Vyasa bat:
Oh bester Sohn Brahmas, du Kluger, das war eine wunderbare Geschichte. Doch nun erzähl, was in der Schlacht geschah. Wie wurde der Dämon Jalandhara getötet?
Sanatkumar gab zur Antwort:
Nachdem der Dämonenkönig Jalandhara Parvati nicht mehr sehen konnte, kehrte er zum Schlachtfeld zurück. Mit seiner Ankunft verschwand die Täuschung der tanzenden Himmelssänger, und Shiva auf seinem Bullen erwachte, wobei auch sein Bewußtsein wieder zum Schlachtfeld zurückkehrte. Nun wurde der Vernichter sehr zornig und auch ein wenig erstaunt. Er näherte sich Jalandhara zum Kampf, und dieser empfing ihn mit einem Pfeilehagel. Doch Shiva spaltete die heranstürmenden Waffen mit seinen eigenen Pfeilen, was dem Vernichter der Welten leicht fiel. Wieder nahm Jalandhara Zuflucht zur Magie und ließ ein Bild Parvatis entstehen. Und wieder ließ sich Shiva von einer weinenden Parvati täuschen, die am Streitwagen Jalandharas angebunden war und von den Dämonenanführern gequält wurde. Niedergeschlagen und verwirrt schaute er auf die Notlage seiner Geliebten wie ein gewöhnlicher Mensch. Der Meister der Illusion ließ schweigend den Kopf hängen, und vergaß vor lauter Verzweiflung, welch mächtiger Krieger er doch ist. Schnell traf da Jalandhara seinen Gegner mit drei Pfeilen in Brust, Bauch und Kopf, und die Geschosse drangen bis zum gefiederten Ende tief ein. Im nächsten Moment nahm Shiva, die Ursache vollkommener Weisheit und ein Meister im Wirken von Wundern, eine gräßliche und grell lodernde Gestalt an. Viele Dämonen flohen in alle Richtungen davon, denn sie konnten den Anblick nicht ertragen. Selbst die ruhmreichen, tapferen und vielmals schlachterfahrenen Sumbha und Nisumbha mußten das Schlachtfeld verlassen. Daraufhin verschwand Jalandharas Illusion, und es erhob sich großes Getöse und Geschrei.
Als Shiva die beiden Anführer der Dämonen umkehren sah, rief er ihnen einen Fluch hinterher:
Ihr seid so niederträchtig und feige. Erst beleidigt ihr mich, indem ihr Parvati bedrängt. Und jetzt rennt ihr vorm Kampf davon. Doch wer dem Schlachtfeld den Rücken kehrt, sollte nicht getötet werden. Darum verschone ich euch, doch es wird euch nichts nützen, daß ihr den Kampf mit mir meidet. Denn Parvati wird euch töten.
Während Shiva noch sprach, loderte in Jalandhara der Zorn wieder heiß auf, und er entließ viele spitze Pfeile auf Shiva, so daß die Erde von dieser Wolke in Dunkelheit gehüllt wurde. Shiva wehrte die Pfeile mühelos ab, und der Sohn des Ozeans schlug mit einer Keule auf den Bullen ein. Dieser kehrte sich ab und rannte davon, selbst als Shiva heftig an den Zügeln zerrte. Nun endlich enthüllte Shiva, sein gleißendes, zornvolles und unerträgliches Aussehen. Er beschloß endgültig den Tod Jalandharas, wie es Brahma vorausgesagt hatte, und segnete den Dämonen im tiefsten Herzen. Jalandhara stand so aufrecht wie der Berg Meru. Nun verwirbelte Shiva mit einem Zeh das große Wasser und schuf einen wilden, geheimnisvollen Strudel, aus dem ein scharfer Diskus erschien.
Dann erinnerte sich Shiva, wie Jalandhara die Götter gequält hatte, und sprach lächelnd zum Dämonen:
Oh Jalandhara, wenn du in der Lage bist, diesen Diskus anzuheben, welchen ich mit einem Zeh schuf, dann bist du mächtig genug, gegen mich zu kämpfen und zu bestehen. Anders nicht. (Sudarsana: sowohl der Diskus Vishnus, als auch ein Synonym für die Erde)
Jalandharas Augen glühten vor Zorn. Als ob er ihn mit seinen Blicken verbrennen wollte, starrte er Shiva an und gab zur Antwort:
Erst werde ich den Diskus anheben und dann dich mitsamt deinen Ganas töten. Wie Garuda die Schlangen vertilgt, so werde ich alle Menschen und Götter in der Welt töten. Denn ich kann alles vernichten, die lebenden und die unbelebten Dinge und allen voran Indra. Oh Shiva, wo ist derjenige in den drei Welten, der meinen bohrenden Pfeilen entkommen könnte? Schon als Kind hat Lord Brahma meine Energie zu spüren bekommen, und heute lebt er mit den anderen Weisen und Göttern in meinem Reich unter meiner Herrschaft. Ich habe in nur einem Moment das Universum unterworfen. Was könnte deine Askese, oh Shiva, dagegen ausrichten? Brahma, Indra, Kuvera, Agni, Yama, Varuna und die anderen Götter können meinem Heldenmut nichts entgegensetzen, wie Schlangen schon den Atem Garudas nicht ertragen können. Niemand und nichts im Himmel und auf Erden hat mich je aufhalten können. Ich überquerte alle Berge und zermalmte die Geister. Als mich der Arm juckte, zerschlug ich die hohen Gipfel von Mandara, Nila und dem glorreichen Meru. Nur aus Vergnügen hielt ich den Strom der Ganga im Himalaya auf. Sogar meine Diener besiegten die Götter, die meine Feinde sind. Ich packte das unterseeische Feuer, verschloß seinen Schlund, und die Welt wurde zu Wasser. Indras Elefant und die anderen himmlischen Elefanten wurden von mir in den Ozean gewirbelt, und Indra flog mitsamt seinem Streitwagen 300 Meilen weit davon. Sogar Garuda und Vishnu habe ich mit der Schlangenschlinge gebunden. Alle schönen himmlischen Nymphen mit Urvasi an der Spitze sind meine Sklavinnen. Oh Shiva, du kennst mich nicht, mich, den Eroberer der drei Welten, den großen Dämonen und Sohn des Ozeans.
Sanatkumar fuhr fort:
Nach diesen Worten stand Jalandhara unbewegt und dachte nicht an seine gefallenen Krieger. Shiva hörte noch eine Weile zu, wie der Dämon ihn mit groben Worten beleidigte und sich dabei auf die Arme schlug. Dann hob er den Diskus Sudarsana hoch, welcher wie das Feuer der Auflösung loderte. Und Himmel und Erde leuchteten auf, als er den Diskus auf Jalandhara wirbelte. Sogleich trennte die scharfe Waffe Jalandharas Kopf mit den großen Augen vom Rumpf. Körper und Haupt fielen wie eine dunkle Masse zu Boden und ließen die Erde erbeben. Nun erhob sich großes Geschrei. Das Blut des Dämonen erfüllte das ganze Universum, und die Erde krümmte sich. Auf Bitten Shivas gingen Blut und Fleisch des Dämonen in die Hölle Maharaurava ein und bildeten dort einen riesigen Sumpf. Doch der Glanz des Dämonen entfloh dem toten Körper und ging in Shiva ein, gerade wie der Glanz seiner Frau in Parvati eingegangen war.
Die Götter und himmlischen Wesen waren hoch erfreut über den Tod Jalandharas und riefen: „Wohl getan, oh Herr!“ Mit Blumenschauern sangen sie sein Lob. Voller Freude tanzten die himmlischen Damen und sangen mit süßen Stimmen die schönsten Lieder. Die Winde verbreiteten angenehme und duftende Luft, der Mond wurde kühl, die Himmelsrichtungen klarten auf, die Sonne strahlte wieder heller, der Himmel schmückte sich mit Glanz, und die Feuer brannten freundlich. Oh Weiser, so kamen Gesundheit und Normalität wieder in die drei Welten zurück, nachdem Shiva mit Urgewalt den Dämonen Jalandhara getötet hatte.