König Parikshit fragte:
Wie konnte der Dämon Vritra mit einem Wesen aus Leidenschaft und Unwissenheit (Rajas und Tamas), aus dem man eigentlich viel Sünde vermuten würde, ein so großes Vertrauen zu Narayana als Höchsten Geist entwickeln? Selbst bei den Göttern, deren Wesen von Güte geprägt ist, und den Heiligen mit gereinigter Seele kann man nur selten so eine große Hingabe zu den Lotusfüßen von Mukunda sehen, dem Herrn der Befreiung. In dieser materiellen Welt gibt es so viele Lebewesen wie Atome, doch nur wenige von ihnen sind menschlich oder menschenähnlich, und von ihnen wiederum handeln nur wenige auf heilsame Weise. Oh Bester der Zweifachgeborenen, man sieht auch, daß von denen, die an Befreiung glauben, nur wenige nach Befreiung suchen, und von denen erreicht vielleicht nur einer unter Tausend die Befreiung. Oh großer Weiser, selbst unter diesen Befreiten, die Vollkommenheit gefunden haben, ist nur sehr selten einer, der Narayana als Höchsten Herrn verehrt und damit einen vollkommen friedlichen Geist findet. Wenn diese so selten sind, wie konnte Vritra, der sich aus Zorn verkörpert hatte und viel Leiden für die Welt bedeutete, in diesem leidenschaftlichen Kampf so beständiges Vertrauen zu Krishna haben? Diesbezüglich hege ich große Zweifel und möchte gern von dir hören, oh Meister, wie er dem Tausendäugigen im Kampf mit seiner Tapferkeit und Stärke beeindrucken konnte.
Der Suta fuhr fort (im Naimisha-Wald):
Nachdem der mächtige Sohn von Vyasa diese Frage des hingebungsvollen Parikshit gehört hatte, freute er sich über die Tiefgründigkeit und erklärte ihm folgendes.
Und Suka sprach:
Oh König, höre achtsam die Geschichte, die ich aus dem Mund von Vyasa, Narada und Devala gehört habe. Es war einmal ein König der Könige der ganzen Erde, der in Surasena lebte und Chitraketu hieß. Während seiner Herrschaft gab die Erde alles, was man sich nur wünschen konnte. Er hatte tausende Ehefrauen, doch keine von ihnen gebar dem König ein Kind, obwohl sie alle fruchtbar waren. So spürte er trotz aller Herrlichkeit, Gelehrtheit, Großmut, Adel, Reichtum, Wohlergehen und sonstigen guten Eigenschaften, mit denen er gesegnet war, eine gewisse Angst, in seiner Rolle als Ehemann zu versagen. Damit wurde sein Glück als Herrscher der Erde im Kreise seiner wunderschönen Frauen und inmitten von größtem Reichtum überaus getrübt. Doch eines Tages erschien in seinem Palast unerwartet Angiras, der mächtige Weise, der in der Welt umherwanderte. Voller Respekt erhob sich der König von seinem Thron und brachte dem Gast der Tradition gemäß jegliche Verehrung dar. Und nachdem er seine Gastfreundschaft erwiesen hatte, bot er ihm einen bequemen Sitz an und setzte sich in angemessener Selbstbeherrschung daneben. Daraufhin verneigte sich der große Weise, lobte den König, der in aller Demut neben ihm auf dem Boden saß, und befragte ihn wie folgt.
Angiras sprach:
Ist alles in Ordnung mit deiner Gesundheit, dem Staat und der Königsherrschaft, die den sieben natürlichen Prinzipien gleichen (fünf körperliche Elemente, Ichbewußtsein und universale Intelligenz), die das Lebewesen beschützen? Unter diesen natürlichen Prinzipien (der Prakriti) kann man höchstes Glück erreichen, und sie können allen Reichtum gewähren. Folgen deine Frauen, Bürger, Minister, Soldaten, Diener, Kaufleute und Verwandten deinen Entscheidungen (der Intelligenz bzw. Vernunft als König)? Soweit der Geist davon beherrscht wird, werden alle Untertanen zusammenarbeiten, und die Schutzgötter der Himmelsrichtungen geben ihren Segen dazu. Doch die Angst, die aus deinem blassen Gesicht spricht, sagt mir, daß du besorgt bist und aus irgendeinem Grund nicht glücklich sein kannst.
Als König Chitraketu auf diese Weise vom allwissenden Heiligen befragt wurde, verneigte er sich voller Demut und antwortete:
Oh Hochbeseelter, was könnten Yogis, die durch Entsagung, Erkenntnis und Meditation von jeglicher Sünde befreit wurden, über die inneren und äußeren Probleme verkörperter Seelen nicht wissen? Obwohl du allwissend bist, fragst du mich nach meinen Sorgen, oh Brahmane. Doch weil du mich gefragt hast, so will ich dir antworten. Dieses große Königreich, das selbst für Götter wünschenswert wäre, bringt mir mit allem Reichtum kein Glück, weil ich keinen Sohn habe. So lebe ich, als würde man versuchen, den Hunger und Durst mit allem anderen außer Essen und Trinken zu stillen. Oh großer Weiser, hilf mir bitte, damit meine Vorfahren und ich selbst nicht in der Dunkelheit des Nichtseins verlorengehen. Bitte hilf mir, einen Sohn zu bekommen, um diese bedrohliche Gefahr zu besiegen, die so schwer zu besiegen ist.
Als der Weise diese Bitte des Königs vernommen hatte, ließ ihn der mächtige und barmherzige Sohn von Brahma eine Zubereitung aus süßem Reis kochen, die er dann Twashtri widmete und damit den Gott verehrte (den göttlichen Vater von Vishvarupa). Danach gab er die Reste des Opfers der ersten und besten aller Königinnen namens Kritadyuti zu essen und sprach zum König:
Oh König, damit wird ein Sohn geboren werden, der für dich die Ursache für Jubel und auch Klage sein wird.
So sprach der Sohn von Brahma und verschwand. Und nicht lange, nachdem Kritadyuti die Opferspeise gegessen hatte, wurde sie von Chitraketu schwanger, wie die himmlischen Krittikas einen Sohn von Agni empfingen. Und der Fötus entwickelte sich durch den Samen des Königs von Surasena, wie der Mond in der heller werdenden Monatshälfte. So wurde zur rechten Zeit ein Sohn geboren, über den sich alle Bewohner von Surasena überaus freuten. Auch der König war höchst glücklich über seinen neugeborenen Sohn, badete und schmückte sich mit Ornamenten und beauftragte die Brahmanen, die Geburtszeremonie mit vielen Segnungen durchzuführen. Danach spendete er den Brahmanen Gold, Silber, Gewänder und Ornamente sowie Dörfer, Pferde, Elefanten und sechzig Millionen Kühe. Um den Segen, den Ruf und die Langlebigkeit seines Sohnes zu erhöhen, ließ er mit ganzer Hingabe alle gewünschten Dinge wie aus einer Regenwolke herabströmen. Wie ein Armer, der sich lange Zeit nach Reichtum sehnte und sein Ziel mit großen Entbehrungen erreichte, empfand der fromme König Tag für Tag mehr Liebe für seinen Sohn, den er nach großen Entbehrungen erhalten hatte. Auch die Mutter entwickelte in ihrer Unwissenheit eine übermäßige Zuneigung zu ihrem Sohn, und so hegten bald alle anderen Ehefrauen eine fieberhafte Begierde, ebenfalls Söhne zu gebären. Doch wie sich König Chitraketu den ganzen Tag um seinen Sohn kümmerte, so kümmerte er sich vor allem auch um die Königin, die ihn geboren hatte, und vernachlässigte die anderen Ehefrauen. So wurden sie doppelt unglücklich, weil sie keine Kinder hatten und dazu noch der Liebe ihres Mannes entbehrten, so daß sie sich beklagten und sich selbst durch ihren Neid verurteilten. Denn eine kinderlose Frau wird zu Hause von ihrem Ehemann und den Ehefrauen mit Kindern weniger respektiert und sogar als sündhaft betrachtet. Irgendwann sieht man nur noch eine Magd in ihr. Was wäre schlecht daran, wenn es ihr eine Ehre wäre, ihrem Ehemann treu zu dienen? Doch wenn sie den anderen Frauen als Magd von Mägden dienen muß, dann wird sie sehr unglücklich. So entwickelten die Königinnen aus dem Feuer des Neides einen starken Haß, weil der König wegen des Sohnes nur noch Kritadyuti liebte und sie selbst mißachtet wurden. Wegen dieser Feindschaft wurden die Frauen, die das Verhalten des Königs nicht akzeptieren konnten, immer hartherziger und gaben dem Jungen schließlich Gift. Kritadyuti, die durch das Haus ging, war sich der Sünde der Ehefrauen nicht bewußt und dachte, daß ihr Sohn nur schläft. Doch als er nicht aufwachen wollte, wurde sie als Mutter unruhig und beauftrage das Kindermädchen: „Bitte, oh Liebe, geh und bring mir meinen Sohn!“ Als diese den Jungen wecken wollte, sah sie ihn mit nach oben gerichteten Augen liegen, und sein Lebensatem, Verstand und Sinne waren verschwunden. Da fiel sie zu Boden und rief: „Ich bin verloren!“ Als die Königin hörte, wie sie sich mit lauten Klagen die Hände auf die Brust schlug, eilte sie selbst herbei und sah, daß ihr Kind unerwartet verstorben war. Sogleich wurde sie vom Kummer überwältigt, schrie laut auf und fiel mit aufgelösten Haaren hilflos zu Boden. Da liefen alle Bewohner des Palastes zusammen, die das laute Klagen gehört hatten, und waren höchst betrübt, sogar jene, die das Verbrechen begangen hatten.
Als der König hörte, daß sein Sohn gestorben war, schwand ihm das Augenlicht, und er wankte und stolperte an der Spitze seines Gefolges von Ministern und Brahmanen auf dem Weg zu dem toten Jungen. Dort überwältigte ihn der Kummer, und auch er fiel hilflos zu Boden. Er atmete schwer mit zerzausten Haaren und Kleidern und war aufgrund seiner erstickten Stimme und den vielen Tränen nicht fähig, irgendein Wort zu sagen. So weinten König und Königin in großer Trauer über ihr verstorbenes Kind, den einzigen Sohn der Familie, und die angstvolle Trauer verbreitete sich unter allen anderen Menschen, die sich dort versammelt hatten, einschließlich der Minister und Generäle. Die Blüten im Haar der Königin fielen herab, und ihre mit Sandelpaste verschönerten Brüste wurden von Tränen überschwemmt, die mit der Schminke ihrer Augen vermischt waren. Dann beklagten König und Königin ihren Sohn, wie die Angstrufe der Kurari-Vögel, und riefen immer wieder:
Oh Schöpfergott, wie ungerecht bist du! Du läßt die Kinder vor ihren Eltern sterben und behinderst damit deine eigene Schöpfung. Warum bist du ein Feind deiner eigenen Geschöpfe? Wenn es keine Ordnung in Geburt und Tod der verkörperten Seelen gibt, wie soll sich das Karma entfalten? Du schneidest das Band der Liebe durch, das du selbst für das Wachstum der Schöpfung geschaffen hast. Und auch du, geliebter Sohn, solltest uns nicht verlassen und deine Eltern elend und schutzlos zurücklassen. Nur mit dir können wir der Dunkelheit des Nichtseins entgehen, die ohne Kinder schwer zu überwinden ist. Bitte verlaß uns nicht, und folge nicht unbarmherzig dem Herrn des Todes. Steh auf, geliebter Sohn, alle deine Spielkameraden rufen dich, um mit dir zu spielen, oh Prinz! Du hast solange geschlafen und mußt jetzt hungrig sein. Bitte nimm die Brust deiner Mutter zum Trinken und vertreibe den Kummer deiner Eltern. Welches Unglück, das liebliche Lächeln von dir, unserem Stammhalter, nicht mehr zu sehen! Hast du wirklich deine Lotusaugen für immer geschlossen und diese Welt unwiderruflich verlassen? Wurdest du von den grausamen Dienern des Todes davongetragen? Ach, wir können deine süße Stimme nicht mehr hören...
So weinten König und Königin über ihren toten Sohn, und in das laute Wehklagen stimmten alle Gefolgsleute und die Männer und Frauen des ganzen Königreichs mit ein. Der Heilige Angiras erkannte ihre Trauer, in der sie jeden Sinn verloren und ganz hilflos wurden, und besuchte daraufhin den König zusammen mit dem Heiligen Narada.