Pushpak Shiva-Purana Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 5 - Die Prinzipien des Shiva Kultes

Die gesegneten Bewohner des Naimisha Waldes verbeugten sich vor Vayu und fragten:
Wie hast du, oh Herr, die Erkenntnis erlangt? Wozu dient deine Hingabe an Shiva, der das ungeborene Brahman verkörpert?

Und Vayu sprach:
Das 21. Kalpa ist als Sveta Lohita bekannt. Als der viergesichtige Herr Brahma in diesem Zeitalter große Buße übte, weil er kreativ wirken wollte, kam Lord Shiva, sein Vater, erfreut über die ernsthafte Askese zu ihm. Er nahm dabei die schöne Gestalt des Weisen Sveta an. Göttliches murmelnd erschien er vor Brahma, der sich sogleich vor seinem Vater verbeugte und damit vollkommene Erkenntnis erlangte zusammen mit Gayatri. Danach erschuf er alle lebenden Wesen. Und ich bekam diese unsterbliche Weisheit dank der Kraft von Buße von dem Gesicht Brahmas, durch das er es selbst empfangen hatte.

Da fragten die Weisen:
Was ist die Erkenntnis, von der du sprichst? Diese Weisheit, die glücksverheißend ist und wahrhafter als das Wahrhafteste, und mit der ein Mensch Glückseligkeit erlangt.

Vayu antwortete:
Wer sich Glückseligkeit wünscht, sollte große und standhafte Hingabe üben, denn die führt zu vollkommener Erkenntnis von Illusion, individueller Seele und Gott, welcher dann von allen Banden befreien kann. Leiden kommt aus Unwissenheit. Und die kann nur durch Erkenntnis schwinden, welche die Objekte wirklich durchdringt. Ein Objekt ist zweifach: sowohl empfindungsfähig als auch nicht. Und dann gibt es einen Herrscher über die beiden. Die drei werden Pashu (Atman, unmanifest), Pasha (lit. Bindung, manifest) und Pati (Höchstes Wesen) genannt. Zu vielen Gelegenheiten nennen die Gelehrten sie auch Akshara, Kshara (unwandelbar und wandelbar) und Ksharaksarapara.

Da fragten die Weisen:
Oh Vayu, bitte erklär uns, was sind Kshara und Akshara? Und was ist größer und jenseits der beiden?

Vayu sprach:
Kshara ist Prakriti (Natur), Akshara ist Purusha (Geist). Und der, der die beiden antreibt, ist der größte Parameshvara (Höchste Herr).

Wiederum fragten die Weisen:
Was ist Prakriti, und wer ist Purusha? Welche Beziehung besteht zwischen den beiden? Und wer ist dieser Impulsgeber (bzw. Inspirator) namens Ishvara?

Vayu sprach:
Die Illusions- und Schöpferkraft, Maya, ist die Prakriti (Natur). Der Purusha (Geist) wird von ihr umhüllt. Ihre Beziehung ist wie Wurzel und Karma. Und Lord Shiva gibt die Impulse.

Die Heiligen fragten weiter:
Und was ist Maya? Welche Form hat der, der von Illusion umhüllt wird? Was ist das Wesen dieser Wurzel? Woher kommt sie? Woher kommt Shiva? Und was ist wahres Sein in Shiva?

Vayu:
Maya ist die Shakti, die wirkende Kraft, von Maheshvara. Es ist eine Form des Bewußtseins (Chit), welche von Maya umhüllt wird. Was das Bewußtsein bedeckt, wirkt wie Schmutz. Und das Wesen Shivas (Shivatva) ist seine ureigenste, innere Reinheit.

Die Weisen:
Wie kann Maya den alles Durchdringenden bedecken? Und wozu wird der Purusha überhaupt verdeckt? Wodurch kann er enthüllt werden?

Vayu:
Selbst ein Durchdringendes kann verhüllt werden, wie z.B. die beherrschende Zeit, Kala, und andere. Die Ursache ist allein Karma. Der Zweck ist das Wirken, und enthüllt wird es, wenn der Schmutz entfernt wird.

Die Weisen:
Was sind Kala und die anderen? Was ist Karma? Was ist sein Anfang und sein Ende? Welche Früchte hat es und welche Unterstützung? Wer wirkt und bekommt die Früchte zu spüren? Mit welchen Mitteln kann man den Schmutz entfernen? Und welche Natur hat der Purusha ohne Schmutz?

Vayu:
Kala, Vidya, Raga, Kalà und Niyati sind gewisse Prinzipien (siehe auch http://www.spiritwiki.de/w/ShuddaAshudda_Tattwa ). Der Wirkende ist Purusha. Karma ist Verdienst und Sünde. Die Früchte sind Glück und Leid. Der anfangslose Schmutz ruht bis zur Glückseligkeit in der unwissenden Seele. Das Wirken stillt das Karma. Und das Unmanifeste ist es, woran sich erfreut wird. Die Mittel zum Wirken sind der Körper mit seinen äußeren und inneren Sinnen wie Türen. Der Schmutz verschwindet durch Gnade, die aus Frömmigkeit kommt. Wenn der Schmutz weg ist, dann wird der Purusha zu Shiva.

Die Weisen:
Was sind die Funktionen der fünf Prinzipien wie Kala usw.? Warum wird der Atman (Höchste Seele) der Wirkende und Purusha genannt? Welche Natur hat das Unmanifeste? In welcher Form wirkt es? Welches Mittel benutzt es im Zuge des Wirkens? Warum nennt man es auch den Körper?

Vayu:
Vidya (Wissen bzw. Lernen), daß Ort und Handlung offenbart, Zeit und Streben - dies sind die wirkenden Mittel. Die Zeit ist der konditionierende und das Schicksal der bestimmende Faktor. Das Unmanifeste, das sich durch die drei Gunas manifestiert, ist die Ursache. Es ist die Ursache aller Ursachen und der Ort der Einheit. Die Philosophen nennen es Pradhana (Meer der Ursachen) und Prakriti (unentfaltete Natur). Durch die Kalas (die Zeit durch Bewegung der Gunas) wird das ursprünglich Unmanifeste dann manifest. Dann hat es eine Form, beinhaltet Glück, Leid und Verwirrung und wird mit seinen drei Eigenschaften, den Gunas von Sattwa, Tamas und Rajas (Güte, Trägheit und Leidenschaft), erfahren. Diese stammen aus der Prakriti und sind immer anwesend in der gestalteten Natur wie das Öl im Sesamsamen. Glück und seine Ursachen kommen im Wesentlichen aus der Eigenschaft der Güte, Sattwa. Das Gegenteil bewirkt Rajas, die Eigenschaft der Leidenschaft. Verwirrung und Trägheit kommen aus Tamas, der Eigenschaft des Dunklen. Sattwa führt nach oben, Tamas nach unten, und Rajas bewegt sich in der Mitte. Kurzgesagt sind die Auswirkungen der Formwerdung des Unmanifesten folgende: die fünf subtilen und groben Elemente, die fünf Sinnesorgane der Handlung und die vier: Pradhana, Mahat (universale Intelligenz), Ahankara (Ichbewußtsein) und Manas (Gedanken). Als Ursache ist es unmanifest, als Wirkung ist es manifest, wie z.B. als Körper oder Topf. Und so wie der Topf erstmal sich im Materiellen nicht vom Lehm unterscheidet, so ist das Manifeste wie der Körper vom Unmanifesten nicht materiell verschieden. Nur das Unmanifeste ist also die Ursache für Zusammengesetztes wie Organe und Körper, doch ihre Ursache und Stütze, das Wirkende, ist unmanifest.

Die Weisen:
Wie kann der Atman existieren, wenn er doch von Körper und Sinnesorganen unabhängig ist?

Vayu:
Es ist klar, daß der allesdurchdringende Herr nicht von Intellekt, Sinnesorganen und Körper abhängt. Und dann gibt es noch den Atman, was nicht einfach zu verstehen ist. Unklare Erkenntnis und Vergänglichkeit führen zu dem Schluß, daß der Atman nicht Intellekt, Sinnesorgane und Körper ist. Wer klare Erkenntnis von objektiven Erfahrungen und allem zu Erkennenden hat, den besingen die Veden als immanente Seele. Er ist ewig, er vereinigt sich und durchdringt alles, ist überall und kann dennoch nicht von jedem überall klar erkannt werden. Der große Atman kann nicht mit Augen geschaut oder einem anderen Sinn erfaßt, sondern nur mit einem erleuchteten Geist erkannt werden. Er ist weder männlich noch weiblich noch geschlechtslos. Er ist weder oben noch unten oder seitlich. Er ist nirgends. Im vergänglichen Körper verweilt er körperlos, stetig und standhaft. Er ist unveränderlich. Und nur der einfache, gezügelte und mutige Mensch kann ihn mittels Reflexion erkennen. Wozu noch mehr Worte? Der Purusha ist unabhängig vom Körper. Eine andere Sicht ist nicht haltbar. Es gibt nichts Unreineres, Unkontrollierbares, Elenderes und Ungewisseres als den Körper, den der Purusha annimmt. Hängt er verblendet am Körper, erfährt der Purusha Glück, Leid und Verwirrung - all diese Samen für Hindernisse, welche die eigenen Handlungen verursachen.

Wie auf einem gewässerten Feld die Triebe wachsen, so entsteht aus den mit Unwissenheit getränkten Taten (dem Karma) der Mensch. Zu ihm gehören tausende Körper aus Vergangenheit und Zukunft, alle sterblich und die Wohnstatt von großen Leiden. Die Körper entstehen und vergehen immer wieder, und niemand hat jemals eine andauernde Bleibe in einem Körper finden können. Die Seele, die vom Körper abhängt und verdeckt wird, gleicht der strahlenden Mondscheibe, welche die dahin ziehenden Wolken verdecken. Und all die Taten, welche die Seele in den verschiedenen Körpern begeht, die sind wie rollende Würfel in diversen Spielfeldern. Niemand gehört zur Seele, und die Seele gehört niemandem. Die Begegnungen mit Ehefrauen oder Kindern sind nur Möglichkeiten auf dem Weg. Die Treffen der lebenden Wesen sind so flüchtig wie die von schwimmenden Holzstückchen auf den Wogen des großen Ozeans. Man begegnet sich und trennt sich wieder.

Der Geist sieht den Körper, doch der Körper sieht nicht den Geist. Der große Atman sieht beide, doch beide können ihn nicht sehen. Alle geschaffenen Wesen vom großen Brahma bis zum kleinsten Steinchen nennt man Pashus. Alle Pashus sind von der Schlinge, Pasha, gebunden und ernähren sich von Freude und Leiden. Die Weisen sagen, sie sind nur Instrumente im Spiel des großen Shiva. Ein unwissendes Wesen kann auf Glück und Leid keinen Einfluß nehmen. Unter dem Einfluß des Herrn steigt ein solches Wesen in den Himmel oder fällt in die Tiefe.

Suta sprach:
Als die Weisen diese Worte von Vayu vernahmen, da fühlten sie große Freude im Geist. Sie verbeugten sich vor ihm und sprachen.


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