Da bat Vyasa:
Oh allwissender Sanatkumar, was tat nun der König der Dämonen, nachdem Narada wieder gegangen war? Bitte erzähl es mir ganz genau.
Sanatkumar sprach:
Das Lob über Parvatis Schönheit hatte sich tief in das Herz von Jalandhara eingegraben, und die Begierde nach der Dame schmerzte ihn sehr. Verblendet, ohne Vernunft und völlig unter der Herrschaft der vernichtenden Zeit sandte er nach seinem Boten Rahu und gab ihm höflich folgenden Auftrag.
Jalandhara sprach:
Oh kluger Rahu, mein bester Bote, geh zum Berg Kailash und fördere mein Sehnen. Dort lebt ein weiser Yogi namens Shiva. Du erkennst ihn an seinen verfilzten Locken, seiner Unabhängigkeit, den kontrollierten Sinnen und dem mit Asche beschmierten Körper. Sprich ihn furchtlos an, mein Lieber, und sag ihm von mir: Oh Yogi, welchen Nutzen hat eine zarte und schöne Dame für dich, der du unberührt im Dschungel der Kobolde und Geister lebst? Das ist völlig unpassend in einer Welt mit mir als Herrscher. So gib mir lieber deine sinnliche Dame, denn ich erfreue mich an Schönheit. Wisse, das ganze Universum mit seinen belebten und unbelebten Dingen ist unter meiner Herrschaft. Ich besitze alle vorzüglichen Dinge, denn ich bin der Herr der drei Welten. Ich erkämpfte mir mit siegreicher Gewalt den trefflichen Elefanten Indras, das beste Pferd Uchaisravas und den himmlischen Parijata Baum. Sogar der göttlich schöne Wagen Brahmas, den der Schwan zieht, steht nun in meinem Palasthof. Kuveras Juwelen sind mein, Varunas Schirm beschattet golden mein Haupt, und meines Vaters niemals welkende Blumengirlande steht wie seine Schlinge ebenfalls mir zur Verfügung. Mrityus vorzüglichen Speer habe ich ergriffen, und Agni mußte mir sein im Feuer gereinigte Kleidung überlassen. Ja, großer Yogi, alle schönen Dinge der Welt erstrahlen in meinem Besitz, also übergib mir auch deine zauberhafte Dame, diese Schönste aller Schönen.
Rahu hörte aufmerksam zu, ging zum Kailash und wurde von Nandi eingelassen. Mit Staunen und Verblüffung ging er zur Halle von Shiva und erblickte den großen Herrn, der mit seinem Glanz alle Dunkelheit vergehen läßt. Zwar trug er Asche auf seinem Leib und verfilzte Locken, doch auch alle Zeichen der Königswürde und wunderbare Ornamente, die seine schöne Gestalt und Miene noch verschönten. Rahu verbeugte sich, und sein Hochmut sank in Angesicht solchen Glanzes. Zwar wollte er vor Shiva sprechen, doch so nahe bei ihm zögerte er.
Schließlich ließ ihn eine Geste des dreiäugigen Shivas beginnen, und er sprach:
Ich bin ein Bote vom Herrn der drei Welten, der würdig ist, daß ihm die Dämonen und Schlangen ewig dienen. Ich kam zu dir, weil er mich sandte. Jalandhara, der Sohn des Ozeans, ist unser Herr und König, er regiert alles und jeden. Für die Götter ist er wie der Gott des Todes. So höre, was dir dieser Meister aller Mächte und Dinge sagen läßt, oh großer Yogi und Gott mit dem Bullen im Banner. Wie kann die glücksverheißende Tochter des Himavat die Ehefrau eines nackten Asketen sein, der auf Verbrennungsplätzen lebt und eine Girlande aus Knochen trägt? Ich bin der Besitzer aller schönen Dinge, und sie ist die Vorzüglichste aller Damen. Sie verdient mich eher als dich, der von Almosen lebt. Die drei Welten sind unter meiner Kontrolle, ich erhalte die Anteile jeden Opfers, und in meinem Palast finden sich alle begehrenswerten Dinge dieser Welt. Und ich erfreue mich an ihnen, während du ein nackter Yogi und enthaltsamer Asket bist. So übergib mir deine Dame, denn Untertanen sollten ihrem König immer seinen Willen erfüllen und ihn glücklich machen.
Sanatkumar fuhr fort:
Nach diesen Worten entfuhr der Stirn Shivas ein brüllendes Wesen aus dem Punkt zwischen den Augenbrauen. Es hatte ein Löwenmaul mit zuckender Zunge, die Augen entließen zischenden Funken, das Haar stand nach allen Seiten ab, und sein Körper war zäh und rauh. Es erinnerte an den Löwenmenschen, die Gestalt, die Vishnu einst annahm. Es war riesig mit langen Armen. Schon seine Waden waren so stämmig wie Palmyra Bäume, und blitzschnell griff es Rahu an. Dieser versuchte panisch zu fliehen, doch das Wesen packte ihn sofort.
Da rief Rahu flehend:
Oh Herr, großer Herr, Herr der Götter, rette mich, denn ich suche Zuflucht bei dir. Du bist allseits würdig, daß sowohl Götter als auch Dämonen dich verehren. Du bist der Große, der alle Reichtümer und Fähigkeiten besitzt. Oh Herr, dein gräßlicher Diener will mich, einen Brahmanen, verschlingen. Ach, bitte rette mich. Verehrung sei dir, immer und ewig.
Und Shiva, der immer den Geplagten geneigt ist, sprach zu dem Wesen:
Laß ab von dem Brahmanen Rahu, dem Boten, der Hilfe erfleht. Denn, oh trefflicher Geist, wer um Zuflucht bittet, sollte immer beschützt und niemals bestraft werden.
Auf die mitfühlenden Worte hin ließ der Geist Rahu frei, trat vor Shiva und bat flehentlich:
Oh großer Herr, Herr der Götter, oh gnädiger Shiva, du geliebte Gottheit aller Götter, mein Opfer wurde mir genommen. Doch ich habe quälenden Hunger, daher bin ich so abgemagert. Oh Herr, was kann ich essen? Bitte gebiete mir meine Nahrung.
Und Shiva erwiderte:
Wenn dich der Hunger so sehr plagt, und du Nahrung mehr als alles begehrst, dann iß das Fleisch deiner Glieder auf.
Dem Wort Shivas folgte das Wesen getreu und verschlang das meiste seines Körpers, bis nur der Kopf übrigblieb. Die furchtbare Tat erfreute Shiva und lächelnd sprach er zu dem Wesen:
Oh großer Gana, du bist gesegnet, denn du hast meine Worte ohne zu zögern ausgeführt. Ich bin zufrieden mit deiner Tat, oh Guter. Du sollst von nun an als Kirtimukha bekannt (glorreiches Gesicht) und mein Torwächter sein. Du wirst einer meiner besten Ganas sein, heldenhaft und gräßlich zu allen hinterhältigen Wesen. Du bist mir teuer, und daher, wenn ich verehrt werde, wirst auch du von meinen Anhängern verehrt werden. Wer dich nicht ehrt, kann mir nicht lieb sein.
Nach diesem vorzüglichen Segen freute sich das Wesen sehr. Und sogleich bezog er seinen Posten am Tor des Herrn der Götter, wo er bis heute verweilt. Man sollte ihn immer ehren, wenn man Shiva ehren möchte, ansonsten ist das Ritual vergebens.