Pushpak Shiva-Purana Buch 8Zurück WeiterNews

Kapitel 11 - Disput zwischen Virabhadra und Vishnu

Nandi fuhr fort:
Auf Bitten der Götter beschloß Shiva, den Zorn des Löwenmannes zu stillen. Dazu gedachte er des mächtigen Virabhadra, der sogleich vor ihm erschien. Hüpfend und lachend, voller Energie kam er mit seinen mächtigen Geisterscharen einher, voller Stolz und Feuer. Seine drei Augen strahlten grell, und sein verfilztes Haar tanzte wild. Keine übliche Waffe zierte ihn, doch die helle Mondsichel glänzte schon von Ferne. Er schwang den Dreizack, so daß es betäubend zischte. Seine Augenbrauen waren wie Indras Bogen geformt, und Bart und Haare glänzten schwarz. In ganzer Heldenpracht erschien er vor Shiva und sprach:
Oh Herr des Universums, warum hast du an mich gedacht? Bitte erweise mir die Gnade und erteile deine Befehle.

Liebevoll und auch voller Achtung schaute ihn Shiva an und antwortete:
Zur Unzeit wurden die Götter von einer gräßlichen Angst ergriffen. Das Feuer des Löwenmenschen lodert immer noch (in Vishnu). Du sollst es stillen. Versuch erst, ihn mit sanften Worten zu beruhigen. Falls er nicht zum Frieden finden kann, dann nimm meine große, schreckliche Gestalt an. Oh Virabhadra, bring mir sein Haupt und sein Fell, nachdem du seinen subtilen Zorn auf subtile Weise und seinen äußerlichen, groben Zorn auf grobe Weise gestillt hast.

Schnell nahm der Führer der Ganas eine angenehme und sanfte Gestalt an und eilte zu dem Ort, an dem der Löwenmensch saß. Liebevoll wie ein Vater zu seinem Sohn sprach ihn Virabhadra an:
Oh Lord Vishnu, zum Wohle der Welten hast du dich in diese Inkarnation begeben. Denn Shiva hat dir die Aufgabe anvertraut, das Universum zu erhalten. Einst hast du die Gestalt eines Fisches angenommen, den Manu im weiten Ozean gerettet und sein Boot an deinen Schwanz (bzw. Horn) gebunden. Die Erde trägst du in Gestalt einer Schildkröte, und erhoben hast du sie als Eber. Um Bali zu bezwingen, war dir die Gestalt eines Zwerges gerade recht. Und nun hast du als Löwenmensch den Dämonen Hiranyakashipu geschlagen. Du bist die Quelle aller lebenden Wesen und ihr ewiger Herr. Wenn die Welt von Elend gequält wird, inkarnierst du und befreist sie von Kummer. Oh Vishnu, niemand ist Shiva treuer ergeben als du oder dir ebenbürtig. Du hast die Veden und heiligen Riten eingeführt, damit sie die Wesen zu einem glückseligen Ende führen. Prahlada ist gerettete, Hiranyakashipu tot, oh Seele des Universums, so laß ab von dieser gräßlichen Gestalt gleich hier, solange ich vor dir stehe, denn sie hat ihre Aufgabe erfüllt.

Doch der feurige Löwenmann wurde noch zorniger, als er die friedlichen Worte Virabhadras hörte. Er schlug mit seinen Fängen nach dem Helden und gab grob zurück:
Geh zurück, woher du kamst, und sprich nicht über den Erhalt des Universums. Ich kann und will alles vernichten. Doch ich werde dabei nicht vernichtet, weder durch mich noch durch andere. Ich herrsche über alles, niemand steht über mir. Durch meine Gnade funktioniert alles ohne Furcht, denn ich gebe und nehme jegliche Macht. Du Anführer der Geisterscharen, erkenne, daß alles, was groß, herrlich und mächtig ist, aus meinem Glanze stammt. Alle Wissenden kennen mich als den Größten. Die Götter wie Brahma und Indra sind nur mächtig, da sie aus mir hervorgehen. Brahma, der Schöpfer des Universums, wurde einst aus dem Lotus meines Nabels geboren, und der ist unabhängig, schaffend, auflösend, alles beherrschend und das Größte von allen. Mein ist die herrlichste Pracht. Was sonst sollte für dich noch interessant sein zu hören? Such lieber bei mir Zuflucht, dann kannst du ohne dieses krankhafte Fieber zu den Deinen zurückkehren. Ja, erkenne deutlich, daß das ganze, natürliche Universum eine Manifestation meiner Größe ist, nebst allen Göttern, Dämonen und Menschen. Ich bin auch Kala, die Ursache jeglicher Vernichtung in den Welten. Und damit muß ich auch die Welten vernichten. Oh Virabhadra, wisse, daß ich der Tod des Todes bin. Die Götter leben nur durch meine Gnade.

Als Virabhadra diese hochmütigen Worte von Vishnu hörte, lachte er und sprach mit bebenden Lippen:
Ja, kennst du denn nicht den Herrn, der den Bogen Pinaka trägt und der wahrhafte Vernichter des Universums ist? Haltlose Diskussionen ohne Sinn werden für dich nur im Tod enden. Welche Inkarnation gäbe es dann noch für dich? Nenne mir den Fehler, der dich in solche Not geschickt hat. Du kannst ihn nur ausgleichen, wenn du dem Herrn der Vernichtung die Ehrengabe des Lehrers erweist. Du bist der Handelnde, und Shiva ist der Geist. Er hat den Samen in dir gelegt, damit Brahma aus deinem Lotusnabel geboren werden konnte. Für die Schöpfung meditierte er in tiefer Versenkung über den blaukehligen Shiva, bis Shiva aus deiner Stirn kam. Ich bin eines seiner erschaffenen Juwelen, Shiva in Gestalt des gräßlichen Bhairavas. Oh Vishnu, ich bin von Shiva entsandt worden, um dich mit hingebungsvoller Liebe zu besänftigen oder mit Gewalt zu zügeln. Du brüllst schon vor Hochmut und Stolz, nachdem du einen einzigen Dämon zerrissen hast. Dabei schläfst du gerade nicht, weil du für diese Aufgabe einen kleinen Teil seiner Macht erhalten hast. Es wird gesagt, daß die Hilfe für einen Guten zu Frieden, doch die Hilfe für einen Niederträchtigen zu Streit führt. Wenn du, oh Vishnu, Shiva für ein niederes Wesen hältst, dann bist du sehr dumm, unkonzentriert und arrogant. Ach Vishnu, du allein bist weder Schöpfer, Erhalter noch Vernichter. Als einzelnes Wesen bist du ein Diener, von Gedanken verblendet und in keiner Weise unabhängig. Oh Vishnu, wie das Rad eines Töpfers wirst du von der Kraft Shivas getrieben, die verschiedenen Inkarnationen anzunehmen. Von dieser Kraft sind wir alle abhängig und daran gebunden. Dein Schädel, den du nach der Inkarnation als Schildkröte in der Schädelkette von Shiva zurückgelassen hast, ist immer noch da. Keiner verschwindet, der gebunden ist. Hast du schon vergessen, wie deine Hauer in der Verkörperung als Eber vom Sieger über Taraka gefallen sind? Oh Vishvaksena, du wurdest schon oft vom Feuer des Dreizacks verbrannt. Während des Opfers von Daksha wurde dein Kopf von mir in genialer Gestalt abgeschlagen. Oh Vishnu, der fünfte Kopf deines Sohnes Brahma wurde abgeschnitten und ist bis heute nicht zurückgekehrt. Auch das hast du vergessen. Und wie du mit allen Göttern von Dadhichi besiegt wurdest, fällt dir nicht mehr ein, auch wenn du dir den Kopf noch so sehr kratzt. Oh, du liebst deinen Diskus so sehr, doch weißt nicht mehr, wer ihn gemacht und dir gegeben hat. Wie kannst du dich als ein Befreiter bezeichnen, wenn du in allen Welten, die Shiva ergreift, vom Schlaf übermannt im Ozean liegst? Von dir bis zu einem Grashalm kann sich alles nur durch Rudras Macht entfalten. Daß du dir eigene Kraft und Macht einbildest, kommt nur von seinem Feuer. Gewöhnliche Menschen nehmen sein Strahlen gar nicht wahr, nur die mit geschärftem Blick können das Subtile erkennen. Dabei manifestiert sich Lord Shiva zwischen Himmel und Erde, in Indra und Agni, Yama und Varuna, im Herzen der Dunkelheit und im Licht des Mondes. Wenn du meinst, Kala zu sein, dann ist Shiva Mahakala und Kalakala. Und wenn du meinst, der Tod des Todes zu sein, dann bist du dennoch nur ein Teil von Shiva. Nur der Eine ist der unvergängliche Held, der wahre Herr und Beschützer des Universums. Er vernichtet das Fieber, er ist das gräßliche Biest und der goldene Vogel. Du, Brahma oder sonst jemand - keiner ist der Herrscher der Welten, außer dem Einen. So bedenke es wohl und besiege dich selbst. Oh Löwenmensch, sei weise, und bewahre deine Sicherheit. Denn sonst wird dich der Tod in Gestalt Bhairavas holen wie der Blitz in einen Baumstumpf einschlägt.

Dann schwieg Virabhadra, betrachtete den Löwenmenschen und war nicht im mindesten besorgt oder ängstlich.


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