Pushpak Shiva-Purana Buch 8Zurück WeiterNews

Kapitel 9 - Bhairavas Wanderungen

Nandi erzählte weiter:
Oh allwissender Sanatkumar, höre mit Liebe, wie die Geschichte mit Bhairava weiterging, denn sie vernichtet die Übel und vermehrt die Hingabe. In Gegenwart der furchtbaren Brahmahatya wanderte Bhairava durch die drei Welten und folgte mit dem Schädel in der Hand dem ihm auferlegten Ritus. Niemals verließ die Jungfrau die Seele des Universums und folgte ihm an alle heiligen Orte. Mögest du dadurch die Größe Shivas erkennen. Einmal beliebte es Bhairava, in Gesellschaft der Geisterwesen Vishnu zu besuchen. Als Vishnu diesen Großen, aus Shiva Geborenen sah, mit seinen drei Augen und den Schlangen als Ohrringen, da legte sich der Gott, seine Gemahlin und all sein Gefolge geradewegs flach auf den Boden. Dann verbeugten sie sich mit reinem Geist, falteten ihre Hände in Ehrfurcht und grüßten und priesen ihn.

Dann wandte sich Vishnu mit frohem Geist an seine Gemahlin, die schöne Lakshmi, die einst dem gequirlten Ozean entstiegen war und nun im Lotus wohnte:
Oh Geliebte mit den Lotusaugen, du bist gesegnet, oh reizende Dame mit den runden Hüften. Auch ich bin gesegnet, oh sanfte Dame, denn wir beide erblicken heute den Herrn des Universums. Er ist der Schöpfer, Erhalter und Herr aller Welten. Er ist das urerste Wesen, Herrscher über alle und Zuflucht für alle. Er ist der Frieden und jenseits aller Elemente und Prinzipien. Er ist allwissend, der Herr der Yogis, die einzige Führung für die Wesen, die allen Lebenden innewohnende Seele und derjenige, der alles spendet und verleiht. Oh Lakshmi, sieh nur, er ist der Herr, den die stillen und achtsamen Menschen im innersten Herzen mit dem Geist erkennen, wenn sie sich in atemlose Meditation versenken. Hier kommt er, der Allesdurchdringende, der formlos ist und hier und jetzt Gestalt angenommen hat, den nur die gezügelten Yogis erkennen können, welche die Veden wahrhaft leben. Oh wie wunderbar ist das Wirken von Lord Shiva, wenn man schon durch das achtsame Singen seiner Namen die Fesseln des Körpers abstreifen kann, den man einst angenommen hat. Wer ihn sehen kann, wird keine Wiedergeburt in der Welt erleiden müssen. Ja, dieser dreiäugige Herr kommt gerade zu uns. Oh Lakshmi, meine Lotusaugen sind wahrlich gesegnet, denn sie sehen den mondbekränzten Shiva. Ach Schande auf den Stand der Götter, der keine Befreiung kennt. Aber das Erkennen von Shiva befreit und erlöst von allem Elend. Ja, selbst das himmlische Dasein als Gott ist nichts wert, wenn man nicht den großen Herrn sehen und damit erlöst sein kann.

Nochmals verbeugte sich Vishnu vor Bhairava und erbebte vor freudigem Erschauern. Dann sprach er zum Herrn, der den Stier im Banner trägt:
Oh Herr, Du Unveränderlicher, oh Vernichter aller Sünden, was ist das, was der allmächtige Herr der Götter schuf? Oh Dreiäugiger, alles ist dein Wirken, doch wozu wanderst du so umher? Oh Herr der Shakti, warum bettelst du? Das frage ich mich, oh Herr des Universums, der du das Königreich der drei Welten erschufst.

Lächelnd erwiderte Bhairava:
Ich schnitt Brahmas Kopf mit meinem Fingernagel ab. Um diese Sünde zu bereinigen, folge ich dem heiligen Ritus.

Da erinnerte sich Vishnu an etwas, beugte sein Haupt und bat:
Oh großer Gott und Beseitiger aller Hindernisse, handle, wie es dir beliebt. Doch es ziemt sich nicht für dich, mich mit deinem Zauber zu verwirren. Ich weiß, oh Herr, daß im Laufe der Zeitalter Millionen von Brahmas mit Yoga-Kraft aus dem Lotus meines Nabels entstanden. Bitte verzichte auf diese Verblendung, die so schwer von den Ungezügelten zu durchschauen ist. Selbst Brahma und andere werden davon verwirrt. Oh Shiva, du Ziel aller Guten und Herr über alles, nur durch deinen Segen kann ich gerade deine Taten sehen. Wenn du zur Zeit der Auflösung alle Götter, Weisen und die Menschen aller Kasten verschlingst, oh du Vernichter der Welten, dann befleckt dich auch nicht die Sünde des Brahmanenmordes. Du bist an so etwas nicht gebunden und unabhängig, und daher kannst du wirken, wie es dir beliebt.

Doch nun strahlt die Girlande aus Brahmas Knochen an deinem Hals, und das Mädchen Brahmanenmord folgt dir Sündenlosem. Dabei wird jede große Sünde getilgt, wenn sich die Menschen nur recht auf dich, den Erhalter und Herrn aller Welten, besinnen. Wie die Dunkelheit nicht im Licht der Sonne bestehen kann, so können die Sünden deiner Verehrer nicht bestehen bleiben. Schon wenn man sich in das Paar deiner Lotusfüße vertieft, läßt du die Sünde des Brahmanenmordes erlöschen. Wer hingebungsvoll deinen Namen, oh Herr des Universums, ausspricht, den überwältigt keine Sünde, und sei sie so schwer wie ein Berg. Dies hier kann nur eine Laune von dir sein, oh du große Seele, du alleinige Zuflucht, du Gott, der aus Liebe hin und wieder Gestalt annimmt. Ich bin so gesegnet, weil ich deine kosmische Form sehen kann, welche selbst die Yogis nur schwer erkennen können. Heute ist der Tag meines größten Verdienstes und des glückverheißendsten Zeichens. Sogar der Himmel und die Befreiung scheinen mir so klein wie ein Grashalm zu sein.

Während Vishnu so sprach, füllte Lakshmi die Bettelschale von Bhairava, den Schädel, mit den erwünschten Almosen. Lord Shiva, der Bhairavas Gestalt angenommen hatte, ging freudig weiter, um an einem anderen Ort um Almosen zu bitten. Als das Mädchen Brahmahatya ihm folgte, bat Vishnu sie:
Bitte folge dem dreizacktragenden Gott nicht länger.

Doch Brahmahatya antwortete ihm:
In dieser Sache folge ich dem Gebot Shivas. Damit reinige ich mich und vermeide eine Wiedergeburt.

Ja, selbst auf Bitten Vishnus wich sie nicht von Bhairavas Seite, und Bhairava sprach lächelnd zu Vishnu:
Oh Herr der Lakshmi, du Verleiher aller Ehren, der Nektar deiner Worte hat mich gesättigt, denn alles was du gesagt hast, zeugt von deiner guten Natur. Oh Vishnu, wähle einen Segen, du Sündenloser, ich gewähre ihn dir, denn du bist von Ablenkung befreit und einer meiner treuesten Verehrer. Selbst ausgehungerte Bettler freuen sich über den Nektar der Verehrung mehr als über das köstlichste Essen.

Erfreut antwortete Vishnu:
Oh Herr der Götter, schon dich sehen zu können, ist ein großer Segen für mich, denn du bist mit Gedanken und Worten nicht erfaßbar. Oh Shiva, dies fühlt sich an wie ein süßer Nektarregen ohne jede Wolke. Ich juble im Inneren vor Glückseligkeit, denn dein huldvoller Blick, der auf den Guten weilt, ist der höchste Schatz. Möge ich niemals von deinen Füßen getrennt sein, oh Herr, das ist der einzige Segen, den ich mir erbitte.

Bhairava sprach:
Mein Lieber und Kluger, möge geschehen, worum du bittest. Du wirst den Göttern immer eine Hilfe sein.

Und Nandi fuhr fort:
Dann segnete er Vishnu und setzte seine Wanderungen fort. Über den Mittelpunkt der Erde, den Berg Meru, kam er nach Varanasi, der Stadt Befreiten. Sobald der schrecklich Aussehende den heiligen Ort betrat, fiel der Schädel von ihm ab, der ihn sonst überall hin begleitet hatte. Auch seine bis dahin treue Begleiterin, das Mädchen Brahmahatya, verschwand im Nu und sank betrübt in die niederen Bereiche. Rudra tanzte vor Freude, und der heilige Ort heißt seitdem Kapalamocana, die Befreiung vom Schädel. Nirgends sonst konnte die Sünde des Brahmanenmordes vergehen, denn die Stadt ist ein Ort, der Sünden abwäscht. Wer nach Varanasi pilgert, seine Reinigung sorgfältig durchführt und den Ahnen das Wasseropfer darbringt, der wird von seinen Sünden befreit. Und ja, schon wer sich achtsam auf das heilige Varanasi und die Befreiung vom Totenschädel konzentrieren kann, dem geschieht dasselbe. Denn Bhairava blickt auf den heiligen Ort und verdaut die Sünden der demütig Bereuenden. Es war am achten Tag der dunklen Hälfte des Monats Margasirsha (November/Dezember), als sich Shiva als Bhairava manifestierte. Wer an diesem Tag fastet, die Nacht über wacht und sich auf Bhairava konzentriert, dem werden große Sünden erlassen, egal, wo er sich gerade befindet, Hauptsache, er führt das Ritual in Demut aus. Wer Bhairava schaut, dem werden die Sünden aus Millionen Leben erlassen. Doch wer die Anhänger Bhairavas mißachtet oder kränkt, der ist verblendet und wird Elend erleiden. Selbst wer den schönen Shiva verehrt, aber den furchtbaren Bhairava ablehnt, der wird Kummer bekommen und sich in Varanasi nicht wohl fühlen. Wer sich in Varanasi aufhält und Bhairava nicht ehrt, dem wird Sünde aufgeladen, die so schnell wächst wie der Mond in der hellen Monatshälfte. Und wer in Varanasi die Riten für Bhairava nicht jeden Dienstag und am achten Tag in der dunklen Hälfte des Monats Kartika (Bhutashtami, Oktober/November) beachtet, dessen Verdienst schwindet wie der Mond in der dunklen Monatshälfte. Und wer achtsam die Geschichte von Bhairava hört, selbst wenn er im Gefängnis sitzt oder sich in Feindschaften suhlt, dem werden seine Sünden vergeben.


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