Pushpak Shiva-Purana Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 30 - Die Weisen reden über Shiva

Die Weisen sagten:
Die Taten der herrschenden Gottheit sind selbst für Götter seltsam, undurchsichtig und rätselhaft. Auch unser Geist wird davon verwirrt. In der Vereinigung von Shiva und Shakti ist uns keine Trennung bewußt, doch ihre Handlungen scheinen manchmal recht gewöhnlich (bzw. gegensätzlich). Brahma und die anderen, diese Kräfte von Schöpfung, Erhaltung und Auflösung erfahren Segen und Zügelung durch Shiva, und ihm sind sie ergeben. Doch Shiva unterliegt weder Segen noch Zügelung, denn seine Herrschaft ist zweifellos unabhängig von anderen. Wenn seine Herrschaft durch wahre Freiheit beschrieben werden kann, dann ist sie angeboren oder unterliegt seiner jeweiligen Verkörperung. Aber ein Körper paßt nicht zu einem freien Wesen. Und doch ist die Form immer eine Ursache von einer Wirkung. Dabei hat Shivas Herrschaft keine Ursache.

Überall werden die niederen und höheren Bhavas erwähnt, doch wie kann beides an einem Ort relevant sein? Die große Seele ist wahrlich ohne Eigenschaften, doch wie kann sie dann Eigenschaften annehmen? Denn Svabahva, die innere Natur, die Essenz, ist unveränderlich. Wenn du nun sagst, daß seine innerste Essenz durch seinen Wunsch nach Freiheit veränderlich ist, warum macht der Herr dann nicht die veränderlichen Dinge zu unveränderlichen? Die Weisen haben gesagt, daß die verkörperte Seele Sakala heißt und die nicht verkörperte Niskala (zerteilt und ganz). Über den verkörperten Atman herrscht Shiva. Wenn man darin übereinstimmt, daß die Verkörperung eine Form Shivas ist, dann ist auch gewiß, daß die Verkörperung an der Form anhaftet. Doch wie können wir das erklären? Und andererseits, wie kann vom Unabhängigen eine Form angenommen werden? Eine Anhaftung an die Form geschieht nur, wenn es eine Absicht gibt nach einem erfüllten Wunsch. Die Annahme eines Körpers wegen eines Wunsches paßt nicht zur Freiheit. Ein solches Wünschen ist die Eigenart der Menschen. Ja, wenn die Wesen, wie auch Brahma und die Dämonen, ihre Körper annehmen oder ablegen, wie sie es sich wünschen, dann kommen sie unter die Gewalt von Karma. Und daher erachten sie die wunschvolle Annahme eines Körpers als Gaukelei, denn man erreicht keine wahren Ziele durch vergängliche Kräfte. Als Vishnu die kosmische Gestalt annahm, um gegen Dadhichi zu kämpfen, da nahm dieser die Gestalt von Vishnu an.

Obwohl Shiva die große Seele und allen überlegen ist, können wir ihn wie andere Wesen erkennen, weil er sich verkörpert. Es wird gesagt, daß Shiva uns alle segnet. Doch er zügelt und tötet sogar Götter. Wie kann er dann ein Segen für alle sein? Er säbelte den fünften Kopf von Brahma ab, der ihn stur und abwertend immer wieder als „mein Sohn“ bezeichnete. Er griff Vishnu als Löwenmenschen in Gestalt einer Sarabha an, drückte ihn mit seinen Füßen und riß ihm mit seinen scharfen Klauen das Herz heraus. Beim Opfer von Daksha wurden von Virabhadra nicht einmal die Frauen verschont. Als er mit dem Feuer seiner Augen die dreifache Stadt der Dämonen verbrannte, da nährten nicht nur kriegerische Dämonen, sondern auch deren Kinder und Frauen die Flammen. Er vernichtete Kama, den Ehemann der Rati, mit einem Blick, der doch für das sexuelle Vergnügen der Menschen geschaffen worden war, während die Götter klagten. Als einmal über ihm Kühe durch den Himmel wanderten und ihre Milch auf sein Haupt verschütteten, da blickte er sie zornig an, und sie wurden sogleich Asche. Nachdem der Dämon Jalandhara Vishnu und seine Schlange band und hundert Yojanas weit fortschleuderte, da beschrieb er mit dem Fuß einen Kreis im Wasser, erschuf so einen Diskus und traf den Dämon. Dann tötete er ihn mit dem Dreizack. Nachdem Vishnu Buße geübt hatte, bekam er den Diskus und wurde mächtig. Eine Familie starker Dämonen, die ihn töten wollten, verbrannte er. Die Brust von Andhaka wurde durchbohrt mit dem Dreizack. Er tötete Daraka, nachdem er eine dunkle Frau aus seinem Hals erschaffen hatte. Aus der dunklen Hülle von Gauri wurde Kausika erschaffen, die dann Sumbha und Nisumbha tötete.

Und denke an die Geschichte von Skanda (Kartikeya), als dieser Taraka, den Feind von Indra, auf Bitten von Brahma in seinen Gemächern auf dem Berge Mandara tötete. Schon seine Geburt war wundersam: Shiva war für so lange Zeit im Liebesspiel mit der Göttin versunken, daß die Erde drohte, in die niederen Bereiche abzusinken. Er hielt die Göttin hin, denn er entließ seinen Samen nicht in sie, sondern ins Feuer wie eine Opfergabe. Selbst das Feuer konnte den Samen nicht ertragen und übergab ihn der Ganga, von wo er sich verteilte. Svaha hatte die Gestalt der Krittikas angenommen, diese sammelten die Teile und bargen sie im Schilf auf dem Meru. Dafür wandelte sich Svaha in Gold, der Glanz verbreitete sich, und sogar der Meru wurde golden. Und nach einer Weile wurde der goldene Glanz zu einem schönen Jungen mit zarten Gliedern. Die Welt, die Götter, Dämonen und alle Wesen staunten bei seinem Anblick und waren ganz verzaubert, denn er war ein Bild von einem Knaben. Der Herr selbst kam mit der Göttin, um seinen Sohn zu sehen. Er nahm das Kind auf seinen Schoß, und selbst die asketischen Weisen starrten den Jungen mit großem Vergnügen an. Das Kind spielte an Shivas Brust, freute sich, und Gott und Göttin gratulierten einander. Dann bat der Herr, die Göttin möge das Kind von ihrer Brust trinken lassen, dann segnete er den Jungen und sprach: „Deine Inkarnation ist zum Wohle der Welten.“, und keiner war gesättigt, dem Kind zuzusehen. Indra, der wegen des Dämonen Taraka in großer Sorge war, kam herzu und krönte den Knaben zum Heerführer der Götter. Shiva übergab Skanda der Fürsorge der Götter und verschwand, und schon bald vergingen Indras Sorgen, denn Tarakas Kopf fiel vom Dreizack getroffen in der Schlacht, diesem Dreizack, der auch den Dämonen Krauncha schlug. Da priesen alle Götter den Skanda.

Und denke an Ravana, den König der Dämonen, der seine Macht hochschätzte und voller Arroganz mit seinen starken Armen den Kailash hochheben wollte. Doch Shiva kühlte seinen Übermut, drückte mit der großen Zehe auf den Berg, und Ravana sank nieder unter dem Druck. Als ein junger Brahmane ans Ende seines Lebens kam und beim Herrn Zuflucht suchte, da eilte Shiva herbei und trat Yama mit dem Fuß. Und als das im Meer verborgene Feuer Nandi verschluckte, weil es nicht wußte, daß er Shivas Reittier war, da wurde die Erde eine Wasserwüste.

Immer wieder wurde die Welt in Bewegung versetzt mit heilsamen, wunderbaren und den Menschen unbegreiflichen Mitteln. Wenn Shiva friedlich ist und alle segnet, dann erfüllt er Wünsche. Er kann alles, doch warum befreit er nicht? Das vielfältige, anfangslose Karma kann für ihn keine Beschränkung sein. Denn er ist die Ursache für alles Karma. Ach, wozu so viele Worte? Bitte, oh Vayu, erklär uns alles ganz genau, damit gottlose Gedanken keinen Nährboden finden.


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