Pushpak Bhagavata Purana Buch 11Zurück WeiterNews

11.10. Die freie und die gebundene Seele

Der Höchste Herr sprach:
Oh Uddhava, eine Seele, die frei von Verlangen ist und Zuflucht bei mir sucht, sollte das bewährte System der Kasten und Lebensweisen praktizieren und gewissenhaft die entsprechenden Aufgaben erfüllen, über die ich gesprochen habe. Denn eine gereinigte Seele wird erkennen, daß alle Bemühungen verkörperter Seelen, die sich auf das sinnliche Ichbewußtsein richten und die materiellen Qualitäten für wahr halten, zum Scheitern verurteilt sind. So wie die sinnlichen Dinge, die der Denkende in seinem Schlaf oder seiner Fantasie sieht, nicht verläßlich sind, so ist auch die Intelligenz nicht verläßlich, wenn sie von den Sinnen geleitet wird, die der Vielfalt äußerer Objekte folgen. Durch Hingabe zu mir, gibt man sein persönliches Handeln im Verlangen nach den Früchten (Pravritti) auf und folgt dem Nichthandeln ohne Anhaftung (Nivritti). Denn wer ganz in der Selbsterkenntnis vertieft ist, wird nicht mehr an die Karma-Gesetze weltlicher Tätigkeit gebunden. So sollte man voller Hingabe zu mir beständig den Yoga-Weg gehen und entsprechende Zügelung so gut wie möglich respektieren, ebenso wie einen selbstzufriedenen geistigen Lehrer, der mich erkannt hat und mit mir identisch ist. Auf diese Weise sollte man demütig ohne überheblichen Stolz und Eifersucht leben, achtsam, uneigennützig, freundlich, beständig, gelassen, offen und frei von Bosheit und leerem Geschwätz. Und mit gleichmütiger Sicht auf Ehepartner, Kinder, Haus, Land, Verwandte, Reichtum und dergleichen sollte man sich selbst in allen anderen erkennen.

Die Seele ist der selbsterleuchtete Seher, der sich vom grobstofflichen und feinstofflichen Körper unterscheidet, genauso wie sich das Licht vom Feuer und vom Brennholz unterscheidet. Wie das Feuer in verschiedenen Qualitäten entzündet, unentzündet, groß oder klein erscheint, so gibt es auch die Qualitäten des materiellen Körpers, die von der Höchsten Seele angenommen werden, die darin wohnt. Dieser Körper, der aus den natürlichen Qualitäten durch den Höchsten Geist (Purusha) gestaltet wurde, bindet das Lebewesen an eine körperliche Existenz, von der man sich durch die Erkenntnis der Höchsten Seele (bzw. Selbsterkenntnis) lösen kann. Deshalb sollte man sich durch Erkenntnisgewinn mit der reinen transzendentalen Höchsten Seele wieder vereinen, die sich in einem selbst befindet, und allmählich das Konzept der materiellen objektiven Realität aufgeben. Der geistige Lehrer kann mit einer Reibefläche verglichen werden, der Schüler mit dem Streichholz, die Lehre mit dem Schwefel, die Erkenntnis mit dem Feuer und die Glückseligkeit mit dem Licht. Die reine Intelligenz der Vernunft vertreibt die Illusion, die von den natürlichen Eigenschaften stammt, und so findet man die Zufriedenheit, wie ein Feuer, dessen Brennstoff verbraucht ist.

Doch solange man vom Karma beherrscht wird und darin seinen Genuß sucht, gibt es natürlich die ewige Dualität von Glück und Leid, Zeit und Ort, Sein und Nichtsein. Solange man die Materie für beständig und vollständig hält, wird die Intelligenz von all den verschiedenen Formen und Veränderungen beherrscht, die dazu gehören. Alle Lebewesen, die so denken, werden immer wieder geboren, altern und sterben, denn durch die Verbindung mit einer Form ist man an die Gestaltung der Zeit gebunden. Darin kann man deutlich die Abhängigkeit erkennen, wenn man vom Karma beherrscht wird, sowie das Glück und Leid, das ein solcher Genießer erfahren muß. Wie könnte er jemals etwas Beständiges erwarten? Unter den verkörperten Wesen ist weder der Dumme noch der Weise immer nur glücklich. Immer glücklich sein zu wollen, ist ein nutzloses Unterfangen und in der Tat etwas höchst Egoistisches. Selbst wenn es gelingt, Glück zu erlangen und der Not zu entkommen, hat man immer noch keine direkte Yoga-Erkenntnis (der Einheit bzw. Ganzheitlichkeit), durch die der Tod seine Macht verliert. Welche Garantie für weltliches Glück könnte eine weltliche Erfahrung oder irgendein Ding einer Person geben? Durch den drohenden Tod kann nichts befriedigen, wie bei einem Verurteilten, der zum Richtplatz geführt wird. Denn alles, was wir über den Himmel hören oder auf Erden erfahren, wird durch Gegensätze, Zweifel, Verfall und Tod verdorben. Ähnlich wie in der Landwirtschaft viele Hindernisse im Weg stehen (wie Unwetter, Krankheiten, Ungeziefer usw.), so ist es sinnlos, sich nach vollkommenem weltlichem Glück zu sehnen. Auch wenn es einem gelingt, das eigene Dharma der Tugend und Gerechtigkeit vollkommen zu verwirklichen, ohne von Hindernissen gestört zu werden, wird selbst dieser Status nicht ewig andauern. Bitte höre dir daher folgendes an:

Nachdem der Handelnde auf Erden die Götter mit Opfern verehrt hat, geht er in die himmlischen Welten, wo er wie ein Gott die himmlischen Freuden genießen kann, die er damit erlangt hat. Er fährt in strahlenden himmlischen Wagen, die er aufgrund seines angehäuften Verdienstes gewonnen hat, umgeben von himmlischen Apsaras, die bezaubernde Kleider tragen, und genießt es, von den Gandharva-Sängern des Himmels verherrlicht zu werden. Umringt von Glockenklängen fährt er mit den himmlischen Damen seiner Begierde entgegen. Aber während er sich gemütlich in den Lustgärten der Götter entspannt, hat er in seiner Wonne kein Bewußtsein für seinen Untergang. Und nachdem er lange den Himmel genossen hat, bis seine guten Verdienste erschöpft sind, fällt er gegen seinen Willen durch die unerbittliche Macht der Zeit wieder aus dem Himmel herab.

Wer dagegen aufgrund seiner weltlichen Verstrickung gegen das Dharma handelt, seine Sinne nicht beherrscht, als erbärmlicher und gieriger Schürzenjäger lebt, Gewalt gegen andere Lebewesen ausübt, Tiere gegen die Regeln tötet und die Horden der Gespenster und Geister verehrt, wird nach seinem Tod hilflos in die tiefste Finsternis der höllischen Welten fallen. Danach wird er entsprechend seiner Taten wieder einen materiellen Körper annehmen müssen, um weiteres Karma anzusammeln, das ihm in Zukunft noch größeren Kummer bereitet. Welches Glück könnte jemand finden, der an weltlichen Taten anhaftet, die unweigerlich zum Tod führen? In allen Welten existiert sogar unter ihren Führern eine Angst vor Mir (in Form der Zeit). Sogar jene Hochbeseelten, die über das ganze Kalpa (des Schöpfungstages) leben, fürchten mich, ja sogar Brahma, der Schöpfergott selbst, der über zwei Parardhas lebt (2x50 Jahre mit jeweils 360 Kalpas). Doch die körperlichen Sinne, die durch die natürlichen Eigenschaften stimuliert werden, treiben zum Handeln, und die individuelle Seele (Jiva), die völlig von den körperlichen Sinnen und ihren Objekten beherrscht wird, muß die entsprechenden karmischen Konsequenzen erfahren. Solange es die gegensätzlichen natürlichen Eigenschaften gibt, wird es auch die verschiedenen Verkörperungen der Seele geben. Und solange es diese verschiedenen Seelenzustände gibt, wird es auch karmische Abhängigkeiten geben. Und solange man von dieser Abhängigkeit nicht frei ist, wird man sich vor dem Herrn und Regenten (der Zeit) ängstigen müssen. Wer sich an diesen (karmischen Bindungen) erfreut, wird verwirrt und immer voller Kummer sein. So bezeichnet man Mich nach den jeweiligen Wechselwirkungen der natürlichen Eigenschaften ganz unterschiedlich als Zeit, Höchste Seele, Vedisches Wissen, Universum, Natur oder auch Dharma.

Darauf sprach Uddhava:
Oh Höchster Herr, du sagst: „Obwohl der Verkörperte inmitten der natürlichen Eigenschaften gegenwärtig ist, ist er nicht notwendigerweise daran gebunden, was unaufhörlich durch den materiellen Körper auf ihn einwirkt.“ Doch wie kann es passieren, daß eine freie Seele in den Griff der natürlichen Eigenschaften gerät, oh Allmächtiger? Wie sollte man sich verhalten, erfreuen, ernähren, entleeren, hinlegen oder niedersetzen? Bitte erkläre mir, was ich dich frage, oh Unfehlbarer und Bester, der alle Fragen beantworten kann. Diese Gleichzeitigkeit von ewiger Bindung und ewiger Befreiung verwirrt mich sehr.


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