Pushpak Vishnu PuranaZurück WeiterNews

5.7. Krishna und der Nagakönig Kaliya

Parasara fuhr fort:
Eines Tages wanderte Krishna zusammen mit einer Schar Hirtenjungen doch ohne Balarama durch Vrindavana. Sie waren fröhlich und hatten sich mit wilden Blüten geschmückt. Auf ihrem Weg kamen sie bis zur Yamuna, die heiter wogend dahinfloß. Ihr Schaum funkelte wie ein Lächeln, während die Wellen gegen die Ufer schlugen. Doch in einem fürchterlichen See an ihrem Strom hauste die Schlange Kaliya, die ihr Gift wie Feuer versprühte, so daß am Ufer sogar die großen Bäume verdorrten, und durch das Wasser, das der Wind in die Lüfte spritzte, die Vögel starben. Beim Anblick dieses schrecklichen Gewässers, das einem zweiten Rachen des Todes glich, überlegte der Madhu Vernichter:
Sicherlich wohnt die übelgesinnte und giftige Kaliya hier, die von ihm (in Person von Garuda) besiegt wurde und aus dem Ozean fliehen mußte (wo sie einst die Insel Ramanaka bewohnte). Nun versteckt sie sich am Grund dieses Sees und vergiftet das Wasser der Yamuna, dieser Gemahlin des Ozeans, so daß weder Mensch noch Tier seinen Durst mit ihrem Wasser stillen können. Ich sollte diese Naga vertreiben, so daß die Bewohner hier wieder ohne Angst leben können. Denn dafür bin ich auf die Erde herabgekommen, um die Übertreter des Gesetzes in ihre Grenzen zu weisen. So will ich diesen Kadamba Baum am Ufer erklettern und von dort in den See der Schlange springen.

Mit diesem Entschluß band er seine Kleidung zusammen und sprang kühn in den See des Schlangenkönigs. Durch seinen Sprung spritze das Wasser beim Eintauchen weit über das Ufer, und die Bäume wurden durch die Hitze des giftigen Wassers sofort in Brand gesteckt, so daß ringsherum alles in Flammen stand. Nachdem Krishna in den See getaucht war, schlug er seine Hände gegeneinander, und als der Schlangenkönig diesen Lärm hörte, kam er schnell hervor. Seine Augen waren kupferrot, und seine Hauben loderten vom tödlichen Gift. Ihm warteten viele andere starke und giftige Schlangen auf, die von Luft lebten, sowie hunderte Schlangendamen, die mit reichen Juwelen und hell glitzernden Ohrringen geschmückt waren. Sie alle rollten sich um Krishna und bissen ihn mit ihren Zähnen, aus denen feuriges Gift strömte. Als die Begleiter von Krishna sahen, wie ihn im See die Schlangen überfielen, liefen sie schnell ins Dorf, jammerten laut und beklagten sein Schicksal. Sie riefen:
Krishna ist dummerweise in den See der Schlangen gesprungen und wird dort vom Schlangenkönig zu Tode gebissen! Kommt schnell und seht!

Als die Kuhhirten und ihre Ehefrauen mit Yasoda diese Nachricht hörten, traf es sie wie ein Blitz, und vor Angst ganz von Sinnen rannten sie sogleich zum See und riefen: „Oh weh! Wo ist er?“ Yasoda kam nur langsam voran, denn sie stolperte und schwankte in ihrer Angst bei jedem Schritt. Aber Nanda, die Kuhhirten und der unbesiegbare Rama waren schnell an den Ufern der Yamuna, um Krishna zu helfen. Dort erblickten sie ihn scheinbar in der Macht des Schlangenkönigs, wie er von den sich windenden Schlangen umringt wurde und keine Anstrengung unternahm, zu flüchten. Als Nanda seinen Sohn in dieser Lage sah, stand er wie gelähmt, und Yasoda verlor bei diesem Anblick ihr Bewußtsein. Die Frauen der Kuhhirten wurden von Kummer überwältigt, weinten und riefen liebevoll mit vielen Seufzern nach Krishna. Dann sprachen sie:
Laßt uns alle mit Yasoda in diesen schrecklichen See des Schlangenkönigs gehen. Wir können nicht ins Dorf zurückkehren. Was wäre der Tag ohne die Sonne? Was wäre die Nacht ohne den Mond? Was wäre eine Herde von Jungtieren ohne Hirten? Was wäre unser Dorf ohne Krishna? Ohne ihn wollen wir nicht mehr in Gokula leben. Dieser Wald wird alle seine Freuden verlieren und wie ein See ohne Wasser sein. Ohne diesen lotusäugigen Hari wird es selbst im mütterlichen Haus keine Heiterkeit mehr geben. Wie sonderbar ist das! Wie sollten wir als arme Kuhhirten noch gern auf den Weiden leben, wenn wir seine Lotusaugen nicht mehr sehen? Unsere Herzen wurden vom Klang seiner Stimme erobert. Ohne Krishna wollen wir nicht zurückkehren. Seht doch, Freunde! Sogar jetzt, wo er in den Windungen des Schlangenkönigs gefangen ist, strahlt uns sein Gesicht mit einem hellen Lächeln entgegen.

Als Balarama, der kraftvolle Sohn von Rohini, diese Klagen der Frauen hörte und staunend die Angst der Kuhhirten erkannte, wie Nanda gelähmt auf das Gesicht seines Sohnes starrte und Yasoda ohnmächtig war, da sprach er zu Krishna in seinem eigenen Wesen:
Was ist das, oh Gott der Götter! Genug der Sterblichkeit! Weißt du nicht, daß du ewig bist? Du bist das Zentrum der Schöpfung, wie die Nabe in den Speichen eines Rades. Als ein Teil von dir wurde ich als dein älterer Bruder geboren. Um an deinen Freuden als Mensch teilzuhaben, sind auch die Götter unter ähnlichen Verkleidungen herabgestiegen. Sogar die Göttinnen sind zu deinem Vergnügen nach Gokula gekommen. Als der Ewige bist du in dieser Welt erschienen. Weshalb, oh Krishna, ehrst du nicht diese Himmlischen, die als Kuhhirten und ihre Ehefrauen deine Freunde und Verwandten sind? Du hast die Form eines Menschen angenommen und die Streiche der Kinder gezeigt. Jetzt besiege (durch deine himmlische Macht) diese wilde Schlange, auch wenn sie mit tödlichen Giftzähnen bewaffnet ist!

Als er von Balarama so an sein wahres Wesen erinnert wurde, lächelte Krishna freundlich und befreite sich schnell aus den Windungen der Schlangen. Dann ergriff er mit beiden Händen die mittlere Haube ihres Königs, zog sie herunter, setzte seinen Fuß auf ihren Kopf und tanzte darauf im Triumph. Und wo auch immer die Schlange versuchte, einen ihrer vielen Köpfe zu erheben, wurde dieser hinabgedrückt und mußte die Macht der Füße von Krishna ertragen. Unter diesem Tanz von Krishna wurde die Schlange schwach und erbrach bald Blut.

Krishna tanzt auf der Schlange Kaliya.

Als die Schlangendamen die Köpfe und Hälse ihres Herrn so verletzt und das Blut aus seinen Mündern strömen sahen, flehten sie um Gnade und sprachen zum Madhu Vernichter:
Wir erkennen dich, oh Gott der Götter! Du bist der Herrscher von allem. Du bist das höchste Licht. Du bist der Unergründliche, der mächtige Herr, der diese Form des höchsten Lichtes angenommen hat. Die Götter selbst können dich, oh Selbstexistenter, nicht angemessen preisen. Wie sollten wir als Frauen dein Wesen anrufen? Wie sollten wir dich kennen, von dem das riesige Brahma Ei aus Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde nur ein kleiner Teil eines Teils ist? Selbst die größten Weisen haben sich vergebens bemüht, deine ewige Essenz in die Form von Wissen zu bringen. Wir verneigen uns vor all deinen Formen, von der kleinsten bis zur größten. Wir verneigen uns vor dir, dessen Geburt keinen Schöpfer und dessen Ende keinen Zerstörer kennt. Denn du allein bist die Ursache aller Existenzen. Es gibt keinen persönlichen Zorn in dir. Du bist der Beschützer der Welt, und deshalb züchtigst du jetzt Kaliya. Doch höre uns an! Jeder Tugendhafte sollte Frauen voller Mitgefühl begegnen. Denn sogar unwissende Leute behandeln andere Wesen mit Gunst. Deshalb möge der Schöpfer der Weisheit diesem armen Geschöpf gnädig sein. Du bist der Erhalter der Welt, und diese eierlegende Schlange ist dagegen nur mit wenig Kraft begabt. Wenn du sie schlägst, wird sie schnell vergehen. Denn was ist diese schwache Schlange im Vergleich zu dir, in dem das ganze Weltall ruht? Freundschaft und Feindseligkeit hegt man zu Gleich- und Höherrangigen, aber nicht zu so niederen Wesen wie wir. Deshalb sei uns gnädig, oh Herrscher der Welt. Diese unglückliche Schlange ist dem Tode nah. Bitte gib uns als Geschenk deiner Wohltätigkeit unseren Ehemann zurück.

Nach diesen Worten seiner Frauen sprach auch der Nagakönig selbst mit schwacher Stimme und bat wiederholt:
Vergib mir, oh Gott der Götter! Wie soll ich dich ansprechen, der du alle Kraft und Essenz der acht großen Fähigkeiten besitzt und an Energie unvergleichlich bist? Du bist das Höchste und der Schöpfer des Höchsten. Du bist der höchste Geist, und aus dir fließt das Höchste. Du bist jenseits aller begrenzten Geschöpfe. Wie könnte ich dein Lob singen? Wie könnte ich dessen Größe erklären, aus dem Brahma, Rudra, Chandra und Indra sowie die Maruts, Aswins, Vasus und Adityas kommen, und von dem die ganze Welt nur ein winzig kleiner Teil ist - ein Teil, der bestimmt ist, sein Wesen zu entfalten? Deine ursächliche sowie entfaltete Natur können weder Brahma noch die Unsterblichen erfassen. Wie könnte ich mich ihm nähern, dem die Götter Düfte und in den Gärten von Nandana gepflückte Blumen darbringen, dessen verkörperte Formen der König der Götter in Unkenntnis seines wahren Wesens stets verehrt, den die Weisen mit von allen äußeren Dingen zurückgezogenen Sinnen und Gedanken verehren, dessen Bild allein sie im Herzen tragen und dem sie die Blüten der Heiligkeit darbringen? Ich bin wahrlich unfähig, dich zu verehren oder dein Lob zu singen, oh Gott der Götter. Möge deine eigene Güte deinen Geist erfüllen. Zeige mir dein Mitgefühl! Wildheit ist die Natur der Schlangen, und ich bin in dieser Art geboren. Deshalb ist es mein Wesen und nicht mein Verschulden. Die Welt wird von dir geschaffen und auch zerstört. All die Arten, Formen und Wesen der vielfältigen Geschöpfe in der Welt sind dein Werk. So wie du mich in Art, Form und Wesen geschaffen hast, so bin ich, und entsprechend sind meine Taten. Wenn ich anders handle, dann verdiene ich deine Strafe nach deinem Gesetz. Daß ich heute von dir gestraft werde, ist in Wahrheit ein Segen. Denn jede Strafe, die allein von dir kommt, ist reine Gnade. Schau mich jetzt ohne Kraft und ohne Gift. Beides hast du genommen. Meine einzige Bitte ist, bewahre das Leben und gebiete mir, was ich tun soll.

So angesprochen von Kaliya, antwortete Krishna:
Oh Kaliya, du sollst nicht hier noch irgendwo im Strom der Yamuna leben. Zieh sogleich mit deiner Familie und allem Gefolge zum großen Ozean, wo Garuda, der Feind aller Schlangen, dich nicht verletzen wird, wenn er die Abdrücke meiner Füße auf deinen Köpfen sieht.

Mit diesen Worten ließ Hari den Schlangenkönig frei, der sich ehrfürchtig vor dem Sieger verneigte und zum Ozean zog. Vor aller Augen verließ er den See, in dem er gehaust hatte, mit all seinen Frauen, Kindern und Gefolge. Als die Schlangen weg waren, bejubelten die Hirten Govinda wie einen vom Tod Auferstandenen, umarmten ihn und badeten seine Stirn mit Tränen der Freude. Viele von ihnen waren in Anbetracht des Flußwassers, das jetzt von großer Gefahr befreit war, höchst verwundert und sangen das Lob von Krishna, der an seine Taten nicht gefesselt ist. Mit diesem Ruhm seiner großen Taten und dem Lob der Hirten samt ihrer Frauen und Kinder kehrte Krishna ins Wagendorf zurück.


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