Pushpak Bhagavata Purana Buch 6Zurück WeiterNews

Buch 6 - Das Dharma der Menschheit

6.1. Dharma und Adharma - Das Leben von Ajamila

König Parikshit sprach:
Oh Verehrter, zu Beginn (des zweiten Buches) hast du den Weg der Befreiung durch die Entsagung von den Früchten des Handelns (Nivritti bzw. Nichthandeln) zum Höchsten Geist des Brahman erklärt, so daß man sich durch Yoga-Übung allmählich aus dem Kreislauf der körperlichen Geburten lösen kann. Oh Weiser, solange der Geist nach den Früchten der Taten greift (Pravritti bzw. Handeln) und an den drei natürlichen Grundqualitäten anhaftet, wird man in den Schlingen der körperlichen Welten gefangen, wo sich die Gestaltungen ständig wandeln. Dazu hast du mir die Entwicklung der Welt vom ersten Manu Swayambhuva, dem geistgeborenen Sohn von Brahma, bis zu den schrecklichen Höllen beschrieben, die zu den verschiedenen Arten von Adharma der Untugend und Ungerechtigkeit gehören. Zu dieser Beschreibung gehörte das Wesen der Stämme von Priyavrata und Uttanapada, der verschiedenen Inselkontinente (Dvipas), der Länder (Varshas), der Ozeane, Berge, Flüsse, Gärten und Bäume der irdischen Welt sowie die Merkmale und Größen der Erde, der himmlischen Leuchtkörper und Ober- und Unterwelten, die vom allmächtigen Herrn verkörpert wurden. So bitte ich dich jetzt, oh Glückseliger, erkläre mir auch, was ein Mensch in dieser Welt tun muß, um nicht in die Hölle zu fallen und diese schrecklichen Leiden zu erleben.

Darauf antwortete Shri Suka:
Wer in seinem Leben die Reinigung von der Sünde versäumt, die er durch Körper, Rede und Gedanken angesammelt hat, wird zweifellos nach dem Tod in eine entsprechende Hölle fallen und schreckliches Leiden erfahren. Deshalb sollte man sich im Leben, noch bevor der Körper alt und schwach wird, so schnell wie möglich darum bemühen, seine Sünden zu erkennen und mit angemessener Buße zu sühnen, wie ein erfahrener Arzt eine Krankheit erkennt und entsprechende Heilmittel anwendet.

Da fragte der König:
Was ist der Wert der Buße, wenn man sich nicht beherrschen kann, obwohl man hört, sieht und weiß, wie unheilsam es ist, gegen das Dharma zu handeln? Einige Zeit halte ich mich von der Sünde zurück, doch dann sündige ich wieder. Solche Buße halte ich für ziemlich nutzlos. Sie gleicht einem Elefanten, der sich nach dem Baden wieder immer Staub wälzt.

Und der Sohn von Vyasa antwortete:
Solange man sündhaften Taten mit verdienstvollen Taten entgegenwirkt, gibt es wirklich kein Ende der Taten (bzw. des Karmas), weil es an wahrer Erkenntnis mangelt. Nur damit läßt sich die Sünde grundlegend beseitigen. Wie man durch gesunde Ernährung gesünder lebt, so wird man auch durch Selbstbeherrschung mehr Wohlergehen und Glück erleben. Durch aufrechte Buße, Entsagung, Gleichmut, Sinneszügelung, Opfer, Ehrlichkeit, innere und äußere Reinigung, Gewaltlosigkeit und Mitgefühl können jene, die das Dharma kennen und dem Dharma vertrauen alle Sünden durch Körper, Worte und Gedanken bereinigen, wie schrecklich sie auch waren, so wie das Feuer einen Bambuswald verzehren kann. Doch nur durch die vollkommene Hingabe zum Höchsten Herrn Vasudeva, kann man die Sünde grundlegend vernichten, wie die Sonne den Nebeldunst zerstreut. Keine Buße kann so tiefgründig reinigen, wie die geistige Hingabe zum göttlichen Shri-Krishna, wodurch die Früchte aller Taten der Gottheit gewidmet werden. Diese liebevolle Hingabe zu Narayana ist in dieser Welt der beste und sicherste Weg für die weisen Verehrer, die allen Wesen freundlich sind. Ohne die Hingabe zur Gottheit können die vielfältigen Sünden durch Buße niemals erschöpft werden, wie man die Flüsse der Welt mit einem Weinbecher nicht ausschöpfen kann. Nur wer sich den Lotusfüßen von Krishna (dem „Dunklen“ bzw. „Unwissbaren“) vollkommen hingibt, kann die Sünde an der Wurzel vernichten, und mit Ihm vereint wird man den Gehilfen von Yama mit der Schlinge des Todes entgehen. Zu diesem Thema wird beispielhaft eine alte Geschichte über ein Gespräch zwischen den Gehilfen von Vishnu und Yama erzählt. Höre mir achtsam zu:

In der Stadt Kanyakubja gab es einen Brahmanen namens Ajamila, der eine Ehefrau aus der Dienerkaste heiratete, durch diese Bindung in Verwirrung fiel und sich nicht mehr um das Dharma bemühte. Er verlor sich in unheilsame Taten, indem er Menschen einsperrte, ausraubte und betrog. Damit unterhielt er seine Familie auf sehr sündhafte Weise und verursachte anderen viel Leid. Oh König, so erzog er auch seine Söhne und verbrachte die 88 Jahre seines Lebens. Er hatte zehn Söhne, und der jüngste war Vater und Mutter am liebsten und wurde Narayana genannt. Der kleine Junge war die Augenfreude der Eltern, und der alternde Vater genoß das Plappern und Spielen seines Sohnes. Wenn er aß, trank und kaute, neigte er sich voller Liebe seinem Kind zu, fütterte den Kleinen und gab ihm zu trinken. In seiner Vernarrtheit bemerkte er nicht, wie sein Leben verging. Und als die Zeit des Sterbens kam, haftete sein Geist voller Unwissenheit an seinem jüngsten Sohn, der den Namen Narayana trug. Er sah, wie drei schreckliche Gestalten mit verzerrten Gesichtern und abstehenden Haaren auf ihn zukamen, die ihn mit der Schlinge des Todes in der Hand mitnehmen wollten. Voller Angst und mit Tränen in den Augen rief er laut zu seinem Kind, das in der Nähe spielte: „Narayana hilf!“ Oh König, als die Gehilfen von Vishnu den Namen ihres Herrn aus dem Munde des Sterbenden hörten, kamen sie sofort herbei. Und als die Gehilfen von Yama den sterbenden Ajamila aus den Armen seiner Ehefrau wegziehen wollten, protestierten die Gehilfen von Vishnu mit lauter Stimme, und die Gehilfen Yamas fragten:

Wer seid ihr, daß ihr euch der Autorität von Yama, dem König des Dharmas der Tugend und Gerechtigkeit, widersetzen wollt? Wessen Gehilfen seid ihr? Woher kommt ihr? Warum seid ihr hier erschienen und wollt uns aufhalten? Gehört ihr zu den Göttern, Himmlischen oder heiligen Siddhas? Ihr erscheint mit Lotusaugen, gelben Kleidern, Kronen, glitzernden Ohrringen und Blumengirlanden. Wir sehen euch jung und schön mit vier Armen und mit Bögen, Pfeilköchern, Schwertern, Keulen, Muschelhörnern, Disken und Lotusblüten. Eure Herrlichkeit läßt alle Himmelsrichtungen erstrahlen. Aus welchem Grund behindert ihr uns, die Gehilfen des Dharma-Beschützers?

So wurden die Gehilfen Vishnus, die dem Gebot der Gottheit folgen, von den Gehilfen Yamas angesprochen, und sie sprachen lächelnd und mit einer Stimme, wie das Rollen von Gewitterwolken:
Wenn ihr wirklich die Gehilfen vom König des Dharmas seid, dann sagt uns doch einfach, was das Wesentliche von Dharma und Adharma ist. Wie und wo soll die Bestrafung geschehen? Werden alle oder nur einige Menschen bestraft, die nach den Früchten der Taten greifen?

Und die Gehilfen Yamas antworteten:
Wir haben gehört: Das Dharma der Tugend und Gerechtigkeit sind die Gebote der Veden, und was dagegen verstößt, gilt als Adharma. Die Veden sind Narayana selbst und stammen allein von ihm ab. Alles, was sich mit seinen unterscheidbaren Eigenschaften, Namen, Wirkungen und Formen manifestiert, wurde durch Ihn aus dem Ungeschaffenen durch das Wechselspiel der drei natürlichen Grundqualitäten von Güte, Leidenschaft und Trägheit geschaffen. Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde sowie Sonne, Mond, Dämmerungen, Tag und Nacht gelten als die Zeugen des Dharmas für die Lebewesen. All diese Zeugen erkennen das Adharma (der Untugend und Ungerechtigkeit) und bestimmen den Ort für die Bestrafung bezüglich der karmischen Taten der Sünder, die Strafe verdienen.

Oh ihr Sündlosen, keine verkörperte Seele kann ohne zu handeln leben, doch sobald sie unter dem Einfluß der natürlichen Qualitäten nach den Früchten ihrer Taten greift, sammelt sie das Karma von Verdienst oder das Gegenteil davon (als Sünde) an. Und diese Ansammlung durch Taten im Sinne von Dharma und Adharma im Leben (in Form von Verdienst und Sünde) verursacht das entsprechende Glück und Leid im kommenden Leben. Oh ihr Göttlichen, wie man hier im Leben die Auswirkungen der natürlichen Grundqualitäten (von Sattwa, Rajas und Tamas bzw. Güte, Leidenschaft und Trägheit) erfährt, so kann man auch erwarten, daß man anderswo ähnliche Erfahrungen macht. Wie die Gegenwart die Merkmale trägt, die von der Vergangenheit bestimmt wurden und die Zukunft bestimmen werden, so zeigt auch die gegenwärtige Geburt eines Menschen an, was er im Sinne von Dharma und Adharma getan hat und tun wird. Unser Gott (Yama) ist ein großer Herr, so mächtig wie Brahma, der in seinem Reich vor seinem geistigen Auge die Gestaltung erkennt, die man angenommen hatte, und wie sie sich in Zukunft gestalten wird.

Wie jemand, der morgens erwacht, den vergangenen Traum vergessen hat und auch nicht weiß, was er als nächstes träumen wird, so ist man sich auch des Lebens davor und danach nicht bewußt. Mit den fünf Handlungsorganen, den fünf Sinnesorganen und den fünf Sinnesobjekten verfolgt man seine Ziele durch das 16. Prinzip des ichhaften Denkens. Doch im Grunde ist man selbst das 17. Prinzip (die universale Intelligenz), das sich an der dreifachen Natur der Wirklichkeit erfreut. Mit dem feinstofflichen Körper aus den 16 Prinzipien wird ein Lebewesen durch die Kraft der drei natürlichen Grundprinzipien zu wiederholten Geburten gedrängt, in denen es Glück und Leid mit Angst und Sorgen erlebt. Die verkörperte Seele, der es an reinem Bewußtsein mangelt, wird von den Sinnen und Gedanken beherrscht und durch persönliche bzw. ichhafte Interessen auch gegen ihren vernünftigen Willen zum Handeln gezwungen. Durch diese Verwirrung webt sie sich - wie eine Seidenraupe den Kokon - den Körper ihres eigenen bzw. persönlichen Karmas. Und so ein verkörpertes Wesen kann nicht existieren, ohne etwas zu tun, nicht einmal einen winzigen Moment lang. Es wird durch die drei natürlichen Qualitäten automatisch zu fruchtbaren Taten gezwungen, die der eigenen Natur entsprechen. Aufgrund der potentiellen Ursachen (dem Karma) und der natürlichen Gestaltungskraft bekommt der feinstoffliche Körper durch den väterlichen Samen im Mutterleib seine entsprechende grobstoffliche Existenz. Aufgrund der (ichhaften) Identifizierung mit der körperlichen Natur fällt das Lebewesen in unangenehme Zustände. Doch sobald es die Einheit mit dem Höchsten Herrn erkennt, wird dieses Problem überwunden.

Der Brahmane Ajamila war in den Veden wohlgelehrt und hatte einen guten Charakter, gutes Benehmen und gute Eigenschaften. Er war freundlich, gewissenhaft, selbstbeherrscht, ehrlich, seinen Gelübden treu und ein Kenner der Mantras. Er war ordentlich, reinlich, hingebungsvoll im Dienst an den Lehrern, dem Feuergott, den Gästen und Verwandten, frei von Egoismus, mitfühlend mit allen Wesen, wahrhaftig, freigebig und redegewandt. Doch eines Tages ging dieser Brahmane auf Wunsch seines Vaters in den Wald, um Früchte, Blumen, Kusha-Gras und Feuerholz zu sammeln. Auf dem Rückweg sah er einen wollüstigen Shudra (aus der Dienerkaste), der mit einem schamlosen Mädchen aus seiner Kaste viel Wein getrunken hatte, so daß ihre Augen im Rausch hin- und her rollten. Im wilden Rausch war ihr Kleid herabgerutscht, und er saß schamlos an ihrer Seite, und sie vergnügten sich mit Gesang und Gelächter. Als Ajamila das sinnliche Mädchen in den Kurkuma-verzierten Armen des lüsternen Shudras sah, erwachte plötzlich die Liebeslust in seinem Herzen, und er fiel der Verwirrung zum Opfer. Er versuchte zwar, sich an die Lehren zu erinnern und die Selbstbeherrschung wiederzugewinnen, doch die Liebeslust erfüllte ihn, und er konnte seinen Geist nicht mehr zügeln. Vom sinnlichen Anblick überwältigt, verdunkelte sich seine Vernunft wie die Sonne während einer Sonnenfinsternis. Die Gedanken drehten sich nur noch um das sinnliche Mädchen, und er vergaß das Dharma. Er versuchte, mit allem Reichtum, den er von seinem Vater geerbt hatte, ihr zu gefallen und jeden weltlichen Wunsch zu erfüllen, der ihr in den Sinn kam. Seine Gedanken waren vom Anblick des schamlosen Mädchens so ergriffen, daß er in seiner Sünde sogar seine jugendliche Frau aus dem Hause einer angesehenen Brahmanen-Familie aufgab, die er bereits geheiratet hatte. Er zeugte mit dem sinnlichen Shudra-Mädchen viele Kinder, und in seiner Verwirrung beschaffte er das Geld für den Unterhalt seiner Familie mit allen Mitteln ohne Rücksicht auf das Dharma der Tugend und Gerechtigkeit. Weil nun dieser Mann so unheilsam gehandelt und so viele Gebote des Dharmas verletzt hat, während er lange Zeit gottlos in Unreinheit lebte, hat er sich selbst verurteilt. Und weil er seine Sünde nicht gesühnt hat, werden wir ihn vor den König des Dharmas bringen, wo er gerichtet und bestraft wird, um von seiner Sünde gereinigt zu werden.


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