Pushpak Shiva-Purana Buch 8Zurück WeiterNews

Kapitel 27 - Die Inkarnation Shivas als Brahmane

Nandi sprach:
Nun höre, mein Lieber, von der Inkarnation Shivas als großer Brahmane (Dvijeshvara). Hier half ihm seine Gattin Parvati, und die Guten erfreut die Geschichte sehr. Ich habe ja schon den hervorragenden König Bhadrayu erwähnt, den Shiva (vermutlich ist hier seine Inkarnation als Rishabha gemeint) segnete. Um seine Standhaftigkeit und Frömmigkeit zu prüfen, inkarnierte der Herr erneut als Brahmane. Ich werde dir diese Geschichte jetzt erzählen.

Nach tapferem Kampf gegen die Feinde bestieg König Bhadrayu den Thron. Kirtimalini, die keusche Tochter von Chandrangada und Simantini, wurde seine Gattin. Einmal, der Frühling hatte gerade begonnen, da ging der König mit seiner geliebten Königin in den Wald, um sich am schönen und dichten Grün zu erfreuen. Zu dieser Zeit wollte Shiva ihn prüfen. Er und seine Gemahlin nahmen die Gestalt eines Brahmanenpaares an. Außerdem erschuf Shiva einen illusorischen Tiger, der die beiden Brahmanen angeblich jagte. So kamen plötzlich ein Brahmane und seine Gattin angerannt, schrieen und flohen vor dem gefährlichen Tiger in den Schutz des Königs.

Sie riefen dem tapferen Krieger panisch zitternd zu:
Oh großer König, du Tugendreicher, rette uns. Ein Tiger ist hinter uns her und will uns fressen. Dieses Raubtier ist wie der Gott des Todes und versetzt alle Wesen in Angst. Beschütze uns, du Kenner der Tugend, bevor er uns anspringen und töten kann.

Sofort spannte der heldenhafte König seinen Bogen, doch der Zaubertiger packte die Brahmanin, gerade als sie aufschrie:
Oh Herr, oh Ehemann, oh Shiva, oh Lehrer der Götter!

Der König traf den gräßlichen Tiger mit vielen, scharfen Pfeilen, doch dieser rührte sich nicht einmal und zeigte keinen Schmerz wie ein Berg, der den prasselnden Regenschauer gelassen hinnimmt. Er hob die Brahmanin auf und rannte schnell mit ihr fort. Da brach der Brahmane unter seiner Qual zusammen und weinte und klagte laut.

Nach einer Weile wandte sich der Brahmane an den König und dämpfte seinen Kriegerstolz:
Oh König, wo sind deine großen Waffen? Wo ist dein gewaltiger Bogen, der vorgibt zu beschützen? Wo ist deine Macht von 10.000 großen Elefanten? Wozu führst du Schwert und Muschelhorn? Was nützt dein Wissen über den Gebrauch der Waffen und Geschosse? Ach, all das ist sinnlos, denn es kann nicht einmal ein wildes Tier unschädlich machen. Die größte Pflicht eines Kriegers ist zu beschützen. Diese Pflicht, die in deiner Familie über die Generationen eingehalten wurde, wird nun nicht mehr erfüllt. Was ist dein Leben jetzt noch wert? Könige beschützen die Hilfesuchenden mit all ihrem Hab und Gut, ja sogar mit ihrem Leben. Damit folgen sie der Tugend, doch ohne diese Tugend sind sie nur leere Hüllen. Lieber der Tod als ein Leben, ohne die Bedürftigen zu beschützen. Besser ein Bettler als ein reicher Hausvater, der nicht wohltätig und großzügig ist. Und es ist besser, Gift zu nehmen oder sich im Feuer zu verbrennen, als aufzuhören, die Geplagten, Armen und Hilfesuchenden zu beschützen.

Als der König diese Klagen und Verunglimpfung seiner Macht vernahm, dachte er bei sich:
Oh weh, meine Männlichkeit ging heute verloren, denn das Schicksal ist gegen mich. Mein Ruhm wurde zermalmt und große Sünde auf mich geladen. Meine vererbte Tugend ist verloren, ich bin unselig und verwirrt. Sicher wird nun alles verkümmern: mein Wohlstand, mein Königreich und mein langes Leben. Indem ich ihm mein Leben anbiete, so lieb es mir auch ist, werde ich diesen Brahmanen vom Leid befreien, dessen Gemahlin der Tiger davonschleppte und der so elend ist.

So fiel König Bhadrayu dem Brahmanen zu Füßen und sprach rücksichtsvoll:
Oh Brahmane, ich bin ein gemeiner Krieger ohne Kraft. Habe Mitleid mit mir. Und weine nicht, du Kluger. Ich werde dir geben, was du wünschst. Dieses Königreich, die Königin, mein Körper - alles ist dir untertan. Was ist das Größte, was du haben möchtest?

Der Brahmane gab zurück:
Was soll der Blinde mit einem Spiegel anfangen? Wozu ein Haus für einen, der von Almosen lebt? Was soll der Narr mit einem gelehrten Buch? Und wer kann sich an Reichtum erfreuen, der seine Gattin verlor? Ich bin noch nicht gesättigt von den Genüssen des Lebens, und so begehre ich deine Königin. Möge sie mir übergeben werden.

Der König war entsetzt:
Ich kann jedem alle meine Güter und die ganze Erde übergeben, Pferde, Elefanten und meinen Körper. Doch ich kann dir nicht meine Gemahlin überlassen, denn die Sünde, mit der Ehefrau eines anderen zu schlafen, kann nicht einmal mit tausenden Sühneriten abgewaschen werden.

Der Brahmane sprach:
Sei es die gräßliche Sünde des Brahmanenmordes oder die des Weintrinkens, ich kann alles mit der Kraft meiner Askese wiedergutmachen. Was ist dann schon die Sünde, sich an der Frau eines anderen zu erfreuen? Gib mir deine Gattin. Etwas anderes begehre ich nicht. Und du wirst sicher in die Hölle gehen, weil du andere nicht beschützen kannst.

Völlig verängstig dachte da der König:
Es ist eine Sünde, willentlich nicht zu helfen. Unter diesen Umständen ist es sicher angemessen, meine Frau wegzugeben. Dieser Brahmane verdient es ja, und ich entgehe der Sünde. Und danach werde ich ins Feuer gehen, damit ich meinen Ruhm aufrechterhalte.

Nach diesem Entschluß entfachte er ein Feuer, rief den Brahmanen zu sich und übergab ihm seine Gemahlin. Dann nahm er ein rituelles Bad, wurde rein, verbeugte sich vor den Göttern, umrundete das Feuer dreimal und konzentrierte sich auf Shiva. Und eben, als er sich ins Feuer stürzen wollte, enthüllte sich der Brahmane, zeigte sich ihm als Herr des Universums und hielt ihn ab. Da sah der König den Gott mit all seinen Zeichen: die fünf Gesichter, die drei Augen, in der Hand den Dreizack, die Mondsichel als Schmuck, die dunklen, verfilzten Haare, der Glanz von Millionen greller Sonnen, das helle Antlitz, die Elefantenhaut als Kleid, das Haupt von den Strömen der Ganga benetzt, die Halskette aus Schlangen, Diadem, Gurt und glitzernde Armreifen, Schwert, die Waffe Khatvanga, Dolch, Schild, Hirsch, das mystische Schutzzeichen, die acht Artikel der Verehrung und der Bogen Pinaka, der Stier und der blaue Hals. Vom Himmel fielen göttliche Blumen, himmlische Musik erklang, und die Nymphen sangen und tanzten. Vishnu, Brahma, Indra und die himmlischen Weisen kamen herbei und sangen Loblieder. König Bhadrayu stand mit gefalteten Händen demütig und voller Hingabe und staunte über die jubelnde Schar. Tränen benetzten seinen Körper, und die Haare standen ihm zu Berge, denn die Sicht auf den Herrn bewegte tief sein freudiges Herz.

Mit erstickter Stimme vor Erregung pries auch er den Herrn, und erfreut sprach Shiva zu ihm:
Oh König, ich bin mit deiner Hingabe noch mehr zufrieden als mit deiner Frömmigkeit. Nenne den Segen, den ich dir und deiner Gattin erfüllen soll. Ich werde ihn dir geben. Um deine Gefühle und Taten zu prüfen, nahmen Parvati und ich die Gestalt von Brahmanen an. Es war die Göttin selbst, die der Zaubertiger davontrug, und durch meine Magie konnten deine Pfeile ihm nichts anhaben. Und dann wollte ich deinen Mut prüfen, als ich deine Gemahlin von dir forderte.

Nach diesen Worten beugte der König sein Haupt und sprach:
Oh Herr, der größte Segen ist für mich, daß du mir erschienen bist, der ich von der Sonne der weltlichen Existenz geblendet bin. Doch wenn du mir dir Gnade eines Segens erweist, oh Herr, dann wähle ich den Segen, den ein Verehrer vom großen Segenspender wählen sollte. Nimm meinen Vater, meine Mutter, mich Diener zu deinen Füßen, meine Gattin, den Diener Padmakara und seinen Sohn Sanaya mit dir in deine Region und laß uns alle in deiner Nähe wohnen.

Danach ehrte die Königin Kritimalini voller Hingabe den großen Shiva und bat um einen gleichfalls vorzüglichen Segen:
Oh höchster Gott, möge auch mein Vater Candrangada und meine Mutter Simantini voller Freude bei dir sein.

Erfreut stimmte Shiva zu und verschwand im nächsten Moment. König Bhadrayu erfreute sich noch an der gerechten Herrschaft über sein Königreich und an seiner liebenden Gattin für 10.000 Jahre, bevor er sein Reich seinem Sohn übergab und zu Shiva ging. König Candrangada und seine Gattin ehrten hingebungsvoll Shivas Füße und gelangten auch dahin. So habe ich dir von der herrlichen Inkarnation Shivas als Brahmane erzählt, welche König Bhadrayu Glückseligkeit verschaffte. Wer diese heilige Geschichte aufrichtig liest, gelangt in Shivas Reich. Und wer sie täglich liest, hört oder erzählt wird niemals von seinen Pflichten abkommen und hernach Befreiung erlangen.


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