Vaisampayana sprach:
Oh Freude der Kurus, als der fromme Narada, dieser Beste der Redner, der die Essenz des Dharma kannte, die Worte vom König der Himmlischen gehört hatte, sprach er:
Oh Vernichter von Vala, oh Starkarmiger, ich bin dir sehr geneigt und muß daher sagen, was zu deinem Wohlergehen ist. Da ich deine Meinung bereits kannte, erzählte ich dem Sohn von Vasudeva, wie du vor langer Zeit den Parijata Baum nicht einmal dem mächtigen Gott Shiva überlassen wolltest. Wahrlich, so habe ich ihm verschiedenste Argumente genannt (warum er diesen Baum nicht verlangen sollte), doch umstimmen konnte ich ihn nicht. Der Lotusäugige antwortete mir: „Ich bin der jüngere Bruder von Indra und deshalb verdiene ich seine Gunst.“ Oh Gott, ich zeigte ihm mehrfach verschiedene Gründe auf, doch er ließ sich nicht von seinem Entschluß abbringen. Im Gegenteil, der Madhu Vernichter, dieser Beste der Männer, sprach entschlossen am Ende seiner Rede: „Weder die Götter noch die Dämonen, Gandharvas, Yakshas, Rakshasas oder die mächtigen Nagas werden verhindern können, daß ich mein Versprechen erfülle. Oh Heiliger, möge dir Gutes geschehen! Wenn dir Indra auf deinen Wunsch hin den Parijata Baum verwehrt, denn werde ich meine Keule gegen seine Brust schleudern, an der noch die duftende Sandelpaste von Sachi haftet.“ Oh großer Indra, dies ist der feste Entschluß deines jüngeren Bruders. So handle nun, wie es dir in dieser Sache gut und gerecht erscheint. Doch höre, oh König der Götter, was ich zu deinem Wohl spreche: Ich denke, es wäre wirklich besser, den Parijata Baum nach Dwaraka zu schaffen.
Oh König Janamejaya, so sprach Narada klar und deutlich zu Indra. Doch der tausendäugige Gott entbrannte im Zorn und antwortete:
Oh Askesereicher, wenn sich Krishna auf diese Weise zu seinem älteren Bruder verhält, der keine Schuld trägt, was soll geschehen? Oh Narada, Krishna hat schon öfters gegen mich gehandelt. All das habe ich erduldet, weil er mein jüngerer Bruder ist. Als damals der Khandava brannte, lenkte er den Wagen von Arjuna und verhinderte, daß meine Regenwolken das verzehrende Feuer löschen konnten. So durchkreuzte er auch meine Absichten, als er den riesigen Govardhana Berg in die Lüfte hob. Und als ich im Kampf gegen Vritra seine Hilfe suchte, da sprach er: „Ich bin unparteiisch und schau mit gleichen Augen auf alle Wesen!“ So mußte ich Vritra allein mit eigener Kraft schlagen. Oh Heiliger, du weißt auch genau, daß wann immer ein Krieg zwischen den Göttern und Dämonen ausbrach, Krishna stets seine eigenen Wege ging und nach seinem unvorhersehbaren Willen kämpfte. Doch wozu viele Worte? Es sei wie es sei! Ich suche keinen Streit unter Brüdern. Oh Narada, sei mein Zeuge! Mag Krishna bereit sein, seine Keule gegen meine Brust zu wirbeln. Aber warum bringt er Sachi, die Tochter von Puloma, ins Spiel? Unser Vater, der allmächtige Kasyapa, ist zusammen mit unserer Mutter Aditi zum Milchozean gegangen. Sie sollten von dieser Sache erfahren. Mein Bruder Krishna hat offensichtlich die Selbstbeherrschung verloren und wurde von Leidenschaft und Unwissenheit (Rajas und Tamas) erfaßt, weil er wegen des Willens einer Frau seinen älteren Bruder bedroht, den er wie einen Lehrer behandeln sollte. Oh Zweifachgeborener, Schande auf die Frauen und Schande auf den Egoismus, wenn sogar Vishnu von einer Frau verführt solchen Streit mit mir herausfordert. Oh mächtiger Heiliger, es ist wirklich überraschend, wie Krishna von Leidenschaft und Begierde überwältigt keine Achtung mehr hat vor dem Stamm unseres Vaters Kasyapa, noch vor dem Stamm von Daksha unserer Mutter Aditi, vor seinem älteren Bruder und meiner Würde als Götterkönig. Oh Sündloser, Brahma selbst sagte mir einst, daß ein wohlwollender und weiser Bruder mehr wert ist als tausend Söhne und Frauen. Meine Mutter und mein Vater, der einer der großen Stammväter ist, lehrten mich ebenfalls, daß es keinen besseren Verwandten als den Bruder gibt, denn er steht einem am nächsten. So sprach mein Vater Kasyapa auch, daß es in der Welt keine besseren Freunde gibt als die leiblichen Brüder. Deswegen bekämpfen uns die übelgesinnten Dämonen (die Daityas und Danavas), die nur unsere Halbbrüder sind. Oh Brahmane, was ich dir jetzt sage, sollte eigentlich ungesagt bleiben, weil es Selbstlob enthält. Doch ich denke, an dieser Stelle ist es notwendig. Oh Sündloser, als damals die Bogensehne des großen Bogenkämpfers Vishnu zertrennt und sein Kopf vom Rumpf geschlagen wurde, war ich es, der in seinen Körper einging und sein Leben erhielt. Und als ich mithilfe der Energie der Rudras seinen Kopf wieder auf den Rumpf setzen konnte, war es Vishnu selbst, der mich als Ersten und Besten unter allen Göttern lobte. Dann, oh Narada, spannte er seinen Bogen mit einer neuen Sehne und stand stolz wie zuvor (siehe Fußnote). Oh Heiliger, was hätten meine Eltern wohl gesagt, wenn ich Vishnu nicht gerettet hätte? In Anbetracht wesenhafter Zuneigung habe ich mich selbst im Körper von Krishna verkörpert. Oh Asket, aus Liebe zu meinem jüngeren Bruder gab ich ihm Anteile von Indra und machte ihn zu dem, der nun als Vishnu verehrt wird. Oh Heiliger mit dem Reichtum der Askese, wenn dummerweise ein Kampf zwischen ihm und mir stattfinden soll, dann möge er den ersten Schlag tun. Denn in gewöhnlichen Kämpfen eröffne ich als König den Kampf.
Oh sündloser Bewahrer des Dharma, in all seinen Manifestationen habe ich Krishna stets wie meinen eigenen Körper beschützt. Doch Vishnu zerstückelte meine Wohnstätte im Himmel und baute aus diesem Material seine eigenen Welten, die über allen Himmeln liegen. Oh Heiliger, ich schaute darüber hinweg aus Rücksicht auf meinen jüngeren Bruder und dachte stets: „Krishna ist noch ein Junge und verdient Nachsicht von mir.“ Auch mein Vater und meine Mutter hegten Govinda über alles und sprachen: „Unser Sohn ist noch ein Kind und viel jünger als du.“ Wahrlich, Krishna war stets der Liebling seiner Mutter und überall bevorzugt. Zweifellos bildete diese einseitige Zuneigung seinen großen Stolz aus. Ich dachte immer, Krishna ist allwissend, allmächtig und wahrhaftig. Doch wenn er die Verehrungswürdigen nicht respektiert, habe ich mich wohl getäuscht. So geh, oh Narada, und überbringe Krishna folgende Worte: „Wenn ich von Feinden zum Kampf herausgefordert werde, schrecke ich nie davor zurück. Wenn du den Kampf begehrst, dann komme. Ich werde es ertragen. Oh Sklave einer Frau, wenn du unbedingt willst, dann führe den ersten Schlag aus. Oh Janardana, besteige Garuda und tätige mit sicherer Hand den Schlag mit Keule, Diskus oder Schwert. Oh Schande, dann werde ich mit meiner ganzen Kraft zurückschlagen. Doch besser wäre es, dies würde nie geschehen!“
Oh Erster der Heiligen, bevor ich nicht im Kampf vom Träger des Diskus geschlagen wurde, werde ich diesen Parijata Baum nicht hergeben. Oh Askesereicher, wenn mein jüngerer Bruder mich als älteren zum Kampf fordert, warum sollte ich Hari entschuldigen, der von einer Frau verführt wurde? Oh Narada, geh noch heute zurück nach Dwaraka, das von Krishna beschützt wird, und überbringe ihm meine Antwort. Oh Heiliger mit dem Reichtum der Entsagung, trage im Geist alle meine Worte und sprich zum Madhu Vernichter: „Bevor der Kampf nicht gewonnen ist, kannst du kein halbes Blatt vom Parijata Baum erlangen.“ Oh ruhmreicher Brahmane, dann erfreue mich und sprich furchtlos zum Unvergänglichen: „Es ziemt sich nicht für dich, diesen Baum durch Hinterlist zu stehlen. Kämpfe offen, fair und wahrhaftig! Schande auf jede hinterlistige Tat!“
(Wie Vishnu seinen Kopf verlor: Hier könnte folgende Geschichte aus dem Satapatha Brahmana 14.1 gemeint sein:
Einst führten Agni, Indra, Soma, Makha (das Opfer selbst) und Vishnu mit allen anderen Göttern außer den Aswins ein großes Opfer durch. Der Ort ihrer himmlischen Verehrung war Kurukshetra. Deshalb sagt man, das Kurukshetra der Ort der Götterverehrung ist. Wer also Kurukshetra besucht, der kennt diesen Ort als einen heiligen, weil hier sogar die Götter ihre himmlische Verehrung dargebracht haben. Sie führten dieses Opfer mit den Gedanken durch: „Mögen wir Vorzüglichkeit erreichen! Mögen wir herrlich werden! Mögen wir wohlgenährt sein!“ So denken auch die Menschen, wenn sie ein Opfer durchführen: „Mögen wir Vorzüglichkeit erreichen! Mögen wir herrlich werden! Mögen wir wohlgenährt sein!“ Die Götter sprachen: „Wer von uns durch die Askese, Geduld, Vertrauen, Opfer und Hingabe zuerst das Ende des Opfers erreicht, der soll unter uns der Vorzüglichste sein und uns gemeinsam erheben.“ Darauf beschlossen sie: „So sei es!“ Vishnu erreichte zuerst das Ziel und wurde zum Vorzüglichsten unter allen Göttern. Daher sagen die Leute: „Vishnu ist der Beste aller Götter.“ Seitdem ist Vishnu das Opfer, und das Opfer ist wie eine Sonne. Doch Vishnu wollte nicht alle gemeinsam erheben, und so konnte er seine eigene Herrlichkeit nicht beherrschen. Seitdem kann niemand seine persönliche Herrlichkeit beherrschen. Er ergriff seinen Bogen mit drei Pfeilen und trat hervor. Dann stand er stolz und stützte seinen Kopf auf das Ende des gespannten Bogens. Die Götter fürchteten ihn und setzten sich um ihn herum nieder. Da näherten sich einige Ameisen und sprachen zu den Göttern: „Was würdet ihr denen geben, welche die Bogensehne durchnagen?“ Und die Götter antworteten: „Wir würden ihnen das Glück von beständiger Nahrung geben und daß sie immer genügend Wasser finden, selbst in der Wüste. So gewähren wir alle Freuden der Ernährung.“ Da sprachen die Ameisen „So sei es!“, näherten sich ihm und nagten die Bogensehne durch. Als sie durchtrennt war, schnellte der Bogen mit großer Kraft auseinander und schlug den Kopf von Vishnu ab. Der Kopf flog mit lautem Geräusch davon und wurde zur weit entfernten Sonne. Der Rest vom Körper fiel in Richtung Osten. Da sprachen die Götter „Wahrlich, unser großer Held ist gefallen!“, und fingen den ausfließenden Saft mit ihren Händen auf. Daher bekam der Mahavira Topf seinen Namen. Dann eilten die Götter herbei, gerade wie Menschen, die sich eifrig Gewinn sichern wollen. Indra erreichte ihn als Erster. Er ging nach und nach in all seine Glieder ein und erfüllte sie. Und wie er ihn umfaßte, erhielt er seine Herrlichkeit. Wahrlich, wer dies erkennt, der erhält ebensolche Herrlichkeit wie Indra. Weil Vishnu wie Makha (das Opfer) war, wurde Indra zu Makhavat (Opferträger). Deshalb wird Indra auch Maghavat genannt, denn die Götter lieben die Mystik. Dann gaben sie den Ameisen das Glück beständiger Nahrung durch das Wasser. Denn wahrlich, jede Nahrung ist Wasser, denn sie entsteht aus dem Wasser, was man auch immer verspeist.
Als nächstes teilten sie das Opfer, also Vishnu, unter sich in drei Teile auf: Die Vasus erhielten die Essenz des Morgens, die Rudras die vom Mittag, die Adityas die dritte Essenz. Ebenso Agni und Gayatri die Essenz des Morgens, Indra und Trishtubh die des Mittags und die Viswadevas und Gagati die dritte Essenz. Und die Götter fuhren fort, sich eifrig um den kopflosen Rumpf zu bemühen und ihn zu verehren.
Rishi Dadhyank wußte um die reine Essenz des Opfers, und wie der Kopf wieder zurückgeholt und das Opfer vollkommen sein könnte. Doch Indra sprach zu ihm: „Wenn du irgend jemandem dieses Geheimnis verrätst, schlage ich dir den Kopf ab.“ Das hörten die Aswins und verstanden: „Wahrlich, Dadhyank kennt die reine Essenz, das wahre Opfer, und weiß, wie man den Kopf zurückbringen und das Opfer vollenden kann.“ Sie gingen zum Rishi und sprachen: „Wir beide möchten deine Schüler werden.“ Er fragte sie: „Was möchtet ihr lernen?“ Sie erwiderten: „Die reine Essenz, das wahre Opfer, wie man den Kopf zurückbringen und das Opfer vollenden kann.“ Doch er entgegnete: „Indra hat mir gesagt, wenn ich das jemanden lehre, wird er mir den Kopf abschlagen. Ich befürchte, daß er dies wahrmacht, und so kann ich euch nicht als Schüler annehmen.“ Doch sie sagten: „Wir beide werden dich vor ihm beschützen.“ „Wie wollt ihr das schaffen?“, fragte er. Und sie sprachen: „Wenn du uns als Schüler annimmst, werden wir deinen Kopf abschneiden und ihn sicher verwahren. Dann besorgen wir uns den Kopf eines Pferdes, setzen ihn dir auf, und du wirst uns lehren. Wenn dann Indra kommt und dir den Pferdekopf abschlägt, nehmen wir deinen eigenen und setzen ihn dir wieder auf.“ Der Rishi war einverstanden und sprach: „So sei es.“ ...
Und es geschah, wie geplant. Und darum wird zu den Aswins gesagt (Rigveda irgendwo): „Der Rishi Dadhyank mit dem Pferdkopf lehrte euch beide das nektarsüße Geheimnis.“ Damit ist gemeint, daß er ohne Zurückhaltung lehrte. Denn man darf solch Geheimnis nicht jeden lehren, das wäre sündig, und Indra würde einem den Kopf abschlagen. Man sollte deshalb nur einen belehren, den man gut kennt, der die heiligen Lehren studiert hat, den man schätzt, und der als Schüler bei einem für mindestens ein Jahr gelebt hat. (... an dieser Stelle kommen die Regeln für das Lehren und Empfangen der Lehre, z.B. Lehm abstechen und formen... Unter anderem muß man sprechen:) „Oh göttlicher Himmel und göttliche Erde“, denn als dem Opfer der Kopf abgetrennt wurde, da floß sein Saft davon und trat in Himmel und Erde ein. Der Lehm ist fest und steht für die Erde, das Wasser formt den Lehm und steht für den Himmel, und so bilden Lehm und Wasser den Topf Mahavira. Mit dem Saft wird das Opfer vollendet.
(... weitere Beschreibung der Zeremonie – jeder Satz, den man spricht, wird mit einem Teil der Geschichte begründet – schließlich stellen die beiden Aswins den Kopf des Opfers wieder her und es heißt:)
Honig für die beiden Liebhaber des Honigs, Honig für die zwei, die sich nach Honig sehnen. Denn Rishi Dadhanyak lehrte den beiden Aswins das wahrhaft göttliche Wissen namens Madhu (Honig bzw. Nektar).)