Pushpak Shiva-Purana Buch 9Zurück WeiterNews

Kapitel 9 - Die Geschichte der Ausgestoßenen

Da riefen die Weisen:
Oh Suta, lieber und gesegneter Suta, erzähl uns die Geschichte der verbannten Frau, die du eben erwähnt hast.

Suta sprach:
Nun Brahmanen, dann hört mit großer Achtsamkeit die wunderbare Geschichte, welche die Macht Shivas vorzüglich aufzeigt und die Hingabe zu ihm erhöht. Die Frau, um die es hier geht, war die schöne Saumini, die Tochter eines trefflichen Brahmanen, der sie als junge Maid an einen jungen Brahmanen verheiratete. Die beiden erfreuten sich sehr aneinander, lebten sowohl ihre guten Riten als auch die Wollust reichlich aus. Doch dann, nach nicht allzulanger Zeit, wurde ihr Ehemann so krank, daß durch ein unglückliches Geschick keine Heilung folgte, sondern der Tod. Die junge Witwe Saumini war sehr betrübt, verzweifelt und mutlos. Für eine Weile lebte sie dennoch als reine Frau im Hause und erhielt ihre Tugend aufrecht. Doch irgendwann vermißte die junge, blühende und sinnliche Frau die Erfüllung ihrer Wollust so sehr, daß sie sich nicht mehr zügeln konnte und die Grenzen der Sittsamkeit überschritt. Als ihre Familie von ihren Schandtaten erfuhr, welche den ganzen Stamm besudelten, packten sie sie an den Haaren und verbannten sie weit weg.

Ein Shudra entdeckte sie, als sie in einem Wald umherirrte, nahm sie mit sich in sein Haus und vermählte sich mit ihr. Da begann ein zügelloses Leben in den Freuden der Wollust ebenso wie im Trinken von Wein und Essen von Fleisch. Auch brachte Saumini ihrem neuen Ehemann eine Tochter zur Welt. Einmal, als ihr Ehemann nicht zu Hause war, trank die ausschweifende Dame erst viel Wein und bekam dann einen zügellosen Appetit auf Fleisch. Da packte sie ein Messer und ging in den Stall, in dem Ziegen, Schafe und Kühe beieinander standen. Es war trüb und staubig, und sie konnte nicht viel sehen. Außerdem war sie völlig betrunken und von Sinnen, und so schlachtete sie ein Kalb, weil sie das Tier für eine Ziege hielt. In der Küche jedoch erkannte sie ihren fatalen Irrtum, erschrak fürchterlich und rief „Shiva, Shiva“, denn ein Rest guten Verdienstes war ihr erhalten geblieben. Einige Zeit betete sie, doch dann wurde die Gier nach Fleisch wieder stärker als alles andere. Sie briet das Fleisch und aß es mit Genuß.

So vergingen die Jahre, und als Saumini starb, kam sie in das Reich des Totengottes Yama. Dieser prüfte ihre Leben, wog Sünde gegen Verdienst auf und behielt sie nicht in der Hölle sondern sandte sie zurück zur Erde, wo sie in einer Familie der Ausgestoßenen zur Welt kam. Sie wurde blind geboren, und ihr Antlitz war so dunkel wie kalte Asche. Als sie noch sehr jung war, starb ihre Mutter, und später wurde sie mit niemandem verheiratet. Auch bekam sie Lepra und litt gräßlich in einem ärmlichen Leben. Mager, immerzu hungrig und blind irrte sie mit dem Stab in der Hand umher, und überlebte gerade so von den Essensresten anderer Ausgestoßener. Und je älter sie wurde, desto schlimmer wurden die Gliederschmerzen. So verging unter entsetzlichen Qualen ein Großteil ihres Lebens. Eines Tages hörte sie, wie Reisende von Mahabala und Gokarna und einem großen Fest zu Shivas Ehren sprachen. Da trieb sie die Not auch dahin, denn sie wollte vom festlich versammelten Volk Essen und Kleidung erbetteln. Langsam, Schritt für Schritt kam sie voran, hielt die Hand auf und bat mit mitleiderregenden Worten um das Nötigste. Ein verdienstvoller Pilger legte in ihre ausgestreckte Hand ein Bündel Bilvablätter. Sie befühlte sie immer wieder, doch erkannte bald, daß sie nicht zum Essen waren. So warf sie das Bündel ärgerlich fort. Doch es war Nacht, und die Blätter fielen glücklicherweise auf ein Linga. Und es war auch ein Glück, daß niemand der alten Bettlerin etwas zu essen gab. So verging die heilige Nacht von Shiva Chaturdasi. Und ohne es zu wissen, hatte sie alle Riten dieser besonderen Nacht befolgt: Sie war die ganze Nacht wachgeblieben und hatte gefastet. Am nächsten Morgen ging sie enttäuscht nach Hause zurück, doch sie war so schwach und müde, daß sie bei jedem Schritt schwankte und stolperte. Irgendwie schaffte sie eine lange Strecke, bis sie dann doch zu Boden fiel und starb. Sofort erschienen die Geister Shivas und brachten sie in einem himmlischen Wagen in Shivas Reich.

Nun, ihr Weisen, die unkeusche Frau hatte nur einmal aufrichtig Shivas Namen gerufen, was ihr soviel Verdienst einbrachte, daß sie die heilige Stätte Mahabala erreichte. Und dort in Gokarna hatte sie die Nacht wach und mit Fasten zugebracht. Außerdem hatte sie Shiva mit Bilvablättern geehrt. Und als Frucht ihrer unbewußten Taten erlöste sie das Mahabala Linga. Ja, so groß sind das Linga Mahabala und die Gunst Shivas - in nur einem Moment kann jede Sünde verschwinden und sich die höchste Glückseligkeit einstellen. Ich werde euch noch ein Beispiel für die Herrlichkeit des Mahabala nennen. Wer es hört, wird sogleich tiefe Hingabe zu Shiva fühlen.


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