Nandi sagte:
Oh Sanatkumar, höre von der nächsten Inkarnation der großen Seele. Sie wird Jatila (Asket) genannt und ist sehr heiligend. Nachdem Sati beim Opfer ihres Vaters Daksha nach dessen Beleidigungen ihren Körper aufgegeben hatte, wurde sie als Tochter von Mena und dem Berg Himavat wiedergeboren. Um Shiva zu gewinnen, ging sie in einen dichten Wald und übte harte Askese. Dabei begleiteten sie nur zwei enge Freundinnen. Um sie zu prüfen, sandte Shiva zuerst die sieben Weisen zu ihr. Diese versuchten sie ernsthaft, von ihrem Plan abzulenken, doch Parvati blieb standhaft. Da gingen die Weisen zu Shiva, verbeugten sich, berichteten ihm alles und kehrten wieder in ihre Bereiche zurück. Nun wollte Shiva selbst die Ernsthaftigkeit von Parvatis Absichten testen, und nahm die Gestalt eines gezügelten Asketen an. Er glich einem sehr alten, strahlenden Brahmanen, trug Stab und Sonnenschirm mit sich, hatte verfilztes Haar und ging mit heiterem Geist zum Bußehain seiner Gattin. Er sah die Göttin, wie sie auf einem Podest saß, und ihre Begleiterinnen. Sie erschien so rein und glänzend wie die Mondsichel. Voller Freude und Liebe trat er vor sie hin, denn seinen Verehrern ist er immer geneigt. Parvati empfing den gealterten Gelehrten ehrenvoll, der ihr mit behaarten Gliedern, Wassertopf und Hirschfell um die Hüften entgegentrat.
Parvati erkundigte sich erst höflich nach dem Befinden des Gastes und dann fragte sie ihn:
Oh bester Vedengelehrter, wer bist du, der du als studierender Asket auftrittst und dabei den ganzen Wald erleuchtest? Und woher kommst du?
Der alte Brahmane antwortete ihr:
Ich bin ein Brahmane, der dorthin wandert, wohin ihn die Füße tragen. Ich bin ein Weiser, der anderen gern hilft. Doch was soll ich hier sagen, schöne Dame? Mir scheint, es ist eine verwirrende Katastrophe geschehen, denn du übst hier ganz vergebens Buße. Du junges Blut solltest dich auf jede Weise vergnügen und anderen zum Vergnügen dienen. Wer bist du und wessen Tochter? Warum unterwirfst du dich harter Askese in diesem einsamen Wald? Deine Askese halten selbst Weise von erhobener Seele nicht leicht aus.
Lächelnd erwiderte Parvati:
Oh gelehrter Brahmane, höre von meinem Leben. Ich bin auf Erden im Hause des Himavat geboren. Früher nahm ich meine Geburt im Hause des Daksha; da war ich Sati, die Gattin Shivas. Doch das Betragen meines Vaters ließ mich mittels Yoga Kraft meine sterbliche Hülle abwerfen. Auch in diesem Leben begegnete mir schon Shiva, doch er verbrannte den Liebesgott Kama zu Asche, verließ mich und ging fort. Da trauerte ich sehr, war auch beschämt, und nun übe ich hier Buße, nachdem mich mein Lehrer eingewiesen hat. Ich habe in Gedanken, Worten und Taten mir Shiva zum Gatten erwählt. Das ist die Wahrheit, die ich dir sage. Ich weiß, daß es kaum möglich scheint. Wie kann ich es dennoch erreichen? Nun, das ist der Grund, warum ich diese Askese betreibe. Ich denke nicht an Vishnu, Brahma oder einen anderen Gott. Ich wünsche Shiva allein zum Gatten.
Da lachte der Brahmane und sprach:
Oh sanfte Dame, Tochter des Himavat, was für eine Idee hat sich dir nur in den Kopf gesetzt? Du übst Entsagung für Shiva und achtest nicht auf andere Götter? Ich kenne Shiva. Hör zu, und ich werde dir von diesem Shiva mit seinem Stier im Banner, den verfilzten Haaren und schlechten Manieren erzählen. Er ist der ewige Einzelgänger und ein ziemlich unbeteiligter Bursche. Du solltest dich nicht einmal im Geiste mit ihm verbinden. Dein Erscheinen, oh sanfte Dame, und das von Shiva passen gar nicht zusammen. Mir gefällt das gar nicht, doch tu, wie es dir beliebt.
Zornig erwiderte ihm Parvati, denn die üblen Worte über Shiva konnte sie nicht ertragen:
Eigentlich sollte man dich töten, doch wenn ich es genauer bedenke, verdienst du Narr das nicht. Du bist ein übler Schurke in der Verkleidung eines ehrbaren Brahmanen. Du hast Shiva beleidigt! Und ich bin darüber sehr zornig. Du kennst ihn nicht, du bist sein Feind. Und ich habe dich willkommen geheißen und geehrt. Das läßt mich nun leiden. Aller angesammelter Verdienst eines Menschen, der Shiva geringschätzt, wird zu Asche verbrannt. Und wer einen Feind Shivas berührt hat, sollte unbedingt einen Sühneritus ausführen. Du Hinterhältiger hast behauptet, du kennst Shiva, doch das ist ganz sicher nicht wahr. Denn Shiva allein ist der große Herr. Er mag in allen Gestalten erscheinen, denn er beherrscht jede Illusion. Doch er kennt keine Ablenkung, wird von den Guten geliebt und verleiht großzügig alles Erwünschte.
Zwar sprach der Brahmane noch etwas zu ihr, doch sie wollte nichts Übles mehr über Shiva von ihm hören und wandte sich an ihre Freundin Vijaya:
Liebe, dieser üble Brahmane muß davon abgehalten werden, noch mehr Ungereimtes zu reden. Nicht nur der, der Shiva tadelt, wird sündig, sondern auch der, der ihm zuhört. Shivas Geisterscharen sollten ihn sofort schlagen. Doch einen Brahmanen tötet man nicht, und daher sollte man ihn sogleich verlassen. Er soll gehen. Ich will ihn nicht einmal mehr ansehen. Laß uns sofort von hier fortgehen, bevor noch mehr üble Worte gewechselt werden.
Und als Parvati eben fortgehen wollte, ließ sie Shiva seine wahre Gestalt sehen und hielt sie am Gewand fest. Sie senkte den Blick, denn er stand plötzlich in der himmlischen Gestalt vor ihr, über die sie meditiert hatte. Dann sprach er zu ihr:
Oh Parvati, wohin willst du gehen und mich verlassen? Ich kann dich niemals aufgeben. Ich habe dich Makellose nur geprüft, und du bist wirklich standhaft in deiner Hingabe an mich. Ich wollte deine Gefühle erkennen, darum nahm ich die Gestalt des alten Brahmanen an und sprach diese Worte. Oh Parvati, ich bin entzückt über deine Hingabe. Nun sprich den Wunsch aus, den du im Geiste hegst. Es gibt nichts, was ich dir nicht gewähren könnte. Oh liebende Dame, durch deine Buße bin ich dir ergeben, und deine Schönheit läßt einen Moment wie eine Ewigkeit erscheinen. Sei nicht so schüchtern. Du bist meine ewige Gemahlin. So komm, Geliebte, ich werde mit dir in meine bergige Heimat gehen.
Da jubelte Parvati innerlich und alle Entbehrungen waren vergessen. Doch immer noch mit schüchtern gesenktem Haupt gab sie dem Herrn zur Antwort:
Oh Herr der Götter, wenn du zufrieden bist, dann erweise mir deine Gnade und sei mein Herr und Ehemann.
Da ergriff Shiva ihre Hand mit den rechten Riten und führte sie zum Kailash. Und mit ihrer Vermählung hatte Parvati die Aufgabe der Götter ausgeführt und ihre Bestimmung gefunden. Ja, so habe ich dir, mein Lieber, die Geschichte erzählt, wie Shiva als gelehrter Brahmane inkarnierte und Parvatis Gefühle prüfte. Diese Geschichte ist groß und makellos. Wer sie mit Vergnügen hört, wird glücklich und erlangt die Befreiung.