Pushpak Shiva-Purana Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 31 - Belehrung in Weisheit

Vayu sprach:
Nun ihr Weisen, es ist normal, daß ihr aus gutem Grund Zweifel hegt. Doch der Wunsch nach Erkenntnis bringt in klugen Menschen noch keine Gottlosigkeit hervor. Ich werde euch tiefes Wissen aufzeigen, damit sich eure Verwirrung auflöst. Die Hinterhältigkeit von Gemeinen kommt nur zustande, wenn die Gnade des Herrn fehlt. Es ist klar und deutlich, daß nichts ohne die Gunst Shivas geschehen kann, dieser vollkommenen und höchsten Seele. Die innere, gute Natur allein ist der Nährboden für den Segen des Herrn, nichts kann ohne diese innerste Natur gesegnet werden. Der Herr segnet das Universum, welches in Gestalt des Unmanifesten und Manifesten Segen benötigt. Er segnet unablässig alles. Und niemals kann der oder das Gesegnete unabhängig vom Segen sein. Daher wird der Begriff der Freiheit nicht als etwas Unabhängiges beschrieben. Alles ist von Segen abhängig. Und ohne Segen gibt es weder Befreiung noch Glückseligkeit.

Auch die verkörperte Seele gehört zu den Segenempfangenden. Und Shivas Segen besteht darin, Verwirrung und Unwissenheit auszutreiben, denn er selbst wird niemals von Unwissenheit beeinflußt. Indem wir das Geteilte (Sakala) verehren, versuchen wir, in das Ungeteilte (Niskala) zu kommen, welches der wahre Shiva ist. Doch im Zustand des Ungeteilten ist Shiva nicht die Ursache des Universums, und auch in seiner geteilten Form hat ihn nie jemand erfaßt. Nur die Weisheit kann auf ihn deuten und seine Natur verstehen. Eine Form, die der großen Seele ähnlich ist, ist das Bild Shivas, und die große Seele dieses Bildes kann in die Erkenntnis führen. So wie man einen brennenden Zweig benutzt, um Feuer zu machen, so wird das Bild genutzt, um darin Shiva zu erkennen. So verehrt das Bild, denn was für das Bild getan wird, wird auch für Shiva getan. Wir ehren verschiedene Bilder, Lingas oder Statuen vor allem mit Blumen. Und wie die Seele des Bildes (Murtyatman) von der großen Seele gesegnet wird, so werden auch wir, die Pashus, von Shiva gesegnet, der natürlich auch in der Seele des Bildes ist. All die Seelen der Bilder und Lingas, Sadashiva und andere werden von Shiva geführt, um die Welten zu segnen. Shiva ist mit den Seelen der Bilder vereint sowohl mit als auch ohne Prinzipien (Tattwa und Atattwa), damit wir Erfahrungen und besonders die Erlösung erlangen. Und mit Erfahrung ist gemeint, daß sich die Natur des Karma entfalten kann, sei es als Glück oder Unglück. In Shiva wirkt kein Karma. Von welcher Natur wird wohl seine Freude sein?

Shiva segnet jeden und hintergeht niemanden. Niemals kann man Shiva auch nur eine Eigenschaft zuschreiben, die ein Mensch hat, der tötet oder verletzt. Was ihr von Brahma und den anderen aufgezählt habt, und was wie Töten oder Verletzen aussieht, geschieht zum Wohle der Welten und sind Handlungen des blaukehligen Shiva. Er ist der einzige Herr des Universums, daran gibt es keinen Zweifel. Und als sein Bild namens Shrikantha wirkt er in der Welt. Nur die Sünden der Götter wurden von ihm gezügelt, damit die Wesen sich zum Heilsamen entwickeln können.

Unterdrücken oder Töten wird von den Weisen nicht immer verurteilt. Denkt an die Könige, welche jene strafen sollen, die es verdienen. Und Shiva herrscht über alle Welten, wie könnte er dann nicht auch strafen? Der Herr wünscht, daß man seinen Geboten gehorcht. Wer nicht folgt, wird bestraft. Wer dem Gebot des Großen folgt, ist edel und groß, und wer nicht, der handelt übel. Das Edle sollte gestärkt und das Üble abgeschafft werden. Und wenn alle Mittel der Diplomatie nicht helfen, ist auch Strafe angebracht. Das ist die gute Herangehensweise für einen Herrscher: Erziehen und Strafen, wenn es nötig ist, sonst dient er nicht der Gesellschaft, sondern handelt unangemessen und verdirbt damit sein Reich. Shiva ist das beste Beispiel für einen Herrscher, welcher den Welten immer Gutes tut. Man sollte ihn niemals dafür verurteilen, daß er die übel Handelnden straft. Denn er ist ein gerechter Herrscher, der selbst nicht von Wut oder Haß beeinflußt wird, wie ein Vater, der seine Kinder zwar mit Strenge aber aus Liebe erzieht. Wer allerdings mit Wut straft, wird von den Weisen als grausam verurteilt. Der Herr jedoch bleibt unparteiisch, auch wenn er strafen muß. Wenn ein Arzt einem Patienten weh tun muß, dann gilt das nicht als grausam, denn er handelt aus Mitgefühl. Gewaltsame Menschen haben oft kein Mitgefühl, und wer grausame Menschen mit Mitgefühl überschüttet, der wird bald mitleidlos durch seine falsche Freundlichkeit. Es ist auch eine Sünde, dem Gegner kein Mitgefühl zu zeigen, wenn er es verdient. Wer nicht beschützt wird, vergeht sogleich, wenn der Beschützer säumig ist. Es wird also auch nicht generell gesagt, daß Freundlichkeit immer gut ist (so wie Gewalt nicht immer schlecht ist). Wichtig ist, angemessen zu handeln. Unangemessenheit wird niemals gelobt.

Es ist gewiß, daß die Verkörperungen des Herrn, als Götter, Sadashiva oder andere, nicht immer makellos sind. Doch das ändert nichts an der Reinheit Shivas. Das Kupfer, welches man im Feuer schmilzt, kann Fehler haben, doch das verunreinigt nicht das Feuer, noch läßt es das Feuer schwinden. Generell können unreine Dinge, die dem Feuer übergeben werden, das Feuer nicht beschmutzen. Genauso ist es mit Shiva. Sein Kontakt mit den Seelen, die noch gereinigt werden müssen, beeinflußt ihn nicht. Und wie wird die Seele gereinigt? Nur durch den Kontakt mit Shiva. Es ist wie Eisen, welches im Feuer glüht. Da erzeugt das Feuer die Hitze und nicht das Eisen. Doch all die Herrlichkeit der Seelen rührt allein von Shiva her, denn das Feuer läßt seine Flammen emporlodern und nicht der Brennstoff. Holz z.B. wird zu Kohle, doch nicht das Feuer.

Nun wird das Wesen Shivas aber auch in Holz, Stein und Lehm verehrt, doch die Eigenschaften wie Güte und andere sind sekundär und wirken unterschiedlich (bzw. gegensätzlich). Sie können Gutes und auch Schlechtes in denen bewirken, die von Eigenschaften abhängen. Was allerdings sekundär oder auch nicht ist, das alles trägt nicht vollends zum Heilsamen oder Unheilsamen bei. Die Gelehrten sagen nicht, daß die Essenz von Gnade (anugraha) sekundär ist. Doch die Befreiung von der weltlichen Existenz ist nützlich und in Gestalt von Ajna (Befehl, Gebot.). Dem Gebot Shivas zu folgen, ist immer nützlich, und was nützlich ist, ist ein sein Segen. Der Sinn des Wortes Upkara entspricht Anugraha - Gunst, Wohlwollen etc. Und Shiva ist zu allen wohlwollend, denn das nützt allen.

So wirkt Shiva immer zum Wohle aller Wesen. Doch wenn ihre innerste Natur sie hindert, dann können sie nicht alle denselben Nutzen daraus ziehen. Die Sonne läßt ihre Strahlen gleichwohl auf alle Lotuspflanzen scheinen, doch aufgrund ihrer inneren Natur kommen nicht alle zum Blühen. Die wahre Natur der Wesen ist nicht die Ursache von dem, was geschieht, denn darin ist nichts Vergängliches. Im Kontakt mit Feuer schmilzt nur das Gold und nicht die Schlacke. Shiva befreit die, deren Unwissenheit reif ist und nicht die anderen. Was zum Werden bestimmt ist, wird nicht von allein ohne die Gnade des Empfangens. Doch der Schöpfer benötigt diese Gnade nicht und ist beständig frei. Der segnende Shiva ist innerlich rein, während die individuellen Seelen von Natur aus unrein sind. Denn deshalb müssen sie die weltlichen Existenzen durchlaufen und vereinen sich nicht mit Shiva. Die Befleckung mit Karma und Illusion nennen die Weisen weltliche Existenz. Es gibt genügend Gründe dafür, daß die Seelen unrein sind, während Shiva es nicht ist. Ein Grund ist die persönliche Befleckung, nicht die allgemeine. Die allgemeine Befleckung geschieht jedem aus allen möglichen Gründen, doch diese Verunreinigung ist einfach und nicht vielfältig.

Obwohl die Seele allgemein ist, sind manche befreit und manche gebunden. Unter den Gebundenen gibt es verschiedene Niveaus von Unwissenheit und Erkenntnis je nach ihrer Neigung zu Enthaltsamkeit oder Leidenschaft. Manche werden eins mit dem Herrn, und manche kommen ihm zumindest nahe. Unter denen, die mit ihm eins sind, sind manche Shivas. Sie stehen an der Spitze des Weges (Adhvas), wobei die Maheshvaras in der Mitte und die Rudras unten stehen. Auch in der Nähe des Herrn sind folgende Drei noch jenseits der Illusion: der Atman ist oben, der Antaratman in der Mitte und der Paramatman jenseits. Sie sind Brahma, Vishnu und Maheshvara. Auch einige Vasus sind in den Regionen von Paramatman, Atman und Antaratman. Die Shiva Verehrer sind in der Region Santyatita und die Maheshvaras in der Santa Region. Die Rudra Verehrer sind in Vidya, die Vishnu Verehrer in Pratishtha und auch die Atmans. Brahma und Brahmageborene sind in Nivritti. Es gibt acht Gruppen von führenden Göttern. Die Menschen sind in der Mitte, und die fünf anderen Gruppen wie Vögel sind darunter. Das sind die 14 Arten der Wesen.

Doch was als oben oder unten angesehen wird, ist der Grad an Befleckung mit weltlichen Dingen. So wie die Nahrung, die wir zu uns nehmen, in zwei Arten vorkommt, nämlich verdaut und unverdaut, so ist es auch mit der weltlichen Befleckung. Ist der Schmutz unverdaut, geht es abwärts, wird er verdaut, geht es hinauf. So spielt die Befleckung ihre Rolle in der weltlichen Existenz. Die individuellen Seelen können einfach, zweifach und dreifach befleckt sein, wobei die einfach befleckten über den zwei- und dreifach Befleckten stehen. Das ist der bedingte Unterschied im Universum. Shiva herrscht über alle befleckten Seelen, auch, wenn sie sich keiner Shiva-Natur bewußt sind. Ebenso wird das Universum von Rudras beherrscht, auch wenn es keine Rudra-Natur hat. Das große Reich (Mahabhumi) bis zum (Rand vom) Welten-Ei wird von Satarudra und den anderen beherrscht. Der Raum, der mit der Illusion (Maya) endet, wird überall von den Herren der großen Götter von der Größe eines Daumens durchdrungen. Der Himmel, der mit der großen Illusion (Mahamaya) endet, wird von den Herren der Welten wie Vayu usw. beherrscht (...?). Das sind die Bewohner von Himmel, Raum und Erde. Es sind Götter, welche die Riten von Göttern befolgen. Und so kommt das Leiden in die weltliche Existenz mit der dreifachen Befleckung und ihren jeweiligen Ursachen, seien sie nun reif oder nicht. Die Medizin für dieses Übel ist einzig und allein die vollkommene Erkenntnis von Shiva. Und der Arzt ist Shiva selbst, der die Leidenden heilt. Daran braucht ihr keinen Zweifel zu verschwenden.

Shiva kann die Seelen befreien, ohne sie dem Leiden zu unterwerfen. Doch warum übergibt er sie dann dem Leiden? Es ist doch offensichtlich, daß die weltliche Existenz Leiden ist. Ist denn Leiden Nicht-Leiden? Die innere Natur kann nicht anders sein. Ein Patient wird nicht zum Nicht-Patienten, nur weil der Arzt ihm Medizin austeilt. Erst, wenn die Medizin ihre Wirkung entfaltet, kann der Arzt den Kranken heilen. Und so teilt Shiva seine Medizin in Form seiner Macht (Ajna) aus und befreit die Seelen von Elend, diese Seelen, die im Inneren befleckt und leidend sind. Und wie der Arzt nicht die Ursache der Krankheit ist, so ist Shiva zwar die Ursache aller Existenz und doch kein Symbol für einen Makel. Denn wenn das Leiden zur inneren Natur gehört, wie kann Shiva dann die Ursache sein? Das Leiden wird im Menschen geboren, und deshalb muß er die Schmerzen der weltlichen Existenz ertragen. Das Leiden, oder auch die Illusion, ist auch die Ursache der weltlichen Existenz und kann nicht aus sich selbst heraus existieren. Sie braucht die Nähe Shivas. Die Weisen vergleichen das mit einem Magneten, der eiserne Teile schon aus der Nähe bewegen kann. So verursacht Shiva alle Bewegung in der Welt.

Es ist nicht möglich, die Wirkung ohne ihre Ursache zu meiden. Und mehr noch ist die herrschende Gottheit Shiva sogar dem Universum unbekannt. Dabei funktioniert nichts ohne Shiva. Er bewegt alles. Und ist dennoch nicht der Illusion unterworfen. Seine Shakti ist die bewegende Macht und der alles begrenzende Faktor, der das ganze Universum umgibt. Und doch ist er nicht der Illusion unterworfen und ohne Makel. Er regiert alles von Anfang an. Er ist der Herrscher und beherrscht seine Macht. Und ist dennoch ohne Makel.

Wer das anders sieht, ist übel verwirrt und wird untergehen. Den Untergang bewirkt die Macht von Shivas Shakti, und trotzdem ist er ohne Makel.

Plötzlich hörte man eine Stimme aus dem Himmel:
Satyam (Wahrheit), Amritam (Nektar der Unsterblichkeit), Saumyam (sanfter Mond), OM.

Alle hörten das laut und klar. Da staunten die Weisen, freuten sich, und alle ihre Zweifel waren verschwunden. Sie verbeugten sich vor Vayu, dem Windgott. Doch dieser meinte, daß ihre Erkenntnis noch nicht fest genug etabliert wäre und sprach weiter:
Es gibt zwei Arten von Erkenntnis: direkt und indirekt. Man sagt, die indirekte Erkenntnis währt nicht lange, doch die direkte ist stabil. Was man durch Verstehen und Belehren gewinnt, ist indirekte Erkenntnis. Die direkte Erkenntnis kommt aus der Praxis der Riten. Versteht nun, daß Erlösung nicht ohne direkte Erkenntnis möglich ist, und bemüht euch eifrig um die rechte Praxis.


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