Pushpak Vishnu PuranaZurück WeiterNews

1.17. Die Geschichte von Prahlada

Parasara sprach:
So höre, oh Maitreya, die Geschichte des weisen und großmütigen Prahlada, die in jeder Hinsicht lehrreich ist. Hiranyakashipu, der Sohn von Diti, hatte damals aufgrund eines Segens von Brahma (der ihm Unbesiegbarkeit gewährte) die drei Welten unter seine Herrschaft gebracht. Er hatte sich die Position des Indras angeeignet und sah sich als Herr von Sonne, Mond, Wind, Feuer und Wasser. Er machte sich zu Kuvera, dem Gott des Reichtums, und auch zu Yama, dem Richter der Toten, und empfing alle Opfergaben, welche den Göttern dargebracht wurden. Daraufhin flohen die Götter aus ihrer Wohnstatt im Himmel und wanderten als Sterbliche verkleidet voller Furcht vor dem Dämonenkönig über die Erde. Nachdem er die drei Welten erobert hatte, wurde er immer stolzer, ließ sich von den Gandharvas loben und genoß alles, was er sich wünschte. Die Gandharvas, Siddhas und Nagas dienten dem mächtigen Hiranyakashipu, wenn er sich an Speise und Wein erfreute. Die Siddhas lobten ihn mit Hymnen, die Gandharvas musizierten und sangen, und die himmlischen Apsaras tanzten anmutig dazu. So vergnügte sich der Dämonenkönig in seinem wunderbaren Kristallpalast und trank so manchen Krug Wein. Damals war Prahlada, der berühmte Sohn dieses Dämonenkönigs, noch ein Junge und wohnte im Haus seines Lehrers, wo er all jene Schriften las, die man in frühen Jahren studiert. Nach einiger Zeit kam er in Begleitung seines Lehrers zum Hof seines Vaters und verneigte sich vor dem König, der gerade beim Weintrinken war. Und Hiranyakashipu zog seinen Sohn zu sich heran und sprach:
Erzähle mir doch auf verständliche Weise das Wesentliche, was du bereits gelernt hast, mein Kind.

Und Prahlada antwortete:
Oh Vater, höre auf deinen Wunsch hin das Wesentliche, was ich erfahren habe. Höre, was meinen ganzen Geist erfüllt. Ich verneige mich vor dem Höchsten Wesen, das ohne Anfang, Mitte und Ende ist, ohne Vermehrung oder Verringerung, der unvergängliche Herr der Welten und die universale Ursache aller Ursachen.

Als der Dämonenkönig diese Worte von seinem Sohn hörte, blickte er mit zorngeröteten Augen und vor Empörung geschwollenen Lippen zum Lehrer seines Sohnes und sprach:
Oh du übler Brahmane, was soll dieses absurde Lob meines Feindes, daß du in Verachtung mir gegenüber diesem Jungen gelehrt hast?

Doch der Lehrer erwiderte:
Oh König der Dämonen, es ziemt sich nicht für dich, der Leidenschaft nachzugeben. Was dein Sohn gesprochen hat, wurde nicht von mir gelehrt.

Da fragte Hiranyakashipu den Jungen:
Wer hat dir diese Lehre beigebracht, mein Sohn? Dein Lehrer bestreitet, daß sie von ihm kommt.

Und Prahlada antwortete:
Oh Vater, Vishnu ist der Lehrer der ganzen Welt und wohnt in jedem Herzen. Wer sonst, außer der Höchste Geist, könnte uns etwas lehren?

Da rief der König:
Du Dummkopf, wer ist dieser Vishnu, von dem du so unverschämt als Herrscher der drei Welten sprichst?

Und Prahlada antwortete:
Dieser Vishnu ist das Wesen, über das die Yogis beständig meditieren. Sein Ruhm ist unbeschreiblich. Er ist der höchste Herr, der Ursprung des Universums und das Universum selbst.

Darauf erwiderte der König:
Oh Narr, wünschst du dir den Tod, weil du den Titel des höchsten Herrn jemandem anderen gibst, während ich noch lebe?

Und Prahlada antwortete:
Oh Vater, Vishnu ist Brahman. Er ist der Schöpfer und Erhalter nicht nur von mir, sondern auch von dir und allen anderen. Auf diese Weise ist er der höchste Herr von allen. Warum verletzt dich das, oh Vater?

Da rief Hiranyakashipu:
Welcher böse Geist ist in das Herz dieses dummen Jungen eingetreten, der wie ein Besessener spricht?

Doch Prahlada antwortete:
Nicht nur in meinem Herzen wohnt Vishnu. Er durchdringt alle Bereiche des Weltalls, und durch seine Allgegenwart bewegt er mich, dich und alle anderen Wesen.

Da schrie der König:
Weg mit dem Schuft! Bringt ihn zurück ins Haus seines Lehrers und läutert ihn. Wer hat ihm nur diese Lügen gelehrt, so daß er das Lob meines Feindes singt?

Gemäß dem Befehl seines Vaters wurde Prahlada von den Dämonen zurück ins Haus seines Lehrers geführt, wo er fleißig seinem Lehrer diente und viele Belehrungen empfing. Nach längerer Zeit rief der Dämonenkönig erneut seinen Sohn zu sich und forderte ihn auf, eine poetische Dichtung zu rezitieren.

Und Prahlada sprach:
Möge Vishnu uns geneigt sein, aus dem Materie und Geist entstehen, durch den sich alles Belebte und Unbelebte bewegt, und der die Ursache dieser ganzen Schöpfung ist!

Bei diesen Worten rief Hiranyakashipu:
Tötet diesen Schuft! Er ist nicht würdig zu leben, wenn er seine Freunde verrät und seinen Stamm verbrennt!

Auf diesen Befehl hin ergriffen seine Soldaten ihre Waffen und stürmten in großer Schar auf Prahlada zu, um ihn zu töten.

Doch der Prinz sah sie gelassen an und sprach:
Oh ihr Dämonen, Vishnu ist in meinem Körper genauso wie in euren Waffen. Wahrlich, warum sollten mich diese Waffen verletzen?

Und obwohl er durch hunderte Dämonen schwer geschlagen wurde, fühlte der Prinz keinen Schmerz, und seine Kraft konnte nicht gebrochen werden. Da sprach sein Vater Hiranyakashipu:
Oh du Verblendeter, sei klug und höre auf, meinen Feind zu verherrlichen, dann schenke ich dir dein Leben.

Doch Prahlada antwortete:
Mich kann keine Angst überwältigen, solange der unsterbliche Beschützer vor allen Gefahren in meinem Geist gegenwärtig ist. Sich an ihn zu erinnern, ist genug, um alles Leiden zu vernichten, das aus Geburt und Vergänglichkeit strömt.

Da befahl Hiranyakashipu höchst verärgert:
Oh ihr Nagas, fallt sogleich über diesen ungehorsamen und wahnsinnigen Sohn her und tötet ihn mit euren Giftzähnen!

Daraufhin bissen die großen Schlangen wie Kuhaka, Takshaka und Andhaka mit ihrem tödlichen Gift jeden Körperteil des Prinzen. Doch sein Geist war allein Krishna gewidmet, und er verweilte in dieser seligen Gegenwart der Gottheit, so daß er keinen Schmerz fühlte, obwohl er von diesen giftigen Schlangen mehrfach gebissen wurde.

Da sprachen die Nagas zum Dämonenkönig:
Unsere Giftzähne sind gebrochen, unsere juwelengeschmückten Hauben gespalten, das Fieber tobt in unseren Köpfen und unsere Herzen zittern, aber die Haut des Jungen ist immer noch unversehrt. Oh König der Daityas, suche einen anderen Weg!

Da befahl Hiranyakashipu:
Oh ihr Elefanten der Himmelsrichtungen, vereint euch und tötet mit euren Stoßzähnen diesen Verräter seines Vaters, der sich mit meinen Feinden verbunden hat. Sonst wird unsere Nachkommenschaft zu unserem eigenen Untergang, wie das Feuer das Holz verzehrt, aus dem es entspringt.

Daraufhin wurde der junge Prinz von den bergeshohen Elefanten der Himmelsrichtungen angegriffen, die ihn zu Boden warfen und mit ihren Stoßzähnen bearbeiteten. Aber er erinnerte sich beständig an Vishnu, und die Stoßzähne prallten einfach an ihm ab.

Und er sprach zu seinem Vater:
Schau nur, wie die harten und unerbittlichen Stoßzähne der Elefanten an mir abprallen. Doch das geschieht nicht durch meine Kraft. Die Anrufung von Vishnu ist meine Verteidigung gegen jede Gefahr. Er allein rettet aus Sünde und Angst.

Daraufhin befahl der König seinen Gefolgsleuten:
Entfernt die Elefanten und laßt ihn vom Feuer verbrennen! Oh Gott des Windes, schüre das Feuer, so daß es diesen übelgesinnten Schuft vernichten kann.

So schichteten die Dämonen einen mächtigen Holzhaufen ringsum den Prinzen und entzündeten das Feuer, um ihn zu verbrennen, wie es ihr Herr befohlen hatte. Aber Prahlada, sprach:
Oh Vater, auch wenn dieses Feuer vom Wind geschürt wird, es kann mich nicht verbrennen. Überall um mich herum sehe ich den Himmel, kühl und duftend mit Ruhebetten aus Lotusblumen.

Da sprachen die Brahmanen, welche geistige Söhne von Sukra, dem Lehrer der Dämonen, hochbeseelte Priester und Kenner der Veden waren, zum König der Dämonen:
Oh Herr, halte deinen Zorn gegen deinen Sohn zurück! Wie sollte dich der Zorn in den Himmel bringen? Wir werden die Lehrer dieses Jungen sein und ihn gehorsam für den Untergang deiner Feinde machen. Die Jugend, oh König, ist die Zeit vieler Fehler, und du solltest dich deshalb von diesem Kind nicht so tief verletzt fühlen. Wenn er uns nicht zuhören wird und die Verehrung von Vishnu nicht aufgibt, dann werden wir unfehlbare Mittel finden, um seinen Tod zu bewirken.

Als der Dämonenkönig von den Priestern so gebeten wurde, befahl er den Prinzen aus der Mitte der Flammen zu befreien. Doch zurück im Haus seines Lehrers begann Prahlada sogar die Söhne der Dämonen in ihrer freien Zeit zu belehren und sprach:
Oh ihr Söhne der Nachkommen von Diti, hört von mir die höchste Wahrheit. Was sonst wäre es wert, gesucht und beachtet zu werden? Alle Geschöpfe sind der Geburt, dem Wachstum und schließlich dem unvermeidlichen Verfall unterworfen. Alles, was mit der Geburt beginnt, muß mit dem Tod enden, oh ihr Kinder der Dämonen. Das ist für alle offensichtlich, so auch für mich und für euch. Und alles was stirbt, wird neu geboren. Das bestätigen die heiligen Schriften. Doch es gibt keine Entstehung ohne entsprechende Ursache. So lange also das Karma aus persönlichen Taten und Ansichten als Ursache der Geburt wirkt, so lange kann es keine Existenz ohne Leiden geben. Der Unwissende denkt in seiner Verblendung, daß das Sättigen von Hunger und Durst oder das Vermeiden von Kälte oder ähnlichem im Leben Glück bringt. Doch in Wirklichkeit ist es Leiden, weil immer neue Sorgen daraus entstehen. So sieht der Unwissende in seinem Wahn das Glück dort, wo Leiden entsteht, wie ein erschöpfter Mensch in immer neuer Anstrengung seine Erholung sucht.

Was ist dieser elende Körper voller Schleim und anderen Säften? Was ist schon seine Schönheit, sein Liebreiz, sein Duft oder andere wünschenswerte Qualitäten? Der Unwissende, der an seinem Körper anhaftet, der aus Fleisch, Blut, Eiter, Schmutz, Urin, Haut, Mark und Knochen zusammengesetzt ist, geht den Weg in die Hölle. Denn das Angenehme der Wärme entsteht durch die Kälte, das Angenehme des Trinkens durch den Durst und die Wohltat des Essens durch den Hunger. So existieren Glück und Leid immer als Gegensätze und bedingen einander.

Oh ihr Söhne der Dämonen, wer sich an Ehefrau, Kinder und Familie bindet, sammelt unsägliches Leiden in seinem Herzen an. Denn je mehr Leidenschaft ein Lebewesen hegt, je mehr Dornen der Angst pflanzt es in sein Herz. Wer viele Besitztümer in seinem Haus hortet, wird stets voller Unruhe sein, daß sie verloren, verbrannt oder gestohlen werden könnten. So gibt es für den Geborenen im Leben großes Leiden, und nach dem Sterben treffen ihn die Qualen der Hölle durch das Urteil des Richters der Toten, um dann erneut aus einem Mutterleib unter großen Schmerzen geboren zu werden. Es ist schon kein Vergnügen im Mutterleib als Embryo zu wachsen, und nach der Geburt wartet bereits neues Leiden. Wahrlich, ich sage euch, daß in diesem Ozean der Welt, diesem Meer aus vielfältigen Sorgen, Vishnu die einzige Hoffnung ist.

Betrachtet euch nicht als unwissende Kinder, die so etwas nicht verstehen können! Der Geist, der sich in euch verkörpert hat, ist ewig. Geburt, Altern und Sterben sind Eigenschaften des Körpers, nicht der ewigen Seele. In dieser Hinsicht werden wir getäuscht. Man sagt: Du bist ein Kind, also spiele, bis du ein Erwachsener wirst. Du bist ein Erwachsener, also vergnüge dich, bis du ein Alter wirst. Du bist ein Alter, also übe Entsagung und vollbringe alles, was zum Heil der Seele nötig ist. Doch dann bin ich alt und soll meine wichtigsten Aufgaben erfüllen? Wenn die Kraft nachläßt und die Sinne schwach und starr werden, soll ich das vollbringen, was ich versäumt hatte, als ich stark und beweglich war? Auf diese Weise pflegen die Menschen eitle Hoffnungen, während ihr Geist an den Sinnesvergnügen haftet, können keine Seligkeit erreichen und sterben durstig. In der Kindheit dem Spiel und in der Jugend der Liebe und dem Vergnügen gewidmet, erschrecken sie dann, unwissend und kraftlos, wenn sie das Alter überwältigt. Deshalb möge die verkörperte Seele schon von Kindheit an solche Weisheit sammeln, daß sie unabhängig vom Alter Befreiung erreicht.

Das ist es, was ich euch sagen möchte. Und wenn ihr darin keine leeren Worte seht, dann vertraut mir und ruft beständig Vishnu in eure Erinnerung, den Befreier von allen Bindungen. Welches Problem besteht darin, an Ihn zu denken, der Wohlstand schenkt, und Ihn Tag und Nacht in Erinnerung zu bewahren, der von allen Sünden befreit? Laßt alle eure Gedanken und jede Zuneigung in Ihm vertieft sein, der in allen Wesen wohnt, und ihr werdet über die vielen Sorgen lächeln. Die ganze Welt leidet unter der dreifachen Qual (z.B. Geburt, Alter und Tod). Welcher Mensch mit Weisheit wäre deshalb ohne Mitgefühl und würde irgendein Wesen hassen? Warum sollte ich auf andere neidisch sein, wenn ihr Schicksal günstiger ist und sie mehr Wohlstand genießen können? Ich sollte mich an ihrem Glück erfreuen, denn die Überwindung unheilsamer Gefühle ist stets verdienstvoll. Alle Wesen, die feindlich und haßerfüllt sind, werden von den Weisen voller Mitgefühl betrachtet, weil sie erkennen, daß deren Sicht von leidbringender Illusion vernebelt ist. Oh ihr Kinder der Dämonen, überwindet den Haß und diese illusorische Trennung zwischen „mein“ und „dein“!

So hört von mir einige Worte, wie sich die Weisen der Wahrheit nähern. Diese ganze Welt ist eine Manifestation von Vishnu, der mit allen Erscheinungen eins ist. Die Weisen sehen deshalb keinen wesentlichen Unterschied zwischen sich und anderen Geschöpfen. Laßt uns deshalb den Zorn und die Leidenschaft ablegen, die unseren Stamm prägen, und nach der vollkommenen, reinen und ewigen Glückseligkeit streben, die jenseits der Macht der Elemente ist, der Götter des Feuers, Windes und Meeres, der Götter von Sonne und Mond, der Macht von Indra, der Geister von Luft und Erde, der Dämonen, Rakshasas und anderer Geisterwesen, der Menschen und Tiere, der menschlichen Schwächen, der Macht der vielfältigen Krankheiten und auch jenseits der Herrschaft von Haß, Neid, Gewalt, Leidenschaft und Begierde. Wahrlich, wer seinen Geist allein auf Vishnu richtet, der erreicht diese reine und ewige Seligkeit, die von „anderen“ nicht zerstört werden kann.

Möget ihr klar erkennen, daß es im Rad dieser illusorischen Welt keine wahre Befriedigung geben kann, ohne die innere Stille zu erreichen, die aus der Verehrung der Gottheit entsteht. Mit wem die Gottheit zufrieden ist, was wäre für ihn unerreichbar? Was sind Tugend, Reichtum und Vergnügen (Dharma, Artha und Kama) im Vergleich zum unvergänglichen Baum wahrer Weisheit, der zweifellos die höchste Frucht gewährt?


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