Pushpak Shiva-Purana Buch 8Zurück WeiterNews

Kapitel 8 - Die Erschaffung Bhairavas

Nandi erzählte weiter:
Oh allwissender Sanatkumar, höre auch die Geschichte von Bhairava, welche die Hingabe an Shiva stärkt. Bhairava ist eine frühe Form der großen Seele Shivas, und wer sich von Shivas Zauber verwirren läßt, erkennt dies nicht. Doch weder Vishnu mit den vier Armen noch Brahma mit den vier Köpfen können die volle Größe Shivas erfassen. Das ist nicht verwunderlich, ist doch Shivas Wesen unergründlich. Manche Menschen sind von seinem Zauber so geblendet, daß sie den großen Herrn nicht einmal verehren. Aus eigenem Willen kann man den Herrn nicht erkennen, doch wenn man tiefer schaut, dann sieht man den Herrn allein. Obwohl Shiva allgegenwärtig ist, sehen ihn die verwirrten Menschen nicht, und schon gar nicht mit ihrem Intellekt, denn er ist jenseits von Worten und Gedanken. Dazu werde ich dir eine alte Legende erzählen, oh großer Weiser, höre sie mit Vertrauen, denn sie enthält die Ursache vollkommenen Erkennens.

Einst thronte Brahma auf dem wunderbaren und schönen Gipfel des Meru, als ihn die Himmlischen besuchten, denn sie verspürten ein Sehnen nach Wahrheit. Mit ehrfürchtig aneinandergelegten Händen verbeugten sie sich und fragten Brahma mit allem Respekt:
Oh Herr der Götter, du Herr deiner Untertanen, großer Schöpfer und Führer der Welten, bitte sag uns die Wahrheit. Was ist wahrlich einzig und unveränderlich?

Geblendet und daher hochmütig gab ihnen der lotusgeborene Brahma zur Antwort:
Nun ihr besten Götter und Weisen, vernehmt aufmerksam und klug, wie ich euch das große Unveränderliche beschreibe. Ich selbst bin der Leib, der Herr und die materielle Quelle des Universums, der Schöpfer, selbstgeboren und ungeboren, das erste Wesen, das Brahman und die einzig unbefleckte Seele. Ich bin der Impulsgeber der Welten und auch ihr Schrecken. Nichts ist größer als ich es bin, und niemand anderes läßt die Welten sich drehen.

Diese Worte ärgerten Vishnu, denn auch er war sich Shivas Maya nicht bewußt. Höhnisch wandte er sich an Brahma:
Oh Brahma, das ist nicht recht. Für einen Yogapraktizierenden ist das völlig töricht. Und ohne das Wissen um die Wahrheit auch noch umsonst geplappert. Ich bin der Schöpfer aller Welten, die große Seele, der größte Herr, das Opfer, Lord Narayana, der Meister aller Maya und das größte Ziel. Auf mein Gebot hin, oh Brahma, hast du die Schöpfung ausgeführt. Ohne mich, mein Herr, gäbe es kein Leben in den Welten.

So begannen sie zu streiten, und um nur ja siegreich zu sein, befragten sie als nächstes die Veden. Vishnu und Brahma sprachen zu den vier Veden in ihrer verkörperten Form:
Ihr seid die Autorität an jedem Ort. Ihr werdet überall geehrt. So bitte sagt uns ohne Vorbehalte: Was ist wahrlich einzig und unveränderlich?

Die Veden dachten an den Herrn und sprachen:
Wenn ihr Götter der Schöpfung und Erhaltung uns als vertrauensvoll respektiert, dann werden wir euch sagen, was eure Zweifel beseitigen kann.

Brahma und Vishnu akzeptierten dies, und der Rigveda sprach:
In dem die Geister leben, aus dem alles entsteht, und wer als das Größte beschrieben wird - das ist Rudra allein.

Der Yajurveda sagte:
Der Herr, der mit allen Opfern und Meditationen geehrt wird, und der auch unser Oberhaupt ist - das ist einzig allein Shiva.

Der Samaveda sprach:
Durch ihn dreht sich das Universum, über ihn meditieren alle Yogis, und er ist das Licht, welches das Universum erhellt - Tryambaka allein ist der Größte.

Und der Atharvaveda fügte hinzu:
Shiva wird das eine Wesen genannt, welches jenseits allen Elends ist, der Herr der Götter, und ihn allein sehen die Menschen, welche den Segen der Hingabe haben.

Doch Brahma und Vishnu konnten nicht durch den Schleier sehen, lächelten gekränkt und antworteten den Veden:
Ach ihr Veden, was sagt ihr da für sinnloses Zeug? Was ist nur mit euch geschehen? All eure Weisheit scheint verloren. Der Herr der Geister vergnügt sich nur mit Parvati. Der Staub färbt ihn dunkel, seine Züge sind häßlich, die Schlangen ringeln sich um seinen nackten Körper, und sein verfilztes Haar weht im Wind, wenn er auf seinem Bullen reitet. Wie kann er das höchste Brahman sein? Wo ist dieses Brahman ohne jegliche Anhaftung?

Da nahm die heilige, formlose und alles durchdringende Silbe OM eine beeindruckende Gestalt an, wandte sich an die beiden Götter und sprach eindringlich zu den beiden:
Rudra, der Herr, der so viele Gestalten annehmen kann, vergnügt sich nur mit seiner Shakti, die sich nicht von ihm unterscheidet. Der große Herr strahlt aus sich selbst heraus und ist ewig. Er ist seine Shakti und damit Glückseligkeit, und kein bloßer Zufall.

Doch selbst nach diesen Worten verschwand die Torheit der beiden Götter nicht, und Shivas Maya beherrschte sie ganz allein. Da erschien plötzlich eine große Flamme inmitten der Versammlung, die ihren Glanz vom Himmel bis zur Erde erstreckte. Vishnu und Brahma sahen die Gestalt eines Mannes darin, dessen Körper riesig und wunderbar war. Brahmas fünfter Kopf brannte vor Zorn, als er sich fragte, warum dieses männliche Wesen über ihnen erschien. Zwar erkannte Brahma das große Wesen mit seinen drei Augen im rot-blauen Gesicht (blau = nila, rot = lohita, ein feuriger Aspekt Shivas), dem Dreizack und dem dritten Auge auf der Stirn, während sich Schlangen und Mondsichel als seine Ornamente zeigten. Doch immer noch spöttisch sprach er zu dem Wesen:
Oh Nilalohita, ich kenne dich. Sei unbesorgt, du Mondbekränzter. Du kamst einst aus meiner Stirn, und als du brülltest, war ich es, der dir den Namen Rudra gab. Such Zuflucht bei mir, mein Sohn, dann werde ich dich beschützen.

Der Hochmut erzürnte Shiva, und er erschuf den glühenden Bhairava zur Vernichtung. Zu ihm sprach er liebevoll:
Oh mein Großer, strafe als erstes diesen lotusgeborenen Brahma, denn du strahlst wie der gerechte Tod und bist daher Kalaraja (König der Zeit). Auch nenne ich dich Bhairava, den Schrecklichen, denn du bist zum Fürchten und kannst doch das ganze Universum tragen. Sogar Kala wird sich vor dir fürchten, und so bist du auch Kalabhairava. Mit deinem Zorn wirst du die gemeinen Seelen zügeln, so daß man dich als die Geißel der Hinterhältigen kennen wird. Du verschlingst die Sünden der Demütigen, du Sündenesser, und wirst allzeit über meine Stadt Varanasi herrschen, die Stadt der Befreiung und größer als jede andere Stätte. Du allein wirst diejenigen strafen, die Sünden begehen. Chitragupta, dieser Gott der Gerechtigkeit, wird dafür alle ihre heilsamen und auch unheilsamen Taten aufschreiben.

Und Nandi fuhr fort:
Nach all diesen Segen schnitt Bhairava sofort mit dem Nagel seines linken Fingers Brahmas Kopf ab. Denn der Teil, welcher verletzt, sollte gezügelt werden. Als Vishnu Brahmas höhnischen, fünften Kopf am Boden liegen sah, wurde er von Angst erfüllt. Er begann sogleich, demütig das Lob von Shiva zu singen, und Brahma mit dem goldenen Leib fiel unverzüglich ein. In nur einem Moment waren die beiden von ihrem Hochmut geheilt, und sie erkannten in Shiva das Höchste Brahman mit Sat, Chit und Ananda (Sein, Bewußtsein und Glückseligkeit). Er ist die große Seele, welche jenseits aller Eigenschaften ist. So höre meine heilsamen Worte, oh allwissender Sanatkumar. So lange es Hochmut gibt, ist der Weg zur Erkenntnis verschüttet. Nur wer Geltungssucht und Arroganz ablegt, kann den Herrn erkennen. Und daher tilgt Lord Shiva allen Hochmut.

Nachdem Brahma und Vishnu von ihrer Verblendung abgelassen hatte, freute sich der große Shiva, versicherte sie seines Schutzes, tröstete sie und wandte sich an seine Form Bhairava mit den Worten:
Vishnu und Brahma sollst du immer ehren, oh Bhairava. Trage Brahmas Schädel als Sühneopfer und zeige der Welt den reinigenden Ritus für Brahmanenmord, oh Nilalohita. Zieh umher, bettle um Almosen und folge dem Ritus des Schädels.

Nach diesen Worten erschuf der Herr eine Jungfrau namens Brahmahatya (Brahmanenmord). Und in Gestalt einer großen Flamme fuhr Shiva fort zu sprechen:
Für lange, lange Zeit wirst du dieser Jungfrau folgen, bis sie dich nach Varanasi führt. Nur dort wirst du von ihr erlöst.

Dann verschwand Shiva vor aller Augen.


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