Die Weisen baten:
Oh heiliger Herr, wir möchten das große Pashupata Gelübde (Vrata) hören, bei dem Brahma und andere zu Pashupatas wurden, nachdem sie es ausführten (Pashupati ist Shiva als Herr der Tiere und aller Lebewesen, Pashupatas sind die Verehrer von Pashupati).
(Aus Yoga Vidya: Die shivaitische Sekte (im ursprünglichen Sinn von "Abteilung, Untergruppe") der Pashupata ist die älteste der heute bekannten shivaitischen Hauptströmungen und reicht bis ins 1. Jh. u. Z. zurück. In diesem System bezeichnet pati "Herr" Shiva, das höchste Prinzip, pashu "Haustier" die gebundene Individualseele und pasha "Fessel" all das, was die Individualseele an die Welt und damit an den Kreislauf der Wiedergeburt (samsara) bindet.)
Vyasa sprach:
Ich werde euch das große Geheimnis des Pashupata Gelübdes enthüllen, welches alle Sünden auslöscht. Es ist auch in der Atharvasiras Upanishad erklärt. Die rechte Zeit für den Ritus ist der Vollmondtag im Monat Chaitra. Der Ort kann ein jeder, Shiva angenehme Ort mit guten Eigenschaften sein. Es möge ein glücksverheißender Ort sein, wie der Garten in einem heiligen Zentrum oder ein Wald. Zuerst sollte der Verehrer am dreizehnten Tag des Monats die besondere Verehrung durchführen, beginnend mit einem Bad und den täglichen Riten. Er hole die Erlaubnis seines Lehrers ein, verbeuge sich vor ihm und ehre ihn. Dann trage er reine, weiße Kleider, auch die heilige Schnur und die Blumengirlande sollten weiß sein, und bedecke seine Haut mit heller Sandelpaste. Er setze sich auf Darbha Gras, halte eine Handvoll Darbha Gras und schaue gen Osten oder Norden. Dreimal führe er Pranayama aus, meditiere über Gott und Göttin, gebe sich in ihre Obhut, formuliere seine Absicht und spreche das Sankalpa wie folgt: „Ich führe nun das Pashupata Gelübde aus.“. Die Zeitspanne für das Gelübde kann wie folgt gewählt werden: bis zum Tod, für 12, 6 oder 3 Jahre, für 12, 6 oder 3 Monate, für einen Monat, für 12, 6 oder 3 Tage oder für einen Tag.
Als nächstes entzünde er das Opferfeuer wie im Viraja Homa und opfere geklärte Butter und Charu (u.a. gekochter Reis). Nachdem er die Gaben dem Feuer übergeben hat, spreche er „Namah Shivaya“ und gebe heilige Zweige ins Feuer. Währenddessen denke er: Mögen die Tattwas in meinem Körper gereinigt werden. - Die Tattwas sind dabei: die fünf Elemente, die fünf Tanmatras, die fünf Sinnes- und Handlungsorgane, die sieben Dhatus wie z.B. die Haut, die fünf Lebensatem wie z.B. Prana, Intelligenz, Denken, Ichbewußtsein, die drei Gunas, Prakriti, Purusha, Raga, Vidya, Kala, Niyati, Zeit, Maya, reine Erkenntnis, Maheshvara, Sadashiva, Sjakti und Shiva Tattwa. Nach dem Homa mit allen Viraja Mantras ist er von allen Hindernissen befreit. Erlangt er Shivas Segen, erhält er vollkommene Erkenntnis.
Dann sammle er Kuhdung, rolle ihn zu Kugeln und bespreche sie mit Mantras. Er lege die Kugeln ins Feuer und besprenkle sie mit Wasser. An diesem Tag sollte er nur gekochten Reis mit geklärter Butter zu sich nehmen.
Den Morgen des vierzehnten Tages beginne der Verehrer ebenso, und faste den Rest des Tages.
Am Tag des Vollmondes führe er dieselben Riten aus. Am Ende des Opferrituals lösche er das Feuer und sammle sorgfältig die Asche ein. Ab da sollte er entweder verfilzte Locken tragen, das Haar ganz abrasieren oder nur ein verfilztes Büschel stehen lassen. Dann bade er, und falls er nicht sehr schüchtern ist, bleibe er ab da nackt. Ansonsten trage er ockerfarbenen Stoff, Fell oder Bast, doch er beschränke sich auf ein Kleidungsstück. Außerdem trage er Stab und Gürtel. Dann wasche er seine Füße, nippe zweimal am Wasser (Acamana) und trage die Asche aus dem Opferfeuer von Kopf bis Fuß auf, wobei er die sechs Mantras wiederhole beginnend mit „Agniriti“ aus den Atharvana Texten. Noch einmal stäube er seinen Körper ein und spreche dabei „OM Shiva“. Mit dem Mantra „Triyayusam“ zeichne er das Tripundra, erkenne sich als Shiva und führe Shiva Yoga aus. Das ist seine Pflicht am Morgen, Mittag und Abend (zu den drei Sandhyas). Dieses Pashupata Gelübde gewährt weltliche Freuden und Erlösung, denn es löst die Schlinge der weltlichen Anhaftung.
Befreit ehre er nun das Shiva Linga. Und wenn es möglich ist, sollte eine achtblättrige Lotusblüte aus Gold und mit neun kostbaren Edelsteinen gemacht werden. Das Innere der Blüte soll fein gestaltet sein. Doch wenn das nicht machbar ist, dann tut es auch ein roter oder weißer Lotus. Und wenn der auch nicht verfügbar ist, konzentriere sich der Verehrer auf das Bild eines Lotus vor seinem inneren Auge. In der Mitte der Blüte bewahre er ein kleines, kristallenes Linga nebst Podest und verehre es. Nachdem alles fein und nach den Regeln angeordnet ist, konzentriere er sich auf das Bild des Gottes mit seinen fünf Gesichtern und das Podest. Dann folgt die Waschung aus goldenen Gefäßen mit den fünf heiligen Flüssigkeiten, wenn er sie bekommen kann: Milch, Joghurt, geklärte Butter und Urin und Dung einer Kuh. In den goldenen Gefäßen bewahre er auch Düfte und Kampfer, Sandel und Safran. All dies gieße und schmiere er über das Linga, welches mit Ornamenten geschmückt ist. Dann ehre er das Linga mit Bilva Blättern, roten, weißen und blauen Lotusblüten, anderen duftenden Blumen, heiligen und glücksbringenden Blättern und heiligem Gras, wie er es nach den Regeln beschaffen konnte. Dann schwenke er die Lichter und opfere der Gottheit Rauchwerk und Essen. Nach der Verehrung sollte sich der Anhänger mit heilsamen Dingen beschäftigen.
In diesem Ritual opfere man dem Gott schöne und angenehme Sachen, die man ehrlich erworben hat, was auch immer es sei.
Die zu opfernden Lotusblüten zählen eintausend oder mindestens 108. Und Bilva Blätter, oh Brahmanen, sollten niemals fehlen. Ein goldener Lotus ist soviel wert wie tausend andere. Blauer Lotus gilt wie Bilva, und für die anderen Blumen gibt es keine Regeln. Bei ihnen sollte man opfern, was und wieviel gerade wächst. Ein Arghya (Gastgeschenk) aus acht Bestandteilen wird höchst empfohlen. Das gilt auch für Räucherwerk und Düfte. Für den Gott Vamadeva ist Sandelpaste günstig, für Purusha Rauschgelb und für Ishana Asche. Beim Räuchern ist das Prozedere anders. Weißes Aguru ist für Aghora, schwarzes für Purusha. Guggulu ist für Sadyojata und Saumya, Usira (oder Khas) für Ishana. Sandel, Räucherwerk, Zucker, Honig, Kampfer und die geklärte Butter von einer dunkelbraunen Kapila Kuh kann immer dargeboten werden. Die Lichter sollten Lampen sein, in denen Kampfer verbrannt wird und der Docht in geklärte Butter getaucht ist. Jedem Antlitz Shivas sollte das Gastgeschenk und Wasser zum Nippen dargebracht werden. In der ersten, also äußersten Spalte des Diagramms ehre man Ganesha und Kartikeya und auch Brahma. In der zweiten Spalte ehrt man die Chakravarti Vighneshas, in der dritten die Bhava und die anderen der acht Formen von Shiva und in der vierten die elf Bilder von Mahadeva und alle Ganeshvaras. In der fünften Spalte außerhalb vom Lotus ehre man die Herren der zehn Himmelsrichtungen mitsamt ihren Waffen und Gefolgsleuten, die geistigen Söhne Brahmas, die Leuchtkörper (am Himmel), die Göttinnen und Götter, die Bewohner des Himmels und der unteren Welten, die Weisen, Yogis, Opfer, Vögel, Mütter, Kshetrapalas mit ihren Ganas und das Universum mit allen belebten und unbelebten Geschöpfen darin. Sie alle sind ehrenwert, denn sie alle sind von Shiva erfüllt, und es erfreut Shiva, wenn man dies verinnerlicht. Am Ende der Verehrung des Diagramms, wird der höchste Herr geehrt und ihm köstliches Essen mit geklärter Butter als Opfer dargebracht. Auch gibt man Betel und dazu etwas zum Kauen, damit der Mund duftet. Noch einmal wird alles mit Blumen und Ornamenten geschmückt, und mit dem Schwenken der Lichter wird die umfassende Verehrung beendet. Dazu gibt man eine Trinkschale und ein Lager, und auf das Lager legt man eine mondgleiche Blumenkette. Alles, was man gibt und benutzt, sollte fein, angenehm und ordentlich sein. Dann rezitiere man die Vyapohana Hymnen und „Namah Shivaya“. Nach dem Umschreiten und der Verbeugung sollte der Verehrer sich selbst widmen. Und vor dem Angesicht des Herrn ehre er zwei brahmanische Lehrer. Nachdem Arghya und acht Blumen dargebracht wurden, verabschiedet er den Herrn rituell vom Linga. Und zum Schluß wird das Feuer rituell verabschiedet. Diesen Dienst sollte der Verehrer täglich ausführen. Danach übergebe er das Linga mit allen Abzeichen und dem Lotus dem Lehrer oder einem Tempel. Er ehre die Älteren, Brahmanen und speziell die einem Gelübde folgen, beschenke die brahmanischen Verehrer und auch die Armen und Hilflosen, wenn es ihm möglich ist. Wenn er kann, befolge er eine Diät aus Früchten und Wurzeln oder faste. Auch Milch als Diät ist gut, oder von Almosen leben oder nur eine Mahlzeit während der Nacht. Er sollte Körper und Geist rein halten und auf dem blanken Boden schlafen oder auf Gras oder Asche. Als Kleid diene ihm Hirschfell oder Bast, und er befolge das Zölibat. Das ist der heilige Ritus, dem er folgen sollte. Wenn er kräftig genug ist, sollte er sonntags an Ardra Sterntagen fasten, bei Voll- und Neumond und am achten und vierzehnten Tag des Monats. Er sollte allen Kontakt, sowohl geistig, verbal und körperlich, mit gefallenen Menschen, Frauen während ihrer Menstruation, Shudras und Gottlosen meiden. Immer übe er Vergebung, Wohltätigkeit und Mitgefühl und meide Gewalt zu allen lebenden Wesen. Er verweile in Frieden, Stille, Meditation und dem Singen der Namen Gottes. Dreimal am Tag bade er oder staube sich mit Asche ein. Und immer übe er Verehrung in Geist, Wort und Tat.
Doch wozu noch mehr sagen? Wer diesem Gelübde folgt, sollte kein Unheil anrichten. Falls es ihm doch unabsichtlich passiert, dann möge er die Schwere seiner Sünde bedenken und versöhnliche Riten ausführen in Form von Verehrung, Opfer, Japa usw. Und bis zum Ende des Ritus vermeide er weitere Fehler. Auch gebe er wohltätige Gaben wie Kühe und Ochsen und halte die Opfergaben so reichlich, wie es seine Verhältnisse erlauben. Doch Hingabe ist dabei das Wichtigste, zur Freude Shivas mache er die Geschenke und nicht aus einem eigennützigen Grund. So habe ich euch die allgemeinen Regeln dieses Gelübdes kurz erläutert, und komme nun zu den speziellen Riten in jedem Monat.
Folgende Lingas sind besonders wertvoll: im Monat Vaisakha ein Linga aus Adamant, in Jyeshtha eins aus Smaragd, in Ashadha aus Perlen, in Sravana aus Saphir, in Bhadrapada aus Rubin, in Aswina aus Onyx, in Kartika aus Koralle, in Margasirsha aus Lapislazuli, in Pausha aus Topas, in Magha aus Sonnenstein, in Phalguna aus Mondstein und in Chaitra ein sonnenfarbenes Linga. Falls die Edelsteine nicht verfügbar sind, kann man sie mit Gold ersetzen. Und falls Gold nicht möglich ist, dann nimmt man Silber, Kupfer, Stein oder Lehm, um das Linga herzustellen. Auch Gummilack kann man verwenden, was eben möglich ist. Auch aus vielen, schönen Blumen kann man ein Linga formen, wenn’s beliebt.
Nach dem Gelübde, wenn die täglichen Riten erledigt sind, sollt man die besondere Verehrung nebst Opfer wie eben beschrieben durchführen. Dazu ehrt man den Lehrer und besonders die Gelübdetreuen und holt die Erlaubnis des Lehrers ein. Dann sitzt man gen Norden oder Osten auf Darbha Gras, hält ein Büschel Darbha Gras in der Hand und zügelt den Atem (Prana und Apana, ein- und ausatmen). Dann spricht man das Mula Mantra, soweit man das kann, und meditiert über Shiva und Shakti. Mit Erlaubnis und Verbeugung sagt man ehrfürchtig mit aneinandergelegten Händen: „Oh Herr, mit deiner Erlaubnis beende ich das Gelübde.“ Dann wirft man das Darbha Gras gen Norden fort zum Sockel des Linga, und legt den Stab und die verfilzten Locken ab, den Gürtel und auch die Bastkleider. Und nach dem Nippen von Wasser wiederholt man „Namah Shivaya“.
Wer sich entschlossen hat, dieses Gelübde bis zum Tode zu befolgen, die Initiation genommen hat und danach lebt, der ist ein Naisthika (Entsagender), Atyasramin (höchster Asket), Mahapashupata und ein besonderer Gelübdetreuer. Kein anderer Asket, der nach Erlösung strebt, gleicht ihm an Zufriedenheit. Wer das Gelübde für 12 Tage befolgt, ist schon ein Naisthika, denn das Ritual ist so wirksam. Auch ein Naisthika ist, wer mit Hingabe dem Ritus für 2 oder 3 Tage folgt und seinen Körper in geklärter Butter badet. Wer den Ritus befolgt, ohne den Wunsch nach Gewinn, sondern einfach, weil er meint, es sei seine Pflicht, der widmet seine Seele beständig Shiva und ist ohnegleichen. Ein Anwärter, der sich mit heiliger Asche bedeckt, der ist sogleich befreit von den gräßlichen Folgen sogar großer Sünden. Und was ist das Glorreiche, was in der Asche gepriesen wird? Es ist die besondere Kraft des Rudra Feuers. Wer sich also mit Asche verbindet, verbindet sich allezeit mit Lebenskraft. Wer in Asche (Bhasma) badet und das Tripundra aus Asche trägt, wird Bhasmanishta genannt. Seine Makel schwinden, weil er sich mit dem Bhasma Feuer verbindet. Vor einem solchen weichen böse Geister, Kobolde und widrige Krankheiten zurück. Man benennt die Asche auf vielerlei Art: Bhasita, denn sie strahlt, Bhasma, denn sie verdaut Sünden, Bhuti, denn sie erzeugt Wohlstand, und Raka, denn sie beschützt. Ach, was ist noch nötig, um zu zeigen, wie heilig Asche ist? Der Gelübdetreue, der sich in Asche badet, ist Shiva selbst. Die Asche ist eine treffliche Waffe für die Verehrer von Shiva. Es ist wie ein himmlisches Geschütz, mit dem Upamanyu, der ältere Bruder von Dhaumya, alle Makel während seiner Buße bereinigte. Man sollte daher auf jede Art heilige Asche bei sich tragen und immer darin baden, nachdem man das Pashupata Gelübde beendet hat.