Nandi sprach:
Als nächstes, mein Lieber, erzähle ich dir von Shivas Inkarnation als Indra, dem Herrn der Götter (Sureshvara). Einst lebte Upamanyu, der Sohn von Vyaghrapada, mit seiner Mutter im Haus seines Onkels. Sie waren sehr arm, denn das Schicksal meinte es gut mit ihnen. Einmal kostete der junge Upamanyu bei seinem Onkel ein wenig Milch, und sie schien ihm so köstlich, daß er zu seiner Mutter rannte und sie um Milch bat. Die arme Frau ging ins Haus und überlegte, was sie tun sollte, um das Kind zu befrieden. Sie mahlte einige gestoppelte Samen und Körner zu einer Paste und verrührte sie mit Wasser. Dann gab sie den Ersatz ihrem Jungen zu trinken, nachdem sie ihn liebkost und ihm gut zugeredet hatte. Doch schon nach einem Schluck beschwerte sich der Junge „Das ist keine Milch!“ und weinte.
Da wischte sich die Mutter ihre Lotusaugen und sprach traurig zu ihrem Sohn:
Wie können wir Waldbewohner nur immer genügend Milch haben? Ohne die Gnade Shivas ist das nicht möglich. Ach mein Sohn, wir können nur das genießen, was wir in einer früheren Geburt dem Shiva gewidmet haben. Mehr brauchen wir dazu nicht zu sagen.
Da spürte Upamanyu keinen Appetit mehr, denn er liebte seine Mutter sehr, und fröhlich sagte er zu ihr:
Oh gesegnete Mutter, weine nicht. Laß allen Kummer fahren. Wenn Shiva der Wohltäter ist, dann wird alles gut. Höre, liebe Mutter, wenn es Lord Shiva irgendwo gibt, dann werde ich den Milchozean erlangen.
Sprach‘s, verbeugte sich vor seiner Mutter, bekräftigte noch einmal „Alles wird gut.“ und ging davon, um Buße zu üben. Es war am Berge Himavat, wo er begann, mit reinem Geist nur von Luft zu leben. Er formte ein Linga aus Lehm und stellte es auf ein Podest aus acht Steinen. Hingebungsvoll rief er vor diesem Linga Shiva und Parvati an, sang immer wieder „Namah Shivaya“ und ehrte das göttliche Paar mit Blumen und Blättern. Auch meditierte er über die beiden, und so verging eine lange Zeit. Von der Askese des Jungen erstrahlte die ganze Welt, so daß Vishnu und die anderen Götter Shiva baten, sich des Jungen anzunehmen. Dieser wollte erst Upamanyus Hingabe prüfen, und so nahm er die Gestalt Indras an, und Parvati verwandelte sich in Sachi. Die Geisterscharen wurden zu Göttern, und ich, Nandi, wurde zu Indras Elefant Airavat. Alles, was sonst Shiva umgab, wurde nun zu Indras Gefolge. Und so begab sich der scheinbare Indra zu Upamanyu, um ihn zu segnen.
Indra sprach:
Oh du Junge mit den guten Riten, ich bin zufrieden mit dir und deiner Buße. Wähle einen Segen, damit ich ihn dir erfüllen kann.
Der Junge antwortete mit ehrfürchtig gefalteten Händen:
Ich wünsche Hingabe zu Shiva.
Da antwortete der Gott:
Nun, du hast mich wohl nicht erkannt. Ich bin Indra, der Herr der Götter und drei Welten, vor dem sich alle Götter verbeugen. Sei mein Schüler und folge mir, lieber Brahmanen Junge. Laß ab von diesem Shiva ohne alle Eigenschaften, und ich gewähre dir jeglichen Wohlstand. Was könnte dir Shiva schon geben, der sich nicht zu den Göttern sondern zu den Geistern zählt?
Als der Junge das hörte, meinte er, einem Hindernis in seiner Enthaltsamkeit zu begegnen und sprach:
Das hast du nur gesagt, um Shiva zu erniedrigen. Doch du hast zufällig zugegeben, daß Shiva sowohl ein Geist als auch eigenschaftslos ist. Du kennst ihn nicht, diesen Herrn der Götter, Vater und Erzeuger von Brahma, Rudra und Vishnu, der größer ist als die ganze Natur. Ich wähle den Segen von der Gottheit, die alle Weisen als ewig bezeichnen, als Einheit und Vielfalt, als jenseits von allem Existenten und Nichtexistentem und unbegreiflich. Ich wähle einen Segen von der Gottheit, die alle, die die Wahrheit erkannt haben, als frei von Ursachen und Meinungsverschiedenheiten und als die Quelle von Sankhya und Yoga (Theorie und Praxis) beschreiben. Es gibt keine größere Einheit als Lord Shiva, der jenseits von Eigenschaften ist. Er ist die Ursache aller Ursachen. Er ist der Beste unter allen Göttern. Ich möchte keinen Segen von dir, Brahma, Vishnu oder einem anderen. Möge Shiva der sein, der mich segnet. Doch wozu viele Worte? Ich sage dir die Wahrheit über meinen festen Entschluß. Ich frage keinen anderen als Shiva allein. Und höre noch meine Gefühle in dieser Sache, oh Feind der Berge. Ich nehme an, daß ich eine Sünde im früheren Leben beging, da ich nun diese Erniedrigung Shivas anhören muß, bei der man sogleich seine sterbliche Hülle ablegen sollte und damit in Shivas Reich eintreten. Oh gemeiner Gott, ich gebe meinen Wunsch nach Milch auf, werde dich mit Shivas Waffe töten und dann meinen sterblichen Körper ablegen.
Nach diesen Worten war Upamanyu bereit zu sterben und auch Indra zu töten. Er nahm etwas Asche aus der Opfergrube, besprach sie mit dem Aghorastra Mantra und schleuderte sie brüllend auf Indra. Dann dachte er an Shivas Füße und stand mit schrecklicher Pose bereit, sich dem Feuer zu übergeben. Nandi fing erfreut die Waffe im Flug auf, und Shiva besänftigte den Jüngling. Er nahm seine bekannte Gestalt mit der Mondsichel an und gab sich Upamanyu zu erkennen. Er saß auf dem Stier mit Parvati an seiner Seite, die Geisterscharen umgaben ihn, und er hielt seinen Dreizack und andere göttliche Waffen. Dann zeigte er dem Jungen Tausende von Milchozeanen, Ozeane von Quark und aller möglichen Nahrung. Die himmlischen Pauken dröhnten, es fielen Blumenschauer zur Erde, und alle Himmelsrichtungen füllten sich mit Brahma, Vishnu und anderen Göttern. Da wurde Upamanyu von Entzücken übermannt. Er fiel wie ein Stab zu Boden, und sein Geist war voller Demut.
Da winkte ihn Shiva lächelnd zu sich, küßte und segnete ihn:
Mein lieber Upamanyu, ich freue mich sehr über dein vorzügliches Betragen. Oh brahmanischer Weiser, du bist so standhaft in deiner Hingabe, was ich herausfinden wollte. Erfreue dich von nun an mit deiner Familie an allen Arten von reichlichem Essen. Sei glücklich und ohne Not und bleibe mir hingegeben. Der heutige Tag hat dich auf ewig zu meinem Sohn gemacht, und Parvati ist nun deine Mutter. Ich gewähre dir mit Freuden alle Ozeane an Milch, Quark, Honig, geklärter Butter und aller Nahrung, die du wünschst. Nimm sie an. Auch erhebe ich dich in den Status eines Gottes und Anführers der Geisterscharen. Wähle von uns, deinen Eltern, jeden Segen, den du begehrst. Mögest du nicht altern, nicht sterben und ohne Kummer sein. Mögest du ruhmreich sein, strahlend und voll göttlichem Wissen. Du wirst ein Großer sein.
An all die Askese des Jungen denkend, übertrug ihm Shiva das Wissen über Shiva und seine Riten und Gelübde. Auch verlieh er ihm eine flüssige und wirksame Rede und seine eigene Region. Nach all den verliehenen Segen hielt der Gott den Jungen an beiden Händen, schnupperte an seinem Haupt und zeigte ihn der Göttin mit den Worten: „Dies ist dein Sohn.“ Die Göttin legte freudig ihre Hände auf Upamanyus Kopf und versprach ihm den Status, ewig ihr Sohn zu sein. Dann gewährte sie ihm den unvergänglichen Milchozean, Wohlstand, die Macht des Yoga, das unsterbliche Wissen vom Brahman und weitere Schätze.
Voller Freude über alle Segen verbeugte sich Upamanyu mit gefalteten Händen und bat:
Oh Herr der Götter, sei zufrieden. Du höchster Herr, sei zufrieden. Und gewähre mir unvergängliche, göttliche und größte Hingabe an dich. Verleihe mir tiefes Vertrauen zu den Menschen, die dich verehren, den Status, dein Diener zu sein, deine große Zuneigung und beständige Achtsamkeit.
Dann pries Upamanyu den Herrn mit bewegter Stimme, und Shiva erwiderte freundlich, während alle zuhörten:
Mein lieber Upamanyu, du Sündenloser, du bist gesegnet und ein ganz spezieller Verehrer von mir. Was du dir erwählt hast, ist dir bereits gegeben. Lerne nie Alter, Elend oder Tod kennen, sei von allen geachtet, frei von Ablenkung und mein bester Verehrer. Du vorzüglicher Brahmane, deine Familie und dein Geschlecht werden nie aussterben. Deine Hingabe an mich wird nie schwinden. Ich werde immer in deiner Einsiedelei anwesend sein. Sei ohne Sorgen und gelassen.
Danach verschwand der Herr mitsamt seinem Gefolge, und Upamanyu ging hocherfreut zu seiner Mutter zurück. Als er ihr alles erzählt hatte, jubelte sie entzückt. Upamanyu wurde von allen sehr geachtet und geehrt. Er wurde sehr glücklich und in seinem nächsten Leben der Sohn eines vorzüglichen Weisen.
Die Geschichte von Shivas Inkarnation als Indra ist fromm und erfüllt alle Wünsche. Sie verhilft zu Himmel, Ruhm und einem langen Leben. Wer sie mit reinem Geist liest oder anderen erzählt, erfreut sich an weltlichen Genüssen hier ebenso wie an dem Reich Shivas danach.