Pushpak Shiva-Purana Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 26 - Was mit dem Tiger geschah

Vayu sprach:
Nachdem Kausika erschaffen und Brahma übergeben worden war, sprach die Göttin zu Brahma:
Hast du diesen Tiger schon einmal gesehen? Er hat Zuflucht bei mir genommen, den Bußehain wohl bewacht und mich vor räuberischen Tieren beschützt. Er hat seinen Geist ganz mir gewidmet und denkt an nichts anderes. Wie er mich schützt, ist mir sehr angenehm. Er sollte in meinem Gefolge sein, und Shiva wird ihm gern den Status eines Anführers der Ganas verleihen. Ich möchte mit ihm an der Spitze meiner Freunde zurückkehren, und bitte dich um deine Zustimmung, denn du bist der Herr aller Geschöpfe.

Brahma lächelte und sprach zur Göttin über die gewaltsame Natur des Tigers, als ob ihr dies unbekannt wäre:
Aber Göttin, Raubtiere sind grausam. Wie kann dein glückseliger Gedanke an ihnen hängen? Warum tröpfelst du Nektar in den Schlund der Schlange? Das ist gewiß ein hinterhältiger Dämon der Nacht in Gestalt eines Tigers, und er hat schon Kühe, Brahmanen und Heilige verschlungen. Dann wandert er umher und nimmt die Gestalt an, welche seine Opfer lieben. Er muß gewiß die Früchte seiner sündigen Taten ernten. Wozu sollte man mit solchen Geschöpfen Mitgefühl zeigen? Warum sollte man sich mit einem von Natur aus Sündhaftem umgeben?

Die Göttin gab zur Antwort:
Das ist vollkommen richtig, was du sagst. Er mag so sein. Und doch hat er Zuflucht bei mir genommen, und man sollte niemanden verstoßen, der Zuflucht sucht.

Brahma sprach:
Was ich über seine Natur gesagt habe, tat ich, ohne seine Hingabe zu prüfen. Doch wo Hingabe ist, da sind Sünden wirkungslos. Deine Verehrer können niemals vergehen. Was könnte ein tugendhaftes Wesen schon erreichen ohne dein Gebot, von dem alle abhängen? Du allein bist die ungeborene, weise und uralte Göttin. Bindung und Befreiung hängen an dir. Es gibt keine mächtigere Shakti als dich. Ohne dich zeigen jegliche Riten keine Wirkung. Du bist die Shakti, die wirkende Kraft in allen lebenden Wesen. Von dir getrennt kann niemand etwas tun. Nur dein Wort gewährt den Wohlstand von Vishnu, mir oder irgendeinem Gott, Dämon oder Menschen. Zahllose Brahmas, Vishnus und Rudras sind schon vorübergezogen. Ebenso zahllose werden noch kommen, und alle folgen deinem Gebot. Oh Göttin der Götter, wer dich nicht besänftigt, kann niemals die vier Ziele im Leben erreichen. Da du Verdienst und Sünde erschaffen hast, können sich die beweglichen und unbeweglichen Geschöpfe ineinander verwandeln. Du bist die ur-erste und ewige Shakti von Shiva, der großen Seele, dem Herrn des Universums, ohne Anfang, Mitte oder Ende. Damit das Universum funktioniert, nimmst du diese oder jene Gestalt an und entfaltest dein Wirken, wie es erforderlich ist. Wer könnte dies erfassen? So möge der räuberische Tiger von dir segensreiche Kräfte erhalten. Niemand kann dies verhindern.

Nach diesen erinnernden Worten über ihre große Aufgabe hörte die Göttin mit ihrer Askese auf. Brahma nahm seinen Abschied und verschwand. Alsdann besuchte sie noch einmal ihre Eltern Mena und Himavat, beschwichtigte deren Abschiedsschmerz, begab sich zum Berg Mandara und erzählte auf dem Weg ihren Freunden von den Bäumen im Bußehain, die ihre liebevollen Freunde gewesen waren:
Sie können keine Tränen vergießen aus Trauer wegen der Trennung, doch sie verstreuen ihre Blüten aus Schmerz, und die Vögel in ihren Zweigen tschilpen laut.

Die Göttin sehnte sich nun, ihren Herrn wiederzusehen. Vor ihr schritt der Tiger, den sie wie einen Sohn liebte, und ihr Körper strahlte einen Glanz aus, der alle Himmelsrichtungen erleuchtete. So kam sie zum Mandara, wo Shiva weilte, der Herr, welcher Schöpfer, Erhalter und Vernichter der Welten ist.


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