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Wer ist Nisargadatta Maharaj? (1973)

Auf die Frage nach seinem Geburtsdatum antwortete der Meister schlicht, daß er nie geboren wurde. Einen biographischen Abriß über Sri Nisargadatta Maharaj zu schreiben ist also eine frustrierende und unfruchtbare Aufgabe. Denn nicht nur das genaue Geburtsdatum ist unbekannt, es liegen auch keine gesicherten Fakten zu seinen frühen Lebensjahren vor.

Einige seiner älteren Verwandten und Freunde erzählten, daß er im März 1897 an einem Tag des Vollmonds geboren wurde, der mit dem Hanuman-Jayanti-Fest zusammenfiel, an dem die Hindus Hanuman huldigen, dem Affengott aus dem Ramayana, der auch Maruti genannt wird. Und um seine Geburt mit diesem glückverheißenden Tag zu verbinden, nannten ihn seine Eltern Maruti. Über seine Kindheit und frühe Jugend ist nur wenig bekannt. Wir erfuhren, daß sein Vater Shivrampant ein armer Mann war, der einige Zeit als Hausangestellter in Bombay arbeitete und später seinen Lebensunterhalt als Kleinbauer in Kandalgaon verdiente, einem kleinen Dorf in den hinteren Wäldern des Distrikts Ratnagiri von Maharashtra. Maruti wuchs fast völlig ohne Schulbildung auf. Als Kind half er seinem Vater bei der Arbeit, soweit er konnte. Er hütete das Vieh, trieb die Ochsen an, arbeitete auf den Feldern und erledigte Besorgungen. Seine Freuden waren ebenso einfach wie seine Arbeiten, aber er war mit einem neugierigen Geist ausgestattet, der vor Fragen aller Art nur so sprudelte.

Sein Vater hatte einen brahmanischen Freund namens Vishnu Haribhau Gore, der ein frommer Mann war und ebenfalls ein einfaches Landleben führte und daraus lernte. Gore sprach oft über religiöse Themen, und der junge Maruti hörte aufmerksam zu und beschäftigte sich weit mehr mit diesen Themen, als irgend jemand vermutet hätte. Gore war für ihn der ideale Mann, ernsthaft, freundlich und weise.

Als Maruti achtzehn Jahre alt wurde, starb sein Vater und hinterließ eine Witwe mit vier Söhnen und zwei Töchtern. Das magere Einkommen aus der kleinen Farm schrumpfte nach dem Tod des Vaters weiter und reichte nicht aus, um so viele Münder zu ernähren. So verließ Marutis älterer Bruder das Dorf und ging nach Bombay auf Arbeitssuche, und er selbst folgte ihm kurz darauf. Es heißt, daß er in Bombay einige Monate lang als schlecht bezahlter kleiner Angestellter in einem Büro arbeitete, aber bald angewidert war und diese Stelle aufgab. Danach betätigte er sich als Kleinhändler und eröffnete einen Laden, in dem er Kinderkleidung, Tabak und handgedrehte Zigaretten verkaufte. Es heißt, daß dieses Geschäft im Laufe der Zeit florierte und ihm eine gewisse finanzielle Sicherheit verschaffte. In dieser Zeit heiratete er und bekam einen Sohn und drei Töchter.

Kindheit, Jugend, Heirat und Nachkommenschaft: Maruti lebte bis zu seinem mittleren Alter das übliche eintönige und ereignislose Leben eines gewöhnlichen Mannes, ohne auch nur die geringste Ahnung von der Heiligkeit zu haben, die folgen sollte. Zu seinen Freunden gehörte damals ein gewisser Yashwantrao Bagkar, der ein Anhänger von Sri Siddharameshwar Maharaj war, ein spiritueller Lehrer der Navnath Sampradayas, einer hinduistischen Tradition. Eines Abends nahm Bagkar Maruti zu seinem Guru mit, und dieser Abend wurde zum Wendepunkt in seinem Leben. Der Guru gab ihm ein Mantra und Anweisungen zur Meditation. Schon bald hatte er in seiner Praxis Visionen und fiel gelegentlich sogar in Trance. Etwas explodierte sozusagen in ihm und eröffnete ein kosmisches Bewußtsein, eine Empfindung des ewigen Lebens. Die Identität von Maruti, dem kleinen Ladenbesitzer, löste sich auf, und die strahlende Persönlichkeit von Sri Nisargadatta kam zum Vorschein.

Die meisten Menschen leben in der Welt des Ich-Bewußtseins und haben weder den Wunsch noch die Kraft, diese zu verlassen. Sie existieren nur für sich selber, und alle ihre Bemühungen sind auf die Erreichung von eigener Befriedigung und Verherrlichung ausgerichtet. Es gibt aber auch Seher, Lehrer und Offenbarer, die scheinbar in derselben Welt leben, doch gleichzeitig auch in einer anderen, der Welt des kosmischen Bewußtseins, die von unendlichem Wissen erstrahlt. Und nach dem Erlebnis seiner Erleuchtung begann Sri Nisargadatta Maharaj ein solches Doppelleben zu führen. Er betrieb weiterhin sein Geschäft, hörte aber auf, ein gewinnorientierter Kaufmann zu sein. Später verließ er seine Familie und sein Geschäft und wurde ein Bettelmönch, ein Pilger in der Weite und Vielfalt der indischen religiösen Landschaft. Er ging auf seinem Weg barfuß zum Himalaya, wo er den Rest seiner Jahre auf der Suche nach dem ewigen Leben verbringen wollte. Doch schon bald kehrte er um und kam nach Hause zurück, weil ihm die Sinnlosigkeit einer solchen Suche bewußt wurde. Denn das ewige Leben, so erkannte er, brauchte er nicht zu suchen, er hatte es bereits. Nachdem er über die Vorstellung „Ich bin der Körper!“ hinausgegangen war, erreichte er einen so freudvollen, friedlichen und herrlichen Geisteszustand, daß ihm im Vergleich dazu alles andere wertlos erschien. Er hatte die Selbstverwirklichung erreicht.

Wie ungebildet der Meister auch war, so außergewöhnlich erleuchtend sind nun die Gespräche mit ihm. Obwohl er in Armut geboren und aufgewachsen war, ist er nun der Reichste der Reichen, denn er verfügt über den grenzenlosen Reichtum an unvergänglichem Wissen, demgegenüber die fabelhaftesten Schätze nur unnützer Tand sind. Er ist warmherzig und liebevoll, scharfsinnig und humorvoll, völlig furchtlos und vollkommen wahrhaftig. Damit inspiriert, führt und unterstützt er alle, die zu ihm kommen.

Jeder Versuch, eine Biographie über einen solchen Mann zu schreiben, bleibt also unsinnig und vergeblich. Denn er ist kein Mensch mit Vergangenheit oder Zukunft. Er ist die lebendige Gegenwart, ewig und unveränderlich. Er ist das Selbst, das Alles geworden ist.

Anmerkung des englischen Übersetzers (1973)

Ich traf Sri Nisargadatta Maharaj vor einigen Jahren und war beeindruckt von der spontanen Einfachheit seines Auftretens und Verhaltens und seiner tiefen und echten Ernsthaftigkeit, mit der er seine Erfahrungen darlegte. So schwierig es auch war, seine kleine und bescheidene Wohnstätte in den Hinterhöfen von Bombay zu finden, viele haben den Weg dorthin gefunden. Die meisten von ihnen waren Inder, die sich mit ihm frei in ihrer Muttersprache unterhielten, aber es gab auch viele Ausländer, die einen Übersetzer brauchten. Wann immer ich anwesend war, fiel mir diese Aufgabe zu. Viele der gestellten Fragen und Antworten waren so interessant und bedeutsam, daß ein Tonbandgerät eingesetzt wurde. Während die meisten Tonbänder aus der üblichen Marathi-Englisch-Mischung bestanden, gab es auch einige mit mehreren indischen und europäischen Sprachen. Später wurde jedes Band abgehört und ins Englische übersetzt. Es war nicht einfach, wörtlich zu übersetzen und gleichzeitig langwierige Wiederholungen zu vermeiden. Wir hoffen, daß die vorliegende Übersetzung der Tonbandaufnahmen die Wirkung dieses klaren, großmütigen und in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Menschen nicht schmälern wird. Eine Marathi-Version dieser Gespräche, die von Sri Nisargadatta Maharaj selbst bestätigt wurde, haben wir separat veröffentlicht.

Maurice Frydman, Übersetzer, Bombay, 16. Oktober 1973

1. Die Empfindung von „Ich bin“

Fragender: Es ist eine tägliche Erfahrung, daß beim Aufwachen plötzlich die Welt erscheint. Woher kommt das?

Maharaj: Bevor etwas entstehen kann, muß es jemanden geben, zu dem es kommt. Alles Erscheinen und Verschwinden setzt eine Veränderung vor einem unveränderlichen Hintergrund voraus.

F: Bevor ich aufwachte, war ich bewußtlos.

M: In welchem Sinne? War es ein Vergessen oder Nichterleben? Lebst du denn nicht, selbst wenn du bewußtlos bist? Und kannst du nicht auch ohne Erinnerung existieren? Wäre ein Gedächtnisverlust ein Beweis für deine Nichtexistenz? Oder kannst du berechtigterweise von deiner Nichtexistenz als einer praktischen Erfahrung sprechen? Du kannst nicht einmal behaupten, daß dein Bewußtsein nicht existierte. Bist du nicht aufgewacht, als du gerufen wurdest? Und war beim Aufwachen nicht die Empfindung „Ich bin“ als erste da? Irgendein Grundbewußtsein muß also auch im Schlaf oder in der Ohnmacht wie ein Samen vorhanden sein. Und beim Aufwachen erfolgt die Erfahrung: „Ich bin der Körper in der Welt.“ Es scheint, als würde es nacheinander (als Veränderung bzw. Kontinuität) erfolgen, aber in Wahrheit geschieht alles gleichzeitig, und es ist nur eine Vorstellung, einen Körper in einer Welt zu haben. Könnte es die Empfindung von „Ich bin“ überhaupt geben, ohne daß da irgendwer oder was da ist?

F: Ich bin immer ein Jemand mit seinen eigenen Erinnerungen und Gewohnheiten. Ich weiß von keinem anderen „Ich bin“.

M: Vielleicht hindert dich etwas daran, es zu wissen? Was tust du, wenn du etwas nicht weißt, was andere wissen?

F: Ich suche mit ihrer Hilfe die Quelle ihres Wissens.

M: Ist es für dich nicht wichtig zu wissen, ob du nur ein Körper bist oder etwas anderes? Oder vielleicht gar nichts? Erkennst du nicht, daß alle deine Probleme die Probleme deines Körpers sind? Nahrung, Kleidung, Wohnung, Familie, Freunde, Name, Ruhm, Sicherheit und Überleben - all dies verliert an Bedeutung, sobald dir klar wird, daß du nicht dieser Körper sein kannst.

F: Welchen Nutzen hat es, zu wissen, daß ich nicht der Körper bin?

M: Selbst diese Aussage, daß du nicht der Körper bist, ist nicht ganz wahr. In gewisser Weise bist du alle Körper mit Herzen und Verstand und noch viel mehr. Geh tief in die Empfindung „Ich bin“ ein und du wirst es finden. Wie findet man etwas, das man verlegt oder vergessen hat? Du behältst es im Geist, bis du dich wieder daran erinnerst. Das Empfinden von „Ich bin“ kommt als erstes zum Vorschein. Frage dich, woher es kommt, oder schau es dir einfach ruhig an. Wenn der Geist im „Ich bin“ verweilt, ohne sich zu bewegen, gelangst du in einen Zustand, der zwar nicht beschrieben, aber erlebt werden kann. Das mußt du nur immer und immer wieder versuchen. Denn im Grunde ist die Empfindung (bzw. „Ent-Findung“) „Ich bin“ immer bei dir, nur daß verschiedene Dinge damit verbunden wurden, wie Körper, Gefühle, Gedanken, Vorstellungen, Besitztümer und so weiter. Alle diese Selbst-Identifikationen sind irreführend, und wegen ihnen hältst du dich für das, was du nicht bist.

F: Was bin ich denn?

M: Es reicht zu wissen, was du nicht bist. Du mußt nicht wissen, was du bist. Denn solange Wissen eine Beschreibung dessen bedeutet, was bereits bekannt, wahrnehmbar oder konzeptionell ist, kann es keine Selbsterkenntnis geben. Denn was du bist, kann nicht beschrieben werden, außer als völlige Verneinung. Man kann nur sagen: „Ich bin nicht dies, ich bin nicht das.“ Man kann nicht sinnvoll sagen: „Dies oder das bin ich.“ Es macht einfach keinen Sinn, denn was du als „dies“ oder „das“ bezeichnen kannst, kannst du nicht selbst sein. Und sicherlich kannst du auch nicht „etwas“ anderes sein. Du bist nichts Wahrnehmbares oder Vorstellbares, doch ohne dich kann es weder Wahrnehmung noch Vorstellung geben. Denn du nimmst die Gefühle des Herzens, das Denken des Verstandes und das Handeln des Körpers wahr. Schon deine Fähigkeit der Wahrnehmung zeigt, daß du nicht das bist, was du wahrnimmst. Kann es Wahrnehmung, Erfahrung ohne dich geben? Eine Erfahrung muß „jemandem gehören“. Jemand muß kommen und sie als sein Eigentum erklären. Ohne einen Erfahrenden ist die Erfahrung nicht wirklich, denn der Erfahrende verleiht der Erfahrung eine Wirklichkeit. Welchen Wert hätte für dich eine Erfahrung, die du nicht erfahren kannst?

F: Ist die Empfindung, ein Erfahrender zu sein, die Empfindung „Ich bin“, nicht auch eine Erfahrung?

M: Gewiß, denn alles, was erfahren wird, ist auch eine Erfahrung. Und in jeder Erfahrung entsteht dazu ein Erfahrender. Erinnerung erzeugt die Illusion von Kontinuität („das verändert sich“). So hat in Wirklichkeit jede Erfahrung ihren eigenen Erfahrenden. Und die Empfindung von Identität („das bin ich“) beruht auf dem gemeinsamen Faktor, der allen Beziehungen zwischen dem Erfahrenden und der Erfahrung zugrunde liegt. Aber Identität und Kontinuität sind nicht dasselbe. So wie jede Blume ihre eigene Farbe hat, aber alle Farben durch das gleiche Licht verursacht werden, so erscheinen im ungeteilten und unteilbaren Gewahrsein viele Erfahrungen, jede getrennt in der Erinnerung, aber in der Essenz identisch. Diese Essenz ist die Wurzel, das Fundament, die zeitlose und raumlose „Möglichkeit“ aller Erfahrungen.

F: Wie komme ich dahin?

M: Du mußt nicht dahin kommen, denn du bist es. Das wird dir bewußt werden, wenn du ihm eine Chance gibst. Laß deine Bindung an das Unwahre los und das Wahre wird schnell und reibungslos in sein Eigenes kommen. Hör auf, dir vorzustellen, daß du dies oder das tun oder werden mußt, und die Erkenntnis wird dir aufgehen, daß du die Quelle und das Herz von allem bist. Und damit wird eine große Liebe kommen, die weder Wahl noch Vorliebe oder Anhaftung ist, sondern eine Macht, die alles liebenswert und lieblich macht.

2. Besessenheit vom Körper

Fragender: Maharaj, du sitzt vor mir, und ich sitze hier zu deinen Füßen. Was ist der grundlegende Unterschied zwischen uns?

Maharaj: Es gibt keinen grundlegenden Unterschied.

F: Dennoch muß es einen realen Unterschied geben. Denn ich komme zu dir, und du kommst nicht zu mir.

M: Weil du dir Unterschiede vorstellst, gehst du hier und dort auf die Suche nach „höheren“ Menschen.

F: Du bist doch ein höherer Mensch, denn du behauptest, die Wahrheit zu kennen, und ich kenne sie nicht.

M: Habe ich dir jemals gesagt, daß du sie nicht kennst und du deshalb niedriger bist? Mögen diejenigen, die solche Unterscheidungen erfunden haben, sie auch beweisen. Ich behaupte nicht, etwas zu wissen, was du nicht weißt. Tatsächlich weiß ich sogar viel weniger als du.

F: Deine Worte sind weise, dein Verhalten ist edel und deine Gnade allmächtig.

M: Davon weiß ich nichts und sehe auch keinen Unterschied zwischen dir und mir. Mein Leben ist eine Abfolge von Ereignissen, genau wie deines. Nur hafte ich daran nicht an und sehe die vorübergehende Show als eine vorübergehende Show, während du an den Dingen anhaftest und mit ihnen gehst.

F: Was hat dich von dieser Anhaftung befreit?

M: Nichts Besonderes, es geschah einfach, daß ich meinem Guru vertraute. Er sagte mir, ich sei nichts als ich selbst, und ich glaubte ihm. Ich vertraute ihm, verhielt mich entsprechend und hörte auf, mich um das zu kümmern, was ich weder bin noch mir gehört.

F: Warum hattest du das Glück, deinem Lehrer voll und ganz zu vertrauen, während unser Vertrauen nur gering und verbal ist?

M: Wer kann das sagen? Es geschah einfach so, denn solche Dinge geschehen ohne Ursache und Anlaß. Was macht es schließlich aus, wer hier wer ist? Deine hohe Meinung von mir ist nur deine Meinung, und die kannst du jederzeit ändern. Warum legst du solchen Wert auf Meinungen, selbst auf deine eigenen?

F: Trotzdem bist du anders. Dein Geist scheint immer ruhig und glücklich zu sein, und um dich herum geschehen Wunder.

M: Ich weiß nichts von Wundern, und ich frage mich, ob die Natur überhaupt Ausnahmen von ihren Gesetzen zuläßt, es sei denn, wir sind uns einig, daß alles ein Wunder ist. Meiner Meinung nach gibt es solche Dinge nicht. Es gibt aber ein Bewußtsein, in dem alles geschieht, und das ist ziemlich offensichtlich und kann von jedem erfahren werden. Du schaust nur nicht achtsam genug hin. Schau achtsam und sieh, was ich sehe!

F: Was siehst du?

M: Ich sehe, was auch du hier und jetzt sehen könntest, wenn deine Achtsamkeit nicht den falschen Fokus hätte. Du schenkst dir selbst keine Aufmerksamkeit. Dein Verstand beschäftigt sich ausschließlich mit Dingen, Menschen und Vorstellungen, niemals mit dir selbst. Bringe dich selbst in den Fokus und werde dir deiner eigenen Existenz bewußt. Erkenne, wie du funktionierst, und beobachte die Motive und Ergebnisse deiner Handlungen. Studiere das Gefängnis, das du versehentlich um dich herum errichtet hast! Indem du erkennst, was du nicht bist, lernst du dich selbst erkennen. Der Weg zurück zu dir selbst führt über Entsagung und Zurückweisung. Eines ist sicher: Das Wahre ist keine Einbildung, denn es ist kein Produkt des Verstandes. Auch die Empfindung „Ich bin“ ist nicht kontinuierlich (bzw. veränderlich), jedoch ein nützlicher Wegweiser, denn sie zeigt, wo man suchen soll, aber nicht, was man suchen soll. Schau es dir einfach genau an. Sobald du davon überzeugt bist, daß du über dich selbst nichts anderes als „Ich bin“ wahrheitsgemäß sagen kannst und daß nichts, worauf du zeigen kannst, du selbst sein kannst, dann ist das Verlangen nach dem „Ich bin“ vorbei und du versuchst nicht mehr zu beschreiben, was du bist. Du mußt nur die Neigung loszuwerden, dich selbst zu definieren. Alle Definitionen gelten nur für deinen Körper und seine Ausdrucksformen. Sobald diese Besessenheit vom Körper verschwindet, kehrst du spontan und mühelos in deinen natürlichen Zustand zurück. Der einzige Unterschied zwischen uns besteht also darin, daß ich mir meines natürlichen Zustands bewußt bin, während du verträumt bist. So wie das Gold, das zu Schmuck verarbeitet wurde, keinen Vorteil gegenüber dem (ursprünglichen) Goldstaub hat, außer was der Verstand dazu erfindet, so sind wir Eins im Sein und unterscheiden uns nur in Erscheinungsformen. Das entdecken wir durch Ernsthaftigkeit, indem wir jeden Tag und jede Stunde suchen, nachfragen, hinterfragen und unser Leben dieser Entdeckung widmen.

3. Die lebendige Gegenwart

Fragender: Ich erkenne nun, daß weder an meinem Körper noch an meinem wahren Wesen irgendetwas nicht stimmt. Beide wurden nicht von mir geschaffen und müssen auch nicht verbessert werden. Was nicht stimmt, ist der „innere Körper“, das heißt, Verstand, Bewußtsein, Antahkarana oder wie immer man es nennen will.

Maharaj: Was ist deiner Meinung nach an deinem Verstand falsch?

F: Er ist ruhelos, gierig nach dem Angenehmen und ängstlich vor dem Unangenehmen.

M: Was ist falsch daran, das Angenehme zu suchen und sich dem Unangenehmen zu entziehen? Zwischen diesen Ufern von Glück und Leid fließt der Fluß des Lebens. Erst wenn der Verstand sich weigert, mit dem Leben zu fließen, und an den Ufern steckenbleibt, wird es zum Problem. Mit dem Leben zu fließen, damit meine ich Akzeptanz, also kommenlassen, was kommt, und gehenlassen, was geht. Verlange nichts und fürchte nichts, sondern beobachte das Geschehen, wie und wann es geschieht, denn du bist nicht das, was geschieht, sondern derjenige, der das Geschehen beobachtet. Und letztendlich bist du nicht einmal der Beobachter. Du bist die höchste Potentialität (das „Meer der Möglichkeiten“), deren Manifestation und Ausdruck das allumfassende Bewußtsein ist.

F: Doch zwischen dem Körper und dem Selbst liegt eine Wolke von Gedanken und Gefühlen, die weder dem Körper noch dem Selbst dienen. Denn diese Gedanken und Gefühle sind unverläßlich, vergänglich und essenzlos, nur geistiger Staub, der blind macht und erstickt, und doch sind sie da, verdunkelnd und zerstörend.

M: Die Erinnerung an ein Ereignis kann sicherlich nicht als das Ereignis selbst gelten, wie auch die Vorfreude nicht. Ein gegenwärtiges Ereignis hat etwas Außergewöhnliches und Einzigartiges, das die vergangenen oder zukünftigen nicht haben. Es hat etwas Lebendiges, eine Wirklichkeit, und es sticht hervor, als ob es beleuchtet wäre. Es drückt das „Siegel der Wahrheit“ auf die Wirklichkeit, welches die Vergangenheit und Zukunft nicht hat.

F: Was gibt dem Gegenwärtigen dieses „Siegel der Wahrheit“?

M: Das gegenwärtige Ereignis hat eigentlich nichts Besonderes, das es von der Vergangenheit und der Zukunft unterscheidet. Für einen Moment war die Vergangenheit gegenwärtig und die Zukunft wird es noch sein. Doch was macht die Gegenwart so anders? Offensichtlich meine Gegenwart. Ich bin wahr, denn ich bin immer jetzt in der Gegenwart, und was jetzt bei mir ist, hat Anteil an meiner Wahrheit. Die Vergangenheit ist im Gedächtnis und die Zukunft in der Vorstellung. Und auch am gegenwärtigen Ereignis gibt es nichts (anderes als meine Gegenwart), was es als wahrhaft hervorheben würde. Es kann sich um ein einfaches wiederkehrendes Ereignis handeln, wie etwa das Schlagen einer Uhr. Obwohl wir wissen, daß die weiteren Schläge nicht anders sein werden, unterscheidet sich der aktuelle Schlag deutlich vom vergangenen und dem zukünftigen, wie wir ihn in Erinnerung haben oder erwarten. Etwas, das im Jetzt konzentriert ist, ist bei mir, denn „ich bin“ immer gegenwärtig. Es ist also meine eigene Wahrheit, die ich dem gegenwärtigen Ereignis verleihe.

F: Aber wir gehen auch mit Dingen um, an die wir uns erinnern, als ob sie wahr wären.

M: Wir betrachten Erinnerungen nur dann, wenn sie in die Gegenwart kommen. Das Vergessene wirkt nicht, bis man sich daran erinnert, das heißt, bis es ins Jetzt kommt.

F: Ja, ich kann sehen, daß es im Jetzt etwas Unbekanntes gibt, das der vergänglichen Wirklichkeit eine gegenwärtige Wahrheit verleiht.

M: Man muß nicht sagen, daß es unbekannt ist, denn man sieht ja, daß es ständig anwesend ist. Hat es sich seit deiner Geburt jemals verändert? Formen und Gedanken haben sich ständig verändert. Aber die Empfindung, daß das, was jetzt ist, wahr ist, hat sich niemals verändert, nicht einmal im Traum.

F: Doch im Tiefschlaf gibt es keine Erfahrung der gegenwärtigen Wahrheit.

M: Die Leere des Tiefschlafs ist ausschließlich auf das Fehlen besonderer Erinnerungen zurückzuführen. Aber eine allgemeine Erinnerung an Wohlbefinden ist da. Es gibt doch einen Unterschied im Sinn, wenn wir sagen „Ich habe tief geschlafen“ oder „Ich war nicht da“.

F: Laß uns die Frage wiederholen, mit der wir begonnen haben: Zwischen der Quelle des Lebens und dem Ausdruck des Lebens (als Körper) liegt der Verstand und seine sich ständig verändernden Zustände. Dieser Strom geistiger Zustände ist endlos, essenzlos und leidhaft. Das Leiden ist dabei ein ständiger Faktor. Was wir Glück nennen, ist nur eine Lücke, ein Intervall zwischen zwei leidhaften Zuständen. Verlangen und Angst sind die Quer- und Längsfäden im Gewebe des Lebens, und beide bestehen aus Leid. So ist unsere Frage: Kann es überhaupt einen glücklichen Verstand geben?

M: Verlangen ist die Erinnerung an Glück, und Angst ist die Erinnerung an Leid. Beides macht den Verstand unruhig. Glückliche Momente sind lediglich Lücken im Strom des Leidens. Wie könnte der Verstand jemals glücklich sein?

F: Das gilt, wenn wir Glück begehren oder Leid befürchten. Aber es gibt auch Momente unerwarteter spontaner Freude, nämlich reine Freude, unbefleckt von Verlangen, ungewollt, unverdient und gottgegeben.

M: Dennoch existiert auch diese Freude nur vor dem Hintergrund des Leidens.

F: Ist Leiden eine kosmische Tatsache oder nur ein Verstandeskonstrukt?

M: Das Universum ist vollkommen, und wo Vollkommenheit ist und nichts fehlt, was könnte da leidend sein?

F: Das Universum mag als Ganzes vollkommen sein, aber nicht in jedem Teil.

M: Auch ein Teil des Ganzen ist bezüglich zum Ganzen betrachtet vollkommen. Erst getrennt betrachtet wird es unvollkommen und damit zur Quelle des Leidens. Was erzeugt diese Trennung?

F: Natürlich die Begrenzung des Verstandes. Der Verstand kann nicht das Ganze, sondern nur Teile sehen.

M: Gut! Der Verstand ist von Natur aus trennend und gegensätzlich. Könnte es einen anderen Verstand geben, der vereint und harmonisiert, der das Ganze im Teil und das Teil vollkommen im Ganzen vereint sieht?

F: Wo sollte man ihn suchen, diesen „anderen Verstand“?

M: Im Überschreiten des begrenzenden, trennenden und gegensätzlichen Verstandes, indem wir den gedanklichen Prozeß beenden, wie wir ihn (gewöhnlich) kennen. Wenn dieser zum Ende (und zur Ruhe) kommt, wird jener Verstand (als ganzheitliche Vernunft) geboren.

F: Existiert dann in jenem Verstand das Problem von Glück und Leid nicht mehr?

M: Nicht so, wie wir es als Verlangen oder Ablehnung kennen. Es geht vielmehr darum, daß die Liebe ihren Ausdruck sucht und auf Hindernisse stößt. Der ganzheitliche Verstand (als Vernunft) ist Liebe in Aktion, die gegen die Umstände kämpft, zunächst frustriert ist, aber am Ende siegreich.

F: Ist es diese Liebe, die die Brücke zwischen Geist und Körper schlägt?

M: Was sonst? Der Verstand erschafft den Abgrund, und das Herz überwindet ihn.

4. Die wahre Welt ist jenseits des Verstandes

Fragender: Schon öfters wurde die Frage gestellt, ob das Universum dem Gesetz der Kausalität (von Ursache und Wirkung) unterliegt oder ob es außerhalb dieses Gesetzes existiert und funktioniert. Du scheinst die Ansicht zu vertreten, daß es keine Ursache hat, und daß alles, wie klein es auch sein mag, keine Ursache hat und aus keinerlei erkennbaren Gründen entsteht und vergeht.

Maharaj: Kausalität bedeutet die zeitliche Abfolge von Ereignissen im Raum, wobei der Raum körperlich oder geistig ist. Doch Zeit, Raum und Kausalität sind geistige Kategorien, die mit dem Verstand entstehen und vergehen.

F: Solange der Verstand funktioniert, ist also die Kausalität ein gültiges Gesetz.

M: Wie alles Verstandeswissen, so widerspricht sich auch das sogenannte „Gesetz der Kausalität“. Kein existierendes Ding hat nur eine bestimmte Ursache, denn das ganze Universum trägt zur Existenz selbst der kleinsten Dinge bei. Nichts könnte so sein, wie es ist, ohne daß das Universum so ist, wie es ist. Wenn also die Quelle und der Grund von allem die einzige Ursache von allem ist, dann ist es falsch, von der Kausalität als einem universalen Gesetz zu sprechen. Denn das Universum ist nicht an seinen Inhalt gebunden, weil seine Möglichkeiten unendlich sind. Außerdem ist es eine Manifestation oder der Ausdruck eines Prinzips, das grundsätzlich vollkommen frei ist.

F: Ja, man kann sehen, daß es eigentlich falsch ist, davon zu sprechen, daß eine bestimmte Sache die einzige Ursache für eine andere Sache ist. Aber im wirklichen Leben sind doch unsere Handlungen immer fest auf ein bestimmtes Ergebnis gerichtet (bzgl. Ursache und Wirkung).

M: Ja, aus Unwissenheit gibt es viele solcher Taten. Wüßten die Menschen, daß nichts geschehen kann, wenn nicht das ganze Universum dafür sorgt, daß es geschieht, dann würden sie mit weniger Energieaufwand viel mehr erreichen.

F: Wenn alles Ausdruck der Ganzheit der Ursachen ist, wie können wir dann von zielgerichteten Taten zum Erreichen bestimmter Ergebnisse sprechen?

M: Auch dieser Drang, etwas Bestimmtes zu erreichen, ist ein Ausdruck des ganzen Universums. Es zeigt lediglich an, daß das Potential an Energie an einem bestimmten Punkt aufgestiegen ist. So ist es die Illusion der Zeit, die dich von Kausalität sprechen läßt. Wenn Vergangenheit und Zukunft im zeitlosen Jetzt als Teile eines ganzheitlichen Musters (bzw. Gewebe) betrachtet werden, dann verliert die Vorstellung von Ursache und Wirkung ihre Gültigkeit, und an ihre Stelle tritt eine kreative Freiheit.

F: Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, wie etwas ohne eine Ursache entstehen kann.

M: Wenn ich sage, daß eine Sache ohne Ursache ist, dann meine ich, daß sie ohne eine bestimmte Ursache sein kann. Deine eigene Mutter war nötig, um dich zur Welt zu bringen, aber ohne Sonne und Erde hättest du nicht geboren werden können. Und auch diese hätten ohne deinen eigenen Wunsch nach dem Geborenwerden nicht die Ursache für deine Geburt sein können. Es ist der Wunsch, der gebiert und Name und Form gibt. Das Gewünschte wird vorgestellt und gewollt und manifestiert sich dann als etwas Greifbares oder Wirkliches. So entsteht diese Welt, in der wir leben, als unsere persönliche Welt. Die wahre Welt liegt außerhalb der Reichweite des Verstandes, denn damit sehen wir alles durch das Netz (bzw. Gewebe) unserer Wünsche, unterschieden in Glück und Leid, Richtig und Falsch, Innerlich und Äußerlich. Um das Universum so zu sehen, wie es ist, mußt du über dieses Netz hinausgehen. Das ist nicht schwer, denn das Netz hat viele Löcher.

F: Was meinst du mit den Löchern? Und wie findet man sie?

M: Schau dir das Netz und seine vielen Gegensätze an! Du erschaffst und zerstörst es bei jedem Schritt. Du willst Frieden, Liebe und Glück, aber arbeitest hart daran, um Leid, Haß und Krieg zu erzeugen. Du willst lange leben, aber zu viel essen. Du willst Freundschaft, aber auch Ausbeutung. Erkenne, daß dein Netz aus solchen Gegensätzen besteht und überwinde sie! Wenn du sie durchschaust, dann werden sie verschwinden.

F: Wenn mein Durchschauen die Gegensätze verschwinden läßt, gibt es dann keine Kausalität zwischen meinem Durchschauen und ihrem Verschwinden?

M: Kausalität gilt nicht für das Chaos (der Unordnung), nicht einmal als Konzept.

F: Inwieweit ist das Verlangen ein kausaler (verursachender) Faktor?

M: Es ist nur einer von vielen, denn für alles gibt es unzählige kausale Faktoren. Denn die Quelle von allem, was ist, ist die unendliche Möglichkeit, die höchste Wahrheit, die in dir ist und die ihre Kraft, ihr Licht und ihre Liebe in jede Erfahrung gibt. Aber diese Quelle ist keine Ursache, sondern ohne Ursache eine Quelle. Aus diesem Grund sage ich, daß alles ohne Ursache ist. Du kannst zwar versuchen zu verfolgen, wie etwas geschieht, aber du kannst nicht herausfinden, warum etwas so ist, wie es ist. Denn jede Sache ist, wie sie ist, weil das ganze Universum so ist, wie es ist.

5. Was geboren wird, muß sterben

Fragender: Ist das Bewußtsein des Erkennenden dauerhaft oder nicht?

Maharaj: Es ist nicht dauerhaft. Der Erkennende entsteht und vergeht mit dem Erkannten. Doch das, in dem sowohl der Erkennende als auch das Erkannte entstehen und vergehen, ist jenseits der Zeit, wo die Worte „dauerhaft“ oder „unaufhörlich“ nicht gelten.

F: Im Schlaf gibt es weder das Erkannte noch den Erkennenden. Was hält den Körper empfindlich und empfänglich?

M: Du kannst eigentlich nicht sagen, daß der Erkennende nicht da war. Nur die Erfahrung von Dingen und Gedanken war nicht da, das ist alles. Doch auch die Abwesenheit von Erfahrung ist eine Erfahrung. Es ist, als würde man einen dunklen Raum betreten und sagen: „Ich sehe nichts.“ Ein Mensch, der von Geburt an blind ist, kennt diese Dunkelheit nicht (eines dunklen Raumes, aber der Sehende weiß, daß er hier nichts sieht). Ebenso weiß auch nur der Erkennende, daß er nichts erkennt. Schlaf ist also lediglich eine Gedächtnislücke, aber das Leben geht weiter.

F: Und was ist dann der Tod?

M: Es ist die Veränderung im Lebensprozeß eines bestimmten Körpers. Die Integration (Verbindung) endet und die Desintegration (Auflösung) beginnt.

F: Aber was geschieht mit dem Erkennenden? Verschwindet auch der Erkennende, wenn der Körper verschwindet?

M: So wie der Erkennende des Körpers mit der Geburt erscheint, so verschwindet er im Tod.

F: Und nichts bleibt übrig?

M: Das Leben bleibt. Das Bewußtsein braucht ein Fahrzeug und ein Werkzeug für seine Verkörperung. Wenn das Leben einen anderen Körper hervorbringt, entsteht auch ein anderer Erkennender.

F: Gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen den aufeinanderfolgenden Erkennenden des Körpers und ihren Verstand?

M: Ja, es gibt etwas, das man „Erinnerungskörper“ oder „Kausalkörper“ nennen kann, eine Aufzeichnung von allem, was gedacht, gewollt und getan wurde. Es ist wie eine Wolke aus zusammenhängenden (miteinander verbundenen) Bildern.

F: Woher kommt dann diese Empfindung einer getrennten Existenz?

M: Es ist eine Widerspiegelung der einen Wahrheit in einem getrennten Körper. In dieser Reflexion werden das Grenzenlose und das Begrenzte verwechselt oder für dasselbe angesehen. Diese Verwirrung aufzulösen ist der Zweck des Yoga.

F: Löst der Tod diese Verwirrung nicht auf?

M: Im Tod stirbt nur der Körper, nicht das Leben, nicht das Bewußtsein und nicht die Wahrheit. Das Leben ist nie so lebendig wie nach dem Tod.

F: Lebt man dann weiter?

M: Alles, was geboren wurde, muß auch sterben. Nur das Ungeborene ist unsterblich. Finde heraus, was niemals schläft und niemals aufwacht und dessen blasses Spiegelbild unser Ich-Empfinden ist.

F: Wie kann ich das herausfinden?

M: Wie findest du etwas? Indem du deinen Geist und dein Herz darauf richtest. Es muß ein ernsthaftes Interesse da sein und eine beständige Erinnerung. Sich an das Notwendige zu erinnern, ist das Geheimnis des Erfolgs. Aber nur mit Ernsthaftigkeit kommst du dorthin.

F: Willst du damit sagen, daß der reine Wille ausreicht, um es zu finden? Sicherlich sind doch auch Fähigkeiten und Gelegenheiten erforderlich.

M: Diese werden mit der Ernsthaftigkeit kommen. Das Wichtigste ist, frei von Widersprüchen zu sein: Ziel und Weg dürfen nicht auf verschiedenen Ebenen liegen. Leben und Licht dürfen nicht gegeneinander streiten, und dein Verhalten darf deine Überzeugung nicht hintergehen. Nenne es Wahrhaftigkeit, Vollkommenheit oder Ganzheit. Du darfst niemals umkehren und das eroberte Reich verlieren, entwurzeln oder verlassen. Beständigkeit in der Absicht und Wahrhaftigkeit in der Verfolgung werden dich an dein Ziel bringen.

F: Beharrlichkeit und Wahrhaftigkeit sind sicherlich große Segen! Doch ich habe wohl keine Spur davon.

M: Alles wird kommen, wenn du weitergehst. Mach zuerst den ersten Schritt! Alle Segnungen kommen aus dem Inneren. Wende dich nach innen und erkenne: „Ich bin.“ Bleibe so lange dabei, wie du kannst, bis du dich spontan daran erinnerst. Es gibt keinen kürzeren und einfacheren Weg.

6. Meditation

Fragender: Alle Lehrer raten zum Meditieren. Was ist der Zweck der Meditation?

Maharaj: Wir kennen die äußerliche Welt der Sinne und Taten, aber über unsere innerliche Welt der Gedanken und Empfindungen wissen wir sehr wenig. Der grundsätzliche Zweck der Meditation besteht darin, sich des innerlichen Lebens bewußt und mit ihm vertraut zu werden. Und das höchste Ziel ist, die Quelle des Lebens und des Bewußtseins zu erreichen. Dazu beeinflußt die Meditationspraxis auch tiefgreifend unseren Charakter. Denn in der Unwissenheit sind wir Sklaven, aber in der Weisheit sind wir Meister. Welche Untugend oder Dummheit wir auch immer in uns selbst entdecken und deren Ursache und Wirkungsweise erkennen, diese überwinden wir allein durch das Erkennen. Das Unbewußte löst sich auf, wenn es ins Bewußtsein gebracht wird. Die Auflösung des Unbewußten befreit Energie, und der Verstand fühlt sich ausgeglichen und wird ruhig.

F: Was nützt ein ruhiger Verstand?

M: Wenn der Verstand ruhig ist, dann erkennen wir uns selbst als reinen Zeugen. Wir ziehen uns sowohl von der Erfahrung als auch vom Erfahrenden zurück und stehen jenseits davon im reinen Bewußtsein, das zwischen beiden und darüber hinaus besteht. Die Persönlichkeit, die auf Selbst-Identifikation basiert, auf der Vorstellung, daß man etwas Bestimmtes sei - „Ich bin dies, ich bin das“ -, bleibt zwar noch als Teil der äußerlichen Objektwelt bestehen, aber der Zeuge zerbricht seine Identifikation mit ihr.

F: Wie ich erkennen kann, lebe ich auf vielen Ebenen und das Leben erfordert auf jeder Ebene Energie. Das Selbst hat von Natur aus Freude an allem und seine Energien strömen nach außen. Ist es nicht der Zweck der Meditation, die Energien auf den höheren Ebenen zu sammeln oder sie zurück nach oben zu drängen, damit auch die höheren Ebenen gedeihen können?

M: Es geht nicht so sehr um Ebenen, sondern vielmehr um Gunas (Qualitäten). Meditation ist eine Sattwa-Aktivität und zielt auf die vollständige Beseitigung von Tamas (Trägheit, Unwissenheit) und Rajas (Unruhe, Leidenschaft) ab. Denn reines Sattwa (Güte, Harmonie) ist vollkommene Freiheit von Trägheit und Unruhe.

F: Wie kann man Sattwa stärken und reinigen?

M: Das Sattwa ist immer rein und stark. Es ist wie die Sonne, die durch Wolken und Staub verdeckt erscheinen kann, aber nur aus der Sicht des Beobachters. Kümmere dich also um die Ursachen der Verdunklung und nicht um die Sonne!

F: Wozu nützt Sattwa?

M: Was nützen Wahrheit, Güte, Harmonie und Schönheit? Sie sind ihr eigenes Ziel. Sie manifestieren sich spontan und mühelos, wenn die Dinge sich selbst überlassen werden, ohne einzugreifen, zu vermeiden, zu begehren oder zu konzeptualisieren, sondern einfach in vollem Gewahrsein erfahren werden. Ein solches Gewahrsein ist Sattwa. Es nutzt Dinge und Menschen nicht aus, sondern erfüllt sie.

F: Wenn ich das Sattwa nicht verbessern kann, soll ich mich dann nur um Tamas und Rajas kümmern? Wie soll ich mit ihnen umgehen?

M: Indem du ihren Einfluß in dir und auf dich beobachtest. Sei dir ihrer Wirkung bewußt und achte auf ihren Ausdruck in deinen Gedanken, Worten und Taten, und nach und nach wird ihr Einfluß auf dich nachlassen und das klare Licht von Sattwa wird zum Vorschein kommen. Es ist weder ein schwieriger noch ein langwieriger Prozeß. Die einzige Voraussetzung für den Erfolg ist deine Ernsthaftigkeit.

7. Die Welt des Verstandes

Fragender: Es gibt sehr interessante Bücher von scheinbar sehr kompetenten Leuten, in denen diese Welt als Illusion geleugnet wird (jedoch nicht ihre Vergänglichkeit). Ihnen zufolge gibt es eine Hierarchie der Wesen, vom niedrigsten zum höchsten, und auf jeder Ebene ermöglicht und spiegelt die Komplexität des jeweiligen Organismus die Tiefe, Weite und Intensität des Bewußtseins wider, ohne daß es einen sichtbaren oder erkennbaren höchsten Punkt gibt. Hier herrscht überall ein einziges Gesetz: Die Evolution von Formen für das Wachstum, die Bereicherung des Bewußtseins und die Manifestation seiner unendlichen Möglichkeiten.

Maharaj: So kann es sein oder auch nicht. Und wenn es so ist, dann ist es nur aus der Sicht des Verstandes so, aber in Wahrheit existiert das ganze Universum (Mahadakash - Größter Raum) nur im Bewußtsein (Chidakash), während mein Urgrund im Absoluten (Paramakash - Höchsten Raum) ist. Im reinen Dasein entsteht Bewußtsein, und im Bewußtsein erscheint und verschwindet die Welt. Alles, was da ist, bin ich, und alles, was da ist, ist mein. Ich bin vor jedem Anfang und nach jedem Ende. Alles hat sein Dasein in mir, im „Ich bin“, das in jedem Lebewesen erstrahlt. Sogar das Nichtsein ist ohne mich undenkbar. Was auch immer geschieht, ich muß da sein, um es zu bezeugen.

F: Warum verleugnest du das Dasein der Welt selbst?

M: Ich verleugne nicht die Welt. Ich sehe sie als Erscheinung im Bewußtsein, das die Gesamtheit des Bekannten in der Unermeßlichkeit des Unbekannten darstellt. Was beginnt und endet, ist nur eine Erscheinung. So kann man sagen, daß die Welt erscheint, aber nicht, daß sie da ist. Die Erscheinung kann auf einer Zeitskala sehr lange anhalten und auf einer anderen sehr kurz sein, aber letztendlich läuft es auf dasselbe hinaus: Alles, was an die Zeit gebunden ist, ist vorübergehend und nicht wahr.

F: Doch sicherlich siehst auch du die wirkliche Welt, wie sie dich umgibt. Du scheinst dich zumindest ganz normal zu verhalten.

M: So erscheint es dir. Doch was in deinem Fall das gesamte Bewußtseinsfeld einnimmt, ist bei mir nur ein kleiner Fleck. Die Welt existiert, aber nur für einen Moment. Es ist dein Gedächtnis, das dich denken läßt, daß die Welt beständig ist. Ich selbst lebe nicht aus dem Gedächtnis. Ich sehe die Welt so, wie sie ist, eine momentane Erscheinung im Bewußtsein.

F: In deinem Bewußtsein?

M: Alle Vorstellungen von „Ich“ und „Mein“, sogar von „Ich bin“, sind im Bewußtsein.

F: Ist dann dein „absolutes Dasein“ (Paramakash) Unbewußtsein?

M: Auch die Vorstellung des Unbewußtseins existiert nur im Bewußtsein.

F: Woher weißt du dann, daß du im höchsten Zustand (im „absoluten Dasein“) bist?

M: Weil ich da bin. Das ist der einzige natürliche Zustand.

F: Kannst du ihn beschreiben?

M: Nur durch Verneinung, wie nicht verursacht, nicht abhängig, nicht bezüglich, nicht geteilt, nicht zusammengesetzt, nicht erschütterbar, nicht zu bezweifeln oder nicht erreichbar durch Anstrengung. Jede positive Beschreibung stammt aus dem Gedächtnis (des Verstandes) und ist daher nicht anwendbar. Und doch ist mein Zustand höchst wirklich und daher möglich, realisierbar und erreichbar.

F: Bist du nicht zeitlos in eine Abstraktion versunken?

M: Abstraktion ist gedacht und gesprochen und verschwindet im Schlaf oder in der Bewußtlosigkeit und erscheint wieder in der Zeit. Ich bin zeitlos im Jetzt in meinem eigenen Zustand (Swarupa). Vergangenheit und Zukunft gibt es nur im Verstand: Ich bin jetzt.

F: Auch die Welt ist jetzt.

M: Welche Welt?

F: Die Welt um uns herum.

M: Das ist deine Welt, die du im Verstand hast, nicht meine. Was weißt du von mir, wenn sogar mein Gespräch mit dir nur in deiner Welt stattfindet? Du hast keinen Grund zu der Annahme, daß meine Welt mit deiner identisch ist. Meine Welt ist real und wahr, wie sie wahrgenommen wird, während deine Welt je nach dem Zustand deines Verstandes erscheint und verschwindet. Deine Welt ist etwas Fremdes, und du hast Angst davor. Meine Welt bin ich selbst, und ich bin zu Hause.

F: Wenn du die Welt bist, wie kannst du dir ihrer bewußt sein? Unterscheidet sich nicht das Subjekt des Bewußtseins von seinem Objekt?

M: Das Bewußtsein und die Welt erscheinen und verschwinden zusammen, und daher sind sie zwei Aspekte desselben Zustands.

F: Im Schlaf bin ich nicht da, aber die Welt geht doch weiter.

M: Woher weißt du das?

F: Beim Aufwachen weiß ich es, und mein Gedächtnis sagt es mir.

M: Gedächtnis ist im Verstand, und der Verstand bleibt auch im Schlaf bestehen.

F: Er ist teilweise unbewußt.

M: Aber sein Weltbild wird dadurch nicht beeinträchtigt. Solange dein Verstand da ist, sind auch dein Körper und deine Welt da. Deine Welt ist vom Verstand geschaffen, subjektiv, im Verstand eingeschlossen, teilweise, vorübergehend, persönlich und hängt am Gedächtnisfaden.

F: Und deine auch?

M: Oh nein! Ich lebe in einer Welt der Wahrheit, während deine Welt aus Vorstellungen besteht. Deine Welt ist persönlich, privat, nicht mitteilbar und ganz und gar deine eigene. Niemand kann sie betreten, sehen, wie du siehst, hören, wie du hörst, deine Gefühle fühlen und deine Gedanken denken. In deiner Welt bist du wirklich allein, gefangen in deinem sich ständig verändernden Traum, den du für das Leben hältst. Meine Welt ist eine offene Welt, die allen gemeinsam und für alle zugänglich ist. In meiner Welt gibt es Gemeinschaft, Einsicht, Liebe und wahre Qualität. Das Individuum ist das Ganze, und die Ganzheit ist im Individuum. Alle sind eins, und das Eine ist alles.

F: Ist deine Welt auch genauso voll von Dingen und Menschen wie meine?

M: Nein, sie ist voll von mir selbst.

F: Aber du siehst und hörst doch so wie wir.

M: Ja, ich scheine zu hören, zu sehen, zu reden und zu handeln, aber bei mir passiert es einfach so, wie bei dir die Verdauung oder das Schwitzen passiert. Die Körper-Verstand-Maschine kümmert sich darum, aber läßt mich jenseits davon. So wie du dir keine Sorgen um das Haarwachstum machen mußt, so muß ich mir auch keine Sorgen um Worte und Taten machen. Sie passieren einfach und lassen mich unbesorgt, denn in meiner Welt läuft nie etwas falsch.

8. Das Selbst ist jenseits des Verstandes

Fragender: Als Kind erlebte ich oft Zustände völligen Glücks, die an Ekstase grenzten. Später hörten sie auf, aber seit ich in Indien bin, tauchen sie wieder auf, besonders nachdem ich dich getroffen habe. Doch diese Zustände, so wunderbar sie auch sein mögen, sind nicht von Dauer. Sie kommen und gehen, und es ist nicht abzusehen, wann sie zurückkommen.

Maharaj: Wie kann etwas im Verstand beständig sein, der selbst nicht beständig ist?

F: Wie kann ich meinen Verstand beständig machen?

M: Wie kann ein unbeständiger Verstand beständig werden? Das geht natürlich nicht. Es liegt in der Natur des Verstandes, umherzuschweifen. Alles, was du tun kannst, ist, den Fokus des Bewußtseins über den Verstand hinaus zu richten.

F: Wie macht man das?

M: Lehne alle Gedanken ab, bis auf einen, den Gedanken „Ich bin“. Der Verstand wird am Anfang rebellieren, aber mit Geduld und Beharrlichkeit wird er nachgeben und ruhig bleiben. Sobald du ruhig bist, beginnen die Dinge spontan und ganz natürlich zu geschehen, ohne daß du eingreifst.

F: Kann ich diesen langwierigen Kampf mit meinem Verstand vermeiden?

M: Ja, das kannst du. Lebe einfach dein Leben, wie es kommt, aber wachsam und achtsam. Laß alles geschehen, wie es geschieht, vollbringe die natürlichen Dinge auf natürliche Weise, leide und freue dich, wie es das Leben bringt. Auch das ist ein Weg.

F: Nun, dann kann ich auch heiraten, Kinder haben, Geschäfte machen und glücklich sein.

M: Sicherlich! Ob du glücklich bist oder nicht, nimm es gelassen an.

F: Ich möchte aber doch glücklich sein.

M: Wahres Glück kann nicht in den Dingen gefunden werden, die sich verändern und vergehen. Glück und Leid wechseln sich hier unaufhaltsam ab. Wahres Glück kommt nur vom Selbst und kann auch nur im Selbst gefunden werden. Finde dein wahres Selbst (Swarupa) und alles andere kommt von selbst.

F: Wenn mein wahres Selbst Frieden und Liebe ist, warum ist es dann so ruhelos?

M: Es ist nicht dein wahres Selbst, das so ruhelos ist, sondern sein Spiegelbild im Verstand erscheint ruhelos, weil der Verstand ruhelos ist. Es ist wie die Spiegelung des Mondes in den Wasserwellen, die vom Wind bewegt werden. Der Wind des Verlangens bewegt den Verstand, und das „Ich“, das nur eine Widerspiegelung des Selbst im Verstand ist, erscheint veränderlich. Aber diese Vorstellungen von Bewegung, Unruhe, Glück und Leid sind alle im Verstand. Das Selbst ist jenseits des Verstandes, bewußt, aber unbekümmert.

F: Wie kann man es erreichen?

M: Du bist bereits das Selbst, hier und jetzt. Laß den Verstand in Ruhe, stehe bewußt und unbekümmert, und du wirst erkennen, daß es ein Aspekt deiner wahren Natur ist, wachsam, aber losgelöst zu sein und zu beobachten, wie die Ereignisse kommen und gehen.

F: Was sind die anderen Aspekte?

M: Es gibt unendlich viele Aspekte. Erkenne (diesen) einen und du wirst alle erkennen.

F: Gib mir dazu eine Hilfestellung!

M: Du weißt am besten, was du brauchst.

F: Ich bin ruhelos. Wie kann ich Frieden finden?

M: Wofür brauchst du Frieden?

F: Um glücklich zu sein.

M: Bist du jetzt nicht glücklich?

F: Nein, das bin ich nicht.

M: Was macht dich denn unglücklich?

F: Ich habe, was ich nicht will, und ich will, was ich nicht habe.

M: Warum kehrst du es nicht um? Warum willst du nicht, was du hast, und bist unbekümmert um das, was du nicht hast?

F: Ich möchte, was angenehm ist, und kein Leiden.

M: Woher weißt du, was angenehm ist und was nicht?

F: Natürlich aus früheren Erfahrungen.

M: Geleitet vom Gedächtnis hast du also das Angenehme verfolgt und das Unangenehme gemieden. Ist es dir gelungen?

F: Nein, es gelang nicht. Das Angenehme war vergänglich, und das Leiden kam wieder.

M: Welches Leiden?

F: Das Verlangen nach Freude und die Angst vor Leid, beides sind Zustände des Kummers. Gibt es einen Zustand unbekümmerter Freude?

M: Jede Freude, ob körperlich oder geistig, braucht ein Werkzeug. Doch sowohl die körperlichen als auch die geistigen Werkzeuge sind weltlicher Art und ermüden und verschleißen. Die Freude, die sie geben, ist zwangsläufig an Intensität und Dauer begrenzt. So ist das Leiden der Hintergrund all deiner Freuden. Und diese suchst du, weil du leidest, aber andererseits ist gerade diese Suche nach Freude die Ursache für dein Leiden. Es ist also ein Teufelskreis.

F: Ich kann den Mechanismus meiner Verwirrung erkennen, aber ich sehe keinen Ausweg.

M: Schon die Erkenntnis des Mechanismus zeigt den Ausweg. Denn schließlich ist deine Verwirrung nur in deinem Verstand, der bisher noch nie gegen diese Verwirrung rebelliert und sie auch nie begriffen hatte. Er rebellierte nur gegen das Leiden.

F: Ich soll also weiterhin verwirrt bleiben?

M: Sei wachsam! Hinterfrage, beobachte, untersuche und lerne alles über deine Verwirrung, wie sie funktioniert und was sie mit dir und anderen macht. Soweit du diese Verwirrung durchschaust, wirst du frei davon.

F: Wenn ich tief in mich hineinschaue, dann finde ich meinen stärksten Wunsch, ein Monument („Denkmal“) zu schaffen und etwas zu bauen, das mich überdauert. Selbst wenn ich an ein Zuhause, eine Frau und ein Kind denke, dann deshalb, weil es ein dauerhaftes und beständiges Zeugnis von mir selbst sein soll.

M: Nun gut, dann baue dir ein Monument. Wie willst du es tun?

F: Es spielt keine Rolle, was ich baue, solange es dauerhaft ist.

M: Sicherlich kannst du selbst erkennen, daß hier nichts von Dauer ist. Alles verbraucht sich, zerfällt und löst sich auf. Sogar der Grund, auf dem du baust, gibt nach. Was könntest du bauen, das alles überdauert?

F: Gedanklich und begrifflich bin ich mir bewußt, daß alles vergänglich ist. Doch irgendwie sehnt sich mein Herz nach Beständigkeit. Ich möchte etwas schaffen, das Bestand hat.

M: Dann mußt du es auf etwas Beständigem aufbauen. Was hast du, das beständig ist? Weder dein Körper noch dein Verstand sind beständig. Du mußt also woanders suchen.

F: Ich sehne mich nach diesem beständigen Grund, aber finde ihn nirgends.

M: Bist du selbst nicht beständig?

F: Ich wurde geboren, und ich werde sterben.

M: Kannst du wirklich behaupten, daß du nicht da warst, bevor du geboren wurdest? Und kannst du nach dem Sterben sicher sagen: „Jetzt bin ich nicht mehr da!“? Aus eigener Erfahrung kannst du niemals sagen, daß du nicht da bist. Man kann nur „Ich bin“ sagen, und auch andere können dir nicht sagen: „Du bist nicht da.“

F: Aber im Schlaf gibt es doch kein „Ich bin“.

M: Bevor du eine solche pauschale Behauptung machst, untersuche achtsam deinen Wachzustand. Du wirst schnell erkennen, daß auch er voller Lücken ist, in denen der Verstand ausgeblendet ist. Erkenne, daß du dich nur an weniges erinnerst, selbst wenn du völlig wach bist. Du erinnerst dich zwar nicht, aber eine Lücke in der Erinnerung ist nicht unbedingt eine Lücke im Bewußtsein (bzw. Dasein).

F: Könnte ich mich an meinen Tiefschlafzustand erinnern?

M: Natürlich! Indem du die Lücken der Unachtsamkeit während deiner Wachstunden verringerst, beseitigst du auch nach und nach die langen Lücken der Unachtsamkeit, die du Schlaf nennst. Dann kannst du gewahr sein, daß du schläfst.

F: Doch damit ist das Problem der Beständigkeit und Kontinuität des Daseins noch nicht gelöst.

M: Beständigkeit ist lediglich eine Vorstellung, die aus der Wirkung der Zeit geboren wurde, und die Zeit hängt wiederum von der Erinnerung ab. Mit Beständigkeit meinst du also eine unfehlbare Erinnerung über endlose Zeit hinweg. Du möchtest den Verstand verewigen, was aber nicht möglich ist.

F: Was ist dann ewig?

M: Das, was sich mit der Zeit nicht verändert. Denn etwas Veränderliches kann man nicht verewigen, nur das Unveränderliche ist ewig.

F: Den allgemeinen Sinn von dem, was du sagst, verstehe ich. Aber ich sehne mich nicht nach mehr Wissen. Alles was ich suche ist Frieden.

M: Du kannst auf deine Bitte hin so viel Frieden haben, wie du willst.

F: Ich bitte darum!

M: Du mußt mit ganzem Herzen darum bitten und ein ganzheitliches Leben führen.

F: Wie?

M: Löse dich von allem, was deinen Geist unruhig macht. Entsage allem, was seinen Frieden stört. Wenn du Frieden willst, dann verdiene ihn auch.

F: Sicherlich verdient doch jeder Frieden.

M: Nur diejenigen haben ihn verdient, die ihn nicht stören.

F: Auf welche Weise störe ich den Frieden?

M: Indem du ein Sklave deiner Wünsche und Ängste bist.

F: Auch wenn sie gerechtfertigt sind?

M: Emotionale Reaktionen, die aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit entstehen, sind niemals gerechtfertigt. Strebe nach einem klaren Verstand und einem reinen Herzen! Alles, was du dazu tun mußt, ist, ruhig und wachsam zu bleiben und die wahre Natur deines Selbst zu erforschen. Das ist der einzige Weg zum Frieden.

9. Reaktionen der Erinnerung

Fragender: Manche sagen, das Universum sei erschaffen worden, andere sagen, daß es schon immer existierte und sich nur ständig verändert. Manche sagen, es unterliege ewigen Gesetzen, andere leugnen sogar die Kausalität (von Ursache und Wirkung). Manche sagen, die Welt sei wahr, andere, daß sie überhaupt kein (wahres) Sein hat.

Maharaj: Nach welcher Welt fragst du?

F: Natürlich nach der Welt meiner Wahrnehmung.

M: Die Welt, die du wahrnehmen kannst, ist tatsächlich eine sehr kleine Welt und dazu noch ganz privat (und subjektiv). Beobachte sie wie einen Traum und laß sie hinter dir!

F: Wie kann ich sie für einen Traum halten? Ein Traum ist doch nicht von Dauer.

M: Und wie lange wird deine eigene Welt dauern?

F: Schließlich ist doch meine kleine Welt auch ein Teil der ganzen Welt.

M: Oder ist diese Vorstellung einer ganzen Welt ein Teil deiner persönlichen Welt? Das Universum kommt nicht, um dir zu sagen, daß du ein Teil davon bist. Du bist es, der diese Ganzheit erfunden hat, die dich als ein Teil enthält. Tatsächlich ist alles, was du kennst, deine eigene private Welt, egal wie gut (und vollkommen) du sie mit deinen Vorstellungen und Erwartungen ausgestattet hast.

F: Diese Wahrnehmung ist doch sicherlich keine Einbildung!

M: Was sonst? Wahrnehmung ist Anerkennung, oder nicht? Etwas völlig Unbekanntes kann man ahnen, aber nicht wahrnehmen. Wahrnehmung kommt aus der Erinnerung.

F: Zugegeben, aber die Erinnerung macht sie nicht zur Illusion.

M: Wahrnehmung, Vorstellung, Erwartung, Vorfreude und Illusion, alles basiert auf Erinnerung (bzw. „Gedächtnis“). Es gibt kaum Grenzlinien zwischen ihnen. Sie verschmelzen einfach miteinander, und alles sind Reaktionen der Erinnerung.

F: Dennoch dient die Erinnerung dazu, die Wahrheit meiner Welt zu beweisen.

M: An wie vieles erinnerst du dich? Versuche doch einmal aus der Erinnerung aufzuschreiben, was du am 30. des letzten Monats gedacht, gesagt und getan hast.

F: Ja, da gibt es große Lücken.

M: Und das ist gar nicht so schlimm. Du erinnerst dich trotzdem an vieles, und auch die unbewußte Erinnerung macht dir die Welt, in der du lebst, so vertraut.

F: Ich gebe zu, daß die Welt, in der ich lebe, subjektiv und bruchstückhaft ist. Und wie ist das bei dir? In was für einer Welt lebst du?

M: Meine Welt ist wie deine. Ich sehe, höre, fühle, denke, spreche und handle in einer Welt, die ich wahrnehme, genau wie du. Aber bei dir ist das alles, und bei mir ist es nichts. Weil ich weiß, daß die Welt ein Teil von mir ist, schenke ich ihr nicht mehr Aufmerksamkeit als du deiner Nahrung, die du gegessen hast. Während die Nahrung zubereitet und gegessen wird, ist sie von dir getrennt und dein Verstand beschäftigt sich damit. Aber sobald sie aufgegessen wurde, verschwindet sie aus deinem Verstand. So habe ich die Welt aufgegessen und brauche nicht mehr daran zu denken.

F: Wirst du dadurch nicht völlig verantwortungslos?

M: Wie könnte ich? Wie könnte ich etwas verletzen, das eins mit mir ist? Im Gegenteil, ohne über die Welt nachzudenken, wird ihr alles, was ich tue, von Nutzen sein. So wie der Körper sich selbst in Ordnung hält, ohne über sich nachzudenken, so bin auch ich unaufhörlich wirksam, die Welt in Ordnung zu halten.

F: Und dennoch bist du dir der unermeßlichen Leiden dieser Welt bewußt?

M: Selbstverständlich bin ich das, viel mehr als du.

F: Was machst du dann?

M: Ich beobachte sie mit den Augen Gottes und finde, daß alles in Ordnung ist.

F: Wie kannst du sagen, daß alles in Ordnung ist? Schau dir nur die Kriege an, die Ausbeutung und den schrecklichen Streit zwischen Bürger und Staat!

M: All diese Leiden werden von Menschen gemacht, und es liegt in der Macht der Menschen, sie zu beenden. Gott hilft, indem er jeden Menschen mit den Folgen seines Handelns konfrontiert und verlangt, daß das Gleichgewicht wiederhergestellt wird. Karma ist das Gesetz, das für Gerechtigkeit sorgt. Es ist die heilende Hand Gottes.

10. Der Zeuge

Fragender: Ich bin voller Wünsche und möchte, daß sie erfüllt werden. Wie erreiche ich, was ich wünsche?

Maharaj: Verdienst du denn, was du dir wünschst? Auf die eine oder andere Weise mußt du an der Erfüllung deiner Wünsche arbeiten. Investiere Energie und warte auf die Ergebnisse!

F: Woher bekomme ich die Energie?

M: Das Wünschen selbst ist die Energie.

F: Warum wird dann nicht jeder Wunsch erfüllt?

M: Vielleicht war er nicht stark und beständig genug.

F: Ja, das ist mein Problem. Ich wünsche mir Dinge, aber bin zu träge, wenn es um die Verwirklichung geht.

M: Wenn dein Wunsch weder klar noch stark ist, kann er keine Gestalt annehmen. Wenn deine Wünsche dazu noch von persönlicher Natur sind und deinem eigenen Vergnügen dienen, ist die Energie, die du ihnen gibst, zwangsläufig begrenzt. Mehr steht dir dann nicht zur Verfügung.

F: Dennoch erreichen gewöhnliche Menschen oft, was sie sich wünschen.

M: Ja, nachdem sie eine lange Zeit diesen Wunsch gehegt haben. Doch selbst dann sind ihre Erfolge begrenzt.

F: Und was ist mit uneigennützigen Wünschen?

M: Wenn du das Gemeinwohl wünschst, wünscht es die ganze Welt mit dir. So mache dir den Wunsch der Menschheit zu eigen und arbeite dafür. Dann kannst du nicht scheitern.

F: Die Menschheit ist Gottes Werk, nicht meins. Ich kümmere mich um meine Sorgen. Habe ich nicht das Recht, daß meine berechtigten Wünsche erfüllt werden? Sie werden niemandem schaden, denn meine Wünsche sind legitim. Es sind richtige Wünsche, aber warum werden sie nicht wahr?

M: Wünsche sind entsprechend den Umständen richtig oder falsch, und es kommt darauf an, wie man sie betrachtet. Nur für das jeweilige Individuum gilt die Unterscheidung zwischen richtig und falsch.

F: Was sind die Richtlinien für eine solche Unterscheidung? Wie kann ich wissen, welche meiner Wünsche richtig und welche falsch sind?

M: In deinem Fall sind Wünsche, die zum Leiden führen, falsch und solche, die zum Glück führen, sind richtig. Doch solltest du auch andere Wesen nicht vergessen, denn auch ihr Glück und Leid zählen.

F: Die Ergebnisse liegen in der Zukunft. Woher kann ich wissen, wie sie sein werden?

M: Benutze deinen Verstand! Erinnere dich und beobachte. Du bist nicht anders als andere. Die meisten ihrer Erfahrungen gelten auch für dich. Denke klar und tief nach und erkenne die ganzheitliche Struktur deiner Wünsche und deren Auswirkungen. Sie sind ein äußerst wichtiger Teil deiner geistigen und emotionalen Verfassung und haben einen starken Einfluß auf deine Handlungen. Denke daran: Du kannst nichts aufgeben, was du nicht erkennst. Um über dich selbst hinauszugehen, muß du dich selbst erkennen.

F: Was bedeutet es, mich selbst zu kennen? Was genau erkenne ich, wenn ich mich selbst erkenne?

M: Alles, was du nicht bist.

F: Und nicht, was ich bin?

M: Was du bist, bist du bereits. Indem du erkennst, was du nicht bist, wirst du davon frei und bleibst in deinem eigenen natürlichen Zustand. Das geschieht alles ganz spontan und mühelos.

F: Und was entdecke ich?

M: Du entdeckst, daß es nichts zu entdecken gibt. Du bist, was du bist, und das ist alles.

F: Doch wer bin ich in Wahrheit?

M: Die völlige Verneinung von allem, was du nicht bist.

F: Das verstehe ich nicht.

M: Daß du etwas sein willst, ist deine festgefahrene Vorstellung, die dich blind macht.

F: Wie kann ich diese Vorstellung loswerden?

M: Wenn du mir vertraust, dann glaube meinen Worten, daß du das reine Gewahrsein bist, das das Bewußtsein und seinen unendlichen Inhalt erleuchtet. Erkenne dies und lebe entsprechend. Wenn du mir nicht glauben kannst, dann gehe nach innen und frage dich: „Was bin Ich?“ Oder richte deinen Verstand auf „Ich bin“, was das reine und einfache Dasein ist.

F: Wovon hängt mein Glaube an dich ab?

M: Von deinem Einblick in die Herzen anderer Menschen. Wenn du nicht in mein Herz schauen kannst, dann schau in dein eigenes.

F: Ich kann weder das eine noch das andere tun.

M: Dann reinige dich durch ein gutes, ordnungsgemäßes und nützliches Leben. Achte auf deine Gedanken, Gefühle, Worte und Taten. Das wird deine Sicht klären.

F: Muß ich nicht zuerst auf alles verzichten und ein hausloses Leben führen?

M: Du selber kannst nicht verzichten. Du kannst dein Haus verlassen und deine Familie verärgern, aber die Anhaftungen sind in deinem Verstand verankert und werden dich nicht verlassen, bis du den Verstand in- und auswendig erkannt hast. Das Wichtigste ist zuerst: Erkenne dich selbst, und damit wird alles andere kommen.

F: Aber du hast mir bereits gesagt, daß ich die Höchste Wahrheit bin. Ist das nicht Selbsterkenntnis?

M: Natürlich bist du die Höchste Wahrheit! Aber was bedeutet das? Jedes Sandkorn ist Gott. Das zu wissen ist wichtig, aber das ist nur der Anfang.

F: Nun, du hast mir gesagt, daß ich die Höchste Wahrheit bin. Ich glaube dir. Was soll ich als nächstes tun?

M: Das habe ich dir schon gesagt: Entdecke alles, was du nicht bist, wie Körper, Gefühle, Gedanken, Vorstellungen, Zeit, Raum, Sein und Nichtsein, dies oder das. Du bist nichts Konkretes oder Abstraktes, auf das man zeigen kann. Eine bloße sprachliche Aussage reicht nicht aus. Du kannst diese Formel endlos wiederholen, ohne daß sie zu irgendeinem Ergebnis kommt. Du mußt dich selbst und besonders deinen Verstand von Moment zu Moment unablässig beobachten, ohne etwas zu verpassen. Dieses Bezeugen ist grundlegend für die Trennung (bzw. „Erlösung“) des Selbst vom Nicht-Selbst.

F: Ist dieses Bezeugen nicht meine wahre Natur?

M: Um Zeuge zu sein, muß es etwas anderes geben, das man bezeugen kann. Damit sind wir immer noch in der Dualität!

F: Und wie ist es mit dem Bezeugen des Zeugens, dem Gewahrseins des Gewahrseins?

M: Wortspiele bringen dich nicht weiter. Geh in dich und entdecke, was du nicht bist. Das ist alles, was zählt.

11. Gewahrsein und Bewußtsein

Fragender: Was tust du, wenn du schläfst?

Maharaj: Ich bin gewahr, daß ich schlafe.

F: Ist der Schlaf nicht ein Zustand von Bewußtlosigkeit?

M: Ja, ich bin gewahr, daß ich bewußtlos bin.

F: Und wenn du wach bist oder träumst?

M: Dann bin ich gewahr, daß ich wach bin oder träume.

F: Das verstehe ich nicht. Was genau meinst du? Laß mich meine Begriffe klarstellen: Mit Schlafen meine ich, unbewußt zu sein, mit Wachsein meine ich, bewußt zu sein, und mit Träumen meine ich, daß man sich seines Verstandes bewußt ist, aber nicht der Umgebung.

M: Nun ja, bei mir ist es ähnlich, und dennoch scheint es einen Unterschied zu geben. In jedem Zustand vergißt du die beiden anderen, während es für mich nur einen Seinszustand gibt, der diese drei Geisteszustände von Wachen, Träumen und Schlafen einschließt und darüber hinausgeht.

F: Siehst du in der Welt eine Entwicklung und ein Ziel?

M: Die Welt ist nur ein Spiegelbild meiner Vorstellung. Was auch immer ich sehen möchte, kann ich sehen. Doch warum sollte ich irgendwelche Muster der Schöpfung, Entwicklung und Auflösung erfinden? Ich brauche sie nicht. Die Welt ist in mir, und ich selbst bin die Welt. Ich habe weder Angst vor der Welt, noch ein Verlangen, sie in ein geistiges Bild einzuschließen.

F: Um wieder zum Schlaf zurückzukommen: Träumst du?

M: Natürlich.

F: Was sind deine Träume?

M: Die Echos des Wachzustandes.

F: Und dein Tiefschlaf?

M: Das Verstandes-Bewußtsein ist unterbrochen.

F: Bist du dann unbewußt?

M: Ja, unbewußt für meine Umgebung.

F: Also nicht ganz unbewußt?

M: Ich bleibe gewahr, daß ich unbewußt bin.

F: Du verwendest die Worte „gewahr“ und „bewußt“. Sind sie nicht identisch?

M: Gewahrsein ist grundlegend, der Urzustand, anfangslos und endlos, ohne Ursache, ohne Stütze, ohne Teile und ohne Veränderung. Bewußtsein ist Kontakt, eine Reflexion an einer Oberfläche und ein Zustand der Dualität. Es kann kein Bewußtsein ohne Gewahrsein geben, aber es kann Gewahrsein ohne Bewußtsein geben, so wie im Tiefschlaf. Gewahrsein ist absolut, Bewußtsein ist relativ zu seinem Inhalt. Bewußtsein ist immer von etwas, und damit ist es teilweise und veränderlich. Gewahrsein ist vollständig, unveränderlich, ruhig und still. Und es ist der ganzheitliche Ursprung jeglicher Erfahrung.

F: Wie gelangt man über das Bewußtsein hinaus zum Gewahrsein?

M: Weil es das Gewahrsein ist, das ein Bewußtsein ermöglicht, gibt es Gewahrsein in jedem Zustand des Bewußtseins. Daher ist, sich des Bewußtseins bewußt zu sein, bereits eine Bewegung des Gewahrseins. Die Erkenntnis deines Stroms des Bewußtseins führt dich zum Gewahrsein. Das ist kein neuer Zustand, sondern wird sogleich als die ursprüngliche und grundlegende Existenz erkannt, die das Leben selbst ist, aber auch Liebe und Freude.

F: Woraus besteht dann die Verwirklichung (der Wahrheit bzw. des Selbst), wenn die Wahrheit immer bei uns ist?

M: Diese Verwirklichung ist nur das Gegenteil von Unwissenheit. Die Welt für wahr und das Selbst für unwahr zu halten, ist Unwissenheit und die Ursache des Leidens. Das Selbst als die einzige Wahrheit und alles andere als zeitlich und vergänglich zu erkennen, bedeutet Freiheit, Frieden und Freude. Es ist alles ganz einfach. Anstatt die Dinge so zu sehen, wie man sie sich vorstellt, lerne sie so zu sehen, wie sie sind. Es ist, als würde man einen Spiegel reinigen. Dieser Spiegel, der dir die Welt zeigt, wie sie ist, wird dir auch dein eigenes Gesicht zeigen. Der Gedanke „Ich bin“ ist das Reinigungstuch. Benutze es!

12. Die Person ist nicht die Wahrheit

Fragender: Erzähle uns bitte, wie du die Verwirklichung (der Wahrheit bzw. des Selbst) erreicht hast.

Maharaj: Ich traf meinen Guru, als ich 34 Jahre alt war, und verwirklichte es mit 37.

F: Was geschah, und was veränderte sich?

M: Glück und Leid verloren ihre Herrschaft über mich, und ich wurde frei von Verlangen und Angst. Ich war vollkommen und brauchte nichts mehr. Ich sah, daß im Meer des reinen Gewahrseins auf der Oberfläche des universalen Bewußtseins die zahllosen Wellen der phänomenalen Welten anfangslos und endlos entstehen und vergehen. Als Bewußtsein sind sie alle ich, und als Ereignisse gehören sie alle mir. Es gibt eine geheimnisvolle Macht, die sich um sie kümmert, und diese Macht ist Gewahrsein, Selbst, Leben, Gott oder wie immer du es nennen willst. Das ist das Fundament und die ultimative Stütze von allem, was ist, ähnlich wie das Gold die Basis für allen Goldschmuck ist. Und das ist unsere Innerlichkeit! Ziehe Name und Form vom Schmuck ab und das Gold bleibt. Sei frei von Namen und Formen sowie von Wünschen und Ängsten, die sie hervorrufen. Was bleibt dann übrig?

F: Nichts.

M: Ja, die Leere bleibt. Aber diese Leere ist bis zum Rand gefüllt. Und das ist das ewige Potential (das „Meer der Möglichkeiten“), so wie das Bewußtsein die ewige Wirklichkeit davon ist.

F: Meinst du mit dem Potential die Zukunft?

M: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sie alle sind darin und unendlich mehr.

F: Wenn aber die Leere leer ist, nützt sie uns wenig.

M: Wie kannst du das sagen? Wie kann es ohne Bruch der Kontinuität eine Wiedergeburt geben? Kann es eine Erneuerung ohne Sterben geben? Sogar die Dunkelheit des Schlafes ist erfrischend und verjüngend. Ohne den Tod wären wir für immer in ewiger Senilität (Alterung) gefangen.

F: Gibt es nicht so etwas wie Unsterblichkeit?

M: Wenn Leben und Sterben als wesentlich füreinander erkannt werden, als zwei Aspekte eines Wesens, dann ist es Unsterblichkeit. Das Ende im Anfang und den Anfang im Ende zu sehen, ist die Ahnung der Ewigkeit. Unsterblichkeit ist definitiv keine Kontinuität. Nur der Prozeß der Veränderung ist kontinuierlich, und nichts bleibt.

F: Bleibt das Gewahrsein?

M: Gewahrsein hat nichts mit Zeit zu tun. Zeit existiert nur im Bewußtsein. Wo gäbe es jenseits des Bewußtseins Zeit und Raum?

F: Existiert auch dein Körper im Bereich deines Bewußtseinsfeldes?

M: Selbstverständlich! Aber die Vorstellung „mein Körper“, der sich von anderen Körpern unterscheidet, gibt es nicht. Für mich ist es „ein Körper“, nicht „mein Körper“, und „ein Verstand“, nicht „mein Verstand“. Der Verstand kümmert sich bereits um den Körper, und ich muß mich da nicht einmischen. Was getan werden muß, wird auf normale und natürliche Weise getan. Auch du bist dir deiner körperlichen Funktionen nur wenig bewußt, aber wenn es um deine Gedanken und Gefühle, Wünsche und Ängste geht, dann wirst du äußerst „selbstbewußt“. Doch auch diese sind für mich weitgehend unbewußt. Ich ertappe mich dabei, daß ich mit Menschen spreche oder Dinge richtig und angemessen erledige, ohne mir dessen besonders bewußt zu sein. Es sieht so aus, als ob mein körperlich waches Leben automatisch lebt und ganz spontan und präzise reagiert.

F: Ist diese spontane Reaktion das Ergebnis der (Selbst-) Verwirklichung oder eines Trainings?

M: Beides. Die Hingabe an dein Ziel läßt dich ein reines und ordnungsgemäßes Leben führen, das der Suche nach Wahrheit und dem Wohl der Menschheit gewidmet ist. Und die Verwirklichung macht edle Tugend einfach und spontan, indem sie die Hindernisse in Form von Wünschen, Ängsten und falschen Vorstellungen beseitigt.

F: Hast du keine Wünsche und Ängste mehr?

M: Mein Schicksal war es, als gewöhnlicher Mann, einfacher Bürger und bescheidener Kaufmann mit wenig Schulbildung geboren zu werden. Mein Leben war mit den allgemeinen Wünschen und Ängsten ganz normal. Als ich dann durch mein Vertrauen in meinen Lehrer und den Gehorsam gegenüber seinen Worten mein wahres Dasein erkannte, ließ ich meine menschliche Natur hinter mir, die nun für sich selbst sorgt, bis ihr Schicksal (Karma) erschöpft ist. Gelegentlich geschieht eine alte emotionale oder gedankliche Reaktion im Verstand, die jedoch sogleich bemerkt und verworfen wird. Denn solange man mit einer Person belastet ist, ist man ihren Eigenarten und Gewohnheiten ausgesetzt.

F: Hast du keine Angst vor dem Tod?

M: Ich bin bereits tot.

F: In welchem Sinne?

M: Ich bin doppelt tot, nicht nur für meinen Körper, sondern auch für meinen Verstand.

F: Aber du siehst gar nicht tot aus!

M: Das sagst du so und scheinst meinen Zustand besser zu kennen als ich.

F: Entschuldigung, aber das verstehe ich nicht. Du sagst, daß du ohne Körper und Verstand bist, während ich dich sehr lebendig und wortgewandt sehe.

M: Schau, in deinem Verstand und Körper laufen ständig ungeheuer komplexe Funktionen ab. Bist du dir dessen bewußt? Ganz und gar nicht, und doch scheint für einen Außenstehenden alles intelligent und zielgerichtet zu geschehen. Warum sollte man nicht zugeben, daß das gesamte persönliche Leben weitgehend im Unterbewußtsein stattfindet und dennoch sinnvoll und reibungslos verläuft?

F: Ist das normal?

M: Was ist normal? Ist dein Leben normal, besessen von Wünschen und Ängsten, voller Streit und Kampf, ohne (wahren) Sinn und Freude? Ist es normal, daß man sich ständig nur seines Körpers bewußt ist? Ist es normal, von Gefühlen zerrissen und von Gedanken gequält zu werden? Ein gesunder Körper und ein gesunder Verstand leben weitgehend unbemerkt von ihrem Besitzer, und nur gelegentlich fordern sie durch Schmerz oder Leid die Aufmerksamkeit nach Innen. Warum sollte das Gleiche nicht für das gesamte persönliche Leben gelten? Man kann richtig funktionieren und gut und umfassend auf alles reagieren, was geschieht, ohne den Fokus des Gewahrseins darauf zu richten. Wenn Selbstbeherrschung zur zweiten Natur wird, verlagert das Gewahrsein seinen Fokus auf tiefere Ebenen der Existenz und Wirklichkeit.

F: Wirst du dann nicht zum Roboter?

M: Welchen Schaden bringt es, wenn automatisch geschieht, was zur Gewohnheit wurde und sich ständig wiederholt? Es ist sowieso automatisch. Nur wenn es chaotisch wird, verursacht es Schmerz und Leid und erfordert Aufmerksamkeit. Der gesamte Zweck eines reinen und ordnungsgemäßen Lebens besteht darin, den Menschen von der Knechtschaft des Chaos (bzw. der Unordnung) und der Last des Leidens zu befreien.

F: Du scheinst ein Roboterleben zu befürworten.

M: Was ist falsch an einem Leben, das frei von Problemen ist? Die Persönlichkeit ist lediglich ein Spiegelbild der Wahrheit. Warum sollte diese Spiegelung nicht originalgetreu sein und ganz selbstverständlich automatisch? Muß die Person irgendwelche eigenwilligen Merkmale haben? Sie wird vom Leben geführt, dessen Ausdruck sie ist. Sobald du erkennst, daß die Person nur ein Schatten der Wahrheit ist, aber nicht die Wahrheit selbst, hörst du auf, dir Ärger und Sorgen zu machen. Du stimmst zu, von innen heraus geführt zu werden, und das Leben wird zu einer (Entdeckungs-) Reise ins Unbekannte.

13. Das Höchste, der Verstand und der Körper

Fragender: Nach deinen Worten scheinst du dir deiner Umgebung nicht ganz bewußt zu sein. Doch für uns erscheinst du äußerst wachsam und aktiv. Wir können unmöglich glauben, daß du dich in einer Art hypnotischem Zustand befindest, der keine Erinnerung hinterläßt. Im Gegenteil, dein Gedächtnis scheint ausgezeichnet zu sein. Wie ist deine Aussage zu verstehen, daß für dich die Welt und alles, was sie umfaßt, nicht existiert?

Maharaj: Es ist alles eine Frage der Fokussierung. Dein Verstand ist auf die Welt konzentriert, meiner auf die Wahrheit. Es ist wie der Mond bei Tageslicht: Wenn die Sonne scheint, ist der Mond kaum sichtbar. Oder beobachte, wie du deine Nahrung zu dir nimmst: Solange sie in deinem Mund ist, bist du dir dessen bewußt, aber einmal verschluckt, sorgst du dich nicht mehr darum. Es wäre zumindest mühsam, ständig daran zu denken, bis sie ganz verdaut ist. Der Verstand sollte normalerweise in Ruhe sein. Unaufhörliche Aktivität ist ein krankhafter Zustand. Ich weiß, daß das Universum von selbst funktioniert. Was muß ich sonst noch wissen?

F: Ein Jnani (Weiser) weiß also nur, was er tut, wenn er seinen Verstand auf etwas richtet. Andernfalls handelt er einfach, ohne sich darum zu sorgen.

M: Auch ein gewöhnlicher Mensch ist sich seines Körpers im Ganzen nicht bewußt, sondern seiner Sinne, Gefühle und Gedanken. Und sogar diese entfernen sich vom Zentrum des Bewußtseins und geschehen erst spontan und mühelos, sobald die Nichtanhaftung beginnt.

F: Was befindet sich dann im Zentrum des Bewußtseins?

M: Das, dem man keinen Namen und keine Form geben kann, denn es ist ohne Eigenschaften und jenseits des Bewußtseins. Man könnte sagen, es ist ein (dimensionsloser) Punkt im Bewußtsein, der jenseits des Bewußtseins ist. So wie ein Loch im Papier zwar im Papier ist, aber nicht aus Papier besteht, so befindet sich das Höchste im Zentrum des Bewußtseins und doch jenseits des Bewußtseins. Es ist wie eine Öffnung im Verstand, durch die der Verstand von Licht durchflutet wird. Diese Öffnung ist nicht einmal das Licht, sondern nur eine Öffnung.

F: Eine Öffnung ist nur leer, eine Abwesenheit.

M: Genau! Vom „Standpunkt“ des Verstandes aus ist es lediglich eine Öffnung, durch die das Licht des Bewußtseins in den gedanklichen Raum eindringen kann. Für sich genommen kann dieses Licht nur mit einer festen, dichten, steinartigen, homogenen und unveränderlichen Masse reinen Gewahrseins (dem „Stein der Weisen“) verglichen werden, frei von den gedanklichen Mustern der Namen und Formen.

F: Gibt es irgendeine Verbindung zwischen dem gedanklichen Raum und der höchsten Stätte?

M: Das Höchste verleiht dem Verstand seine Existenz, und der Verstand dem Körper.

F: Und was liegt jenseits davon?

M: Nimm ein Beispiel: Ein ehrwürdiger Yogi, ein Meister der Kunst der Langlebigkeit, der selbst über tausend Jahre alt wurde, kommt, um mir seine Kunst beizubringen. Ich respektiere seine Fähigkeit voll und ganz und bewundere sie aufrichtig, und trotzdem kann ich ihm nur sagen: „Was nützt mir diese Langlebigkeit? Ich bin jenseits der Zeit. So lang ein Leben auch dauern mag, es ist doch nur ein Moment und ein Traum.“ Genauso bin ich jenseits aller Eigenschaften. Sie erscheinen und verschwinden in meinem Licht, aber können mich nicht beschreiben. Das Universum besteht aus all den Namen und Formen, die auf Eigenschaften und ihren Unterschieden basieren, während ich jenseits davon bin. Die Welt ist da, weil ich da bin, aber ich bin nicht die Welt.

F: Aber du lebst in der Welt!

M: So sagt man! Ich weiß, daß es eine Welt gibt, die diesen Körper und diesen Verstand umgibt, aber beide gehören mir nicht mehr als irgendwelche anderen Körper mit ihrem Verstand. Sie sind da in Zeit und Raum, aber ich bin zeitlos und raumlos.

F: Wenn nun alles durch dein Licht existiert, bist du dann nicht der Schöpfer der Welt?

M: Ich bin weder die Möglichkeit noch die Verwirklichung, noch die Wirklichkeit der Dinge. In meinem Licht kommen und gehen sie wie Staubteilchen, die im Sonnenlicht tanzen. Das Licht beleuchtet die Teilchen, aber ist nicht von ihnen abhängig. Man kann auch nicht sagen, daß es sie erschafft. Man kann nicht einmal sagen, daß es sie kennt.

F: Wenn ich dir eine Frage stelle und du antwortest, bist du dir dann der Frage und der Antwort bewußt?

M: In Wahrheit höre ich weder, noch antworte ich. Nur in der Welt der Ereignisse geschieht die Frage und auch die Antwort. Mir geschieht nichts, und so geschieht einfach alles.

F: Und du bist der Zeuge?

M: Was bedeutet Zeuge? Es ist nur ein Wissen: Es hat geregnet, und jetzt ist der Regen vorbei, und ich bin nicht naß geworden. Ich weiß, daß es geregnet hat, aber ich bin davon nicht betroffen, obwohl ich gerade den Regen bezeugt habe.

F: Der vollkommen verwirklichte Mensch, der spontan im Höchsten verweilt, scheint zu essen, zu trinken und so weiter. Ist er sich dessen gewahr oder nicht?

M: Das, worin das Bewußtsein geschieht, das universale Bewußtsein oder Verständnis, nennen wir den Raum des Bewußtseins. Und alle Objekte des Bewußtseins bilden das Universum. Was jenseits von beiden ist und beide stützt, ist das Höchste, ein Zustand völliger Stille und Ruhe. Wer dorthin geht, der verschwindet. Es ist weder mit Worten noch mit dem Verstand erreichbar. Man kann es Gott, Parabrahman oder Höchste Wahrheit nennen, aber das sind nur Namen, die vom Verstand gegeben werden. Es ist der namenlose, inhaltslose, mühelose und spontane Zustand jenseits von Sein und Nichtsein.

F: Aber bleibt man hier bewußt?

M: So wie das Universum der Körper des Verstandes ist, so ist das Bewußtsein der Körper des Höchsten. Es ist nicht bewußt, aber es läßt das Bewußtsein entstehen.

F: In meinem täglichen Handeln geschieht vieles automatisch aus Gewohnheit. Ich bin mir zwar dem allgemeinen Zweck bewußt, aber nicht jeder einzelnen Bewegung im Detail. Denn wenn sich mein Bewußtsein erweitert und vertieft, dann neigen die Details dazu, in den Hintergrund zu treten, so daß ich frei bin für die allgemeinen Trends. Passiert einem Jnani (Weisen) nicht das Gleiche und noch mehr?

M: Auf der Ebene des Bewußtseins, ja, aber im Höchsten, nein. Denn dieser Zustand ist völlig eins und unteilbar, ein einziger fester Block der Wahrheit. Der einzige Weg, es zu erkennen, besteht darin, es zu sein. Der Verstand kann es nicht erreichen. Um es zu empfinden, bedarf es keiner Sinne, und um es zu erkennen, nützt kein Verstand.

F: So regiert Gott die Welt.

M: Gott regiert die Welt nicht.

F: Wer macht es dann?

M: Niemand. Alles geschieht von selbst. Du stellst die Frage, und du gibst die Antwort. Und du erkennst die Antwort, weil du die Frage stellst. Alles ist ein Spiel im Bewußtsein. Alle Unterschiede sind illusorisch. Nur das Illusorische kann man verstehen. Das Wahre mußt du selbst sein.

F: Es gibt also das bezeugte Bewußtsein und das bezeugende Bewußtsein. Ist das Zweite das Höchste?

M: Es gibt beides, die Person und den Zeugen als Beobachter. Wenn du sie als Eins siehst und darüber hinausgehst, dann bist du im Höchsten. Und das ist nicht wahrnehmbar, weil es die Wahrnehmung ermöglicht. Es ist jenseits von Sein und Nichtsein. Es ist weder der Spiegel noch das Spiegelbild. Es ist, was ist, die zeitlose Wahrheit, unvorstellbar fest und unzerbrechlich (der „Grundstein“ von allem).

F: Ist dann der Jnani der Zeuge oder das Höchste?

M: Er ist natürlich das Höchste, aber er kann auch als der universale Zeuge angesehen werden.

F: Bleibt er dann eine Person?

M: Wenn du glaubst, daß du eine Person bist, dann siehst du überall Personen. In der Wahrheit gibt es keine Personen, sondern nur Fäden („Verbindungen“) aus Erinnerungen und Gewohnheiten. Im Moment der Erkenntnis verschwindet die Person. Die Identität („Ich bin“) bleibt, aber diese Identität ist keine Person, sondern der Wahrheit selbst innewohnend. Denn eine Person hat kein Dasein an sich, sondern ist eine Widerspiegelung im Verstand des Zeugen, im „Ich bin“, welches dann eine Art und Weise des Daseins ist.

F: Ist das Höchste bewußt?

M: Weder bewußt noch unbewußt, und das sage ich dir aus direkter Erfahrung.

F: Prajnanam Brahma: Was ist dieses Prajna (Weisheit)?

M: Es ist das nicht ichbewußte (also ganzheitliche) Wissen über das Leben selbst.

F: Ist es Vitalität, Lebensenergie und Lebendigkeit?

M: Energie steht an erster Stelle. Denn alles ist eine Form von Energie. So ist das Bewußtsein im Wachzustand am unterschiedlichsten, im Traum etwas weniger und noch weniger im traumlosen Schlaf, und homogen im vierten Zustand (dem traumlosen Wachzustand). Dahinter liegt die unbeschreibliche monolithische Wahrheit, die Heimat des Jnani (des Weisen).

F: Wenn ich mir in die Hand schneide und es wieder heilt: Durch welche Kraft heilt es?

M: Durch die Kraft des Lebens.

F: Was ist diese Kraft?

M: Es ist Bewußtsein. Alles ist Bewußtsein.

F: Und was ist die Quelle des Bewußtseins?

M: Das Bewußtsein selbst ist die Quelle von allem.

F: Kann es Leben ohne Bewußtsein geben?

M: Nein, auch kein Bewußtsein ohne Leben. Beide sind Eins. Aber in Wahrheit gibt es nur das Höchste. Der Rest ist eine Frage der Namen und Formen. Und solange du an der Vorstellung festhältst, daß nur das existiert, was Name und Form hat, wird dir das Höchste als nichtexistent erscheinen. Wenn du jedoch erkennst, daß Namen und Formen hohle Hüllen ohne jeglichen Inhalt sind und daß das Wahre namen- und formlos ist, reine Lebensenergie und Licht des Bewußtseins, dann wirst du im Frieden sein, eingetaucht in die tiefe Stille der Wahrheit.

F: Wenn Zeit und Raum nur Illusionen sind und du jenseits davon bist, dann sage mir bitte, wie das Wetter in New York ist. Ist es dort heiß, oder regnet es?

M: Wie könnte ich es dir sagen? Solche Fähigkeiten erfordern eine spezielle Ausbildung. Oder man reist einfach nach New York. Ich bin mir völlig sicher, daß ich jenseits von Raum und Zeit bin, aber dennoch nicht in der Lage, mich willentlich an einen bestimmten Punkt von Raum und Zeit zu begeben. Ich interessiere mich nicht genügend dafür und sehe auch keinen Sinn darin, so eine spezielle Yoga-Ausbildung zu verwirklichen. Ich habe gerade mal von New York gehört, und für mich ist es nur ein Wort. Warum sollte ich mehr wissen, als das Wort ausdrückt? Jedes Atom kann ein Universum (einer eigenen Welt) sein, so komplex wie unseres. Muß ich sie alle kennen? Obwohl ich es könnte, wenn ich es ausbilden würde.

F: Worin habe ich einen (Denk-) Fehler gemacht, als ich die Frage nach dem Wetter in New York stellte?

M: Welt und Verstand sind Zustände des Daseins. Das Höchste ist kein Zustand. Es durchdringt alle Zustände, aber es ist kein Zustand von etwas anderem. Es ist völlig unverursacht, unabhängig, vollkommen in sich selbst, jenseits von Zeit und Raum, Geist und Materie.

F: An welchen Zeichen erkennst du es?

M: Das ist das Problem, weil es keine Spuren hinterläßt. Es gibt nichts, woran man es erkennen könnte. Es muß direkt gesehen werden, indem man jede Suche nach Zeichen und Spuren aufgibt. Wenn alle Namen und Formen aufgegeben wurden, dann ist das Wahre bei dir. Das brauchst du nicht zu suchen. Mehrzahl und Vielfalt sind nur ein Spiel des Verstandes. Die Wahrheit ist Eins.

F: Wenn die Wahrheit keine Beweise hinterläßt, dann gibt es auch keine Aussage darüber (bzw. keinen Zeugen dafür).

M: Sie ist da und kann nicht geleugnet werden. Aber sie ist tiefgründig und dunkel, ein Mysterium jenseits aller Mysterien. Aber sie ist da, während alles andere nur geschieht.

F: Ist sie das Unbekannte?

M: Sie liegt jenseits des Bekannten und des Unbekannten. Doch ich würde es lieber das Bekannte als das Unbekannte nennen. Denn wann immer etwas bekannt wird, ist es (im Grunde) das Wahre, das bekannt wird (oder sich zu erkennen gibt).

F: Ist die Stille eine Eigenschaft des Wahren?

M: Auch das kommt vom Verstand, denn alle Zustände und Bedingungen kommen vom Verstand.

F: Welchen Ort hat dann Samadhi (die Vertiefung im Einen)?

M: Das eigenwillige Bewußtsein nicht zu gebrauchen, das ist Samadhi. Du läßt deinen Verstand einfach in Ruhe. Du willst nichts, weder von deinem Körper noch von deinem Verstand.

14. Erscheinung und Wahrheit

Fragender: Du hast wiederholt gesagt, daß Ereignisse ohne Ursache sind, daß etwas einfach passiert und daß dafür keine Ursache zugeordnet werden kann. Sicherlich hat doch alles eine Ursache oder mehrere Ursachen. Wie soll ich diese Ursachelosigkeit der Dinge verstehen?

Maharaj: Vom höchsten Standpunkt aus gesehen hat die Welt keine Ursache.

F: Aber was ist deine eigene Erfahrung?

M: Alles ist ohne Ursache, wie auch die Welt keine Ursache hat.

F: Ich frage nicht nach den Ursachen, die zur Erschaffung der Welt geführt haben. Wer war schon bei der Erschaffung der Welt anwesend? Sie könnte sogar anfangslos sein und immer existieren. Aber ich spreche hier nicht von der Welt, sondern gehe davon aus, daß die Welt irgendwie existiert. Doch sie enthält so viele Dinge, und von denen muß doch jedes eine oder mehrere Ursachen haben.

M: Sobald du für dich selbst eine Welt in Zeit und Raum erschaffen hast, die von Kausalität beherrscht wird, mußt du zwangsläufig nach Ursachen für alles suchen und diese finden. Du stellst die Frage und erzwingst eine Antwort.

F: Meine Frage ist doch ganz einfach: Ich sehe alle möglichen Dinge und verstehe, daß jedes eine Ursache oder mehrere Ursachen haben muß. Aber du sagst, sie seien aus deiner Sicht unverursacht, denn für dich haben sie kein eigenes Dasein, und daher erübrigt sich auch die Frage nach der Ursache. Dennoch scheinst du die Existenz von Dingen anzuerkennen, deren Kausalität jedoch zu leugnen. Das ist es, was ich nicht begreifen kann. Wenn du die Existenz von Dingen akzeptierst, warum lehnst du dann deren Verursachung ab?

M: Ich sehe nur Bewußtsein und weiß, daß alles nur Bewußtsein ist, so wie du weißt, daß das Bild auf der Kinoleinwand nur Licht ist.

F: Dennoch haben die Bewegungen des Lichtes eine Ursache.

M: Das Licht selbst bewegt sich gar nicht. Du weißt sehr gut, daß diese Bewegung eine Illusion ist, eine Abfolge von Unterbrechungen und Färbungen im Film. Was sich bewegt, ist der Film, und das ist der Verstand.

F: Das macht das Bild nicht ohne Ursache. Der Film ist da und auch die Schauspieler, die Techniker, der Regisseur, der Produzent und die verschiedenen Hersteller. So wird die Welt durch Kausalität regiert, und alles ist miteinander verbunden.

M: Natürlich ist alles miteinander verbunden, und deshalb hat alles unzählige Ursachen. Das gesamte Universum trägt zum geringsten Ding bei. Eine Sache ist also, wie sie ist, weil die ganze Welt so ist, wie sie ist. Erkenne doch: Du handelst mit Goldschmuck und ich mit Gold. Zwischen den verschiedenen Schmuckstücken besteht kein kausaler Zusammenhang. Wenn du ein Schmuckstück wieder einschmilzt, um ein anderes herzustellen, dann besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen den beiden. Der gemeinsame Faktor ist das Gold. Aber man kann nicht sagen, daß Gold die Ursache ist. Du kannst es nicht als Ursache bezeichnen, weil es selbst nichts verursacht. Es spiegelt sich als „Ich bin“ nur im Verstand wider, als besondere Namen und Formen der Schmuckstücke. Und doch ist alles nur Gold. Ebenso macht die Wahrheit alles möglich, und doch kommt aus der Wahrheit nichts, was eine Sache zu dem macht, was sie ist, zu ihrem Namen und ihrer Form. Warum sollte man sich also so viele Gedanken über die Kausalität machen? Welche Rolle spielen Ursachen, wenn die Dinge selbst vergänglich (und nichts Wahres) sind? Laß kommen, was kommt, und laß gehen, was geht! Warum die Dinge ergreifen und nach ihren Ursachen fragen?

F: Aus relativer Sicht muß doch alles eine Ursache haben.

M: Welchen Nutzen hat die relative Sicht für dich? Du bist doch fähig, vom Absoluten aus zu schauen. Warum willst du zum Relativen zurückkehren? Hast du Angst vor dem Absoluten?

F: Ja, ich habe Angst. Ich habe Angst, mit meinen sogenannten absoluten Gewißheiten einzuschlafen. Um ein anständiges Leben zu führen, hilft das Absolute nicht. Wenn du ein Hemd brauchst, kaufst du Stoff, rufst einen Schneider und so weiter.

M: Dieses ganze Gerede zeugt von Unwissenheit.

F: Und was ist die Ansicht des Weisen?

M: Es gibt nur Licht, und das Licht ist alles. Alles andere sind nur Bilder aus Licht. Das Bild ist im Licht, und das Licht ist im Bild. Leben und Tod, Selbst und Nicht-Selbst, gibt all diese Vorstellungen auf, denn sie nützen dir nichts!

F: Von welchem Standpunkt aus leugnest du die Kausalität? Relativ gesehen ist das ganze Universum die Ursache von allem. Und vom Absoluten her gibt es überhaupt kein Ding.

M: Von welchem Standpunkt aus fragst du?

F: Aus dem täglichen Wachzustand, in dem allein all diese Diskussionen stattfinden.

M: In diesem (traumhaften) Wachzustand treten all diese Probleme auf, denn das ist seine Natur. Aber du bist nicht immer in diesem Zustand. Was kann man Gutes in einem hilflosen Zustand tun, in den man hineinfällt und wieder herauskommt? Inwiefern hilft es dir zu wissen, daß die Dinge in kausaler Verbindung stehen, so wie sie in deinem Wachzustand erscheinen mögen?

F: Die Welt und der Wachzustand entstehen und vergehen gemeinsam.

M: Wenn der Verstand still und vollkommen ruhig ist, gibt es diesen (traumhaften) Wachzustand nicht mehr.

F: Worte wie „Gott“, das „Universum“, das „Ganzheitliche“, das „Absolute“ oder das „Höchste“ (die diesen Zustand bezeichnen) sind doch nur Geräusche im Wind, weil man damit nichts tun kann.

M: Du wirfst Fragen auf, die nur du allein beantworten kannst.

F: Schicke mich nicht so weg! Du sprichst so schnell von der Ganzheit, dem Universum und solchen imaginären Begriffen! Nun versuche mir nicht zu verbieten, in ihrem Namen zu sprechen. Ich hasse diese unverantwortlichen Verallgemeinerungen. Und du neigst sehr dazu, sie zu personalisieren. Ohne Kausalität gibt es doch keine Ordnung und es würde auch kein zielgerichtetes Handeln möglich sein.

M: Willst du alle Ursachen für jedes Ereignis wissen? Ist das überhaupt möglich?

F: Ich weiß, daß das nicht möglich ist! Ich möchte nur wissen, ob es für alles Ursachen gibt und ob die Ursachen beeinflußt werden können, um dadurch die Ereignisse zu beeinflussen.

M: Um die Ereignisse zu beeinflussen, muß man die Ursachen nicht kennen. Was für eine umständliche Vorgehensweise! Bist du nicht selbst die Quelle und das Ziel von jedem Ereignis? So beeinflusse sie an der Quelle!

F: Jeden Morgen greife ich zur Zeitung und lese mit Bestürzung, daß die Sorgen der Welt, wie Armut, Haß und Kriege, unvermindert anhalten. Meine Fragen betreffen diese Tatsache des Leidens, dessen Ursache und Heilmittel. Doch wehre mich jetzt nicht ab und sage, daß es sich um Buddhismus handelt! Etikettiere mich nicht. Dein Beharren auf Ursachelosigkeit macht mir jede Hoffnung zunichte, daß sich diese Welt jemals verändern wird.

M: Du bist so verwirrt, weil du glaubst, daß du in der Welt bist und nicht die Welt in dir ist. Wer war zuerst da, du oder deine Eltern? Du stellst dir vor, daß du zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort geboren wurdest und daß du einen Vater und eine Mutter, einen Körper und einen Namen hast. Das ist deine Sünde und dein Unglück! Sicherlich kannst du deine Welt verändern, wenn du daran arbeitest. Arbeite mit allen Mitteln! Wer hält dich auf? Ich habe dich nie entmutigt. Ursachen oder keine Ursachen, du hast diese Welt erschaffen und du kannst sie verändern.

F: Eine Welt ohne Verursachung wäre doch völlig außerhalb meiner Kontrolle.

M: Im Gegenteil, eine Welt, deren einzige Quelle und Grundlage du selbst bist, liegt vollkommen in deiner Macht zur Veränderung. Was geschaffen wurde, kann jederzeit aufgelöst und neu geschaffen werden. Alles wird so geschehen, wie du es willst, vorausgesetzt, du willst es wirklich.

F: Ich möchte nur wissen, wie ich mit den Leiden in der Welt umgehen soll.

M: Du hast dieses Leiden aus deinen eigenen Begierden und Ängsten erschaffen, und nun lebst du damit. Alles liegt daran, daß du dein eigenes Dasein vergessen hast. Nachdem du dem Bild auf der Kinoleinwand Wirklichkeit verliehen hast, liebst du diese Menschen, leidest mit ihnen und versuchst, sie zu retten. Aber so geht es nicht. Du mußt bei dir selbst beginnen. Es gibt keinen anderen Weg. Selbstverständlich mußt du daran arbeiten, und diese Arbeit schadet nicht.

F: Dein Universum scheint jede mögliche Erfahrung zu enthalten. Und das Individuum zieht eine (Trenn-) Linie durch diese möglichen Erfahrungen und erlebt angenehme und unangenehme Zustände. Dies führt zum Fragen und Suchen, die den Blick erweitern und es dem Individuum ermöglichen, über seine enge und selbstgeschaffene Welt hinauszugehen, die begrenzt und egozentrisch ist. Diese persönliche Welt kann in der Zeit verändert werden, aber das Universum selbst ist zeitlos und vollkommen.

M: Die Erfahrung für die Wahrheit zu halten, ist eine schwere Sünde und die Ursache allen Unglücks. Du bist das allesdurchdringende, ewige und unendlich kreative Gewahrsein und Bewußtsein. Alles andere ist örtlich und zeitlich. Vergiß niemals, was du bist! In der Zwischenzeit arbeite nach Herzenslust. Doch Arbeit und Erkenntnis sollten Hand in Hand gehen.

F: Ich habe das Gefühl, daß meine spirituelle Entwicklung nicht in meinen Händen liegt. Eigene Pläne zu schmieden und umzusetzen führt nirgendwohin, denn ich drehe mich nur im Kreis herum. Wenn Gott die Frucht für reif hält, wird er sie pflücken und essen. Welche Frucht Ihm noch zu grün erscheint, wird für einen weiteren Tag am Baum der Welt belassen.

M: Glaubst du, Gott kennt dich? Er kennt nicht einmal die Welt (so wie sie dir erscheint).

F: Dein Gott ist wohl anders als meiner, denn meiner ist barmherzig und leidet mit uns.

M: Du betest, um einen Menschen zu retten, während tausende sterben. Und wenn keiner mehr sterben würde, dann gäbe es bald keinen Platz mehr auf der Erde.

F: Ich habe keine Angst vor dem Tod. Meine Sorge gilt dem Unglück und Leiden. Mein Gott ist ein einfacher Gott und ziemlich hilflos. Er hat keine Macht, uns zur Weisheit zu zwingen, sondern kann nur stehen und warten.

M: Wenn du und dein Gott beide hilflos sind, bedeutet das nicht, daß die Welt zufällig (und unbeherrschbar) ist? Wenn dem so ist, dann gibt es nur eines, was du tun kannst, nämlich darüber hinauszugehen.

15. Der Jnani und Gott

Fragender: Ohne Gottes Kraft kann nichts getan werden. Selbst du würdest ohne Ihn nicht hier sitzen und mit uns reden.

Maharaj: Alles ist zweifellos Sein Werk. Doch was bedeutet das für mich, wenn ich nichts will? Was kann Gott mir geben oder von mir nehmen? Was mein ist, ist mein und war mein, auch als Gott nicht war. Natürlich ist es etwas sehr Kleines, nur ein Pünktchen (in der äußerlichen Welt) als die Empfindung „Ich bin“, die Tatsache des Daseins. Das ist mein ureigener Ort, den mir niemand gegeben hat. So gehört die Erde (bzw. der Grund) mir, und was darauf wächst, gehört Gott.

F: Hat Gott dir die Erde verpachtet?

M: Gott ist mein Verehrer und hat alles für mich getan.

F: Gibt es keinen von dir getrennten Gott?

M: Wie könnte das sein? „Ich bin“ ist die Wurzel, und Gott ist der Baum. Wen sollte ich verehren und wofür?

F: Bist du der Verehrer oder das Objekt der Verehrung?

M: Ich bin weder das eine noch das andere, ich bin die Verehrung selbst.

F: Es gibt nicht genug Verehrung in der Welt.

M: Du bist immer auf der Suche nach einer Verbesserung der Welt. Glaubst du wirklich, daß die Welt darauf wartet, von dir gerettet zu werden?

F: Ich weiß nicht, wieviel ich für die Welt tun kann. Ich kann es nur versuchen. Was meinst du, was ich noch tun sollte?

M: Gibt es eine Welt ohne dich? Du weißt alles von der Welt, aber von dir selbst weißt du nichts. Du selbst bist das Werkzeug (bzw. der „Werkzeuge“) deiner Arbeit. Du hast kein anderes Werkzeug. Warum kümmerst du dich nicht um das Werkzeug, bevor du über das Werk nachdenkst?

F: Ich kann warten, während die Welt nicht warten kann.

M: Und doch läßt du die Welt warten, weil du nicht nach dir selbst fragst.

F: Warten auf was?

M: Auf jemanden, der sie wirklich retten kann.

F: Gott regiert die Welt, und Gott wird sie retten.

M: Das sagst du so. Ist Gott zu dir gekommen und hat gesagt, daß die Welt seine Schöpfung und sein Anliegen ist, und nicht deine Schöpfung und dein Anliegen?

F: Warum sollte sie allein mein Anliegen sein?

M: Denke nach: Die Welt, in der du lebst, wer kennt sie sonst noch?

F: Du kennst sie, und jeder kennt sie.

M: Ist jemand von außerhalb deiner Welt gekommen, um dir etwas zu sagen? Ich selbst und alle anderen erscheinen und verschwinden in deiner Welt. So sind wir alle deiner Gnade ausgeliefert.

F: So verrückt kann es doch nicht sein! Ich existiere doch in deiner Welt, so wie du in meiner existierst.

M: Du hast keine Beweise für meine Welt. Du bist völlig in die Welt versunken, die du selbst erschaffen hast.

F: Ich verstehe, völlig versunken, jedoch auch hoffnungslos?

M: Im Gefängnis deiner Welt erscheint ein Mann, der dir sagt, daß die Welt der schmerzhaften Gegensätze, die du geschaffen hast, weder kontinuierlich noch dauerhaft ist und auf einem Mißverständnis beruht. Er bittet dich, da herauszukommen, und zwar auf dem gleichen Weg, wie du hineingekommen bist. Du bist hineingekommen, indem du vergessen hast, was du bist, und du wirst wieder herauskommen, indem du dich selbst so erkennst, wie du bist.

F: Welche Auswirkungen hat das auf die Welt?

M: Wenn du von der Welt befreit bist, kannst du wirklich etwas für sie tun. Solange du ein Gefangener davon bist, kannst du sie nicht ändern. Im Gegenteil: Was auch immer du tust, wird die Situation verschlimmern.

F: Rechtschaffenheit wird mich befreien.

M: Rechtschaffenheit kann dich und deine Welt zweifellos zu einem angenehmen und sogar glücklichen Ort machen. Aber was ist der Nutzen? Es ist nichts Wahres, und so kann es nicht von Dauer sein.

F: Gott wird mir helfen.

M: Um dir zu helfen, müßte Gott deine Existenz kennen. Aber du und deine Welt sind Traumzustände. In diesem Traum kannst du Qualen erleiden, und kein anderer kennt dich und kein anderer kann dir helfen.

F: Also sind alle meine Fragen, meine Suche und mein Studium nutzlos?

M: Das sind zumindest die Regungen eines Menschen, der nun des Schlafens (und Träumens) überdrüssig ist. Sie sind noch kein Grund des Erwachens, aber die ersten Anzeichen dafür. Doch nun solltest du keine unnützen Fragen mehr stellen, auf die du bereits (illusorische) Antworten kennst.

F: Wie bekomme ich eine wahre Antwort?

M: Indem du eine wahre Frage stellst, nicht mit Worten, sondern indem du es wagst, nach deiner Vision zu leben. Ein Mensch, der bereit ist, für die Wahrheit zu sterben, wird sie bekommen.

F: Eine Frage habe ich noch: Da ist die Person, der Wissende der Person und der Zeuge. Sind der Wissende und der Zeuge identisch oder sind es getrennte Zustände?

M: Sind der Wissende und der Zeuge zwei oder eins? Wenn der Wissende als getrennt vom Wissen angesehen wird, dann steht auch der Zeuge getrennt da. Wenn das Wissen und der Wissende als eins erkannt werden, dann wird auch der Zeuge eins mit ihnen.

F: Wer ist der Jnani (der Weise)? Der Zeuge oder das Höchste?

M: Der Jnani ist das Höchste und auch der Zeuge. Er ist sowohl Dasein als auch Gewahrsein. In Bezug zum Bewußtsein ist er das Gewahrsein, und in Bezug zum Universum ist er das reine Dasein.

F: Und was ist mit der Person? Was kommt zuerst, die Person oder der Wissende.

M: Die Person ist eine sehr geringe Sache. Eigentlich handelt es sich um eine Zusammensetzung, denn man kann nicht sagen, daß sie für sich allein existiert. Und ohne Wahrnehmung ist sie gar nicht da. Sie ist nur der Schatten des Verstandes, die Summe seiner Erinnerungen. Das reine Dasein spiegelt sich im Spiegel des Verstandes als Wissen wider. So nimmt das Wissen aufgrund von Erinnerung und Gewohnheit die Gestalt einer Person an. Sie ist also nur ein Schatten oder eine Projektion des Wissenden auf die Kinoleinwand des Verstandes.

F: Der Spiegel ist da, und das Spiegelbild ist da. Doch wo ist die Sonne (die Quelle des Lichtes)?

M: Das Höchste ist die Sonne.

F: Dann muß es bewußt sein.

M: Es ist weder bewußt noch unbewußt. Betrachte es nicht mit Begriffen von Bewußtsein oder Unbewußtsein. Es ist das Leben selbst, das beides enthält und über beides hinausgeht.

F: Das Leben ist doch so intelligent. Wie kann es unbewußt sein?

M: Man spricht vom Unbewußten, wenn es zu einer Lücke in der Erinnerung kommt. In Wahrheit gibt es nur Bewußtsein. Alles Leben ist bewußt, und alles Bewußtsein ist lebendig.

F: Sogar Steine?

M: Ja, sogar Steine sind bewußt und lebendig.

F: Ich habe wohl ein Problem, daß ich dazu neige, eine Existenz zu leugnen, die ich mir nicht vorstellen kann.

M: Es wäre wohl weiser, die Existenz zu leugnen, die du dir vorstellst. Denn es ist gerade das Vorgestellte, das unwahr (illusorisch) ist.

F: Ist alles Vorstellbare unwahr?

M: Alle Vorstellungen, die auf Erinnerungen (bzw. „Gedächtnis“) basieren, sind unwahr. Die Zukunft ist nicht ganz unwahr.

F: Welcher Teil der Zukunft ist wahr und welcher nicht?

M: Das Unerwartete und Unvorstellbare ist wahr.

16. Wunschlosigkeit ist höchste Glückseligkeit

Fragender: Ich habe viele verwirklichte Menschen getroffen, aber nie einen befreiten. Bist du jemals einem befreiten Menschen begegnet? Oder bedeutet Befreiung auch das Verlassen des Körpers?

Maharaj: Was meinst du mit Verwirklichung und Befreiung?

F: Mit Verwirklichung meine ich eine wundervolle Erfahrung von Frieden, Güte und Schönheit, wenn die Welt einen Sinn ergibt und eine allesdurchdringende Einheit von Substanz und Essenz besteht. Auch wenn eine solche Erfahrung nicht von Dauer ist, kann sie doch nicht vergessen werden. Sie leuchtet im Geist als Erinnerung und auch als Sehnsucht. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe solche Erfahrungen gemacht. Und mit Befreiung meine ich, dauerhaft in diesem wundervollen Zustand zu sein. Ich frage mich allerdings, ob diese Befreiung mit einem lebendigen Körper vereinbar ist.

M: Was stimmt mit dem Körper nicht?

F: Der Körper ist so schwach und vergänglich. Er erzeugt Bedürfnisse und Gelüste und schränkt einen schmerzlich ein.

M: Na und? Laß doch die körperlichen Ausdrucksformen begrenzt sein. Denn die Befreiung betrifft das Selbst von seinen falschen und selbstauferlegten Vorstellungen und ist nicht mit einer bestimmten Erfahrung verbunden, so wundervoll diese auch sein mag.

F: Kann so eine Erfahrung nicht ewig halten?

M: Alle Erfahrungen sind zeitgebunden, denn was einen Anfang hat, muß ein Ende haben.

F: Also gibt es im Sinne meiner Beschreibung keine Befreiung?

M: Es ist ganz anders, denn man ist immer frei. Du bist sowohl bewußt als auch frei, um bewußt zu sein. Das kann dir niemand nehmen. Hast du dich jemals als nicht existierend oder ohne Bewußtsein erkannt?

F: Ich erinnere mich vielleicht nicht, aber das widerlegt nicht, daß ich gelegentlich unbewußt bin.

M: Warum wendest du dich nicht von der Erfahrung ab und dem Erfahrenden zu und verwirklichst die volle Bedeutung der einzig wahren Aussage, die du machen kannst: „Ich bin.“?

F: Wie macht man das?

M: Dafür gibt es kein „wie“. Halte einfach die Empfindung „Ich bin“ im Verstand und verschmelze darin, bis dein Verstehen und Empfinden eins werden. Durch wiederholte Übung wirst du das richtige Gleichgewicht zwischen Aufmerksamkeit und Zuneigung finden und dein Verstand wird fest in der Gedanken-Empfindung „Ich bin“ verankert sein. Was auch immer du dann denkst, sagst oder tust, diese Empfindung des unveränderlichen und liebevollen Daseins bleibt der allgegenwärtige Hintergrund des Verstandes.

F: Und das nennst du „Befreiung“?

M: Ich nenne es „normal“. Was ist falsch an einem Dasein, das mühelos und glücklich erkennen und handeln kann? Warum sollte man es für so ungewöhnlich halten, um mit der sofortigen Zerstörung des Körpers zu rechnen? Was ist an deinem Körper falsch, so daß er sterben sollte? Korrigiere deine Einstellung zu deinem Körper und laß ihn in Frieden! Du solltest ihn weder verwöhnen noch quälen. Laß ihn einfach gehen, die meiste Zeit unterhalb der Schwelle bewußter Aufmerksamkeit.

F: Die Erinnerungen an meine wundervollen Erfahrungen verfolgen mich und ich will sie zurückhaben.

M: Weil du sie zurückhaben willst, kannst du sie nicht erhalten, denn der Zustand des Verlangens nach irgendetwas blockiert alle tieferen Erfahrungen. Ein Verstand, der genau weiß, was er will, kann nichts wahrhaft Wertvolles erhalten. Denn nichts, was der Verstand sich vorstellen und wünschen kann, ist von wahrhaft großem Wert.

F: Was ist dann wert, gewünscht zu sein?

M: Wünsche das Beste, das höchste Glück und die größte Freiheit: Wunschlosigkeit ist die höchste Glückseligkeit.

F: Freiheit von Wünschen ist nicht die Freiheit, die ich will. Ich suche die Freiheit, um meine Sehnsüchte zu erfüllen.

M: Es steht dir natürlich frei, deine Sehnsüchte zu erfüllen. Und tatsächlich tust du nichts anderes.

F: Ich versuche es, aber es gibt Hindernisse, die mich frustrieren.

M: Dann überwinde sie!

F: Ich kann nicht, ich bin zu schwach.

M: Was macht dich schwach? Was ist deine Schwäche? Andere erfüllen sich ihre Wünsche, warum nicht auch du?

F: Mir fehlt die Energie dazu.

M: Was ist mit deiner Energie geschehen? Wo ist sie hin? Hast du sie vielleicht auf so viele widersprüchliche Wünsche und Bestrebungen verstreut? Du hast keinen unendlichen Energievorrat.

F: Warum nicht?

M: Weil deine eigenen Ziele begrenzt und untergeordnet sind und nicht mehr erfordern. Nur Gottes Energie ist unendlich, weil Er nichts für sich selbst will. Sei wie Er, und alle deine Wünsche werden erfüllt! Je höher deine Ziele und ganzheitlicher deine Wünsche sind, desto mehr Energie hast du für deren Erfüllung. Wünsche das Wohl aller und das ganze Universum wird mit dir zusammenarbeiten. Wenn du allerdings dein eigenes Vergnügen wünschst, mußt du es dir auf harten Wegen verdienen. Denn bevor du etwas wünschst, verdiene es!

F: Ich beschäftige mich mit dem Studium der Philosophie, Soziologie und Pädagogik. Ich denke, daß mehr geistige Entwicklung nötig ist, bevor ich die Selbstverwirklichung erhoffen kann. Bin ich auf dem richtigen Weg?

M: Um den Lebensunterhalt zu verdienen, sind einige Fachkenntnisse erforderlich. Allgemeinwissen entwickelt zweifellos deinen Verstand. Aber wenn du dein Leben nur damit verbringst, eigenes Wissen anzuhäufen, dann baust du eine Mauer um dich herum. Um über diesen Verstand hinauszugehen, wird kein besonders ausgestatteter Verstand benötigt.

F: Was wird dann benötigt?

M: Mißtraue deinem Verstand und geh über ihn hinaus!

F: Was werde ich jenseits des Verstandes finden?

M: Die direkte Erfahrung des Daseins, der Erkenntnis und der Liebe.

F: Wie kommt man über den Verstand hinaus?

M: Es gibt viele Ansatzpunkte, und sie alle führen zum selben Ziel. Du kannst mit uneigennütziger Arbeit beginnen und den Früchten des Handelns entsagen. Dann kannst du auch das (eigenwillige) Denken aufgeben und schließlich allen Wünschen entsagen. Dabei ist das Aufgeben und Entsagen (Tyaga) der entscheidende Faktor. Oder du sorgst dich nicht mehr um irgendetwas, was du willst, denkst oder tust, bleibst einfach im Gedanken und Empfinden „Ich bin“ und konzentrierst dich fest auf „Ich bin“ in deinem Verstand. Dann können alle Arten von Erfahrungen zu dir kommen, aber du bleibst unbewegt in dem Wissen, daß alles Wahrnehmbare vergänglich und nur das „Ich bin“ ewig ist.

F: Ich kann nicht mein ganzes Leben solchen Übungen widmen, denn ich muß mich auch um meine Pflichten kümmern.

M: Erfülle auf jeden Fall deine Pflichten! Handlungen ohne emotionale Anhaftung, die wohltätig sind und kein Leid verursachen, werden dich nicht binden. Du kannst dich in verschiedenen Bereichen engagieren, mit großem Eifer arbeiten und trotzdem innerlich frei und ruhig bleiben, mit einem spiegelgleichen Verstand, der alles widerspiegelt, ohne daran anzuhaften.

F: Kann man einen solchen Zustand verwirklichen?

M: Ich würde nicht davon reden, wenn es nicht so wäre. Warum sollte ich mich auf Fantasien einlassen?

F: Jeder zitiert gern aus den heiligen Schriften.

M: Wer nur die heiligen Schriften kennt, kennt noch nichts. Erkennen heißt, es zu sein. Ich weiß, wovon ich rede: Es kommt nicht vom Bücherwissen oder vom Hörensagen.

F: Ich studiere Sanskrit bei einem Professor, aber eigentlich lese ich nur die heiligen Schriften. Ich bin auf der Suche nach Selbstverwirklichung und bin gekommen, um die nötige Führung zu finden. Bitte sage mir, was ich tun soll.

M: Warum fragst du mich, nachdem du die heiligen Schriften gelesen hast?

F: Die heiligen Schriften zeigen die allgemeinen Anweisungen, aber der Einzelne braucht persönliche Anweisung.

M: Dazu ist dein eigenes Selbst dein höchster Lehrer (Sadguru). Der äußerliche Lehrer (Guru) ist lediglich ein Meilenstein. Nur dein innerer Lehrer wird dich zum Ziel führen, denn er selbst ist das Ziel.

F: Der innere Lehrer ist nicht leicht zu erreichen.

M: Da er in dir und bei dir ist, kann die Schwierigkeit nicht allzugroß sein. Schau nach innen, und du wirst ihn finden!

F: Wenn ich nach innen schaue, finde ich Empfindungen und Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle, Wünsche und Ängste, Erinnerungen und Erwartungen. Ich tauche in diese Wolke ein und sehe nichts anderes.

M: Jener, der dies Alles und auch das Nichts sieht, ist der innere Lehrer. Er allein „ist da“, alles andere scheint nur da zu sein. Er ist dein eigenes Selbst (Swarupa), deine Hoffnung und Gewißheit der Freiheit. Finde ihn und folge ihm, und du wirst gerettet und sicher sein!

F: Ich glaube dir, aber wenn es darum geht, dieses innere Selbst tatsächlich zu finden, dann entgeht es mir.

M: Diese Vorstellung „es entgeht mir“, wo entsteht sie?

F: Im Verstand.

M: Und wer erkennt den Verstand.

F: Der Zeuge des Verstandes erkennt den Verstand.

M: Ist jemand zu dir gekommen und hat gesagt: „Ich bin der Zeuge deines Verstandes“?

F: Natürlich nicht. Er wäre nur eine weitere Vorstellung im Verstand gewesen.

M: Wer ist dann der Zeuge?

F: Das bin ich.

M: Du kennst also den Zeugen, weil du der Zeuge bist. Du mußt also den Zeugen nicht vor dir sehen (und befürchten, daß er „dir entgeht“). Auch hier gilt: Dasein heißt erkennen.

F: Ja, ich erkenne, daß ich der Zeuge bin, das Gewahrsein selbst. Doch welchen Nutzen hat das für mich?

M: Was für eine Frage! Welchen Nutzen erwartest du? Ist es nicht gut genug zu erkennen, wer du bist?

F: Welchen Nutzen hat diese Selbsterkenntnis?

M: Sie hilft dir zu erkennen, was du nicht bist, und befreit dich von falschen Vorstellungen, Wünschen und Taten.

F: Wenn ich nur der Zeuge bin, welche Rolle spielt dann richtig und falsch?

M: Was dir hilft, dich selbst zu erkennen, ist richtig. Was es verhindert, ist falsch. Das wahre Selbst zu kennen ist Glückseligkeit, und es zu vergessen ist Leidhaftigkeit.

F: Ist das Bewußtsein des Zeugen das wahre Selbst?

M: Es ist die Widerspiegelung des Wahren in der Vernunft (Buddhi). Das Wahre ist jenseits, und der Zeuge ist die Tür, durch die du jenseits gehen kannst.

F: Was ist der Zweck der Meditation?

M: Das Falsche als falsch zu erkennen, das ist Meditation und muß beständig weitergehen.

F: Uns wurde gesagt, daß wir regelmäßig meditieren sollen.

M: Ja, die bewußte tägliche Übung in der Unterscheidung (bzw. „Ent-Scheidung“) zwischen Wahrem und Falschem, um das Falsche aufzugeben, das ist Meditation. Anfänglich gibt es viele Arten der Meditation, aber am Ende verschmelzen sie alle zu einer einzigen.

F: Bitte sage mir, welcher Weg zur Selbstverwirklichung der kürzeste ist.

M: Kein Weg ist hier kurz oder lang, aber manche Leute sind ernsthafter dabei und manche weniger. Dazu kann ich dir etwas von mir erzählen: Ich war ein einfacher Mann, aber ich vertraute meinem Guru. Ich habe getan, was er mir sagte. Er sagte mir, ich solle mich auf „Ich bin“ konzentrieren, und das tat ich. Er sagte mir, daß ich jenseits von allem Wahrnehmbaren und Vorstellbaren bin, und ich glaubte ihm. Ich schenkte ihm mein Herz und meine Seele, meine ganze Aufmerksamkeit und meine ganze Freizeit (denn ich mußte noch arbeiten, um meine Familie zu ernähren). Als Ergebnis des Glaubens und ernsthaften Einsatzes verwirklichte ich innerhalb von drei Jahren mein wahres Selbst (Swarupa). Du kannst also den Weg wählen, der dir am besten paßt, und deine Ernsthaftigkeit wird das Tempo des Fortschritts bestimmen.

F: Keine weiteren Hinweise für mich?

M: Verankere dich fest im Gewahrsein von „Ich bin“! Dies ist der Anfang und auch das Ende aller Bemühungen.

17. Der Allgegenwärtige

Fragender: Die höchsten Kräfte des Geistes sind Verstand, Intelligenz (bzw. Vernunft) und Einsicht. Der Mensch hat drei Körper, den physischen, mentalen und kausalen (Prana, Manas und Karana). Der physische spiegelt sein Wesen wider, der mentale sein Wissen und der kausale seine freudige Kreativität. Natürlich sind das alles Formen im Bewußtsein, aber sie scheinen getrennt zu sein und ihre eigenen Qualitäten zu haben. Intelligenz (Buddhi) ist im Geist die Widerspiegelung der Fähigkeit zu wissen (Chit). Sie ist es, die den Geist wissend macht. Und je heller die Intelligenz (Vernunft), desto umfassender, tiefer und wahrer ist das Wissen. Dinge zu wissen, Menschen zu kennen und sich selbst zu erkennen, sind alles Funktionen der Intelligenz. Die letztere (Selbsterkenntnis) ist die wichtigste und enthält die beiden ersteren. Sich selbst und die Welt falsch zu erkennen, führt zu falschen Vorstellungen und Wünschen, die wiederum zur Knechtschaft führen. Um sich von dieser Knechtschaft der Illusion zu befreien, ist eine richtige Selbsterkenntnis notwendig. Ich verstehe das alles in der Theorie, aber wenn es um die Praxis geht, stelle ich fest, daß ich mit meinen Reaktionen auf Situationen und Menschen hoffnungslos versage und durch meine unangemessenen Reaktionen nur meine Fesseln vergrößere. Das Leben ist zu schnell für meinen dumpfen und langsamen Verstand. Ich erkenne es zwar, aber oft zu spät, nachdem die alten Fehler bereits wiederholt wurden.

Maharaj: Was ist dann dein Problem?

F: Ich brauche eine Reaktion im Leben, die nicht nur intelligent, sondern auch unverzüglich ist. Das kann nur geschehen, wenn es vollkommen spontan geschieht. Wie kann ich eine solche Spontanität erreichen?

M: Der Spiegel kann nichts tun, um die Sonne anzuziehen. Er kann nur klar und rein bleiben. Sobald also der Verstand bereit ist, scheint auch die Sonne in ihm.

F: Kommt das Licht vom Selbst oder vom Verstand?

M: Beides. Das Licht ist in sich selbst unverursacht und unveränderlich und wird durch den Verstand gefärbt, während er sich bewegt und verändert. Es ist einem Kino sehr ähnlich. Das Licht ist nicht im Film, aber der Film färbt das Licht und läßt es scheinen, als würde es sich bewegen, indem er es ergreift.

F: Bist du gerade jetzt in einem vollkommenen Zustand?

M: Vollkommenheit wäre ein Zustand des Verstandes, wenn er rein ist. Ich bin jenseits des Verstandes, egal in welchem Zustand er sich befindet, ob rein oder unrein. Gewahrsein ist meine Natur, und letztendlich bin ich jenseits von Sein und Nichtsein.

F: Kann mir Meditation helfen, deinen Zustand zu erreichen?

M: Meditation wird dir helfen, deine Fesseln zu finden, zu lockern und zu lösen und deine Verhaftung abzuschütteln. Wenn du an nichts mehr anhaftest, hast du deinen Teil dazu getan, und der Rest wird für dich erledigt.

F: Von wem?

M: Durch die gleiche Kraft, die dich so weit gebracht hat, daß dein Herz die Wahrheit wünscht und dein Verstand danach sucht. Es ist die gleiche Kraft, die dich am Leben hält. Man kann es Leben oder das Höchste nennen.

F: Die gleiche Kraft tötet mich auch zu gegebener Zeit.

M: Warst du nicht bei deiner Geburt anwesend? Wirst du nicht auch bei deinem Tod anwesend sein? Finde den, der immer anwesend ist, und dein Problem der spontanen und vollkommenen Reaktion wird sich lösen.

F: Die Verwirklichung des Ewigen und eine mühelose und angemessene Reaktion auf die sich ständig verändernden und vorübergehenden Ereignisse sind zwei verschiedene und getrennte Fragen. Du scheinst sie in einem zu verbinden. Warum tust du das?

M: Das Ewige zu verwirklichen bedeutet, das Ewige zu sein, das Ganze, das Universum mit allem, was es enthält. Jedes Ereignis ist Wirkung und Ausdruck des Ganzen und steht im grundsätzlichen Einklang mit dem Ganzen. So muß also jede Reaktion des Ganzen richtig, mühelos und unverzüglich geschehen. Es kann nicht anders sein, wenn sie richtig ist. Eine verspätete Reaktion wäre eine falsche Reaktion. Denken, Fühlen und Handeln müssen eins sein und gleichzeitig mit der Situation geschehen, die sie erfordert.

F: Wie kommt man dahin?

M: Ich habe es dir schon gesagt: Finde den, der bei deiner Geburt schon da war und auch Zeuge deines Todes sein wird.

F: Mein Vater und meine Mutter?

M: Ja, deine Vater-Mutter, die Quelle, aus der du gekommen bist. Um ein Problem zu lösen, muß man es bis zu seiner Quelle zurückverfolgen. Nur in der Lösung des Problems durch das universelle Lösungsmittel der Erkenntnis und Gelassenheit kann die richtige Lösung gefunden werden.

18. Um zu erkennen, was du bist, finde heraus, was du nicht bist

Fragender: Deine Art, das Universum als aus Materie, Verstand und Geist bestehend zu beschreiben, ist eine von vielen. Es gibt auch andere Systeme, von denen man erwartet, daß sich das Universum entsprechend verhält, doch man weiß nie, welches System wahr ist und welches nicht. Am Ende vermutet man, daß alle Systeme nur beschreibender Natur sind und daß kein System die ganze Wahrheit enthalten kann. Deiner Meinung nach besteht die Wirklichkeit aus drei Bereichen: Dem Bereich der Materie-Energie (Mahadakash), dem Bereich des Bewußtseins (Chidakash) und dem Bereich des reinen Geistes (Paramakash). Das erste ist etwas, das sowohl Bewegung als auch Trägheit besitzt und das wir wahrnehmen können. Wir wissen auch, daß wir wahrnehmen, denn wir sind bewußt, und sind uns auch des Bewußtseins bewußt. Damit haben wir zwei: Materie-Energie und Bewußtsein. Materie scheint im Raum zu sein, während Energie immer in der Zeit ist, mit Veränderungen verbunden ist und an der Veränderungsrate gemessen wird. Das Bewußtsein scheint irgendwie hier und jetzt zu sein, an einem einzigen Punkt von Zeit und Raum. Aber du scheinst anzudeuten, daß auch das Bewußtsein universal ist, so daß es zeitlos, raumlos und unpersönlich wird. Ich kann zwar irgendwie verstehen, daß es keinen Widerspruch zwischen dem Zeit- und Raumlosen und dem Hier und Jetzt gibt, aber unpersönliches Bewußtsein kann ich nicht ergründen. Für mich ist Bewußtsein immer fokussiert, zentriert, individualisiert und damit eine Person. Du scheinst aber zu sagen, daß es ein Wahrnehmen ohne einen Wahrnehmenden, ein Wissen ohne einen Wissenden, ein Lieben ohne einen Liebenden und ein Handeln ohne einen Handelnden geben kann. Ich habe das Gefühl, daß die Dreiheit von Wissen, Wissendem und Objekt des Wissens in jeder Bewegung des Lebens sichtbar ist. Denn Bewußtsein impliziert ein bewußtes Wesen, ein Objekt des Bewußtseins und die Tatsache, bewußt zu sein. Und das, was bewußt ist, nenne ich eine Person, die in der Welt lebt, ein Teil von ihr ist, diese beeinflußt und von ihr beeinflußt wird.

Maharaj: Warum fragst du nicht danach, wie wahr die Welt und die Personen sind?

F: Oh nein, danach brauche ich nicht zu fragen. Es genügt doch, wenn die Person so (relativ) wahr ist, wie die Welt, in der sie existiert.

M: Was ist dann die Frage?

F: Sind Personen wahr und das Universum ist konzeptuell, oder ist das Universum wahr und die Personen sind imaginär?

M: Beide sind nicht wahr.

F: Doch sicherlich bin ich wahr genug, um deine Antwort zu verdienen, denn ich bin eine Person.

M: Aber nicht im Tiefschlaf.

F: Untertauchen ist noch keine Abwesenheit. Obwohl ich schlafe, bin ich eine Person.

M: Um eine Person zu sein, muß du dir selbst (bzw. dieser Person) bewußt sein. Bist du das immer?

F: Natürlich nicht, wenn ich tief schlafe, auch nicht, wenn ich ohnmächtig bin oder unter Drogen stehe.

M: Bist du dann im Wachzustand immer deiner selbst bewußt?

F: Nein, manchmal bin ich geistesabwesend oder einfach nur in etwas versunken.

M: Bist du eine Person während der Lücken im Selbstbewußtsein?

F: Natürlich bin ich überall dieselbe Person. Ich erinnere mich an mich selbst, wie ich gestern war und auch vor einem Jahr. Sicherlich bin ich dieselbe Person.

M: Um eine Person zu sein, brauchst du also eine Erinnerung?

F: Natürlich.

M: Und was wärst du ohne Erinnerung?

F: Eine unvollständige Erinnerung führt zu einer unvollständigen Persönlichkeit. Und ganz ohne Erinnerung kann ich als Person nicht existieren.

M: Sicherlich kannst du ohne Erinnerung (bzw. „Gedächtnis“) existieren. Das tust du ja im Tiefschlaf.

F: Nur im Sinne des Überlebens, aber nicht als Person.

M: Wenn du also zugibst, als Person nur zeitweilig zu existieren, kannst du mir dann sagen, was du in den Pausen zwischen deiner Erfahrung als Person bist?

F: Das bin ich, aber nicht als Person. Weil ich mir in den Zwischenzeiten meiner selbst nicht bewußt bin, kann ich nur sagen, daß ich existiere, aber nicht als Person.

M: Können wir es unpersönliche Existenz nennen?

F: Ich würde es eher unbewußte Existenz nennen: Ich bin da, aber ich weiß nicht, daß ich es bin.

M: Du hast gerade gesagt: „Ich bin da, aber ich weiß nicht, daß ich da bin.“ Könntest du das vielleicht auch in deinem Zustand der Unbewußtheit sagen?

F: Nein, das könnte ich nicht.

M: Man kann es also nur in der Vergangenheitsform beschreiben „Ich wußte es nicht, ich war unbewußt“, in dem Sinne, daß ich mich nicht erinnern konnte.

F: Wie könnte ich mich erinnern, nachdem ich unbewußt war, und an was?

M: Warst du wirklich ganz ohne Bewußtsein oder erinnerst du dich nur nicht?

F: Wie soll ich das wissen?

M: Denke nach! Erinnerst du dich an jede Sekunde von gestern?

F: Natürlich nicht.

M: Warst du in dieser Zeit unbewußt?

F: Natürlich nicht.

M: Du bist also bei Bewußtsein und erinnerst dich trotzdem nicht?

F: Ja, so ist es.

M: Vielleicht warst du auch im Tiefschlaf bei Bewußtsein, aber erinnerst dich nicht daran.

F: Nein, ich war nicht bei Bewußtsein. Ich habe geschlafen und verhielt mich nicht wie eine bewußte Person.

M: Nochmal: Woher weißt du das?

F: Das können mir jene bestätigen, die mich schlafen sahen.

M: Alles, was sie bestätigen können, ist, daß sie dich ruhig liegen sahen, mit geschlossenen Augen und regelmäßig atmend. Sie konnten nicht erkennen, ob du bei Bewußtsein warst oder nicht. Dein einziger Beweis ist deine eigene Erinnerung, und das ist ein sehr unsicherer Beweis.

F: Ja, ich muß zugeben, daß ich nach meiner eigenen Definition nur während meiner wachen Stunden eine Person bin. Was ich dazwischen bin, weiß ich nicht.

M: Zumindest weißt du, daß du es nicht weißt! Da du in den Zeiten zwischen den Wachstunden meinst, du wärst nicht bei Bewußtsein, dann lassen wir diese Zeiten in Ruhe, und wollen nur die Wachstunden betrachten.

F: In meinen Träumen bin ich aber auch dieselbe Person.

M: Einverstanden! Betrachten wir beide gemeinsam, das Wachen und das Träumen. Der Unterschied liegt lediglich in der Kontinuität. Würden deine Träume ständig andauern und Nacht für Nacht dieselbe Umgebung und dieselben Menschen zurückbringen, wärst du nicht fähig zu wissen, was das Wachen und was das Träumen ist. Wenn wir von nun an vom Wachzustand sprechen, schließen wir also auch den Traumzustand ein.

F: Einverstanden! Ich bin eine Person in einer bewußten Beziehung zu einer Welt.

M: Sind die Welt und der bewußte Umgang mit ihr wesentlich für deine Persönlichkeit?

F: Nein, auch wenn ich in einer Höhle eingeschlossen wäre, bliebe ich eine Person.

M: Auch das setzt einen Körper und eine Höhle voraus und damit eine Welt, in der du existieren kannst.

F: Ja, das verstehe ich. Die Welt und das Bewußtsein der Welt sind also für meine Existenz als Person von wesentlicher Bedeutung.

M: Dadurch wird der Mensch zu einem Teil der Welt und umgekehrt, denn diese beiden sind eins.

F: Allein das Bewußtsein besteht (als Person). Der Mensch und die Welt erscheinen im Bewußtsein.

M: Du sagst „erscheinen“, kannst du auch „verschwinden“ hinzufügen?

F: Nein, das kann ich nicht, denn ich kann mir nur meiner Erscheinung und der meiner Welt bewußt sein. Als Person kann ich nicht sagen: „Die Welt ist nicht da.“ Ohne eine Welt wäre ich nicht da, um dies sagen zu können. Nur weil es eine Welt gibt, bin ich da und kann sagen: „Eine Welt ist da.“

M: Vielleicht ist es umgekehrt, und die Welt ist wegen dir da.

F: Für mich erscheint eine solche Aussage bedeutungslos.

M: Diese Bedeutungslosigkeit kann bei näherer Untersuchung verschwinden.

F: Wo fangen wir an?

M: Ich weiß nur, daß alles, was abhängig ist, keine Wahrheit ist. Das Wahre ist völlig unabhängig. Und weil die Existenz der Person von der Existenz der Welt abhängt und von der Welt umgrenzt und definiert wird, kann sie nicht wahr sein.

F: Aber sie kann doch auch kein Traum sein.

M: Sogar ein Traum hat Existenz, wenn er wahrgenommen, genossen oder getragen wird. Was immer du denkst und fühlst, hat eine Existenz. Aber es ist möglicherweise nicht das, wofür du es hältst. Was du für eine Person hältst, kann etwas ganz anderes sein.

F: Ich bin das, wovon ich weiß, daß ich es bin.

M: Du kannst sicherlich nicht behaupten, daß du das bist, wofür du dich hältst! Denn deine Vorstellungen von dir selbst ändern sich von Tag zu Tag und von Moment zu Moment. Dein Selbstbild ist das Veränderlichste, was du hast. Es ist überaus verletzlich und der Gunst deiner Mitmenschen ausgeliefert. Ein Trauerfall, der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine Beleidigung, und dein Selbstbild, das du deine Person nennst, verändert sich tiefgreifend. Um zu wissen, was du bist, mußt du zunächst nachforschen und erkennen, was du nicht bist. Und um zu wissen, was du nicht bist, mußt du dich selbst genau beobachten und alles zurückweisen, was der grundlegenden Wahrheit des unveränderlichen „Ich bin“ widerspricht. Solche Vorstellungen, wie „Ich bin an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, von meinen Eltern geboren, und jetzt bin ich so und so, lebe in …, bin verheiratet, Vater von …, angestellt bei … usw.“ gehören nicht zur Empfindung von „Ich bin“. Unsere übliche Vorstellung ist: „Ich bin dieses oder jenes.“ Löse das „Ich bin“ konsequent und beharrlich von „diesem“ oder „jenem“, und versuche zu empfinden, was es bedeutet, ohne „dieses“ oder „jenes“ einfach da zu sein. Alle unsere Gewohnheiten stehen im Widerspruch dazu und die Aufgabe, dagegen anzukämpfen, ist oft langwierig und schwierig. Doch ein klares Erkennen hilft bereits sehr. Je klarer du erkennst, daß du auf der Ebene des Verstandes nur mit verneinenden Begriffen (nicht dieses, nicht jenes) beschrieben werden kannst, desto schneller wirst du das Ziel deiner Suche erreichen und dein grenzenloses Dasein verwirklichen.

19. Wahrheit und Objektivität

Fragender: Ich bin Maler und verdiene mein Geld mit dem Malen von Bildern. Hat dies auch aus spiritueller Sicht irgendeinen Wert?

Maharaj: Woran denkst du, wenn du malst?

F: Wenn ich male, gibt es nur das Bild und mich selbst.

M: Und was machst du dabei?

F: Ich male.

M: Nein, das tust du nicht! Du siehst, wie das Bild entsteht. Du siehst nur zu, und alles andere passiert von selbst.

F: Das Bild malt sich von selbst? Oder gibt es ein tieferes „Ich“ und einen Gott, der malt?

M: Das Bewußtsein selbst ist der größte Maler, und die ganze Welt ist ein Bild.

F: Wer hat dieses Bild der Welt gemalt?

M: Der Maler ist im Bild.

F: Das Bild ist also im Verstand des Malers, und der Maler ist in dem Bild, das im Verstand des Malers ist, der wiederum im Bild ist! Ist diese Unendlichkeit an Zuständen und Dimensionen nicht absurd? Sobald wir von einem Bild im Verstand sprechen, der selbst im Bild ist, kommen wir zu einer endlosen Abfolge von Zeugen, von denen der höhere Zeuge den niederen bezeugt. Es ist, als stünde man zwischen zwei Spiegeln und staunt über die Menge (an Bildern).

M: Ganz richtig, nur du und der doppelte Spiegel sind da. Und zwischen den Beiden sind deine zahllosen Formen und Namen.

F: Wie siehst du die Welt?

M: Ich sehe (nur) einen Maler, der ein Bild malt. Das Bild nenne ich die Welt, den Maler nenne ich Gott. Ich selbst bin keiner von beiden. Ich erschaffe nichts und werde auch nicht erschaffen. Ich enthalte zwar alles, aber nichts enthält mich.

F: Wenn ich einen Baum, ein Gesicht oder einen Sonnenuntergang sehe, dann ist das Bild vollkommen. Aber wenn ich meine Augen schließe, ist das Bild in meinem Verstand nur noch schwach und verschwommen. Wenn es mein Verstand ist, der das Bild projiziert, warum muß ich dann meine Augen öffnen, um eine schöne Blume zu sehen, und mit geschlossenen Augen sehe ich sie nur unvollkommen?

M: Das liegt daran, daß deine äußeren Augen besser sind als deine inneren Augen. Dein Geist ist ganz nach außen gerichtet. Wenn du lernst, auf deine geistige Welt zu achten, wirst du feststellen, daß sie noch farbenfroher und vollkommener ist als das, was der Körper bieten kann. Natürlich benötigt das einige Übung. Warum lange hin und her reden? Du stellst dir vor, daß das Bild von dem Maler stammen muß, der es tatsächlich gemalt hat. So suchst du ständig nach Ursprüngen und Ursachen. Doch Kausalität gibt es nur im Verstand. Das Gedächtnis vermittelt die Illusion von Kontinuität, und Wiederholung schafft die Vorstellung von Kausalität. Wenn Dinge wiederholt zusammen passieren, neigen wir dazu, einen kausalen Zusammenhang zwischen ihnen zu erkennen. Das schafft eine geistige Gewohnheit, aber eine Gewohnheit ist noch keine Notwendigkeit.

F: Du hast aber vorhin gesagt, daß die Welt von Gott erschaffen ist.

M: Vergiß nicht, daß die Sprache ein Instrument des Verstandes ist. Sie wird vom Verstand für den Verstand geschaffen. Und sobald du damit irgendeine Ursache anerkennst, dann ist Gott die ultimative Ursache und die Welt ist die Wirkung. Sie sind zwar unterscheidbar, aber nicht getrennt.

F: Die Leute reden aber auch davon, Gott zu sehen.

M: Wenn du die Welt siehst, dann siehst du Gott. Es gibt kein Sehen von Gott getrennt von der Welt. Jenseits der Welt Gott zu sehen bedeutet, Gott zu sein. Das Licht, durch das du die Welt siehst, welche Gott ist, ist nur ein winziger Funke von „Ich bin“, scheinbar so klein und doch der erste und der letzte in jedem Akt des Erkennens und Liebens.

F: Muß ich die Welt sehen, um Gott zu sehen?

M: Wie sonst? Keine Welt, kein Gott.

F: Was bleibt dann?

M: Du bleibst als reines Dasein.

F: Und was wird aus der Welt und aus Gott?

M: Reines Dasein (Avyakta).

F: Ist es dasselbe wie der Höchste Raum (Paramakash)?

M: Man kann es so nennen. Doch Worte spielen hier keine Rolle, denn sie erreichen es nicht, sondern kehren sich nur in Negationen um.

F: Wie kann ich die Welt als Gott erkennen? Was bedeutet es, die Welt als Gott zu sehen?

M: Es ist, als würde man einen dunklen Raum betreten und nichts sehen. Du kannst etwas spüren, aber du siehst nichts, keine Farben und keine Umrisse. Dann öffnet sich das Fenster und der Raum wird von Licht durchflutet, so daß Farben und Formen entstehen. Das Fenster spendet Licht, aber ist nicht dessen Quelle, sondern die Sonne ist die Quelle. Ebenso ist die Materie wie der dunkle Raum, und das Bewußtsein ist wie das Fenster, das die Materie mit Empfindungen und Wahrnehmungen durchflutet, und das Höchste ist die Sonne, die Quelle sowohl der Materie als auch des Lichtes. Dieses Fenster (des Bewußtseins) kann geschlossen oder geöffnet sein, doch die Sonne scheint die ganze Zeit. Für den Raum macht es einen großen Unterschied, jedoch nicht für die Sonne. Doch all dies ist zweitrangig gegenüber der winzigen Sache, die das „Ich bin“ ist. Ohne das „Ich bin“ gibt es gar nichts. Alles Wissen dreht sich um das „Ich bin“. Falsche Vorstellungen über dieses „Ich bin“ führen zur Knechtschaft, und richtige Erkenntnis führt zu Freiheit und Glückseligkeit.

F: Sind „Ich bin“ und „Da ist“ identisch?

M: „Ich bin“ bezeichnet das Innere und „Da ist“ das Äußere. Beide basieren auf der Empfindung des Daseins.

F: Ist es dasselbe wie die Erfahrung der Existenz?

M: Existieren bedeutet, etwas zu sein, eine Sache, ein Gefühl, ein Gedanke oder eine Vorstellung. Jede Existenz ist nur teilweise. Allein das Dasein ist universal (ganzheitlich) in dem Sinne, daß jedes Dasein mit jedem anderen Dasein vereinbar ist. Existenzen prallen aufeinander, aber niemals das Dasein. Existenz bedeutet Werden, Veränderung, Geburt, Tod und Wiedergeburt, während im Dasein stiller Frieden herrscht.

F: Wenn ich die Welt erschaffe, warum habe ich sie dann so schlecht gemacht?

M: Jeder lebt in seiner eigenen Welt. So sind nicht alle Welten gleich gut oder schlecht.

F: Woher kommen die Unterschiede?

M: Der Verstand, der die Welt projiziert, färbt sie auf seine eigene Weise. Wenn du einen anderen Menschen triffst, ist er zunächst ein Fremder. Wenn du ihn heiratest, wird er zu deinem Selbst. Und wenn du dich mit ihm streitest, wird er zu deinem Feind. Es ist also die Einstellung deines Verstandes, die bestimmt, was er für dich ist.

F: Ich erkenne nun, daß meine Welt subjektiv ist. Ist sie dadurch auch illusorisch?

M: Sie ist illusorisch, soweit sie subjektiv ist und nur in diesem Ausmaß. Die Wahrheit liegt (diesbezüglich) in der Objektivität.

F: Was bedeutet Objektivität? Du sagtest, die Welt sei subjektiv, und jetzt sprichst du von Objektivität. Ist nicht alles subjektiv?

M: Alles ist subjektiv, aber das Wahre ist objektiv (bzw. absolut).

F: In welchem Sinne?

M: Es hängt nicht von Gedächtnis, Erwartungen, Wünschen, Ängsten, Zuneigungen und Abneigungen ab. Alles wird so gesehen, wie es ist.

F: Ist es das, was du den vierten Zustand (Turiya - traumloses Wachsein) nennst?

M: Nenne es, wie du willst. Es ist fest, beständig, unveränderlich, anfangs- und endlos, immer neu und immer frisch.

F: Wie wird es erreicht?

M: Wunschlosigkeit und Angstlosigkeit werden dich dorthin bringen.

20. Das Höchste ist jenseits von Allem

Fragender: Du sagst, die Wahrheit ist Eins. Wenn Einssein und Einheit das Attribut einer Person sind, ist dann die Wahrheit eine Person, deren Körper das ganze Universum ist?

Maharaj: Was auch immer du sagst, es wird sowohl wahr als auch falsch sein, denn Worte können niemals erreichen, was jenseits des Verstandes ist.

F: Ich versuche dir nur zu folgen. Du erzählst uns von einer Person, dem Selbst und dem Höchsten. Das Licht des reinen Gewahrseins, das als „Ich bin“ im Selbst vertieft ist, erleuchtet als Bewußtsein den Verstand und belebt als Leben den Körper. Was die Worte betrifft, ist das alles in Ordnung. Aber wenn es darum geht, in mir selbst die Person vom Selbst und das Selbst vom Höchsten zu unterscheiden, komme ich durcheinander.

M: Die Person ist nicht das Subjekt. Du kannst eine Person sehen, ohne die Person zu sein. Du bist immer das Höchste, das zu einem bestimmten Punkt in Zeit und Raum als Zeuge erscheint, als eine Brücke zwischen dem reinen Gewahrsein des Höchsten und dem vielfältigen Bewußtsein der Person.

F: Wenn ich mich selbst betrachte, dann finde ich mehrere Personen, die untereinander um die Nutzung des Körpers kämpfen.

M: Sie entsprechen den verschiedenen Neigungen des Verstandes.

F: Kann ich zwischen ihnen Frieden schließen?

M: Wie könntest du das? Sie sind so widersprüchlich! Erkenne sie als das, was sie sind, bloße Gewohnheiten von Gedanken und Gefühlen mit Bündeln von Erinnerungen und Trieben.

F: Dennoch sagen sie alle „Ich bin“.

M: Das liegt nur daran, weil du dich mit ihnen identifizierst. Sobald du erkennst, daß alles, was vor dir erscheint, nicht dein Selbst ist und deshalb nicht sagen kann „Ich bin“, bist du frei von all deinen „Personen“ und ihren Neigungen. Das Empfinden „Ich bin“ ist dein eigenes. Du kannst dich nicht davon trennen, aber du kannst es an irgendetwas weitergeben, indem du sagst: „Ich bin jung, ich bin reich usw.“ Aber solche Selbst-Identifikationen sind offensichtlich falsch und die Ursache von Knechtschaft.

F: Damit kann ich jetzt erkennen, daß ich nicht die Person bin, sondern ich bin das, was ihr ein Dasein verleiht, wenn es in der Person widergespiegelt wird. Doch nun zum Höchsten: Auf welche Weise erkenne ich mich selbst als das Höchste?

M: Die Quelle des Bewußtseins kann kein Objekt im Bewußtsein sein. Die Quelle zu erkennen bedeutet, die Quelle zu sein. Wenn du erkennst, daß du nicht die Person, sondern der reine und stille Zeuge bist und das angstfreie Gewahrsein dein wahres Dasein ist, dann bist du das Dasein. Das ist die Quelle, die unerschöpfliche Möglichkeit.

F: Gibt es viele Quellen oder nur eine Quelle für alles?

M: Es kommt darauf an, aus welcher Richtung man es betrachtet. Es gibt viele Objekte in der Welt, aber das Auge, das sie sieht, ist eins. Das Höhere erscheint dem Niederen immer als Eins und das Niedere dem Höheren als Vieles.

F: Stammen dann die Formen und Namen alle von ein und demselben Gott?

M: Auch hier hängt alles davon ab, wie man es betrachtet. Auf der beschreibenden Ebene ist alles relativ. Das Absolute sollte erfahren und nicht beschrieben werden.

F: Wie wird das Absolute erfahren?

M: Es ist kein Objekt, das erkannt und im Gedächtnis gespeichert werden kann. Es liegt vielmehr in der Gegenwart und im Empfinden. Es hat mehr mit dem „Wie“ als mit dem „Was“ zu tun. Es liegt in der Qualität und im Wert. Und wie es die Quelle von allem ist, so ist es auch in allem.

F: Wenn es die Quelle ist, warum und wie manifestiert es sich?

M: Es bringt Bewußtsein hervor, und alles andere geschieht im Bewußtsein.

F: Warum gibt es dann so viele Zentren des Bewußtseins?

M: Das objektive Universum (Mahadakash) ist in ständiger Bewegung. Es projiziert unzählige Formen und löst sie wieder auf. Und immer, wenn eine Form mit Leben (Prana) erfüllt wird, erscheint das Bewußtsein (Chetana) durch die Reflexion des Gewahrseins in der Materie.

F: Wie ist das Höchste davon beeinflußt?

M: Was könnte das Höchste beeinflussen und wie? Die Quelle wird durch die Launen des Flusses nicht beeinflußt, wie auch das Gold von der Form des Schmuckes nicht beeinflußt wird. Oder wird die Lichtquelle vom Bild auf der Kinoleinwand beeinflußt? Das Höchste macht nur alles möglich, und das ist alles.

F: Wie kommt es dann, daß manche Dinge geschehen und andere nicht?

M: Die Suche nach den Ursachen ist ein Zeitvertreib des Verstandes. Es gibt keine Dualität von Ursache und Wirkung. Alles ist seine eigene Ursache.

F: Ist dann kein zielgerichtetes Handeln möglich?

M: Ich sage nur, daß das Bewußtsein alles enthält, und damit ist im Bewußtsein alles möglich. Wenn du willst, kannst du in deiner Welt auch viele Ursachen haben. Ein anderer kann mit einer einzigen Ursache zufrieden sein, dem Willen Gottes. Die grundlegende Ursache ist jedoch immer die eine, nämlich die Empfindung „Ich bin“.

F: Welche Verbindung besteht zwischen dem Selbst und dem Höchsten?

M: Aus der Sicht des Selbst ist die Welt das Bekannte, und das Höchste ist das Unbekannte. Das Unbekannte bringt das Bekannte hervor und bleibt dennoch unbekannt. Das Bekannte ist unendlich, aber das Unbekannte ist eine Unendlichkeit von Unendlichkeiten. So wie ein Lichtstrahl nie gesehen wird, es sei denn, er wird von den Staubteilchen abgefangen, so macht der Höchste alles bekannt, bleibt aber selbst unbekannt.

F: Bedeutet das, daß das Unbekannte unerreichbar ist?

M: Oh nein! Das Höchste ist am einfachsten zu erreichen, denn es ist dein eigenes Dasein. Es genügt, aufzuhören, irgendetwas anderes als das Höchste zu denken und zu wünschen.

F: Und wenn ich nichts wünsche, nicht einmal das Höchste?

M: Dann bist du so gut wie tot, aber du bist das Höchste.

F: Die Welt ist voller Wünsche, und jeder möchte das eine oder andere. Wer ist der Wünschende? Die Person oder das Selbst?

M: Das Selbst. Alle Wünsche, ob heilig oder unheilig, kommen vom Selbst und hängen alle an der Empfindung „Ich bin“.

F: Heilige Wünsche kann ich verstehen, die vom Selbst ausgehen. Das kann der Ausdruck des Glückseligkeitsaspekts des Satchitananda (Sein - Bewußtsein - Glückseligkeit) des Selbst sein. Aber warum auch unheilige Wünsche?

M: Alle Wünsche zielen auf das Glück ab, und ihre Formen und Qualitäten hängen von der Psyche (Antahkarana) ab. Wo Trägheit (Tamas) vorherrscht, finden wir Perversionen. Mit der Energie (Rajas) entstehen Leidenschaften. Und mit der Klarheit (Sattwa) ist das Motiv hinter dem Wunsch Wohlwollen, Mitgefühl und der Drang, glücklich zu machen, anstatt glücklich zu sein. Aber das Höchste ist jenseits von allem. Doch aufgrund seiner unendlichen Durchdringung können alle überzeugenden Wünsche erfüllt werden.

F: Welche Wünsche sind überzeugend?

M: Wünsche, die ihre Subjekte oder Objekte zerstören oder bei Befriedigung nicht nachlassen, sind in sich widersprüchlich und bleiben unerfüllbar. Nur Wünsche, die durch Liebe, Wohlwollen und Mitgefühl motiviert sind, sind sowohl für das Subjekt als auch für das Objekt von Vorteil und können vollkommen befriedigt werden.

F: Alle Wünsche sind schmerzhaft, die heiligen ebenso wie die unheiligen.

M: Sie sind nicht alle gleich und auch der Schmerz ist nicht gleich. Leidenschaft ist schmerzhaft, aber niemals Mitgefühl. Das gesamte Universum hilft dabei, um einen Wunsch zu erfüllen, der aus Mitgefühl entsteht.

F: Kennt sich das Höchste selbst? Ist das Unpersönliche bewußt?

M: Die Quelle von allem hat alles. Was auch immer daraus fließt, muß dort bereits als Samen vorhanden sein. Und wie ein Samen der letzte von unzähligen (vorhergehenden) Samen ist und die Erfahrung und die Verheißung unzähliger Wälder enthält, so enthält das Unbekannte alles, was war oder hätte sein können, sowie auch alles, was noch kommen wird oder kommen könnte. Das gesamte Feld des Werdens ist damit offen und zugänglich. Vergangenheit und Zukunft koexistieren im ewigen Jetzt.

F: Lebst du im Höchsten Unbekannten?

M: Wo sonst?

F: Wie kannst du das behaupten?

M: In meinem Verstand entsteht niemals ein Verlangen.

F: Bist du dann unbewußt?

M: Natürlich nicht! Ich bin bei vollem Bewußtsein, weil aber weder Verlangen noch Ängste in mir aufsteigen, herrscht vollkommene Stille.

F: Wer erkennt diese Stille?

M: Diese Stille erkennt sich selbst. Es ist die Stille des stillen Geistes, wenn Leidenschaften und Wünsche schweigen.

F: Verspürst du gelegentlich Wünsche?

M: Wünsche sind nur Wellen im Verstand. Du erkennst sie als Welle, wenn du sie siehst. So ein Wunsch ist nur eine Sache unter vielen. Ich verspüre keinen Drang, ihn zu befriedigen, und damit besteht kein Handlungsbedarf. Freiheit vom Verlangen bedeutet, daß der Zwang zur Erlangung fehlt.

F: Warum entstehen überhaupt Wünsche?

M: Weil du dir vorstellst, daß du geboren wurdest und sterben mußt, wenn du dich nicht um deinen Körper kümmerst. Damit ist der Wunsch nach einer verkörperten Existenz die Grundursache der Probleme.

F: Dennoch gelangen so viele Jivas (individuelle Seelen) in Körper. Das kann doch sicherlich kein Irrtum sein. Es muß irgendeinen Sinn geben. Was könnte es sein?

M: Um dich selbst zu erkennen, muß das Selbst mit seinem Gegensatz konfrontiert werden, dem Nicht-Selbst. Verlangen führt zu Erfahrung, und Erfahrung führt zur Unterscheidung, Loslösung, Selbsterkenntnis und Befreiung. Und was ist diese Befreiung? Zu erkennen, daß du jenseits von Geburt und Tod bist. Weil du vergessen hast, wer du bist, und dir vorstellst, ein sterbliches Geschöpf zu sein, hast du dir so viel Ärger gemacht, so daß du jetzt wie aus einem bösen Traum erwachen mußt. Auch das Hinterfragen weckt dich. Du mußt nicht auf das Leiden warten. Besser ist das Hinterfragen des Glücks, denn so kommt der Geist in Harmonie und Frieden.

F: Wer genau ist der ultimative Erlebende, das Selbst oder das Unbekannte?

M: Natürlich das Selbst.

F: Warum wurde dann der Begriff des Höchsten Unbekannten eingeführt?

M: Um das Selbst zu erklären.

F: Gibt es denn etwas jenseits des Selbst?

M: Jenseits des Selbst gibt es nichts. Alles ist eins, und alles ist in „Ich bin“ enthalten. Im traumhaften Wach- und Schlafzustand ist es die Person. Im Tiefschlaf und Turiya (dem vierten Zustand des traumlosen Wachseins) ist es das Selbst. Jenseits der reinen Wachsamkeit von Turiya liegt der große und stille Frieden des Höchsten. Aber in Wahrheit ist alles im Wesentlichen eins und in der Erscheinung miteinander verbunden. In der Unwissenheit wird der Seher zum Gesehenen, und in der Weisheit ist er das Sehen selbst. Warum sollte man sich also um das Höchste kümmern? Erkenne den Erkennenden und alles wird erkannt sein.

21. Wer bin ich?

Fragender: Uns wird geraten, die Wahrheit personifiziert als einen Gott oder vollkommenen Menschen zu verehren. Uns wird gesagt, daß wir nicht versuchen sollen, das Absolute zu verehren, weil dies für ein gehirnzentriertes Bewußtsein viel zu schwierig ist.

Maharaj: Die Wahrheit ist einfach und für alle offen. Warum machst du es so kompliziert? Die Wahrheit ist liebevoll und liebenswert. Sie schließt alles ein, akzeptiert alles und reinigt alles. Es ist die Unwahrheit (Illusion), die schwierig ist und Ärger bereitet, denn sie will, erwartet und fordert immer etwas. Weil sie nicht wahr ist, ist sie leer und damit immer auf der Suche nach Bestätigung und Erfüllung. Sie hat Angst, hinterfragt zu werden, und vermeidet es. Sie identifiziert sich mit jeder Bestätigung, wie schwach und flüchtig diese auch sein mag. Doch was auch immer sie bekommt, sie verliert es wieder und verlangt nach mehr. Deshalb vertraue diesem Bewußtsein nicht. Nichts, was du sehen, fühlen oder denken kannst, ist in Wahrheit so. Sogar Sünde und Tugend, Gewinn und Verlust sind nicht das, als was sie erscheinen. In Wirklichkeit sind Gut und Böse eine Frage von Konventionen und Gewohnheiten und werden entsprechend vermieden oder willkommen geheißen, je nachdem, wie die Begriffe verwendet werden.

F: Gibt es nicht gute und schlechte Wünsche, hohe und niedere?

M: Alle Wünsche sind schlecht, aber einige sind schlechter als andere. Welchen Wunsch du auch verfolgst, er wird dir immer Probleme bereiten.

F: Sogar der Wunsch, vom Wünschen frei zu sein?

M: Warum überhaupt wünschen? Der Wunsch nach einem Zustand der Freiheit vom Wünschen wird dich nicht befreien. Nichts kann dich befreien, denn du bist bereits frei. Erkenne dich selbst mit wunschloser Klarheit, das ist alles!

F: Es braucht Zeit, sich selbst zu erkennen.

M: Wie kann dir die Zeit dabei helfen? Zeit ist eine Abfolge von Momenten, und jeder Moment erscheint aus dem Nichts und verschwindet im Nichts, um nie wieder aufzutauchen. Wie kann man auf etwas so Vergängliches bauen?

F: Und was ist unvergänglich?

M: Suche bei dir selbst nach dem Unvergänglichen. Tauche tief in dich hinein und finde heraus, was in dir selbst Wahrheit ist.

F: Wie suche ich in mir selbst?

M: Was auch immer passiert, es passiert dir selbst. Und was immer du tust, der Täter ist in dir. Finde das Subjekt von allem, was du als Person bist!

F: Was könnte ich sonst noch sein?

M: Finde es heraus! Selbst wenn ich dir sage, daß du der Zeuge bist, der stille Beobachter, wird es dir nichts bedeuten, es sei denn, du findest den Weg zu deinem eigenen Selbst.

F: Meine Frage ist: Wie findet man den Weg zum eigenen Selbst?

M: Gib alle Fragen auf, bis auf eine: „Wer bin ich?“ Schließlich kannst du dir nur einer Wahrheit sicher sein, nämlich daß du da bist. Nur das „Ich bin“ ist gewiß, und nicht „Ich bin dies oder das“. Kämpfe, um herauszufinden, was du in Wahrheit bist!

F: Ich habe in den letzten sechzig Jahren nichts anderes getan.

M: Was ist falsch am Streben? Warum erwartest du Ergebnisse? Das Streben selbst ist doch deine wahre Natur.

F: Dieses Streben ist schmerzhaft.

M: Du machst es schmerzhaft, weil du nach Ergebnissen strebst. Strebe ohne etwas zu suchen, und kämpfe ohne Gier!

F: Warum hat Gott mich so gemacht, wie ich bin?

M: Von welchem Gott redest du? Was ist Gott? Ist er nicht genau das Licht, mit dem du diese Frage stellst? „Ich bin“ ist Gott, und auch die Suche selbst. Bei der Suche entdeckst du, daß du weder Körper noch Verstand bist und daß die Liebe zum Selbst in dir die Liebe zum Selbst aller ist. Diese beiden sind eins. Das Bewußtsein in dir und das Bewußtsein in mir, die wie zwei erscheinen, sind in Wahrheit eins und streben nach der Einheit, und das ist die Liebe.

F: Wie kann ich diese Liebe finden?

M: Was liebst du jetzt? Du liebst das „Ich bin“. Gib diesem dein Herz und deinen Verstand und denke an nichts anderes. Dies ist, wenn es mühelos und natürlich ist, das höchste Dasein. Darin ist die Liebe selbst der Liebende und der Geliebte.

F: Jeder möchte doch leben und existieren. Ist das nicht Selbst-Liebe?

M: Alle Wünsche haben ihren Ursprung im Selbst. Es kommt nur darauf an, den richtigen Wunsch zu wählen.

F: Was richtig und was falsch ist, variiert je nach Gewohnheit und Gebrauch, und diese Normen sind auch in jeder Gesellschaft anders.

M: Verwerfe alle traditionellen Normen und überlasse sie den Heuchlern! Nur was dich von Verlangen, Angst und falschen Vorstellungen befreit, ist gut. Solange du dir Sorgen um Sünde und Tugend machst, wirst du keinen Frieden finden.

F: Ich gebe zu, daß Sünde und Tugend soziale Normen sind. Aber es kann auch spirituelle Sünde und Tugend geben. Mit spirituell meine ich das Absolute. Gibt es so etwas wie absolute Sünde oder absolute Tugend?

M: Sünde und Tugend beziehen sich nur auf eine Person. Was wäre Sünde oder Tugend ohne eine sündige oder tugendhafte Person? Aber auf der Ebene des Absoluten gibt es keine Personen. Das Meer des reinen Gewahrseins ist weder tugendhaft noch sündig. Sünde und Tugend sind immer relativ.

F: Kann ich solche unnötigen Vorstellungen abschaffen?

M: Nicht, solange du denkst, daß du eine Person bist.

F: An welchem Zeichen kann ich dann erkennen, daß ich jenseits von Sünde und Tugend bin?

M: Indem du frei von allen Wünschen und Ängsten bist, frei von der Vorstellung, eine Person zu sein. Solche Vorstellungen zu nähren, wie „Ich bin ein Sünder“ oder „Ich bin kein Sünder“, ist bereits Sünde. Sich mit etwas Besonderem (Getrenntem) zu identifizieren, ist die einzige Sünde, die es gibt. Das Unpersönliche ist wahr, das Persönliche erscheint und verschwindet. „Ich bin“ ist das unpersönliche Dasein. „Ich bin dies oder das“ ist die Person. Die Person ist relativ, und das reine Dasein ist grundlegend.

F: Doch das reine Dasein ist sicherlich nicht unbewußt und ohne Unterscheidungsvermögen. Wie kann es dann jenseits von Tugend und Sünde sein? Sag uns bitte einfach, ob es Intelligenz hat oder nicht?

M: All diese Fragen ergeben sich aus deinem Glauben, eine Person zu sein. Geh über das Persönliche hinaus und schau!

F: Was genau meinst du, wenn du mich bittest, keine Person mehr zu sein?

M: Ich bitte dich nicht, mit dem Dasein aufzuhören, denn das kannst du nicht. Ich bitte dich nur, dir nicht mehr vorzustellen, daß du geboren wurdest, Eltern hast, ein Körper bist, sterben wirst und so weiter. Versuche damit einfach, einen Anfang zu machen. Es ist nicht so schwer, wie du denkst.

F: Sich selbst für eine Person zu halten, ist also die Sünde des Unpersönlichen.

M: Auch das ist wieder eine persönliche Sichtweise! Warum bestehst du darauf, das Unpersönliche mit deinen persönlichen Vorstellungen von Sünde und Tugend zu verunreinigen? Das trifft einfach nicht zu. Das Unpersönliche kann nicht mit den Begriffen von Gut und Böse beschrieben werden. Es ist Dasein, Weisheit und Liebe, und zwar alles absolut. Wo gäbe es da Raum für Sünde? Und die Tugend ist nur das Gegenteil von Sünde.

F: Wir sprechen doch auch von göttlicher Tugend.

M: Wahre Tugend ist göttliche Natur (Swarupa). Was du also in Wahrheit bist, das ist deine Tugend. Doch das Gegenteil der Sünde, was ihr „Tugend“ nennt, ist nur aus Angst geborener Gehorsam.

F: Warum dann alle Anstrengungen, um gut (und tugendhaft) zu sein?

M: Das hält dich in Bewegung, und du gehst immer weiter, bis du Gott findest. Dann nimmt dich Gott in sich auf und macht dich zu dem, was Er ist.

F: Manche Handlung wird einerseits als natürlich und anderseits als Sünde betrachtet. Was macht sie sündig?

M: Was auch immer du wider besseres Wissen (gegen dein Gewissen der Weisheit) tust, das ist Sünde.

F: Wissen hängt von der Erinnerung ab.

M: Ja, sich an sein Selbst zu erinnern ist Tugend, und sein Selbst zu vergessen ist Sünde. Alles läuft auf die geistige oder psychische Verbindung zwischen Geist und Materie hinaus. Wir können diese Verbindung auch Psyche (Antahkarana) nennen. Wenn die Psyche noch roh, unterentwickelt und primitiv ist, ist sie starken Illusionen ausgesetzt. Mit zunehmender Weite und Empfindlichkeit wird sie zu einer vollkommenen Verbindung zwischen reiner Materie und reinem Geist und verleiht der Materie Bedeutung und dem Geist Ausdruck. Dazu gibt es die materielle Welt (Mahadakash - Größter Raum) und die spirituelle Welt (Paramakash - Höchster Raum). Dazwischen liegt der universale Geist (Chidakash - Bewußtseins-Raum), der auch das universale Herz (Premakash - Liebe-Raum) ist. Es ist also eine Liebe voller Weisheit, die diese beiden vereint.

F: Manche Menschen sind dumm und manche intelligent. Der Unterschied liegt in ihrer Psyche. Die reiferen Menschen hatten mehr Erfahrung. So wie ein Kind durch Essen und Trinken, Schlafen und Spielen heranwächst, so wird auch die Psyche des Menschen durch alles geformt, was er denkt, fühlt und tut, bis sie vollkommen genug ist, um als Brücke zwischen Geist und Körper zu dienen. Und wie eine Brücke den Verkehr zwischen zwei Ufern ermöglicht, so bringt auch die Psyche die Quelle und ihre Ausdrucksform zusammen.

M: Nenne es Liebe, denn diese Brücke ist Liebe.

F: Letztlich ist alles Erfahrung. Was auch immer wir denken, fühlen oder tun, ist Erfahrung, und dahinter steht der Erfahrende. Alles, was wir wissen, besteht also aus diesen beiden, dem Erfahrenden und der Erfahrung. Aber die beiden sind in Wahrheit eins, denn der Erfahrende allein ist die Erfahrung. Dennoch betrachtet der Erfahrende die Erfahrung als etwas Äußerliches. Ebenso sind Geist und Körper eins und erscheinen nur als zwei.

M: Für den Geist gibt es keinen zweiten.

F: Wem erscheint dann die Dualität? Mir scheint, daß diese Dualität eine Illusion ist, die durch die Unvollkommenheit der Psyche hervorgerufen wird. Wenn die Psyche vollkommen ist, dann ist keine Dualität mehr zu sehen.

M: Du sagst es!

F: Dennoch muß ich meine einfache Frage wiederholen: Wer unterscheidet zwischen Sünde und Tugend?

M: Wer einen Körper besitzt, sündigt (durch diesen Besitzanspruch) mit dem Körper, und wer einen Verstand besitzt, sündigt mit dem Verstand.

F: Sicherlich zwingt der bloße Besitz von Verstand und Körper noch nicht zur Sünde. Es muß einen dritten Faktor geben, der dem zugrunde liegt. Ich komme immer wieder auf die Frage nach Sünde und Tugend zurück, denn heutzutage sagen junge Leute immer öfters, daß es keine Sünde gibt, daß man nicht so kleinlich sein soll und dem Wunsch des Augenblicks bereitwillig folgen sollte. Sie akzeptieren weder Tradition noch Autorität und können nur durch überzeugende und ehrliche Gedanken beeinflußt werden. Wenn sie bestimmte Handlungen unterlassen, geschieht dies eher aus Angst vor der Polizei als aus Überzeugung. Zweifellos ist an dem, was du sagst, etwas dran, denn wir können sehen, wie sich unsere Werte von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit ändern. Zum Beispiel ist das Töten im Krieg heutzutage eine große Tugend und könnte im nächsten Jahrhundert als schreckliches Verbrechen angesehen werden.

M: Ein Mensch, der sich mit der Erde bewegt, wird zwangsläufig Tage und Nächte erleben. Wer in der Sonne bleibt, wird keine Dunkelheit kennen. Meine Welt gehört nicht dir. So wie ich es sehe, steht ihr alle auf einer Bühne und spielt eure Rollen. So gibt es keine Wahrheit in eurem Kommen und Gehen, und eure Probleme sind illusorisch.

F: Vielleicht sind wir wirklich Schlafwandler oder leiden unter Albträumen. Gibt es nichts, was du dagegen tun kannst?

M: Das tue ich: Ich bin in deinen Traumzustand eingetreten, um dir zu sagen: „Hör endlich auf, dich selbst und andere zu verletzen! Hör auf zu leiden und erwache!“

F: Warum wachen wir dann nicht auf?

M: Das wirst du, und keiner kann das verhindern. Es mag einige Zeit dauern, bis du beginnst, deinen Traum in Frage zu stellen, und dann wird das Erwachen nicht mehr weit sein.

22. Leben ist Liebe und Liebe ist Leben

Fragender: Ist die Ausübung von Yoga immer bewußt? Oder kann es auch völlig unbewußt unterhalb der Schwelle des Bewußtseins geschehen?

Maharaj: Im Falle eines Anfängers ist die Ausübung von Yoga vor allem bewußt und absichtsvoll und erfordert große Entschlossenheit. Aber diejenigen, die viele Jahre lang aufrichtig üben, sind beständig auf die Selbstverwirklichung gerichtet, ob sie sich dessen bewußt sind oder nicht. Unbewußtes Sadhana ist am effektivsten, weil es spontan und stetig ist.

F: Wo befindet sich der Mensch, der eine Zeitlang ein aufrichtiger Yoga-Schüler war, aber dann entmutigt wurde und alle Bemühungen aufgegeben hat?

M: Was ein Mensch zu tun oder zu lassen scheint, täuscht oft. Seine scheinbare Trägheit könnte auch nur ein Kräftesammeln sein. Die Gründe für unser Verhalten sind sehr subtil. Man sollte niemanden voreilig verurteilen oder auch loben. Denke daran, daß Yoga die Arbeit des inneren Selbst am äußeren Selbst ist. Alle Taten des äußeren sind lediglich eine Reaktion auf das innere.

F: Dennoch hilft das äußere.

M: Wieviel kann es helfen und auf welche Weise? Es hat eine gewisse Kontrolle über den Körper und kann dessen Haltung und Atmung verbessern, aber über die Gedanken und Gefühle des Verstandes hat es kaum Macht, denn es ist selbst der Verstand. Nur das innere Selbst kann das äußere beherrschen, und das äußere sollte klug genug sein, um zu gehorchen.

F: Wenn es das innere Selbst ist, das letztendlich für die spirituelle Entwicklung des Menschen verantwortlich ist, warum wird dann das äußere so sehr ermahnt und ermutigt?

M: Das äußere kann helfen, indem es ruhig und frei von Verlangen und Angst bleibt. Dir ist sicherlich aufgefallen, daß alle Ratschläge an das äußere die Form von Verneinungen haben, wie nichthandeln, aufhören, entsagen, verzichten, aufgeben, opfern, zurücktreten oder das Falsche als falsch erkennen. Sogar die kurze Beschreibung der Wahrheit, die oft gegeben wird, erfolgt nur durch Verneinung: „Nicht dies, nicht das (Neti Neti)“. Alles Bejahen gehört zum inneren Selbst, wie alles Absolute zur Wahrheit.

F: Wie können wir in der praktischen Erfahrung das innere Selbst vom äußeren unterscheiden?

M: Das innere ist die Quelle der Intuition, das äußere wird vom Gedächtnis bewegt. Die Quelle ist nicht auffindbar, während das Gedächtnis irgendwo beginnt. So ist das äußere immer bestimmbar, während das innere nicht in Worte zu fassen ist. Der Fehler der Studierenden besteht oft darin, daß sie sich das innere Selbst als etwas Greifbares vorstellen und dabei vergessen, daß alles Wahrnehmbare vergänglich und daher keine Wahrheit ist. Nur das, was die Wahrnehmung ermöglicht ist das Wahre, nenne es Leben oder Brahman oder was immer du möchtest.

F: Braucht das Leben einen Körper für seinen Selbstausdruck?

M: Der Körper will leben. Es ist also nicht das Leben, das den Körper braucht, sondern der Körper braucht das Leben.

F: Ist das die Absicht des Lebens?

M: Hat die Liebe eine Absicht? Ja und nein. Das Leben ist Liebe, und die Liebe ist Leben. Was hält den Körper zusammen, außer Liebe? Was ist Verlangen anderes als Eigenliebe? Was ist Angst anderes als der Liebedrang, sich zu beschützen? Und was ist das Wissen anderes als die Liebe zur Wahrheit? Die Mittel und Formen mögen falsch (und illusorisch) sein, aber das Motiv dahinter ist immer die Liebe, die Liebe zum Ich und zum Mein. Das Ich und das Mein können klein und begrenzt sein oder explodieren und das ganze Universum umarmen, aber die Liebe bleibt.

F: Die Wiederholung der Gottesnamen ist in Indien sehr verbreitet. Liegt darin eine Tugend?

M: Wenn du den Namen einer Sache oder einer Person kennst, kannst du diese leichter finden. Indem du Gott bei seinem Namen anrufst, läßt du ihn zu dir kommen.

F: In welcher Form kommt Er?

M: Entsprechend deinen Erwartungen. Falls du unglücklich bist, kann dir eine heilige Seele ein Glücksmantra geben, und wenn du es mit Glauben und Hingabe wiederholst, wird sich dein Unglück sicherlich abwenden. Ein starker Glaube ist stärker als das Schicksal. Das Schicksal ist das Ergebnis meist zufälliger Ursachen und daher nur lose verwoben. Zuversicht und gute Hoffnung werden es leicht überwinden.

F: Was genau passiert, wenn ein Mantra gesungen wird?

M: Der Klang des Mantras erschafft eine Form, die vom Selbst verkörpert wird. Denn das Selbst kann jede Form verkörpern und durch sie wirken. Letztendlich drückt sich das Selbst auch in Wirkungen aus, und ein Mantra ist vor allem wirkende Energie. Es wirkt auf dich, und es wirkt auf deine Umgebung.

F: Mantras sind mit Traditionen verbunden. Muß das so sein?

M: Seit jeher wurde ein Zusammenhang zwischen bestimmten Wörtern und entsprechenden Energien geschaffen und durch unzählige Wiederholungen verstärkt. So ist das Mantra wie eine Straße, auf der man gehen kann, ein einfacher Weg, der nur Vertrauen braucht. Und du vertraust darauf, daß dich diese Straße an dein Ziel bringt.

F: In Europa gab es keine Tradition der Mantras, außer in einigen kontemplativen Orden. Welchen Nutzen hat es dann für einen modernen westlichen Menschen?

M: Keinen, es sei denn, er fühlt sich davon sehr angezogen. Für ihn besteht der bessere Weg darin, an dem Gedanken festzuhalten, daß er selbst der Grund allen Wissens ist, nämlich das unveränderliche und beständige Gewahrsein für alles, was den Sinnen und dem Verstand begegnet. Wenn er sich beständig daran erinnert, bewußt und wachsam bleibt, wird er zwangsläufig die Grenzen des Nicht-Gewahrseins durchbrechen und in ein reines Leben voller Licht und Liebe eintauchen. Die Vorstellung „Ich bin nur der Zeuge“ wird den Körper und Verstand reinigen und das Auge der Weisheit öffnen. Dann verläßt der Mensch die Illusion, und sein Herz ist frei von allen Wünschen. So wie sich Eis in Wasser und Wasser in Dampf verwandelt und der Dampf sich in der Luft auflöst und im Raum verschwindet, so löst sich auch der Körper in reines Gewahrsein (Chidakash - Raum des Bewußtseins) und dann in reines Dasein (Paramakash - Raum des Höchsten) auf, das jenseits aller Existenz und Nichtexistenz ist.

F: Auch der selbstverwirklichte Mensch ißt, trinkt und schläft. Was bewegt ihn dazu?

M: Die gleiche Kraft, die das ganze Universum bewegt, bewegt auch ihn.

F: Wenn alle von der gleichen Kraft bewegt werden: Was ist dann der Unterschied?

M: Nur dieser: Der selbstverwirklichte Mensch weiß, was andere nur hören, aber nicht selbst erleben. Intellektuell scheinen sie überzeugt zu sein, aber in ihren Taten verraten sie ihre Knechtschaft, während der Selbstverwirklichte immer in der Wahrheit ist.

F: Jeder sagt „Ich bin“, und auch der selbstverwirklichte Mensch sagt „Ich bin“. Wo ist der Unterschied?

M: Der Unterschied liegt in der Bedeutung, die den Worten „Ich bin“ gegeben wird. Für den Selbstverwirklichten hat die Erfahrung „Ich bin die Welt, und die Welt ist mein“ höchste Gültigkeit. Er denkt, fühlt und handelt ganzheitlich und in Einheit mit allem, was lebt. Möglicherweise kennt er nicht einmal die Theorie und Praxis der Selbstverwirklichung und ist frei von religiösen und metaphysischen Vorstellungen geboren und aufgewachsen. Doch in seinem Erkennen und Mitfühlen wird es nicht die geringste Unstimmigkeit geben.

F: Es kann also sein, daß ich einem nackten und hungrigen Bettler begegne und ihn frage: „Wer bist du?“ Und er könnte antworten: „Ich bin das Höchste Selbst.“ „Gut“, sage ich, „wenn du das Höchste bist, dann ändere doch deinen gegenwärtigen Zustand!“ Was wird er tun?

M: Er wird fragen: „Welchen Zustand? Was gibt es, das verändert werden muß? Was ist falsch mit mir?“

F: Warum sollte er so antworten?

M: Weil er nicht mehr von Erscheinungen gebunden ist, identifiziert er sich auch nicht mehr mit Namen und Formen. Er benutzt das Gedächtnis, aber das Gedächtnis kann ihn nicht benutzen.

F: Basiert nicht alles Wissen auf dem Gedächtnis?

M: Ja, niederes Wissen. Höheres Wissen, Wissen um die Wahrheit, wohnt in der wahren Natur des Menschen.

F: Könnte ich dann sagen, daß ich weder das bin, dessen ich mir bewußt bin, noch das Bewußtsein selbst?

M: Solange du noch ein Suchender bist, halte besser an der Vorstellung fest, daß du reines Bewußtsein bist, frei von aller Gestaltung. Über das Bewußtsein hinauszugehen ist dann das Höchste.

F: Hat der Wunsch nach Selbstverwirklichung seinen Ursprung im Bewußtsein oder darüber hinaus?

M: Natürlich im Bewußtsein, denn alle Wünsche entstehen aus dem Gedächtnis und sind damit im Bereich des Bewußtseins. Das Jenseitige ist frei von allen Wünschen. Sogar der Wunsch, über das Bewußtsein hinauszugehen, ist immer noch im Bewußtsein.

F: Gibt es eine Spur oder einen Abdruck von diesem „Jenseitigen“ im Bewußtsein?

M: Nein, das kann es nicht geben.

F: Welche Brücke besteht dann zwischen den beiden? Wie läßt sich ein Übergang zwischen den zwei Zuständen finden, die nichts gemeinsam haben? Ist reines Gewahrsein nicht die Verbindung zwischen den beiden?

M: Auch reines Gewahrsein ist eine Form des Bewußtseins.

F: Was liegt dann jenseits? Leerheit?

M: Auch Leerheit bezieht sich wiederum nur auf das Bewußtsein. Fülle und Leere sind relative Begriffe. Die Wahrheit ist wirklich jenseits, und nicht nur jenseits in Bezug auf das Bewußtsein, sondern jenseits aller relativen Beziehungen, welcher Art auch immer. Die Schwierigkeit liegt im Wort „Zustand“. Das Wahre ist kein Zustand von etwas anderem, weder von einem Zustand des Geistes, des Bewußtseins oder der Psyche. Es ist auch nicht etwas, das einen Anfang und ein Ende oder ein Sein und Nichtsein hat. Alle Gegensätze sind darin enthalten, aber das Wahre liegt nicht im Spiel der Gegensätze. Betrachte es nicht als das Ende einer Verwandlung. Es ist noch da, auch wenn das Bewußtsein als solches nicht mehr da ist. Dann werden Worte wie „Ich bin Mensch“ oder „Ich bin Gott“ bedeutungslos. Nur in der Stille und Dunkelheit kann es gehört und gesehen werden.

23. Erkenntnis führt zur Entsagung

Maharaj: Ihr seid alle durchnäßt, denn es regnet sehr stark, während in meiner Welt immer schönes Wetter ist. Hier gibt es keine Nacht und keinen Tag, keine Hitze oder Kälte. Hier machen mir weder Sorgen noch Bedauern zu schaffen. Mein Geist ist frei von Gedanken, denn es gibt keine Wünsche, für die ich mich versklaven müßte.

Fragender: Gibt es dann zweierlei Welten?

M: Deine Welt ist vergänglich und veränderlich. Meine Welt ist vollkommen und unveränderlich. Du kannst mir von deiner Welt erzählen, was du willst: Ich werde aufmerksam zuhören, sogar mit Interesse, aber ich werde keinen Moment vergessen, daß deine Welt (in Wahrheit) nicht existiert und du nur träumst.

F: Wie unterscheidet sich deine Welt von meiner?

M: Meine Welt hat keine Merkmale, anhand derer sie identifiziert werden könnte. Sie läßt sich also nicht beschreiben. Ich bin meine Welt, und meine Welt bin ich selbst. Sie ist ganzheitlich und vollkommen. Jeder Eindruck wird gelöscht und jede Erfahrung zurückgewiesen. Ich brauche nichts, nicht einmal mich selbst, denn ich kann mich selbst niemals verlieren.

F: Nicht einmal einen Gott?

M: Alle diese Vorstellungen und Unterscheidungen existieren in deiner Welt. Bei mir gibt es nichts dergleichen. Meine Welt ist einheitlich und ganz einfach.

F: Passiert dort nichts?

M: Was auch immer in deiner Welt passiert, hat nur dort Gültigkeit und ruft nur dort Reaktionen hervor. In meiner Welt passiert nichts.

F: Allein die Tatsache, daß du deine Welt erlebst, impliziert eine Dualität, die allen Erfahrungen innewohnt.

M: Wörtlich gesprochen, ja. Aber deine Worte erreichen mich nicht. Meine Welt ist eine Welt ohne Worte. In deiner Welt existiert das Unausgesprochene nicht, und bei mir haben die Worte mit ihrem Inhalt kein Dasein. In deiner Welt bleibt nichts, und in meiner verändert sich nichts. Meine Welt ist Wahrheit, während deine Welt aus Träumen besteht.

F: Dennoch reden wir miteinander.

M: Dieses Gespräch findet nur in deiner Welt statt. In meiner herrscht ewige Stille. Meine Stille singt, meine Leere ist voll und mir fehlt nichts. Du kannst meine Welt nicht kennen, bis du sie erreicht hast.

F: Es scheint, als wärst du allein in deiner Welt.

M: Wie kann man „allein“ oder „nicht allein“ sagen, wenn Worte nicht zutreffen? Natürlich bin ich allein, denn ich bin alles.

F: Kommst du jemals in unsere Welt?

M: Was kommt und geht für mich? Auch das sind Worte. Ich bin! Woher sollte ich kommen, und wohin soll ich gehen?

F: Welchen Nutzen hat deine Welt für mich?

M: Du solltest deine eigene Welt genauer beobachten, sie kritisch hinterfragen, und eines Tages wirst du dich plötzlich in meiner wiederfinden.

F: Was gewinnen wir dadurch?

M: Du selber gewinnst nichts. Du läßt zurück, was nicht dein Eigentum ist, und findest, was du nie verloren hast, dein eigenes Dasein.

F: Wer ist der Herrscher deiner Welt?

M: Hier gibt es keinen Herrscher und keinen Beherrschten. Es gibt überhaupt keine Dualität. Du projizierst lediglich deine eigenen Vorstellungen. Deine Schriften und Götter haben hier keine Bedeutung.

F: Dennoch hast du einen Namen und eine Form, zeigst Bewußtsein und Aktivität.

M: Ja, in deiner Welt erscheine ich so. In meiner habe ich nur das Dasein und nichts anderes. Ihr Menschen seid reich an Vorstellungen von Besitz, Quantität und Qualität. Ich bin ganz ohne Vorstellungen reich.

F: In meiner Welt gibt es Unruhe, Kummer und Verzweiflung. Du scheinst von einem versteckten Einkommen (einer verborgenen Quelle) zu leben, während ich für meinen Lebensunterhalt schuften muß.

M: Mach es, wie du willst! Du bist frei, deine Welt für meine zu verlassen.

F: Wie erfolgt der Übergang?

M: Erkenne deine Welt so, wie sie ist, und nicht so, wie du sie dir vorstellst. Diese Erkenntnis führt zur Entsagung, und Entsagung wird das richtige Handeln sicherstellen. Das richtige Handeln wird die innere Brücke zu deinem wahren Dasein bauen. So ist das Handeln ein Beweis für die Ernsthaftigkeit. Vollbringe achtsam und gewissenhaft, was dir gewiesen wird, und alle Hindernisse werden sich auflösen.

F: Bist du glücklich?

M: In deiner Welt wäre ich wohl am unglücklichsten. Aufwachen, essen, reden und wieder einschlafen - was für eine Mühsal!

F: Du willst also nicht einmal leben?

M: Leben und Sterben, was sind das für bedeutungslose Worte! Wenn du mich lebend siehst, bin ich tot. Wenn du denkst, ich sei tot, bin ich am Leben. Wie verwirrt du doch bist!

F: Und wie gleichgültig bist du! Alle Sorgen unserer Welt bedeuten dir nichts.

M: Ich bin mir deiner Sorgen durchaus bewußt.

F: Und was machst du dann dagegen?

M: Es gibt nichts, was ich tun muß, denn sie kommen und gehen.

F: Vergehen sie allein, weil du sie beobachtest?

M: Ja. Die Sorge kann körperlicher, emotionaler oder geistiger Natur sein, aber ist doch immer individuell. Große und umfangreiche Sorgen sind die Summe zahlloser Einzelschicksale und brauchen Zeit, um sich zu lösen. Doch der Tod ist niemals eine Sorge.

F: Auch wenn ein Mensch ermordet wird?

M: Darum muß sich der Mörder sorgen.

F: Dennoch scheint es zwei Welten zu geben, meine und deine.

M: Meine ist in der Wahrheit, und deine im Verstand.

F: Stell dir einen Felsen mit einem Loch vor, und in dem Loch einen Frosch. Der Frosch mag sein Leben in vollkommener Glückseligkeit verbringen, ungestört und ohne Ablenkung. Doch außerhalb des Felsens geht die Welt weiter. Würde man dem Frosch im Loch etwas über die Außenwelt erzählen, dann würde er sagen: „So etwas gibt es nicht. Meine Welt ist voller Frieden und Glückseligkeit. Und deine Welt ist nur ein Konstrukt von Begriffen, das keine wahre Existenz hat.“ Bei dir ist es ähnlich. Wenn du uns sagst, daß unsere Welt einfach nicht existiert, gibt es keine gemeinsame Basis für eine Diskussion. Oder nimm ein anderes Beispiel: Ich gehe zum Arzt und klage über Bauchschmerzen. Er untersucht mich und sagt: „Du bist in Ordnung.“ Ich sage: „Aber es tut weh!“ Und er behauptet: „Dein Schmerz ist nur geistiger Natur.“ Und ich antworte: „Es hilft mir doch nicht zu wissen, daß mein Schmerz geistiger Natur ist. Du bist ein Arzt, um mich von meinen Schmerzen zu heilen. Wenn du mich nicht heilen kannst, bist du kein Arzt für mich.“

M: Ganz richtig!

F: Du hast eine Eisenbahnlinie gebaut, aber mangels einer Brücke kann kein Zug passieren. Baue diese Brücke!

M: Es ist keine Brücke nötig.

F: Aber es muß doch eine Verbindung zwischen deiner und meiner Welt geben.

M: Es besteht keine Notwendigkeit einer Verbindung zwischen einer wahren Welt und einer imaginären Welt, denn es kann keine geben.

F: Was sollen wir also tun?

M: Untersuche deine Welt, wende deinen Verstand darauf an, überprüfe sie kritisch und hinterfrage jede Vorstellung darüber. Das ist zu tun.

F: Die Welt ist viel zu groß für eine Überprüfung. Ich weiß nur, daß ich da bin und die Welt da ist, daß ich unter der Welt leide und die Welt unter mir.

M: Meine Erfahrung ist, daß alles Glückseligkeit ist. Aber der Wunsch nach Glück erzeugt Leiden, und so wird das Glück zum Samen des Leidens. Das gesamte Universum des Leidens entsteht aus Wünschen. Gib den Wunsch nach Freude auf und du wirst nicht einmal mehr wissen, was Leiden ist.

F: Warum sollte Freude der Samen des Leidens sein?

M: Weil du für die Freude viele Sünden begehst. Und die Früchte der Sünde sind Leiden und Tod.

F: Du sagst, diese Welt sei für uns nutzlos, nur eine Quelle des Leidens. Ich empfinde, daß es nicht so sein kann. Gott ist nicht so ein Narr. Die Welt scheint mir ein großes Unterfangen zu sein, um die Möglichkeit in die Wirklichkeit, die Materie ins Leben und das Unbewußte zum vollen Bewußtsein zu bringen. Um das Höchste zu verwirklichen, brauchen wir diese Erfahrung der Gegensätze. So wie wir zum Bau eines Tempels Steine, Mörtel, Holz, Eisen, Glas und Ziegel benötigen, so braucht man das Material jeder Erfahrung, um einen Menschen zu einem göttlichen Weisen zu machen, einem Meister über Leben und Tod. So wie eine Hausfrau zum Markt geht, Lebensmittel aller Art kauft, nach Hause kommt, kocht, backt und ihren Ehemann speist, so garen wir uns im Feuer des Lebens und speisen unseren Gott.

M: Nun, wenn du das denkst, dann handle danach. Speise deinen Gott mit allen Mitteln!

F: Ein Kind geht zur Schule und lernt auch viele Dinge, die ihm später nichts nützen. Aber im Prozeß des Lernens wächst es. So erleben wir unzählige Erfahrungen, die wir wieder vergessen, und doch wachsen wir damit ständig. Und was ist ein Jnani (Weiser) anderes als ein Mensch mit einem Genie für die Wirklichkeit! Diese meine Welt kann kein Zufall sein. Sie macht Sinn und es muß ein Plan dahinterstecken, und das ist der Plan meines Gottes.

M: Wenn die Welt illusorisch ist, dann sind auch Plan und Schöpfer illusorisch.

F: Wieder leugnest du die Welt. Es gibt wohl keine Brücke zwischen uns.

M: Hier ist keine Brücke nötig. Dein Fehler liegt in deinem Glauben, daß du geboren bist. Du wurdest nie geboren und wirst auch nie sterben, aber du glaubst, daß du an einem bestimmten Datum und an einem bestimmten Ort geboren wurdest und daß du einen bestimmten Körper hast.

F: Die Welt ist da und ich bin da. Das sind doch Fakten.

M: Warum sorgst du dich um die Welt, bevor du dich um dich selbst gesorgt hast? Du willst die Welt retten, nicht wahr? Kannst du die Welt retten, bevor du dich selbst gerettet hast? Und was bedeutet gerettet zu werden? Woraus gerettet? Aus der Illusion. Denn die Erlösung besteht darin, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Ich sehe mich wirklich mit niemandem oder irgendetwas verbunden. Nicht einmal mit einem Selbst, was auch immer dieses Selbst sein mag. Ich bleibe für immer, und zwar undefiniert. Ich bin intim (für mich selbst) und unnahbar, und zwar innerlich und jenseits davon.

F: Wie bist du dazu gekommen?

M: Durch mein Vertrauen in meinen Guru. Er sagte mir: „Du allein bist da!“ Und ich zweifelte nicht an ihm. Ich habe nur darüber gerätselt, bis mir klar wurde, daß es vollkommen wahr ist.

F: Überzeugung durch Wiederholung (und Gewohnheit)?

M: Durch Selbstverwirklichung. Ich fand heraus, daß ich vollkommen bewußt und glücklich bin, und nur aus Versehen dachte, daß ich die Glückseligkeit des Bewußt-Seins (Satchitananda) dem Körper und der körperlichen Welt verdanke.

F: Du bist kein gelehrter Mann, hast nicht viel gelesen, und was du gelesen oder gehört hast, widersprach sich vielleicht nicht. Ich bin ziemlich gebildet und habe viel gelesen und festgestellt, daß sich Bücher und Lehrer gegenseitig hoffnungslos widersprechen. Daher betrachte ich alles mit Zweifel, was ich lese oder höre. „Es kann so sein, oder auch nicht“ ist stets meine erste Reaktion. Und weil mein Verstand nicht in der Lage ist, zu entscheiden, was wahr ist und was nicht, bleibe ich mit meinen Zweifeln in der Luft hängen. Doch im Yoga ist ein zweifelnder Geist ein großer Nachteil.

M: Das freut mich, zu hören. Auch mein Guru lehrte mich zu zweifeln, an allem und absolut. Er sagte: „Verweigere allem die Existenz außer dir selbst!“ Durch Wünsche hast du diese Welt mit ihren Freuden und Leiden erschaffen.

F: Muß es auch Leiden sein?

M: Was sonst? Von Natur aus ist jede (weltliche) Freude begrenzt und vergänglich. Aus dem Leiden entsteht das Verlangen, das im Leiden nach Erfüllung sucht, aber im Leiden der Frustration und Verzweiflung endet. Das Leiden ist also der Hintergrund der Freude, und jedes Streben nach Freude entsteht im Leiden und endet im Leiden.

F: Alles, was du sagst, ist mir klar. Aber wenn körperliche oder geistige Probleme auftreten, wird mein Verstand träge und trüb. Ich suche verzweifelt nach Erleichterung.

M: Was macht das schon? Es ist nur der Verstand, der träge oder unruhig ist, nicht du selbst. Schau doch, in diesem Raum passieren alle möglichen Dinge. Bin ich die Ursache, daß sie passieren? Sie passieren einfach. So ist es auch bei dir. Der Lauf des Schicksals entfaltet sich und verwirklicht das Unvermeidliche. Du kannst den Lauf der Dinge nicht ändern, aber deine Einstellung dazu. Und was wirklich zählt, ist deine Einstellung und nicht das bloße Ereignis. Die Welt ist der Wohnort von Wünschen und Ängsten, und darin kann man keinen Frieden finden. Für den Frieden mußt du über die Welt hinausgehen. Der Urgrund dieser Welt ist die Selbstliebe. Aus diesem Grund suchen wir Freude und vermeiden Leiden. Ersetze die Selbstliebe durch die Liebe zum Selbst und das Bild kehrt sich um. Brahma, der Schöpfer, ist die Summe aller Wünsche, und die Welt ist das Werkzeug für ihre Verwirklichung. Die Seelen ergreifen jede gewünschte Freude und bezahlen dafür mit Tränen. So begleicht die Zeit (im Lauf der Veränderung) alle Rechnungen, denn hier gilt das höchste Gesetz des Gleichgewichts.

F: Um ein höchster (vollkommener) Mensch zu sein, muß man doch zuerst ein Mensch sein. Menschlichkeit ist die Frucht unzähliger Erfahrungen, und die Wünsche treiben zur Erfahrung. Daher ist das Wünschen zu seiner Zeit und auf seiner Ebene richtig.

M: Ja, das alles ist in gewisser Weise richtig. Aber es kommt der Tag, an dem du genug angehäuft hast und mit der Verwertung beginnen mußt. Dann ist das Aussortieren und Verwerfen (Viveka-Vairagya) unbedingt notwendig. Alles muß auf den Prüfstand gestellt und das Unnötige rücksichtslos vernichtet werden. Glaube mir, es kann nicht zu viel Vernichtung geben. Denn in Wahrheit ist nichts von Wert. Sei leidenschaftlich ohne Leidenschaft - das ist alles.

24. Allhandelnder Gott und nichthandelnder Jnani

Fragender: Einige Mahatmas (erleuchtete Seelen) behaupten, daß die Welt weder ein Zufall noch ein Spiel Gottes ist, sondern das Ergebnis und der Ausdruck eines mächtigen Arbeitsplans mit dem Ziel, das Bewußtsein im gesamten Universum zu erwecken und zu entwickeln. Vom Unbelebten zum Leben, vom Unbewußten zum Bewußtsein, von der dunklen Dummheit zur hellen Intelligenz, von der Unwissenheit zur Weisheit, und das ist die Richtung, in die sich die Welt unaufhörlich und zwangsläufig bewegt. Natürlich gibt es Momente der Ruhe und scheinbaren Dunkelheit, in denen das Universum zu ruhen scheint, aber jede Ruhe endet, und die Arbeit am Bewußtsein geht weiter. Aus unserer Sicht ist die Welt ein Tal der Tränen, ein Ort, aus dem man so schnell wie möglich und mit allen Mitteln fliehen sollte. Für erleuchtete Wesen ist die Welt gut und dient einem guten Zweck. Sie leugnen nicht, daß die Welt ein geistiges Gebilde ist und daß letztendlich alles Eins ist, aber sie sehen und sagen, daß das Gebilde eine Bedeutung hat und einem äußerst wünschenswerten Zweck dient. Was wir den Willen Gottes nennen, ist keine zufällige Laune einer verspielten Gottheit, sondern der Ausdruck einer absoluten Notwendigkeit, um in Liebe, Weisheit und Macht zu wachsen und die unendlichen Möglichkeiten des Lebens und des Bewußtseins zu verwirklichen. Wie ein Gärtner Blumen aus einem winzigen Samenkorn zu herrlicher Vollkommenheit wachsen läßt, so läßt Gott in seinem Garten neben anderen Wesen die Menschen zu Übermenschen wachsen, die ihn erkennen, lieben und mit ihm zusammenarbeiten. Wenn Gott ruht (Pralaya), werden diejenigen, deren Wachstum noch nicht abgeschlossen ist, für eine Zeit bewußtlos, während die Vollkommenen, die alle Formen und Inhalte des Bewußtseins überschritten haben, sich der universalen Stille bewußt bleiben. Und wenn dann die Zeit für die Entstehung eines neuen Universums gekommen ist, wachen die Schläfer auf und ihre Arbeit beginnt. Die Fortgeschritteneren wachen zuerst auf und bereiten den Boden für die weniger Fortgeschrittenen, die damit geeignete Formen und Verhaltensmuster für ihr weiteres Wachstum finden. So läuft die (klassische) Geschichte ab. Der Unterschied zu deiner Lehre besteht darin, daß du darauf bestehst, daß die Welt nicht gut ist und gemieden werden sollte. Doch jene sagen, daß die Abneigung gegenüber der Welt ein notwendiges, aber vorübergehendes Stadium sei und bald durch eine allesdurchdringende Liebe und einen stetigen Willen, mit Gott zusammenzuarbeiten, ersetzt werde.

Maharaj: Alles Gesagte ist richtig für den Weg nach außen (Pravritti). Für den Weg der Rückkehr (Nivritti) ist es notwendig, sich selbst zu vernichten. So stehe ich dort, wo nichts ist (Paramakash - im Raum des Höchsten), wo weder Worte noch Gedanken hingelangen. Für den Verstand ist dort überall Dunkelheit und Stille. Dann beginnt sich das Bewußtsein zu regen und weckt den Verstand (Chidakash - Raum des Bewußtseins), der die Welt (Mahadakash - Raum des Großen) projiziert, die aus Erinnerung und Vorstellungskraft besteht. Sobald diese Welt entsteht, kann alles, was du sagst, so sein. Es liegt in der Natur des Verstandes, sich Ziele vorzustellen, sie anzustreben, nach Mitteln und Wegen zu suchen, Bilder zu schaffen und Energie und Mut zu zeigen. Das sind göttliche Eigenschaften, und ich leugne sie nicht. Aber ich vertrete meinen Standpunkt dort, wo es keinen Unterschied gibt, wo es keine Dinge gibt und auch keinen Verstand, um sie erschaffen. Dort bin ich zu Hause. Was auch immer passiert, berührt mich nicht, denn Dinge wirken auf Dinge, und das ist alles. Frei von Erinnerungen und Erwartungen bin ich frisch, unschuldig und ganzheitlich im Herzen. Der Verstand ist der große Handelnde (Mahakarta) und braucht Ruhepausen. Weil ich nichts brauche, habe ich keine Angst. Vor wem sollte ich auch Angst haben? Es gibt keine Trennung, denn wir sind keine getrennten Selbste. Es gibt nur ein Selbst, die Höchste Wahrheit, in der das Persönliche und das Unpersönliche eins sind.

F: Ich möchte aber der Welt helfen können.

M: Wer sagt, daß du nicht helfen kannst? Doch du machst dir deine eigenen Vorstellungen, was Hilfe bedeutet und wer sie braucht. Dadurch bringst du dich in einen Konflikt zwischen dem, was du tun sollst und was du tun kannst, zwischen der Notwendigkeit und der Fähigkeit.

F: Aber warum tun wir das?

M: Dein Verstand projiziert ein Gebilde, und du identifizierst dich damit. Es liegt in der Natur der Wünsche, den Verstand dazu zu bewegen, eine Welt zu deren Erfüllung zu erschaffen. Schon ein kleiner Wunsch kann eine lange Handlungskette auslösen, wieviel mehr ein starkes Begehren? Das Begehren kann ein ganzes Universum erschaffen, und seine Kräfte sind wunderlich. So wie ein kleines Streichholz einen riesigen Wald in Brand setzen kann, so kann auch ein Wunsch das Feuer der Verkörperung entzünden. Der eigentliche Zweck der Schöpfung ist damit ein Erfüllen von Wünschen. Der Wunsch mag edel oder unedel sein, aber der Raum (Akash) ist neutral, und man kann ihn mit dem füllen, was einem gefällt. Deshalb sollte man sehr vorsichtig sein, was man sich wünscht. Und was die Menschen betrifft, denen du helfen möchtest, so leben sie doch wegen ihrer Wünsche und Begierden in ihrer jeweiligen Welt. Es gibt daher keine andere Möglichkeit, ihnen zu helfen, außer durch ihre Wünsche. Du kannst sie nur belehren, die richtigen Wünsche zu pflegen, damit sie sich darüber erheben und frei von diesem Drang werden, immer wieder Welten voller Wünsche als Wohnorte des Leidens und der Freude zu erschaffen.

F: Es muß doch ein Tag kommen, an dem die Show zu Ende ist, denn jeder Mensch muß sterben und sogar ein Universum geht zu Ende.

M: Wie ein Mensch im Schlaf alles vergißt und an einem anderen Tag aufwacht, oder stirbt und in ein anderes Leben eingeht, so kommen und gehen auch die Welten der Wünsche und Ängste. Nur der universale Zeuge, das Höchste Selbst, schläft nie und stirbt nie. Das Große Herz schlägt ewig, und mit jedem Schlag entsteht ein neues Universum.

F: Ist das Höchste Selbst bewußt?

M: Es ist jenseits von allem, was der Verstand sich vorstellen kann. Es ist jenseits von Sein und Nichtsein. Es ist das Ja und Nein zu allem, äußerlich und innerlich, erschaffend und auflösend, eine unvorstellbare Wahrheit.

F: Sind Gott und das Höchste Selbst (Mahatma) eins oder zwei?

M: Sie sind eins.

F: Aber es muß doch einen Unterschied geben.

M: Gott ist der All-Handelnde, und der Weise (Jnani) ist ein Nicht-Handelnder. Doch Gott selbst sagt nicht: „Ich mache alles.“ Für ihn geschehen die Dinge von Natur aus, und für den Weisen wird alles von Gott erledigt. Er sieht keinen Unterschied zwischen Gott und der Natur. Sowohl Gott als auch der Weise wissen, daß sie das unbewegliche Zentrum des Beweglichen sind, der ewige Zeuge des Vergänglichen. Das Zentrum ist ein (dimensionsloser) Punkt der Leere, und der Zeuge ist ein Punkt reinen Bewußtseins. Sie wissen, daß sie nichts sind, und daher kann ihnen nichts widerstehen.

F: Wie sieht und fühlt sich das nach deiner persönlichen Erfahrung an?

M: Weil ich Nichts bin, bin ich Alles. Alles bin ich, und alles ist mein. So wie sich mein Körper durch bloßes Denken an die Bewegung bewegt, so geschehen auch die Dinge, wenn ich an sie denke. Wohlgemerkt, ich tue nichts, sondern sehe einfach, wie sie geschehen.

F: Geschehen die Dinge so, wie du es möchtest, oder möchtest du, daß sie so geschehen, wie sie geschehen?

M: Beides. Ich akzeptiere und werde akzeptiert. Ich bin Alles, und alles bin ich. Weil ich die Welt bin, habe ich keine Angst vor der Welt. Wovor müßte ich Angst haben, wenn ich alles bin? Wasser hat keine Angst vor Wasser, und Feuer nicht vor Feuer. So habe ich auch keine Angst, weil ich nichts bin, was Angst empfinden oder in Gefahr sein kann, denn ich habe weder Gestalt noch Namen. Es ist die Bindung an einen Namen und eine Form, die Angst erzeugt. Ich bin ungebunden. Ich bin nichts, und das Nichts hat vor nichts Angst. Im Gegenteil, alle Dinge haben Angst vor dem Nichts, denn wenn ein Ding das Nichts berührt, wird es zu Nichts. Es ist wie ein bodenloser Brunnen, und alles, was hineinfällt, verschwindet.

F: Ist Gott nicht auch eine Person?

M: Solange du denkst, daß du eine Person bist, ist auch Er eine Person. Doch wenn du alles bist, dann siehst du auch Ihn als Alles.

F: Kann ich die Fakten ändern, indem ich nur meine Einstellung ändere?

M: Deine Einstellung ist der Fakt. Nimm zum Beispiel die Wut: Ich könnte wütend werden, wenn ich im Zimmer auf und ab gehe. Doch sogleich weiß ich, was ich bin, ein Zentrum der Weisheit und Liebe, ein Atom reiner Existenz. Dann läßt alles nach und der Verstand verschmilzt in der Stille.

F: Trotzdem bist du manchmal wütend.

M: Auf wen sollte ich wütend sein und wofür? Die Wut kam und löste sich auf, als ich mich an mein Selbst erinnerte. Es ist alles ein Spiel der Gunas (Qualitäten der kosmischen Natur). Wenn ich mich mit ihnen identifiziere, dann werde ich ihr Sklave. Doch wenn ich ungebunden bin, dann bin ich ihr Meister.

F: Wie kannst du die Welt durch deine Einstellung beeinflussen? Indem du dich von der Welt trennst, verlierst du doch jede Hoffnung, ihr zu helfen.

M: Wie kann das sein, wenn ich selbst alles bin? Warum sollte ich mir nicht helfen können? Ich identifiziere mich nicht mit irgendetwas Bestimmten, denn ich bin alles, sowohl das Besondere als auch das Universelle.

F: Kannst du dann mir als einer bestimmten Person helfen?

M: Ich helfe dir immer, aber von innen heraus, denn mein Selbst und dein Selbst sind eins. Ich weiß es, aber du weißt es nicht. Das ist der Unterschied, und der kann nicht von Dauer sein.

F: Und wie hilfst du der ganzen Welt?

M: Mahatma Gandhi ist tot, doch sein Geist durchdringt die Welt. Die Erinnerung an einen Weisen (Jnani) durchdringt die Menschheit und wirkt unablässig zum Guten. Weil es anonym ist und von innen kommt, ist es um so kraftvoller und überzeugender. So verbessert sich die Welt, denn das Innere stützt und segnet das Äußere. Wenn ein Weiser stirbt, existiert er nicht mehr, im gleichen Sinne wie ein Fluß nicht mehr existiert, wenn er ins Meer mündet. Name und Gestalt existieren nicht mehr, aber das Wasser bleibt und wird eins mit dem Meer. Wenn sich ein Weiser dem universalen Geist vereint, werden all seine Güte und Weisheit zum Erbe der Menschheit und erheben jeden Menschen.

F: Wir hängen an unserer Persönlichkeit und schätzen unsere Individualität und unser Anderssein als andere sehr. Du scheinst beides als nutzlos zu verwerfen. Welchen Nutzen hat denn dein Ungestaltetes für uns?

M: Ungestaltet, gestaltet, Individualität und Persönlichkeit (Nirguna, Saguna, Vyakta und Vyakti) sind alles bloße Worte, Standpunkte und geistige Einstellungen. In ihnen steckt keine Wahrheit. Das Wahre wird in der Stille erlebt. Du bindest dich an die Persönlichkeit, aber bist dir dieser Bindung nur dann bewußt, wenn du in Schwierigkeiten kommst. Und wenn du keine Probleme hast, denkst du nicht daran.

F: Damit hast du mir noch nicht den Nutzen des Ungestalteten erklärt.

M: Notwendigerweise muß man schlafen, um aufzuwachen. So mußt du auch sterben, um zu leben, und mußt dich einschmelzen, um dich neu zu gestalten. Du mußt zerstören, um aufzubauen, und vernichten, um etwas zu erschaffen. Das Höchste ist das universelle Lösungsmittel, das jeden Behälter (bzw. „Behalter“) auflöst und jedes Hindernis verbrennt. Ohne die völlige Auflösung von allem gäbe es eine völlige Tyrannei der Dinge. So ist das Höchste die große Harmonisierung, die Garantie für das ultimative und vollkommene Gleichgewicht, für ein Leben in Freiheit. Es löst dich selbst auf und bestätigt damit dein wahres Dasein.

F: Auf dieser Ebene scheint alles in Ordnung zu sein. Doch wie funktioniert das im täglichen Leben?

M: Das tägliche Leben ist ein Leben voller Taten. Ob es dir gefällt oder nicht, du mußt funktionieren (und handeln). Doch was immer du für dich selber tust, das häuft sich an und wird explosiv (wie Sprengstoff). Eines Tages bricht es hervor und verwüstet dich und deine Welt. Und wenn du dir einbildest, daß du für das Wohl aller arbeitest, wird die Sache noch schlimmer, denn du solltest dich nicht von deinen eigenwilligen Vorstellungen leiten lassen, was für andere gut ist. Wer behauptet zu wissen, was für andere gut ist, wird gefährlich.

F: Wie soll man dann arbeiten?

M: Weder für sich selber noch für andere, sondern um der Arbeit willen. Eine Sache, die es wert ist, getan zu werden, beinhaltet ihren eigenen Zweck und ihre eigene Bedeutung. Mache nichts zu einem Mittel für etwas anderes. Verbinde nichts! Gott erschafft nicht etwas, um etwas anderem zu dienen. Jedes ist um seiner selbst willen geschaffen. Und weil es für sich selbst geschaffen ist, stört es nicht. Aber du benutzt Dinge und Menschen für fremde (eigenwillige) Zwecke und verwüstest damit die Welt und dich selbst.

F: Du sagst, unser wahres Dasein ist die ganze Zeit bei uns. Wie kommt es, daß wir es nicht bemerken?

M: Ja, du bist immer das Höchste. Aber deine Aufmerksamkeit ist auf körperliche oder geistige Dinge gerichtet. Wenn deine Aufmerksamkeit von einer Sache zurückgezogen und noch nicht auf eine andere gerichtet ist, bist du in dieser Zeit reines Dasein. Wenn man durch die Übung von Erkenntnis und Entsagung (Viveka-Vairagya) die Sinnes- und Geisteszustände aus den Augen verliert, entsteht reines Dasein als natürlichster Zustand.

F: Wie kann man dieser Empfindung der Trennung ein Ende setzen?

M: Durch die Fokussierung des Geistes auf „Ich bin“, auf die Empfindung des Daseins, löst sich „Ich bin dies oder das“ auf. „Ich bin nur ein Zeuge“ bleibt bestehen, und auch das geht in „Ich bin alles“ unter. Dann wird Alles zum Einen, und das Eine wirst du selbst, nicht getrennt von mir. Gib die Vorstellung eines getrennten „Ich“ auf, und die Frage „Wessen Erfahrung ist es?“ wird nicht mehr entstehen.

F: Du sprichst aus eigener Erfahrung. Wie kann ich diese zu meiner machen?

M: Und du sprichst davon, daß sich meine Erfahrung von deiner Erfahrung unterscheidet, weil du glaubst, daß wir getrennt sind. Aber das sind wir nicht. Auf einer tieferen Ebene ist meine Erfahrung deine Erfahrung. Tauche tief in dich selbst ein und du wirst es leicht und einfach finden. Geh in die Richtung von „Ich bin“!

25. Halte an „Ich bin“ fest

Fragender: Bist du jemals fröhlich oder traurig? Kennst du Freude und Leid?

Maharaj: Nenne es, wie du willst. Für mich sind es nur Zustände des Verstandes, doch ich bin nicht der Verstand.

F: Ist auch die Liebe ein Zustand des Verstandes?

M: Hier kommt es darauf an, was du unter Liebe verstehst. Die Begierde ist natürlich ein Zustand des Verstandes, aber die Verwirklichung der Einheit geht über den Verstand hinaus. Für mich existiert nichts für sich getrennt. Alles ist das Selbst, und alles bin ich selbst. Mich selbst in jedem und jeden in mir selbst zu sehen, ist zweifellos Liebe.

F: Wenn ich etwas Angenehmes sehe, möchte ich es haben. Wer genau will es haben? Das Selbst oder der Verstand?

M: Die Frage ist falsch gestellt, denn es gibt keinen „Wer“. Es gibt Begierde, Haß, Angst und den Verstand, der sagt: „Dies bin ich, und dies ist mein.“ Es gibt aber (in Wahrheit) nichts, was man „ich“ oder „mein“ nennen könnte. Begierde ist ein Zustand des Verstandes, der vom Verstand wahrgenommen und benannt wird. Wo bliebe die Begierde, ohne daß der Verstand wahrnimmt und benennt?

F: Gibt es denn eine Wahrnehmung, ohne etwas zu benennen?

M: Natürlich! Das Benennen kann nur innerhalb des Verstandes geschehen, während die Wahrnehmung das Bewußtsein selbst ist.

F: Was passiert dann, wenn jemand stirbt?

M: Es passiert nichts, denn aus etwas wird nichts. Nichts war, und nichts bleibt.

F: Sicherlich gibt es einen Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten. Doch du sprichst von den Lebenden wie von Toten und von den Toten wie von Lebenden.

M: Warum sorgst du dich so sehr, wenn ein (nahestehender) Mensch stirbt, und warum so wenig um die Millionen, die jeden Tag sterben? Ganze Welten implodieren und explodieren jeden Moment: Soll ich darüber weinen? Eines ist mir völlig klar: Alles, was existiert, lebt und sich bewegt, hat sein Dasein im Bewußtsein und ich bin in und jenseits dieses Bewußtseins. Ich bin darin als Zeuge und jenseits davon als Dasein.

F: Doch sicherlich bist du besorgt, wenn dein Kind krank wird, oder nicht?

M: Ich werde nicht nervös und erledige einfach, was erforderlich ist. Denn ich mache mir keine Sorgen um die Zukunft. Es liegt in meiner Natur, auf jede Situation die richtige Antwort zu geben. Ich denke nicht darüber nach, was ich tun soll, sondern handle und gehe weiter. Die Ergebnisse beeinflussen mich nicht, denn für mich gibt es darin weder gute noch schlechte. Was auch immer sie sind, sie sind da. Und wenn sie zu mir zurückkommen, dann beschäftige ich mich erneut mit ihnen. Oder besser gesagt, es geschieht einfach, daß ich mich noch einmal mit ihnen beschäftige. Da ist keinerlei (persönliche) Empfindung von Sinn und Zweck in meinen Taten. Sie geschehen, wie sie geschehen, und nicht, weil ich sie geschehen lasse, sondern sie geschehen, weil „Ich bin“. In Wahrheit geschieht gar nichts. Wenn der Verstand ruhelos ist, dann läßt er Shiva tanzen, so wie die ruhelosen Wasserwellen eines Sees den Mond tanzen lassen. Es sind alles Erscheinungen aufgrund falscher (illusorischer) Vorstellungen.

F: Aber du bist dir doch sicherlich vieler Dinge bewußt und verhältst dich entsprechend ihrer Natur. Du behandelst ein Kind wie ein Kind und einen Erwachsenen wie einen Erwachsenen.

M: Wie der Geschmack von Salz den großen Ozean durchdringt und jeder einzelne Tropfen Meerwasser diesen Geschmack in sich trägt, so gibt mir jede Erfahrung den Geschmack der Wahrheit, eine immer neue Erkenntnis meines eigenen Daseins.

F: Existiere ich in deiner Welt, so wie du in meiner existierst?

M: Natürlich, du bist und ich bin, aber nur als Punkte im Bewußtsein. Wir sind nichts außer Bewußtsein, und das muß man gut begreifen: Die Welt hängt am Faden des Bewußtseins. Kein Bewußtsein, keine Welt!

F: Es gibt also viele Punkte im Bewußtsein. Gibt es auch so viele Welten?

M: Nimm zum Beispiel einen Traum: In einem Krankenhaus kann es viele Patienten geben, die alle schlafen und träumen, und jeder träumt seinen eigenen privaten und persönlichen Traum, die gegenseitig ohne Bezug und Einfluß geträumt werden, aber einen gemeinsamen Faktor haben, nämlich Krankheit. Ebenso haben wir uns in unserer Vorstellung von der wahren Welt der gemeinsamen Erfahrung getrennt und uns in einer Wolke aus persönlichen Wünschen und Ängsten, Bildern und Gedanken, Vorstellungen und Konzepten eingeschlossen.

F: Das kann ich verstehen. Doch was könnte die Ursache für diese unvorstellbare Vielfalt der persönlichen Welten sein?

M: Diese Vielfalt ist gar nicht so groß, denn alle Träume überlagern sich einer gemeinsamen Welt. Diesbezüglich prägen und beeinflussen sie sich in gewissem Maß auch gegenseitig, denn die grundsätzliche Einheit funktioniert trotz allem. Die Ursache davon (von dieser Vielfalt der Träume) liegt in der Selbst-Vergessenheit, wenn ich nicht mehr weiß, wer ich bin.

F: Um etwas zu vergessen, mußte man es zuvor gewußt haben. Wußte ich, wer ich bin, bevor ich es vergaß?

M: Natürlich! Das Selbst-Vergessen gehört zur Selbst-Erkenntnis. Bewußtsein und Nichtbewußtsein sind zwei Aspekte ein und desselben Lebens und bestehen nebeneinander. Um die Welt zu erkennen, vergißt man das Selbst, und um das Selbst zu erkennen, vergißt man die Welt. Was ist die Welt anders als eine Sammlung von Erinnerungen? Halte nur an einer Sache fest, die wichtig ist: Halte an „Ich bin“ fest, und laß alles andere los! Das ist Sadhana. In dieser Verwirklichung gibt es nichts mehr, woran man sich erinnern, und nichts mehr, das man vergessen könnte. Alles ist erkannt, und nichts wird erinnert.

F: Was ist der Grund für das Selbst-Vergessen?

M: Es gibt keinen Grund, weil es (im Grunde) kein Vergessen gibt. Geistige Zustände (des Verstandes) folgen aufeinander, und jeder löscht den vorherigen aus. Selbst-Erinnerung ist ein geistiger Zustand und Selbst-Vergessen ein anderer. Sie wechseln sich ab wie Tag und Nacht. Die Wahrheit liegt jenseits von beiden.

F: Aber es muß doch einen Unterschied zwischen Vergessen und Nicht-Wissen geben. Nicht-Wissen braucht keinen Grund, aber das Vergessen setzt ein vorheriges Wissen und auch die Neigung oder Fähigkeit zum Vergessen voraus. Ich gebe zu, daß ich nicht nach dem Grund für das Nicht-Wissen fragen kann, aber das Vergessen muß einen Grund haben.

M: Es gibt kein Nicht-Wissen, sondern nur Vergessen. Was ist falsch am Vergessen? Vergessen ist ebenso normal wie das Erinnern.

F: Ist es nicht eine Katastrophe, sich selbst zu vergessen?

M: Nicht weniger schlimm, als sich ständig an sich selbst zu erinnern. Es gibt einen Zustand jenseits des Vergessens und Nichtvergessens, nämlich den natürlichen Zustand (des Daseins). Erinnern und Vergessen sind beides Zustände des Verstandes, die an Gedanken und Begriffen gebunden sind. Nehmen wir zum Beispiel die Vorstellung, geboren zu sein, denn mir wurde gesagt, daß ich geboren wurde, aber ich kann mich nicht erinnern. So wurde mir auch gesagt, daß ich sterben werde, aber ich selbst erwarte es nicht. Du sagst mir, ich hätte es vergessen oder mir fehle die Vorstellungskraft dazu. Oder aber, ich erinnere mich einfach nicht daran, was nie passiert ist, und erwarte auch nicht das offensichtlich Unmögliche. Körper werden geboren und Körper sterben, aber was geht das mich an? Die Körper kommen und gehen im Bewußtsein, und das Bewußtsein selbst hat seine Wurzeln in mir. Ich bin das Leben selbst und mir gehören Verstand und Körper.

F: Du sagst, die Wurzel der Welt sei die Selbst-Vergessenheit, und um (diese Welt) zu vergessen, muß ich mich erinnern. Was habe ich vergessen, an das ich mich erinnern sollte? Ich habe doch nicht vergessen, daß ich bin.

M: Auch dieses „Ich bin“ könnte ein Teil deiner Illusion sein.

F: Wie kann das sein? Du kannst mir doch nicht beweisen, daß ich nicht bin. Auch wenn ich davon überzeugt wäre, daß ich nicht bin, bin ich trotzdem da.

M: Die Wahrheit kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Im Bereich des Verstandes kannst du es nicht, und jenseits des Verstandes brauchst du es nicht, denn in der Wahrheit stellt sich nicht die Frage: „Was ist wahr?“ Das Gestaltete (Saguna) und das Ungestaltete (Nirguna) unterscheiden sich dort nicht.

F: Dann wäre alles wahr.

M: Ich bin alles. Als mein Selbst ist alles wahr, und getrennt von mir ist nichts wahr.

F: Ich glaube aber nicht, daß diese Welt das Ergebnis eines Irrtums ist.

M: Das solltest du erst nach einer umfassenden Untersuchung behaupten, nicht vorher. Denn wenn man alles Unwahre erkennt und losläßt, dann bleibt natürlich das Wahre übrig.

F: Bleibt dann überhaupt etwas übrig?

M: Das Wahre bleibt, aber laß dich hier nicht von Worten in die Irre führen!

F: Seit undenklichen Zeiten baue, verbessere und verschönere ich meine Welt während unzähliger Geburten. Sie ist weder vollkommen noch unwahr, denn das ist eine Entwicklung.

M: Du irrst dich, denn die Welt existiert nicht ohne dich. In jedem Moment ist sie nur ein Spiegelbild deiner selbst. Du erschaffst sie, und du zerstörst sie.

F: Um sie verbessert wieder aufzubauen.

M: Um sie zu verbessern, muß du sie widerlegen (und zerstören). So muß man sterben, um zu leben, denn es gibt keine Wiedergeburt ohne den Tod.

F: Dein Universum mag vollkommen sein, aber mein persönliches Universum verbessert sich.

M: Dein persönliches Universum existiert nicht für sich selbst. Es ist lediglich eine begrenzte und verfälschte Sicht auf die Wirklichkeit. Deshalb ist es nicht das Universum, das verbessert werden müßte, sondern deine Sichtweise.

F: Wie siehst du es?

M: Es ist wie eine Bühne, auf der das Drama der Welt gespielt wird. Die Qualität der Aufführung ist das Einzige, was zählt. Also nicht, was die Schauspieler sagen und tun, sondern wie sie es sagen und tun.

F: Mir gefällt diese Vorstellung von Lila (als Spiel der Welt) nicht. Ich würde die Welt lieber mit einer Werkstatt vergleichen, in der wir die Baumeister sind.

M: Du nimmst es zu ernst. Was ist falsch am Spielen? Du kennst nur Ziel und Zweck, solange du nicht vollständig bist, und bis dahin sind Vollständigkeit und Vollkommenheit dein Ziel. Aber wenn du in dir selbst vollkommen bist, innerlich und äußerlich völlig ganzheitlich, dann genießt du das Universum und arbeitest nicht daran. Für die Getrenntlebenden mag es so aussehen, als würdest du hart arbeiten, aber das ist ihre eigene Illusion. Auch Sportler scheinen enorme Anstrengungen zu unternehmen, doch ihr einziges Motiv ist das Spielen und sich Darstellen.

F: Willst du damit sagen, daß Gott nur Freude am Spielen hat und zweckloses Handeln betreibt?

M: Gott ist nicht nur wahr und gut, er ist auch schön (Satyam-Shivam-Sundaram). Er erschafft die Schönheit für die Freude daran.

F: Gut, dann ist die Schönheit sein Zweck!

M: Warum ziehst du einen Zweck herein? Zweck bedeutet Bewegung, Veränderung und ein Gefühl der Unvollkommenheit. Gott strebt nicht nach Schönheit, denn alles, was er tut, ist schön. Oder würdest du sagen, daß eine Blume versucht, schön zu sein? Sie ist von Natur aus schön. Ebenso ist Gott die Vollkommenheit selbst und kein Streben nach Vollkommenheit.

F: Der Zweck erfüllt sich also in der Schönheit.

M: Was ist schön? Schön ist, was glückselig wahrgenommen wird, denn Glückseligkeit ist die Essenz der Schönheit.

F: Du sprichst von Sat-Chit-Ananda (Dasein-Bewußtsein-Glückseligkeit). Daß ich da bin, ist offensichtlich, und daß ich bewußt bin, ist auch offensichtlich. Aber daß ich glückselig bin, ist in keiner Weise offensichtlich. Wo ist meine Glückseligkeit geblieben?

M: Sei dir deines Daseins völlig gewahr und du wirst bewußt in Glückseligkeit sein. Weil dein Verstand von dir selbst abgelenkt ist und sich auf das konzentriert, was du nicht bist, verlierst du deine Empfindung des Glücklichseins in der Glückseligkeit.

F: Dazu liegen zwei Wege vor uns, der Weg der Entsagung (Yoga Marga) und der Weg des Genusses (Bhoga Marga). Beide führen zum selben Ziel, der Befreiung.

M: Warum nennst du Bhoga einen Weg? Wie kann Genuß zur Vollkommenheit führen?

F: Der vollkommene Entsagende (Yogi) wird die Wahrheit finden. Und auch der vollkommene Genießer (Bhogi) wird dorthin kommen.

M: Wie kann das sein? Sind sie nicht gegensätzlich?

F: Die Gegensätze treffen sich dort wieder. Doch ein vollkommener Bhogi zu sein scheint mir schwieriger als ein vollkommener Yogi. Ich bin aber ein einfacher Mann und sollte hier keine Werturteile wagen. Schließlich geht es sowohl dem Yogi als auch dem Bhogi um die Suche nach dem Glück. Der Yogi sucht es in der Ewigkeit und der Bhogi in der Zeit. So kämpft der Bhogi oft härter als der Yogi.

M: Was ist dein Glück wert, wenn du ständig dafür kämpfen und arbeiten mußt? Wahre Glückseligkeit ist spontan und mühelos.

F: Alle Lebewesen streben doch nach Glück, und nur die Mittel unterscheiden sich. Manche suchen es im Inneren und werden deshalb Yogis genannt. Und manche suchen es im Äußeren und werden als Bhogis verurteilt. Und doch bedingen sie sich gegenseitig.

M: Glück und Leid wechseln sich ab, aber die Glückseligkeit ist unveränderlich. Alles (Greifbare), was du suchen und finden kannst, ist nicht die Wahrheit. Finde, was du nie verloren hast, finde das Unverlierbare!

26. Persönlichkeit als Hindernis

Fragender: Ich sehe die Welt wie eine Yoga-Schule, und das Leben selbst ist die Yoga-Praxis. Jeder strebt nach Vollkommenheit, und was ist Yoga anderes als dieses Streben? Es gibt nichts Verächtliches an den sogenannten „gewöhnlichen“ Menschen und ihrem „gewöhnlichen“ Leben. Sie streben genauso hart und leiden genausoviel wie die Yogis, nur sind sie sich ihrer wahren Bestimmung nicht bewußt.

Maharaj: In welcher Hinsicht sind deine gewöhnlichen Menschen Yogis?

F: Ihr letztendliches Ziel ist dasselbe. Was der Yogi durch Entsagung (Tyaga) erreicht, erreicht der gewöhnliche Mensch durch Genuß (Bhoga). Der Bhoga-Weg ist unbewußter und daher verschlungen und langwierig, während der Yoga-Weg bewußter und intensiv ist und daher schneller sein kann.

M: Vielleicht wechseln sich die Perioden von Yoga und Bhoga ab. Erst Bhogi, dann Yogi, dann wieder Bhogi und dann wieder Yogi.

F: Was könnte der Zweck sein?

M: Schwache Wünsche können durch Selbstbeobachtung und Meditation beseitigt werden, aber starke und tief verwurzelte Wünsche müssen erfüllt und ihre Früchte gekostet werden, seien sie süß oder bitter.

F: Warum sollten wir dann Yogis verehren und über Bhogis geringschätzig sprechen? Sie alle sind in gewisser Weise Yogis.

M: Auf der menschlichen Werteskala gilt wohlbedachte Anstrengung als lobenswert. Doch in Wirklichkeit folgen sowohl der Yogi als auch der Bhogi ihrer eigenen Natur, je nach den Umständen und Möglichkeiten. Das Leben des Yogis wird von einem einzigen Wunsch bestimmt, nämlich die Wahrheit zu finden, während der Bhogi vielen Meistern dient. Doch der Bhogi kann ein Yogi werden, und der Yogi kann zeitweise auch dem Bhogi-Weg folgen. Das letztendliche Ergebnis ist das gleiche.

F: Der Buddha soll gesagt haben, daß es sehr wichtig ist, davon gehört zu haben, daß es eine Erleuchtung gibt, eine völlige Umkehr und Transformation des Bewußtseins. Diese gute Nachricht wird mit einem Funken in einer Schiffsladung Baumwolle verglichen, denn langsam, doch unaufhaltsam wird alles zu Asche verbrannt. Ebenso wird die gute Nachricht von der Erleuchtung früher oder später eine Transformation bewirken.

M: Ja, zuerst davon hören (Shravana), dann sich erinnern (Smarana), dann nachdenken (Manana) und so weiter. Wir sind hier auf vertrautem Boden. Der Mensch, der diese gute Nachricht hört, wird ein Yogi, während die anderen in ihrem Bhoga fortfahren.

F: Aber du kannst zustimmen, daß ein Leben - wenn man einfach nur das gewöhnliche Leben der Welt führt, nämlich geboren zu werden, um zu sterben, und zu sterben, um geboren zu werden - den Menschen schon allein durch sein gewaltiges Ausmaß voranbringt, so wie ein Fluß allein durch die gewaltige Wassermasse, die er angesammelt hat, seinen Weg zum Meer findet.

M: Bevor diese Welt war, gab es bereits das Bewußtsein. Im Bewußtsein entsteht sie, im Bewußtsein besteht sie, und im reinen Bewußtsein löst sie sich wieder auf. Die Wurzel von allem ist die Empfindung „Ich bin“. Der Zustand des Verstandes „Es gibt eine Welt“ ist zweitrangig, denn um zu sein, brauche ich die Welt nicht, aber die Welt braucht mich.

F: Der Drang zum Leben ist eine große Sache.

M: Und noch größer ist die Freiheit vom Lebensdrang.

F: Ist das die Freiheit eines Steins?

M: Ja, die Freiheit eines Steins und noch viel mehr. Grenzenlose und bewußte Freiheit.

F: Ist für das Sammeln von Erfahrungen keine Persönlichkeit erforderlich?

M: So wie du jetzt lebst, ist die Persönlichkeit nur ein Hindernis. Die Selbst-Identifikation mit dem Körper mag für ein Kind gut sein, aber wahres Erwachsensein hängt davon ab, daß man die Körperlichkeit überwindet. Normalerweise sollte man körperbezogenen Wünschen schon früh im Leben entwachsen. Sogar der Bhogi, der Genüsse nicht ablehnt, braucht sich nicht mehr nach denen zu sehnen, die er ausgekostet hat. Gewohnheiten und das Begehren nach Wiederholung frustrieren sowohl den Yogi als auch den Bhogi.

F: Warum tust du die Person (Vyakti) immer wieder als etwas Unwichtiges ab? Die Persönlichkeit ist doch die primäre Tatsache unserer Existenz und nimmt die gesamte Bühne ein.

M: Solange du nicht erkennst, daß es sich um eine bloße Gewohnheit handelt, die auf Erinnerung aufbaut und durch Wünsche wächst, wirst du dich für eine Person halten, die lebt, fühlt, denkt, handelt, ruht, glücklich oder leidend ist. Stell dich selbst in Frage und frage dich: „Ist es so? Wer bin ich? Was ist dahinter und jenseits davon?“ Bald wirst du deine Fehler erkennen. Und dann liegt es in der Natur eines Fehlers, daß er sich auflöst, wenn er als Fehler erkannt wird.

F: Den Yoga des Lebens können wir als das Leben selbst den natürlichen Yoga nennen (Nisarga Yoga). Das erinnert mich an den Ur-Yoga (Adhi Yoga), der im Rig-Veda erwähnt wird und als die Ehe von Leben und Verstand beschrieben wird.

M: Ja, ein Leben, das achtsam in vollem Gewahrsein gelebt wird, ist natürliches Nisarga Yoga.

F: Was bedeutet die Ehe von Leben und Verstand?

M: Ein Leben in spontanem Gewahrsein, das Bewußtsein eines mühelosen Lebens und ganzheitliches Interesse am eigenen Leben, all das ist damit gemeint.

F: Sharada Devi, die Frau von Sri Ramakrishna Paramahamsa, tadelte dessen Schüler oft wegen zu großer Anstrengung und verglich sie mit Mangos am Baum, die gepflückt werden, bevor sie reif sind. Sie pflegte zu sagen: „Warum sich beeilen? Warte doch, bis du völlig reif, weich und süß bist.“

M: Wie recht sie hatte! Es gibt so viele, die die Morgendämmerung für den Mittag halten, ein vergängliches Erlebnis für die vollkommene Verwirklichung. Und damit zerstören sie das Wenige, das sie gewonnen haben, durch übermäßigen Stolz. Demut und Stille sind für einen Sadhaka (Schüler) unerläßlich, wie fortgeschritten er auch sein mag. Nur ein voll ausgereifter Jnani (Weiser) kann sich völlige Spontanität erlauben.

F: Es scheint einige Yoga-Schulen zu geben, in denen der Schüler nach der Erleuchtung verpflichtet ist, 7, 12, 15 oder sogar 25 Jahre lang zu schweigen. Sogar Bhagavan Sri Ramana Maharshi legte sich 20 Jahre Schweigen auf, bevor er zu lehren begann.

M: Ja, die innere Frucht muß reifen, und bis dahin muß die Praxis als ein Leben in Gewahrsein weitergehen. Allmählich wird die Praxis immer subtiler, bis sie völlig formlos wird.

F: Auch Krishnamurti spricht von einem Leben in Gewahrsein.

M: Er zielt immer direkt auf das „Endgültige“. Und ja, letztendlich enden alle Yogas in deinem Adhi Yoga, der Ehe des Bewußtseins (als Braut) mit dem Leben (als Bräutigam). Dann treffen sich Bewußtsein und Sein (Sat-Chit) in der Glückseligkeit (Ananda). Damit diese Glückseligkeit entstehen kann, muß es Begegnung, Verbindung und dann die Verwirklichung der Einheit in der Dualität geben.

F: Auch Buddha hat gesagt, daß man unter Lebewesen gehen muß, um das Nirvana zu erreichen, denn das Bewußtsein braucht Leben, um zu wachsen.

M: Die Welt selbst ist Verbindung, nämlich die Gesamtheit aller im Bewußtsein verwirklichten Verbindungen. Der Verstand berührt die Materie und das Bewußtsein entsteht. Und dieses Bewußtsein, wenn es mit Erinnerungen und Erwartungen verbunden ist, wird zur Bindung. Reine Erfahrung bindet nicht. Doch Erfahrungen, die zwischen Verlangen und Angst gefangen sind, sind unrein und erzeugen Karma.

F: Kann es Glück in der Einheit geben? Bedeutet nicht jedes Glück notwendigerweise Verbindung, also Dualität?

M: An der Dualität ist nichts falsch, solange sie keine Konflikte erzeugt. Denn ohne Konflikte sind auch Vielfalt und Abwechslung eine Form des Glücks. Im reinen Bewußtsein gibt es nur Licht, aber für Wärme (bzw. Feuer) ist Verbindung erforderlich. Über der Einheit des Daseins steht die Vereinigung der Liebe. So ist die Liebe der Sinn und Zweck der Dualität.

F: Ich bin ein adoptiertes Kind. Meinen leiblichen Vater kenne ich nicht, und meine Mutter starb, als ich geboren wurde. Um meiner kinderlosen Pflegemutter eine Freude zu machen, adoptierte mich mein Pflegevater, und das geschah fast zufällig. Er ist ein einfacher Mann, ein LKW-Besitzer und Fahrer, und meine Mutter besorgt den Haushalt. Ich bin jetzt 24 Jahre alt, und seit zweieinhalb Jahren reise ich unruhig umher und bin auf der Suche. Ich möchte ein gutes Leben führen, ein heiliges Leben. Was soll ich tun?

M: Geh nach Hause, übernimm das Geschäft deines Vaters und kümmere dich um deine Eltern im Alter. Heirate das Mädchen, das auf dich wartet, sei treu, einfach und bescheiden. Verstecke deine Tugend und lebe still! Die fünf Sinne und die drei Grundqualitäten (Gunas) sind deine acht Schritte im Yoga, und „Ich bin“ ist die große Erinnerung (Mahamantra). Von ihnen kannst du alles lernen, was du wissen mußt. Sei achtsam und hinterfrage unaufhörlich. Das ist alles.

F: Wenn ein einfaches Leben befreiend ist, warum werden dann nicht alle befreit?

M: Es werden alle befreit. Es kommt nicht darauf an, was du lebst, sondern wie du lebst. Die Vorstellung von Erleuchtung ist von größter Bedeutung. Schon das Wissen, daß es eine solche Möglichkeit gibt, verändert die gesamte Sichtweise und wirkt wie ein brennendes Streichholz in einem Haufen Sägespäne. Alle großen Lehrer haben nichts anderes getan. Ein Funke Wahrheit kann einen Berg von Lügen verbrennen. Aber auch das Gegenteil ist möglich, und dann bleibt die Sonne der Wahrheit hinter der Wolke der Selbst-Identifikation mit dem Körper verborgen.

F: Die Verbreitung der guten Botschaft der Erleuchtung scheint sehr wichtig zu sein.

M: Schon das Hören davon ist ein Versprechen der Erleuchtung. Schon die Begegnung mit einem Guru ist die Gewißheit der Befreiung. So ist die Vollkommenheit lebensspendend und schöpferisch.

F: Denkt ein (selbst-) verwirklichter Mensch jemals „Ich bin verwirklicht!“? Ist er nicht erstaunt, wenn die Leute so viel aus ihm machen? Hält er sich nicht für einen gewöhnlichen Menschen?

M: Weder für gewöhnlich noch außergewöhnlich. Einfach nur gewahr und liebevoll, und das intensiv. Er betrachtet sich selbst, ohne sich auf Selbst-Definitionen und Selbst-Identifikationen einzulassen. Er kennt sich selbst nicht als etwas anderes als die Welt. Er ist die Welt, und er ist von sich selbst völlig frei, wie ein Mann, der sehr reich ist, aber ständig seinen Reichtum verschenkt: Er ist nicht reich, denn er besitzt nichts. Er ist nicht arm, denn er gibt größten Reichtum. Er ist einfach nur besitzlos. Ebenso ist der verwirklichte Mensch vom Ego frei und hat die Fähigkeit verloren, sich mit irgendetwas zu identifizieren. Er ist ohne Standpunkt und Wohnort, jenseits von Raum und Zeit, jenseits der Welt und jenseits von Worten und Gedanken.

F: Nun, es ist für mich ein tiefes Rätsel, denn ich bin nur ein einfacher Mann.

M: Du bist zutiefst komplex, geheimnisvoll und schwer zu verstehen. Im Vergleich zu dir bin ich die Einfachheit selbst. Ich bin das, was ist, ohne jegliche Unterscheidung in Inneres und Äußeres, Mein und Dein, Gut und Böse. Was die Welt ist, das bin ich. Was ich bin, das ist die Welt.

F: Wie kommt es, daß jeder Mensch seine eigene Welt erschafft?

M: Wenn mehrere Menschen schlafen, dann träumt jeder seinen eigenen Traum. Erst beim Erwachen stellt sich die Frage nach den vielen verschiedenen Träumen und löst sich auf, wenn sie alle als Träume, als etwas Vorgestelltes erkannt werden.

F: Auch Träume haben eine Grundlage.

M: Nur in der Erinnerung. Und auch dann ist das, woran man sich erinnert, nur ein weiterer Traum. Die Erinnerung an etwas Falsches (Illusorisches) kann wiederum nur etwas Falsches entstehen lassen. An der Erinnerung selbst ist nichts auszusetzen. Was falsch (illusorisch) ist, ist ihr Inhalt. Deshalb erinnere dich an die Wahrheit und vergiß die Meinungen (des Verstandes).

F: Was ist die Wahrheit?

M: Was im reinen Gewahrsein wahrgenommen wird, unbeeinflußt von Wünschen.

27. Das Anfangslose beginnt ewig

Fragender: Neulich habe ich dich nach den beiden Wegen des Wachstums gefragt, nach Entsagung und Genuß (Yoga und Bhoga). Es scheint mir keinen großen Unterschied zu geben: Der Yogi entsagt, um zu genießen, und der Bhogi genießt, um zu entsagen. Der Yogi entsagt zuerst, und der Bhogi genießt zuerst.

Maharaj: Na und? Überlasse den Yogi seinem Yoga und den Bhogi seinem Bhoga!

F: Der Bhoga-Weg scheint mir aber der bessere zu sein. Der Yogi ist wie eine grüne Mango, die vorzeitig vom Baum getrennt und zum Reifen in einen Strohkorb gelegt wird. Ohne Frischluft und warmgehalten wird sie zwar reif, aber der wahre Geschmack und Geruch gehen dabei verloren. Die am Baum verbleibende Mango wächst dagegen zu voller Größe, Farbe und Süße heran, was eine Freude in jeder Hinsicht ist. Doch irgendwie erntet Yoga alles Lob und Bhoga allen Tadel. Aus meiner Sicht ist Bhoga der bessere Weg von beiden.

M: Warum glaubst du das?

F: Ich habe die Yogis und ihre enormen Anstrengungen beobachtet. Selbst wenn sie sich verwirklichen, bleibt etwas Bitteres oder Saures. Sie scheinen einen Großteil ihrer Zeit in Trance zu verbringen und wenn sie sprechen, dann lediglich aus ihren heiligen Schriften. Im besten Fall sind solche Jnanis (Weisen) wie Blumen, vollkommen, aber nur kleine Blumen, die ihren Duft in einem kleinen Umkreis verströmen. Es gibt andere, die den Wäldern gleichen, reich, vielfältig, riesig, voller Überraschungen und eine Welt für sich. Es muß doch einen Grund für diesen Unterschied geben.

M: Nun, du hast es gesagt. Nach deiner Meinung vergeht der eine im Yoga, während der andere im Bhoga aufblüht.

F: Ist das nicht so? Der Yogi hat Angst vor dem Leben und sucht Frieden, während der Bhogi abenteuerlustig, tatendurstig und vorwärtsstrebend ist. Der Yogi ist an ein Ideal gebunden, während der Bhogi immer bereit ist, Neues zu erforschen.

M: Es geht wohl darum, viel zu wollen oder mit wenig zufrieden zu sein. Der Yogi ist hochstrebend, während der Bhogi lediglich abenteuerlustig ist. Dein Bhogi scheint reicher und interessierter zu sein, aber in Wahrheit ist das nicht so. Der Yogi ist wie die scharfe Schneide eines Messers. Und das muß er sein, um tief und sanft zu schneiden und zielsicher die vielen Schichten der Illusion zu durchdringen. Der Bhogi betet an vielen Altären, aber der Yogi dient niemandem außer seinem eigenen wahren Selbst. Es hat wenig Sinn, Yogi und Bhogi gegenüberzustellen. Der Weg des Herausgehens (Pravritti) geht notwendigerweise dem Weg des Zurückkehrens (Nivritti) voraus. Hier zu urteilen und Noten zu vergeben, ist lächerlich, denn alles trägt zur letztendlichen Vollkommenheit bei. Manche sagen, daß es drei Aspekte der Vollkommenheit gibt: Wahrheit, Weisheit und Glückseligkeit. Wer Wahrheit sucht, wird ein Yogi, wer Weisheit sucht, wird ein Jnani, und wer Glückseligkeit sucht, wird ein Mann der Tat.

F: Uns wird auch von der Glückseligkeit der Nicht-Dualität erzählt.

M: Eine solche Glückseligkeit ist eher die Natur eines großen Friedens, während Glück und Leid die Früchte von gerechten und ungerechten Taten sind.

F: Was macht den Unterschied?

M: Der Unterschied besteht zwischen Hingeben und Ergreifen. Doch welchen Weg man auch geht, am Ende wird alles eins.

F: Wenn es keinen Unterschied im Ziel gibt, warum sollte dann zwischen verschiedenen Ansätzen unterschieden werden?

M: Jeder sollte gemäß seiner Natur handeln. Das letztendliche Ziel wird in jedem Fall erreicht. Alle deine Unterscheidungen und Klassifizierungen sind in Ordnung, aber in meinem Fall gibt es sie nicht. Wie die Beschreibung eines Traums zwar detailliert und zutreffend sein kann, aber ein Traum bleibt, so paßt dein Schema nur zu deinen eigenen Annahmen. Du beginnst mit einer Vorstellung und endest mit derselben Vorstellung in einem anderen Gewand.

F: Wie siehst du die Dinge?

M: Eins und Alles sind für mich gleich. Das gleiche Bewußtsein (Chit) erscheint als Sein (Sat) und als Glückseligkeit (Ananda): Bewußtsein in Bewegung ist Glückseligkeit, und Bewußtsein in Ruhe ist Dasein.

F: Du unterscheidest aber immer noch zwischen Bewegung und Ruhe.

M: Die Nicht-Unterscheidung spricht in der Stille, während Worte Unterschiede tragen. Das Ungestaltete (Nirguna) hat keinen Namen. Alle Namen beziehen sich auf das Gestaltete (Saguna). Es ist sinnlos, mit Worten zu kämpfen, um auszudrücken, was jenseits von Worten ist. Bewußtsein (Chidananda) ist Geist (Purusha), und Bewußtsein ist auch Materie (Prakriti). Unvollkommener Geist ist Materie, und vollkommene Materie ist Geist. Am Anfang wie am Ende ist alles Eins. Jegliche Trennung geschieht im Verstand, und in der Wahrheit gibt es keine. Bewegung und Ruhe sind Zustände des Verstandes und können nicht ohne ihren Gegensatz existieren. Für sich selbst bewegt sich nichts, und nichts ruht. Es ist ein schwerer Fehler, den Konstrukten des Verstandes eine absolute Existenz zuzuschreiben, denn nichts existiert für sich selbst.

F: Du scheinst die Ruhe mit dem Höchsten Zustand zu identifizieren.

M: Es gibt Ruhe als Zustand des Verstandes (Chidaram) und Ruhe als Zustand des Dasseins (Atmaram). Ersterer kommt und geht, während die wahre Ruhe das eigentliche Herz des Handelns ist. Leider ist die Sprache ein Werkzeug des Verstandes und funktioniert nur in Gegensätzen.

F: Handelst oder ruhst du als Zeuge?

M: Bezeugen ist eine Erfahrung, und Ruhen ist die Freiheit von Erfahrung.

F: Können sie nicht nebeneinander existieren, so wie die Unruhe der Wellen und die Ruhe der Tiefe im Meer nebeneinander existieren?

M: Jenseits des Verstandes gibt es keine Erfahrung. Erfahrung ist ein dualistischer Zustand. Man kann nicht von der Wahrheit als einer Erfahrung sprechen. Sobald du dies verstanden hast, wirst du nicht mehr danach streben, etwas Getrenntes und Gegensätzliches zu sein oder zu werden. In Wahrheit sind sie (Ruhe und Unruhe) eins und untrennbar, wie die Wurzeln und die Zweige eines Baumes. Beide können nur im Licht des Bewußtseins existieren, das wiederum im Gefolge der Empfindung „Ich bin“ entsteht. Das ist das ursprüngliche Dasein. Wenn du das verpaßt, dann verpaßt du alles.

F: Ist diese Empfindung des Daseins nicht auch ein Produkt der Erfahrung? Ist das große Sprichwort (Mahavakya) „Tat-Sat“ auch eine Form des Denkens?

M: Was auch immer gesprochen wird, ist nur Sprache. Was auch immer gedacht wird, ist nur Gedanke. Die wahre Bedeutung ist unbeschreiblich, aber erkennbar. Das Sprichwort ist wahr, aber deine Vorstellungen sind falsch, denn alle Vorstellungen (Kalpana) sind falsch (bzw. illusorisch).

F: Ist auch die Überzeugung „Ich bin Das“ falsch?

M: Natürlich! Überzeugung ist ein geistiger Zustand. Im „Das“ gibt es kein „Ich bin“. Mit dem Auftauchen des Gefühls „Ich bin“ verschwindet „Das“, wie mit dem Aufgang der Sonne die Sterne verschwinden. Und wie mit der Sonne das Licht kommt, so kommt mit der Empfindung des Selbst auch die Glückseligkeit (Chit-Ananda). Gewöhnlich suchen wir die Ursache der Glückseligkeit im „Nicht-Selbst“, und damit beginnt die Knechtschaft.

F: Bist du dir im täglichen Leben immer deines wahren Daseins bewußt?

M: Weder bewußt noch unbewußt. Ich brauche keine Überzeugungen, sondern lebe vom Mut. Mut ist meine Essenz und die Liebe zum Leben. Ich bin frei von Erinnerungen und Erwartungen und kümmere mich nicht darum, was ich bin oder nicht bin. Ich begehre keine Selbst-Beschreibungen. Das „Soham“ und „Brahmasmi“ („Ich bin Er“, „Ich bin das Höchste“) nützen mir nichts, denn ich habe den Mut, ein Nichts zu sein und die Welt so zu sehen, wie sie ist, nämlich ein Nichts. Das klingt einfach, probiere es einfach aus!

F: Aber was gibt dir diesen Mut?

M: Wie verdreht deine Ansichten sind! Muß Mut gegeben werden? Deine Frage impliziert, daß Angst der normale Zustand und Mut unnormal ist. Es ist aber genau umgekehrt. Angst und Hoffnung entstehen aus der Fantasie, und ich bin frei von beiden. Ich bin einfach nur Dasein und brauche nichts, worauf ich ruhen kann.

F: Welchen Nutzen hat dein Dasein für dich, wenn du dich selbst nicht verstehst? Um glücklich zu sein mit dem, was du bist, mußt du doch wissen, was du bist.

M: Das Dasein strahlt als Wissen, und dieses Wissen ist voller Liebe. Es ist alles Eins. Doch du stellst dir Trennungen vor und quälst dich mit Fragen. Sorge dich nicht zu sehr um Beschreibungen, denn das reine Dasein kann nicht beschrieben werden.

F: Solange etwas nicht verständlich und genießbar ist, nützt es mir nichts. Es muß zuallererst ein Teil meiner Erfahrung werden.

M: Du ziehst die Wahrheit auf die Ebene der Erfahrung herunter. Wie kann die Wahrheit von der Erfahrung abhängen, wenn sie doch der eigentliche Grund (Adhara) aller Erfahrungen ist? Die Wahrheit liegt in der Tatsache der Erfahrung selbst, nicht in ihrer Natur. Erfahrung ist schließlich ein Zustand des Verstandes, während das Dasein definitiv kein Zustand des Verstandes ist.

F: Wieder bin ich verwirrt! Ist das Dasein vom Wissen getrennt?

M: Diese Trennung ist nur eine Erscheinung. So wie der Traum nicht vom Träumer getrennt ist, so ist auch das Wissen nicht vom Dasein getrennt. Der Traum ist der Träumer und das Wissen ist der Wissende. Die Unterscheidung ist lediglich begrifflicher Natur (im Verstand).

F: Ich kann jetzt erkennen, daß Dasein und Bewußtsein (Sat und Chit) eins sind. Aber was ist mit der Glückseligkeit (Ananda)? Dasein und Bewußtsein sind immer zusammen gegenwärtig, aber die Glückseligkeit blitzt nur gelegentlich auf.

M: Das ungestörte Dasein ist Glückseligkeit, und der gestörte Zustand des Daseins ist das, was als Welt erscheint. In der Nichtdualität ist Glückseligkeit, und in der Dualität gibt es Erfahrung. Was kommt und geht, ist Erfahrung mit ihrer Dualität aus Glück und Leid. Deshalb kann man Glückseligkeit nicht verstehen. Und man ist immer Glückseligkeit, aber wird niemals glückselig, denn Glückseligkeit ist keine Eigenschaft.

F: Ich habe noch eine weitere Frage: Manche Yogis erreichen ihr Ziel, aber das nützt keinem anderen etwas, denn sie verstehen es nicht oder können es nicht mitteilen. Wer aber mitteilen kann, was er hat, der kann andere initiieren. Woher kommt dieser Unterschied?

M: Es gibt keinen Unterschied. Dein Ansatz ist falsch. Es gibt keine „anderen“, denen man helfen könnte. Ein reicher Mann hat, wenn er sein gesamtes Vermögen seiner Familie übergibt, keine Münze mehr übrig, die er einem Bettler geben könnte. So wird auch der Weise (Jnani) von all seinen eigenen Kräften und Besitztümern gelöst, und nichts Begriffliches läßt sich mehr über ihn sagen. So kann er auch niemandem helfen, denn er ist jedermann. Er ist der Arme und auch dessen Armut, der Dieb und auch dessen Diebstahl. Wie kann man sagen, daß er „anderen“ hilft, wenn er nicht getrennt ist? Überlaß es jenen, der Welt zu helfen, die sich getrennt von der Welt betrachten!

F: Dennoch gibt es Dualität, es gibt Trauer und das Bedürfnis nach Hilfe. Indem man es als bloßen Traum verwirft, wird doch nichts erreicht.

M: Das Einzige, was helfen kann, ist das Erwachen aus dem Traum.

F: Dazu wird ein Erwecker benötigt.

M: Der sich wiederum im Traum befindet. Der Erwecker ist der Anfang vom Ende, und deshalb gibt es keine ewigen Träume.

F: Auch wenn es keinen Anfang gibt?

M: Alles beginnt bei deinem Selbst. Was ist sonst noch ohne Anfang?

F: Mein Anfang war die Geburt.

M: Das wird dir gesagt. Aber ist das wahr? Hast du deinen Anfang gesehen?

F: Stimmt! Mein Anfang ist im Jetzt, und alles andere ist Erinnerung.

M: Ganz richtig! Das Anfangslose beginnt ewig. Ebenso gebe ich ewig, weil ich nichts habe. Nichts zu sein, nichts zu haben und nichts für sich zu behalten ist das größte Geschenk und die höchste Großzügigkeit.

F: Gibt es dann kein Selbstinteresse mehr?

M: Natürlich habe ich ein Selbstinteresse, doch das Selbst ist alles. Praktisch nimmt es die Form des Wohlwollens an, das unfehlbar und universal ist. Man könnte es auch (reine) Liebe nennen, alles durchdringend und alles heilend. Solche Liebe ist äußerst aktiv, aber ohne die Erfahrung des eigenen Handelns.

28. Alles Leiden entsteht aus Wünschen

Fragender: Ich komme aus einem weit entfernten Land, habe selbst einige innere Erfahrungen gemacht und möchte meine Erfahrungen vergleichen.

Maharaj: Nun gut! Kennst du dich selbst?

F: Ich weiß, daß ich nicht der Körper bin, und ich bin auch nicht der Verstand.

M: Woraus schließt du das?

F: Ich habe nicht das Gefühl, daß ich im Körper bin, denn ich scheine über allen Orten überall zu sein. Und was den Verstand betrifft, so kann ich ihn sozusagen ein- und ausschalten, so daß ich das Gefühl habe, auch nicht der Verstand zu sein.

M: Wenn du fühlst, überall in der Welt zu sein, bist du dann von der Welt getrennt? Oder bist du die Welt?

F: Beides. Manchmal habe ich das Gefühl, weder Verstand noch Körper zu sein, sondern ein einziges allsehendes Auge. Und wenn ich tiefer hineingehe, dann empfinde ich, daß ich alles bin, was ich sehe, und daß die Welt und ich selbst eins werden.

M: Sehr gut! Was ist mit den Wünschen? Hast du welche?

F: Ja, sie kommen kurz und oberflächlich.

M: Und was machst du dagegen?

F: Was sollte ich tun? Sie kommen und sie gehen. Ich schaue sie mir an, und manchmal sehe ich, wie mein Körper und Verstand damit beschäftigt sind, sie zu erfüllen.

M: Wessen Wünsche werden erfüllt?

F: Sie sind Teil der Welt, in der ich lebe, und genauso da, wie Bäume und Wolken.

M: Sind sie nicht ein Zeichen der Unvollkommenheit?

F: Warum sollten sie das sein? Sie sind, wie sie sind, und ich bin, wie ich bin. Wie könnte sich das Auftauchen und Verschwinden von Wünschen auf mich auswirken? Aber natürlich beeinflussen sie die Form und den Inhalt des Verstandes.

M: Sehr gut! Was ist dein Beruf?

F: Ich bin Bewährungshelfer.

M: Was bedeutet das?

F: Minderjährige Straftäter werden auf Bewährung entlassen, und dann gibt es spezielle Beamte, die ihr Verhalten überwachen und ihnen bei der Ausbildung und der Arbeitssuche helfen.

M: Mußt du arbeiten?

F: Wer arbeitet? Die Arbeit geschieht einfach.

M: Hast du es nötig zu arbeiten?

F: Ich brauche die Arbeit zum Geldverdienen und liebe sie, weil ich mit lebendigen Wesen in Kontakt komme.

M: Wofür brauchst du das?

F: Vielleicht brauchen sie mich und es ist ihr Schicksal, das mich diese Arbeit tun läßt. Es ist doch schließlich alles ein Leben.

M: Wie bist du zu deinem jetzigen Zustand gekommen?

F: Die Lehren von Sri Ramana Maharshi haben mich auf den Weg gebracht. Dann traf ich Douglas Harding, der mir half, indem er mir zeigte, wie man an der Frage „Wer bin ich?“ arbeitet.

M: Kam es plötzlich oder allmählich?

F: Es kam ziemlich plötzlich. Als ob etwas völlig Vergessenes wieder in den Sinn kommt, oder wie ein plötzlicher Geistesblitz. „Wie einfach!“, rief ich: „Wie einfach: Ich bin nicht das, was ich dachte. Ich bin weder das Wahrgenommene noch der Wahrnehmende. Ich bin die Wahrnehmung allein.“

M: Und nicht einmal die Wahrnehmung, sondern das, was all dies möglich macht.

(Hier beginnt vermutlich ein anderes Gespräch.)

F: Was ist Liebe?

M: Wenn die Empfindung von Unterscheidung und Trennung fehlt, kann man es Liebe nennen.

F: Warum wird so viel Wert auf die Liebe zwischen Mann und Frau gelegt?

M: Weil darin das Prinzip der Glückseligkeit besonders deutlich wird.

F: Ist das nicht bei jeder Liebe so?

M: Nicht unbedingt. Liebe kann auch Leiden verursachen, was man dann Mitleid nennt.

F: Was ist Glückseligkeit?

M: Glückseligkeit ist die Harmonie zwischen dem Inneren und dem Äußeren. Ansonsten leidet die Selbst-Identifikation unter den äußeren Ursachen.

F: Wie kommt es zur Selbst-Identifikation?

M: Das Selbst kennt seiner Natur nach nur sich selbst. Aus Mangel an Erfahrung identifiziert es sich mit allem, was es wahrnimmt. Durch leidvolle Erfahrung lernt es, achtsam zu sein (Viveka - Einsicht) und allein zu leben (Vairagya - Wunschlosigkeit). Wenn richtiges Verhalten (Uparati - Entsagung) zur Normalität wird, dann sorgt ein starker innerer Drang (Mumukshutva - nach Befreiung) dafür, nach seiner eigenen Quelle zu suchen. Ein Licht wird im Körper angezündet, und alles wird klar und hell.

F: Was ist die wirkliche Ursache des Leidens?

M: Die Selbst-Identifikation mit dem Begrenzten (Vyaktitva). Empfindungen als solche, so stark sie auch sein mögen, verursachen kein Leid, sondern der Verstand, der von falschen Vorstellungen verwirrt ist und süchtig danach zu denken „Ich bin dies oder jenes“, der Verlust fürchtet und sich nach Gewinn sehnt und leidet, wenn er nicht bekommt, was er will.

F: Ein Freund von mir hatte Nacht für Nacht schreckliche Träume. Bereits das Schlafengehen war ein Terror, und nichts konnte ihm helfen.

M: Die Gesellschaft der wahrhaft Guten (Satsang) würde ihm helfen.

F: Das Leben selbst ist so ein Albtraum.

M: Edle Freundschaft (Satsang) ist das höchste Heilmittel gegen alle körperlichen und geistigen Krankheiten.

F: Aber normalerweise kann man eine solche Freundschaft nicht finden.

M: Suche nach innen! Dein eigenes Selbst ist dein bester Freund.

F: Warum ist das Leben so voller Widersprüche?

M: Es dient dazu, den geistigen Stolz abzubauen. Wir müssen erkennen, wie arm und machtlos wir selber sind. Solange wir uns durch das, was wir glauben zu sein, zu wissen, zu haben oder zu tun, etwas vormachen, befinden wir uns in der Tat in einer traurigen Lage. Nur in völliger Selbstverleugnung liegt die Chance, unser wahres Wesen zu entdecken.

F: Warum wird so viel Wert auf Selbstverleugnung gelegt?

M: So viel Wert wie auf die Selbstverwirklichung. Das falsche Selbst muß aufgegeben werden, bevor das wahre Selbst gefunden werden kann.

F: Das Selbst, das du als falsch bezeichnest, ist für mich eine sehr schmerzliche Wirklichkeit. Es ist das einzige Selbst, das ich kenne. Und was du das wahre Selbst nennst, ist ein bloßes Konzept, eine Redewendung, ein Geschöpf des Verstandes und ein attraktiver Geist. Ich gebe zu, daß mein tägliches Selbst keine Schönheit ist, aber es ist mein eigenes und einziges Selbst. Du sagst, ich bin oder habe ein anderes Selbst. Siehst du es? Ist es für dich eine Wahrheit, oder willst du, daß ich glaube, was du selbst nicht siehst?

M: Ziehe keine voreiligen Schlüsse! Das Wirkliche muß nicht das Wahre sein, und das Wahrgenommene muß nichts Falsches sein. Wahrnehmungen, die auf Empfindungen basieren und durch Erinnerungen geformt werden, setzen einen Wahrnehmenden voraus, dessen Natur man bisher nicht untersuchen wollte. Schenke ihm deine volle Aufmerksamkeit und untersuche ihn mit liebevoller Sorgfalt! Dann wirst du Höhen und Tiefen des Daseins entdecken, von denen du niemals zu träumen gewagt hast, als du in deinem kümmerlichen Bild von dir selbst gefangen warst.

F: Ich muß in der richtigen Stimmung sein, um mich selbst erfolgreich zu prüfen.

M: Du mußt ernsthaft, zielstrebig und wahrhaft interessiert sein. Du mußt voller Wohlwollen für dich sein.

F: Ich bin immer nur egoistisch.

M: Das bist du nicht, denn du zerstörst ständig dich selbst und dein Eigenes, indem du seltsamen fremden und illusorischen Göttern dienst. Sei in jeder Hinsicht egoistisch, denn das ist die richtige Art und Weise. Wünsche dir wahrhaftig alles Gute und arbeite an dem, was dir guttut. Zerstöre alles, was zwischen dir und der Glückseligkeit steht! Sei alles, liebe alles, sei glücklich und mache glücklich. Es gibt kein größeres Glück.

F: Warum gibt es in der Liebe so viel Leid?

M: Alles Leiden entsteht aus Wünschen. Wahre Liebe wird niemals frustriert. Wie kann die Empfindung der Einheit frustriert werden? Was frustriert werden kann, ist der Wunsch nach Ausdruck, und dieser Wunsch kommt vom Verstand, und wie bei allen Verstandesdingen ist die Frustration unvermeidlich.

F: Welchen Stellenwert hat der Sex in der Liebe?

M: Liebe ist ein Zustand des Daseins, Sex ist Energie. Liebe ist weise, Sex ist blind. Sobald die wahre Natur von Liebe und Sex erkannt wird, wird es keine Konflikte oder Verwirrungen mehr geben.

F: Es gibt so viel Sex ohne Liebe.

M: Ohne Liebe ist alles bösartig. Das Leben selbst wird ohne Liebe bösartig.

F: Was kann mich lieben lassen?

M: Du bist die Liebe selbst, wenn du keine Angst hast.

29. Leben ist der einzige Sinn des Lebens

Fragender: Was bedeutet es, im Yoga zu versagen? Wer ist ein Versager im Yoga (Yoga Bhrashta)?

Maharaj: Es ist nur eine Frage der Unvollkommenheit. Wer sein Yoga aus irgendeinem Grund nicht vollenden konnte, wird im Yoga als gescheitert bezeichnet. Aber ein solches Versagen ist nur vorübergehend, denn im Yoga kann es keine Niederlage geben. Dieser Kampf wird immer gewonnen, denn es ist ein Kampf zwischen dem Wahren und Falschen, in dem das Falsche keine Chance hat.

F: Wer scheitert? Die Person (Vyakti) oder das Selbst (Vyakta)?

M: Die Frage ist falsch gestellt. Von wahrem Scheitern kann man weder kurzfristig noch langfristig sprechen. Es ist, als würde man einen langen und beschwerlichen Weg in ein unbekanntes Land gehen. Von all den unzähligen Schritten, ist es nur der letzte, der dich ans Ziel bringt. Trotzdem wirst du nicht alle vorherigen Schritte als gescheitert betrachten. Jeder hat dich deinem Ziel nähergebracht, auch wenn du umkehren mußtest, um ein Hindernis zu umgehen. In Wirklichkeit bringt dich jeder Schritt an dein Ziel, denn es ist deine ewige Bestimmung, immer in Bewegung zu sein, zu lernen, zu entdecken und sich zu entfalten. Zu leben ist der einzige Sinn des Lebens. Das (wahre) Selbst identifiziert sich nicht mit Erfolg oder Mißerfolg, und die bloße Vorstellung, dieses oder jenes zu werden, ist hier undenkbar. Das Selbst erkennt, daß Erfolg und Mißerfolg relativ und miteinander verbunden sind und damit die Längs- und Querfäden im Gewebe des Lebens bilden. Lerne von beiden und gehe darüber hinaus! Und solange du es nicht gelernt hast, wiederhole es.

F: Was soll ich lernen?

M: Ohne Sorge um das Selbst zu leben. Dafür mußt du dein eigenes wahres Dasein (Swarupa) als unbezwingbar, furchtlos und immer siegreich kennen. Sobald du mit völliger Sicherheit weißt, daß dich nichts außer deiner eigenen Vorstellungskraft beunruhigen kann, beginnst du, deine Wünsche und Ängste, Konzepte und Vorstellungen außer acht zu lassen und einzig nach der Wahrheit zu leben.

F: Was kann der Grund dafür sein, daß manche Menschen im Yoga erfolgreich sind und andere scheitern? Ist es Schicksal, Charakter oder nur Zufall?

M: Niemand scheitert jemals im Yoga. Es ist nur eine Frage der Schnelligkeit im Fortschritt. Am Anfang geht es langsamer und am Ende schneller. Wenn man dann voll ausgereift ist, erfolgt die Verwirklichung explosiv. Es passiert spontan oder auf den geringsten Hinweis hin. Dabei ist das Schnelle nicht besser als das Langsame. Langsame Reifung und schnelle Blüte wechseln sich ab. Beides ist natürlich und richtig. Doch das alles passiert nur im Verstand, und aus meiner Sicht gibt es solche Unterscheidungen in Wahrheit gar nicht. Im großen Spiegel des Bewußtseins entstehen und verschwinden die Bilder, und nur die Erinnerung verleiht ihnen Kontinuität. Und diese Erinnerung wird Materie, zerstörbar, vergänglich und flüchtig. Auf solchen schwachen Grundlagen bauen wir ein Gefühl der persönlichen Existenz auf, vage, wechselhaft und traumartig. Diese vage Überzeugung „Ich bin dies oder jenes!“ verdunkelt das unveränderliche Dasein des reinen Gewahrseins und läßt uns glauben, daß wir zum Leiden und Sterben geboren wurden.

F: Wie ein Kind nicht anders kann, als zu wachsen, so entwickelt sich auch der erwachsene Mensch, von der Natur gezwungen. Warum sich anstrengen? Wozu brauche ich Yoga?

M: Es gibt ständig Fortschritte, und alles trägt zum Fortschritt bei. Aber das ist der Fortschritt der Unwissenheit. Die Kreise der Unwissenheit mögen sich immer weiter ausdehnen, und doch bleibt sie eine Knechtschaft. Zu gegebener Zeit erscheint ein Guru, um uns zu lehren und zu inspirieren, Yoga zu praktizieren, und eine Reifung beginnt, durch die sich die uralte Nacht der Unwissenheit im Licht der aufgehenden Sonne der Weisheit auflöst. Aber in Wahrheit passiert gar nichts, denn die Sonne ist immer da, und dort gibt es keine Nacht. Es ist der Verstand, der durch die Vorstellung „Ich bin der Körper“ blind wird und endlos seinen Illusionsfaden spinnt.

F: Wenn alles Teil eines natürlichen Prozesses ist, wozu ist dann Anstrengung nötig?

M: Auch die Anstrengung ist ein Teil davon. Wenn die Unwissenheit hartnäckig und starr wurde und sich der Charakter umgekehrt hat, sind Anstrengung und Schmerzen unvermeidlich. Nur im vollkommenen Gehorsam zur Natur gibt es keine Anstrengung. Dann wächst der Samen des geistigen Lebens in Stille und Dunkelheit, bis seine Stunde gekommen ist.

F: Wir kennen auch einige großartige Menschen, die dann im Alter kindisch, kleinlich, streitsüchtig und boshaft wurden. Wie konnten sie sich so sehr verschlechtern?

M: Es waren wohl keine perfekten Yogis, die ihren Körper völlig unter Kontrolle hatten. Vielleicht war es ihnen auch nicht wichtig, ihren Körper vor dem natürlichen Verfall zu schützen. Man sollte keine voreiligen Schlußfolgerungen ziehen, ohne alle Faktoren zu kennen. Vor allem sollte man keine Urteile über Unter- oder Überlegenheit fällen. Die Jugendlichkeit ist mehr eine Frage der Vitalität (Prana) als der Weisheit (Jnana).

F: Man kann alt werden, aber warum sollte man jegliche Aufmerksamkeit und Unterscheidungskraft verlieren?

M: Bewußtheit und Unbewußtheit hängen vom Zustand des Verstandes ab, solange sie im Körper sind. Aber das Selbst liegt jenseits von beiden, jenseits des Körpers und Verstandes. Und der Fehler des Werkzeuges läßt keinen Rückschluß auf den Benutzer zu.

F: Mir wurde gesagt, daß ein (Selbst-) Verwirklichter niemals etwas Unangemessenes tun wird und sich immer vorbildlich verhält.

M: Wer definiert dieses Vorbild? Warum sollte ein Befreiter zwangsweise irgendwelchen Konventionen folgen? Sobald er vorhersehbar wird, kann er nicht mehr frei sein. Seine Freiheit liegt darin, daß er frei ist, das Bedürfnis des Augenblicks zu erfüllen und der Notwendigkeit der Situation zu gehorchen. Die Freiheit, das zu tun, was man will, ist in Wahrheit eine Knechtschaft, während die Freiheit, das zu tun, was man muß, was richtig ist, wahre Freiheit ist.

F: Trotzdem muß es doch eine Möglichkeit geben, um herauszufinden, wer verwirklicht ist und wer nicht. Wenn das eine vom anderen nicht zu unterscheiden ist, welchen Nutzen hat es dann?

M: Wer sich selbst kennt, zweifelt nicht daran. Es ist ihm auch egal, ob andere seinen Zustand anerkennen oder nicht. Nur selten gibt es einen Verwirklichten, der seine Verwirklichung offenlegt, und glücklich sind diejenigen, die ihm begegnen, denn das tut er für ihr unvergängliches Wohlergehen.

F: Wenn man sich umschaut, ist man entsetzt über das Ausmaß an unnötigem Leiden, das hier herrscht, aber die Hilfebedürftigen bekommen keine Hilfe. Stell dir eine große Krankenstation voller Unheilbarer vor, die sich hin und her wälzen und stöhnen. Hätte man dir die Befugnis gegeben, sie alle zu töten und ihre Qual zu beenden, würdest du das nicht tun?

M: Ich würde ihnen die Entscheidung überlassen.

F: Aber wenn es ihr Schicksal ist, zu leiden? Wie kann man in das Schicksal eingreifen?

M: Ihr Schicksal ist, was passiert, und das läßt sich nicht verhindern. Aber willst du damit sagen, daß das Leben eines jeden Menschen schon bei seiner Geburt völlig vorherbestimmt ist? Was für eine seltsame Vorstellung! Wenn das wirklich so wäre, dann würde die bestimmende Macht dafür sorgen, daß niemand leiden müßte.

F: Und was ist mit (dem Gesetz von) Ursache und Wirkung?

M: Jeder Moment enthält die ganze Vergangenheit und erschafft die ganze Zukunft.

F: Gibt es denn Vergangenheit und Zukunft?

M: Nur im Verstand. Die Zeit ist im Verstand, und der Raum ist im Verstand. Damit ist auch das Gesetz von Ursache und Wirkung eine Art und Weise des Denkens. In Wahrheit ist alles hier und jetzt, und alles ist eins. Unterschiede und Vielfalt gibt es nur im Verstand.

F: Dennoch bist du für die Linderung des Leidens, sogar durch die Auflösung eines unheilbar kranken Körpers.

M: Auch hier schaust du von außen, während ich von innen schaue. Ich sehe keinen anderen Leidenden mir gegenüber, denn ich bin es selbst. Ich kenne ihn in- und auswendig und tue spontan und mühelos das Richtige. Ich folge keinen Regeln und lege keine Regeln fest. Ich fließe mit dem Leben, zuversichtlich und unaufhaltsam.

F: Trotzdem scheinst du ein sehr praktisch veranlagter Mann zu sein, der die volle Kontrolle über seine unmittelbare Umgebung hat.

M: Was erwartest du sonst von mir? Einen Außenseiter?

F: Trotzdem kannst du anderen nicht viel helfen.

M: Sicherlich kann ich helfen, und auch du kannst helfen. Jeder kann helfen. Aber das Leiden wird immer wieder neu erzeugt. Nur der Mensch selbst kann die Wurzeln des Leidens in sich vernichten. Andere können nur gegen den Schmerz helfen, aber nicht gegen seine Ursache, der abgrundtiefen Unwissenheit der Menschheit.

F: Wird diese Unwissenheit jemals ein Ende finden?

M: Bei einem Menschen ist es natürlich jederzeit möglich, aber in der Menschheit, wie wir sie kennen, erst nach sehr vielen Jahren. Und in der ganzen Schöpfung niemals, denn die Schöpfung selbst wurzelt in der Unwissenheit. Materie ist nichts als Unwissenheit, und unwissend sein und nicht zu erkennen, daß man unwissend ist, ist die Ursache für endloses Leiden.

F: Uns wird von den großen Avataren erzählt, den Rettern der Welt.

M: Haben sie die Welt gerettet? Sie sind gekommen und gegangen, und die Welt trottet weiter. Natürlich haben sie viel bewirkt und dem menschlichen Geist neue Dimensionen eröffnet. Aber von der Rettung der Welt zu sprechen, wäre übertrieben.

F: Gibt es keine Rettung für die Welt?

M: Welche Welt willst du retten? Die Welt deiner eigenen Projektion? Rette dich selbst! Was ist deine Welt? Zeig mir meine Welt und ich werde sie retten. Doch ich selbst bin mir keiner von mir getrennten Welt bewußt, die ich retten kann oder nicht. Was versuchst du, die Welt zu retten, wenn alles, was die Welt braucht, nur darin besteht, vor dir gerettet zu werden? Verlasse das Bild (deiner Projektion) und schau, ob es noch etwas zu retten gibt.

F: Du scheinst zu betonen, daß deine Welt ohne dich nicht existiert und daß du daher nur selbst die Vorstellung beenden kannst. Das ist aber kein Ausweg. Selbst wenn die Welt meine eigene Schöpfung wäre, wird sie durch dieses Wissen nicht gerettet, sondern nur erklärt. Die Frage bleibt: Warum habe ich eine so elende Welt geschaffen und was kann ich tun, um sie zu ändern? Du scheinst zu sagen: Vergiß alles und bewundere deine eigene Herrlichkeit! Aber sicherlich meinst du es nicht so, denn die Beschreibung einer Krankheit und deren Ursachen heilt sie noch nicht. Was wir brauchen, ist die richtige Medizin.

M: Die Beschreibung und die (Erkenntnis der) Ursache sind das Heilmittel gegen eine Krankheit, die durch Beschränktheit und Unwissenheit verursacht wird. So wie eine Mangelkrankheit durch die Gabe der fehlenden Substanz geheilt wird, so werden auch die Krankheiten des Lebens durch eine gute Dosis vernünftiger Loslösung geheilt (Viveka-Vairagya).

F: Man kann doch die Welt nicht retten, indem man Ratschläge zur Vollkommenheit predigt. Die Menschen sind, wie sie sind. Müssen sie wirklich leiden?

M: Solange sie sind, wie sie sind, gibt es kein Entrinnen aus dem Leiden. Entferne das Empfinden der Trennung und es wird keine Konflikte mehr geben.

F: Eine geschriebene Nachricht kann aus Papier und Tinte bestehen, aber auf den Text kommt es an. Indem wir die Welt in Elemente und Eigenschaften analysieren, übersehen wir das Wichtigste, nämlich ihre Bedeutung. Wenn du alles auf einen Traum reduzierst, dann wird doch der Unterschied zwischen dem Traum eines Insekts und dem Traum eines Dichters ignoriert. Natürlich ist alles ein Traum, aber nicht alle Träume sind gleich.

M: Die Träume sind nicht gleich, aber der Träumer ist nur einer. Ich bin das Insekt, und ich bin der Dichter, und zwar im Traum. Aber in Wahrheit bin ich weder das eine noch das andere, sondern jenseits aller Träume. Ich bin das Licht, in dem alle Träume erscheinen und verschwinden. Ich bin sowohl innerhalb als auch außerhalb des Traums. So wie ein Mann, der Kopfschmerzen hat, den Schmerz erkennt und auch weiß, daß er nicht der Schmerz ist, so erkenne ich den Traum, mich selbst als träumend und mich selbst jenseits davon, und zwar alles gleichzeitig. Ich bin, was ich vor, während und nach dem Traum bin. Aber was ich im Traum sehe, das bin ich nicht.

F: Es ist alles eine Frage der Phantasie. Der eine stellt sich vor, daß er träumt, der andere denkt, er träumt nicht. Sind nicht beide gleich?

M: Sie sind gleich und auch nicht gleich. Das nicht Träumen als Intervall zwischen zwei Träumen ist natürlich ein Teil des Träumens. Aber das Nichtträumen als ein beständiges und zeitloses Dasein in der Wahrheit hat nichts mit Träumen zu tun. In diesem Sinne träume ich niemals und werde es auch niemals tun.

F: Wenn sowohl der Traum als auch die Flucht aus dem Traum Einbildungen sind, welchen Ausweg gibt es dann?

M: Es gibt keinen Ausweg! Siehst du nicht, daß auch der Ausweg ein Teil des Traumes ist? Du mußt nur eines tun, den Traum als Traum erkennen.

F: Wenn ich beginne, alles als Traum abzutun, wohin wird mich das führen?

M: Wohin auch immer es dich führt, das wird ein Traum sein. Bereits die Vorstellung, über den Traum hinauszugehen, ist illusorisch. Warum irgendwohin gehen? Erkenne einfach, daß du einen Traum träumst, den du die Welt nennst, und höre auf, nach Auswegen zu suchen. Der Traum ist nicht dein Problem. Dein Problem ist, daß dir ein Teil deines Traums gefällt und ein anderer nicht. Liebe alles oder nichts, und höre auf, dich zu beschweren! Wenn du den Traum als Traum erkannt hast, dann hast du alles getan, was getan werden muß.

F: Wird das Träumen durch das Denken verursacht?

M: Alles ist ein Spiel von Vorstellungen, denn im Zustand, der frei von Vorstellungen ist (Nirvikalpa Samadhi), wird nichts wahrgenommen. Die grundlegende Vorstellung ist: „Ich bin.“ Sie zerstört den Zustand des reinen Gewahrseins und wird von unzähligen Empfindungen und Wahrnehmungen, Gefühlen und Vorstellungen begleitet, die in ihrer Gesamtheit Gott und seine Welt darstellen. Wenn das „Ich bin“ der Zeuge bleibt, dann geschieht alles durch den Willen Gottes.

F: Warum nicht durch meinen Willen?

M: Schon wieder hast du dich in Gott und Zeuge getrennt. Beide sind eins!


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