Pushpak Shiva-Purana Buch 7Zurück WeiterNews

Kapitel 23 - Vrindas Sittsamkeit wird entweiht

Da fragte Vyasa:
Oh allwissender Sanatkumar, bitte erzähl ganz genau, was Vishnu als nächstes tat. Wie wich Vrinda von ihrer Tugend ab?

Sanatkumar antwortete:
Nun, während Vishnu in die Stadt Jalandharas eilte, überlegte er, wie er dessen keusche Frau verwirren könnte. In meisterhafter Illusion nahm er einen wunderbaren Körper an, ging in einen der Parks in der Stadt und sandte Vrinda einen Traum. Und obwohl die sanfte Gattin Jalandharas nur reinen Riten folgte, hatte sie nun einen üblen Traum des Nachts. Sie träumte, daß ihr Ehemann nackt und mit Öl gesalbt auf einem Büffel saß. Er ritt in Richtung Süden, und sein Haupt war glattrasiert. Schwarze Blumen schmückten ihn, und viele Dämonen dienten ihm in völliger Dunkelheit (alles Zeichen dafür, daß er bald sterben würde). Und danach, gegen Morgen, träumte sie noch, daß die ganze Stadt im Meer unterging und mit ihr alle Bewohner, auch sie selbst. Erschreckt wachte sie auf und erblickte die aufgehende Sonne mit einem Loch in der Mitte, die immer wieder erblaßte. Sogleich wußte die Dame, welch schlimme Omen dies waren und weinte ängstlich. In ihrem Palast mit all den schönen Terrassen und Türmen fand sie keine Ruhe und ging mit zwei ihrer Freundinnen in den Park. Doch auch hier fand sie keinen Frieden und wanderte niedergeschlagen und ruhelos herum, mit den Gedanken immer bei ihrem Traum. Plötzlich sah sie zwei Dämonen mit gräßlichen, löwenähnlichen Gesichtern und gebogenen Fangzähnen. Panisch rannte die Dame davon, um gleich darauf einen Asketen zu erblicken, der inmitten seiner Schüler mit sanfter Miene Schweigen übte.

Außer sich vor Angst schlang sie ihre Arme um seinen Hals und keuchte:
Oh Weiser, rette mich, ich suche bei dir Zuflucht.

Der Asket vertrieb die Dämonen mit einem lauten und klingenden „Hum“, und Vrinda war außerordentlich erstaunt, daß diese Schreckgestalten schon vor der heiligen Silbe flohen. Erleichtert verbeugte sie sich vor dem großen Heiligen, faltete ihre Hände und sprach zu ihm:
Oh bester Heiliger, du Ozean an Mitgefühl hast mich vor den Dämonen und aus schrecklicher Gefahr gerettet. Du bist so mächtig und allwissend, daß ich dich etwas fragen möchte. Bitte hör mich an. Mein Ehemann ging, um gegen Shiva zu kämpfen. Oh Heiliger der guten Riten, wie ergeht es ihm in der Schlacht? Bitte sag mir das.

Doch der Heilige schwieg bedeutungsvoll und schaute nur mitfühlend zu ihr auf. Da erschienen zwei herrschaftliche Affen vor ihm, verbeugten sich, und auf ein Zeichen seiner Augenbrauen hin erhoben sie sich in den Himmel. Im Nu waren sie zurück und trugen Kopf, Rumpf und Glieder von Jalandhara. Bei diesem Anblick fiel Vrinda in Ohnmacht vor Schmerz.

Dann klagte sie:
Oh Herr, früher hast du wohlwollend mit mir gescherzt, doch jetzt sprichst du nicht mehr mit mir. Warum sagst du kein Wort zu deiner treuen Geliebten? Wie kann es sein, daß du alle Götter und Himmlischen besiegt hast, und dich nun ein armer Asket im Himalaya schlug? Oh bester Dämon, du hast wohl Shiva nicht erkannt, und auch meine Worte, daß Shiva das Höchste Brahman ist, hast du nicht beachtet. Ich habe dir wahrhaft gedient, und ich meine, daß es nicht Niedertracht war, sondern schlechte Gesellschaft, die dich so handeln ließ.

So weinte und klagte die keusche Dame mit gepeinigtem Herzen. Dann beruhigte sie sich ein wenig, verbeugte sich vor dem Heiligen und sprach zu ihm mit tiefen Seufzern:
Oh guter Heiliger, du Schatzhaus an Gnade, der du anderen immer hilfst, bitte habe Mitgefühl mit mir und erwecke meinen Gatten wieder zum Leben. Du sanfter Herr und großer Weiser, ich weiß, daß du das kannst. Bitte gib meinem Geliebten das Leben wieder.

Dann warf sich die keusche Dame vor dem Asketen zu Boden, und er antwortete:
Dieser Dämon kann eigentlich nicht wiederbelebt werden, denn es war Shiva, der ihn in der Schlacht tötete. Wer von Shiva getötet wird, kehrt niemals wieder ins Leben zurück. Doch, ich kenne die ewige Pflicht, diejenigen zu beschützen, die um Hilfe bitten. Mitgefühl läßt mich handeln und ihm das Leben zurückgeben.

Und so erweckte der Heilige, welcher kein anderer als Vishnu war, den Toten wieder zum Leben und verschwand. Jalandhara erhob sich, sah seine Gattin, freute sich sehr, umarmte und küßte sie. Auch Vrinda war überglücklich und vergaß allen Kummer. Voller Entzücken meinte sie, daß alles nur ein Traum gewesen sein müsse, und mit neu erweckter Leidenschaft vergnügte sie sich mit ihrem Gatten in diesem Wald für viele Tage.

Doch einmal, als sie eben miteinander geschlafen hatten, erkannte sie plötzlich Vishnu und tadelte ihn zornig:
Schande über diese elende Tat Vishnus, mit der er die Keuschheit einer tugendhaften Frau zerstört hat. Ich habe dich nun auch erkannt, wie du als Asket erschienen bist in all deiner täuschenden Illusion.

Und dann zeigte sie ihm in großem Zorn die strahlende Macht, die eine tugendhafte Frau erlangen kann, indem sie Vishnu verfluchte:
Oh eitler Feind der Dämonen, du Beschmutzer der Tugend anderer, du Hinterhältiger und Gemeiner, empfange diesen Fluch von mir, der größere Kraft hat als alles Persönliche. Die beiden löwenartigen Dämonen, die du vor mir erscheinen ließest, sollen zu Rakshasas werden und deine Frau entführen (Maricha und Ravana, die in einer späteren Geburt Sita, die Frau Ramas, einer Inkarnation Vishnus, entführen). Dann wirst du gräßliche Verzweiflung spüren, wenn du mit Sesha, dem Herrn aller Schlangen (Lakshmana, der Bruder Ramas), im Walde nach ihr suchst und von ihr getrennt bist. Und schließlich wirst du um die Hilfe von Affen bitten müssen (Sugriva und seine Heerscharen).

Nachdem sie diesen Fluch ausgesprochen hatte, warf sie sich ins Feuer, obwohl Vishnu sie abhalten wollte, denn ihr Zauber hatte ihn berührt. Brahma und die anderen Götter versammelten sich mit ihren Gemahlinnen im Himmel, um Vrindas Erlösung anzuschauen. Und ihre strahlende Erscheinung ging sogleich in Shivas Reich ein, noch während die Götter schauten. Vrindas Glanz verschmolz mit Parvati, und ein großer Jubelschrei „Sieg“ rang durch den Himmel. Nun, oh Vyasa, so erlangte die große Königin Vrinda, die vorzügliche Tochter von Kalanemi, aufgrund ihrer Sittsamkeit die große Befreiung. Vishnu dachte reumütig an die fromme Dame, und er bedeckte sein Antlitz mit der Asche ihres Scheiterhaufens. Er stand unbewegt, doch sein Geist fand keinen Frieden, obwohl ihn Scharen von Göttern und himmlischen Wesen zu trösten versuchten.


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