie zu erkennen. Diese Fähigkeit wird mit dem Verlangen entstehen, welches sich in Hingabe und schließlich in völlige Selbsthingabe verwandeln wird. Mit Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit und eiserner Entschlossenheit, alle Hindernisse zu überwinden, hat der westliche Mensch die gleichen Chancen wie der östliche. Alles, was er braucht, ist ein Erwachen seines Interesses.“ Und um dieses Interesse an der Selbsterkenntnis zu erwecken, muß er von den Vorteilen überzeugt werden.
M: Glaubst du, daß es möglich ist, eine eigene (innerliche) Erfahrung zu vermitteln?
F: Ich weiß nicht. Du sprichst von der Einheit und der Identität des Sehers mit dem Gesehenen. Wenn alles eins ist, sollte eine Vermittlung möglich sein.
M: Um die direkte Erfahrung eines Landes zu machen, muß man dorthin gehen und dort leben. So verlange nicht das Unmögliche! Der spirituelle Sieg eines Menschen kommt zweifellos der ganzen Menschheit zugute, aber um einem anderen Menschen zu helfen, ist eine enge persönliche Beziehung erforderlich. Eine solche Beziehung ist kein Zufall und nicht jeder kann sie beanspruchen. Andererseits ist der wissenschaftliche Ansatz für alle da: „Vertrauen-Prüfen-Erfahren“ Was brauchst du mehr? Warum sollte man unwilligen Menschen die Wahrheit aufdrängen? Das ist auch prinzipiell unmöglich. Denn was kann der Geber ohne Empfänger tun?
F: Das Wesen der Kunst besteht darin, die äußere Form zu nutzen, um ein inneres Erlebnis zu vermitteln. Natürlich muß man für das Innere empfindsam sein, bevor das Äußere bedeutungsvoll werden kann. Wie kann man in dieser Empfindlichkeit wachsen?
M: Wie auch immer du es ausdrückst, es kommt auf das Gleiche hinaus. Es gibt viele Geber, doch wo sind die Empfänger?
F: Kannst du deine eigene Empfänglichkeit nicht teilen?
M: Ja, das kann ich, aber Teilen ist keine Einbahnstraße. Beim Teilen werden zwei benötigt. Wer ist bereit, das zu empfangen, was ich zu geben bereit bin?
F: Du sagst, wir sind eins. Ist das nicht genug?
M: Ich bin eins mit dir. Aber bist du eins mit mir? Wenn ja, dann wirst du keine Fragen stellen. Doch wenn du es nicht bist, und wenn du nicht siehst, was ich sehe, was kann ich dann tun, außer dir den Weg zu zeigen, um deine Sehkraft zu verbessern?
F: Du kannst auch nur geben, was dein ist.
M: Ich beanspruche nichts als mein Eigentum. Wenn es kein „Ich“ mehr gibt, wo wäre dann das „Mein“? Zwei Menschen schauen auf einen Baum. Der eine sieht die zwischen den Blättern versteckte Frucht, der andere nicht. Ansonsten gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden. Der Sehende weiß, daß der andere mit ein wenig Aufmerksamkeit auch sehen kann, aber die Frage des Teilens stellt sich nicht. Glaube mir, ich bin nicht geizig und halte deinen Anteil an der Wahrheit zurück. Im Gegenteil, ich bin vollkommen dein. Iß und trink mich! Doch während du nur die Worte wiederholst „Gib, gib!“, tust du nichts, um das Gegebene zu empfangen. Ich zeige dir einen kurzen und einfachen Weg, um zu sehen, was ich sehe, aber du klammerst dich an deine alten Denk-, Gefühls- und Handlungsgewohnheiten und gibst mir die ganze Schuld. Ich habe nichts, was du nicht hast. Selbsterkenntnis ist kein Eigentum, das man geben und nehmen kann. Es ist eine völlig neue Dimension, in der es nichts zu geben oder zu nehmen gibt.
F: Gib uns wenigstens einen Einblick in den Inhalt deines Verstandes, während du dein tägliches Leben führst. Essen, Trinken, Reden und Schlafen, wie fühlt sich das für dich an?
M: Die alltäglichen Dinge des Lebens erlebe ich genauso wie du. Der Unterschied liegt in dem, was ich nicht erlebe. Ich erlebe weder Angst noch Gier, Haß oder Wut. Ich verlange nichts, lehne nichts ab und behalte nichts. Diesbezüglich gehe ich keine Kompromisse ein. Vielleicht ist das der wesentliche Unterschied zwischen uns. Ich mache keine Kompromisse und bin die Wahrheit für mich selbst, während du Angst vor der Wahrheit hast.
F: Aus westlicher Sicht gibt es etwas sehr Beunruhigendes an deinem Verhalten. Ganz allein in einer Ecke zu sitzen und ständig zu wiederholen „Ich bin Gott, Gott bin ich!“, scheint der bloße Wahnsinn zu sein. Wie kann man einen Westler davon überzeugen, daß solche Übungen zur höchsten Heilung führen?
M: Der Mensch, der sagt, Gott zu sein, und der Mensch, der dies bestreitet, sind beide getäuscht, denn sie reden in ihrem Traum.
F: Wenn alles nur ein Traum ist, was ist dann der Wachzustand?
M: Wie kann man den Wachzustand in der Traumsprache beschreiben? Worte erfassen ihn nicht, denn sie sind nur Symbole.
F: Schon wieder die Ausrede, daß Worte die Wahrheit nicht vermitteln können!
M: Wenn du unbedingt Worte brauchst, dann kann ich dir einige der alten machvollen Worte geben. Wiederhole sie unaufhörlich, und sie werden Wunder bewirken!
F: Ist das dein Ernst? Würdest du einem Westler wirklich sagen, er solle „Om“, „Ram“ oder „Hare Krishna“ unaufhörlich wiederholen, obwohl ihm der Glaube und die Überzeugung fehlen, die aus dem richtigen kulturellen und religiösen Hintergrund entstehen? Wird er ohne Inbrunst und Vertrauen jemals etwas erreichen, wenn er nur mechanisch immer dieselben Laute wiederholt?
M: Warum nicht? Entscheidend ist der Drang der inneren Motivation, nicht die äußere Form, die es annimmt. Was auch immer er mit der Motivation tut, sein wahres Selbst zu finden, das wird ihn sicherlich zu sich selbst führen.
F: Braucht man dafür keinen Glauben an die Wirksamkeit der Mittel?
M: Man braucht keinen Glauben, der irgendwelche bestimmten Ergebnisse erwartet. Hier zählt allein die Tat. Was auch immer du um der Wahrheit willen tust, das wird dich zur Wahrheit führen. Sei nur ernsthaft und wahrhaft! Die Form, die es annimmt, spielt nur eine geringe Rolle.
F: Wozu ist es dann nötig, seiner Sehnsucht Ausdruck zu verleihen?
M: Das ist nicht nötig. Das Nichtstun ist genauso gut. Die bloße Sehnsucht, die durch Denken und Taten ungetrübt ist, also die reine konzentrierte Sehnsucht, wird dich schnell zu deinem Ziel führen. Die wahrhafte Motivation ist entscheidend, nicht die Ausdrucksweise.
F: Unglaublich! Wie kann stumpfsinniges und langweiliges Wiederholen, das an Verzweiflung grenzt, wirksam sein?
M: Die bloße Tatsache des Wiederholens als beständige Bemühung, Ausdauer und Beharrlichkeit, trotz Langeweile, Verzweiflung und völligem Mangel an Überzeugung, sind wirklich entscheidend. Sie selber sind an sich unwichtig, aber die Ernsthaftigkeit dahinter ist entscheidend. Es muß ein Schieben von innen und ein Ziehen von außen geben.
F: Meine Fragen sind wohl typisch für Westler, denn dort denkt man in Ursache und Wirkung, Mitteln und Zielen. Und sie erkennen nicht, welchen kausalen Zusammenhang es zwischen einem bestimmten Wort und der absoluten Wahrheit geben kann.
M: Da gibt es auch keinen! Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Wort und seiner Bedeutung, zwischen der Handlung und ihrer Motivation. Spirituelle Übung bedeutet, den Willen zu bekräftigen und immer wieder zu bekräftigen. Wer keinen Mut hat, wird das Wahre nicht annehmen, selbst wenn es angeboten wird. Das einzige Hindernis ist der aus Angst geborene Unwille.
F: Wovor kann man hier Angst haben?
M: Vor dem Unbekannten, dem Nichtsein, Nichtwissen und Nichttun, dem Jenseits.
F: Willst du damit sagen, daß du zwar die Art und Weise deines Erfolgs mitteilen kannst, aber nicht die Früchte?
M: Natürlich kann ich auch die Früchte mitteilen, und das mache ich ständig. Aber es ist eine Sprache der Stille. Lerne ihr zuzuhören und sie zu verstehen!
F: Ich sehe nicht, wie man das ohne Überzeugung anfangen kann.
M: Bleibe einige Zeit bei mir, konzentriere dich auf das, was ich sage und tue, und die Überzeugung wird kommen.
F: Doch nicht jeder hat die Möglichkeit, dich kennenzulernen.
M: Dann lerne dich selbst kennen! Sei bei deinem Selbst, höre ihm zu, gehorche ihm, verehre es und behalte es unaufhörlich im Gedächtnis. Du brauchst keinen anderen Führer. Solange dein Drang nach Wahrheit dein tägliches Leben beeinflußt, ist bei dir alles in Ordnung. So lebe dein Leben, ohne jemanden zu verletzen! Gewaltlosigkeit ist eine der kraftvollsten Formen des Yoga und wird dich schnell an dein Ziel führen. Das nenne ich Nisarga-Yoga, das natürliche Yoga. Es ist die Kunst, in Frieden und Harmonie, in Freundlichkeit und Liebe zu leben. Die Frucht davon ist reine Glückseligkeit, ohne Ursache und ohne Ende.
F: Und doch setzt all dies ein gewisses Vertrauen voraus.
M: Wende dich nach innen und du wirst lernen, dir selbst zu vertrauen. Und für alles andere kommt das Vertrauen mit der Erfahrung.
F: Wenn mir jemand sagt, daß er etwas weiß, was ich nicht weiß, habe ich dann nicht das Recht zu fragen: „Was ist es, das du weißt, was ich nicht weiß?“
M: Und wenn er dir sagt, daß es nicht in Worte gefaßt werden kann?
F: Dann beobachte ich ihn genau und versuche, es herauszufinden.
M: Und genau das möchte ich von dir! Sei interessiert und schenke mir deine Aufmerksamkeit, bis das gegenseitige Verständnis fließen kann. Dann wird das Mitteilen einfach sein. Tatsächlich ist jede Verwirklichung nur ein Mitteilen. Du gehst in ein größeres Bewußtsein ein und nimmst daran teil. Das einzige Hindernis ist die mangelnde Bereitschaft, einzugehen und mitzuteilen. Ich spreche hier nicht von Unterschieden, denn für mich gibt es keine. Aber du sprichst davon, und so liegt es an dir, sie mir aufzuzeigen. Zeige mir die Unterschiede, so gut du kannst! Dazu mußt du mich verstehen, und danach wirst du nicht mehr von Unterschieden sprechen. Wenn du dieses eine ganz verstehst, dann bist du angekommen. Was dich an diesem Verständnis hindert, ist nicht der Mangel an Möglichkeiten, sondern die mangelnde Fähigkeit, sich im Geist auf das zu konzentrieren, was du verstehen willst. Wenn du beständig daran denken könntest, was du nicht weißt, dann würde es dir seine Geheimnisse offenbaren. Doch wenn du oberflächlich, ungeduldig und nicht ernsthaft genug bist, zu schauen und zu warten, dann bist du wie ein Kind, das weint und nach dem Mond greift.
Fragender: Während ich dir so zuhöre, erscheint es mir immer sinnloser, dir irgendwelche Fragen zu stellen. Was auch immer die Frage ist, du kehrst sie alle um und führst mich zu der grundlegenden Tatsache, daß ich in einer Illusion lebe, die ich selber geschaffen habe, und daß die Wahrheit nicht in Worte zu fassen ist. Worte tragen lediglich zur Verwirrung bei, und der einzig weise Weg ist die stille Suche im Inneren.
Maharaj: Es ist nun einmal der (begriffliche) Verstand, der Illusionen erzeugt, und es ist der Verstand, der davon befreit. Worte können Illusionen verstärken, aber auch dabei helfen, sie zu zerstreuen. Es ist nichts Falsches daran, ein und dieselbe Wahrheit beständig zu wiederholen, bis sie zur Wirklichkeit wird. Mit der Geburt des Kindes ist die Arbeit der Mutter noch nicht beendet. Sie füttert es Tag für Tag, Jahr für Jahr, bis es sie nicht mehr braucht. So brauchen die Menschen den Klang der Worte, bis die Fakten mehr sagen als Worte.
F: Wir sind also Kinder, die man mit Worten ernährt?
M: Solange du den Worten Bedeutung beimißt, bist du wie ein Kind.
F: Nun gut, dann sei bitte unsere Mutter!
M: Wo war dieses Kind, bevor es geboren wurde? War es nicht schon bei seiner Mutter? Nur weil es bereits bei seiner Mutter war, konnte es geboren werden.
F: Doch sicherlich hat die Mutter das Kind nicht schon in sich getragen, als sie selbst noch ein Kind war.
M: Potentiell war sie bereits die Mutter. Geh über die Illusion der Zeit hinaus!
F: Deine Antwort ist immer die gleiche! Wie ein Uhrwerk, das immer wieder die gleiche Stunde schlägt.
M: Das geht nicht anders. Wie sich die eine Sonne in Milliarden Tautropfen spiegelt, so wiederholt sich auch das Zeitlose endlos. Wenn ich immer wieder sage „Ich bin, ich bin“, dann behaupte ich lediglich eine allgegenwärtige Tatsache. Doch du wirst meiner Worte überdrüssig, weil du die lebendige Wahrheit hinter ihnen nicht erkennst. Verbinde dich damit, und du wirst die ganze Bedeutung der Worte und auch der Stille finden.
F: Du sagst, daß das junge Mädchen bereits die Mutter ihres zukünftigen Kindes ist. Als Potential ja, aber als Tatsache nein!
M: Das Potential wird durch das Denken zur Tatsache. Der Körper und seine Angelegenheiten existieren im Verstand.
F: Der Verstand ist Bewußtsein in Bewegung, und das Bewußtsein ist der gestaltete Aspekt des Selbst (Saguna - „mit Eigenschaften“). Das Ungestaltete (Nirguna - „ohne Eigenschaften“) ist ein weiterer Aspekt des Bewußtseins, und dahinter liegt der Abgrund des Absoluten (Paramartha - „höchste Wahrheit“).
M: Ganz richtig, du hast es wunderbar ausgedrückt.
F: Aber das sind für mich nur Worte. Es reicht nicht aus, sie zu hören und zu wiederholen, sie müßten erlebt werden.
M: Nichts hält dich davon ab, außer deine Beschäftigung mit dem Äußeren, die dich daran hindert, sich auf das Innere zu konzentrieren. Es gibt keinen anderen Weg, du kannst dein Sadhana (deine spirituelle Übung) nicht überspringen. Du mußt dich von der Welt abwenden und nach innen gehen, bis das Innere und das Äußere verschmelzen und man über das Gestaltete hinausgehen kann, sowohl innerlich als auch äußerlich.
F: Das Ungestaltete ist doch sicherlich auch nur eine Vorstellung im gestalteten Verstand. Für sich allein hat es keine Existenz.
M: Für sich allein existiert gar nichts. Alles braucht seine eigene Abwesenheit (als Gegensatz). Existenz bedeutet, unterscheidbar zu sein, hier zu sein und nicht dort, jetzt zu sein und nicht irgendwann, so zu sein und nicht anders. Wie das Wasser durch einen Behälter geformt wird, so wird auch alles durch ihre Gestaltung (der Gunas - „Eigenschaften“) bestimmt. Und wie das Wasser doch nur Wasser bleibt, unabhängig von den Behältern, und wie das Licht nur Licht bleibt, unabhängig von den hervorgebrachten Farben, so bleibt das Wahre wahr, unabhängig von den Gestaltungen, in denen es sich widerspiegelt. Warum willst du nur die Spiegelung im Fokus des Bewußtseins behalten? Warum nicht das Wahre selbst?
F: Das Bewußtsein selbst ist ein Reflektieren. Wie kann es das Wahre beinhalten?
M: Zu erkennen, daß das Bewußtsein und sein Inhalt nur veränderliche und vergängliche Spieglungen sind, richtet den Fokus auf das Wahre. Die Weigerung, im Seil eine Schlange zu sehen, ist die notwendige Voraussetzung dafür, um das Seil als Seil zu erkennen.
F: Ist es nur notwendig oder auch ausreichend?
M: Man muß natürlich auch erkennen, daß es ein Seil gibt und wie eine Schlange aussieht. So muß man auch erkennen, daß das Wahre existiert und seine Natur das Zeuge-Bewußtsein ist. Natürlich geht das Wahre über den Zeugen hinaus, aber um hineinzukommen, muß man zunächst den Zustand des reinen Zeugens erkennen. So führt das Gewahrsein des Gestalteten zum Ungestalteten.
F: Kann das Ungestaltete erfahren werden?
M: Das Gestaltete als gestaltet zu kennen, ist alles, was man über das Ungestaltete sagen kann. Solche positiven Begriffe sind lediglich Hinweise und oft irreführend.
F: Können wir davon sprechen, das Wahre zu bezeugen?
M: Wie könnten wir? Wir können nur vom Unwahren, dem Illusionären, Vergänglichen und Gestalteten sprechen. Um darüber hinauszugehen, müssen wir die völlige Negierung der unabhängigen Existenz irgendwelche Dinge verwirklichen. Denn alle Dinge existieren nur abhängig.
F: Wovon hängen sie ab?
M: Vom Bewußtsein, und das Bewußtsein hängt vom Zeugen ab.
F: Und der Zeuge hängt von der Wahrheit ab?
M: Der Zeuge ist die Widerspiegelung der Wahrheit in ihrer ganzen Reinheit. Es kommt nur auf den Geisteszustand an. Wo Klarheit und Distanz (bzw. Nichtanhaftung) vorherrschen, entsteht das Zeuge-Bewußtsein. Wie man auch sagen kann, daß nur dort, wo das Wasser klar und still ist, das reine Bild des Mondes erscheint. Oder wie das Tageslicht als ein Funkeln im reinen Diamanten erscheint.
F: Kann es Bewußtsein ohne Zeugen geben?
M: Ohne den Zeugen wird es zur Unbewußtheit, wie im gewöhnlichen Leben. Der Zeuge ist in jedem Bewußtseinszustand latent vorhanden, genau wie das Licht in jeder Farbe. Ohne den Wissenden kann es kein Wissen geben, und ohne Zeugen keinen Wissenden. Du bist also nicht nur bewußt, du weißt auch (als Zeuge), daß du bewußt bist.
F: Wenn das Ungestaltete nicht erfahren werden kann, weil jede Erfahrung gestaltet ist, warum redet man dann überhaupt darüber?
M: Wie kann es Wissen über das Gestaltete ohne das Ungestaltete geben? Es muß doch eine Quelle da sein, aus der alles Gestaltete fließt, ein Fundament, auf dem alles steht. Selbstverwirklichung ist vor allem das Erkennen der eigenen Gestaltung und das Bewußtsein, daß die unendliche Vielfalt der Gestaltungen von unserer unendlichen Fähigkeit abhängt, gestaltet zu werden und Vielfalt hervorzubringen. Für den gestalteten Verstand erscheint das Ungestaltete wie Alles und Nichts, sowohl die Gesamtheit als auch die Abwesenheit von allem. Beides kann nicht direkt erfahren werden, was aber nicht bedeutet, daß es nicht da ist.
F: Gibt es kein Gefühl davon?
M: Auch ein Gefühl ist ein Zustand des Verstandes. Wie ein gesunder Körper keine Aufmerksamkeit verlangt, so ist auch das Ungestaltete frei von Erfahrungen. Betrachte zum Beispiel die Erfahrung des Todes: Der gewöhnliche Mensch hat Angst vor dem Tod, weil er Angst vor Veränderung hat. Der Jnani (Weise) hat keine Angst, weil sein Verstand bereits tot ist. Er denkt nicht „Ich lebe!“, sondern ist sich bewußt: „Es gibt Leben.“ Für ihn gibt es keine Veränderung und keinen Tod. Der Tod scheint eine Veränderung in Zeit und Raum zu sein. Doch wo es weder Zeit noch Raum gibt, wie kann es da Tod geben? Der Jnani ist bereits allen Namen und Formen abgestorben. Wie könnte ihn ein Verlust ergreifen? Der Mensch in einem Zug fährt von Ort zu Ort, während der Mensch außerhalb des Zuges nirgendwo hinfährt, denn er hat kein Ziel. Er muß nirgendwo hingehen, nichts tun und nichts werden. Wer Pläne macht, wird geboren, um sie auszuführen. Wer keine Pläne macht, muß nicht geboren werden.
F: Was ist der Sinn von Glück und Leid?
M: Existieren sie für sich allein oder nur (abhängig) im Verstand?
F: Was auch immer der Verstand daraus macht, trotzdem existieren sie.
M: Glück und Leid sind lediglich Symptome, das Ergebnis falschen (illusorischen) Wissens und falscher Wahrnehmung. Und ein Ergebnis kann keinen eigenen (unabhängigen) Zweck haben.
F: In Gottes Wirtschaft muß doch alles einen Zweck haben.
M: Kennst du Gott, wenn du so freimütig von ihm sprichst? Was ist „Gott“ für dich? Ein gehörter Klang, ein Wort auf Papier oder eine Vorstellung im Verstand?
F: Durch seine Kraft werde ich geboren und am Leben erhalten.
M: Und mußt leiden und sterben. Bist du darüber glücklich?
F: Es ist wohl meine eigene Schuld, daß ich leide und sterbe. Denn eigentlich wurde ich für das ewige Leben geschaffen.
M: Warum nur ewig in der Zukunft und nicht in der Vergangenheit? Denn was einen Anfang hat, muß auch ein Ende haben. Nur das Anfangslose ist endlos.
F: Gott könnte auch ein bloßes Konzept sein, eine funktionierende Theorie. Aber trotzdem ein sehr nützliches Konzept!
M: Dazu müßte es frei von inneren Widersprüchen sein, was nicht der Fall ist. Warum arbeitest du nicht an der Theorie, daß du deine eigene Schöpfung und dein eigener Schöpfer bist? Zumindest gib es dann keinen äußeren Gott, mit dem man zu kämpfen hat.
F: Diese Welt ist so reich und vielfältig: Wie könnte ich sie erschaffen?
M: Kennst du dich schon so genau, um zu wissen, was du kannst und was nicht? Du kennst deine wahren Kräfte noch nicht, weil du sie nie erforscht hast. Beginne jetzt bei dir selbst!
F: Jeder glaubt an Gott.
M: Für mich bist du dein eigener Gott. Aber wenn du anders denkst, dann bedenke es bis zum Ende! Wenn es Gott gibt, dann gehört alles Gott, und alles ist zum Besten. So begrüße alles, was kommt, mit einem freundlichen und dankbaren Herzen, und liebe alle Geschöpfe! Auch dies wird dich zu deinem Selbst führen.
Maharaj: Die Welt ist nur wie eine Bühnenshow, glitzernd und leer. Sie ist da und doch auch nicht. Sie ist so lange da, wie ich sie sehen will und daran anteilnehme. Wenn ich mich nicht mehr darum kümmere, verschwindet sie. Sie hat keine Ursache und dient keinem Zweck. Sie geschieht so, weil unser Geist zerstreut ist, und erscheint genauso, wie sie aussieht, aber hat weder wahre Tiefe noch Bedeutung. Nur der Beobachter ist wahr. Nenne ihn Selbst oder Atman (Höchste Seele). So ist die Welt für das Selbst nur eine bunte Bühnenshow, die es genießt, solange sie dauert, und wieder vergißt, wenn sie vorbei ist. Was auch immer auf der Bühne geschieht, läßt das Selbst vor Schrecken erschaudern oder vor Lachen krümmen, doch ihm ist immer bewußt, daß es nur eine Show ist. Ohne Begierde oder Angst genießt es das, was geschieht.
Fragender: Doch die Person, die in die Welt eintaucht, hat ein Leben mit vielen Facetten. Sie weint und lacht, liebt und haßt, begehrt und befürchtet, leidet und freut sich. Und der Jnani (Weise), der von Begierde und Angst frei ist, welches Leben hat er? Ist er in seiner Entrückung nicht allein und abgesondert?
M: So trostlos ist sein Zustand nicht. Er schmeckt die reine, unverursachte und unverfälschte Glückseligkeit. Er ist glückselig und sich vollkommen bewußt, daß diese Glückseligkeit in seiner Natur liegt und daß er nichts tun oder nach irgendetwas streben muß, um sie zu erreichen. Sie folgt ihm, ist wahrhafter als der Körper und sogar näher als jeder Verstand. Du glaubst, daß es ohne Grund keine Glückseligkeit geben kann. Für mich ist die Abhängigkeit von irgendetwas, um glücklich zu werden, ein großes Leiden. Glück und Leid haben Ursachen, während mein Zustand mein ureigenster ist, völlig ohne Ursache, unabhängig und unangreifbar.
F: Wie ein Theaterstück auf der Bühne?
M: Ein solches Stück wurde geschrieben, geplant und einstudiert. Doch meine Welt entsteht einfach aus dem Nichts und kehrt ins Nichts zurück.
F: Gibt es keinen Schöpfer? War die Welt nicht im Verstand Brahmas, bevor sie erschaffen wurde?
M: Solange du außerhalb meines Zustandes bist, wirst du Schöpfer, Bewahrer und Zerstörer haben, doch wenn du bei mir wärst, würdest du nur das Selbst kennen und dich selbst in allem sehen.
F: Trotzdem funktionierst du in dieser Welt.
M: Wenn dir schwindelig ist, dann siehst du die Welt um dich herum kreisen. Besessen von Vorstellungen, wie Mittel und Zweck oder Arbeit und Ziel, erscheint es dir so, daß ich funktioniere. In Wahrheit beobachte ich nur. Was auch immer getan wird, geschieht nur auf der Bühne. Glück und Leid, Leben und Tod, sie alle erscheinen wahrhaftig für einen Menschen in Knechtschaft. Für mich sind sie nur Teile der Bühnenshow, so künstlich wie die Show selbst. Vielleicht beobachte ich die Welt genauso wie du, aber du glaubst, in ihr zu sein, während ich sie wie einen schimmernden Tropfen in der riesigen Weite des Bewußtseins sehe.
F: Wir werden alle älter. Das Alter ist nicht angenehm, sondern voller Plagen und Schwäche angesichts des nahenden Endes. Wie fühlt sich ein Jnani als alter Mann? Wie nimmt sein inneres Selbst sein eigenes Altwerden wahr?
M: Je älter er wird, desto glücklicher und friedlicher wird er, denn er kommt schließlich nach Hause. Wie ein Reisender, der sich seinem Ziel nähert und sein Gepäck einsammelt, verläßt er den Zug ohne jegliches Bedauern.
F: Das ist doch aber ein Widerspruch. Uns wird gesagt, daß der Jnani jenseits aller Veränderungen ist. Seine Glückseligkeit nimmt weder zu noch ab. Wie kann er glücklicher werden, wenn er älter wird, und das trotz körperlicher Schwäche usw.?
M: Das ist kein Widerspruch. Das Rad des Schicksals geht dem Ende zu, und der Geist ist glückselig. Der Nebel der körperlichen Existenz lichtet sich, und die Last des Körpers wird von Tag zu Tag weniger.
F: Nehmen wir an, der Jnani wird krank. Er hat sich eine Grippe eingefangen, und jedes Gelenk schmerzt und brennt. Wie ist dann sein Gemütszustand?
M: Alle Empfindungen werden mit vollkommenem Gleichmut betrachtet. Es gibt weder ein Begehren noch ein Ablehnen. Es ist, wie es ist. Und dann betrachtet er es mit einem Lächeln liebevoller Gelassenheit.
F: Er mag sein Leiden gelassen sehen, aber trotzdem ist es doch da.
M: Es ist da, aber es spielt keine Rolle. In welchem Zustand ich mich auch befinde, ich betrachte es als einen Zustand des Verstandes, der so akzeptiert wird, wie er ist.
F: Schmerz ist doch Schmerz, und auch du erfährst ihn.
M: Wer den Körper erfährt, der erfährt auch dessen Schmerzen und Freuden. Doch ich bin weder der Körper noch der Erfahrende des Körpers.
F: Nehmen wir an, du wärst 25 Jahre alt. Deine Ehe ist arrangiert und vollzogen, und die Pflichten im Haushalt bedrängen dich. Wie würdest du dich fühlen?
M: Genauso, wie ich mich jetzt fühle. Du bestehst weiterhin darauf, daß mein innerer Zustand von äußeren Ereignissen geprägt wird. Das ist einfach nicht so. Was auch immer passiert, ich bleibe unverändert. Die Wurzel meines Seins ist reines Gewahrsein, ein Strahl intensiven Lichtes, der von Natur aus strahlt und Bilder im Raum und Ereignisse in der Zeit erzeugt, ganz mühelos und spontan. Solange diese lediglich gewahr sind, gibt es keine Probleme. Aber wenn der unterscheidende Verstand kommt und Unterscheidungen erschafft, dann entstehen Freude und Schmerz. Während des Schlafes ruht der Verstand, und mit ihm Freude und Schmerz. Der Schöpfungsprozeß geht weiter, aber es wird keine Notiz davon genommen. Der Verstand ist eine Form des Bewußtseins, und Bewußtsein ist ein Aspekt des Lebens. Das Leben erschafft alles, doch das Höchste ist jenseits von allem.
F: Der Höchste ist der Meister, und das Bewußtsein ist sein Diener.
M: Der Meister ist im Bewußtsein, und nicht jenseits davon. In Bezug auf das Bewußtsein ist das Höchste sowohl Schöpfung als auch Auflösung, das Konkrete und das Abstrakte, das Fokussierte und das Universale, und zugleich keines von beiden. Weder Worte noch Verstand können es begreifen.
F: Der Jnani scheint ein sehr einsames Wesen zu sein, ganz allein mit sich selbst.
M: Er ist allein und gleichzeitig alles. Er ist nicht einmal ein Wesen, sondern die Wesenheit aller Wesen. Und nicht einmal das, denn hier gelten keine Worte. Er ist, was er ist, der Boden, auf dem alles wächst.
F: Hast du keine Angst zu sterben?
M: Ich werde dir erzählen, wie der Guru meines Gurus gestorben ist: Nachdem er verkündet hatte, daß sein Ende naht, hörte er auf zu essen, ohne seinen Alltag zu verändern. Am elften Tag, zur Gebetszeit, während er sang, klatschte er heftig in die Hände und starb plötzlich. Einfach so, zwischen zwei Bewegungen, wie eine ausgeblasene Kerze. Denn jeder stirbt, wie er lebte. Ich habe keine Angst vor dem Tod, weil ich keine Angst vor dem Leben habe. Ich lebe ein glückliches Leben und werde einen glücklichen Tod sterben. Das Leiden ist die Geburt und nicht der Tod. Alles hängt davon ab, wie man es betrachtet.
F: Es kann wohl keine Beweise für deinen Zustand geben. Ich weiß nur, was du sagst, und sehe einen sehr interessanten alten Mann.
M: Du selbst bist der interessante alte Mann, nicht ich! Ich wurde nie geboren. Wie könnte ich alt werden? Was ich für dich zu sein scheine, existiert nur in deinem Verstand. Ich werde davon nicht beunruhigt.
F: Selbst als Traum (im Verstand) bist du ein höchst ungewöhnlicher Traum.
M: Ja, ich bin ein Traum, der dich aufwecken kann. Den Beweis dafür kannst du im Erwachen finden.
F: Stell dir vor, du bekommst die Nachricht, daß ich gestorben bin. Jemand sagt dir: „Kennst du den? Er starb!“ Wie würdest du reagieren?
M: Ich würde mich sehr freuen, dich wieder zu Hause zu wissen. Wirklich erfreut, daß du aus dieser Dummheit entkommen bist.
F: Welche Dummheit?
M: Zu denken, daß du geboren wurdest und sterben wirst, daß du ein Körper mit einem Verstand bist und all dieser Unsinn. In meiner Welt wird niemand geboren, und niemand stirbt. Manche Menschen machen eine Reise und kommen zurück, andere gehen nie wieder. Welchen Unterschied macht es, da sie doch in Traumländer reisen und jeder in seinen eigenen Traum versunken ist. Nur das Aufwachen ist wichtig. Es reicht aus, das „Ich bin“ als Wahrheit und auch als Liebe zu erkennen.
F: Mein Zugang ist nicht so vollkommen, und daher meine Fragen. Überall im Westen sind die Menschen auf der Suche nach etwas Wahrem. Sie wenden sich der Wissenschaft zu, die ihnen viel über die Materie sagt, ein wenig über den Verstand und nichts über die Natur und den Zweck des Bewußtseins. Für sie ist die Wahrheit etwas Objektives, das unabhängig von direkter oder indirekter Beobachtung und Beschreibung existiert. Über den subjektiven (bzw. geistigen) Aspekt der Wahrheit wissen sie nichts. Es wäre äußerst wichtig, sie wissen zu lassen, daß es Wahrheit gibt und diese in der Freiheit des Bewußtseins von der Materie und ihren Einschränkungen und Verzerrungen zu finden ist. Die meisten Menschen auf der Welt wissen einfach nicht, daß es eine Wahrheit gibt, die im Bewußtsein gefunden und erlebt werden kann. Es scheint sehr wichtig, daß sie die gute Botschaft von jemandem hören, der sie tatsächlich erlebt hat. Solche Zeugen gab es schon immer und ihre Aussagen sind sehr wertvoll.
M: Natürlich! Die gute Botschaft der Selbstverwirklichung wird nie vergessen werden, wenn man sie einmal gehört hat. Wie ein Samen, der in der Erde verbleibt, wird sie auf die richtige Jahreszeit warten, aufgehen und zu einem mächtigen Baum heranwachsen.
Fragender: Wie ist der tägliche und stündliche Geisteszustand eines selbstverwirklichten Menschen? Wie sieht, hört, ißt, trinkt, wacht, schläft, arbeitet und ruht er? Welchen Beweis gibt es dafür, daß sich sein Zustand von unserem unterscheidet? Abgesehen von der mündlichen Aussage der sogenannten „Selbstverwirklichten“ gibt es wohl keine Möglichkeit, ihren Zustand objektiv zu überprüfen. Oder gibt es vielleicht einige beobachtbare Unterschiede in ihren physiologischen und nervlichen Reaktionen, in ihrem Stoffwechsel, ihren Gehirnwellen oder ihrer psychosomatischen Struktur?
Maharaj: Vielleicht kannst du Unterschiede feststellen, vielleicht auch nicht. Alles hängt von deiner Beobachtungsfähigkeit ab. Die objektiven Unterschiede sind jedoch am unwichtigsten. Was zählt, ist ihre Einstellung und Haltung, die eine völlige Nichtanhaftung und Gelassenheit bezüglich der Dinge zum Ausdruck bringt.
F: Ist ein Jnani (Weiser) nicht traurig, wenn sein Kind stirbt? Leidet er nicht?
M: Er leidet mit denen, die leiden. Das Ereignis selbst ist von geringer Bedeutung, doch er ist voller Mitgefühl für die Leidenden, ob lebendig oder tot, im Körper oder außerhalb. Schließlich sind Liebe und Mitgefühl sein Wesen. Er ist eins mit allem, was lebt, und Liebe ist die Wirkung dieses Einsseins.
F: Menschen haben gewöhnlich große Angst vor dem Tod.
M: Der Jnani hat vor nichts Angst. Aber er hat Mitgefühl mit den Menschen, die Angst haben. Schließlich ist es natürlich, geboren zu werden, zu leben und zu sterben. Angst zu haben ist unnatürlich, auch wenn man natürlich den Ereignissen Aufmerksamkeit geschenkt.
F: Stell dir vor, du wärst krank, mit hohem Fieber, Schmerzen und Schüttelfrost, und der Arzt sagt dir, daß die Erkrankung ernst ist und du nur noch wenige Tage zu leben hast. Was wäre deine erste Reaktion?
M: Keine Reaktion. So wie es natürlich ist, daß ein Räucherstäbchen abbrennt, so ist es auch natürlich, daß der Körper stirbt. Eigentlich ist es eine Angelegenheit von sehr geringer Bedeutung. Wichtig ist, daß ich weder der Körper noch der Geist bin, sondern nur: „Ich bin.“
F: Deine Familie wird natürlich verzweifelt sein. Was würdest du ihnen sagen?
M: Das Übliche: Habt keine Angst, das Leben geht weiter, Gott wird euch beschützen, wir werden bald wieder zusammen sein und so weiter. Aber für mich ist die ganze Aufregung bedeutungslos, denn ich bin nicht das begrenzte Wesen, das sich vorstellt, lebendig oder tot zu sein. Ich bin weder geboren noch kann ich sterben. Ich habe nichts, woran ich mich erinnern müßte oder was ich vergessen könnte.
F: Und was ist mit den Gebeten für die Toten?
M: Ja, bete für die Toten, denn es erfreut sie sehr, und sie fühlen sich geschmeichelt. Doch der Jnani braucht deine Gebete nicht, denn er selbst ist die Antwort auf deine Gebete.
F: Wie ergeht es dem Jnani nach dem Tod?
M: Der Jnani ist bereits tot. Erwartest du, daß er noch einmal stirbt?
F: Sicherlich ist die Auflösung des Körpers auch für einen Jnani ein wichtiges Ereignis.
M: Für einen Jnani gibt es keine wichtigen Ereignisse, außer wenn jemand das höchste Ziel erreicht. Nur dann erfreut sich sein Herz. Alles andere ist gleich. Das gesamte Universum ist sein Körper, und alles Leben ist sein Leben. Wie in einer hellerleuchteten Stadt das Durchbrennen einer Glühbirne keine Auswirkungen auf das gesamte Lichtermeer hat, so hat auch der Tod eines Körpers keine Auswirkungen auf die Ganzheit.
F: Das Einzelne mag für das Ganze nicht von Bedeutung sein, aber für das Einzelne ist es doch wichtig. Das Ganze ist eine Abstraktion, das Einzelne und Konkrete ist real.
M: Das sagst du! Für mich ist es vielleicht umgekehrt: Das Ganze ist real (bzw. wahr), und das Einzelne kommt und geht. Das Einzelne wird geboren und wiedergeboren und verändert seinen Namen und seine Form. Der Jnani ist die unveränderliche Wahrheit, die das Veränderliche ermöglicht. Aber er kann dich nicht überzeugen, denn es muß mit deiner eigenen Erfahrung übereinstimmen. Bei mir ist alles eins, alles gleich.
F: Sind auch Sünde und Tugend ein und dasselbe?
M: Das sind alles menschengemachte Werte! Was sind sie für mich? Was zum Glück führt, ist Tugend, und was zum Leid führt, ist Sünde. Beides sind Zustände des Verstandes, doch ich bin nicht im Zustand des Verstandes.
F: Wir sind wohl wie die Blinden, die nicht verstehen können, was das Sehen ist.
M: Du kannst es nennen, wie du möchtest.
F: Ist das Üben der Stille als Sadhana wirksam?
M: Alles, was du um der Erleuchtung willen tust, bringt dich näher. Und alles, was du ohne Erinnerung an die Erleuchtung tust, entfernt dich davon. Aber warum so kompliziert? Sei dir einfach bewußt, daß du jenseits aller Dinge und Gedanken bist. Was du sein willst, das bist du bereits. Das bewahre im Verstand!
F: Ich höre, was du sagst, aber kann es nicht glauben.
M: In gleicher Situation war ich auch. Aber ich vertraute meinem Guru, und er behielt Recht. So vertraue mir, wenn du kannst. Bewahre im Verstand, was ich dir sage: Verlange nichts, denn dir fehlt nichts. Das Suchen selbst hindert dich am Finden.
F: Du scheinst in allem so gleichgültig zu sein!
M: Ich bin nicht gleichgültig, sondern unparteiisch und bevorzuge mich und das Meine nicht. Ich begehre weder einen Korb voller Erde noch einen Korb voller Juwelen. Leben und Tod sind für mich gleich.
F: Aber die Unparteilichkeit macht dich gleichgültig.
M: Im Gegenteil, Mitgefühl und Liebe sind mein innerster Kern. Frei von allen Vorlieben bin ich frei zu lieben.
F: Der Buddha sagte, daß die Idee der Erleuchtung äußerst wichtig sei. Die meisten Menschen gehen durch ihr Leben und wissen nicht einmal, daß es so etwas wie Erleuchtung gibt, geschweige denn, daß sie danach streben. Doch wenn sie davon hören, wird ein Samen gesät, der nicht sterben kann. Deshalb schickte er seine Mönche jedes Jahr acht Monate lang zum Predigen.
M: Mein Guru pflegte zu sagen: „Man kann Essen, Kleidung, Obdach, Wissen und Zuneigung geben, aber das höchste Geschenk ist die gute Botschaft der Erleuchtung.“ Du hast Recht, Erleuchtung ist das höchste Gut. Sobald du es hast, kann es dir niemand mehr nehmen.
F: Wenn du bei uns im Westen so reden würdest, würden dich die Leute für wahnsinnig halten.
M: Natürlich würden sie das tun, denn für die Unwissenden ist alles Wahnsinn, was sie nicht verstehen können. Was macht das schon? Laß sie so sein, wie sie sind. Ich bin, wie ich bin, ohne daß es mein Verdienst wäre. Und sie sind, wie sie sind, ohne daß es ihre Schuld wäre. Die höchste Wahrheit manifestiert sich auf unzählige Arten, und unzählig sind deren Namen und Formen. Alle entstehen und vergehen im selben Meer, und die Quelle von allem ist eins. Deshalb ist die Suche nach Ursachen und Ergebnissen nur ein Zeitvertreib des Verstandes. Was da ist, ist liebenswert. Liebe ist kein Ergebnis, sondern der Urgrund des Daseins. Wohin du auch gehst, du wirst Dasein, Bewußtsein und Liebe finden. Warum und wofür irgendwelche Vorlieben festlegen?
F: Wenn durch Naturkatastrophen Tausende oder Millionen von Menschenleben ausgelöscht werden (wie es bei Überschwemmungen und Erdbeben der Fall ist), trauere ich nicht so sehr, wie wenn ein Mensch durch die Hand eines anderen Menschen stirbt. Das Unvermeidliche hat seine eigene Majestät, aber willkürliches Töten ist vermeidbar und daher häßlich und insgesamt schrecklich.
M: Alles passiert, wie es passiert. Katastrophen passieren, ob natürlich oder menschgemacht, und es besteht kein Grund, darüber entsetzt zu sein.
F: Wie kann etwas einfach so passieren, ohne Verursachung?
M: In jedem Ereignis spiegelt sich das gesamte Universum wider. Die Ursache ist nicht nachvollziehbar. Die Vorstellung von Kausalität (von Ursache und Wirkung) ist lediglich eine Art zu denken und zu sprechen, weil wir uns keine Wirkung ohne Ursache vorstellen können. Dies beweist jedoch nicht die Wahrheit einer Kausalität.
F: Die Natur ist ohne Verstand und daher nicht verantwortlich. Aber der Mensch hat einen Verstand. Warum handelt es so pervers?
M: Auch die Ursachen für Perversität sind natürlich, zum Beispiel durch Vererbung, Umfeld und so weiter. Du verurteilst zu schnell. Mach dir nicht so viele Sorgen um andere, sondern zuerst um deinen eigenen Verstand! Wenn du erkennst, daß auch dein Verstand ein Teil der Natur ist, werden die Gegensätze verschwinden.
F: Darin liegt ein Geheimnis, das ich einfach nicht ergründen kann. Wie kann der Verstand ein Teil der Natur sein?
M: Weil die Natur im Verstand ist. Wo wäre die Natur ohne den Verstand?
F: Wenn die Natur im Verstand ist und der Verstand mir gehört, dann sollte ich in der Lage sein, die Natur zu kontrollieren, was nicht wirklich der Fall ist, denn Mächte außerhalb meiner Kontrolle bestimmen mein Verhalten.
M: Entwickle die Haltung eines Zeugen und du wirst in deiner eigenen Erfahrung feststellen, daß Nichtanhaftung Kontrolle bringt. Der Zustand des Zeugens ist voller Macht, und es gibt nichts Passives darin.
Fragender: Ich habe bemerkt, daß in mir ein neues Selbst auftaucht, das vom alten Selbst unabhängig ist. Beide existieren irgendwie nebeneinander. Das alte Selbst geht seinen gewohnten Weg weiter, und das neue läßt das alte da sein, aber identifiziert sich nicht damit.
Maharaj: Was ist der Hauptunterschied zwischen dem alten und dem neuen Selbst?
F: Das alte Selbst will alles definieren und erklären. Es will, daß die Dinge begrifflich zueinander passen. Das neue legt keinen Wert auf begriffliche Erklärungen, denn es akzeptiert die Dinge so, wie sie sind, und versucht nicht, sie mit Dingen aus der Erinnerung in Verbindung zu bringen.
M: Bist du dir des Unterschieds zwischen dem Gewohnten und dem Spirituellen voll und ganz bewußt? Welche Haltung hat das neue Selbst zum alten?
F: Das neue schaut nur das alte an. Es ist weder freundlich noch feindselig. Es akzeptiert einfach das alte Selbst zusammen mit allem anderen. Es akzeptiert sein Dasein, aber nicht seinen Wert und seine Gültigkeit.
M: Das neue Selbst ist die völlige Auflösung des alten. Denn das freizügige neue Selbst ist nicht wirklich neu, sondern nur eine neue Haltung des alten. Damit vernichtet das wahrhaft neue Selbst das alte völlig. Die beiden können nicht zusammen da sein. Gibt es einen Prozeß der Selbstauflösung und eine ständige Zurückweisung der alten Vorstellungen und Werte? Oder gibt es nur eine gegenseitige Toleranz? Was ist ihre Beziehung?
F: Es gibt besondere Beziehung. Sie existieren nebeneinander.
M: Wenn du vom alten und neuen Selbst sprichst, wen meinst du damit? Wenn zwischen den beiden eine Kontinuität in der Erinnerung besteht und sich jeder an das andere erinnert, wie kannst du dann von zwei Selbsten sprechen?
F: Das eine ist ein Sklave der Gewohnheiten, das andere nicht. Das eine ist begrifflich, das andere ist frei von allen Vorstellungen.
M: Warum zwei Selbste? Zwischen dem Gebundenen und dem Freien kann es keine (wahre) Beziehung geben. Und doch beweist allein die Tatsache der Koexistenz ihre grundlegende Einheit. Es gibt nur ein Selbst, und das ist immer jetzt. Was du das andere Selbst nennst, ob alt oder neu, ist nur eine Ausdrucksform und ein anderer Aspekt des einen Selbst. Das Selbst ist eins. Du bist dieses Selbst und hast Vorstellungen davon, was du warst oder sein wirst. Aber eine Vorstellung ist nicht das Selbst. Gerade jetzt, wo du vor mir sitzt, welches Selbst bist du? Das alte oder das neue?
F: Die beiden stehen im Konflikt.
M: Wie kann es einen Konflikt mit etwas geben, was gar nicht da ist? Konflikt ist das Merkmal des alten Selbst. Sobald das neue auftaucht, ist das alte nicht mehr da. Du kannst nicht in einem Atemzug von dem neuen Selbst und von Konflikten sprechen. Sogar die Bestrebung nach dem neuen Selbst kommt vom alten. Wo es Konflikte, Bestrebungen, Kämpfe und die Sehnsucht nach Veränderung gibt, gibt es kein neues Selbst. Inwieweit bist du frei von der gewohnheitsmäßigen Tendenz, Konflikte zu schaffen und aufrechtzuerhalten?
F: Ich kann nicht sagen, daß ich jetzt ein anderer Mensch bin. Aber ich habe Neues über mich selbst entdeckt, nämlich Zustände, die sich so sehr von meinem vorhergehenden Bewußtsein unterscheiden, daß ich es für gerechtfertigt halte, sie neu zu nennen.
M: Auch das alte Selbst ist dein eigenes Selbst. Der Zustand, der spontan und ohne Ursache entsteht, trägt keinen Makel für das Selbst, und man könnte ihn sogar „Gott“ nennen. Denn was ohne Samen oder Wurzel ist, was nicht sprießt und wächst, nicht blüht und Früchte trägt, was spontan und in voller Herrlichkeit auf geheimnisvolle und wunderbare Weise da ist, das kann man „Gott“ nennen. Es ist völlig unerwartet und doch unvermeidlich, unendlich vertraut und doch äußerst überraschend, jenseits aller Hoffnung und doch vollkommen sicher. Weil es ohne Ursache ist, ist es auch ohne Hindernis. Es gehorcht nur einem Gesetz, nämlich dem Gesetz der Freiheit. Alles, was eine Kontinuität, eine Abfolge (bzw. Kausalität) oder einen Übergang von einer Stufe zur anderen umfaßt, kann keine Wahrheit sein. Denn in der Wahrheit gibt es keinen Fortschritt, weil sie endgültig, vollkommen und unabhängig ist.
F: Wie kann ich das erreichen?
M: Du kannst nichts tun, um es zu erreichen, aber du kannst vermeiden, Hindernisse aufzubauen. Beobachte deinen Verstand, wie er entsteht und wie er funktioniert. Wenn du deinen Verstand beobachtest, dann entdeckst du dich selbst als Beobachter. Und wenn du stillstehst und nur zuschaust, dann entdeckst du dich selbst als das Licht hinter dem Beobachter. Die Quelle des Lichtes ist dunkel, wie auch die Quelle des Wissens unbekannt ist. Doch allein diese Quelle ist da. Kehre zurück zu dieser Quelle und bleibe dort! Sie ist weder im Himmel noch im alldurchdringenden Raum. Gott ist alles, was erhaben und wunderbar ist. Ich bin nichts, habe nichts und kann nichts tun. Und doch kommt alles aus mir, denn ich bin die Quelle, die Wurzel und der Ursprung.
Wenn die Wahrheit in dir explodiert, kannst du es eine Gotteserfahrung nennen, oder besser gesagt, es ist Gott, der dich erfährt. Denn Gott erkennt dich, wenn du dich selbst erkennst. Die Wahrheit ist nicht das Ergebnis eines Prozesses, sondern eine Explosion. Sie ist definitiv jenseits des Verstandes, aber du selber kannst nichts anderes tun, als deinen Verstand genau kennenzulernen. Nicht, daß der Verstand dir helfen wird, aber indem du deinen Verstand kennst, kannst du verhindern, daß dein Verstand dich behindert. Denn du mußt sehr wachsam sein, sonst spielt der Verstand ein falsches Spiel mit dir. Es ist, wie einen Dieb zu beobachten. Nicht, daß man von einem Dieb etwas erwartet, aber man möchte nicht ausgeraubt werden. In gleicher Weise schenkst du dem Verstand viel Achtsamkeit, ohne etwas von ihm zu erwarten.
Oder nimm ein anderes Beispiel: Wir wachen und wir schlafen. Nach einem Arbeitstag kommt der Schlaf: Gehe ich dann schlafen, oder überwältigt mich die Unwissenheit, die charakteristisch für den Schlafzustand ist? Mit anderen Worten: Wir schlafen, während wir wachen, und erwachen auch nicht in einen wahren Wachzustand. Denn auch in diesem Wachzustand erscheint die Welt aus Unwissenheit und versetzt dich in einen traumhaften Wachzustand. Sowohl Schlaf als auch Wachen sind also fehlerhafte Bezeichnungen, denn wir träumen ständig. Wahres Wachen und wahres Schlafen kennt nur der Jnani. Wir träumen, daß wir wach sind, und wir träumen, daß wir schlafen. Die drei Zustände sind nur Varianten des Traumzustandes. Alles wie einen Traum zu beobachten, befreit uns. Solange du Träume als Wahrheit betrachtest, bist du ihr Sklave. Denn indem du dir vorstellst, daß du in einer Form geboren wurdest, wirst du zum Sklaven dieser Form. Und das Wesen der Sklaverei besteht in der Vorstellung, ein Prozeß mit Vergangenheit und Zukunft zu sein, der eine Geschichte hat. In Wahrheit haben wir gar keine Geschichte, sind kein Prozeß, entwickeln uns nicht und vergehen auch nicht. Erkenne alles als einen Traum und befreie dich davon!
F: Welchen Nutzen habe ich davon, wenn ich dir zuhöre?
M: Ich rufe dich zu dir selbst zurück. Ich bitte dich nur, auf dich selbst, nach dir selbst und in dich selbst zu schauen.
F: Zu welchem Zweck?
M: Du lebst, du fühlst und du denkst. Indem du deinem Leben, deinem Fühlen und Denken reine Achtsamkeit schenkst, befreist du dich von ihnen und gehst über sie hinaus. Deine Persönlichkeit löst sich auf und nur der Zeuge bleibt übrig. Und schließlich gehst du sogar jenseits des Zeugen. Frage nicht, wie es passiert. Schaue einfach in dir selbst!
F: Was ist der Unterschied zwischen Person und Zeuge?
M: Beides sind Formen des Bewußtseins. In der einen Form hast du Begierde und Angst, und in der anderen bist du von Glück und Leid unberührt und läßt dich von den Ereignissen nicht aus der Ruhe bringen, denn du läßt sie kommen und gehen.
F: Wie erreicht man diesen höheren Zustand, den Zustand des reinen Zeugens?
M: Bewußtsein leuchtet nicht von allein, sondern erscheint durch ein Licht jenseits davon. Nachdem du die traumhafte Qualität des Bewußtseins erkannt hast, suche nach dem Licht, in dem es erscheint und das ihm Existenz verleiht. Dieses Licht gibt sowohl den Inhalt des Bewußtseins als auch das Gewahrsein dafür.
F: Ich erkenne, und ich erkenne, daß ich erkenne.
M: Vollkommen richtig, vorausgesetzt das zweite Erkennen ist ungestaltet und zeitlos. So vergiß das Erkannte, und erinnere dich, daß du der Erkennende bist! Versinke nicht ständig in deinen Erfahrungen. Erinnere dich, daß du jenseits aller Erfahrungen ewig ungeboren und unsterblich bist. Durch diese Erinnerung wird die Qualität der reinen Erkenntnis erscheinen, das reine Licht des ungestalteten Gewahrseins.
F: An welchem Punkt erfährt man die Wahrheit?
M: Erfahrung bedeutet Veränderung, die kommt und geht. Die Wahrheit ist kein Ereignis (das kommt und geht), und deshalb kann sie nicht erfahren werden. Sie ist nicht auf die gleiche Weise wahrnehmbar wie ein Ereignis. Wenn du auf ein Ereignis wartest, daß die Wahrheit kommt, wirst du ewig warten, denn die Wahrheit kommt und geht nicht. Sie ist zu erkennen, aber nicht zu erwarten. Sie ist nicht vorzubereiten oder vorherzusehen. Und doch ist die eigentliche Sehnsucht und Suche nach der Wahrheit die Bewegung, das Wirken und das Handeln der Wahrheit selbst. Alles, was du selber tun kannst, ist nur, den entscheidenden Punkt zu erkennen, daß die Wahrheit kein Ereignis ist und nicht passiert, und daß alles, was passiert und kommt und geht, keine Wahrheit ist. Beobachte ein Ereignis nur als Ereignis, das Vergängliche als vergänglich und die Erfahrung als bloße Erfahrung, und du hast alles getan, was du tun kannst. Dann bist du zur Wahrheit fähig und nicht mehr gegen sie gerüstet, wie du es warst, als du Ereignissen und Erfahrungen Wahrheit verliehen hast. Aber sobald es wieder Zuneigung oder Abneigung gibt, hast du erneut eine Mauer aufgerichtet.
F: Würdest du sagen, daß sich die Wahrheit eher im Handeln als im Wissen ausdrückt? Oder ist es eine Art Gefühl?
M: Weder Handeln, noch Gefühl oder Gedanken drücken die Wahrheit aus. Es gibt keinen Ausdruck für die Wahrheit. Du führst einen Gegensatz ein, wo es keinen gibt. Nur die Wahrheit ist da, und es gibt nichts anderes. Die drei Zustände von Wachen, Träumen und Schlafen sind nicht ich, und ich befinde mich nicht in ihnen. Wenn ich sterbe, wird die Welt sagen: „Oh, Maharaj ist tot!“ Aber für mich sind das nur Worte ohne Inhalt. Sie haben keine wahre Bedeutung. Wenn die Gestalt des Gurus verehrt wird, geschieht alles so, als würde er aufwachen, baden, essen, sich ausruhen, einen Spaziergang machen und zurückkehren, alle segnen und wieder schlafen gehen. Alles wird bis ins kleinste Detail beobachtet, und doch hat das Ganze einen Hauch von Illusion. So ist es auch bei mir. Alles geschieht so, wie es nötig ist, und doch passiert (in Wahrheit) nichts. Ich tue, was notwendig erscheint, aber gleichzeitig weiß ich, daß nichts notwendig ist und daß das Leben selbst nur eine Illusion ist.
F: Warum dann überhaupt leben? Warum all dieses unnötige Kommen und Gehen, Wachen und Schlafen, Essen und Verdauen?
M: Ich selbst tue nichts, alles passiert einfach. Ich erwarte und plane nichts, sondern beobachte nur die Ereignisse, die geschehen, und weiß, daß sie keine Wahrheit sind.
F: Ging es dir vom ersten Moment der Erleuchtung an immer so?
M: Die drei Zustände wechseln wie üblich, und es gibt Wachen und Schlafen und wieder Wachen, aber das passiert nicht mir selbst. Es passiert einfach, aber mir passiert nichts. Denn da ist etwas Unveränderliches, Unbewegliches, Unbewegtes, Felsartiges und Unangreifbares, eine solide Masse reiner Seins-Bewußtseins-Glückseligkeit. Niemals komme ich da heraus, und nichts kann mich da herausholen, keine Folter und kein Unglück.
F: Dennoch bist du bei Bewußtsein!
M: Ja und nein! Da ist ein Frieden, tief, unermeßlich und unerschütterlich. Ereignisse werden im Gedächtnis registriert, aber haben keine wahre Bedeutung. Und so nehme ich sie auch kaum wahr.
F: Wenn ich dich richtig verstehe, ist dieser Zustand (der Erleuchtung) nicht durch Gestaltung entstanden.
M: Es gab kein Kommen, denn es war schon immer da. Es gab nur eine Entdeckung, und dieses kam plötzlich. Wie man bei der Geburt plötzlich die Welt entdeckt, so entdeckte ich plötzlich mein wahres Dasein.
F: War es von Wolken bedeckt, und dein Sadhana (der geistigen Übung) hat den Nebel aufgelöst? Als dir dein wahrer Zustand klar wurde, blieb er klar, oder wurde er wieder verdunkelt? Ist dein Zustand dauerhaft oder schwankend?
M: Vollkommen beständig! Was auch immer ich tue, er bleibt bewegungslos wie ein Fels. Sobald du in der Wahrheit erwacht bist, bleibst du darin. Ein Kind kehrt doch nicht in den Mutterleib zurück! Es ist ein einfältiger Zustand, kleiner als das Kleinste und größer als das Größte. Es ist selbstverständlich und doch unbeschreiblich.
F: Gibt es einen Weg dorthin?
M: Alles kann ein Weg werden, sofern man Interesse hat. Schon über meine Worte nachzudenken und zu versuchen, ihre wahre Bedeutung zu begreifen, ist eine geistige Übung, die vollkommen ausreicht, um die Mauer einzureißen. Mich stört nichts. Kein Ärger beunruhigt mich, und deshalb bleibt er nicht bei mir. Auf deiner Seite gibt es so viel Ärger, aber ich bin frei von Problemen. Komm auf meine Seite! Du bist anfällig für Störungen, während ich immun bin, was auch immer passiert. Nur aufrichtiges Interesse wird benötigt, und die Ernsthaftigkeit vollbringt es.
F: Kann ich das wirklich erreichen?
M: Natürlich! Du bist durchaus in der Lage, die Seite zu wechseln. Sei nur aufrichtig!
Fragender: Von Jahr zu Jahr bleibt deine Belehrung dieselbe. Was du uns sagst, scheint keine Fortschritte zu machen.
Maharaj: In einem Krankenhaus, wo die Kranken zur Gesundung behandelt werden, ist die Behandlung eine Routine, die sich kaum verändert, aber die Gesundheit ist nicht eintönig. Meine Belehrung mag Routine sein, aber die Früchte davon sind von Mensch zu Mensch neu.
F: Was ist die Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit)? Wer ist ein verwirklichter Mensch? Woran erkennt man den Weisen (Jnani)?
M: Es gibt keine besonderen Merkmale von Weisheit. Nur Unwissenheit kann wahrgenommen (bzw. „begriffen“) werden, nicht Weisheit. Kein Weiser erhebt den Anspruch, etwas Besonderes zu sein. Wer seine eigene Größe und Einzigartigkeit verkündet, ist kein Weiser, denn er verwechselt eine außergewöhnliche Entwicklung mit der Selbstverwirklichung. Der Weise hat kein Bedürfnis, sich selbst als Weiser zu bezeichnen. Er hält sich selbst für völlig normal und seiner wahren Natur treu. Sich persönlich als allwissende und allmächtige Gottheit zu bezeichnen, ist ein klares Zeichen von Unwissenheit.
F: Kann der Weise seine Erfahrung den Unwissenden weitergeben? Kann Weisheit von einem Menschen auf einen anderen übertragen werden?
M: Ja, das ist möglich. Die Worte des Weisen haben die Macht, jede Unwissenheit und Dunkelheit im Verstand zu vertreiben. Es sind nicht die Worte, die zählen, sondern die Macht, die dahintersteht.
F: Was ist diese Macht?
M: Es ist die Macht der Überzeugung, basierend auf eigener Verwirklichung und direkter Erfahrung.
F: Einige Verwirklichte sagen, daß Weisheit gewonnen werden muß und nicht einfach bekommen werden kann. Ein anderer kann nur lehren, aber man selbst muß lernen.
M: Das läuft auf das Gleiche hinaus.
F: Es gibt viele, die jahrelang erfolglos Yoga praktiziert haben. Was könnte die Ursache für ihr Scheitern sein?
M: Manche sind süchtig nach Trance, und ihr Bewußtsein ist in einem Schwebezustand. Welchen Fortschritt kann es ohne ganzheitliches Bewußtsein geben?
F: Viele praktizieren Samadhi (tiefgründige Versenkung). Im Samadhi ist das Bewußtsein sehr intensiv, und dennoch führt es zu nichts.
M: Welche Ergebnisse erwartest du? Und warum sollte Weisheit das Ergebnis von irgendetwas sein? Ein Ding führt zum anderen, aber die Weisheit ist nicht an Ursachen und Wirkungen gebunden. Sie geht völlig über die Kausalität hinaus. Sie ist das Verweilen im Selbst. Der Yogi lernt viele Wunder kennen, aber über sich selbst bleibt er oft unwissend. Der Weise erscheint vielleicht ganz gewöhnlich und fühlt sich auch so an, aber sein Selbst kennt er ganz genau.
F: Es gibt viele, die ernsthaft nach Selbsterkenntnis streben, aber mit dürftigen Ergebnissen. Was kann der Grund dafür sein?
M: Sie haben die Quelle der Erkenntnis nicht ausreichend erforscht und erkennen ihre Empfindungen, Gefühle und Gedanken nicht gut genug. Dies kann ein Grund für Verzögerung sein. Ein andere könnte darin liegen, daß noch Begierden vorhanden sind.
F: Höhen und Tiefen sind im Sadhana (der spirituellen Praxis) unvermeidlich. Doch der ernsthaft Suchende macht trotzdem weiter. Was kann der Weise für einen solchen Suchenden tun?
M: Wenn es der Suchende ernst meint, kann ihm das Licht gegeben werden. Das Licht ist für alle und immer da, aber die Suchenden sind wenige, und unter diesen Wenigen gibt es noch weniger, die dafür bereit sind. Diese Reife von Herz und Verstand ist unerläßlich.
F: Hast du deine eigene Verwirklichung durch Anstrengung oder durch die Gnade deines Gurus erlangt?
M: Von ihm kam die Lehre und von mir das Vertrauen. Mein Vertrauen hat mich dazu gebracht, seine Worte als wahrhaft zu akzeptieren, tief in sie einzutauchen und entsprechend zu leben. So habe ich verwirklicht, was ich bin. Die Person und die Worte des Gurus ließen mich ihm vertrauen, und mein Vertrauen machte sie fruchtbar.
F: Kann ein Guru auch ohne Worte und ohne Vertrauen, einfach so, ohne jegliche Vorbereitung die Verwirklichung (von Selbst und Wahrheit) geben?
M: Ja, das ist möglich, aber wo ist der Empfänger? Du weißt ja, ich war so sehr mit meinem Guru im Einklang, daß ich ihm vollkommen vertraute. Damit gab es so wenig Widerstand in mir, daß alles einfach und schnell ging. Aber nicht jeder hat so viel Glück. Trägheit und Unruhe stehen oft im Weg, und bis sie erkannt und beseitigt werden, geht es nur langsam voran. Alle, die es sofort verwirklicht haben, durch eine bloße Berührung, einen Blick oder Gedanken, waren reif dafür. Aber das sind sehr wenige. Die Mehrheit benötigt einige Zeit zum Reifen, und das Sadhana ist eine beschleunigte Reifung.
F: Was macht jemanden reif? Was ist der Reifefaktor?
M: Natürlich die Ernsthaftigkeit, denn man muß wirklich entschlossen sein. Und schließlich ist der verwirklichte Mensch der ernsthafteste Mensch. Was auch immer er tut, das tut er voll und ganz, ohne Einschränkung und Vorbehalte. Diese Ernsthaftigkeit wird dich zur Wahrheit führen.
F: Liebst du die Welt?
M: Warum weinst du, wenn du verletzt wirst? Weil du dich selbst liebst. Beschränke deine Liebe nicht auf den Körper, sondern halte sie offen, dann wird es die Liebe für alle sein. Wenn alle falschen Selbstidentifikationen aufgelöst sind, bleibt die allumfassende Liebe übrig. Befreie dich von allen Vorstellungen über dich selbst, sogar von der Vorstellung, daß du Gott bist. Keine begriffliche Definition des Selbst ist wahr.
F: Ich habe genug von Versprechungen, und habe die Sadhanas satt, die meine ganze Zeit und Energie in Anspruch nehmen und nichts bringen. Ich will die Wahrheit hier und jetzt. Kann ich sie haben?
M: Natürlich kannst du das, vorausgesetzt, du hast wirklich alles satt, einschließlich deiner Sadhanas. Wenn du nichts von der Welt oder von Gott verlangst, wenn du nichts willst, nichts suchst und nichts erwartest, dann wird das Höchste ungebeten und unerwartet zu dir kommen.
F: Wenn ein Mensch, der in sein Familienleben und die weltlichen Angelegenheiten versunken ist, sein Sadhana streng nach den Geboten der Schriften ausführt, wird er dann Ergebnisse erzielen?
M: Ergebnisse wird er erzielen, aber er wird davon wie in einem Kokon umhüllt sein.
F: So viele Heilige sagen, daß man es verwirklichen wird, wenn man reif und bereit ist. Deine Worte mögen wahr sein, aber sie nützen mir wenig. Es muß doch einen Ausweg geben, unabhängig vom Reifeprozeß, der Zeit braucht, und vom Sadhana, das Anstrengung erfordert.
M: Nenne es keinen Ausweg, denn es ist eher eine Art von Fähigkeit, und nicht einmal das. Bleibe offen und ruhig, das ist alles. Was du suchst, ist so nah bei dir, daß es gar keinen Raum für einen Weg gibt.
F: Es gibt so viele unwissende Menschen auf der Welt und so wenige Weise (Jnanis). Was kann der Grund dafür sein?
M: Kümmere dich nicht um andere, sondern achte auf dich! Du weißt, daß du da bist. Belaste dich nicht mit Namen, sei einfach da! Jeder Name oder jede Form, die du dir selbst gibst, verdunkelt deine wahre Natur.
F: Warum sollte die Suche vor der Verwirklichung enden?
M: Der Wunsch nach Wahrheit ist der höchste aller Wünsche, und dennoch ist es immer noch ein Wunsch. Alle Wünsche müssen der Wahrheit überlassen werden. Erinnere dich, daß du da bist! Das ist dein Arbeitskapital. Laß es arbeiten, und es wird viel Gewinn bringen.
F: Warum gibt es dann überhaupt ein Suchen?
M: Das Leben ist Suchen, und man kann nicht anders als suchen. Wenn alle Suche aufhört, ist der höchste Zustand erreicht.
F: Warum kommt und geht dieser höchste Zustand?
M: Er kommt und geht nicht. Es ist da.
F: Sprichst du aus eigener Erfahrung?
M: Natürlich. Es ist ein zeitloser Zustand, immer allgegenwärtig.
F: Bei mir kommt und geht er, aber bei dir nicht. Warum besteht dieser Unterschied?
M: Vielleicht, weil ich keine Wünsche habe. Oder du sehnst dich nicht stark genug nach dem Höchsten. Dann mußt du wirklich verzweifelt sein, wenn dein Verstand außer Kontrolle ist.
F: Mein ganzes Leben lang habe ich danach gestrebt, aber nur wenig erreicht. Ich habe viel gelesen und viel zugehört, doch alles umsonst.
M: Das Zuhören und Lesen ist bei dir zur Gewohnheit geworden.
F: Ich habe es auch aufgegeben, und lese heutzutage nicht mehr.
M: Was du aufgegeben hast, ist jetzt unwichtig. Wichtig ist: Was hast du nicht aufgegeben? Finde das heraus und gib es auf! Sadhana ist eine Suche nach dem, was aufzugeben ist. So mache dich vollkommen leer!
F: Wie kann sich ein Unwissender Weisheit wünschen? Man muß doch das Objekt des Wunsches kennen, um es zu wünschen. Wenn das Höchste nicht bekannt ist, wie kann es dann gewünscht werden?
M: Ein Mensch reift (mit dem Wunsch nach Weisheit) auf natürliche Weise heran und wird bereit für die Verwirklichung.
F: Aber was ist der Reifefaktor?
M: Selbsterinnerung und das Gewahrsein von „Ich bin“ läßt dich kraftvoll und schnell reifen. Gib alle Vorstellungen von dir selbst auf und sei einfach da!
F: Ich bin müde von all den Mitteln, Fähigkeiten und Tricks, von all dieser geistigen Akrobatik. Gibt es keine Möglichkeit, die Wahrheit direkt und unmittelbar wahrzunehmen?
M: Hör einfach auf, deinen Verstand zu benutzen, und schau, was passiert! Mach diese eine Sache gründlich, und das ist alles.
F: Als ich jünger war, hatte ich kurze, aber einprägsame außergewöhnliche Erfahrungen, in denen ich nichts war, einfach nichts und doch bei vollem Bewußtsein. Doch die Gefahr besteht nun darin, daß man den Wunsch verspürt, vergangene Erfahrungen aus der Erinnerung wiederzuhaben.
M: Das ist alles Einbildung! Im Licht des Bewußtseins passieren alle möglichen Dinge, und man muß ihnen keinen besonderen Wert beimessen. Der Anblick einer Blume ist ebenso wunderbar wie die Vision Gottes. Laß die Dinge sein! Warum sich daran erinnern und dann die Erinnerung zum Problem machen? Beobachte sie gelassen und beurteile sie nicht in hoch und niedrig, innerlich und äußerlich, dauerhaft und vergänglich. Geh darüber hinaus, geh zurück zur Quelle, geh zum Selbst, das ewig dasselbe ist, was auch immer passiert. Deine Schwäche kommt von deiner Überzeugung, daß du in diese Welt hineingeboren wurdest. Doch in Wahrheit wird die Welt in dir und durch dich immer wieder neu erschaffen. Beobachte, wie alles vom Licht ausgeht, das als Quelle dein eigenes Dasein ist. Dann wirst du sehen, daß in diesem Licht reine Liebe und unendliche Energie ist.
F: Wenn ich dieses Licht bin, warum erkenne ich es dann nicht?
M: Um zu erkennen, braucht man einen erkennenden Verstand, also einen Verstand, der (wahrhaft) erkennen kann. Aber dein Verstand ist ständig auf der Flucht, niemals still und niemals vollkommen reflektierend. Wie kann man den Mond in seiner ganzen Herrlichkeit sehen, wenn das Auge von Krankheit getrübt ist?
F: Heißt das, daß man die Sonne im eigenen Schatten nicht sehen kann, obwohl die Sonne die Ursache des Schattens ist? Man muß sich umkehren (und zur Sonne schauen).
M: Damit hast du wieder die Trinität von Sonne, Körper und Schatten eingeführt. In der Wahrheit gibt es eine solche Trennung nicht. Wovon ich spreche, hat nichts mit Dualitäten oder Trinitäten zu tun. Versuche es nicht mit dem Verstand und seinen Begriffen zu begreifen! Einfach nur sehen und sein!
F: Muß ich sehen, um zu sein?
M: Sieh selbst, was du bist! Frage keine anderen, und laß dir nicht von anderen etwas über dich selbst erzählen. Schau nach innen und erkenne! Alle Lehrer können dir nur das sagen. Es besteht keine Notwendigkeit, von einem zum anderen zu wandern. In allen Brunnen ist das gleiche Wasser, und so geh einfach zum nächstgelegenen. In meinem Fall ist das Wasser in mir, und ich bin das Wasser.
Maharaj: Besteht der Wahrnehmende der Welt schon vor der Welt, oder entsteht er zusammen mit der Welt?
Fragender: Was für eine seltsame Frage! Warum stellst du solche Fragen?
M: Solange du nicht die richtige Antwort kennst, wirst du keinen Frieden finden.
F: Wenn ich morgens aufwache, dann ist die Welt bereits da und wartet auf mich. Sicherlich entsteht zuerst die Welt, und ich erscheine erst viel später, frühestens mit meiner Geburt. Der Körper vermittelt zwischen mir und der Welt. Ohne den Körper gäbe es weder mich noch die Welt.
M: Der Körper erscheint in deinem Verstand, und dein Verstand ist der Inhalt deines Bewußtseins. Du selbst bist der bewegungslose Zeuge des Bewußtseins-Flusses, der sich stetig verändert, ohne dich selbst in irgendeiner Weise zu verändern. Deine eigene Unveränderlichkeit ist so offensichtlich, daß du sie nicht bemerkst. Wirf einen wahren Blick auf dich selbst und alle diese Mißverständnisse und Fehlannahmen werden sich auflösen. Wie all die kleinen Wassertiere im Wasser sind und nicht ohne Wasser sein können, so ist das ganze Universum in dir und kann nicht ohne dich sein.
F: Das nennen wir „Gott“.
M: Gott ist nur eine Vorstellung in deinem Verstand, während du selbst die Tatsache bist. Denn nur eines kannst du sicher wissen: „Ich bin hier und jetzt.“ Entferne das „hier und jetzt“ und das „Ich bin“ bleibt, unangreifbar. Dieses Wort existiert im Gedächtnis, und das Gedächtnis kommt ins Bewußtsein. Das Bewußtsein existiert im Gewahrsein, und das Gewahrsein ist die Widerspiegelung des Lichtes auf dem Wasser der Existenz (bzw. dem Meer der Ursachen oder Möglichkeiten).
F: Ich verstehe immer noch nicht, wie die Welt in mir sein kann, wenn das Gegenteil „Ich bin in der Welt“ so offensichtlich ist.
M: Sogar die Aussage „Ich bin die Welt, die Welt bin ich“, ist ein Zeichen von Unwissenheit. Doch wenn ich mich stetig erinnere und im Leben meine Identität mit der Welt bestätige, dann entsteht in mir eine Macht, welche die Unwissenheit zerstört und völlig verbrennt.
F: Ist der Zeuge der Unwissenheit von der Unwissenheit getrennt? Oder ist es ein Teil der Unwissenheit, wenn ich behaupte „Ich bin unwissend“?
M: Natürlich! Das Einzige, was ich wahrhaft sagen kann, ist: „Ich bin.“ Alles andere sind Schlußfolgerungen, die allerdings zur Gewohnheit geworden sind. Deshalb vernichte alle Gewohnheiten des Denkens und Begreifens! Die Empfindung „Ich bin“ ist die Manifestation einer tieferen Ursache, die man Selbst, Gott oder Wahrheit nennen kann. Das „Ich bin“ ist in der Welt, aber auch der Schlüssel, der die Tür aus der Welt öffnen kann. So ist auch der tanzende Mond auf den Wellen im Wasser zu sehen, aber er wird durch den Mond am Himmel und nicht durch das Wasser (auf der Erde) verursacht.
F: Das Entscheidende scheint mir immer noch zu entgehen. Ich kann zugeben, daß die Welt, in der ich lebe und mich bewege und in der ich bin, von mir selbst erschaffen wurde und eine eigene Projektion meiner Vorstellungskraft auf die unbekannte Welt ist, jene Welt, wie sie ist, die Welt der „absoluten Materie“, was auch immer diese Materie sein mag. Die Welt, die ich selbst erschaffen habe, ist möglicherweise ganz anders als die grundlegende und wahre Welt, genauso wie die Kinoleinwand ganz anders als die darauf projizierten Bilder ist. Dennoch existiert doch diese absolute Welt völlig unabhängig von mir selbst.
M: Ganz richtig, diese Welt der absoluten Wahrheit, auf die dein Verstand eine Welt relativer Unwahrheit projiziert hat, ist unabhängig von dir selbst, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil du selbst diese absolute Wahrheit bist.
F: Gibt es da keinen Widerspruch? Wie kann Unabhängigkeit eine Identität beweisen?
M: Untersuche die Bewegung der Veränderung, und du wirst es erkennen. Denn was sich verändern kann, während du dich nicht veränderst, kann als unabhängig von dir bezeichnet werden. Aber was unveränderlich ist, muß eins sein mit allem anderen, was unveränderlich ist. Denn Gegensätzlichkeit bedeutet Wechselwirkung, und Wechselwirkung führt zu Veränderungen. Mit anderen Worten: Das absolut Materielle und das absolut Geistige, das reine Objektive und das reine Subjektive, müssen identisch (und nicht abhängig) sein, sowohl in der Substanz als auch in der Essenz.
F: Wie in einem dreidimensionalen (holographischen) Bild das Licht seine eigene Leinwand bildet?
M: Viele Vergleiche sind zutreffend. Doch am wichtigsten ist es, zu begreifen, daß du eine Welt deiner eigenen Vorstellung auf dich projiziert hast, die auf Erinnerungen, Wünschen und Ängsten basiert, und daß du dich darin gefangen hast. Zerbrich diesen Zauber und sei frei!
F: Wie kann man diesen Zauber zerbrechen?
M: Bekräftige deine Unabhängigkeit im Denken und Handeln! Schließlich hängt alles von deinem Glauben an dich selbst ab, von der Überzeugung, daß alles, was du siehst, hörst, fühlst und denkst, wahr ist. Warum stellst du nicht deinen Glauben in Frage? Zweifellos wird diese Welt von dir auf die Leinwand deines Bewußtseins gemalt und ist ganz und gar deine eigene private Welt. Nur deine Empfindung von „Ich bin“ ist nicht von dieser Welt, obwohl sie in der Welt ist. Durch keine Anstrengung der Logik oder Vorstellungskraft kannst du das „Ich bin“ in „Ich bin nicht“ verwandeln, denn gerade in der (bewußten) Verleugnung deines Daseins bekräftigst du es. Sobald du erkennst, daß diese Welt deine eigene Projektion ist, bist du davon befreit. Denn du mußt dich nicht von einer Welt befreien, die nicht existiert, außer in deiner eigenen Vorstellung! Egal, ob das Bild schön oder häßlich ist, du malst es und bist nicht daran gebunden. Erkenne, daß es niemanden gibt, der es dir aufzwingen kann, und daß es nur an deiner Gewohnheit liegt, die Illusion für die Wahrheit zu halten. Erkenne das Illusorische als illusorisch und sei frei von jeder Angst! Wie die Farben in diesem Teppich hier durch das Licht hervorgebracht werden, aber das Licht nicht der Farbstoff ist, so entsteht diese Welt durch dich, aber du bist nicht die Welt. Das, was die Welt erschafft und erhält, kannst du Gott oder Vorsehung nennen, aber letztendlich bist du selbst der Beweis dafür, daß Gott existiert, und nicht umgekehrt. Denn bevor eine Frage über Gott gestellt werden kann, mußt du da sein, um sie zu stellen.
F: Das heißt, auch „Gott“ ist eine Erfahrung in der Zeit, aber der Erfahrende ist zeitlos.
M: Sogar der Erfahrende ist zweitrangig. Primär ist die unendliche Weite des Bewußtseins, das ewige Meer der Möglichkeiten, das unermeßliche Potential von allem, was war, ist und sein wird. Wenn du etwas betrachtest, ist es immer das Höchste, was du siehst, aber du stellst dir vor, daß du eine Wolke oder einen Baum siehst. Deshalb lerne, ohne Vorstellungen zu sehen und ohne Verwirrung zuzuhören: Das ist alles. Höre auf, dem essentiell Namenlosen und Formlosen irgendwelche Namen und Formen zuzuordnen, und erkenne, daß jede Art der Wahrnehmung subjektiv ist, und daß das, was du siehst, hörst, fühlst, riechst, schmeckst oder denkst sowie erwartest oder dir vorstellst, im Verstand und nicht in der Wahrheit ist, und du wirst Frieden und Freiheit von Angst erfahren. Sogar die Empfindung von „Ich bin“ besteht aus reinem Licht und der Empfindung des Daseins. Und wie das „Ich“ auch ohne das „bin“ da ist, so ist auch das reine Licht da, egal ob du „Ich“ sagst oder nicht. Werde dir dieses reinen Lichtes bewußt, und du wirst es nie verlieren. Das Dasein im Sein, das Gewahrsein im Bewußtsein und das Interesse in jeder Erfahrung, das ist nicht beschreibbar, aber dennoch vollkommen zugänglich, denn es gibt nichts anderes.
F: Du sprichst direkt von der Wahrheit als der alldurchdringenden, allgegenwärtigen, allwissenden, allmächtigen und ewigen allerersten Ursache. Es gibt andere Lehrer, die sich weigern, überhaupt über die Wahrheit zu diskutieren. Sie sagen, daß die Wahrheit jenseits des (begrifflichen) Verstandes liegt, während alle Diskussionen im Bereich des Verstandes stattfinden, der die Heimat des Unwahren ist. Ihr Ansatz ist negativ, denn sie zeigen die Unwahrheit auf und dringen so darüber hinaus in die Wahrheit vor.
M: Der Unterschied liegt nur in den Worten. Wenn ich vom Wahren spreche, dann beschreibe ich es schließlich auch als illusionslos, raumlos, zeitlos, ursachenlos, anfangslos und endlos. Es kommt auf das Gleiche hinaus. Welche Rolle spielt der Wortlaut, solange er zur Erleuchtung führt? Spielt es eine Rolle, ob du den Wagen ziehst oder schiebst, solange er voranrollt? Möglicherweise fühlst du dich manchmal vom Wahren angezogen und manchmal vom Falschen abgestoßen. Doch das sind nur wechselnde Stimmungen, und beides ist für die vollkommene Freiheit notwendig. Du magst den einen oder anderen Weg gehen, aber in jedem Moment wird es der richtige sein. Geh einfach mit ganzem Herzen voran und verschwende keine Zeit mit Zweifeln oder Zögern. Um das Kind wachsen zu lassen, ist eine vielfältige Nahrung erforderlich, doch der Vorgang des Essens ist immer derselbe. Theoretisch sind alle Ansätze gut. Doch praktisch kannst du zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur einen Weg gehen. Früher oder später wirst du feststellen, wenn du wahrhaft finden willst, daß du nur an einer Stelle graben mußt, nämlich im Inneren. Weder dein Körper noch dein Verstand können dir das geben, was du suchst, das Dasein, die Selbsterkenntnis und den großen Frieden, der damit einhergeht.
F: Doch sicherlich steckt in jedem Ansatz etwas Gültiges und Wertvolles.
M: In jedem Fall liegt der Wert darin, dein Bedürfnis zu erwecken, im Inneren zu suchen. Dein Widerstand, nach innen zu gehen, kann sogar der Grund für das Spiel der verschiedenen Ansätze sein, wie auch deine Angst davor, die Illusion aufgeben zu müssen, etwas oder jemand Bestimmtes zu sein. Doch um Wasser zu finden, gräbt man nicht überall kleine Löcher, sondern ein tiefes nur an einer Stelle. In gleicher Weise muß man sich auch selbst erforschen, um sich selbst zu finden. Wenn du erkennst, daß du selbst das Licht der Welt bist, dann wirst du auch erkennen, daß du die Liebe dazu bist, so daß das Erkennen ein Lieben ist und das Lieben ein Erkennen. Von allen Zuneigungen steht die Liebe zu sich selbst an erster Stelle. Deine Liebe zur Welt ist das Spiegelbild deiner Liebe zu sich selbst, denn deine Welt ist deine eigene Schöpfung. Licht und Liebe sind unpersönlich, doch sie spiegeln sich in deinem Verstand als Wissen und Wunsch nach persönlichem Wohlergehen wider. So sind wir immer wohlwollend zu uns selbst, aber nicht immer weise. Während ein Yogi ein Mensch ist, dessen Wohlwollen auch immer mit Weisheit verbunden ist.
Fragender: Ich bin eigentlich hierhergekommen, um bei dir zu sein, nicht um dir zuzuhören. Denn mit Worten läßt sich wenig sagen, während die Stille viel mehr vermitteln kann.
Maharaj: Zuerst Worte, dann Stille. Denn für das Schweigen muß man reif sein.
F: Kann ich in der Stille leben?
M: Selbstloses Arbeiten führt zum Schweigen, denn wenn man selbstlos arbeitet, muß man nicht um Hilfe bitten. Wenn du gegenüber Ergebnissen gleichmütig bist, dann kannst du auch mit den ungeeignetsten Mitteln arbeiten. Dann ist es dir nicht wichtig, besonders begabt und gut ausgestattet zu sein. Du bittest auch nicht um Anerkennung und Hilfe. Du tust einfach das, was getan werden muß, und überläßt Erfolg und Mißerfolg dem Unbekannten. Denn alles wird durch unzählige Faktoren verursacht, von denen deine persönliche Anstrengung nur einer ist. Doch die Magie des menschlichen Verstandes und Herzens ist so groß, daß sogar das Unwahrscheinlichste geschehen kann, wenn menschlicher Wille und (göttliche) Liebe zusammenwirken.
F: Was ist falsch daran, um Hilfe zu bitten, wenn die Arbeit wertvoll ist?
M: Warum sollte es nötig sein, um Hilfe zu bitten? Das ist lediglich ein Zeichen von Schwäche und Angst. Arbeite selbst, und das ganze Universum wird mit dir arbeiten. Schließlich kommt dir die Vorstellung, das Richtige zu tun, aus dem Unbekannten. Überlasse also dem Unbekannten, was die Ergebnisse betrifft, und führe einfach die nötigen Tätigkeiten durch, denn du bist lediglich eines der Glieder in einer langen Kausalkette (von Ursachen und Wirkungen). Grundsätzlich geschieht alles nur im Verstand. Und wenn man mit ganzem Herzen und beständig an etwas arbeitet, dann geschieht es auch, denn es ist die Funktion des Geistes, Dinge geschehen zu lassen. In Wahrheit fehlt es an nichts, und es wird nichts benötigt. Alle Arbeit geschieht nur oberflächlich, und in der Tiefe herrscht vollkommener Frieden. Alle deine Probleme entstehen, weil du dich selbst definiert und dadurch eingeschränkt hast. Wenn du nicht glaubst, daß du dieses oder jenes bist, dann verschwindet jegliches Problem. Ansonsten muß jeder Versuch scheitern, deine Probleme zu lösen, denn was durch Verlangen verursacht wurde, kann nur in der Freiheit von Verlangen rückgängig gemacht werden. Du hast dich in Zeit und Raum eingeschlossen, in die Zeit eines Lebens und den Raum eines Körpers gequetscht, und so die unzähligen Probleme von Leben und Tod, Glück und Leid sowie Hoffnung und Angst geschaffen. Du kannst diese Probleme nicht loswerden, ohne die Illusionen aufzugeben.
F: Eine Person ist doch von Natur aus begrenzt.
M: So etwas wie eine Person gibt es eigentlich nicht. Es gibt nur Einschränkungen und Begrenzungen, und deren Summe definiert die Person. Du denkst, du erkennst dich selbst, wenn du weißt, was du bist. Aber man weiß nie, wer man ist. Die Person erscheint lediglich so, wie der Raum in einem Topf die Form, das Ausmaß und den Geruch des Topfes zu besitzen scheint. Erkenne, daß du nicht das bist, was du zu sein denkst! Kämpfe mit aller Kraft, die dir zur Verfügung steht, gegen jede Vorstellung, daß du benennbar und beschreibbar bist! Denn das bist du nicht. Weigere dich, in irgendwelchen Begriffen über dich selbst zu denken! Es gibt keinen anderen Ausweg aus dem Leiden, das du dir durch blindes Hinnehmen ohne Nachforschung selbst geschaffen hast. Jedes Leiden ist ein Aufruf zum Nachforschen, und jeder Schmerz benötigt eine Untersuchung. Sei nicht zu träge im Nachforschen!
F: Arbeit ist also die Essenz der Wahrheit. Und es ist keine Tugend, nicht zu arbeiten, gemeinsam mit dem Gedanken, daß etwas getan werden muß.
M: In der Welt zu arbeiten ist schwer, aber unnötiger Arbeit zu entsagen ist noch schwerer.
F: Für die Person, die ich bin, scheint das alles unmöglich sein.
M: Was weißt du über dich selbst? Du kannst nur das sein, was du in Wahrheit bist. Und du kannst nur scheinbar sein, was du nicht bist. Du hast dich nie von der Vollkommenheit entfernt. Alle Vorstellungen einer Selbst-Verbesserung sind gewöhnlich und begrifflicher Natur. Wie die Sonne keine Dunkelheit kennt, so kennt auch das Selbst kein Nicht-Selbst. Es ist der Verstand, der durch die Wahrnehmung des Anderen zum Anderen wird. Doch auch der Verstand ist nichts anderes als das Selbst. So wird das Selbst zum Anderen, zum Nicht-Selbst, und bleibt doch das Selbst. Alles andere sind nur Annahmen. Wie eine Wolke die Sonne verdunkelt, ohne sie in irgendeiner Weise zu beeinflussen, so verdunkelt eine Annahme die Wahrheit, ohne sie zu zerstören. Bereits die Vorstellung, die Wahrheit zerstören zu können, ist lächerlich. Der Zerstörer ist immer wahrer als das Zerstörte. Die Wahrheit ist sogar der höchste Zerstörer. Jede Trennung und jede Art von Entfremdung und Fremdheit ist falsch (bzw. illusorisch). Alles ist eins: Das ist die endgültige Lösung für alle Probleme.
F: Wie kommt es, daß wir trotz der vielen Anleitung und Hilfe keine Fortschritte machen?
M: Solange wir uns als eigenständige Persönlichkeiten vorstellen, die voneinander getrennt sind, können wir die Wahrheit, die essentiell unpersönlich ist, nicht erfassen. Zuerst müssen wir uns selbst nur als Zeugen erkennen, als dimensionslose und zeitlose Zentren der Beobachtung, und danach das grenzenlose Meer des reinen Bewußtseins erkennen, das sowohl Geist als auch Materie ist und über beide hinausgeht.
F: Was ich auch immer in Wahrheit sein mag, trotzdem fühle ich mich als eine kleine und eigenständige Person, die eine unter vielen ist.
M: Deine Existenz als Person beruht auf der Illusion von Raum und Zeit. Du stellst dir vor, an einem bestimmten Ort zu sein und einen bestimmten Raum einzunehmen. So stützt sich die Persönlichkeit auf deine Selbst-Identifikation mit dem Körper. Deine Gedanken und Erfahrungen entstehen nacheinander, haben ihre Zeitspanne und rufen aufgrund der Erinnerung die Vorstellung hervor, daß auch du zeitlich begrenzt bist. Doch in Wahrheit existieren Raum und Zeit in dir selbst, und nicht du in ihnen. Raum und Zeit sind Formen der Wahrnehmung, und zwar nicht die einzigen. Sie sind wie auf Papier geschriebene Worte. Das Papier ist da, aber die Worte sind lediglich Vorstellungen. - Wie alt bist du?
F: Achtundvierzig!
M: Warum sagst du „achtundvierzig“? Was läßt dich sagen „ich bin dies“? Das sind begriffliche Gewohnheiten, die aus Annahmen entstehen. Der Verstand erschafft Zeit und Raum und hält seine eigenen Schöpfungen für Wahrheit. Alles ist hier und jetzt, aber wir sehen es nicht. Wahrlich, alles ist in mir und durch mich. Es gibt nichts anderes. Jegliche Vorstellung von „Anderem“ ist eine Katastrophe und ein Unglück.
F: Was ist die Ursache für diese Personifizierung als Selbst-Beschränkung in Zeit und Raum?
M: Was nicht wahrhaft existiert, kann keine wahrhafte Ursache haben. Es gibt keine abgetrennte Person. Sogar aus empirischer Sicht ist es offensichtlich, daß alles die Ursache von allem ist und daß alles so ist, wie es ist, weil das gesamte Universum so ist, wie es ist.
F: Und doch muß die Persönlichkeit irgendeine Ursache haben.
M: Wie entsteht Persönlichkeit? Aus Erinnerung, indem wir die Gegenwart mit der Vergangenheit identifizieren und sie in die Zukunft projizieren. Betrachte dich selbst als etwas Momentanes ohne Vergangenheit und Zukunft, und deine Persönlichkeit löst sich auf.
F: Entsteht dann das „Ich bin“?
M: Das Wort „entstehen“ trifft hier nicht zu, denn das „Ich bin“ ist immer gegenwärtig. Du mußt dich nicht daran erinnern, um da zu sein. Tatsächlich muß man sogar, bevor man etwas wahrnehmen kann, die Empfindung des Daseins haben. Zur Zeit ist dein Dasein mit Wahrnehmungen vermischt. Alles, was du brauchst, besteht darin, das Dasein aus dem Wirrwarr der Wahrnehmungen zu entwirren. Sobald du das reine Dasein erkannt hast, ohne dieses oder jenes zu sein, wirst du es auch in den Wahrnehmungen erkennen und dich nicht länger von Namen und Formen verwirren und einschränken lassen. Denn Selbst-Beschränkung ist das eigentliche Wesen der Persönlichkeit.
F: Wie kann ich universal werden?
M: Du bist bereits universal. Du brauchst und kannst nicht das werden, was du bereits bist. Hör einfach auf, dich selbst als etwas Besonderes (Getrenntes) vorzustellen. Was kommt und geht, hat kein (wahres) Dasein, sondern verdankt nur seine Erscheinung der Wahrheit. Du weißt, daß es eine Welt gibt, aber kennt die Welt dich? Alles Wissen fließt doch aus dir, ebenso wie alles Sein und alle Freude. Erkenne, daß du selbst die ewige Quelle bist, und akzeptiere alles als dein Eigen. Eine solche Akzeptanz ist wahre Liebe.
F: Was du sagst, klingt sehr gut. Aber wie kann man daraus einen praktischen Lebensweg machen?
M: Du fragst nach dem Weg nach Hause, ohne das Haus jemals verlassen zu haben. Gib nur die falschen Vorstellungen auf, das ist alles. Auch das Ansammeln von richtigen Vorstellungen wird dich nicht nach Hause bringen. Hör einfach auf, dir irgendetwas vorzustellen.
F: Es geht mir nicht um Ansammlung, sondern um Verständnis.
M: Versuche nicht zu verstehen! Es ist bereits genug, wenn du es nicht falsch verstehst. Verlaß dich bei der Befreiung nicht auf deinen Verstand. Denn es ist der Verstand, der dich in die Knechtschaft (der Bindung) gebracht hat. Geh ganz darüber hinaus! Was anfangslos (ewig) ist, kann keine Ursache haben. Es ist nicht so, daß du (im Verstand) wußtest, was du bist, und es dann vergessen hast. Wenn man einmal (wahrhaft) weiß, kann man nicht vergessen. So hat die Unwissenheit zwar keinen Anfang, aber kann ein Ende haben. Dazu frage dich: Wer ist unwissend? Und die Unwissenheit wird sich wie ein Traum auflösen. Diese Welt ist voller Widersprüche, und daher kommt deine Suche nach Harmonie und Frieden. Doch diese kannst du in der Welt nicht finden, denn die Welt ist ein Kind der Unordnung. Um Ordnung zu finden, mußt du im Inneren suchen. Die Welt entsteht nur, wenn man in einem Körper geboren wird. Kein Körper - keine Welt. Deshalb finde zuerst heraus, ob du der Körper bist. Danach wird auch das (wahre bzw. ganzheitliche) Verständnis der Welt kommen.
F: Was du sagst, klingt überzeugend. Aber welchen Nutzen hat es für die einzelne Person, die für sich selbst weiß, daß sie in der Welt und von der Welt ist?
M: Millionen essen Brot, aber nur wenige haben so umfassendes Wissen über die Getreidesamen, daß sie das Brot verbessern können. Ebenso können nur diejenigen, die sich selbst erkennen und über die Welt hinausblicken, die Welt verbessern. Ihr Wert für die einzelnen Privatpersonen ist unermeßlich, weil sie deren einzige Hoffnung auf Erlösung sind. Denn was in der Welt ist, kann die Welt nicht retten. Wenn es dir wirklich darum geht, der Welt zu helfen, dann mußt du aus ihr heraustreten.
F: Kann man wirklich aus der Welt heraustreten?
M: Wer wurde zuerst geboren: Du oder die Welt? Solange du der Welt den ersten Platz gibst, bist du darin gebunden und eingeschränkt. Doch sobald du zweifelsfrei erkennst, daß die Welt in dir ist und nicht du in der Welt, bist du aus ihr heraus und frei. Natürlich bleibt dein Körper in der Welt und von der Welt, aber du läßt dich davon nicht mehr täuschen. In allen Schriften heißt es, daß der Schöpfer da war, bevor die Welt entstand. Wer erkennt den Schöpfer? Nur der allein, der vor dem Schöpfer war, dein eigenes wahres Dasein, die Quelle aller Schöpfer und ihrer Welten.
F: Alles, was du sagst, wird durch deine Annahme zusammengehalten, daß die Welt deine eigene Projektion ist. Du gibst zu, daß du deine persönliche subjektive Welt meinst, die Welt, die dir durch deine Sinne und deinen Verstand gegeben wird. In dieser Hinsicht lebt jeder von uns in einer Welt seiner eigenen Projektionen. Diese privaten Welten berühren sich kaum, und sie entstehen und verschmelzen im „Ich bin“ in ihren jeweiligen Zentren. Doch sicherlich muß es hinter diesen privaten Welten eine gemeinsame objektive Welt geben, von der die privaten Welten nur Schatten sind. Leugnest du die Existenz einer solchen objektiven Welt, die allen gemeinsam ist?
M: Die Wahrheit ist weder subjektiv noch objektiv, weder Geist noch Materie, weder Zeit noch Raum. Diese Unterscheidungen benötigen jemanden, dem sie widerfahren können, ein bewußtes getrenntes Zentrum. Aber die Wahrheit ist alles und nichts, die Ganzheit und die Teile, die Fülle und die Leere, vollkommen beständig und absolut unverständlich. Man kann nicht darüber reden, man kann sich nur darin verlieren. Wenn du der Wahrheit jegliches Ding verweigerst, dann gelangst du zu einem Rest, der nicht verweigert werden kann. Alles Gerede über Weisheit ist ein Zeichen von Unwissenheit. Es ist der Verstand, der sich einbildet, daß er etwas nicht kennt und es dann erkennen kann. Die Wahrheit weiß nichts von diesen Vorstellungen (der „Unwissenheit“). Sogar die Vorstellung von Gott als Schöpfer ist falsch. Verdanke ich mein Dasein einem anderen Dasein? Weil ich da bin, ist alles da.
F: Wie kann das sein? Ein Kind wird doch in die Welt hineingeboren, und nicht die Welt in das Kind. Die Welt ist alt, und das Kind ist neu.
M: So ein Kind wird in deiner Welt geboren. Doch wurdest du auch selbst in deiner Welt geboren, oder erschien dir deine Welt? Geboren zu werden bedeutet, eine Welt um sich selbst herum als Mittelpunkt zu erschaffen. Aber erschaffst du dich jemals selbst? Oder hat dich jemand erschaffen? Jeder erschafft sich eine Welt und lebt darin, gefangen in seiner Unwissenheit. Deshalb müssen wir nichts weiter tun, als unserem Gefängnis die Wahrheit zu verweigern.
F: Das heißt: Wie im Schlaf der Wachzustand in Samenform existiert, so existiert auch die Welt, die das Kind bei seiner Geburt erschafft, bereits vor seiner Geburt. Doch in wem liegt der Samen?
M: In dem, der Zeuge von Geburt und Tod ist, aber weder geboren wird noch stirbt. Er allein ist sowohl der Samen der Schöpfung als auch das Zurückbleibende. Doch bitte nicht den Verstand um eine Bestätigung dafür, was jenseits des Verstandes liegt! Die einzig gültige Bestätigung ist die direkte Erfahrung.
Fragender: Ich bin Arzt von Beruf, begann in der Chirurgie, ging dann weiter in die Psychiatrie und schrieb auch einige Bücher über psychische Gesundheit und Heilung durch den Glauben. Nun bin ich zu dir gekommen, um die Gesetze der spirituellen Gesundheit zu erlernen.
Maharaj: Was genau willst du heilen, wenn du versuchst, einen Patienten zu heilen? Was ist Heilung? Und wann kannst du sagen, daß ein Mensch geheilt ist?
F: Ich versuche, den Körper zu heilen und die Verbindung zwischen Körper und Verstand zu verbessern. Damit versuche ich auch, den Verstand in Ordnung zu bringen.
M: Hast du die Verbindung zwischen Verstand und Körper untersucht? An welchem Punkt sind sie verbunden?
F: Zwischen dem Körper und dem innewohnenden Bewußtsein liegt der Verstand.
M: Besteht der Körper nicht aus Nahrung? Und kann es einen Verstand ohne Nahrung geben?
F: Der Körper wird durch Nahrung aufgebaut und erhalten. Und ohne Nahrung wird normalerweise auch der Verstand schwach. Aber der Verstand besteht nicht nur aus Nahrung, denn es gibt einen transformierenden Faktor, der im Körper einen Verstand erschafft. Was ist dieser transformierende Faktor?
M: Wie das Holz ein Feuer erzeugt, das kein Holz ist, so erzeugt der Körper den Verstand, der nicht körperlich ist. Aber wem erscheint der Verstand? Wer ist der Wahrnehmende der Gedanken und Empfindungen, die du Verstand nennst? Es gibt Holz, es gibt Feuer und es gibt den Wahrnehmenden des Feuers. Wer nimmt den Verstand wahr? Ist der Wahrnehmende auch ein Produkt der Nahrung, oder ist er unabhängig da?
F: Der Wahrnehmende ist unabhängig.
M: Woher weißt du das? Sprichst du aus eigener Erfahrung, daß du weder der Körper noch der Verstand bist? Du sagst es, doch woher weißt du es?
F: Ich weiß es nicht wahrhaft, aber ich vermute es.
M: Die Wahrheit ist dauerhaft, und das Wahrhafte ist unveränderlich. Was sich verändert, ist nicht wahr, und was wahr ist, verändert sich nicht. Was ist es nun in dir, das sich nicht verändert? Solange es Nahrung gibt, gibt es Körper und Verstand. Gibt es keine Nahrung mehr, dann stirbt der Körper, und der Verstand löst sich auf. Aber löst sich auch der Wahrnehmende auf?
F: Ich vermute, das ist nicht der Fall. Aber ich habe keinen Beweis dafür.
M: Du selbst bist der Beweis! Du hast keinen anderen Beweis und kannst auch keinen anderen haben. Du bist du selbst, du kennst dich selbst und du liebst dich selbst. Was auch immer der Verstand tut, er tut es aus Liebe zu sich selbst, denn die wahre Natur des Selbst ist Liebe. Es wird geliebt, es liebt und es ist liebenswert. Es ist das Selbst, das den Körper und den Verstand so interessant und so wertvoll macht. Die Aufmerksamkeit, die du ihnen gibst, kommt vom Selbst.
F: Wenn das Selbst weder Körper noch Verstand ist, kann es dann ohne Körper und Verstand existieren?
M: Ja, das kann es. Es ist eine Frage der tatsächlichen Erfahrung, daß das Selbst unabhängig von Verstand und Körper ist. Es ist Sein-Gewahrsein-Glückseligkeit, denn das Gewahrsein des Daseins ist Glückseligkeit.
F: Für dich mag es eine Frage der tatsächlichen Erfahrung sein, aber für mich noch nicht. Wie kann ich zu derselben Erfahrung kommen? Welche Praktiken sollten befolgt werden? Welche Übungen sind nötig?
M: Um zu erkennen, daß du weder Körper noch Verstand bist, beobachte dich beständig selbst und lebe unbeeinflußt (bzw. unbeherrscht) von deinem Körper und Verstand, vollkommen losgelöst, als wärst du (persönlich) tot. Das bedeutet, keine persönlichen Interessen mehr zu haben, weder am Körper noch am Verstand.
F: Das klingt gefährlich!
M: Ich bitte dich nicht, Selbstmord zu begehen. Das kannst du auch nicht, denn du kannst nur den Körper töten, aber nicht den geistigen Prozeß stoppen, noch kannst du der Person, für die du dich hältst, ein Ende setzen. Bleib einfach unbeeinflußt! Diese völlige Gelassenheit und Gleichmütigkeit gegenüber Verstand und Körper ist dann der beste Beweis dafür, daß du im Kern deines Daseins weder Verstand noch Körper bist. Möglicherweise liegt es nicht in deiner Macht, das zu verändern, was mit dem Körper und Verstand passiert, aber du kannst jederzeit deine Vorstellung beenden, Körper und Verstand zu sein. Was auch immer passiert, erinnere dich daran, daß nur dein Körper und dein Verstand betroffen sind, und nicht du selbst. Je ernsthafter du dich an das erinnerst, was erinnert werden muß, desto eher wirst du dir selbst bewußt sein, denn die Erinnerung wird zur direkten Erfahrung. So offenbart die Ernsthaftigkeit das Dasein. Was sonst nur vorgestellt und gewollt wird, das wird zur direkten Erfahrung, und hierin liegt die Gefahr und auch der Ausweg. Sage mir, welche Schritte du unternommen hast, um dein wahres Selbst, als das Unveränderliche in dir, von deinem Körper und Verstand zu unterscheiden?
F: Ich bin Mediziner und habe viel studiert. Ich habe mir eine strenge Disziplin in Bezug auf Übungen und regelmäßiges Fasten auferlegt, und bin Vegetarier.
M: Aber was suchst du tief in deinem Herzen?
F: Ich möchte die Wahrheit finden.
M: Welchen Preis bist du bereit, für die Wahrheit zu zahlen? Jeden Preis?
F: Theoretisch bin ich bereit, jeden Preis zu zahlen, aber das wirkliche Leben zwingt mich immer wieder zu Verhaltensweisen, die sich zwischen mir und die Wahrheit drängen. Mein Verlangen trägt mich davon.
M: Dann erhöhe und erweitere dein Verlangen, bis es allein von der Wahrheit erfüllt ist. Nicht das Verlangen ist falsch, sondern seine Beschränkung und Kleinheit. Verlangen ist Hingabe. Widme dich in jeder Weise der Wahrheit, dem Unendlichen, dem ewigen Herzen des Daseins. So verwandle das Verlangen in reine Liebe! Alles, was du willst, ist glücklich zu sein. All dein Verlangen, was es auch immer sein möge, ist Ausdruck deiner Sehnsucht nach Glückseligkeit. So wünschst du dir im Grunde nur Gutes.
F: Ich weiß, daß ich das nicht tun sollte ...
M: Moment! Wer hat dir gesagt, daß du das nicht tun solltest? Was ist falsch daran, glücklich sein zu wollen?
F: Das Selbst muß verschwinden, das weiß ich.
M: Aber das Selbst ist da. Deine Wünsche sind da. Und dein Verlangen nach Glückseligkeit ist da. Warum? Weil du dich selbst liebst. So liebe dich in jeder Hinsicht selbst, aber mit Weisheit! Falsch ist, dich unwissend zu lieben, so daß du dir selbst Leid zufügst. Liebe dich selbst mit Weisheit. Sowohl (selbstsüchtiger) Genuß als auch (selbstlose) Entsagung verfolgen das gleiche Ziel, dich glücklich zu machen. Genuß ist der Weg der Unwissenheit, und Entsagung ist der Weg der Weisheit.
F: Was ist diese Entsagung?
M: Wenn man einmal eine Erfahrung gemacht hat, ist es Entsagung, sie nicht noch einmal machen zu wollen. Auf das Unnötige zu verzichten ist Entsagung. Glück und Leid nicht vorherzusehen, ist Entsagung. Jederzeit die vollkommene Kontrolle (durch Nichtanhaftung) zu haben, ist Entsagung. Verlangen an sich ist nicht falsch. Es ist das Leben selbst, der Drang, an Wissen und Erfahrung zu wachsen. Es sind die Entscheidungen, welche du triffst, die falsch sind. Zu glauben, daß so kleinliche und oberflächliche Dinge wie Essen, Sex, Macht und Ruhm dich glücklich machen, bedeutet, dich selbst zu täuschen. Nur etwas so Großes und Tiefes wie dein wahres Selbst kann dich beständig und wahrhaft glücklich machen.
F: Wie sollte mit dem Verlangen umgegangen werden, wenn es als Ausdruck der Selbstliebe grundsätzlich nicht falsch ist?
M: Lebe dein Leben mit Vernunft und sei dir immer den Interessen deines tiefsten Selbst bewußt! Denn was suchst du in Wahrheit? Nicht die Vollkommenheit, denn du bist bereits vollkommen. Was du suchst, ist die tatsächliche Verwirklichung von dem, was du bist. Dafür hast du den Körper und Verstand. Benutze sie gut, und laß sie dir dienen!
F: Wer ist der Handelnde hier? Wer soll den Körper und Verstand benutzen?
M: Der gereinigte Verstand ist der treue Diener des Selbst. Es übernimmt die Kontrolle über die inneren und äußeren Werkzeuge und sorgt dafür, daß sie ihre Aufgabe erfüllen.
F: Und was ist ihre Aufgabe (bzw. Ziel)?
M: Das Selbst ist universal, und auch seine Ziele sind universal. Es gibt nichts Persönliches am Selbst. Führe ein geordnetes Leben, aber mach es dir nicht zu einem Ziel. Es sollte der Ausgangspunkt für ein großes (ganzheitliches) Erleben sein.
F: Empfiehlst du mir, öfters nach Indien zu reisen?
M: Wenn du es wirklich ernst meinst, brauchst du nicht umherzureisen. Du bist du selbst, wo immer du bist, und du schaffst dein eigenes Klima. Bewegung und Veränderung werden dir keine Erlösung bringen. Du bist nicht der Körper, und wenn du den Körper von Ort zu Ort trägst, kommst du nirgendwo hin. Dein Verstand ist frei, durch alle drei Welten zu reisen. Benutze ihn vollkommen!
F: Wenn ich frei bin, warum bin ich dann in einem Körper?
M: Du bist nicht im Körper, der Körper ist in dir! Und auch der Verstand ist in dir, denn sie geschehen dir. Sie sind da, weil du sie interessant findest. Deine Natur hat eine unendliche Fähigkeit, sich an allem zu erfreuen. Sie ist voll lebendiger Freude und Zuneigung. Diese Freude strahlt auf alles, was in den Fokus des Gewahrseins kommt, und nichts ist ausgeschlossen. Sie kennt weder Böses noch Häßliches und ist voller Hoffnung, Vertrauen und Liebe. Ihr Menschen wißt nicht, wieviel ihr versäumt, wenn ihr euer wahres Selbst nicht kennt. Du bist weder der Körper noch der Verstand, weder der Brennstoff noch das Feuer. Du erscheinst und verschwindest nach deinen eigenen Gesetzen. Du liebst, was du bist, dein wahres Selbst, und was auch immer du tust, das tust du für deine Glückseligkeit. Es zu finden, zu erkennen und zu bewahren, ist dein grundlegender Drang. Seit undenklichen Zeiten hast du dich selbst geliebt, aber nie mit Weisheit. So benutze nun deinen Körper und Verstand mit Weisheit im Dienst des Selbst! Das ist alles. Sei dir selbst treu, und liebe dich selbst vollkommen. Glaube nicht, andere so zu lieben wie dich selbst. Wenn du sie nicht als eins mit dir selbst erkannt hast, dann kannst du sie nicht lieben. Glaube nicht, etwas zu sein, was du nicht bist, und weigere dich nicht, das zu sein, was du bist. Deine Liebe zu anderen ist ein Ergebnis der Selbsterkenntnis, und nicht deren Ursache. Ohne Selbstverwirklichung gibt es keine wahre Tugend. Wenn du zweifelsfrei erkennst, daß in allem, was ist, ein und dasselbe Leben fließt, und du selbst dieses Leben bist, dann wirst du alles auf natürliche und spontane Weise lieben. Wenn du die ganze Tiefe und Fülle deiner Liebe zu dir selbst erkennst, dann weißt du, daß alle Lebewesen und das gesamte Universum in deine Liebe einbezogen sind. Sobald du aber etwas als getrennt von dir ansiehst, kannst du es nicht lieben, weil du Angst davor hast. Denn Trennung verursacht Angst, und Angst verstärkt die Trennung. Das ist ein Teufelskreis, und nur die Selbstverwirklichung kann ihn zerbrechen. Dazu sei entschlossen!
Fragender: Auf der Suche nach dem Wesentlichen erkennt man schnell seine eigene Unzulänglichkeit und die Notwendigkeit eines Führers oder Lehrers. Dies setzt eine gewisse Disziplin voraus, weil von dir erwartet wird, deinem Führer zu vertrauen und seinen Ratschlägen und Anweisungen bedingungslos zu folgen. Doch die sozialen Dringlichkeiten und Zwänge sind oft so groß und die persönlichen Wünsche und Ängste so mächtig, daß die Einfalt des Verstandes und des Willens, die für diesen Gehorsam unerläßlich ist, nicht erreicht wird. Wie kann man ein Gleichgewicht finden zwischen dem Bedürfnis nach einem Guru und der Schwierigkeit, ihm bedingungslos zu folgen?
Maharaj: Was unter dem Druck der Gesellschaft und sonstigen Umständen geschieht, ist nicht so wichtig, weil es meist mechanisch erfolgt und lediglich Reaktionen auf Aktionen sind. Es reicht aus, sich selbst objektiv zu beobachten, um sich vollständig vom Geschehen zurückzuziehen. Denn was undurchdacht und blind getan wurde, das wird das Karma (Schicksal) eines Menschen vermehren, was andernfalls kaum eine Wirkung hat. Der Guru verlangt nur eines: Klarheit und Zielstrebigkeit, ein Verantwortungsbewußtsein für sich selbst, während die Wirklichkeit der Welt in Frage gestellt werden muß. Denn wer ist ein Guru? Nur wer den Zustand kennt, in dem es weder die Welt noch einen Gedanken daran gibt, ist der höchste Lehrer. Ihn zu finden heißt, den Zustand zu erreichen, in dem unsere Vorstellungen nicht mehr für Wahrheit gehalten werden. Bitte verstehe, daß der Guru für die Verwirklichung der Wahrheit steht, für das, was ist. Er ist ein wahrhafter Mensch im höchsten Sinne des Wortes, denn er kann und wird sich nicht mit dem Verstand und seinen Täuschungen begnügen. Er kommt, um dich in die Wahrheit zu bringen. Erwarte nicht, daß er etwas anderes tut! Der Guru, den du dir vorstellst, der dir Informationen und Anweisungen gibt, ist nicht der wahre Guru. Der wahre Guru ist derjenige, der die Wahrheit jenseits des glitzernden Scheins kennt. Für ihn ergeben deine Fragen über Gehorsam und Disziplin keinen Sinn, denn in seinen Augen existiert diese Person nicht, für die du dich hältst. Deine Fragen beziehen sich also auf eine nicht existierende Person. Was für dich existiert, existiert für ihn nicht. Was für dich selbstverständlich ist, verneint er völlig. Er möchte, daß du dich selbst so siehst, wie er dich sieht. Dann brauchst du keinem Guru mehr zu gehorchen und zu folgen, denn du wirst deiner eigenen Wahrheit gehorchen und folgen. Erkenne, daß alles, wofür du dich hältst, nur ein Strom von Ereignissen ist, und daß du allein, während alles geschieht und kommt und geht, der Unveränderliche im Veränderlichen und der Selbsterkennende in allen Wissenschaften bist. So trenne den Beobachter vom Beobachtbaren und gib die falschen Identifikationen auf!
F: So sollte man alle Hindernisse auf dem Weg zur Wahrheit zerstören. Andererseits zwingt der Überlebenswille in der jeweiligen Gesellschaft dazu, viele Dinge zu tun und zu ertragen. Muß man seinen Beruf und seine gesellschaftliche Stellung aufgeben, um die Wahrheit zu finden?
M: Vollbringe deine Arbeit! Und wenn du einen Moment Zeit hast, dann schau nach innen. Wichtig ist, diese Gelegenheit nicht zu verpassen, wenn sie sich bietet. Wenn du es ernst meinst, wirst du deine Freizeit vollständig nutzen. Das genügt!
F: Gibt es bei meiner Suche nach dem Wesentlichen und dem Verwerfen des Unwesentlichen einen Spielraum für kreatives Leben? Ich liebe zum Beispiel das Malen. Hilft es mir, wenn ich meine Freizeit der Malerei widme?
M: Was auch immer du tust, beobachte deinen Verstand! Außerdem solltest du Momente völliger innerer Ruhe und Stille haben, in denen der Verstand ganz still ist. Wer das versäumt, der versäumt alles. Wenn du das nicht übst, wird sich die Stille des Verstandes zerstreuen und alles andere übertönen. Deine Schwierigkeit liegt darin, daß du die Wahrheit willst, aber gleichzeitig Angst davor hast. Du hast Angst davor, weil du sie nicht kennst. Die vertrauten Dinge sind bekannt, und damit fühlst du dich sicher. Das Unbekannte ist ungewiß und daher gefährlich. Doch die Wahrheit zu kennen, bedeutet mit ihr im Einklang zu sein. Und in der Harmonie kann es keinen Platz für Angst geben. Ein Säugling kennt seinen Körper, aber nicht die körperlichen Unterschiede. So kann er einfach bewußt und glücklich sein, und letztendlich ist das auch der Zweck, für den er geboren wurde. Die Freude am Sein ist die einfachste Form der Selbstliebe, die sich später als (persönliche) Liebe zum Selbst entwickelt. Deshalb sei wie ein Kleinkind, bei dem nichts zwischen Körper und Selbst steht, denn der ständige Lärm des Verstandes fehlt. In tiefer Stille beobachtet das Selbst den Körper. Er ist wie das weiße Papier, auf dem noch nichts geschrieben steht. Sei wie dieses Kind, anstatt zu versuchen, dieses oder jenes zu sein. Sei einfach glücklich, da zu sein! Dann wirst du ein vollkommen erwachter Zeuge des Bewußtseinsfeldes sein, ohne daß Gefühle und Vorstellungen zwischen dir und dem Feld stehen.
F: Sich mit dem bloßen Dasein zufrieden zu geben, scheint mir eine äußerst egoistische Art des Zeitvertreibs zu sein.
M: Ja, eine äußerst würdige Art, egoistisch zu sein! Sei in dieser Hinsicht egoistisch, indem du auf alles außer deinem Selbst verzichtest. Wenn du das Selbst und nichts anderes liebst, dann gehst du über das Egoistische und Selbstlose hinaus. Alle Unterscheidungen verlieren ihre Bedeutung. Die Liebe des einem und die Liebe von allen verschmelzen in einfältiger und reiner Liebe, die sich auf niemanden richtet und niemandem verweigert wird. Bleib in dieser Liebe, geh immer tiefer hinein, erforsche dich selbst und liebe diese Erforschung, und du wirst nicht nur deine eigenen Probleme, sondern auch die Probleme der ganzen Menschheit lösen. Dann wirst du auch wissen, was zu tun ist. Stelle keine oberflächlichen Fragen, sondern konzentriere dich auf das Wesentliche, auf die Wurzel deines Wesens.
F: Gibt es eine Möglichkeit für mich, meine Selbstverwirklichung zu beschleunigen?
M: Natürlich!
F: Wer kann sie beschleunigen? Wirst du das für mich tun?
M: Weder du wirst es tun, noch ich. Es wird einfach passieren.
F: Daß ich hierhergekommen bin, hat es bewiesen. Kommt die Beschleunigung aus heiliger Gesellschaft? Als ich das letzte Mal abreiste, hoffte ich, wiederzukommen. Und ich tat es! Aber nun bin ich verzweifelt, daß ich schon bald wieder nach England zurückkehren muß.
M: Du bist wie ein neugeborenes Kind, das auch vorher schon da war, aber sich seiner Existenz nicht bewußt war. Bei seiner Geburt entstand in ihm eine Welt und damit auch zum Dasein ein Bewußtsein. Jetzt mußt du nur noch in diesem Bewußtsein wachsen, und das ist alles. Dieses Kind ist der König der Welt, und wenn es erwachsen wird, übernimmt es die Herrschaft über sein Königreich. Stell dir vor, daß es im Säuglingsalter schwer erkrankte und der Arzt es heilte. Bedeutet das, daß der junge König sein Königreich dem Arzt (bzw. Guru) verdankt? Vielleicht als einem der beitragenden Faktoren, von denen es zahllose andere gab, die alle dazu beigetragen haben. Aber der wichtigste und entscheidendste Faktor war die Tatsache, daß es als Sohn eines Königs geboren wurde. Ebenso kann auch der Guru helfen (und heilen). Aber das Wichtigste, was hilft, ist die Wahrheit in dir, die sich durchsetzen wird. Es hat dir auf jeden Fall geholfen, daß du hierhergekommen bist, aber es ist nicht das Einzige, was dir helfen wird. Die Hauptsache ist dein eigenes Dasein, und gerade deine Ernsthaftigkeit bezeugt es.
F: Wird die Ausübung eines Berufes meine Ernsthaftigkeit beeinträchtigen?
M: Ich habe es dir schon gesagt. Solange du viele Momente der Ruhe findest, kannst du deinen überaus ehrbaren Beruf bedenkenlos ausüben. Diese Momente innerer Ruhe werden alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Zweifle nicht an ihrer Wirksamkeit, und versuch es!
F: Aber ich habe es bereits versucht.
M: Doch offenbar nicht mit genügend Vertrauen und Beständigkeit, sonst würdest du nicht solche Fragen stellen. Du fragst, weil du dir deiner selbst nicht sicher bist. Und du bist dir deiner selbst nicht sicher, weil du nie auf dich selbst geachtet hast, sondern nur auf deine Erfahrungen. Sei über alle Erfahrung hinaus an dir selbst interessiert, sei bei dir selbst und liebe dich selbst. Die höchste Sicherheit liegt allein in der Selbsterkenntnis, und das Wichtigste ist die Ernsthaftigkeit. Sei wahrhaft zu dir selbst, und nichts wird dich belügen! Tugenden und Mächte sind vor allem Spielzeuge für unwissende Kinder. Sie sind in der Welt nützlich, aber führen dich nicht darüber hinaus. Um darüber hinauszugehen, braucht man bewußten Stillstand und stille Achtsamkeit.
F: Was wird dann aus der körperlichen Existenz eines Menschen?
M: Solange du gesund bist, lebst du weiter.
F: Wird dieses Leben des inneren Stillstands nicht die Gesundheit beeinträchtigen?
M: Dein Körper ist umgewandelte Nahrung, und wie deine Nahrung ist, grob oder fein (materiell oder geistig), so wird auch deine Gesundheit sein.
F: Und was passiert mit dem Sexualtrieb? Wie kann er kontrolliert werden?
M: Der Sexualtrieb ist eine erworbene Gewohnheit. Geh darüber hinaus! Solange dein Fokus auf dem Körper liegt, bleibst du in den Fängen von Nahrung, Sex, Angst und Tod gefangen. Finde dich selbst und sei frei!
Fragender: Ich bin gerade aus dem Sri-Ramana Ashram zurückgekehrt, wo ich sieben Monate verbrachte.
Maharaj: Welcher Praxis folgtest du im Ashram?
F: Soweit ich konnte, habe ich mich auf die Frage konzentriert: „Wer bin ich?“
M: Wie hast du das getan? Mit Worten?
F: In meinen freien Zeiten murmelte ich im Laufe des Tages immer wieder vor mich hin: „Wer bin ich?“ „Ich bin, aber wer bin ich?“ Oder auch in Gedanken. Gelegentlich hatte ich ein schönes Gefühl oder geriet in eine Stimmung stillen Glücks. Im Großen und Ganzen habe ich versucht, nur ruhig und empfänglich zu sein, anstatt nach Erfahrungen zu streben.
M: Was hast du dann tatsächlich erfahren, als du in der richtigen Stimmung warst?
F: Ein Empfinden von innerer Stille, Frieden und Ruhe.
M: Hast du auch bemerkt, wenn du unbewußt wurdest?
F: Ja, gelegentlich und für sehr kurze Zeit. Ansonsten war ich einfach nur innerlich und äußerlich ruhig.
M: Was für eine Stille war das? Wie im Tiefschlaf, aber trotzdem bei Bewußtsein? Eine Art wacher Tiefschlaf?
F: Ja, ein wacher und bewußter Tiefschlaf (Jagrit-Sushupti).
M: Die Hauptsache ist, frei von negativen Emotionen zu sein, von Verlangen, Angst usw., den „sechs Feinden“ des Geistes (Begierde, Zorn, Geiz, Wahn, Hochmut und Neid). Sobald der Geist davon befreit ist, wird alles andere leicht sein. Wie ein in Seifenwasser getauchtes Tuch sauber wird, so wird auch der Geist im Strom reiner Empfindungen gereinigt. Wenn du stillsitzt und dich selbst beobachtest, können alle möglichen Dinge an die Oberfläche kommen. Mache nichts dagegen und reagiere nicht auf sie! Denn wie sie von selbst gekommen sind, so werden sie auch von selbst wieder gehen. Alles, was zählt, ist die reine Wachsamkeit, das vollkommene Gewahrsein von sich selbst oder besser gesagt, des eigenen Verstandes.
F: Meinst du mit „sich selbst“ das alltägliche Selbst?
M: Ja, die Person, die objektiv beobachtbar ist. Denn der Beobachter ist jenseits des Beobachtbaren. Was also beobachtbar ist, ist nicht das wahre Selbst.
F: Ich kann auch den Beobachter beobachten, der sich in endloser Spieglung immer wieder selbst beobachtet.
M: Man kann die Beobachtung beobachten, aber nicht den Beobachter. Du erkennst, daß du der höchste Beobachter bist, und zwar durch direkte Erkenntnis, und nicht durch einen logischen Prozeß, der auf indirekter Beobachtung basiert. Du bist, was du bist, aber was du weißt, das bist du nicht. Das Selbst wird als ewiges Dasein bezeichnet, das Nicht-Selbst als vergängliche Erscheinung. Denn in Wahrheit spielt sich alles nur im Verstand ab. Das Beobachtete, die Beobachtung und der Beobachter sind Konstrukte des Verstandes. Nur das Selbst allein ist da!
F: Warum schafft der Verstand all diese Trennungen?
M: Das Trennen und das Unterscheiden liegen in der Natur des Verstandes. Ein Unterscheiden schadet nicht, aber das Trennen widerspricht den Tatsachen. Dinge und Menschen sind unterschiedlich, aber sie sind nicht getrennt. Die Natur ist eins, wie auch die Wahrheit eins ist. Es gibt Unterschiedliches, aber nichts Getrenntes.
F: Ich finde, daß ich von Natur aus sehr aktiv bin. Doch hier wird mir geraten, Handlungen zu vermeiden. Je mehr ich versuche, nicht zu handeln, desto größer wird der Drang, etwas zu tun. Dadurch bin ich nicht nur äußerlich tätig, sondern kämpfe auch innerlich darum, etwas zu sein, was ich von Natur aus nicht bin. Gibt es ein Mittel gegen dieses Verlangen nach Tätigkeit?
M: Es gibt einen Unterschied zwischen Wirkung und Tätigkeit. Die ganze Natur wirkt, denn Wirkung ist Natur, und Natur ist Wirkung. Dagegen basiert Tätigkeit auf Begierde und Angst, auf der Sehnsucht nach Besitz und Genuß, sowie auf der Angst vor Schmerz und Verlust. Wirkung ist vom Ganzen für das Ganze, Tätigkeit ist von sich selbst für sich selbst.
F: Gibt es ein Heilmittel gegen diese Tätigkeit?
M: Beobachte sie, und sie wird sich auflösen. Nutze jede Gelegenheit, um dich daran zu erinnern, daß du in Gefangenschaft lebst und daß alles, was dir passiert, auf die Tatsache deiner körperlichen Existenz (als tätig handelnde Person) zurückzuführen ist. Begierde, Angst, Ärger und Freude können nicht erscheinen, es sei denn, du bist da, damit sie dir erscheinen können. Was auch immer geschieht, es deutet auf dein Dasein als Zentrum der Wahrnehmung hin. Vergiß das Deutende und achte darauf, wohin es deutet. Es ist ganz einfach, aber muß vollbracht werden. Was zählt, ist die Beharrlichkeit, mit der du immer wieder zu dir selbst zurückkehrst.
F: Ich komme manchmal in seltsame Zustände tiefer Versenkung in mich selbst, aber unvorhersehbar und vorübergehend. Ich habe nicht das Gefühl, die Kontrolle über solche Zustände zu haben.
M: Der Körper ist etwas Materielles und braucht Zeit, um sich zu verändern. Der Verstand ist nichts weiter als eine Ansammlung geistiger Gewohnheiten, Denk- und Gefühlsweisen, und um sie zu verändern, müssen sie an die Oberfläche gebracht und untersucht werden. Auch das braucht Zeit. Entschließe dich einfach dazu und sei beständig darin, alles andere ergibt sich von selbst.
F: Ich glaube eine klare Vorstellung davon zu haben, was getan werden muß, doch ich werde müde und deprimiert und suche die Gesellschaft anderer Menschen. Damit verschwende ich die Zeit, die ich der Einsamkeit und Meditation widmen sollte.
M: Tue das, was du gern tust, und quäle dich nicht! Gewalt wird dich hart und starr machen. Kämpfe nicht mit den Dingen, die du für Hindernisse auf deinem Weg hältst. Sei nur interessiert an ihnen, schau sie an, beobachte und hinterfrage sie. Laß alles geschehen, sei es gut oder schlecht, aber laß dich von den Geschehnissen nicht überwältigen!
F: Welchen Zweck hat es, sich ständig daran zu erinnern, daß man der Beobachter ist?
M: Der Verstand muß lernen, daß es jenseits des veränderlichen Verstandes einen Hintergrund des Gewahrseins gibt, der sich nicht verändert. So muß der Verstand das wahre Selbst erkennen, es respektieren und aufhören, es zu verdecken, wie der Mond die Sonne während einer Sonnenfinsternis verdeckt. Erkenne einfach, daß du nichts Beobachtbares oder Erfahrbares bist und es dich nicht bindet. Achte nicht auf das, was du nicht bist!
F: Um zu tun, was du mir sagst, müßte ich ununterbrochen gewahr sein.
M: Gewahr zu sein, heißt wach zu sein und nicht zu schlafen. Dann bist du sowieso gewahr, und mußt dich nicht darum bemühen. Wichtig ist, daß du dir auch des Gewahrseins gewahr bist. Sei bewußt gewahr und erweitere und vertiefe dieses Feld des Gewahrseins! Denn gewöhnlich bist du dir nur des Verstandes bewußt und nicht des Gewahrseins selbst.
F: Wie ich erkennen kann, gibst du den Begriffen „Verstand“, „Bewußtsein“ und „Gewahrsein“ unterschiedliche Bedeutungen.
M: Betrachte es so: Der Verstand produziert unaufhörlich Gedanken, auch wenn du sie nicht ansiehst. Wenn dir bewußt ist, was in deinem Verstand vor sich geht, nennst du das Bewußtsein. Dies ist dein Wachzustand, und dein Bewußtsein springt in endloser Folge von Empfindung zu Empfindung, von Wahrnehmung zu Wahrnehmung, von Vorstellung zu Vorstellung. Dann kommt das Gewahrsein als direkte Einsicht in das ganzheitliche Bewußtsein und die Ganzheitlichkeit des Verstandes. Der Verstand ist wie ein Strom, der unaufhörlich im Flußbett der Körperlichkeit fließt. Du identifizierst dich für kurze Zeit mit einer bestimmten Welle und nennst sie „mein Gedanke“. Alles, was dir bewußt ist, ist dein Verstand. Und das Gewahrsein ist die Erkenntnis des Bewußtseins als Ganzheit.
F: Jeder ist bewußt, aber nicht jeder ist sich dessen gewahr.
M: Sage nicht „jeder ist bewußt“, sondern „es ist Bewußtsein da“, in dem alles erscheint und verschwindet. Unser Verstand ist nur eine Welle im Meer des Bewußtseins, und diese Wellen kommen und gehen, aber als Meer sind sie unendlich und ewig. Erkenne dich selbst als das Meer des Daseins, die Quelle jeglicher Existenz. Das sind natürlich alles Symbole, denn die Wahrheit ist unbeschreiblich. Deshalb kannst du die Wahrheit nur erkennen, indem du die Wahrheit bist.
F: Ist die Suche nach der Wahrheit der Mühe wert?
M: Ohne Wahrheit ist alles Mühe. Wenn du gesund, kreativ und glücklich leben und unendlichen Reichtum teilen möchtest, dann suche danach, was du bist. Während der Verstand im Körper und das Bewußtsein im Verstand gebunden ist, ist das Gewahrsein vollkommen frei. Der Körper hat seine Bedürfnisse, und der Verstand sein Glück und Leid. Das Gewahrsein ist ungebunden und unerschütterlich. Es ist klar, still, friedlich, achtsam und furchtlos, ohne Wünsche und Ängste. Meditiere darüber als dein wahres Dasein und versuche, es in deinem täglichen Leben zu sein, und du wirst es in seiner ganzen Fülle erkennen. Der Verstand interessiert sich für das, was passiert, während sich das Gewahrsein für den Verstand selbst interessiert. Ähnlich wie das Kind hinter dem Spielzeug her ist, aber die Mutter das Kind beobachtet und nicht das Spielzeug. Durch dieses unermüdliche Beobachten wurde ich völlig leer, und mit dieser Leere kehrte alles in mir zurück, außer dem Verstand. Ich entdeckte, daß ich den Verstand (als „Eigentum“) unwiederbringlich verloren habe.
F: Bist du dann bewußtlos, während du gerade mit uns sprichst?
M: Ich bin weder bewußt noch unbewußt, sondern jenseits des Verstandes und seiner verschiedenen Zustände und Umstände. Unterscheidungen werden vom Verstand geschaffen und gelten nur für den Verstand. Ich bin das reine Gewahrsein selbst, das ungeteilte Gewahrsein für alles, was ist. So bin ich in einem wahreren Zustand als du, denn ich lasse mich nicht von den Unterschieden und Trennungen ablenken, die eine Person ausmachen. Solange dieser Körper existiert, hat er seine Bedürfnisse wie jeder andere, aber mein geistiger Prozeß hat sein Ende erreicht.
F: Du verhältst dich aber wie eine denkende Person.
M: Warum nicht? Aber mein Denken ist wie meine Verdauung unbewußt und richtig.
F: Wenn dein Denken unbewußt ist, woher weißt du dann, daß es richtig ist?
M: Weil es weder von Wünschen noch von Ängsten verfälscht wird. Was sonst könnte es falsch machen? Wenn ich mich selbst kenne und weiß, wofür ich stehe, dann muß ich nicht ständig auf mich selbst achten. Wenn du weißt, daß deine Uhr die richtige Zeit anzeigt, dann zweifelst du nicht jedes Mal beim Blick darauf.
F: Wer spricht in diesem Moment, wenn nicht der Verstand?
M: Das, was die Fragen hört, beantwortet sie.
F: Aber wer ist das?
M: Nicht wer, sondern was. Ich bin keine Person im Sinne deines Begriffs, auch wenn ich dir wie eine Person erscheine. Ich bin dieses unendliche Meer des Bewußtseins, in dem alles geschieht. Und ich bin auch jenseits aller Existenz und Erkenntnis als reine Glückseligkeit des Daseins. Es gibt nichts, von dem ich mich getrennt fühle, also bin ich alles. Ich bin aber auch kein Ding, also bin ich nichts. Die gleiche Kraft, die das Feuer brennen, das Wasser fließen, die Samen sprießen und die Bäume wachsen läßt, läßt mich auch deine Fragen beantworten. An mir ist nichts Persönliches, auch wenn Sprache und Ausdruck persönlich erscheinen mögen. Eine Person ist ein festgelegtes Muster aus Wünschen und Gedanken und daraus resultierenden Handlungen. In mir gibt es kein solches Muster. Es gibt nichts, was ich wünsche oder befürchte. Wie kann es dann ein Muster geben?
F: Doch sicherlich mußt du auch sterben.
M: Das Leben wird entfliehen und der Körper wird sterben, aber es wird mich nicht im geringsten beeinträchtigen. Jenseits von Zeit und Raum bin ich unverursacht und nicht verursachend und dennoch die wahre Quelle jeglicher Existenz.
F: Darf ich fragen, wie du zu diesem jetzigen Zustand gekommen bist?
M: Mein Lehrer riet mir, beständig an der Empfindung „Ich bin“ festzuhalten und keinen Moment davon abzuweichen. Ich gab mein Bestes, seinem Rat zu folgen, und in relativ kurzer Zeit erkannte ich in mir selbst die Wahrheit seiner Lehre. Alles, was ich tat, war, mich ständig an seine Lehre, sein Gesicht und seine Worte zu erinnern. Das brachte dem Verstand ein Ende, und in der Stille des Verstandes erkannte ich mich selbst, wie ich bin, vollkommen ungebunden.
F: Kam diese Erkenntnis plötzlich oder allmählich?
M: Weder noch. Was man ist, das ist man zeitlos. Es ist auch nur der Verstand, der erkennt, wenn er von allen Wünschen und Ängsten befreit wird.
F: Sogar vom Wunsch nach Erkenntnis?
M: Der Wunsch, allen Wünschen ein Ende zu setzen, ist ein höchst seltsamer Wunsch, genauso wie die Angst, Angst zu haben, eine höchst seltsame Angst ist. Das eine verhindert das Zugreifen und das andere das Weglaufen. Du verwendest womöglich die gleichen Worte, aber die Zustände sind nicht die gleichen. Der Mensch, der nach Selbsterkenntnis strebt, ist nicht süchtig nach Wünschen, sondern ein Suchender, der gegen das Wünschen wirkt und nicht mit ihm. Ein allgemeiner Wunsch nach Befreiung ist nur der Anfang. Die richtigen Mittel zu finden und sie einzusetzen, ist der nächste Schritt. So hat der Suchende nur einen Wunsch, nämlich sein eigenes wahres Dasein zu finden. Und das ist auch der allergrößte von allen Wünschen, weil nichts und niemand ihn erfüllen kann. Denn der Suchende und das Gesuchte werden eins, und allein die Suche bleibt.
F: Wenn die Suche beendet wird, bleibt doch der Suchende.
M: Nein, der Suchende wird sich auflösen, und die Suche wird bleiben, denn das ist die höchste und ewige Wirklichkeit.
F: Suche bedeutet doch Mangel, Verlangen, Unvollständigkeit und Unvollkommenheit.
M: Nein, es bedeutet, das Unvollständige und Unvollkommene zurückzuweisen und nicht anzuerkennen. Die Suche nach der Wahrheit ist die Bewegung der Wahrheit. In gewisser Weise geht es bei jeder Suche um die wahre Glückseligkeit oder die Glückseligkeit der Wahrheit. Aber hier meinen wir mit der Suche die Suche nach sich selbst als der Wurzel des Bewußtseins, als dem Licht jenseits des Verstandes. Diese Suche wird niemals ein Ende haben (weil sie keinen Anfang haben kann), während das rastlose Wünschen nach allem anderen enden muß, bevor wirklicher Fortschritt beginnen kann. Man muß verstehen, daß die Suche nach der Wahrheit, nach Gott oder dem Guru und die Suche nach dem Selbst dasselbe sind. Wenn einer gefunden wird, werden alle gefunden. Wenn „Ich bin“ und „Gott ist“ in deinem Verstand nicht mehr zu unterscheiden sind, dann wird etwas passieren und du wirst ohne den geringsten Zweifel erkennen, daß Gott ist, weil du bist, und du bist, weil Gott ist, denn die beiden sind eins.
F: Wenn alles vorherbestimmt ist, ist dann auch unsere Selbstverwirklichung vorherbestimmt? Oder sind wir wenigstens darin frei?
M: Schicksal bezieht sich nur auf Namen und Formen. Wenn du aber weder Körper noch Verstand bist, dann hat das Schicksal keine Kontrolle über dich und du bist vollkommen frei. Ein Becher wird durch seine Form, sein Material, seine Verwendung usw. bestimmt, doch der Raum innerhalb des Bechers ist frei. Er befindet sich nur dann im Becher, wenn man ihn in Verbindung mit dem Becher betrachtet. Ansonsten ist es einfach nur Raum. So scheinst auch du verkörpert zu sein, solange es einen Körper gibt. Doch ohne den Körper bist du nicht körperlos, sondern einfach nur da. So ist auch das (begrenzende) Schicksal nur eine (begriffliche) Vorstellung. Worte können auf so viele Arten zusammengesetzt werden und Aussagen können so unterschiedlich sein, aber ändern sie etwas an der Wahrheit? Es gibt so viele Theorien, die zur Erklärung von Dingen entwickelt wurden, die alle plausibel sind, aber keine ist vollkommen wahr. Während du ein Auto fährst, glaubst du, den Gesetzen der Mechanik und Chemie zu unterliegen. Und wenn du aus dem Auto ausgestiegen bist, dann glaubst du, den Gesetzen der Physiologie und Biochemie zu unterliegen.
F: Was ist Meditation, und wozu dient sie?
M: Solange du ein Anfänger bist, können bestimmte vorgefertigte Meditationen oder Gebete für dich gut sein. Doch für einen Wahrheitssucher gibt es nur eine Meditation, nämlich die rigorose Weigerung, Gedanken zu hegen. Von Gedanken frei zu sein, ist wahre Meditation.
F: Wie wird das gemacht?
M: Man beginnt damit, die Gedanken fließen zu lassen und sie zu beobachten. Schon die Beobachtung verlangsamt den Verstand, bis er ganz zur Ruhe kommt. Sobald der Verstand ruhig ist, bewahre ihn ruhig. Langweile dich nicht mit dem Frieden, sei in ihm und gehe immer tiefer hinein!
F: Ich habe gehört, man soll einen Gedanken festhalten, um andere Gedanken fernzuhalten. Aber wie kann man alle Gedanken fernhalten? Diese Vorstellung ist doch selbst nur ein Gedanke.
M: Experimentiere auf Neuland, und verlaß dich nicht auf alte Erfahrungen! Beobachte deine Gedanken, und beobachte, wie du die Gedanken beobachtest. Der Zustand der Freiheit von allen Gedanken wird plötzlich kommen, und an der Glückseligkeit wirst du ihn erkennen.
F: Machst du dir keinerlei Gedanken über den Zustand der Welt? Schau dir die Schrecken in Ostpakistan an (heute Bangladesch, wo 1971 Krieg herrschte). Berührt dich das nicht?
M: Auch ich lese Zeitungen und weiß, was dort passiert. Aber meine Reaktion ist nicht wie deine. Du suchst nach einem Heilmittel (für die Wirkung), während es mir um die Ursachen geht. Denn solange entsprechende Ursachen da sind, muß es auch solche Auswirkungen geben. Solange die Menschen Trennung und Spaltung suchen und solange sie egoistisch und aggressiv leben, werden solche Dinge passieren. Wenn du Frieden und Harmonie in der Welt willst, dann mußt du Frieden und Harmonie in deinem Herz und Verstand haben. Ein solcher Wandel kann nicht erzwungen werden, er muß von innen kommen. Wer den Krieg verabscheut, muß den Krieg aus seinem System ausschließen. Wie könnte es ohne friedliche Menschen in der Welt Frieden geben? Solange die Menschen so sind, muß auch die Welt so sein. Ich trage meinen Teil dazu bei, den Menschen zu helfen, sich selbst als die einzige Ursache ihrer eigenen Leiden zu erkennen. In diesem Sinne bin ich ein nützlicher Mensch. Aber was ich in mir selbst bin, was mein normaler Zustand ist, läßt sich nicht in Bezug auf soziales Bewußtsein und Nützlichkeit ausdrücken. Ich spreche vielleicht darüber, verwende Metapher oder Gleichnisse, aber bin mir völlig bewußt, daß das in Wahrheit nicht so ist. Das heißt nicht, daß die Wahrheit nicht erlebbar wäre, denn sie erlebt sich selbst, aber sie kann nicht mit den Begriffen eines Verstandes beschrieben werden, der alles trennen und gegensätzlich betrachten muß, um irgendetwas zu wissen. Die Welt gleicht einem Blatt Papier, auf dem (mit einer Schreibmaschine) etwas getippt wird. Das Lesen und Verstehen variiert je nach Leser, aber das Papier ist der gemeinsame Faktor, der immer gegenwärtig ist, doch nur selten wahrgenommen wird. Wenn das Farbband entfernt wird, hinterläßt das Tippen keine Spuren auf dem Papier. So ist auch mein Verstand, denn die Eindrücke kommen immer wieder, aber hinterlassen keine Spuren.
F: Warum sitzt du hier und redest mit den Leuten? Was ist dein wahres Motiv?
M: Ich habe kein Motiv, auch wenn du meinst, ich muß ein Motiv haben. Denn weder sitze ich hier noch rede ich. Deshalb ist es nicht nötig, nach Motiven zu suchen. Verwechsle mich nicht mit diesem Körper! Ich habe keine Arbeit zu erledigen und keine Pflichten zu erfüllen. Der Teil von mir, den du „Gott“ nennst, wird sich um die Welt kümmern. Diese, deine Welt, die so sehr der Pflege bedarf, lebt und bewegt sich in deinem Verstand. Tauche tief hinein, denn nur dort wirst du deine Antworten finden. Wo sonst erwartest du, daß sie herkommen? Existiert etwas außerhalb deines Bewußtseins?
F: Etwas könnte doch existieren, ohne daß ich davon weiß.
M: Was wäre das für eine Existenz? Kann Dasein vom Bewußtsein getrennt werden? Alles Dasein, wie alles Wissen, bezieht sich auf dich (als Bewußtsein). Etwas ist da, weil das Wissen entweder in deiner Erfahrung oder in deinem Dasein ist. Auch dein Körper und Verstand sind nur so lange da, wie du daran glaubst. Wenn du nicht mehr daran glaubst, daß sie da sind, werden sie einfach verschwinden. So laß deinen Körper und Verstand vollkommen funktionieren, aber laß dich (als Bewußtsein) nicht davon einschränken. Wenn du Unvollkommenheit beobachtest, dann beobachte sie einfach nur. Denn allein durch diese Achtsamkeit werden dein Herz, Verstand und Körper in Ordnung kommen.
F: Kann ich mich allein durch Achtsamkeit von einer schweren Krankheit heilen?
M: Werde dir der Ganzheit bewußt, nicht nur der äußeren Symptome, denn jede Krankheit beginnt im Verstand. Deshalb kümmere dich zuerst um den Verstand, indem du alle falschen (illusorischen) Vorstellungen und Emotionen aufspürst und auflöst. Dann lebe und arbeite ohne die Vorstellung einer Krankheit und denke nicht mehr darüber nach. Denn mit der Beseitigung der Ursache muß auch die Wirkung verschwinden. Der Mensch wird zu dem, was er zu sein glaubt. So gib alle Vorstellungen über dich selbst auf, und du wirst erkennen, daß du der reine Zeuge bist, jenseits von allem, was dem Körper oder Verstand passieren kann.
F: Wenn ich wirklich zu dem werde, wofür ich mich halte, und zu denken beginne, daß ich die Höchste Wahrheit bin, bleibt meine Höchste Wahrheit dann nicht eine bloße Vorstellung?
M: Erreiche zuerst diesen Zustand und stelle dann diese Frage!
Fragender: Die Leute kommen zu dir, um Rat zu suchen. Woher weißt du, was du antworten sollst?
Maharaj: Wenn ich die Frage höre, dann höre ich auch die Antwort.
F: Und woher weißt du, daß deine Antwort richtig ist?
M: Wenn ich die wahre Quelle der Antworten kenne, dann brauche ich nicht daran zu zweifeln, denn aus einer reinen Quelle fließt nur reines Wasser. Ich sorge mich nicht um die Wünsche und Ängste der Menschen. Ich bin mit der Wahrheit im Einklang, nicht mit Meinungen von Menschen, die sich mit Namen und Formen identifizieren. Ich selbst bin frei davon. Würde ich mich für einen Körper mit einem bestimmten Namen halten, wäre ich nicht in der Lage, deine Fragen wahrhaft zu beantworten. Und solange du dich nur für einen Körper hältst, dann kannst du keinen wahren Nutzen aus meinen Antworten ziehen. Kein wahrer Lehrer gibt sich irgendwelchen Meinungen hin. Er sieht die Dinge, wie sie sind, und zeigt sie, wie sie sind. Wenn man die Menschen für das hält, wofür sie sich selbst halten, dann schadet man ihnen nur, wie sie sich auch ständig selbst so sehr schaden. Doch wenn man sie so sieht, wie sie in Wahrheit sind, dann wird es ihnen sehr guttun. Und wenn der Lehrer dann befragt wird, was man tun, welche Praktiken man anwenden und welcher Lebensweise man folgen sollte, dann kann er antworten: „Tu nichts, sei einfach da! Denn im Dasein geschieht alles auf natürliche Weise.“
F: Es scheint mir, daß du in deinen Gesprächen die Worte „natürlich“ und „zufällig“ gleichbedeutend verwendest. Ich habe jedoch das Gefühl, daß es einen großen Unterschied in der Bedeutung der beiden Worte gibt. Das Natürliche ist geordnet und dem Gesetz unterworfen, so daß man der Natur vertrauen kann. Das Zufällige ist dagegen chaotisch, unerwartet und unvorhersehbar. Man könnte sogar argumentieren, daß alles natürlich sei und den Gesetzen der Natur unterliege. Denn zu behaupten, alles sei zufällig und ohne Grund, ist sicherlich übertrieben.
M: Würde es dir besser gefallen, wenn ich das Wort „spontan“ anstelle von „zufällig“ verwende?
F: Du kannst das Wort „spontan“ oder „natürlich“ auch anstelle von „zufällig“ verwenden, aber im Zufälligen steckt das Element der Unordnung, des Chaos. Ein Zufall ist immer ein Regelverstoß, eine Ausnahme und eine Überraschung.
M: Ist nicht das Leben selbst ein Strom von Überraschungen?
F: In der Natur ist Harmonie, und das Zufällige bedeutet Störung.
M: Du sprichst als eine Person, die in Raum und Zeit begrenzt ist, reduziert auf die Inhalte eines Körpers und Verstandes. Was dir gefällt, das nennst du „natürlich“ (harmonisch), und was dir nicht gefällt, das nennst du „zufällig“ (störend).
F: Ja, ich liebe das Natürliche, das Gesetzmäßige und Erwartungsgemäße, und ich fürchte das Ungesetzmäßige, das Ungeordnete, Unerwartete und Sinnlose. Das Zufällige ist immer schrecklich. Es mag wohl sogenannte „glückliche Zufälle“ geben, aber sie beweisen nur die Regel, daß in einem Universum, das vom Zufall beherrscht wird, kein geordnetes Leben möglich wäre.
M: Ich habe das Gefühl, daß es hier ein Mißverständnis gibt. Mit „zufällig“ meine ich etwas, für das kein bekanntes Gesetz gilt. Wenn ich sage, daß alles zufällig und unverursacht ist, meine ich nur, daß die Ursachen und die Gesetze, nach denen sie funktionieren, außerhalb der Grenzen unseres Wissens und unserer Vorstellungen liegen. Wenn du das, was du für geordnet, harmonisch und vorhersehbar hältst, „natürlich“ nennst, dann kannst du auch das, was höheren Gesetzen gehorcht und von höheren Mächten bewegt wird, „spontan“ nennen. Somit können wir zwei natürliche Ordnungen haben: Die persönliche und vorhersehbare und die unpersönliche oder überpersönliche und unvorhersehbare Ordnung. Nenne es die „niedere Natur“ und die „höhere Natur“, und laß das Wort „zufällig“ weg. Und wie sich dein Bewußtsein und Einsehen ausdehnen wird, so verschwindet auch die Grenze zwischen der niederen und höheren Natur immer mehr, und die beiden bleiben nur solange bestehen, bis sie als eins erkannt werden. Denn in Wahrheit ist alles höchst wunderbar und (mit gegensätzlichen Begriffen) unerklärlich!
F: Die Wissenschaft erklärt vieles.
M: Die Wissenschaft beschäftigt sich mit Namen und Formen, Mengen und Eigenschaften, Mustern und Gesetzen. Auch das ist an seinem Platz alles in Ordnung. Aber das Leben muß gelebt werden, und da bleibt eigentlich keine Zeit für langwierige Analysen. Die Reaktion sollte augenblicklich erfolgen, und daher ist das Spontane und Zeitlose wichtig. Denn wir leben und bewegen uns im Unbekannten. Das Bekannte ist Vergangenheit.
F: Ich kann meinen Standpunkt nur zu dem vertreten, was ich empfinde. Ich bin ein Individuum, ein Mensch unter Menschen. Manche Menschen leben integriert und harmonisch, andere nicht. Manche leben mühelos, reagieren spontan auf jede Situation richtig und werden den Bedürfnissen des Augenblicks voll und ganz gerecht, während andere herumprobieren, Fehler machen und sich allgemein selbst zum Ärgernis werden. Die harmonisch lebenden Menschen können als natürliche, vom Gesetz regierte Menschen bezeichnet werden, während die nicht integrierten Menschen chaotisch und unter der Herrschaft von Zufällen leben.
M: Eine Vorstellung von Chaos setzt doch den Sinn für das Geordnete, Organische und Zusammenwirkende voraus. Chaos und Kosmos (bzgl. Geist und Natur): Sind das nicht zwei Aspekte desselben Daseins?
F: Doch du scheinst zu sagen, daß alles Chaos ist, zufällig und unvorhersehbar.
M: Ja, in dem Sinne, daß nicht alle Gesetze des Daseins bekannt und nicht alle Ereignisse vorhersehbar sind. Je ganzheitlicher du erkennen kannst, desto zufriedenstellender wird das Universum, körperlich und geistig. Die Wahrheit ist vollkommen und schön, aber wir selber erschaffen das Chaos.
F: Wenn du damit meinst, daß es der freie Wille des Menschen ist, der Zufälle verursacht, würde ich dem zustimmen. Doch den freien Willen haben wir bisher noch nicht besprochen.
M: Deine Ordnung ist das, was dir Freude gibt, und die Unordnung ist das, was dir Leid bringt.
F: So kann man es ausdrücken, aber sage mir jetzt nicht, daß die beiden (in Wahrheit) eins sind. Sprich mit mir in meiner Sprache, der Sprache eines Menschen auf der Suche nach Glückseligkeit. Ich möchte von solchen nicht-dualistischen Erklärungen nicht in die Irre geführt werden.
M: Was läßt dich glauben, daß du ein getrenntes Individuum bist?
F: Ich verhalte mich wie ein Individuum, funktioniere selbständig und betrachte zuerst mich selbst und andere nur in Beziehung zu mir selbst. Kurz gesagt, ich bin mit mir selbst beschäftigt.
M: Gut, dann beschäftige dich weiterhin mit dir selbst. Aber aus welchem Grund bist du hierhergekommen?
F: Um mein langersehntes Ziel zu erfüllen, mich sicher und glücklich zu machen. Ich gestehe, daß ich bisher nicht allzu erfolgreich war, denn ich bin weder sicher noch glücklich. Deshalb siehst du mich hier. Dieser Ort ist neu für mich, aber mein Grund, hierherzukommen, ist immer noch der alte: Die Suche nach sicherem Glück und glücklicher Sicherheit. Bislang habe ich sie nicht gefunden. Kannst du mir helfen?
M: Was nie verlorenging, kann auch nie gefunden werden. Gerade deine Suche nach Sicherheit und Glück hält dich davon fern. Hör auf zu suchen, und beende das Verlieren! Die Krankheit ist einfach, und das Heilmittel ist ebenso einfach. Es ist nur dein Verstand, der dich unsicher und unglücklich macht. Erwartungen machen unsicher, und Erinnerung unglücklich. Hör auf, deinen Verstand zu mißbrauchen, und alles wird gut für dich sein! Du muß es nicht berichtigen, denn es wird sich von selbst berichtigen, sobald du alle Sorgen um die Vergangenheit und Zukunft aufgibst und vollkommen im Jetzt lebst.
F: Aber das Jetzt hat keine Dimension. Dann werde ich ein Niemand, ein Nichts!
M: Das ist es! Denn als Nichts und Niemand bist du sicher und glücklich. So kannst du die Erfahrung machen, die du suchst. Probiere es einfach aus! - Aber kehren wir zurück zu dem, was zufällig und spontan oder natürlich ist. Du sagst, die Natur sei geordnet, während Zufall ein Zeichen von Chaos ist. Ich bestritt den Unterschied und sagte, daß wir ein Ereignis als zufällig bezeichnen, wenn seine Ursachen nicht nachvollziehbar sind. In der Natur gibt es keinen Platz für Chaos. Nur im Kopf des Menschen herrscht Chaos, denn der Verstand erfaßt nicht das Ganze, weil sein Fokus eng begrenz ist. Er nimmt nur Fragmente wahr und kann das ganze Bild nicht sehen. Ähnlich wie ein Mann, der nur die Laute hört, aber die Sprache nicht versteht, dem Sprecher bedeutungsloses Geschwätz vorwerfen und damit völlig unrecht haben könnte. Was für den einen ein chaotischer Strom von Lauten ist, das kann für den anderen ein wunderschönes Gedicht sein.
König Janaka träumte einmal, daß er ein Bettler sei. Als er aufwachte, fragte er seinen Guru Vasishta: „Bin ich ein König, der davon träumt, ein Bettler zu sein, oder ein Bettler, der davon träumt, ein König zu sein?“ Der Guru antwortete: „Du bist beides und keiner von beiden. Du bist da, und doch bist du nicht das, wofür du dich hältst. Denn das bist du nur, weil du dich entsprechend verhältst. Und du bist es nicht, weil es nicht von Dauer ist. Oder kann man für immer ein König oder ein Bettler sein? Alles muß sich verändern. Doch du selbst bist das, was sich nicht verändert. Was bist du also?“ Und Janaka antwortete: „Ja, ich bin weder König noch Bettler. Ich bin der leidenschaftslose Zeuge.“ Darauf sprach der Guru: „Dies ist deine letzte Illusion, daß du ein Jnani (Weiser) bist, der sich vom einfachen Mann unterscheidet und ihm überlegen ist. Noch einmal identifizierst du dich mit deinem Verstand, in diesem Fall einem wohlgebildeten und in jeder Hinsicht vorbildlichen Verstand. Doch solange du noch den geringsten Unterschied siehst, bleibt dir die Wahrheit fremd, denn du befindest dich noch auf der Ebene des Verstandes. Wenn das „Ich bin ich selbst“ verschwindet, dann kommt das „Ich bin alles“. Wenn das „Ich bin alles“ verschwindet, dann kommt „Ich bin“. Und wenn sogar „Ich bin“ verschwindet, dann ist nur die Wahrheit da, und in ihr wird jedes „Ich bin“ bewahrt und verherrlicht. Die Vielfalt ohne Trennung ist das Höchste, das der Verstand berühren kann. Darüber hinaus verschwindet jegliche Wirkung, weil dort alle Ziele erreicht und alle Zwecke erfüllt sind.“
F: Kann dieser Höchste Zustand, sobald er erreicht ist, mit anderen geteilt werden?
M: Der Höchste Zustand ist universal im Hier und Jetzt, und jeder ist bereits daran beteiligt. Es ist der Zustand des (reinen) Daseins, des Bewußtseins und der Liebe. Wer liebt es nicht, da zu sein, oder ist sich seiner Existenz nicht bewußt? Aber wir nutzen diese Freude des Bewußtseins nicht richtig, denn wir vertiefen uns nicht darin und reinigen sie nicht von allem, was ihr fremd ist. Diese Arbeit der geistigen Selbstreinigung, der Reinigung der Psyche, ist unerläßlich. Wie ein Fremdkörper im Auge, der eine Entzündung verursacht, die ganze Welt verdunkeln kann, ähnlich verursacht die falsche Vorstellung „Ich bin der Körper mit dem Verstand“ die Selbstbezogenheit, die das ganze Universum verdunkelt. Es ist sinnlos, gegen die Empfindung anzukämpfen, eine begrenzte und getrennte Person zu sein, wenn nicht die Wurzeln davon ans Licht gebracht werden. Der Egoismus hat seine Wurzeln in den falschen Vorstellungen, die man von sich selbst hat, und die Reinigung dieses Verstandes ist Yoga.
Fragender: Du hast mir erklärt, daß ich unter drei Aspekten betrachtet werden kann: Dem persönlichen (Vyakti), dem überpersönlichen (Vyakta) und dem unpersönlichen (Avyakta). Das unpersönliche Ich ist das universale und wahre reine „Ich“. Das überpersönliche Ich ist seine Widerspiegelung im Bewußtsein als „Ich bin“. Und das persönliche Ich ist die Gesamtheit der körperlichen Lebensprozesse. Innerhalb der engen Grenzen des gegenwärtigen Augenblicks ist sich das überpersönliche Ich der Person in Raum und Zeit bewußt, aber nicht nur als eine Person, sondern als eine lange Reihe von Personen, die am Faden des Karmas aneinandergereiht sind. Es ist im Wesentlichen der Zeuge und der Überrest der angesammelten Erfahrungen, der Sitz der Erinnerung und der verbindende Seelen-Faden (Sutratma). Es ist der Charakter des Menschen, den das Leben von Geburt zu Geburt aufbaut und formt. Das universale Ich liegt jenseits aller Namen und Formen, jenseits von Bewußtsein und Charakter, als reines und selbstloses Dasein. Habe ich deine Ansichten richtig dargelegt?
Maharaj: Ja, auf der Ebene des Verstandes. Doch jenseits des Verstandes ist kein einziger Begriff zutreffend.
F: Ich kann verstehen, daß die Person ein geistiges Gebilde ist, ein Sammelbegriff für eine Reihe von Erinnerungen und Gewohnheiten. Aber ist derjenige, dem die Person als ein bezeugendes Zentrum passiert, auch ein geistiges Gebilde?
M: Das persönliche Ich braucht eine Basis, irgendeinen Körper, mit dem es sich identifiziert, genauso wie eine Farbe eine Oberfläche braucht, auf der sie erscheint. Doch das Sehen der Farbe ist unabhängig von der Farbe, denn es ist immer dasselbe Sehen, welche Farbe es auch sieht. Um viele Farben zu sehen, braucht man nur ein Auge. Die Farben sind vielfältig, aber das Auge ist nur eins. Das Unpersönliche ist wie das Licht in der Farbe und auch im Auge, doch einfach, einzigartig, unteilbar und nicht wahrnehmbar, außer in seinen Manifestationen. Es ist erkennbar, aber nicht wahrnehmbar, objektiv oder trennbar. Es ist weder materiell noch geistig, weder objektiv noch subjektiv. Es ist die Wurzel der Materie und die Quelle des Bewußtseins. Über das bloße Leben und Sterben hinaus ist es das alles einschließende und alles ausschließende Leben, in dem Geburt Tod und Tod Geburt ist.
F: Ist das Absolute oder (vollkommene) Leben, von dem du sprichst, eine Wahrheit oder nur eine Theorie, um unsere Unwissenheit zu vertuschen?
M: Beides. Für den Verstand ist eine Theorie, und in sich selbst eine Wahrheit. Es ist Wahrheit in seiner spontanen und völligen Ablehnung des Falschen. Wie das Licht durch seine Gegenwärtigkeit die Dunkelheit zerstört, so zerstört das Absolute die (begrifflichen) Vorstellungen. Zu erkennen, daß alles Wissen eine Form von Unwissenheit ist, ist in sich selbst eine Bewegung der Wahrheit. Der reine Zeuge ist keine Person. Die Person entsteht, wenn es eine Basis dafür gibt, einen Organismus, einen Körper, und darin spiegelt sich das Absolute als Gewahrsein wider. Aus reinem Gewahrsein wird Selbst-Gewahrsein. Und wenn es ein Selbst gibt, dann ist das Selbst-Gewahrsein der Zeuge. Wenn es kein bezeugendes Selbst gibt, dann gibt es auch kein Bezeugen. Es ist alles sehr einfach, und nur die Anwesenheit der Person macht es so kompliziert. Deshalb erkenne, daß es so etwas wie eine dauerhaft getrennte Person nicht gibt, und alles wird klar. Gewahrsein, Verstand und Materie sind die eine Wahrheit in ihren beiden Aspekten von beweglich und unbeweglich (bzw. lebendig und tot) und den drei Grundqualitäten von Trägheit, Energie und Harmonie (den drei Gunas von Tamas, Rajas und Sattwa).
F: Was kommt zuerst: Bewußtsein oder Gewahrsein?
M: Gewahrsein wird zu Bewußtsein, wenn es ein Objekt gibt, das sich stetig verändert. Im Bewußtsein gibt es Bewegung, während das Gewahrsein selbst bewegungslos und zeitlos im Hier und Jetzt ist.
F: Derzeit gibt es in Ostpakistan viel Leid und Blutvergießen. Wie siehst du das? Wie erscheint es dir, und wie reagierst du darauf?
M: Im reinen Gewahrsein passiert nie etwas.
F: Bitte komm von diesen metaphysischen Höhen herunter! Welchen Nutzen hat es für einen leidenden Menschen, wenn ihm gesagt wird, daß nur er selbst sich dieses Leidens bewußt ist? Alles als Illusion abzutun, ist eine Beleidigung zusätzlich zur Verletzung. Der Bengali in Ostpakistan ist eine Tatsache, und auch sein Leiden ist eine Tatsache. Bitte analysiere ihre Existenz nicht weg! Du liest ja Zeitungen und hörst, wie die Leute darüber reden. Du kannst dich nicht auf Unwissenheit berufen. Was ist nun deine Einstellung zu dem, was dort passiert?
M: Keine Einstellung. Nichts passiert.
F: Jeden Tag kann es direkt vor deinen Augen zu einem Aufstand kommen, bei dem sich vielleicht sogar Menschen gegenseitig umbringen. Dann kannst du sicherlich nicht mehr sagen „Es passiert nichts!“ und völlig unbeteiligt bleiben.
M: Ich habe nie davon gesprochen, unbeteiligt zu bleiben. Man könnte sich genausogut vorstellen, wie ich mich ins Getümmel stürze, um jemanden zu retten, und dabei getötet werde. Doch mir selbst ist nichts passiert. Stell dir vor, ein großes Gebäude würde einstürzen, und einige Wohnungen liegen in Trümmern, während andere noch intakt sind. Kann man auch den Raum als zertrümmert oder intakt bezeichnen? Nur die Struktur und die Menschen, die darin lebten, haben gelitten. Dem reinen Raum (der alles enthält) ist nichts passiert. Ebenso passiert dem reinen Leben nichts, wenn Formen einstürzen und Namen ausgelöscht werden. So schmilzt der Goldschmied alte Schmuckstücke ein, um daraus neue zu machen. Und manchmal wird aus einem guten Stück auch ein schlechtes. Er nimmt es gelassen, denn er weiß, daß das Gold nicht verlorengeht.
F: Es ist nicht der Tod, gegen den ich rebelliere. Es ist die Art des Sterbens.
M: Der Tod ist natürlich, und die Art des Sterbens ist das Werk des Menschen. Trennung verursacht Angst und Aggression, die wiederum Gewalt hervorrufen. Wenn wir die von Menschenhand geschaffenen Trennungen beenden, wird auch dieser ganze Schrecken, daß Menschen sich gegenseitig töten, mit Sicherheit ein Ende haben. Denn in Wahrheit gibt es weder ein Töten noch ein Sterben. Das Wahre stirbt nicht, und das Unwahre hat nie gelebt. Bring deinen Verstand in Ordnung und alles wird gut! Wenn du erkennst, daß die Welt eins ist und auch die Menschheit eins ist, dann wirst du entsprechend handeln. Aber zunächst einmal mußt du darauf achten, wie du selbst fühlst, denkst und lebst. Ohne Ordnung in dir selbst kann es keine Ordnung in der Welt geben. Denn in Wahrheit passiert gar nichts. Das Schicksal projiziert ununterbrochen seine Bilder und Erinnerungen an frühere Projektionen auf die Leinwand des Verstandes, und so erneuert sich ständig die Illusion. Die Bilder kommen und gehen, denn das reine Licht wird durch Unwissenheit verdunkelt und unterbrochen. Erkenne das Licht und ignoriere die Bilder!
F: Was für eine gefühllose Sichtweise! Menschen töten und werden getötet, und du sprichst hier nur von Bildern.
M: Dann steh dazu, geh hin und laß dich töten, wenn es das ist, was du glaubst, tun zu müssen. Oder geh hin und töte sogar, wenn du es für deine Pflicht hältst. Aber das ist nicht der Weg, das Bösartige zu beenden. Das Böse ist der Gestank eines kranken Verstandes. Heile deinen Verstand, und er wird aufhören, verzerrte und grausame Bilder zu projizieren.
F: Ich verstehe, was du sagst, aber emotional kann ich es nicht akzeptieren. Diese einseitig idealistische Lebensauffassung stößt mich zutiefst ab. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dauerhaft in einem Traumzustand zu sein.
M: Wie kann jemand dauerhaft in einem Zustand sein, der durch einen vergänglichen Körper verursacht wird? Das Mißverständnis basiert auf deiner Vorstellung, daß du selbst der Körper bist. Untersuche diese Vorstellung, erkenne die innewohnenden Widersprüche und erkenne, daß deine gegenwärtige Existenz wie ein Funkenregen ist, wobei jeder Funke eine Sekunde dauert und der Funkenregen selbst ein oder zwei Minuten. Sicherlich kann etwas, dessen Anfang auch sogleich das Ende ist, keine Mitte haben. Respektiere deine Bedingungen! Die Wahrheit kann nicht vorübergehend sein. Sie ist zeitlos, und Zeitlosigkeit hat keine Dauer.
F: Ich gebe ja zu, daß die Welt, in der ich lebe, nicht die wahre Welt ist. Aber es gibt eine wahre Welt, von der ich ein verzerrtes Bild wahrnehme. Diese Verzerrung kann auf einen Makel in meinem Körper oder Verstand zurückzuführen sein. Doch wenn du sagst, daß es gar keine wahre Welt gibt, sondern nur eine Traumwelt in meinem Verstand, dann kann ich das einfach nicht akzeptieren. Ich würde gern glauben, daß alles Leiden der Existenz nur darauf zurückzuführen ist, daß ich einen Körper habe. Dann wäre zumindest der Selbstmord ein Ausweg.
M: Solange du deinen oder den Vorstellungen anderer Aufmerksamkeit schenkst, wirst du immer wieder in Probleme geraten. Doch wenn du alle Lehren, Bücher und alles, was in Worte gefaßt wird, außer acht läßt und tief in dich selbst eintauchst und dein Selbst findest, dann wird dies allein alle deine Probleme lösen und dir die vollkommene Kontrolle über jede Situation geben, weil du nicht von deinen (begrenzten) Vorstellungen über die Situation beherrscht wirst. Nimm ein Beispiel: Du bist in Gesellschaft einer attraktiven Frau, und in dir entstehen Vorstellung über sie, die ein sexuelles Verlangen in dieser Situation erzeugen. Damit wird ein Problem geschaffen, und du suchst in dir nach Wissen, wie in einem Buch, entweder über Enthaltsamkeit oder den Genuß. Wärst du noch ein Baby, könntet ihr beide problemlos nackt und zusammensein. Hör einfach auf zu denken, daß du der Körper bist, und die Probleme von körperlicher Liebe und Sex werden ihre Bedeutung verlieren. Und wenn jede Empfindung von Begrenzung verschwunden ist, dann verschwinden auch Angst, Leid und die Sucht nach Genuß. Nur das reine Gewahrsein bleibt.
Fragender: Ich bin gebürtiger Franzose und lebe auch in Frankreich. Seit etwa zehn Jahren praktiziere ich Yoga.
Maharaj: Bist du nach zehn Jahren Arbeit deinem Ziel schon nähergekommen?
F: Vielleicht etwas näher. Es ist harte Arbeit, wie du weißt.
M: Das Selbst ist doch ganz nah, und der Weg dorthin ganz einfach. Alles, was du tun mußt, ist, nichts zu tun.
F: Dennoch empfand ich meine Sadhana (spirituelle Übung) sehr schwierig.
M: Dein Sadhana ist das Dasein, und das Tun geschieht von allein. Sei einfach nur achtsam. Wo liegt die Schwierigkeit, sich daran zu erinnern, daß man da ist? Du bist immer da.
F: Die Empfindung des Daseins ist immer da, kein Zweifel. Aber das Achtsamkeitsfeld wird oft von allen möglichen geistigen Ereignissen überschwemmt, von Emotionen, Bildern und Vorstellungen. So wird die reine Empfindung des Daseins gewöhnlich verdeckt.
M: Wie gehst du vor, um den Verstand von Unnötigem zu befreien? Was sind deine Mittel und Werkzeuge zur Reinigung des Geistes?
F: Grundsätzlich hat der Mensch Angst, und vor allem vor sich selbst. Ich fühle mich wie jemand, der eine Bombe trägt, die bald explodieren wird. Er kann sie weder entschärfen noch wegwerfen. So hat er schreckliche Angst und sucht verzweifelt nach einer Lösung, die er jedoch nicht finden kann. Für mich heißt Befreiung, diese Bombe loszuwerden. Ich weiß nicht viel über die Bombe. Ich weiß nur, daß sie aus meiner frühen Kindheit stammt. Ich fühle mich wie das verängstigte Kind, das leidenschaftlich dagegen protestiert, nicht geliebt zu werden. Das Kind sehnt sich nach Liebe, und weil es diese nicht bekommt, hat es Angst und ist wütend. Manchmal fühle ich mich so, als müßte ich irgend jemanden oder mich selbst töten. Dieses Verlangen ist so stark, daß ich ständig Angst habe. Und ich weiß nicht, wie ich mich von dieser Angst befreien kann. Du siehst, es gibt einen Unterschied zwischen einem hinduistischen und einem europäischen Verstand. Der Hindu-Verstand ist vergleichsweise einfach, und der Europäer hat ein viel komplizierteres Wesen. Der Hindu ist grundsätzlich sattwig (harmonisch). Er versteht die Ruhelosigkeit des Europäers nicht, sein unermüdliches Streben nach dem, was seiner Meinung nach getan werden muß, und sein größeres Allgemeinwissen.
M: Ja, seine Macht des Verstandes ist so groß, daß er sich selbst (bzw. seinen Geist) völlig aus allen Erklärungen herauserklären kann! Und sein Selbstvertrauen beruht auf seinem Vertrauen in die Logik.
F: Aber das erklärende Denken ist doch der natürliche Zustand des Verstandes, der einfach nicht aufhören kann zu arbeiten.
M: Es kann der gewohnheitsmäßige Zustand sein, aber nicht der natürliche. Denn ein natürlicher Zustand kann nicht schmerzhaft sein, während eine Gewohnheit oft zu chronischen Leiden führt.
F: Wenn es nicht der natürliche oder normale Zustand des Verstandes ist, wie kann man ihn dann beenden? Es muß doch einen Weg geben, den Verstand zur Ruhe zu bringen. Wie oft sage ich zu mir: „Genug, bitte hör auf! Genug von diesem endlosen Geplapper der Worte, die sich immer nur wiederholen!“ Aber mein Verstand will nicht aufhören. Ich habe das Gefühl, daß man ihn für eine Weile stoppen kann, aber nicht für lange. Sogar die sogenannten „spirituellen Menschen“ wenden viele Tricks an, um ihren Verstand zu beruhigen. Sie wiederholen Mantras, singen, beten, atmen kräftig oder sanft, schütteln und drehen sich, üben Konzentration, meditieren, suchen die Trance und kultivieren Tugenden. So arbeiten sie ständig, um mit dem Arbeiten aufzuhören, mit all dem Jagen und Bewegen. Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man darüber lachen.
M: Der Verstand existiert in zwei Zuständen, nämlich wie Wasser oder wie Honig. Das Wasser bewegt sich bei der geringsten Erschütterung und schlägt Wellen, während der Honig, egal wie sehr er erschüttert wird, schnell zur Unbeweglichkeit zurückkehrt.
F: Der natürliche Zustand des Verstandes scheint mir die Unruhe zu sein. Man kann ihn vielleicht beruhigen, aber er ist nicht von selbst ruhig.
M: Du kannst auch ständig chronisches Fieber und Schüttelfrost haben. Es sind deine Wünsche und Ängste, die den Verstand unruhig machen. Frei von allen erschütternden Emotionen ist er ruhig.
F: Man kann aber ein Kind nicht vor solchen Emotionen schützen. Sobald es geboren wird, lernt es Schmerz und Angst kennen. Der Hunger ist ein grausamer Lehrmeister und lehrt Abhängigkeit und Ärger. Das Kind liebt die Mutter, weil sie es füttert, und wird ärgerlich, wenn sie mit dem Essen zu spät kommt. Unser Unterbewußtsein ist voller Konflikte, die ins Bewußtsein überfließen. So leben wir wie auf einem Vulkan, und sind immer in Gefahr. Ich stimme zu, daß die Gesellschaft von Menschen, deren Verstand ruhig ist, auch eine sehr beruhigende Wirkung hat. Aber sobald ich von ihnen entfernt bin, beginnen die alten Probleme. Aus diesem Grund komme ich regelmäßig nach Indien, um die Nähe meines Gurus zu suchen.
M: Du denkst, daß du kommst und gehst und verschiedene Zustände und Stimmungen erfährst. Ich sehe die Dinge so, wie sie sind, als augenblickliche Ereignisse, die sich mir in schneller Folge präsentieren. Sie kommen aus meinem Wesen, aber sind sicherlich nicht mein Selbst, noch sind sie mein. Ich bin keines dieser Phänomene und auch keinem unterworfen. Ich bin so einfach und völlig unabhängig, daß es dein Verstand, der an Gegensätze und Verdrängung gewöhnt ist, nicht begreifen kann. Und das meine ich wörtlich: Ich muß mich nicht widersetzen oder etwas verdrängen, weil mir klar ist, daß ich selbst kein Gegensatz oder die Verdrängung von irgendetwas sein kann. Ich bin einfach jenseits davon in einer völlig anderen Dimension (des Bewußtseins). Suche mich nicht in der Identifikation mit etwas oder als Gegensatz von etwas. Ich bin dort, wo es weder Verlangen noch Ängste gibt. Was sind nun deine Erfahrungen? Findest du auch, daß du völlig unabhängig von allen vergänglichen Dingen bist?
F: Ja, manchmal. Aber schon bald kommt ein Gefühl von Gefahr zurück, und dann fühle ich mich isoliert und von jeder Beziehung zu anderen ausgeschlossen. Sieh, hier liegt der Unterschied in unserer Mentalität. Bei einem Hindu folgen die Emotionen den Gedanken. Gib einem Hindu eine gedankliche Vorstellung, und seine Emotionen werden geweckt. Beim Westler ist das umgekehrt: Gib ihm eine Emotion, und er wird eine Vorstellung hervorbringen. So sind auch deine Vorstellungen verstandesmäßig sehr attraktiv, aber emotional bewirken sie wenig in mir.
M: Dann laß deinen Verstand beiseite, und gebrauche ihn nicht in diesen Angelegenheiten!
F: Welchen Nutzen hat so ein Rat, den ich nicht ausführen kann? Das sind alles Vorstellungen und du möchtest, daß ich darauf auch emotional reagiere, denn ohne Emotion kann es keine Aktion geben.
M: Warum redest du von Aktion? Tust du jemals etwas? Eine unbekannte Kraft agiert, und du denkst, daß du selber handelst. Du beobachtest lediglich, was passiert, ohne es in irgendeiner Weise beeinflussen zu können.
F: Warum gibt es in mir einen so enormen Widerstand zu akzeptieren, daß ich einfach nichts tun kann?
M: Was kannst du denn tun? Du bist wie ein Patient unter Narkose, an dem der Chirurg eine Operation durchführt. Wenn du aufwachst, ist die Operation beendet. Kannst du sagen, daß du etwas getan hast?
F: Aber ich bin es, der sich entschieden hat, sich einer Operation zu unterziehen.
M: Sicherlich nicht! Es war einerseits deine Krankheit und anderseits der Druck deines Arztes und deiner Familie, die dich zu dieser Entscheidung veranlaßt haben. Du selbst hattest keine Wahl, nur die Illusion davon.
F: Dennoch habe ich das Gefühl, daß ich nicht so hilflos bin, wie du mich darstellst. Ich habe das Gefühl, daß ich alles tun kann, was mir einfällt, nur weiß ich nicht wie. Es ist nicht die Kraft, die mir fehlt, sondern das Wissen.
M: Die Mittel nicht zu kennen ist wohl genauso schlimm, wie die Kraft nicht zu haben. Aber lassen wir das Thema für den Moment beiseite. Schließlich ist es nicht wichtig, warum wir uns hilflos fühlen, solange wir klar erkennen, daß wir vorerst hilflos sind. Ich bin jetzt 74 Jahre alt (um 1971), und fühle doch, daß ich ein kleines Kind bin. Trotz aller Veränderungen spüre ich deutlich, daß ich wie ein Kind bin. Mein Guru sagte mir: „Das Kind, das du auch jetzt noch bist, ist dein wahres Selbst (Swarupa). Kehre in den Zustand des reinen Seins zurück, wo das „Ich bin“ noch in seiner Reinheit ist, bevor es mit „Ich bin dieses oder jenes“ verunreinigt wurde. Deine Last besteht aus falschen Selbst-Identifikationen. Gib sie alle auf!“ Und mein Guru sprach weiter zu mir: „Vertrau mir! Ich sage dir: Du bist göttlich (bzw. ganzheitlich)! Betrachte es als die absolute Wahrheit. Deine Freude ist göttlich, und auch dein Leiden ist göttlich. Alles kommt von Gott. Denke immer daran! Du bist Gott, und dein Wille allein geschieht.“ Ich glaubte ihm und erkannte bald, wie wunderbar wahr und zutreffend seine Worte waren. Ich habe meinen Verstand nicht mit den Gedanken geformt: „Ich bin Gott, ich bin wunderbar und über allem.“ Ich folgte einfach seiner Anweisung, den Verstand auf das reine Dasein von „Ich bin“ zu konzentrieren und darin zu bleiben. Ich saß stundenlang, mit nichts anderem als „Ich bin“ im Verstand, und bald kamen Frieden und Freude, und eine tiefe allumfassende Liebe wurde mein natürlicher Zustand. Darin verschwand alles, ich selbst, mein Guru, das Leben, das ich lebte, und die Welt um mich herum. Nur Frieden und unfaßbare Stille blieb.
F: Es sieht alles recht einfach und leicht aus, aber so einfach ist es nicht. Manchmal dämmert auch mir der wundervolle Zustand freudigen Friedens und ich schaue und wundere mich, wie leicht und vertraut er kommt, als wäre er ganz und gar mein eigen. War es wirklich nötig, so hart für einen Zustand zu kämpfen, der so nah bei mir ist? Und ich bin mir sicher, daß er dieses Mal endgültig bleibt. Doch wie schnell löst sich alles wieder auf, und ich frage mich: War es nur ein Vorgeschmack auf die Wahrheit oder eine weitere Verwirrung? Wenn es Wahrheit war, warum blieb sie nicht da? Vielleicht bedarf es einer ganz einzigartigen Erfahrung, um mich endgültig in diesem neuen Zustand wiederzufinden. Und bis diese entscheidende Erfahrung kommt, muß dieses Versteckspiel weitergehen.
M: Deine Erwartung von etwas Einzigartigem und Dramatischem als einer wunderbaren Explosion behindert und verzögert lediglich deine Selbstverwirklichung. Du solltest nicht auf eine Explosion warten, denn die Explosion hat bereits stattgefunden, nämlich im Moment, als du geboren wurdest, als du dich als wissendes und fühlendes Wesen erkanntest. Du machst jetzt nur einen Fehler: Du verwechselst das Innere mit dem Äußeren und das Äußere mit dem Inneren. Was in dir ist, hältst du für etwas außerhalb von dir, und was draußen ist, hältst du für etwas in dir. Der Verstand und die Gefühle sind äußerlich, aber du hältst sie für etwas innerlich Persönliches. Du glaubst, daß die Welt objektiv ist, obwohl sie lediglich eine Projektion deiner Psyche ist. Das ist die grundlegende Verwirrung, und keine neue Explosion wird sie beheben können. Du muß dich da rausdenken! Es gibt keinen anderen Weg.
F: Wie soll ich mich herausdenken, wenn meine Gedanken kommen und gehen, wie sie wollen? Ihr endloses Geschwätz lenkt nur ab und erschöpft mich.
M: Beobachte deine Gedanken, wie du das Geschehen auf einer Straße beobachtest! Die Menschen kommen und gehen, und du beobachtest es, ohne zu reagieren. Am Anfang mag das nicht einfach sein, aber mit etwas Übung wirst du feststellen, daß dein Geist auf vielen Ebenen gleichzeitig funktionieren kann und du dir aller Ebenen bewußt sein kannst. Nur wenn du ein eigennütziges Interesse an einer bestimmten Ebene hast, bleibt deine Aufmerksamkeit dort hängen und die anderen Ebenen bleiben dir unbewußt. Obwohl die Arbeit auf diesen verdunkelten Ebenen weitergeht, aber außerhalb deines Bewußtseinsfeldes. Kämpfe nicht mit deinen Erinnerungen und Gedanken. Versuche nur die wichtigeren Fragen in dein Feld der Aufmerksamkeit zu ziehen, wie zum Beispiel: „Wer bin ich?“ „Wie geschah es, daß ich geboren wurde?“ „Woher kommt dieses Universum um mich herum?“ „Was ist wahr, und was ist vergänglich?“ Keine Erinnerung bleibt bestehen, wenn du das Interesse daran verlierst. Es ist die emotionale Verbindung, welche die Bindung aufrechterhält. Du bist immer auf der Suche nach Vergnügen, vermeidest Schmerz und suchst nur nach Glück und Frieden. Erkennst du nicht, daß es gerade deine Suche nach Glück ist, die dich unglücklich macht? Versuche es andersherum: Sei gleichgültig gegenüber Schmerz und Vergnügen, weder suchend noch ablehnend, und richte deine ganze Aufmerksamkeit auf die Ebene, auf der „Ich bin“ zeitlos gegenwärtig ist. Bald wirst du erkennen, daß Frieden und Glück in deiner Natur liegen und sie gestört werden, wenn du nur in bestimmten Bahnen danach suchst. Vermeide diese Störung, das ist alles. Es ist nicht nötig, danach zu suchen. Warum suchst du das, was du bereits hast? Du selbst bist Gott, die höchste Wahrheit. Für den Anfang vertraue mir, vertraue dem Lehrer! Das ermöglicht dir, den ersten Schritt zu machen. Und bald wird dein Vertrauen durch eigene Erfahrung gerechtfertigt. In jedem Lebensbereich ist anfängliches Vertrauen unerläßlich. Ohne Vertrauen läßt sich wenig tun. Jede Tat ist ein Akt des Vertrauens. Sogar dein tägliches Brot ißt du im Vertrauen.
Wenn du dich daran erinnerst, was ich dir gesagt habe, wirst du alles erreichen. Ich sage es dir noch einmal: Du bist die alles durchdringende und alles transzendierende Wahrheit. Verhalte dich entsprechend! Denke, fühle und handle im Einklang mit dem Ganzen, und die tatsächliche Erfahrung dessen, was ich sage, wird dir in kürzester Zeit klarwerden. Dazu ist keine besondere Anstrengung erforderlich. Hab Vertrauen und handle entsprechend! Bitte erkenne, daß ich nichts von dir fordere. Was ich sage, liegt in deinem eigenen Interesse, denn vor allem liebst du dich selbst und willst sicher und glücklich sein. Schäme dich nicht dafür, und leugne es nicht! Es ist natürlich und gut, sich selbst zu lieben. Nur solltest du genau erkennen, was du liebst. Es ist nicht der Körper, den du liebst, sondern das Leben, das Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Handeln, Lieben, Streben und Erschaffen. Es ist das Leben, das du liebst, das du bist und das alles ist. Erkenne es in seiner Ganzheit jenseits aller Trennung und Beschränkung, und alle deine Wünsche werden darin verschmelzen, denn das Größere enthält das Kleinere. Deshalb finde dich selbst! Denn wenn du das findest, dann findest du alles. Jeder ist glücklich, zu sein. Aber nur wenige erkennen die Fülle davon. Du erlangst es, indem du im Verstand bei „Ich bin“, „Ich erkenne“ und „Ich liebe“ verweilst, und zwar mit dem Willen, die tiefste Bedeutung dieser Worte zu erreichen.
F: Sollte ich denken „Ich bin Gott“?
M: Identifiziere dich nicht mit einer Vorstellung! Wenn du mit Gott das Unbekannte meinst, dann sage nur: „Ich weiß nicht, was ich bin.“ Und wenn du Gott so erkennst, wie du dich selbst erkennst, dann brauchst du es nicht zu sagen. Das Beste ist die einfache Empfindung: „Ich bin.“ Verweile geduldig darin, denn hier ist Geduld Weisheit. Denke nicht ans Scheitern, denn auf diesem Weg kann es kein Scheitern geben.
F: Aber meine Gedanken lassen es nicht zu.
M: Beachte sie nicht. Kämpfe nicht gegen sie. Tu einfach nichts dagegen, und laß sie sein, was immer sie auch sein mögen. Denn allein dadurch, daß du sie bekämpfst, gibst du ihnen Leben. Einfach nur ignorieren und hindurchschauen! Erinnere dich beständig daran: „Was auch immer passiert, es passiert, weil ich da bin.“ Alles erinnert dich daran, daß du da bist. Nutze die Tatsache vollkommen, daß du da sein mußt, um etwas zu erfahren. Du mußt nicht die Gedanken anhalten. Hör einfach auf, dich dafür zu interessieren, und dieses Desinteresse macht frei. Halte nichts fest, das ist alles. Die Welt besteht aus Schlingen, und die Haken kommen von dir. Begradige deine Haken, und nichts kann dich festhalten. Gib deine Abhängigkeiten auf, denn es gibt nichts anderes zum Aufgeben. Beende deine süchtige Begierde und die Gewohnheit, nach Ergebnissen zu suchen, und die Freiheit des Universums ist dein. Sei mühelos!
F: Das Leben ist doch Bemühung, denn es gibt so viele Dinge zu tun.
M: Was getan werden muß, das vollbringe. Wehre dich nicht dagegen! Dein Gleichgewicht muß dynamisch sein und darauf basieren, in jedem Moment genau das Richtige zu tun. Sei kein Kind, das nicht bereit ist, erwachsen zu werden! Gewohnheiten und Verhaltensmuster helfen dir nicht weiter. Verlaß dich ganz auf die Klarheit deiner Gedanken, die Reinheit deiner Motive und die Wahrhaftigkeit deines Handelns. Dann kannst du unmöglich etwas falsch machen. So geh darüber hinaus, und laß alles hinter dir!
F: Kann nichts Gutes übrigbleiben?
M: Du willst so etwas wie eine Ekstase rund um die Uhr. Solche Ekstasen kommen und gehen zwangsläufig, denn das menschliche Gehirn kann diese Anspannung nicht lange aushalten. Eine längere Ekstase wird dein Gehirn ausbrennen, es sei denn, du bist extrem rein und subtil. In der Natur ist nichts im Stillstand, denn alles pulsiert, erscheint und verschwindet. Herz, Atem, Verdauung, Schlafen und Wachen, Geburt und Tod, alles kommt und geht in Wellen. Rhythmen, Wiederholungen und harmonische Wechsel der Extreme sind die Regel. Es nützt nichts, gegen das eigentümliche Muster des Lebens anzukämpfen. Wenn du das Unwandelbare suchst, dann geh über (vergängliche) Erfahrung hinaus!
Wenn ich sage „Erinnere dich ständig an »Ich bin«!“, dann meine ich: „Komm immer wieder dahin zurück.“ Kein bestimmter Gedanke kann der natürliche Zustand des Verstandes sein, sondern nur Stille. Und zwar nicht die Vorstellung von Stille, sondern die Stille selbst. Wenn sich der Verstand in seinem natürlichen Zustand befindet, fällt er nach jeder Erfahrung spontan in die Stille zurück, oder besser gesagt, jede Erfahrung geschieht vor dem Hintergrund der Stille.
Was du nun hier gelernt hast, wird zu einem Samenkorn. Auch wenn du es zu vergessen scheinst, es wird leben und zu gegebener Zeit sprießen und wachsen, um Blüten und Früchte zu bringen. Alles wird von selbst geschehen. Du mußt nichts dafür tun, aber verhindere es nicht!
Fragender: Ich kam vor ein paar Monaten aus Europa zu einem meiner regelmäßigen Besuche bei meinem Guru in der Nähe von Kalkutta. Jetzt bin ich auf dem Weg zurück nach Hause, wurde von einem Freund eingeladen, dich kennenzulernen, und bin froh, daß ich hergekommen bin.
Maharaj: Was hast du von deinem Guru gelernt, und welcher Praxis bist du gefolgt?
F: Er ist ein ehrwürdiger alter Mann von etwa achtzig Jahren. Philosophisch ist er ein Vedantin, und die Praxis, die er lehrt, hat viel damit zu tun, die unbewußten Energien des Geistes zu wecken und die verborgenen Hindernisse und Blockaden ins Bewußtsein zu bringen. Mein persönliches Sadhana hing mit meinem besonderen Problem der frühen Kindheit zusammen. Meine Mutter konnte mir nicht das Gefühl von Geborgenheit und Liebe geben, das für die normale Entwicklung eines Kindes so wichtig ist. Sie war eine Frau, die nicht dazu geeignet war, Mutter zu sein. Sie war von Ängsten und Neurosen geplagt, unsicher in sich selbst und empfand mich als eine belastende Verantwortung, die sie nicht ertragen konnte. Sie wollte nicht, daß ich geboren wurde. Sie wollte nicht, daß ich wachse und mich entwickelte. Sie wünschte mich zurück in ihren Mutterleib, ungeboren und nichtexistent. Sie widersetzte sich jeder Bewegung des Lebens in mir und wehrte sich erbittert gegen jeden Versuch, über den engen Kreis ihrer gewohnten Existenz hinauszugehen. Als Kind war ich sowohl sensibel als auch liebebedürftig. Ich sehnte mich vor allem nach Liebe, aber die einfache instinktive Liebe einer Mutter zu ihrem Kind wurde mir verweigert. Die Suche des Kindes nach seiner Mutter wurde das Leitmotiv meines Lebens, aus dem ich nie herauskam. Ein glückliches Kind mit einer glücklichen Kindheit wurde für mich zur Besessenheit. Schwangerschaft, Geburt und Kindheit haben mich leidenschaftlich interessiert. So wurde ich ein angesehener Geburtshelfer und trug zur Entwicklung von Methoden zur schmerzfreien Geburt bei. Ein glückliches Kind einer glücklichen Mutter, das war mein ganzes Leben lang mein Ideal. Aber meine Mutter war immer dabei, selber unglücklich, unwillig und unfähig, mich glücklich zu sehen. Das manifestierte sich auf seltsame Weise. Wann immer ich mich schlecht fühlte, ging es ihr besser. Und als es mir gut ging, lag sie wieder am Boden und verfluchte sich selbst und auch mich. Als hätte sie mir das Verbrechen meiner Geburt nie verziehen, so gab sie mir ein schlechtes Gewissen, weil ich am Leben war. Ihre ständige, wenn auch stille Botschaft, war: „Du lebst, weil du mich haßt. Wenn du mich liebst, dann stirb.“ Und so verbrachte ich mein Leben damit, daß mir der Tod statt der Liebe angeboten wurde. Weil ich in meiner Mutter als immerwährendes Kind gefangen war, konnte ich auch keine sinnvolle Beziehung zu einer Frau aufbauen. Das Bild meiner Mutter stand immer dazwischen, unversöhnlich und unverzeihlich. So suchte ich Trost in meiner Arbeit und fand viel, aber konnte mich nie von dieser Kindheit befreien. Schließlich wandte ich mich der spirituellen Suche zu, und bin seit vielen Jahren kontinuierlich auf diesem Weg. Aber in gewisser Weise ist es immer noch die gleiche alte Suche nach der Liebe der Mutter, auch wenn wir sie Gott, Höchste Seele (Atman) oder die höchste Wahrheit nennen. Im Grunde möchte ich lieben und geliebt werden.
Leider sind die sogenannten „religiösen Menschen“ oft gegen das Leben und alles, was dem (lebendigen) Geist dient. Wenn sie mit den Anforderungen und Bedürfnissen des Lebens konfrontiert werden, dann reagieren sie mit Klassifizierung, Abstraktion und Konzeptualisierung und machen schließlich die Klassifizierung wichtiger als das Leben selbst. Sie verlangen, sich auf ein Konzept zu konzentrieren und es nachzuahmen. Statt der spontanen Integration durch Liebe empfehlen sie eine bewußte und mühsame Konzentration auf eine Formel. Ob es Gott oder die Höchste Seele ist, das Ich oder der Andere, es kommt immer auf das Gleiche hinaus, nämlich etwas, worüber man nachdenken muß, und nicht jemand, den man lieben kann. Deshalb suche ich keine Theorien und Systeme, von denen es so viele gibt, die gleichermaßen attraktiv oder plausibel sind. Ich brauche eine Bewegung des Herzens und eine Erneuerung des Lebens, und keine neue Denkweise. Es gibt eigentlich auch keine neuen Denkweisen, aber Empfindungen können immer neu sein. Wenn ich jemanden liebe, dann meditiere ich spontan und kraftvoll über ihn, mit Wärme und Kraft, die mein Verstand nicht begreifen kann. Worte sind gut, um Empfindungen zu formen. Worte ohne Empfindung sind wie Kleider ohne Körper, kalt und leblos. Meine Mutter hat mich all dieser Empfindungen beraubt, und meine Quelle ist vertrocknet. Kann ich hier den Reichtum und die Fülle an Empfindungen wiederfinden, die ich als Kind so sehr gebraucht hätte?
M: Wo ist hier und jetzt deine Kindheit? Und was ist deine Zukunft?
F: Ich wurde doch geboren, bin aufgewachsen und werde sterben.
M: Du meinst natürlich deinen Körper und Verstand. Doch ich spreche nicht von deiner Physiologie und Psychologie, die ein Teil der Natur sind und den Naturgesetzen unterliegen. Ich spreche von deiner Suche nach Liebe. Hatte sie einen Anfang? Wird sie ein Ende haben?
F: Das kann ich wirklich nicht sagen. Sie ist da, vom ersten bis zum letzten Moment meines Lebens. Diese Sehnsucht nach Liebe ist so beständig wie hoffnungslos!
M: Was genau suchst du bei deiner Suche nach Liebe?
F: Ganz einfach: Zu lieben und geliebt zu werden.
M: Meinst du eine Frau?
F: Nicht unbedingt. Ein Freund, ein Lehrer, ein Führer - solange nur die Empfindung hell und klar ist. Natürlich ist eine Frau die übliche Antwort, aber es muß nicht die einzige Antwort sein.
M: Was würdest du von beiden bevorzugen, zu lieben oder geliebt zu werden?
F: Ich hätte lieber beides. Aber ich kann erkennen, daß zu lieben größer, edler und tiefer ist. Geliebt zu werden ist süß, aber es läßt einen nicht wachsen.
M: Kann man aus eigener Kraft lieben, oder muß man dazu einen Beweggrund haben?
F: Natürlich muß man jemanden treffen, der liebenswert ist. Meine Mutter war nicht nur lieblos, sondern auch nicht liebenswert.
M: Was macht einen Menschen liebenswert? Ist es nicht das Dasein der Liebe? Zuerst liebt man, und dann sucht man nach Beweggründen.
F: Es kann auch umgekehrt sein. Du liebst etwas, weil es dich glücklich macht.
M: Aber was macht dich glücklich?
F: Dafür gibt es keine Regel. Die ganze Angelegenheit ist höchst individuell und unvorhersehbar.
M: Richtig! Wie auch immer du es ausdrückst: Ohne zu lieben, gibt es kein Glück. Aber macht dich die Liebe immer glücklich? Ist nicht die Verbindung von Liebe und Glück mehr ein unreifes und kindliches Stadium? Wenn der Geliebte leidet, leidest du dann nicht auch? Und hörst du auf zu lieben, weil du leidest? Müssen Liebe und Glück immer gemeinsam kommen und gehen? Ist denn Liebe nur die Erwartung von Glück?
F: Natürlich nicht. In der Liebe kann es viel Leid geben.
M: Was ist dann Liebe? Ist es nicht eher ein Zustand des Daseins als ein Zustand des Verstandes? Muß du wissen, daß du liebst, um zu lieben? Hast du deine Mutter nicht unbewußt geliebt? Ist dein Wunsch nach ihrer Liebe, nach einer Möglichkeit, sie zu lieben, nicht ein Ausdruck der Liebe? Ist die Liebe nicht genauso ein Teil von dir wie das Bewußtsein deines Daseins? Du suchst die Liebe deiner Mutter, weil du sie liebst.
F: Aber sie läßt mich nicht!
M: Doch sie kann dich auch nicht aufhalten.
F: Warum bin ich dann mein ganzes Leben lang unglücklich gewesen?
M: Weil du nicht bis zur Wurzel deines Daseins vorgedrungen bist. Es ist deine große Unwissenheit über dich selbst, die deine Liebe und dein Glück verdeckt und dich nach dem suchen läßt, was du nie verloren hast. Die Liebe ist ein Wille, nämlich der Wille, sein Glück mit allen zu teilen. Glücklich zu sein und glücklich zu machen, das ist der Rhythmus der Liebe.
Fragender: Ich muß gestehen, daß ich heute in einer rebellischen Stimmung hierhergekommen bin, denn ich wurde im Büro der Fluggesellschaft schlecht behandelt, und in solchen Situationen erscheint alles zweifelhaft und nutzlos.
Maharaj: Das war eine sehr nützliche Situation. Du zweifelst an allem, lehnst alles ab und bist nicht bereit, durch andere zu lernen. Sind das nun die Früchte deines langen Sadhana? Man kann schließlich nicht immer nur studieren.
F: Genug davon! Es hat mich nirgendwohin gebracht.
M: Sag nicht „nirgendwohin“. Es hat dich dorthin gebracht, wo du bist, und zwar hier und jetzt.
F: Es ist immer noch das Kind mit seinen Wutanfällen. Ich habe mich wohl keinen Zentimeter von dort entfernt, wo ich war.
M: Du hast als Kind begonnen und wirst als Kind enden. Alles, was du dir in der Zwischenzeit angeeignet hast, mußt du wieder verlieren und ganz von vorn beginnen.
F: Aber das Kind schlägt um sich. Denn wenn es unzufrieden ist oder etwas nicht bekommt, dann schlägt es um sich.
M: Laß es um sich schlagen! Schau dir nur die Schläge an. Und wenn du zu viel Angst vor der Gesellschaft hast, um überzeugend um dich zu schlagen, dann schau dir auch das an. Ich weiß, daß es ein schmerzhafter Vorgang ist. Aber es gibt kein Heilmittel, außer dem einen, daß die Suche nach Heilmitteln aufhören muß. Wenn du wütend bist oder Schmerzen hast, dann ziehe dich von Wut und Schmerz zurück und beobachte sie. Zurückziehung ist der erste Schritt zur Befreiung. Trete zurück und beobachte! Die körperlichen Ereignisse werden weiterhin passieren, aber für sich betrachtet haben sie keine Bedeutung. Es kommt allein auf den Verstand an. Was auch immer passiert, du solltest im Büro einer Fluggesellschaft oder einer Bank nicht um dich schlagen und schreien. Die Gesellschaft erlaubt das nicht. Wenn dir ihre Regeln nicht gefallen oder du nicht bereit bist, sie zu ertragen, dann fliege nicht und trage kein Geld dahin. Geh zu Fuß, und wenn du nicht gehen kannst, dann laß das Reisen sein. Wenn du mit einer Gesellschaft umgehst, dann mußt du ihre Wege akzeptieren, denn ihre Wege werden deine Wege. Deine Bedürfnisse und Ansprüche hast du selbst geschaffen. Und deine Wünsche sind so kompliziert und widersprüchlich, daß es kein Wunder ist, daß die selbstgeschaffene Gesellschaft ebenfalls so kompliziert und widersprüchlich ist.
F: Ich erkenne und gebe zu, daß das äußerliche Chaos lediglich eine Widerspiegelung meiner eigenen innerlichen Disharmonie ist. Aber was ist das Heilmittel?
M: Suche keine Heilmittel!
F: Nur manchmal befindet man sich in einem „Zustand der Gnade“ und das Leben ist glücklich und harmonisch. Aber ein solcher Zustand ist nicht von Dauer. Die Stimmung ändert sich, und alles läuft schief.
M: Wenn du nur ruhig bleibst und dich von Erinnerungen und Erwartungen fernhältst, dann kannst du das schöngeordnete Muster der Ereignisse erkennen. Es ist deine Unruhe, die das Chaos verursacht.
F: Die ganzen drei Stunden, die ich im Büro der Fluggesellschaft verbrachte, habe ich Geduld und Nachsicht geübt. Doch das hat die Sache nicht beschleunigt.
M: Zumindest hat es nichts verlangsamt, was dein Umsichschlagen sicherlich getan hätte. Du willst unverzügliche Ergebnisse! Doch wir können hier keine Wunder geben. Jeder macht den gleichen Fehler: Er verweigert die Mittel, aber will das Ergebnis. Du willst Frieden und Harmonie in der Welt, aber weigerst dich, sie in sich selbst zu haben. Folge konsequent meinem Rat, und du wirst nicht enttäuscht sein. Ich kann dein Problem nicht mit bloßen Worten lösen. Du mußt das tun, was ich dir gesagt habe, und durchhalten. Nicht der richtige Rat befreit, sondern die darauf folgende Tat. Wie ein Arzt nach einer Spritze dem Patienten sagt „Nun bleib ruhig. Tu nichts anderes, bleib einfach still!“, so spreche auch ich zu dir: Du hast deine „Spritze“ bekommen, und jetzt bleib ruhig, einfach still. Du hast nichts anderes zu tun. Dasselbe tat auch mein Guru. Er erzählte mir immer etwas und sagte dann: „Jetzt sei still, und grüble nicht ständig weiter. Halt ein und schweig!“
F: Ich kann morgens eine Stunde lang stillbleiben. Doch der Tag ist lang, und es passieren viele Dinge, die mich aus dem Gleichgewicht bringen. So ist es leicht zu sagen: „Sei still.“ Aber still zu sein, wenn alles in mir und um mich herum in Aufregung ist: Wie soll das gehen?
M: Alles, was getan werden muß, kann in Frieden und Stille erledigt werden. Es besteht kein Grund, sich aufzuregen.
F: Das ist doch alles Theorie, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Ich kehre nun nach Europa zurück und habe dort nichts zu tun. Mein Leben ist völlig sinnlos.
M: Wenn du nur versuchen würdest, still zu sein, dann würde alles von selbst kommen, die Arbeit, die Kraft zur Arbeit und das richtige Motiv. Mußt du im Voraus alles wissen? Mach dir keine Sorgen um deine Zukunft! Sei im Jetzt still, und dann wird alles wie von selbst passieren. Denn das Unerwartete wird zwangsläufig passieren, während das Erwartete möglicherweise nie eintritt. Beschwere dich nicht, daß du deine Natur nicht beherrschen kannst. Du mußt sie nicht beherrschen. Wirf alles über Bord! Besitze keine Natur, gegen die du kämpfen oder der du dich unterwerfen könntest. Keine Erfahrung wird dir schaden, solange du sie nicht zur eigenen Gewohnheit machst. Du selbst bist die subtile Ursache des gesamten Universums. Alles ist, weil du da bist. Erfasse diesen Punkt fest und tief, und verweile immer wieder darin. Dies als vollkommen wahr zu erkennen, ist Befreiung.
F: Wenn ich der Samen meines Universums bin, dann bin ich ein fauler Samen! Denn an der Frucht erkennt man den Samen.
M: Was stimmt mit deiner Welt nicht, daß du sie verfluchst?
F: Sie ist voller Leiden.
M: Die Natur ist weder glücklich noch leidvoll, sondern reine Intelligenz und Schönheit. Glück und Leid existieren nur im Verstand. Ändere deine Wertvorstellung, und alles wird sich ändern. Glück und Leid sind nur Störungen der Sinne. Behandle sie gleich, und es wird nur Glückseligkeit geben. Denn die Welt ist, was du daraus machst. So mach sie in jeder Hinsicht glückselig! Nur Zufriedenheit kann glückselig machen, während erfüllte Wünsche immer mehr Wünsche erzeugen. Sich von allen Wünschen fernzuhalten und sich mit dem zufriedengeben, was von selbst kommt, ist ein sehr fruchtbarer Zustand und die Voraussetzung für den Zustand der Fülle. Laß dich nicht von der scheinbaren Sterilität und Leere (der Wunschlosigkeit) irreführen! Glaube mir: Es ist die Erfüllung der Wünsche, die das Leiden hervorbringt. Und die Freiheit von Wünschen ist Glückseligkeit.
F: Es gibt aber auch Dinge, die wir brauchen.
M: Was du brauchst, wird von selbst zu dir kommen, solange du nicht das wünschst, was du (in Wahrheit) nicht brauchst. Doch nur wenige Menschen erreichen diesen Zustand völliger Loslösung und Leidenschaftslosigkeit. Das ist ein sehr hoher Zustand, und die eigentliche Schwelle zur Befreiung.
F: Die letzten zwei Jahre waren für mich sinnlos, trostlos und leer, und oft habe ich um den Tod gebetet.
M: Nun, mit deinem Hierherkommen hast du Ereignisse ins Rollen gebracht. Laß es so geschehen, wie es geschieht, und am Ende wird es sich zum Guten fügen. Du brauchst dich nicht um die Zukunft bemühen, denn die Zukunft wird von selbst zu dir kommen. Du wirst noch einige Zeit schlafwandeln, wie du es jetzt tust, ohne Sinn und Gewißheit. Doch diese Zeit wird vergehen und du wirst feststellen, daß deine Arbeit sowohl sinnvoll als auch mühelos ist. Es gibt immer Momente, in denen man sich leer und entfremdet fühlt. Doch solche Momente sind höchst wünschenswert, denn sie bedeuten, daß die Seele ihre Anker lichtet und zu fernen Reichen segelt. Das ist die Loslösung, wenn das Alte vorbei ist und das Neue noch nicht gekommen ist. Wenn du Angst hast, kann dieser Zustand beunruhigend sein. Aber es gibt in Wahrheit nichts, wovor man Angst haben müßte. Denke an den Rat: Was auch immer dir begegnet, geh darüber hinaus.
F: Die Regel des Buddha lautet: Erinnere dich an das, woran du dich erinnern mußt! Aber es fällt mir so schwer, mich im richtigen Moment an das Richtige zu erinnern. Bei mir scheint eher das Vergessen die Regel zu sein.
M: Es ist nicht leicht, sich zu erinnern, wenn jede Situation einen Sturm von Begierden und Ängsten hervorruft. Denn das aus der Erinnerung geborene Begehren verdeckt auch die Erinnerung.
F: Wie kann ich dieses Begehren bekämpfen? Es gibt wohl nichts Stärkeres.
M: Das Wasser des Lebens donnert (wie ein Wasserfall) über die Felsen der Objekte, seien sie begehrenswert oder abstoßend. Entferne diese Felsen durch Einsicht und Loslösung, und dasselbe Wasser wird tief, still und schnell dahinfließen, in größerer Breite und mit größerer Kraft. Geh dabei nicht theoretisch vor, sondern gib dir Zeit zum Nachsinnen und Vertiefen. Wenn du frei sein willst, dann vernachlässige nicht den nächstnötigen Schritt zur Freiheit. Es ist wie beim Bergsteigen: Kein Schritt darf fehlen. Ein Schritt zu wenig, und der Gipfel wird nicht erreicht.
Fragender: Vor einigen Tagen diskutierten wir über die Person, den Zeugen und das Absolute (Vyakti-Vyakta-Avyakta). Soweit ich mich erinnere, hast du gesagt, daß nur das Absolute wahr ist und der Zeuge nur an einem bestimmten Punkt von Raum und Zeit absolut sei. Die Person ist der grob- und feinstoffliche Organismus, der durch die Gegenwart des Zeugen erleuchtet (bzw. bewußt) wird. Doch ich scheine das alles noch nicht klar zu verstehen. Könnten wir es noch einmal besprechen? Du verwendest hier auch die Begriffe Mahadakash, Chidakash und Paramakash. In welcher Beziehung stehen sie zur Person, zum Zeugen und zum Absoluten?
Maharaj: Mahadakash (Großer Raum) ist die Natur, der Ozean der Existenzen und der physische Raum mit allem, was durch die Sinne berührt werden kann. Chidakash (Raum des Bewußtseins) ist die Weite des Gewahrseins, der geistige Raum der Zeit, Wahrnehmung und Erkenntnis. Paramakash (Höchster Raum) ist die zeit- und raumlose Wahrheit, unverständlich, undifferenziert, unendliches Potential, Quelle und Ursprung, Substanz und Essenz, sowohl Materie als auch Bewußtsein, und doch jenseits von beidem. Er kann nicht wahrgenommen werden, aber erfahren werden, als ewiges Bezeugen des Zeugens, als Wahrnehmung des Wahrnehmenden, als Ursprung und Ende jeglicher Verkörperung, als Wurzel von Zeit und Raum und als allererste Ursache in jeder Kette von Ursache und Wirkung.
F: Was ist der Unterschied zwischen Vyakta (das Überpersönliche oder Selbst) und Avyakta (das Unpersönliche bzw. reines Dasein)?
M: Da gibt es eigentlich keinen Unterschied. Es ist wie reines Licht und Tageslicht. Das Universum ist voller Licht, das du nicht siehst, aber es ist das gleiche Licht, das du als Tageslicht wahrnimmst. Und was das Tageslicht offenbart, ist die Vyakti (das Persönliche bzw. die Person). Die Person ist immer das Objekt, der Zeuge ist das Subjekt und ihre Beziehung der gegenseitigen Abhängigkeit ist die Widerspiegelung ihrer absoluten Identität (bzw. Einheit). Du stellst dir vor, daß es sich um unterschiedliche und getrennte Zustände handelt. Doch das sind sie nicht. Sie sind dasselbe Bewußtsein in Ruhe und in Bewegung, wobei sich jeder Zustand des anderen bewußt ist. Im Bewußtsein (Chit) kennt der Mensch Gott, und Gott kennt den Menschen. Im Bewußtsein formt der Mensch die Welt, und die Welt formt den Menschen. Bewußtsein ist das Bindeglied und die Brücke zwischen den Extremen, der ausgleichende und verbindende Faktor in jeder Erfahrung. Die Gesamtheit des Wahrgenommenen ist das, was du Materie nennst. Und die Gesamtheit aller Wahrnehmenden ist das, was du den universalen Geist nennst. Die Identität der beiden, die sich in Wahrnehmbarkeit und Wahrnehmung, Harmonie und Intelligenz, sowie Liebenswürdigkeit und Liebe manifestiert, bestätigt sich in Ewigkeit.
F: Gibt es die drei Gunas von Sattwa, Rajas und Tamas (die drei Grundqualitäten von Harmonie, Leidenschaft und Trägheit) nur in der Materie oder auch im Geist?
M: In beiden natürlich, weil die beiden nicht getrennt sind. Es ist nur das Absolute, das jenseits der Gunas ist. Tatsächlich handelt es sich bei ihnen nur um Standpunkte und Betrachtungsweisen, die lediglich im Verstand existieren, und jenseits des Verstandes verschwinden alle Unterscheidungen.
F: Ist das Universum ein Produkt der Sinne?
M: Wie du beim Aufwachen deine Welt neu erschaffst, so entfaltet sich auch das Universum. Der Verstand mit seinen fünf Sinnesorganen, fünf Handlungsorganen (Hände, Füße, Mund, Anus und Genital) und fünf Trägern des Bewußtseins (bzw. fünf Elemente von Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum) erscheint als Erinnerung, Denken, Vernunft und Selbstheit (bzw. Ich-Bewußtsein).
F: Die Wissenschaft hat große Fortschritte gemacht. Wir verstehen Körper und Geist viel besser als unsere Vorfahren. Deine traditionelle Art, Geist und Materie zu beschreiben und zu analysieren, ist nicht mehr gültig.
M: Doch wo sind deine Wissenschaftler mit ihren Wissenschaften? Sind das nicht auch wieder Vorstellungen in deinem Verstand?
F: Hier liegt der grundlegende Unterschied! Für mich sind es nicht meine eigenen Projektionen. Sie waren schon vor meiner Geburt da und werden noch da sein, wenn ich tot bin.
M: Natürlich! Sobald du Zeit und Raum als etwas Wahres akzeptierst, wirst du dich selbst als klein und kurzlebig betrachten. Aber sind sie wirklich wahr? Bist du von ihnen abhängig, oder sind sie von dir abhängig? Als Körper bist du im Raum, und als Verstand bist du in der Zeit. Aber bist du wirklich nur ein Verstand in einem Körper? Hast du darüber schon einmal nachgedacht?
F: Ich hatte weder das Motiv noch die Methode dazu.
M: Ich lege dir beides dar. Aber die eigentliche Arbeit der Einsicht und Loslösung (Viveka-Vairagya) liegt bei dir.
F: Das einzige Motiv, das ich wahrnehmen kann, ist mein eigenes ursachenloses und zeitloses Glück. Und was ist die Methode?
M: Glück ist zufällig. Das wahrhaft wirksame Motiv wäre die Liebe. Du siehst die Menschen leiden und suchst nach dem besten Weg, ihnen zu helfen. Die Antwort liegt auf der Hand: Zuerst mußt du selbst über die Hilfebedürftigkeit hinauskommen. Vergewissere dich, daß deine Haltung ein reiner guter Wille ist, frei von Erwartungen jeglicher Art. Wer lediglich Glück sucht, kann in überheblicher Gleichgültigkeit enden, während die Liebe niemals ruht. Und was die Methode betrifft, gibt es nur eine: Du mußt dich selbst erkennen lernen, sowohl das, was du zu sein scheinst, als auch das, was du bist. Klarheit und Nächstenliebe (bzw. Weisheit und Mitgefühl) gehören zusammen, und eines braucht und stärkt jeweils das andere.
F: Mitgefühl setzt aber die Existenz einer objektiven Welt voraus, in der alles Leiden vermeidbar ist.
M: Die Welt ist weder objektiv, noch ist ihr Leiden vermeidbar. Mitgefühl ist nur ein anderes Wort für die Weigerung, aus eingebildeten (illusorischen) Gründen zu leiden.
F: Wenn die Gründe nur eingebildet sind, warum sollte das Leiden dann unvermeidbar sein?
M: Es ist immer das Falsche (Illusorische), das dich leiden läßt, die falschen Wünsche und Ängste, die falschen Werte und Vorstellungen, sowie die falschen Beziehungen zwischen Menschen. Gib das Falsche auf und du bist frei vom Leiden! Wahrheit macht glückselig, und Wahrheit befreit.
F: Die Wahrheit ist, daß ich ein Verstand bin, der in einem Körper gefangen ist, und das ist eine sehr unglückliche Wahrheit.
M: Du bist weder der Körper noch im Körper, denn so etwas wie einen Körper gibt es (in Wahrheit) gar nicht. Du hast dich selbst völlig mißverstanden. Um es wahrhaft zu erkennen, untersuche es!
F: Aber ich wurde als Körper geboren, lebe in einem Körper und werde als Verkörperter mit dem Körper sterben.
M: Eben das ist dein Mißverständnis! Hinterfrage, untersuche und zweifle an dir selbst und anderen. Um die Wahrheit zu finden, darfst du nicht an deinen Überzeugungen festhalten. Wenn du vom Weltlichen überzeugt bist, wirst du niemals das Höchste erreichen. Deine Vorstellung, daß du geboren wurdest und sterben wirst, ist absurd und steht im Widerspruch sowohl der Logik als auch der (direkten) Erfahrung.
F: Gut, ich werde nicht darauf bestehen, daß ich der Körper bin. Damit hast du wohl recht. Aber hier und jetzt, während ich mit dir spreche, bin ich offensichtlich in meinem Körper. Ich bin vielleicht nicht der Körper, aber er gehört mir.
M: Das gesamte Universum trägt ständig zu deiner Existenz bei. Daher ist das gesamte Universum dein Körper, und in diesem Sinne stimme ich dir zu.
F: Mein Körper beeinflußt mich zutiefst, und in vielerlei Hinsicht ist mein Körper mein Schicksal. Mein Charakter, meine Stimmungen, die Art meiner Reaktionen, meine Wünsche und Ängste, seien sie angeboren oder erworben, sie alle basieren auf dem Körper. Ein bißchen Alkohol oder ähnliche Drogen, und alles verändert sich. Und bis die Wirkung der Droge nachläßt, bin ich ein anderer Mensch.
M: Das alles geschieht, weil du denkst, du seist der Körper. Erkenne dein wahres Selbst, und sogar Drogen werden keine Macht mehr über dich haben.
F: Rauchst du?
M: Mein Körper hat ein paar Gewohnheiten beibehalten, die er bis zu seinem Tod behalten kann, denn sie schaden niemandem.
F: Ißt du auch Fleisch?
M: Ich wurde unter fleischessenden Menschen geboren, und auch meine Kinder essen Fleisch. Ich esse sehr wenig davon, und mache kein Problem daraus.
F: Fleischessen bedeutet aber Töten.
M: Offensichtlich! Doch ich erhebe keinen Anspruch auf irgendein Ideal. Wenn du glaubst, daß ein absolutes Ideal möglich sei, dann beweise es an deinem eigenen Beispiel. Predige nicht, was du selbst nicht lebst! - Doch zurück zur Vorstellung, geboren worden zu sein. Du klebst an dem, was dir deine Eltern erzählt haben, nämlich alles über Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt, Säugling, Kind, Jugendlicher, Erwachsener und so weiter. Nun befreie dich von der Vorstellung, daß du der Körper bist, und nutze dazu die gegenteilige Vorstellung, daß du nicht dieser Körper bist. Das ist zweifellos auch eine Vorstellung. Deshalb behandle sie wie etwas, das du nach getaner Arbeit aufgeben mußt. Denn die Vorstellung, daß ich nicht der Körper bin, verleiht dem Körper immer noch eine Wirklichkeit, obwohl es in Wahrheit gar keinen Körper gibt, sondern nur einen entsprechenden Zustand des Verstandes. Du kannst so viele unterschiedliche Körper haben, wie du willst, doch sei dir immer bewußt, was du (in Wahrheit) willst, und lehne das Unvereinbare ab.
F: Ich bin wie eine Kiste in einer Kiste, die wiederum in einer Kiste ist. Die äußere Kiste fungiert als Körper und die innere als innewohnende (individuelle) Seele. Wenn man die äußere Kiste wegdenkt, wird die nächste zum Körper und die nächstinnere Kiste wiederum zur Seele. Das ist ein unendliches Spiel, ein endloses Öffnen von Kisten. Ist die letzte die Höchste Seele?
M: Wenn du einen Körper hast, dann mußt du auch eine Seele haben. Diesbezüglich gilt dein Vergleich mit den verschachtelten Kisten. Aber hier und jetzt strahlt das Gewahrsein durch alle deine Körper und Seelen, das reine Licht des Bewußtseins. Daran halte unbeirrt fest! Ohne Gewahrsein könnte der Körper keine Sekunde existieren. Im Körper gibt es einen Strom aus Energie, Zuneigung und Intelligenz, der den Körper leitet, erhält und mit Energie versorgt. Entdecke diesen Strom und bleib dabei! Natürlich sind das alles Redewendungen. Worte sind ebenso ein Hindernis, wie sie auch eine Brücke sein können. Finde den Funken des Lebens, der das Gewebe deines Körpers webt, und bleib dabei, denn das ist die einzige Wahrheit, die der Körper hat.
F: Was geschieht mit diesem Lebensfunken nach dem Tod?
M: Er ist jenseits der Zeit, und Geburt und Tod sind nur Punkte in der Zeit. Das Leben webt ewig seine vielfältigen Netze. Das Weben geschieht in der Zeit, aber das Leben selbst ist zeitlos. Welchen Namen und welche Gestalt man seinen Ausdrucksformen auch immer gibt, das Leben selbst ist wie das Meer, das unveränderlich da ist, aber sich ständig (in seinen Wellen bzw. Formen) verändert.
F: Alles, was du sagst, klingt wunderbar und überzeugend. Dennoch bleibt mein Gefühl, nur eine Person in einer seltsamen und fremden Welt zu sein, die oft feindselig und gefährlich ist. Wie kann ich als räumlich und zeitlich begrenzte Person mich selbst als das Gegenteil erkennen, als ein entpersonalisiertes und universalisiertes Bewußtsein von nichts Besonderem?
M: Du behauptest, etwas zu sein, was du nicht bist, und verweigerst dir selbst, das zu sein, was du bist. Du verleugnest das Element der reinen Erkenntnis, des reinen Gewahrseins, frei von allen persönlichen Verzerrungen. Solange du dir nicht die Wahrheit des Gewahrseins (Chit) eingestehst, wirst du dich selbst niemals erkennen.
F: Was soll ich tun? Ich sehe mich nicht so, wie du mich siehst. Vielleicht hast du Recht und ich habe Unrecht, aber wie kann ich aufhören, das zu sein, was ich zu sein fühle?
M: Ein Prinz, der glaubt, ein Bettler zu sein, kann nur auf eine Weise grundlegend überzeugt werden: Er muß sich wie ein Prinz verhalten und beobachten, was passiert. Deshalb verhalte dich so, als ob das, was ich dir sage, wahr wäre, und beurteile dann, was tatsächlich passiert. Alles, was ich verlange, ist dieses kleine Vertrauen, das nötig ist, um den ersten Schritt zu tun. Dann wächst mit der (direkten) Erfahrung das Selbstvertrauen, und danach wirst du mich nicht mehr brauchen. Ich weiß, was du bist, und ich sage es dir. Vertrau mir nur eine Weile!
F: Um hier und jetzt zu sein, brauche ich doch meinen Körper und seine Sinne, und um dich zu verstehen, brauche ich den Verstand.
M: Körper und Verstand sind nur Erscheinungen der Unwissenheit und Mißverständnisse. Benimm dich, als wärst du reines Gewahrsein, ohne Körper und Verstand, ohne Raum und Zeit, jenseits von „wo, wann und wie“. Bleib dabei, denke darüber nach und lerne, diese Wahrheit zu akzeptieren. Lehne sie nicht ab und leugne sie nicht ständig. Sei zumindest aufgeschlossen! Yoga bedeutet, das Äußere nach innen zu führen. Laß deinen Körper und Verstand ein Ausdruck der Wahrheit sein, welche alles ist und über alles hinausgeht. Durch Verwirklichung wirst du erfolgreich sein, nicht durch Argumente.
F: Laß mich noch einmal auf meine erste Frage zurückzukommen: Wie entsteht der Fehler (bzw. die Illusion), eine Person zu sein?
M: Das Absolute ist vor der Zeit da. Zuerst kommt das Gewahrsein. Dann zieht ein Bündel von Erinnerungen und geistigen Gewohnheiten die Aufmerksamkeit an sich, das Gewahrsein wird fokussiert und plötzlich erscheint eine Person. Entferne dieses Licht des Gewahrseins, schlaf ein oder falle in Ohnmacht, und die Person verschwindet. Die Person (Vyakti) flackert (kommt und geht), das Gewahrsein (Vyakta) enthält allen Raum und alle Zeit, und das Absolute (Avyakta) ist da.
Fragender: Was ist dein Zustand im gegenwärtigen Moment?
Maharaj: Ein Zustand der Nicht-Erfahrung, in dem alle Erfahrungen enthalten sind.
F: Kannst du in den Verstand und das Herz eines anderen Menschen eintreten und seine Erfahrungen teilen?
M: Nein, denn so etwas erfordert ein spezielles Training. Ich bin wie ein Weizenhändler, der wenig über Brot und Kuchen weiß. Ich kenne wohl nicht einmal den Geschmack eines Weizenbreis. Doch über das Weizenkorn weiß ich alles, und kenne die Quelle aller Erfahrung. Aber die unzähligen besonderen Formen, welche die Erfahrung annehmen kann, kenne ich nicht. Und ich muß sie auch gar nicht kennen. Denn in jedem Moment weiß ich irgendwie das Wenige, das ich wissen muß, um mein Leben zu leben.
F: Existieren deine besondere Existenz und meine besondere Existenz beide im Geist von Brahma (dem Schöpfergott)?
M: Das Universale ist sich des Besonderen (bzw. Getrennten) nicht bewußt. Die Existenz als Person ist eine persönliche Angelegenheit. Eine Person existiert in Zeit und Raum, hat Name und Form sowie Anfang und Ende. Das Universale umfaßt alle Personen, und das Absolute ist die Wurzel von allem und auch jenseits von allem.
F: Es geht mir nicht um das Universale als Ganzheit. Was ist die Verbindung zwischen meinem persönlichen Bewußtsein und deinem persönlichen Bewußtsein?
M: Was kann die Verbindung zwischen zwei Träumern sein?
F: Sie träumen vielleicht voneinander.
M: Ja, das ist es, was die Menschen tun. Jeder stellt sich die „Anderen“ vor und sucht eine Verbindung zu ihnen. Der Suchende selbst ist die Verbindung, es gibt keine andere.
F: Sicherlich muß es zwischen den vielen Zentren des Bewußtseins, die wir sind, etwas Gemeinsames geben.
M: Wo sind die vielen Zentren? In deiner Vorstellung. Du bestehst darauf, daß deine Welt unabhängig von deinem Verstand existiert. Wie kann das sein? Dein Wunsch, den Verstand anderer Menschen kennenzulernen, beruht darauf, daß du deinen eigenen Verstand nicht kennst. Erkenne zuerst deinen eigenen Verstand, und du wirst feststellen, daß sich die Frage nach dem Verstand der „Anderen“ überhaupt nicht stellt, weil es keine anderen Menschen gibt. Du selbst bist der gemeinsame Faktor, die einzige Verbindung zwischen jedem Verstand. Dasein ist Bewußtsein, und dieses „Ich bin“ gilt für alle.
F: Ja, die Höchste Wahrheit (Parabrahman) mag in uns allen gegenwärtig sein. Aber welchen Nutzen hat das für uns?
M: Du bist wie ein Mann, der sagt: „Ich brauche nur einen Ort, wo ich meine Sachen aufbewahren kann. Doch welchen Nutzen hat der ganze Raum für mich?“ oder „Ich brauche Milch, Tee, Kaffee oder Soda, aber für Wasser habe ich keine Verwendung.“ Erkennst du nicht, daß die Höchste Wahrheit alles möglich macht? Aber wenn du fragst, welchen Nutzen sie für dich hat, dann muß ich antworten: „Keinen!“ Denn in Angelegenheiten des täglichen Lebens hat der Kenner der Wahrheit keinen Vorteil. Er könnte sogar im Nachteil sein, denn frei von Gier und Angst, beschützt er sich nicht. Schon die Vorstellung von Gewinn ist ihm fremd, und er verabscheut jede Anhäufung. Sein Leben besteht darin, sich ständig loszulassen, zu verteilen und zu geben.
F: Wenn es keinen Nutzen bringt, das Höchste zu erreichen, warum sollte man sich dann diese Mühe machen?
M: Mühe gibt es nur, wenn man sich an etwas festhält. Wenn du dich an nichts festhältst, dann entsteht keine Mühe. Das Aufgeben des Kleineren ist der Gewinn des Größeren. So gib alles auf, und du gewinnst alles! Dann wird das Leben zu dem, was es sein sollte, nämlich ein reines Strahlen aus einer unerschöpflichen Quelle. In diesem Licht erscheint die Welt nur noch schemenhaft wie ein Traum.
F: Wenn meine Welt nur ein Traum ist und du ein Teil davon bist, was kannst du dann für mich tun? Wenn der Traum nicht wahr ist und kein Dasein hat, wie kann ihn die Wahrheit dann beeinflussen?
M: Solange er andauert, hat der Traum eine vergängliche Existenz. Es ist dein Wunsch, daran festzuhalten, der das Problem erzeugt. Laß los, und hör auf, dir vorzustellen, daß der Traum dir gehört!
F: Du scheinst davon auszugehen, daß es einen Traum ohne Träumer geben kann und daß ich mich selbst aus eigenem Antrieb mit dem Traum identifiziere. Aber ich bin der Träumer und auch der Traum. Wer soll mit dem Träumen aufhören?
M: Laß den Traum sich bis zu seinem Ende entfalten! Du kannst nichts dagegen tun. Aber du kannst den Traum als einen Traum beobachten und ihm das Siegel der Wahrheit verweigern.
F: Ich bin hier und sitze vor dir. Ich träume, und du siehst mir zu, wie ich in meinem Traum rede. Was verbindet uns beide?
M: Meine Absicht, dich aufzuwecken, ist die Verbindung. Mein Herz möchte, daß du erwachst. Ich sehe, wie du in deinem Traum leidest, und ich weiß, daß du aufwachen mußt, um dein Leiden zu beenden. Wenn du deinen Traum als Traum erkennst, dann wachst du auf. Aber an deinem Traum selbst habe ich kein Interesse. Es ist genug für mich zu wissen, daß du aufwachen mußt. Du mußt deinen Traum nicht zu einem definierten Abschluß bringen oder ihn edel, glücklich oder schön machen. Du mußt nur erkennen, daß du träumst. Hör auf, dir irgendetwas vorzustellen und einzubilden. Erkenne die Widersprüche, Mißverständnisse, Illusionen und das Leiden der menschlichen Existenz und die Notwendigkeit, darüber hinauszugehen. In der Unermeßlichkeit des (geistigen) Raumes schwebt ein winziges Atom des Bewußtseins, und in ihm ist das gesamte Universum enthalten.
F: In diesem Traum gibt es auch Geliebtes, das wahrhaft und ewig erscheint. Verschwindet es beim Erwachen?
M: Im Traum liebst du manches und anderes nicht. Wenn du aufwachst, dann stellst du fest, daß du die allumfassende Liebe selbst bist. Persönliche Liebe, wie intensiv und echt sie auch erscheinen mag, bindet unweigerlich. Die Liebe in Freiheit ist die All-Liebe.
F: Menschen kommen und gehen. Man liebt, wen man trifft, und man kann nicht jeden lieben.
M: Wenn du die Liebe selbst bist, dann bist du jenseits von Zeit und Zahlen. Wenn du einen liebst, dann liebst du alle, und wenn du alle liebst, dann liebst du jeden. Einer und alle schließen sich nicht aus.
F: Du behauptest, in einem zeitlosen Zustand zu sein. Bedeutet das, daß dir Vergangenheit und Zukunft offenstehen? Hast du Muni Vashishta oder Guru Ramas getroffen?
M: Deine Frage ist in der Zeit und betrifft die Zeit. So fragst du mich wieder einmal nach dem Inhalt eines Traums. Zeitlosigkeit liegt jenseits der Illusion von Zeit und ist keine Erweiterung in der Zeit. Wer sich Vashishta nannte, der kannte Vashishta. Ich bin jenseits aller Namen und Formen. Vashishta ist ein Traum in deinem Traum. Wie könnte ich ihn kennen? Du bist zu sehr mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt. Es liegt an deiner Sehnsucht, weiterhin (in der Zeit) zu bestehen und dich vor der Vernichtung zu schützen. Und weil du weiterbestehen willst, möchtest du, daß andere dir Gesellschaft leisten. Deshalb machst du dir Sorgen um deren Überleben. Aber was du Überleben nennst, ist nur das Überleben eines Traums. Der Tod wäre hier vorzuziehen, denn dann besteht die Möglichkeit aufzuwachen.
F: Du bist dir nur der Ewigkeit bewußt, und daher kümmerst du dich nicht ums Überleben.
M: Es ist umgekehrt: Die Freiheit von allem Kummer ist die Ewigkeit. Jede Anhaftung erzeugt Angst, denn alle Dinge sind vergänglich. Und diese Angst macht dich zum Sklaven. Doch diese Freiheit von Anhaftung wird nicht durch irgendeine Übung erreicht. Sie ist ganz natürlich, wenn man sein wahres Dasein erkennt. Die reine Liebe haftet nicht an, und Anhaftung ist keine reine Liebe.
F: Es gibt also keine Möglichkeit, Nichtanhaftung durch Übung zu erlangen?
M: Es gibt gar nichts (Wahres) zu erlangen. Gib alle Vorstellungen auf und erkenne dich selbst so, wie du bist! Die Selbsterkenntnis ist die Befreiung von jeder Anhaftung, denn jedes Verlangen beruht auf einem Gefühl der Unvollständigkeit. Wenn du weißt, daß es dir an nichts mangelt, daß alles, was da ist, du bist und dein ist, dann verschwindet jegliches Verlangen.
F: Muß ich dann Gewahrsein üben, um mich selbst zu erkennen?
M: Es gibt nichts zu üben. Um dich selbst zu kennen, sei du selbst! Und um du selbst zu sein, beende alle Vorstellungen, daß du dieses oder jenes bist. Sei einfach da! Laß deine wahre Natur zum Vorschein kommen, und verwirre deinen Verstand nicht durch das Suchen danach.
F: Es wird viel Zeit brauchen, wenn ich einfach nur auf die Selbst-Verwirklichung warte.
M: Worauf willst du warten, wenn es bereits hier und jetzt da ist? Du mußt nur schauen und erkennen. Schau auf dich selbst, auf dein eigenes Wesen! Du erkennst, daß du es bist, und du liebst es. Gib alle Vorstellungen auf, und das ist alles. Verlaß dich nicht auf die Zeit, denn Zeit bedeutet Tod. Wer wartet, der stirbt. Das (wahre) Leben ist nur im Jetzt. Sprich nicht zu mir über Vergangenheit und Zukunft, denn diese existieren nur in deinem Verstand.
F: Auch du wirst sterben.
M: Ich bin bereits tot, und der körperliche Tod wird für mich keinen Unterschied mehr machen, denn Ich bin ewiges Dasein. Ich bin frei von Verlangen und Angst, weil ich mich nicht an der Vergangenheit festhalte oder mir die Zukunft vorstelle. Wo es keine Namen und Formen gibt, wie kann es da Verlangen und Angst geben? Mit der Wunschlosigkeit kommt die Zeitlosigkeit. Ich bin in Sicherheit, denn was nicht da ist, kann das, was da ist, nicht ergreifen. Du fühlst dich unsicher, weil du dir Gefahren vorstellst. Natürlich braucht dein Körper als solcher Schutz, denn er ist komplex (verstrickt) und verletzlich. Aber du selbst nicht. Sobald du dein eigenes unangreifbares Dasein verwirklichst, wirst du Frieden finden.
F: Wie kann ich Frieden finden, wenn die Welt leidet?
M: Die Welt leidet aus sehr berechtigten Gründen. Und wenn du der Welt helfen willst, dann darfst du selbst nicht mehr hilfebedürftig sein. Dann wird all dein Tun und Lassen der Welt am wirksamsten helfen.
F: Wie kann Gelassenheit dort von Nutzen sein, wo Taten nötig sind?
M: Wo Taten nötig sind, werden Taten geschehen. Der Mensch muß nicht der Täter sein. Er ist da, um gewahr zu sein, was geschieht, und seine bloße Anwesenheit ist bereits Tätigkeit. Wie die Anwesenheit eines Fensters die Abwesenheit der Wand ist und Luft und Licht gibt, weil es leer ist. So sei auch du von allen geistigen Inhalten leer, von allen Vorstellungen und Anstrengungen, und das bloße Fehlen von Hindernissen wird dazu führen, daß du von Wahrheit erfüllt wirst. Wenn du einer Person wirklich helfen willst, dann halte dich selbst zurück. Denn wenn du beim Helfen emotional gebunden bist, dann kann deine Hilfe nicht sehr erfolgreich sein. Du wirst vielleicht sehr beschäftigt und mit deiner Wohltätigkeit sehr zufrieden sein, aber es wird nicht viel getan. Einem Menschen wird nur dann wahrhaft geholfen, wenn er keine weitere Hilfe mehr braucht. Alles andere ist im Grunde sinnlos.
F: Es bleibt nicht genug Zeit, um dazusitzen und auf Hilfe zu warten. Man muß doch etwas tun.
M: Dann tu es jetzt in jeder Hinsicht! Doch was du (persönlich) tun kannst, ist engbegrenzt. Nur das (wahre) Selbst ist unbegrenzt, um grenzenlos von dir selbst zu geben. Alles andere kannst du nur in kleinen Mengen geben. Allein du selbst bist unermeßlich, und das Helfen ist deine wahre Natur. Sogar, wenn du ißt und trinkst, hilfst du deinem Körper. Für dich selbst brauchst du nichts. Du bist reines Geben, anfangslos, endlos und unerschöpflich. Wenn du Sorgen und Leiden siehst, sei gewahr und stürze dich nicht sogleich ins Handeln. Weder Lernen noch Handeln können wahrhaft helfen. Sei der Sorgen gewahr und lege deren Wurzeln offen. So hilf im Erkennen, und das ist wahre Hilfe.
F: Doch mein Tod rückt immer näher.
M: Für deinen Körper läuft die Zeit ab, nicht für dich selbst. Zeit und Raum existieren nur im Verstand. Du bist ungebunden! Erkenne nur dich selbst, und das ist die Ewigkeit selbst.
Fragender: Was passiert mit einem gewöhnlichen Menschen, wenn er stirbt?
Maharaj: Alles geschieht entsprechend seiner Überzeugung. So wie das Leben vor dem Tod nur Vorstellung ist, so ist auch das Leben danach. Der Traum geht weiter.
F: Und was geschieht dem Weisen (Jnani)?
M: Der Weise stirbt nicht, weil er nie geboren wurde.
F: Für andere erscheint es aber so.
M: Aber nicht für ihn selbst. Denn in sich selbst ist er frei von allem, sowohl körperlich als auch geistig.
F: Dennoch müßtest du den Zustand eines sterbenden Menschen kennen, zumindest aus deinen früheren Leben.
M: Bis ich meinen Guru traf, wußte ich so viele Dinge. Doch jetzt weiß ich nichts, denn alles Wissen ist nur im Traum und nicht wahr. Ich kenne mich selbst und finde in mir weder Leben noch Tod, nur reines Dasein, nicht dieses oder jenes zu sein, sondern einfach nur da sein. Sobald der Verstand, der auf seinen Erinnerungsschatz zurückgreift, sich etwas vorzustellen beginnt, füllt er den Raum mit Objekten und die Zeit mit Ereignissen. Wenn ich nicht einmal diese Geburt kenne, wie könnte ich dann vergangene Geburten kennen? Es ist der Verstand, der in seiner eigenen Bewegung sieht, wie sich alles bewegt, und der, nachdem er die Zeit erschaffen hat, sich Sorgen um die Vergangenheit und Zukunft macht. Das gesamte Universum ist von Bewußtsein umgeben und durchdrungen (Maha Tattva), das dort entsteht, wo vollkommene Ordnung und Harmonie herrscht (Maha Sattva). Wie sich alle Wellen im Meer befinden, so sind auch alle körperlichen und geistigen Dinge im Gewahrsein. Daher ist das Gewahrsein selbst entscheidend, nicht der Inhalt davon. Vertiefe und erweitere dein Gewahrsein für dich selbst, und alle Segen werden folgen. Du brauchst nichts zu suchen, alles wird ganz natürlich und mühelos zu dir kommen. Die fünf Sinne, die vier Funktionen des Verstandes von Erinnern, Denken, Verstehen und Egozentrik, die fünf Elemente von Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum, sowie die beiden Aspekte der Schöpfung von Materie und Geist sind alle im Gewahrsein enthalten.
F: Und doch mußt du daran glauben, schon einmal gelebt zu haben.
M: Die Heiligen Schriften sagen es, doch ich selbst weiß nichts davon. Ich kenne mich nur, wie ich bin. Wie ich früher erschien oder zukünftig erscheinen werde, liegt nicht in meiner Erfahrung. Es ist nicht so, daß ich mich nicht erinnern kann, aber in Wahrheit gibt es nichts, woran man sich erinnern könnte. Reinkarnation setzt ein reinkarnierendes (individuelles) Selbst voraus, was es (in Wahrheit) nicht gibt. Dieses Bündel von Erinnerungen und Hoffnungen, das „Ich“ genannt wird, stellt sich vor, immerfort zu existieren, und erschafft die Zeit, um seine vermeintliche Ewigkeit zu beherbergen. Ich brauche weder Vergangenheit noch Zukunft, um da zu sein. Alle Erfahrungen entstehen aus Vorstellungen. Und weil ich es mir nicht vorstellen kann, geschieht mir weder Geburt noch Tod. Nur wer glaubt, geboren zu sein, kann auch glauben, wiedergeboren zu sein. Du beschuldigst mich, geboren zu sein, doch ich bekenne mich nicht schuldig. Alles existiert im Gewahrsein, und das Gewahrsein stirbt nicht, noch wird es wiedergeboren. Es ist die unveränderliche Wahrheit selbst.
Die gesamte Welt der Erfahrungen wird mit dem Körper geboren und stirbt auch mit dem Körper. Es hat seinen Anfang und sein Ende im Gewahrsein, aber das Gewahrsein selbst kennt weder Anfang noch Ende. Wenn du sorgfältig darüber nachdenkst und lange darüber brütest, wirst du das Licht des Gewahrseins in seiner ganzen Klarheit sehen, und die Welt wird aus deiner Sicht verschwinden. Es ist, als würdest du auf ein brennendes Räucherstäbchen schauen. Dann siehst du zuerst nur das Stäbchen und den Rauch. Doch wenn du den feurigen Punkt entdeckst, dann erkennst du, daß er die Macht hat, Berge von Räucherstäbchen zu verzehren und das ganze Weltall mit Rauch zu füllen. So verwirklicht sich das Selbst zeitlos, ohne jemals seine unendlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. In diesem Gleichnis der Räucherstäbchen ist das Stäbchen der Körper, und der Rauch ist der Verstand. Solange der Verstand mit seinen Verwirrungen beschäftigt ist, nimmt er seine eigene Quelle nicht wahr. Dann kommt der Guru und lenkt deine Aufmerksamkeit auf den feurigen Funken in dir. Denn von Natur aus ist der Verstand nach außen gerichtet und versucht immer, die Quelle der Dinge in den Dingen selbst zu finden. Die Aufforderung, nach der inneren Quelle zu suchen, ist in gewisser Weise der Beginn eines neuen Lebens. Das Gewahrsein tritt an die Stelle des Bewußtseins. Im Bewußtsein gibt es das „Ich“, das (begrenzt) bewußt ist, während das Gewahrsein ungeteilt und sich (ganzheitlich) seiner selbst gewahr ist. Das „Ich bin“ ist ein Gedanke, während das Gewahrsein kein Gedanke ist. Im Gewahrsein gibt es kein „Ich bin mir gewahr“. Bewußtsein ist Eigenschaft, Gewahrsein hingegen nicht (sondern frei von Eigentum). Man kann gewahr sein, daß man bewußt ist, aber man kann sich nicht des Gewahrseins (als Eigenschaft bzw. Eigentum) bewußt sein. Gott ist die Gesamtheit des Bewußtseins, doch das Gewahrsein ist jenseits von allem, von Sein und Nichtsein.
F: Ich hatte mit der Frage nach dem Zustand eines Menschen nach dem Tod begonnen. Was passiert mit seinem Bewußtsein, wenn sich sein Körper auflöst? Nimmt er seine Sinne des Sehens, Hörens usw. mit sich, oder läßt er sie zurück? Und was passiert mit seinem Bewußtsein, wenn er seine Sinne verliert?
M: Sinne sind bloße Formen der Wahrnehmung. Wenn die gröberen Formen verschwinden, entstehen feinere Bewußtseinszustände.
F: Gibt es nach dem Tod keinen Übergang zum Gewahrsein?
M: Es kann keinen Übergang vom Bewußtsein zum Gewahrsein geben, denn Gewahrsein ist keine Form des Bewußtseins (mit „Eigenschaft“). Das Bewußtsein kann nur subtiler und verfeinert werden, und das geschieht nach dem Tod. Mit dem Absterben der verschiedenen Träger des Menschen verschwinden auch die von ihnen hervorgerufenen Bewußtseinsformen.
F: Bis nur noch Bewußtlosigkeit übrigbleibt?
M: Frage dich selbst, wenn du von Bewußtlosigkeit als etwas sprichst, das kommt und geht: Wer ist da, um sich der Bewußtlosigkeit bewußt zu sein? Solange das Fenster geöffnet ist, scheint Sonnenlicht in den Raum. Bei geschlossenen Fensterläden scheint die Sonne weiter, aber sieht sie die Dunkelheit im Raum? Gibt es so etwas wie Dunkelheit für die Sonne? So gibt es auch keine Bewußtlosigkeit, denn sie ist nicht bewußt erfahrbar. Wir schließen auf Bewußtlosigkeit, wenn es zu einer Unterbrechung der Erinnerung oder Kommunikation kommt. Wenn ich nicht mehr reagiere, dann wirst du sagen, daß ich bewußtlos bin. Doch in Wirklichkeit bin ich vielleicht höchst bewußt, nur nicht in der Lage, zu kommunizieren oder mich zu erinnern.
F: Ich stelle die Frage einfacher: Es gibt gegenwärtig etwa vier Milliarden gewöhnliche Menschen auf der Welt, und sie alle werden sterben. Wie wird ihr Zustand nach dem Tod sein, und zwar nicht körperlich, sondern geistig? Wird ihr Bewußtsein bestehenbleiben? Und wenn ja, in welcher Form? Aber sag mir nicht, daß ich die falsche Frage stelle oder daß du die Antwort nicht kennst oder daß meine Frage in deiner Welt bedeutungslos ist. Sobald du davon zu sprechen beginnst, daß deine Welt und meine Welt unterschiedlich und unvereinbar sind, baust du eine Mauer zwischen uns. Entweder leben wir in einer Welt oder deine Erfahrung nützt uns nichts.
M: Natürlich leben wir in einer Welt. Doch ich sehe sie so, wie sie ist, und du nicht. Du siehst dich selbst in der Welt, während ich die Welt in mir sehe. Du glaubst, daß du in der Welt geboren wurdest und sterben wirst, während für mich die Welt erschien und verschwinden wird. Unsere Welt ist wahr, aber nicht deine Sicht auf sie. Es gibt keine Mauer zwischen uns, außer jene, die du gebaut hast. An den Sinnen ist nichts auszusetzen, es sind deine Vorstellungen, die dich in die Irre führen. Sie verdecken die Welt, wie sie ist, mit dem, was du dir vorstellst, nämlich etwas, das unabhängig von dir existiert und dennoch nur deinen ererbten oder erworbenen Mustern folgt. In deiner Haltung liegt ein tiefer Widerspruch, den du nicht erkennst und der dir viel Kummer bringt. Du klammerst dich an die Vorstellung, daß du in eine Welt voller Schmerz und Leiden geboren wurdest. Ich weiß, daß die Welt ein Kind der Liebe ist, deren Beginn, Wachstum und Erfüllung in der Liebe liegt. Und ich selbst bin sogar noch größer als die Liebe.
F: Wenn du die Welt aus Liebe erschaffen hast, warum ist sie dann so voller Leiden?
M: Aus der Sicht des Körpers hast du Recht, aber du bist nicht der Körper. Du bist die Unermeßlichkeit und Unendlichkeit des Bewußtseins. Nimm nichts an, das nicht wahr ist, und du wirst die Dinge so sehen, wie ich sie sehe. Freude und Leid, gut und schlecht, richtig und falsch: Das sind alles relative Begriffe (von Vorstellungen) und dürfen nicht als absolut verstanden werden, denn sie sind begrenzt und vorübergehend.
F: In der buddhistischen Tradition heißt es, daß ein Nirvani, ein erleuchteter Buddha, die Freiheit des Universums besitzt. Er kann alles Existierende selbst erkennen und erleben. Er kann die Natur mit ihren Ketten von Ursache und Wirkung beherrschen, sie bestimmen, die Abfolge der Ereignisse verändern und sogar die Vergangenheit ungeschehen machen. Die Welt ist zwar bei ihm, aber er ist frei in ihr.
M: Was du beschreibst, ist Gott. Wo es ein (materielles) Universum gibt, gibt es natürlich auch sein (geistiges) Gegenstück, nämlich Gott. Doch ich bin jenseits von beidem. - Es gab einmal ein Königreich auf der Suche nach einem König. Sie fanden den richtigen Mann und machten ihn zum König. Er selbst hatte sich in keiner Weise verändert. Ihm wurden nur Titel, Rechte und Pflichten eines Königs verliehen. Seine wahre Natur wurde nicht beeinflußt, nur seine Handlungen. Ebenso verhält es sich mit dem erleuchteten Menschen. Der Inhalt seines Bewußtseins erfährt eine grundlegende Wandlung. Aber er läßt sich nicht irreführen, denn er kennt das Unveränderliche.
F: Der Unveränderliche kann aber kein Bewußtsein haben, denn Bewußtsein gibt es nur von Veränderung. Deshalb kann auch das Unveränderliche keine Spuren im Bewußtsein hinterlassen.
M: Ja und nein! Das Papier ist nicht die Schrift, aber es trägt die Schrift. Und die Tinte ist nicht die Botschaft, wie auch der Verstand des Lesers nicht die Botschaft ist. Aber sie alle vereint machen die Botschaft möglich.
F: Kommt das Bewußtsein von der Wahrheit, oder ist es eine Eigenschaft der Materie?
M: Bewußtsein als solches ist das subtile (geistige) Gegenstück zur Materie. Wie Trägheit (Tamas) und Energie (Rajas) Eigenschaften der Materie sind, so manifestiert sich auch die Harmonie (Sattwa) als Bewußtsein. Du kannst das Bewußtsein auch in gewisser Weise als eine Form sehr subtiler Energie betrachten. Überall dort, wo sich Materie zu einem verfestigten Organismus verkörpert, erscheint auch spontan ein Bewußtsein. Und mit der Zerstörung des Organismus verschwindet das entsprechende Bewußtsein.
F: Was bleibt dann übrig?
M: Das, wovon Materie und Bewußtsein nur Aspekte sind, und das weder geboren wird noch stirbt.
F: Wenn es jenseits von Materie und Bewußtsein liegt, wie kann es dann erfahren werden?
M: Man kann es nur an seinen Auswirkungen auf beide erkennen. Suche es in der Schönheit und Glückseligkeit! Deshalb kannst du weder Körper noch Bewußtsein (wahrhaft) verstehen, es sei denn, du gehst über beide hinaus.
F: Sag uns bitte ganz klar: Bist du bewußt oder bewußtlos?
M: Der Erleuchtete (Jnani) ist weder dieses noch jenes, denn in seiner Erleuchtung (Jnana) ist alles im Ganzen enthalten. Das Bewußtsein beinhaltet jegliche Erfahrung. Doch derjenige, der sich dessen bewußt ist, ist jenseits aller Erfahrungen und damit auch jenseits des Bewußtseins selbst.
F: Es gibt den Bereich der Erfahrung, den man Materie nennen kann. Und es gibt den Erfahrenden, den wir Verstand nennen können. Was bildet die Brücke zwischen diesen beiden?
M: Die Kluft dazwischen ist die Brücke. Das, was auf der einen Seite wie Materie und auf der anderen Seite wie Verstand erscheint, ist in sich selbst die Brücke. Wenn du die Wahrheit nicht in Verstand und Körper trennst, dann ist auch keine Brücke nötig. Sobald das Bewußtsein entsteht, entsteht auch die Welt. Und wenn du die Weisheit und Schönheit der Welt betrachtest, dann nennst du es Gott. Erkenne die reine Quelle von allem, die in dir selbst liegt, und du wirst die Antwort auf alle deine Fragen finden!
F: Der Sehende und das Gesehene: Sind sie eins oder zwei?
M: Es gibt nur das Sehen. Sowohl der Sehende als auch das Gesehene sind darin enthalten. Erschaffe keine Unterschiede, wo keine sind!
F: Ich begann mit der Frage nach dem sterbenden Menschen. Du sagtest, daß seine Erfahrungen sich entsprechend seiner Erwartungen und Überzeugungen formen würden.
M: Bevor du geboren wurdest, hast du erwartet, nach einem Plan zu leben, den du selbst festgelegt hast. So wurde dein eigener Wille zum Rückgrat deines Schicksals.
F: Sicherlich hat das Karma alles beeinflußt.
M: Das Karma prägt die Umstände, aber die Einstellung (deines Charakters) kommt von dir. Denn praktisch prägt der Charakter dein Leben, und nur du selbst kannst deinen Charakter formen.
F: Wie formt man seinen Charakter (als Eigenschaft, Einbildung bzw. Figur)?
M: Indem man alles so sieht, wie es ist, und wahrhaft mitfühlt. Dieses umfassende Sehen und Fühlen kann Wunder bewirken. Es ist, als würde man eine Bronzefigur gießen: Metall oder Feuer allein reichen nicht aus, und auch die Form hat für sich selbst keinen Nutzen. Du mußt das Metall in der Hitze des Feuers einschmelzen und in die Form gießen.
Fragender: Ich sehe dich hier im Haus deines Sohnes sitzen und darauf warten, daß das Mittagessen serviert wird. Und ich frage mich, ob der Inhalt deines Bewußtseins dem meinen ähnlich ist oder teilweise unterschiedlich oder völlig anders. Bist du auch so hungrig und durstig wie ich und wartest ungeduldig auf das Essen, oder bist du in einem ganz anderen Bewußtseinszustand?
Maharaj: Oberflächlich betrachtet gibt es keinen großen Unterschied, in der Tiefe aber sehr. Du erkennst dich selbst nur durch die Sinne und den Verstand, und hältst dich selbst für das, was sie dir vorschlagen. Weil du kein direktes Wissen über dich selbst hast, hast du nur Vorstellungen darüber, und zwar alle mittelmäßig aus zweiter Hand vom Hörensagen. Was auch immer du denkst, das hältst du für die Wahrheit. Diese Angewohnheit, dich selbst wahrnehmbar und beschreibbar vorzustellen, ist bei dir sehr stark ausgeprägt. Auch ich sehe, wie du siehst, höre, wie du hörst, schmecke, wie du schmeckst, oder esse, wie du ißt. Ich verspüre auch Hunger und Durst und erwarte, daß mein Essen pünktlich serviert wird. Denn wenn ich hungrig oder krank bin, werden mein Körper und Verstand schwach. Das alles nehme ich ganz deutlich wahr, aber irgendwie bin ich nicht darin, sondern fühle mich, als würde ich darüber schweben, entfernt und losgelöst. Und ich bin nicht einmal entfernt und losgelöst, denn Entfernung und Loslösung sind für mich ebenso sichtbar, wie Hunger und Durst. Für all das ist ein Gewahrsein da und eine Empfindung völliger Nichtanhaftung, als ob Körper und Verstand und alles, was mit ihnen geschieht, irgendwo weit draußen am Horizont wären. Ich selbst bin wie eine Kinoleinwand, rein und leer, auf der die Bilder vorüberziehen und wieder verschwinden, um sie so rein und leer wie zuvor zurückzulassen. Diese Leinwand wird durch die Bilder in keiner Weise beeinflußt, noch werden die Bilder von der Leinwand beeinflußt. Die Leinwand empfängt die Bilder und reflektiert sie, aber formt sie nicht, denn sie hat nichts mit den Filmrollen zu tun. Diese sind so, wie sie sind, lange Bänder des Schicksals (Prarabdha), aber nicht mein Schicksal, sondern das Schicksal der Menschen auf der Leinwand.
F: Willst du damit behaupten, daß die Menschen in einem Bild ein eigenes Schicksal haben? Sie gehören doch zur Geschichte, und die Geschichte gehört nicht ihnen.
M: Wie ist das mit dir? Formst du dein Leben, oder wirst du vom Leben geformt?
F: Ja, du hast Recht. Eine Lebensgeschichte entrollt sich, in der ich einer der Schauspieler bin. Ich habe kein Wesen außerhalb von dieser Geschichte, wie auch die Geschichte kein Wesen ohne mich hat. Ich bin nur eine Spielfigur, keine Person.
M: Die Spielfigur wird zur Person, wenn sie beginnt, ihr Leben zu gestalten und sich damit zu identifizieren, anstatt es so hinzunehmen, wie es kommt.
F: Was passiert dann genau, wenn ich eine Frage stelle und du antwortest?
M: Die Frage und die Antwort erscheinen beide auf der Leinwand. Die Lippen bewegen sich, der Körper spricht, und danach ist die Leinwand wieder rein und leer.
F: Was meinst du, wenn du sagst „rein und leer“?
M: Ich meine, frei von allen Inhalten. Für mich selbst bin ich weder wahrnehmbar noch vorstellbar. Es gibt nichts, worauf ich deuten könnte und sagen: „Das bin ich.“ Du identifizierst dich so leicht mit allem, was mir unmöglich erscheint. Das Gefühl „Ich bin weder dieses noch jenes, und nichts gehört mir“ ist so stark in mir, daß, sobald irgendein Ding oder Gedanke auftaucht, sofort die Empfindung kommt: „Das bin ich nicht.“
F: Willst du damit sagen, daß du deine Zeit damit verbringst, andauernd zu wiederholen „das bin ich nicht, das bin ich nicht, …“?
M: Natürlich nicht! Ich fasse es nur für dich in Worte. Durch die Gnade meines Gurus habe ich ein für alle Mal verwirklicht, daß ich weder Objekt noch Subjekt bin, so daß ich es nicht nötig habe, mich die ganze Zeit daran zu erinnern.
F: Es fällt mir schwer zu verstehen, was genau du meinst, wenn du weder Objekt noch Subjekt bist. Bin ich nicht während wir reden das Objekt deiner Erfahrung, und du bist das Subjekt?
M: Schau, mein Daumen berührt meinen Zeigefinger. Beide berühren und werden berührt. Wenn meine Aufmerksamkeit im Daumen liegt, dann ist der Daumen der Fühlende und der Zeigefinger das Selbst. Verschiebe den Fokus der Aufmerksamkeit, und die Beziehung wird umgekehrt. So fand ich heraus, daß ich durch die Verlagerung der Aufmerksamkeit genau zu dem werde, was ich betrachte, und das entsprechende Bewußtsein erfahre. Ich werde zum inneren Zeugen dieser Sache. Ich nenne diese Fähigkeit, in andere Standpunkte des Bewußtseins vorzudringen, die „Liebe“. Du kannst es auch anders nennen. Die Liebe sagt: „Ich bin alles.“ Die Weisheit sagt: „Ich bin nichts.“ Zwischen diesen beiden fließt mein Leben. Und weil ich zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort sowohl Subjekt als auch Objekt der Erfahrung sein kann, drücke ich es dadurch aus, indem ich sage: Ich bin beides, keines von beiden und jenseits von beiden.
F: Du machst all diese außergewöhnlichen Aussagen über dich selbst. Woher kommen diese Antworten? Und was meinst du damit, daß du jenseits von Raum und Zeit bist?
M: Du fragst, und die Antwort erscheint. Ich beobachte mich selbst, ich beobachte die Antwort, und sehe keinen Widerspruch. So ist es für mich klar, daß ich dir die Wahrheit sage. Es ist alles sehr einfach. Du mußt mir nur vertrauen, daß ich es völlig aufrichtig meine, was ich sage. Wie ich dir bereits erzählte, zeigte mir mein Guru meine wahre Natur und auch die wahre Natur der Welt. Nachdem ich erkannt hatte, daß ich eins mit der Welt und doch jenseits davon bin, wurde ich frei von allen Wünschen und Ängsten. Ich habe daraus nicht geschlußfolgert, daß ich mich befreien sollte, sondern ich fand mich frei, ganz unerwartet und ohne die geringste Anstrengung. Diese Freiheit von Verlangen und Angst blieb mir seitdem erhalten. Und ich erkannte auch, daß ich mich nicht anstrengen muß. Die Tat folgt dem Gedanken, ohne Verzögerung und Reibung. Ich habe auch erkannt, daß sich Gedanken von selbst erfüllen und die Dinge reibungslos und richtig vonstatten gehen. Die Hauptveränderung fand im Verstand statt, der bewegungslos und still wurde, augenblicklich reagierte, aber diese Reaktion nicht fortsetzte. Spontaneität wurde zur Lebensweise, das Wahre wurde natürlich, und das Natürliche wurde wahr. Und vor allem kam aus der Dunkelheit und Stille unendliche Zuneigung, eine Liebe, die in alle Richtungen ausstrahlt, alles umarmt und alles interessant und schön, bedeutungsvoll und glückverheißend macht.
F: Uns wird gesagt, daß einem Menschen, der sein wahres Dasein verwirklicht hat, spontan verschiedene Yoga-Kräfte entstehen. Welche Erfahrungen hast du in dieser Hinsicht?
M: Der fünffache Körper des Menschen (aus den fünf Elementen, Sinnes- und Handlungsorganen) verfügt über ein Potential an Kräften, die unsere kühnsten Träume übertreffen. Im Menschen spiegelt sich nicht nur das gesamte Universum wider, sondern auch die Kraft, das Universum zu beherrschen, und diese wartet darauf, von ihm genutzt zu werden. Doch der Weise ist nicht begierig, solche Kräfte zu benutzen, wenn es die Situation nicht erfordert. Er findet, daß die Fähigkeiten und Fertigkeiten der menschlichen Persönlichkeit für die Bewältigung des täglichen Lebens völlig ausreichend sind. Einige der Kräfte können durch spezielles Training entwickelt werden, aber der Mensch, der solche Kräfte zur Schau stellt, ist immer noch in Knechtschaft. Der Weise betrachtet nichts als sein Eigentum. Wenn irgendwann und irgendwo einer Person ein Wunder zugeschrieben wird, dann wird er keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Person konstruieren und auch keine weiteren Schlußfolgerungen daraus ziehen. Alles ist so geschehen, wie es geschehen ist, weil es geschehen mußte. Denn alles geschieht so, wie es geschieht, weil das Universum so ist, wie es ist.
F: Doch das Universum scheint kein glücklicher Ort zum Leben zu sein. Warum gibt es hier so viel Leiden?
M: Schmerz ist körperlich, und Leiden ist geistig. Jenseits des Verstandes gibt es kein Leiden. Schmerzen sind lediglich ein Signal, daß der Körper in Gefahr ist und Aufmerksamkeit erfordert. Ebenso warnt uns das Leiden davor, daß die Struktur von Erinnerungen und Gewohnheiten, die wir „Person“ (Vyakti) nennen, von Verlust oder Veränderung bedroht wird. Schmerzen sind für den Körper überlebenswichtig, aber keiner zwingt dich zum Leiden. Das Leiden entsteht allein aus Festhalten oder Widerstand. Es ist ein Zeichen dafür, daß wir nicht bereit sind, weiterzugehen und mit dem Leben zu fließen. Wie ein gesundes Leben frei von Schmerzen ist, so ist ein heiliges Leben frei von Leiden.
F: Und doch hat niemand mehr gelitten als die Heiligen.
M: Haben sie es dir gesagt, oder behauptest du das nur? Das Wesen der Heiligkeit ist die völlige Akzeptanz des gegenwärtigen Augenblicks und die Harmonie mit den Dingen, wie sie geschehen. Ein Heiliger möchte nicht, daß die Dinge anders sind, als sie sind, denn er weiß, daß sie unter Berücksichtigung aller Faktoren unvermeidbar sind. So ist er freundlich mit dem Unvermeidlichen, und deshalb leidet er nicht. Er mag den Schmerz fühlen, aber wird davon nicht erschüttert. Soweit er kann, tut er das Notwendige, um das verlorene Gleichgewicht wiederherzustellen, oder er läßt die Dinge ihren Lauf nehmen.
F: Er könnte aber auch sterben.
M: Na und? Was gewinnt er, wenn er weiterlebt, und was verliert er, wenn er stirbt? Was geboren wurde, muß sterben. Was nie geboren wurde, kann nicht sterben. Es hängt alles davon ab, wofür man sich hält.
F: Stell dir vor, du selbst wirst todkrank. Würdest du es nicht bedauern und dich wehren?
M: Ich bin doch schon tot, oder besser gesagt, weder tot noch lebendig. Du siehst, wie sich mein Körper auf gewöhnliche Weise verhält, und ziehst deine eigenen Schlußfolgerungen daraus. Du solltest erkennen, daß deine Schlußfolgerungen niemand anderen binden, außer dich selbst. Sei dir bewußt, daß die Vorstellung, die du von mir hast, möglicherweise völlig falsch ist. Wie auch die Vorstellung von dir selbst falsch ist, und das ist dein Problem. Für mich (bzw. meinen Körper) mußt du keine Probleme konstruieren und mich dann um eine Lösung bitten, denn ich selbst erschaffe weder Probleme noch löse ich sie.
Fragender: Wenn du nach den Mitteln zur Selbstverwirklichung gefragt wirst, betonst du immer, wie wichtig es ist, daß der Verstand bei der Empfindung „Ich bin“ verweilt. Wo liegt hier der verursachende Faktor? Warum sollte dieser besondere Gedanke zur Selbstverwirklichung führen? Wie beeinflußt mich die Kontemplation (konzentrierte Beobachtung) von „Ich bin“?
Maharaj: Die bloße Tatsache der Beobachtung verändert den Beobachter und das Beobachtete. Denn was die Einsicht in unsere wahre Natur verhindert, ist vor allem die Schwäche und Begrenztheit des Verstandes und seine Tendenz, das Feine zu übersehen und sich nur auf das Grobstoffliche zu konzentrieren. Wenn du meinem Rat folgst und versuchst, deinen Verstand nur auf die Empfindung „Ich bin“ zu konzentrieren, dann wirst du dir des Verstandes und seiner Launen völlig gewahr. Dieses Gewahrsein als die klare Harmonie (Sattwa) in ihrer Wirkung löst die Trägheit (Tamas) auf, besänftigt die Unruhe (Rajas) des Verstandes und verändert sanft, aber stetig dessen eigentliche Substanz. Diese Veränderung muß nicht spektakulär sein, und manchmal ist sie kaum wahrnehmbar. Dennoch ist es eine tiefe und grundlegende Veränderung von der Dunkelheit zum Licht, von der Unachtsamkeit zum Gewahrsein.
F: Muß es unbedingt die „Ich bin“ Formel sein? Reicht dafür kein anderer Satz? Wenn ich mich auf „Da ist ein Tisch“ konzentriere, erfüllt das dann nicht denselben Zweck?
M: Als Konzentrationsübung, ja. Aber es wird dich nicht über die Vorstellung eines Tisches hinausbringen. Du bist (im Grunde) nicht an Tischen interessiert, sondern willst dich selbst erkennen. Halte dafür den einzigen Hinweis, den du hast, stets im Fokus deines Bewußtseins, nämlich deine Gewißheit des Daseins. Bleibe dabei, spiele damit, brüte darüber und vertiefe dich darin, bis die Hülle der Unwissenheit aufbricht und du in das Reich der Wahrheit eintauchst.
F: Gibt es einen verursachenden Zusammenhang zwischen meiner Konzentration auf „Ich bin“ und dem Zerbrechen der Hülle?
M: Der Drang, sich selbst zu finden, ist ein Zeichen dafür, daß du bereit dafür wirst. Der Impuls kommt immer von innen. Solange deine Zeit nicht gekommen ist, wirst du weder den Wunsch noch die Kraft haben, dich mit ganzem Herzen der Selbsterforschung zu widmen.
F: Ist nicht die Gnade des Gurus für den Wunsch und dessen Erfüllung verantwortlich? Ist das strahlende Gesicht des Gurus nicht der Köder, mit dem wir gefangen und aus diesem Sumpf des Kummers herausgezogen werden?
M: Es ist der innere Guru (Sadguru), der dich zum äußeren Guru führt, so wie eine Mutter ihr Kind zu einem Lehrer bringt. Vertraue deinem Guru und gehorche ihm, denn er ist der Botschafter deines wahren Selbst.
F: Wie finde ich den Guru, dem ich vertrauen kann?
M: Dein eigenes Herz wird dich führen. Es ist nicht so schwer, den Guru zu finden, denn der Guru ist auf der Suche nach dir. Der Guru ist immer bereit, nur du nicht. Du selbst mußt bereit sein zu lernen, oder du triffst vielleicht deinen Guru und vergeudest deine Chance durch reine Unaufmerksamkeit und Sturheit. Nimm mein Beispiel: Es gab nichts Vielversprechendes in mir, aber als ich meinen Guru traf, hörte ich zu, vertraute und gehorchte.
F: Muß ich den Lehrer nicht prüfen, bevor ich mich ganz in seine Hände gebe?
M: Sicherlich, prüfe ihn! Aber was kannst du herausfinden? Nur das, wie er dir auf deiner eigenen (Bewußtseins-) Ebene erscheint.
F: Ich werde darauf achten, ob er konsequent ist und zwischen seinem Leben und seiner Lehre eine gewisse Harmonie besteht.
M: Möglicherweise findest du auch jede Menge Disharmonie. Na und? Das beweist nichts. Nur die Motivation zählt. Wie kannst du seine Motivation erkennen?
F: Ich sollte zumindest erwarten, daß er Selbstbeherrschung hat und ein rechtschaffenes Leben führt.
M: Solche Menschen wirst du viele finden, ohne daß sie dir wahren Nutzen bringen. Ein Guru kann den Weg zurück nach Hause zeigen, zu deinem wahren Selbst. Was hat das mit dem Charakter oder Temperament der Person zu tun, die er zu sein scheint? Sagt er dir nicht deutlich genug, daß er nicht die Person ist? Du kannst ihn nur anhand der Veränderung in dir selbst beurteilen, wenn du in seiner Gesellschaft bist. Wenn du dich friedlicher und glücklicher fühlst und du dich selbst mit mehr Klarheit und Tiefe als sonst erkennst, dann bedeutet das, daß du den richtigen Menschen gefunden hast. Nimm dir Zeit dazu, aber sobald du dich entschieden hast, ihm zu vertrauen, dann vertraue ihm ganz und befolge jede Anweisung vollständig und treuherzig. Denn es bewirkt nicht viel, wenn du ihn nicht als deinen Guru akzeptierst und nur mit seiner Gesellschaft zufrieden bist. Auch bloßer Satsang kann dich zum Ziel führen, sofern er ungetrübt und ungestört ist. Doch sobald du jemanden als deinen Guru akzeptiert hast, höre zu, erinnere dich und gehorche. Halbherzigkeit ist ein schwerwiegender Nachteil und die Ursache für viel selbstgeschaffenen Kummer. Der Fehler liegt niemals beim Guru. Schuld daran ist immer die Trägheit und Beschränktheit des Schülers.
F: Entläßt oder disqualifiziert der Guru daraufhin seinen Schüler?
M: Dann wäre er kein Guru, wenn er das täte! Er nimmt sich Zeit und wartet ab, bis der Schüler gezügelt und gereinigt in einer empfänglicheren Verfassung zu ihm zurückkehrt.
F: Was ist die Motivation? Warum macht sich der Guru so viel Mühe?
M: Das Leiden und das Ende des Leidens. Denn er sieht die Menschen in ihren Träumen leiden und möchte, daß sie erwachen. Seine Liebe kann Schmerz und Leid nicht tolerieren. Die Geduld eines Gurus kennt keine Grenzen und kann daher niemals besiegt werden. So versagt der Guru nie.
F: Ist mein erster Guru auch mein letzter, oder muß ich von Guru zu Guru wandern?
M: Das gesamte Universum ist dein Guru, und wer achtsam und intelligent ist, der lernt von allem. Wäre dein Verstand klar und dein Herz rein, würdest du von jedem Vorbeigehenden lernen. Weil du aber träge oder unruhig bist, manifestiert sich dein innerliches Selbst als ein äußerlicher Guru und bringt dich dazu, ihm zu vertrauen und zu gehorchen.
F: Ist ein Guru unvermeidlich?
M: Das gleicht der Frage: „Ist eine Mutter unvermeidlich?“ Um dein Bewußtsein von einer Ebene in eine andere zu erheben, brauchst du Hilfe. Diese Hilfe muß nicht immer in Form eines Menschen erfolgen. Sie kann auch eine subtile Präsenz oder ein intuitiver Funke sein, aber irgendeine Hilfe muß kommen. Das innere Selbst beobachtet und wartet darauf, daß der Sohn zu seinem Vater zurückkehrt. Zur richtigen Zeit arrangiert es alles liebevoll und wirkungsvoll. Und wenn ein Bote oder Führer benötigt wird, dann schickt es einen Guru, um das Nötige zu tun.
F: Es gibt noch eine Sache, die ich nicht begreifen kann: Du sprichst vom inneren Selbst als weise, gut, schön und in jeder Hinsicht vollkommen und von der Person als bloße Widerspiegelung ohne eigenes Dasein. Andererseits gibst du dir so viel Mühe, der Person zu helfen, sich selbst zu verwirklichen. Wenn die Person so unwichtig ist, warum sollte man sich dann so um ihr Wohlergehen kümmern? Wer kümmert sich um einen Schatten?
M: Du hast hier eine Dualität eingeführt, wo es (in Wahrheit) keine gibt. Darin gibt es den Körper, und es gibt das Selbst. Zwischen beiden befindet sich der (persönliche) Verstand, in dem sich das Selbst als „Ich bin“ widerspiegelt. Doch aufgrund der Unvollkommenheit des Verstandes, seiner Grobheit, seiner Rastlosigkeit und seines Mangels an Erkenntnis und Einsicht hält er sich selbst für den Körper und nicht für das Selbst. Deshalb ist nur eins nötig, nämlich den Verstand zu reinigen, damit er seine Identität mit dem Selbst erkennen kann. Wenn der Verstand mit dem Selbst verschmilzt, stellt der Körper kein Problem mehr dar. Er bleibt, was er ist, ein Instrument der Erkenntnis und des Handelns, das Werkzeug und der Ausdruck des inneren schöpferischen Feuers. Der höchste Wert des Körpers besteht also darin, daß er dazu dient, den kosmischen Körper zu entdecken, der das Universum in seiner Gesamtheit ist. So entdeckst du immer weiter, während du dich selbst durch Verkörperung verwirklichst, daß du immer mehr bist, als du dir vorgestellt hast.
F: Gibt es kein Ende der Selbst-Entdeckung?
M: Weil es keinen Anfang gibt, gibt es auch kein Ende. Durch die Gnade meines Gurus habe ich entdeckt, daß ich nichts bin, worauf man hinweisen kann. Ich bin weder ein „Dies“ noch ein „Das“, und das gilt absolut.
F: Woher kommt dann diese nie endende Entdeckung, das endlose Selbst-Transzendieren in neue Dimensionen?
M: All dies gehört zum Bereich der Verkörperung. Es liegt in der Struktur des Universums, daß das Höhere nur durch die Freiheit vom Niederen erreicht werden kann.
F: Was ist niedriger, und was ist höher?
M: Betrachte es im Hinblick auf das Bewußtsein: Ein erweitertes und tieferes Bewußtsein ist höher (wie ein Brunnen, je tiefer, desto höher ist). Alles, was lebt, dient dem Schutz, der Erhaltung und Erweiterung des Bewußtseins. Dies ist der einzige Sinn und Zweck dieser Welt. Das ist auch die eigentliche Essenz des Yoga, nämlich das ständige Erhöhen der Bewußtseinsebenen und die Entdeckung neuer Dimensionen mit ihren Eigenschaften, Qualitäten und Kräften. In diesem Sinne wird das gesamte Universum zu einer Yoga-Schule (Yogakshetra - „Yoga-Feld“).
F: Ist die Vollkommenheit das Schicksal aller Menschen?
M: Ja, letztendlich aller lebenden Wesen. Diese Möglichkeit wird zur Gewißheit, wenn die Vorstellung von Erleuchtung im Verstand auftaucht. Sobald ein Lebewesen gehört und verstanden hat, daß die Erlösung in greifbarer Nähe ist, wird es sich immer wieder daran erinnern, denn es ist die ursprünglichste Botschaft aus seinem Inneren. Sie wird Wurzeln schlagen und wachsen und zu gegebener Zeit die gesegnete Gestalt eines Gurus annehmen.
F: Es geht uns also nur um die Erlösung des Verstandes?
M: Was sonst? Der Verstand hat sich verirrt und kehrt nach Hause zurück. Obwohl das Wort „verirren“ nicht unbedingt zutreffend ist. Der Verstand muß sich selbst in jeder Vorstellung erkennen. Nichts ist ein Irrtum, wenn er nicht wiederholt (und zur Gewohnheit) wird.
Fragender: Ich möchte noch einmal auf die Frage nach Freude und Schmerz sowie Begierde und Angst eingehen. Angst ist für mich die Erinnerung und Erwartung von Schmerz, der für die Erhaltung des Organismus und seiner Lebensweise unerläßlich ist. Jedes Gefühl des Mangels ist schmerzhaft, und dessen Erwartung ist voller Angst. So haben wir berechtigterweise Angst davor, unsere Grundbedürfnisse nicht befriedigen zu können. Und die gefühlte Erleichterung, wenn ein Bedürfnis befriedigt oder eine Angst gelindert wird, ist ausschließlich auf das Ende des Schmerzes zurückzuführen. Dafür verwenden wir vielleicht positive Begriffe wie Vergnügen, Freude oder Glück, aber im Grunde ist es die Linderung von Schmerz. Und es ist auch diese Angst vor dem Schmerz, die unsere sozialen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen zusammenhält.
Verwirrend ist für mich, daß wir auch Freude an Dingen und geistigen Zuständen empfinden, die nichts mit dem Überleben zu tun haben. Im Gegenteil, unsere Freuden sind oft sogar zerstörerisch und schädigen oder zerstören das Objekt wie auch das Mittel und das Subjekt der Freude. Sonst wären die Freude und das Streben nach Freude kein Problem. Das bringt mich zum Kern meiner Frage: Warum ist Freude so zerstörerisch? Und warum ist sie trotz ihrer Zerstörungskraft gewollt? Ich möchte hinzufügen, daß ich nicht an das Freude-Schmerz-Muster denke, durch das die Natur uns zwingt, ihrem Weg zu folgen. Ich denke an die von Menschen geschaffenen Freuden, sowohl sinnliche als auch geistige, die vom Grobstofflichsten wie übermäßiges Essen bis zu den subtilsten Genüssen reichen. Die Sucht nach Freude, um welchen Preis auch immer, ist so universal, daß ihr etwas Bedeutendes zugrunde liegen muß. Dabei muß nicht einmal jede Tätigkeit des Menschen nützlich sein und der Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses dienen. Spielen zum Beispiel ist etwas Natürliches, und der Mensch ist vielleicht sogar das verspielteste Lebewesen, das es gibt. Spielen erfüllt das Bedürfnis nach Selbstfindung und Selbstentwicklung. Aber selbst im Spiel wird der Mensch zerstörerisch gegenüber der Natur, anderen und sich selbst.
Maharaj: Kurz gesagt, du hast keine Einwände gegen die Freude selbst, sondern nur gegen ihren Preis in Form von Schmerz und Leid.
F: Ja, wenn die Wahrheit nichts als Glückseligkeit ist, dann muß doch die Freude in irgendeiner Weise damit zusammenhängen.
M: Laß uns hier nicht nur mit verbaler Logik vorgehen. Die Glückseligkeit der Wahrheit schließt den Schmerz nicht aus. Außerdem kennst du nur (weltliche) Freude, und nicht die Glückseligkeit des reinen Daseins. Betrachten wir also die Freude auf seiner eigenen Ebene: Wenn du dich in deinen Momenten der Freude oder des Schmerzes selbst betrachtest, wirst du unweigerlich feststellen, daß es nicht die Sache an sich ist, die erfreulich oder schmerzhaft ist, sondern die Situation, von der sie ein Teil ist. Freude entsteht in der Beziehung zwischen dem, der sich freut, und dem, über das er sich freut (d.h. zwischen Subjekt und Objekt). Und das Wesentliche dabei ist die Akzeptanz. Wie auch immer die Situation sein mag, wenn sie akzeptabel erscheint, dann ist sie erfreulich, und wenn nicht, dann ist sie schmerzhaft. Was sie akzeptabel macht, ist nicht so wichtig. Die Ursache kann körperlicher, geistiger oder unergründlicher Natur sein. Doch Akzeptanz ist der entscheidende Faktor, und umgekehrt ist das Leiden auf eine Nichtakzeptanz zurückzuführen.
F: Schmerzen sind doch niemals akzeptabel.
M: Warum nicht? Hast du es jemals versucht? Versuche es, und du wirst auch im Schmerz eine Freude finden, die du sonst nicht erfahren kannst, und zwar aus dem einfachen Grund, weil dich die Akzeptanz des Schmerzes viel tiefer führt als jeder gewöhnliche Genuß. Das persönliche Selbst strebt von Natur aus ständig nach Freude und vermeidet Schmerzen. Das Ende dieses Musters ist auch das Ende der Person. Und das Ende der Person mit ihren Wünschen und Ängsten ermöglicht dir die Rückkehr zu deiner wahren Natur, der Quelle aller Freude und allen Friedens. Das ständige Verlangen nach Freude ist die Widerspiegelung der zeitlosen Harmonie in uns. Es ist eine erkennbare Tatsache, daß man nur dann ichbewußt wird, wenn man im Konflikt zwischen Freude und Schmerz gefangen ist, der Auswahl und Entscheidung erfordert. Es ist dieser Konflikt zwischen Begierde und Angst, der den Zorn verursacht, der das Wohlergehen im Leben am meisten zerstört. Doch wenn der Schmerz als das akzeptiert wird, was er ist, nämlich als eine Lektion und Warnung, und wenn er tiefgründig untersucht und erkannt wird, verschwindet die Trennung zwischen Schmerz und Freude, und beide werden zu einer Erfahrung, und zwar schmerzhaft, wenn man sich widersetzt, und freudig, wenn man sie akzeptiert.
F: Empfiehlst du, Freude zu meiden und Schmerz zu suchen?
M: Nein, auch nicht nach Freude zu suchen und Schmerz zu vermeiden. Akzeptiere beides, wie es kommt, und erfreu dich daran, solange es dauert, und laß es gehen, wie es sein muß.
F: Wie können Schmerzen jemals erfreulich sein? Körperlicher Schmerz ruft doch nach Abhilfe.
M: Natürlich, genau wie geistiger Schmerz. Die Glückseligkeit liegt darin, sich dessen nur gewahr zu sein, nicht davor zurückzuschrecken oder sich in irgendeiner Weise davon abzuwenden. Alle Glückseligkeit kommt vom reinen Gewahrsein. Je reiner das Gewahrsein, desto tiefgründiger ist die Freude. Akzeptanz von Schmerz, Widerstandslosigkeit, Mut und Ausdauer - diese erschließen die tiefgründige und beständige Quelle reiner Freude und wahrer Glückseligkeit.
F: Warum sollte Schmerz (auf diesem Weg) wirksamer sein als Freude?
M: Freude wird gewöhnlich bereitwillig akzeptiert, während alle Kräfte des persönlichen Selbst gegen den Schmerz kämpfen. Weil die Akzeptanz des Schmerzes die Verleugnung des persönlichen Selbst bedeutet, das dem wahren Glück im Wege steht, setzt die bedingungslose Akzeptanz des Schmerzes die Quelle der (wahren) Freude frei.
F: Hat die Akzeptanz des Leidens die gleiche Wirkung?
M: Die Tatsache des Schmerzes kann leicht in den Fokus des Gewahrseins gerückt werden. Mit dem Leiden ist es nicht so einfach, denn es reicht nicht aus, sich auf das Leiden zu konzentrieren, weil das Seelenleben, wie wir es kennen, ein kontinuierlicher Strom von Leiden ist. Um die tieferen Schichten des Leidens zu erreichen, mußt du zu seinen Wurzeln vordringen und sein riesiges Netzwerk im Unterbewußtsein erforschen, wo Begierde und Angst eng miteinander verwoben sind und die Ströme der Lebensenergien sich gegenseitig bekämpfen, behindern und zerstören.
F: Wie kann ich eine Verwirrung in Ordnung bringen, die völlig unter der Ebene meines Bewußtseins liegt?
M: Indem du bei dir selbst bist, dem „Ich bin“. Indem du dich selbst in deinem täglichen Leben mit wachsamem Interesse beobachtest, und zwar mit der Absicht der Erkenntnis anstatt einer Beurteilung. Denn in voller Akzeptanz dessen, was auch immer auftauchen mag, weil es da ist, ermutigst du das Tieferliegende, an die Oberfläche zu kommen und dein Leben und Bewußtsein mit den verborgenen Energien zu bereichern. Das ist die große Wirkung des Gewahrseins. Es beseitigt Hindernisse und setzt Energien frei, indem es die Natur des Lebens und des Verstandes erkennt. Intelligenz (bzw. ganzheitliche Vernunft) ist das Tor zur Freiheit, und wachsame Aufmerksamkeit ist die Mutter der Intelligenz.
F: Noch eine Frage: Warum endet Freude in Leid?
M: Alles, was einen Anfang hat, muß auch ein Ende haben, und das gilt auch für die Freude. Erwarte nichts und bedaure nichts, dann wird es kein Leiden geben. Es sind die Erinnerungen und Vorstellungen, die das Leiden verursachen. Natürlich kann das Leiden nach der Freude auf den Mißbrauch des Körpers oder Verstandes zurückzuführen sein. Der Körper kennt seine Grenzen, doch der Verstand nicht. Seine Begierden sind zahl- und grenzenlos. Beobachte deinen Verstand mit großer Achtsamkeit, denn darin liegt deine Knechtschaft und auch der Schlüssel zur Freiheit.
F: Damit ist meine Frage noch nicht vollständig beantwortet: Warum sind die Freuden des Menschen zerstörerisch? Warum hat er so viel Freude an der Zerstörung? Das Bedürfnis des Lebens besteht doch darin, sich selbst zu beschützen, zu erhalten und zu erweitern. Dabei läßt es sich von Schmerz und Freude leiten. Ab wann werden sie zerstörerisch?
M: Wenn der Verstand alles übernimmt, sich erinnert und projiziert, dann übertreibt er, verzerrt und übersieht vieles. Die Vergangenheit wird in die Zukunft projiziert, und die Zukunft enttäuscht die Erwartungen. Die Sinnes- und Handlungsorgane werden über ihre Fähigkeitsgrenzen hinaus beansprucht und müssen zwangsläufig versagen. Die Objekte der Begierde können nicht die erwarteten Früchte bringen und werden durch Mißbrauch ausgezehrt oder zerstört. Das führt zu einem Übermaß an Schmerz, wo eigentlich nach Freude gesucht wurde.
F: Damit zerstören wir nicht nur uns selbst, sondern auch andere.
M: Natürlich, denn Egoismus ist immer zerstörerisch. Begierde und Angst sind beides egozentrische Zustände. Und zwischen Begierde und Angst entsteht der Zorn, mit dem Zorn kommt der Haß, und mit dem Haß die Leidenschaft zur Zerstörung. Krieg ist Haß in Aktion, organisiert und mit allen Werkzeugen des Todes ausgestattet.
F: Gibt es eine Möglichkeit, diese Schrecken zu beenden?
M: Wenn mehr Menschen ihre wahre Natur erkennen, dann wird ihr Einfluß, wie subtil er auch sein mag, überwiegen und die emotionale Atmosphäre der Welt wird freundlicher werden. Die Menschen folgen ihren Führern, und wenn unter den Führern solche auftauchen, die groß im Herzen, offen im Verstand und völlig frei von Eigensucht sind, wird ihre Wirkung ausreichen, um die Grausamkeiten und Verbrechen des gegenwärtigen Zeitalters unmöglich zu machen. Dann könnte ein neues goldenes Zeitalter kommen und eine Zeitlang andauern, um dann wieder seiner eigenen Vollkommenheit zu erliegen. Denn die Ebbe beginnt, wenn die Flut am höchsten ist.
F: Gibt es den keine dauerhafte Vollkommenheit?
M: Ja, sie ist da, aber beinhaltet auch alle Unvollkommenheiten. Es ist die Vollkommenheit unserer Selbst-Natur, die alles möglich, wahrnehmbar und interessant macht. Sie kennt kein Leiden, weil ihr nichts gefällt oder mißfällt, denn sie nimmt nichts an und lehnt nichts ab. Entstehung und Zerstörung sind die beiden Pole, zwischen denen sie ihr Muster webt, das sich beständig verändert. Sei frei von Vorlieben und Neigungen, und der Verstand mit seiner Sorgenlast wird nicht mehr da sein!
F: Aber ich bin nicht der Einzige, der leidet. Es gibt noch viele andere.
M: Wenn du mit deinen Sorgen und Ängsten zu ihnen gehst, dann vermehrst du nur ihre Sorgen. Befreie dich zuerst selbst vom Leiden, und nur dann kannst du hoffen, anderen zu helfen. Du brauchst noch nicht einmal diese Hoffnung, denn dein reines Dasein wird die größte Hilfe sein, die ein Mensch seinen Mitmenschen geben kann.