Pushpak Shiva-Purana Buch 9Zurück WeiterNews

Kapitel 6 - Die Brahmanin gelangt in den Himmel

Suta fuhr fort:
Es gab dort eine Kuh, die im Hofe angebunden war. Als der Brahmane des Abends nach Hause kam, sah er, daß die Kuh noch nicht gemolken war. Er rief seine Frau, und diese brachte schnell das Kalb herzu. Doch als der Brahmane das Kalb zum Pflock zerren wollte, keilte es aus und traf ihn. Das schmerzte den Hausvater so sehr, daß er mit einem Holzscheit wütend auf das Kalb einschlug. Und bei dem ganzen Trubel wurde weder die Kuh gemolken noch das Kalb wieder losgebunden.

Doch nach einer Weile fing die Kuh an, herzzerreißend zu muhen, und das Kalb fragte die Mutter:
Oh Mutter, warum klagst du? Welches Leiden quält dich? Bitte sag es mir.

Die Kuh gab zur Antwort:
Ach mein Kind, ich bin zwar nicht imstande, meinen Kummer angemessen auszudrücken, doch höre, daß ich leide, weil du von dem bösen Mann geschlagen worden bist.

Das sprach das Kalb erleuchtende Worte zu seiner Mutter:
Was kann man schon tun? Oder wohin fliehen? Wir erfahren Freude und Leid als ein Ergebnis, welches an frühere Taten gebunden ist. Man verfolgt seine Ziele mit Freude, doch die Früchte bringen bei der Ernte oft Leiden. Es gibt hier niemanden, der Leiden oder Freude bringt. Man geht fehl, wenn man meint, eine andere Person ist für das eigene Leiden oder die eigene Freude verantwortlich. Und es ist auch nur ein trügerisches Konzept, wenn man denkt, ich tue dies oder jenes. Elend oder Freude sind Resultate der eigenen Taten. Die Taten sind hier bestimmend, und alles gründet sich in Taten. Du, meine Mutter, ich, das Kind, und alle lebenden Wesen sind durch ihre Taten gebunden. Du solltest sie nicht beklagen.

Nachdem die Mutter diese weisen Worte gehört hatte, erwiderte sie:
Mein liebes Kind, ich weiß sehr wohl, daß alle Wesen ihren Taten untertan sind. Und doch erfaßt mich die Illusion, und weder Klagen noch Worte haben mein Leiden verringert.

Erneut sprach das Kalb:
Ja, wenn du das weißt, welchen Gewinn kann das Klagen noch bringen? Hör auf zu weinen.

Mit einem tiefen Seufzer sprach nun die Kuh:
Meine Trauer wird nur enden, wenn dem Brahmanen etwas Ähnliches geschieht wie er dir angetan hat. Davon bin ich überzeugt. Ich werde morgen mit meinem Horn auf seinen Sohn losgehen, auch wenn er dabei sterben sollte.

Da gab das Kalb zu bedenken:
Wir erfahren heute die Früchte unserer vorherigen Taten. Doch welche Frucht wird dir reifen, wenn du einen Brahmanenmord begehst? Sind Verdienste und Sünden ausgewogen, nimmt man seine Geburt auf Erden. Erst, wenn sie durch das Erleben von Freude und Leid ausgewaschen sind, erreicht man die Befreiung. Ach Mutter, manchmal wird eine Handlung verhindert, um das Ergebnis der Tat zu vermeiden. Warum nur willst du diese Greueltat begehen? Was bedeutet es, daß ich dein Sohn bin und du meine Mutter bist? An solchen äußerlichen Begriffen allzusehr anzuhängen, ist sinnlos. Denk nach. Wo sind Mutter, Vater, Ehemann oder Ehefrau? Erkenne, daß niemand zu irgend jemandem gehört. Alle ernten die Früchte ihrer Taten. Oh Mutter, erkenne und laß ab von deinem Kummer. Wenn du hernach ein Leben in Glück ersehnst, dann solltest du hier gute Taten vollbringen.

Doch die Kuh blieb eisern:
Ach Kind, ich weiß das alles, doch die Illusion verläßt mich nicht. Ich bin untröstlich durch dein Unglück. Ich werde Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich kenne einen Ort, der die Sünde des Brahmanenmordes auflöst. Ich werde anschließend dorthin gehen.

Da schwieg das Kalb und sprach kein Wort mehr. Doch Suvada auf seiner Pilgerreise und sein Diener hörten den wundersamen Dialog der beiden, und staunten sehr. Suvada dachte bei sich:
Ich werde morgen erst weiterziehen, wenn ich gesehen habe, was passiert. Und dann werde ich diesen wunderbaren, heiligen Ort auch aufsuchen.

Dann schliefen alle ein, und am zeitigen Morgen kam der Hausvater, um seine Schlafgäste zu wecken:
Warum schlaft ihr noch? Der Morgen dämmert schon. Begebt euch auf eure Reise und zum gewünschten Ort.

Doch Suvada antwortete:
Höre, oh Brahmane, mein Diener hat Schmerzen im Bauch. Wir werden ein wenig länger ruhen und später loslaufen.

Nach diesem Vorwand blieb er liegen, denn er wollte mit ansehen, was nun geschehen würde. Der Hausvater wollte fortgehen und befahl seinem Sohn, die Kuh zu melken. Dann verließ er das Haus. Der Sohn band gerade das Kalb los, als die Kuh schon von allein zu ihm kam. Doch als er sie zum Melken anbinden wollte, bohrte sie ihre Hörner in seinen Leib. Der Junge brach ohnmächtig zusammen. Alle Leute im Haus liefen zusammen und schrien: „Bringt Wasser! Bringt Wasser!“, doch noch während sie versuchten, ihm zu helfen, starb er. Da erhob sich ein lautes Wehklagen, und seine Mutter weinte sehr.

Dann rief sie verzweifelt:
Was soll ich tun? Wohin gehen? Wer kann meine Verzweiflung vertreiben?

Dann schlug sie die Kuh und trieb sie davon. Und die Kuh, welche zuvor weiß gewesen war, wurde in einem Moment schwarz. Die Leute riefen erstaunt: „Oh, seht nur!“, und starrten ihr hinterher.

Suvada jedoch folgte der davonlaufenden Kuh. Mit erhobenem Schwanz rannte sie zum Fluß Narmada. Dort tauchte sie in der Nähe eines Schreins dreimal unter Wasser, und kam weiß wieder ans Ufer zurück. Suvada staunte sehr, während die Kuh wieder ihren Weg zurück nahm. Nun, wahrlich gesegnet ist ein Ort, der sogar die Sünde eines Brahmanenmordes tilgt. So nahmen Suvada und sein Diener auch ein Bad im Fluß. Dann priesen sie das heilende Gewässer und wollten ihre Reise fortsetzen. Doch sie begegneten einem wunderschönen Mädchen, das lauter kostbares Geschmeide trug.

Sie sprach zu den beiden:
Oh Pilger, wohin geht ihr so aufgewühlt im Geiste? Sagt mir die Wahrheit und meidet jeden Trug.

Da berichtete ihr Suvada alles, was geschehen war, und die Maid sprach:
Bleibt hier.

Überrascht bat sie Suvada:
Oh sprich den Grund aus!

Und sie gab zur Antwort:
Warum solltet ihr woanders hin gehen? Übergib die Asche deiner Mutter dem heiligen Ort, den ihr gerade besucht habt. Ihr guten Pilger, am glücksbringenden siebten Tag der hellen Monatshälfte im Monat Vaisakha kommt hier immer die Ganga her. Heute ist dieser Tag. Seht nur, der Fluß ist die Ganga selbst.

Dann verschwand die Dame, welche Ganga war. So kehrten sich die beiden Wanderer um, und kaum hatte Suvada die Hälfte der Asche dem Fluß übergeben, geschah das nächste Wunder. Er schaute seine Mutter in einer himmlischen Gestalt. Und sie sprach zu ihm:
Du bist gesegnet, mein Sohn, denn du hast deine Pflicht erfüllt. Die Familie wurde durch dich geheiligt. Mögest du immer reich sein an Schätzen, Nahrung, einem langen Leben und einer blühenden Nachkommenschaft.

Dann stieg sie zum Himmel auf, erfreute sich dort lange an himmlischer Glückseligkeit und erlangte schließlich dank der Gnade Shivas das herrlichste Ziel. Ihr Sohn, den sie solcherart gesegnet hatte, beendete den Ritus und kehrte froh und zufrieden in seine Heimat zurück.


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