Pushpak Shiva-Purana Buch 8Zurück WeiterNews

Kapitel 15 - Grihapati und das Feuer

Nandi fuhr fort:
Naradas Worte trafen Vishvanara und seine Gattin wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er schrie: „Ich bin verdammt!“, schlug auf seine Brust ein und sank vor Verzweiflung in Ohnmacht. Auch sie weinte und klagte mit trüben Sinnen um ihren Sohn. Vishvanara kam wegen ihrer lauten Wehklage wieder zu sich, nur um sofort erneut zu jammern: „Oh was ist los? Mein Sohn, wo bist du, mein Lebensatem, du Herr all meiner Sinne? Was ist das nur?“

Der Junge allerdings lächelte sanft und sprach zu seinen Eltern, die außer sich waren vor Kummer:
Ach Mutter und Vater, warum diese Trauer? Bitte sagt es mir. Warum weint ihr so laut? Wovor fürchtet ihr euch so? Weder die Zeit noch diese mitleidige, schnellebige Existenz können mich beeinflussen, denn mein Körper wird vom Staub eurer Füße beschützt. Hört mein Gelübde, liebe Eltern. Wenn ich wahrhaft euer Sohn bin, dann werde ich so handeln, daß selbst der Tod sich fürchtet. Ich werde Lord Shiva besänftigen, den Sieger über den Tod und den allmächtigen Segenspender. Ich werde das Mahakala aufsagen, liebe Eltern, und damit spreche ich wahrhaft.

Die Worte waren für das alte, brahmanische Paar wie ein Nektarschauer. Ihre Betrübnis schwand und sie antworteten ihrem Sohn:
Sag das noch einmal. Wiederhole es. Zeit und Vergänglichkeit bedrängen dich nicht? Sprich es noch einmal aus. Denn du hast dir ein mächtiges Werkzeug gewählt, um unseren Kummer zu vertreiben und Lord Shiva zu besänftigen. Wer Zuflucht bei Lord Shiva sucht, kann nur Gutes erreichen, denn er vertreibt alle Sünden und handelt jenseits des Pfades unserer Leidenschaften. Es gibt nichts Besseres. Mein Lieber, erinnerst du dich, wie einst der Sieger über Tripuras Swetaketu beschützte, als ihn die Schlinge der Zeit band? Er war gerade acht Jahre alt, als ihn der Tod bedrohte und Shiva ihn rettete. Und dieses Licht des Universums erhob ihn sogar zu seinem Begleiter. Er bewahrte die drei Welten, als er das alles verschlingende Gift trank, welches beim Quirlen des Milchozeans entstand. Er zog nur eine Linie mit seinem schöngeformten Zeh, und ein wirbelndes Rad tötete den niederträchtigen Jalandhara, der den drei Welten die Freude entzogen hatte. Er verbrannte das verblendete Tripuras mit dem Feuer, welches ein einziger Pfeil hervorbrachte. Vor den Augen der Götter verbrannte er mit einem Blick den Liebesgott Kama zu Asche, der zuvor die drei Welten mit leichter Hand erobert hatte. Ja Sohn, such Zuflucht bei Shiva, diesem Schutzamulett der drei Welten, dem Schöpfer von Indra, Brahma, Vishnu und allem anderen.

So sicherte sich der Junge die Zustimmung seiner Eltern, verbeugte sich bis zu ihren Füßen und umschritt die beiden. Dann sprach er beruhigende Worte des Abschieds und begann seine Reise. Er kam zum schwer erreichbaren Varanasi, welches alle Sorgen vertreibt, mit der himmlischen Ganga wie mit einer strahlenden Perlenkette geschmückt ist und von Shiva und Parvati beschützt wird. Zuerst ging er nach Manikarnika, nahm im heiligen Wasser sein Bad und schaute mit Entzücken auf das große Vishveshvara Linga (Herr des Universums). Mit gebeugtem Haupt und gefalteten Händen konnte er sich nicht satt sehen am Herrn, welcher alles Leben in die Welten fließen läßt und sie beschützt. Mit freudigem Herzen dachte er über das Linga: „Dies trägt unzweifelhaft große Glückseligkeit in sich. Ha, niemand ist mehr gesegnet als ich, denn heute sehe ich den großen Herrn Vishveshvara. Nur, um mein glückliches Schicksal noch zu mehren, kam der Weise Narada und hielt diese Rede. Ach, ich bin so zufrieden.“ Und mit dem Nektar der Glückseligkeit beendete er seinen heiligen Ritus. Nach einiger Zeit formte er an einem glücksverheißenden Tag ein Linga und beugte sich asketischen Riten, die nur von jenen ausgeübt werden können, die genügend Selbstkontrolle haben. Jeden Tag füllte er Töpfe mit Gangawasser, welches er reinigte, indem er es durch ein Tuch fließen ließ. Dann badete er das Linga mit dem heiligen Wasser aus 108 Töpfen und legte eine Girlande mit blauem Lotus um den Gott. Die Girlande knüpfte er selbst aus 1008 Blumen, und aß nur aller 14 Tage Früchte und Wurzeln. Dann aß er mutig für sechs Monate nur verwelkte Blätter, um die nächsten sechs Monate nur ein paar Tropfen Wasser zu trinken und tief zu atmen. So verging für den edlen Brahmanensohn ein Jahr in schwerer Buße, wobei sein Geist immer hingebungsvoll in Shiva ruhte.

Und eines Tages erschien Indra mit seinem Donnerblitz vor ihm, um Naradas Prophezeiung zu erfüllen. Er sprach zum Knaben:
Sieh Brahmane, ich bin Indra und sehr erfreut über deine heiligen Riten. Bitte um den Segen, den du begehrst. Ich werde dir gewähren, was auch immer dein Wunsch ist.

Tapfer und lieb gab der Junge zur Antwort:
Oh Indra, du Feind von Vritra, ich weiß, du trägst den Donnerblitz als deine Waffe. Doch ich wünsche keinen Segen von dir. Für mich ist Shiva der alleinige Segenspender.

Indra sprach:
Mein Kind, Shiva ist nicht von mir getrennt. Ich bin der Herr der Götter. Gib deine Torheit auf und bitte unverzüglich um einen Segen.

Doch Grihapati blieb hartnäckig:
Oh du Verführer der Ahalya, du Feind der Berge und Geißel des Paka, es ist für mich völlig klar, daß ich niemanden anderen um einen Segen bitte als Shiva.

Da verfärbte der Zorn Indras Augen rot. Er hob seinen schrecklichen Donnerblitz und drohte dem Jungen mit gräßlichen Konsequenzen. Als der Junge die von Blitzen umzuckte Waffe sah, erinnerte er sich an Naradas Worte, wurde ängstlich und fiel in Ohnmacht. Da erschien Shiva, dieser Vertreiber der Dunkelheit, erweckte den Jungen durch sanftes Streicheln und sprach: „Wach auf. Steh auf. Möge dir Gutes geschehen.“

Der Junge kam zu sich, öffnete seine Augen, wie sich am frühen Morgen die Lotusknospen öffnen, und erblickte Lord Shiva vor sich, so strahlend wie tausend Sonnen. Und er sah das dritte Augen auf seiner Stirn, den blauen Hals, den Stier im Banner, die Mondsichel im glänzenden, verfilzten Haar, den Dreizack und den Bogen Ajagava, die hell strahlenden Glieder in Elefantenhaut gehüllt, und erkannte in ihm den großen Gott, wie ihn sein Lehrer und die Schriften beschreiben. Vor Entzücken standen ihm die Haare zu Berge, und für einen Moment stand er so still wie ein Berg. Er vergaß sich ganz in seinem Staunen und war unfähig, sich zu verbeugen, den Herrn zu preisen oder um etwas zu bitten.

Da lächelte Shiva und sprach:
Mein liebes Kind Grihapati, fürchtest du dich etwa vor Indra mit dem erhobenen Donnerblitz in seiner Hand? Hab keine Angst, ich wollte dich nur prüfen. Weder Indra, sein Blitz, noch der Tod oder ein Gott können wahre Hingabe in Bedrängnis bringen. Du hast dich nur vor mir in Gestalt von Indra gefürchtet. Oh du Sanfter, ich werde dir folgenden Segen gewähren. Ich übertrage dir die Form von Agni, dem Feuergott. Du wirst als Feuer in allen Wesen wohnen, oh Agni, und der wachende Herrscher über den Südosten sein. Das Linga, was du erschaffen hast, wird deinen Namen tragen. Jeder wird es als Agnisvara kennen, und es wird den Glanz in der Welt vermehren. Wer das Agni Linga verehrt, braucht keine Furcht vor Feuer oder Blitz zu haben, und auch nicht vor gestörter Verdauung oder vorzeitigem Tod. Und wer das glücksverheißende Agni Linga in Varanasi ehrt, der wird (nach dem Tod) in das Reich von Agni eingehen, auch wenn er woanders stirbt.

Nandi fuhr fort:
Nach diesen Worten rief Shiva sein Gefolge herbei und krönte den Jungen zum Wächter über die Himmelsrichtung. Dann trat er vor den Augen der Eltern in das Linga ein. Ja, so war das, als Shiva als Grihapati im Feuer inkarnierte. Die Stadt Chitrahotra ist schön, angenehm und strahlend, und wer das Feuer ehrt, wohnt dort. Menschen mit einer starken Eigenschaft der Güte (Sattwa) und gezügelten Sinnesorganen werden so strahlend wie das Feuer selbst. Wer als Brahmane regelmäßig das Agnihotra ausführt, oder wer als Asket das heilige Feuer hütet, wird so strahlend wie das Feuer selbst. Wer im Winter Brennmaterial verschenkt, um die Kälte zu lindern, oder wer Feueraltäre baut, lebt mit dem Feuer. Wer mit Vertrauen unbekannte Leichen rituell verbrennt oder andere dazu ermutigt, weil er selbst es nicht kann, der wird (nach dem Tod) mit der Region von Agni geehrt. Das Feuer ist das beste Hilfsmittel, um Erlösung zu erlangen. Das Feuer ist Lehrer, Herr, geheiligter Ritus und heiliger Ort in einem. Alle unreinen Dinge werden im Feuer gereinigt und damit heilig. Daher wird das Feuer auch der Reiniger genannt. Es ist zweifelsohne die dem Menschen innewohnende Kraft (bzw. Seele). Im Feuer der Verdauung wird selbst das kleinste Teilchen Fleisch im Bauch verbrannt, aber niemals der Fötus in schwangeren Frauen.

Die schreckliche Gestalt Shivas kann man im Feuer erkennen. Und außerdem, was sonst ist sowohl erschaffend, beschützend und ebenso vernichtend? Das Feuer ist das Auge vom Herrn der drei Welten, denn was sonst könnte die Dunkelheit erhellen? Düfte, Lichter, Nahrung, Milch, süßer Saft und Ghee bekommen die Bewohner des Himmels, wenn man sie dem Feuer übergibt.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter