Pushpak Shiva-Purana Buch 11Zurück WeiterNews

Kapitel 16 - Die Prinzipien von Shiva

Nach dieser wahrhaften Rede seines Lehrers fragte der vorzügliche Weise noch nach dem großen Atman (der Höchsten Seele). Vamadeva sprach:
Oh glückseliger Herr mit der Macht des Wissens, ich habe vom lieblichen Mantra OM aus deinem herrlichen Lotusmund vernommen, und dein Intellekt hat mich prächtig genährt. Dazu hege ich keinen Zweifel mehr. Doch laß mich dich noch etwas anderes fragen, oh Herr. Bitte erhöre meine Worte. Dieses aus Sadashiva stammende Universum muß für einen „Erdenwurm“ wie eine Reflektion von männlich und weiblich erscheinen. Doch wie steht es mit der ewigen Ursache des Universums? Ist diese Quelle männlich, weiblich oder geschlechtslos? Oder ist sie sowohl männlich als auch weiblich? Oder vielleicht noch etwas anderes? Ich kenne dazu noch keine Klarheit. Und von den verschiedenen heiligen Schriften verwirrt, diskutieren es die Gelehrten auch auf verschiedene Weise. Die Veden erklären es über die Schöpfung des Universums selbst, und Vishnu, Brahma oder die anderen Götter wissen es nicht. Bitte erklär es mir so, daß sich die verschiedenen und oft widersprüchlichen Meinungen in eine wahrhafte Lösung ergießen. Wir sagen zwar: „Ich weiß, und ich handle...“, und alle akzeptieren dies ohne Widerrede. Doch ich habe da meine Zweifel. Gibt es eine Form des Atman? Oder ist der Atman identisch mit Körper, Sinnesorganen, Gedanken, Ichbewußtsein und universaler Intelligenz? Darüber wird auch viel diskutiert. O Herr, entwurzle diesen giftigen Baum des Zweifels in meiner Seele, der sich aus Unwissenheit erhebt. Erleuchte mich, damit mein Geist ein fruchtbarer Boden für den wachsenden Samen der Shiva Verehrung wird. Oh Herr der Götter, möge ich durch deine gnädige Gunst weise werden.

Kartikeya antwortete mit leisem Lächeln:
Es ist ein Geheimnis, oh Weiser, welches einst Shiva enthüllte, während die Göttin und ich zuhörten. Ich war danach vollkommen satt von ihrer Muttermilch und gelangte zu eindeutigen Erkenntnissen. So höre es von mir, du Guter, denn ich werde dir dieses größte Geheimnis liebevoll erklären. Die Argumente in den philosophischen Büchern sind ausufernd. Sie beginnen mit Karma und den natürlichen Prinzipien der Existenz. Doch all diese Argumente sollte nur eine weise Person mit viel Entscheidungsvermögen hören, und nur dann können sie zu Weisheit führen. Denn schau, auch du hast schon viele Schüler belehrt, doch wer unter ihnen ist wie du? So viele verfaulen in Illusion und quälen sich mit den philosophischen Texten, die Kapila und andere verfaßt haben. Dabei besudeln sie Shiva und wurden schon von den sieben Weisen dafür verflucht. Ihnen braucht man nicht zuzuhören, denn sie führen auf einen üblen Weg. Hier sind gedankliche Schlußfolgerungen fehl am Platz. Es ist nicht recht zu sagen, es muß auch Feuer geben, wenn man Rauch sieht. Die Welt ist eine Sache der Wahrnehmung, oh Weiser. Ihre Ursache und Stütze, die große Seele Shiva, muß direkt erkannt werden. Das Universum als Zusammenspiel von männlich und weiblich wird direkt erkannt.

Der Körper besteht aus sechs Hüllen, die ersten drei sind von der Mutter und die nächsten drei vom Vater. So sagen es die Schriften. Sie sagen auch, daß das Brahman die Formen von Existenz, Erkenntnis und Glückseligkeit annimmt. Und das Wort „Existenz“ nimmt man, um „Nicht-Existenz“ auszuschließen. So wie man unempfindlich benutzt, um empfindsam auszuschließen. Ja, das Wort Chit (Bewußtsein) wird in allen Geschlechtern benutzt, doch es symbolisiert das Männliche. Wenn es im weiblichen Geschlecht benutzt wird, dann bedeutet es Wissen. Und wenn es in der Bedeutung „Licht“ genommen wird, dann ist klar, daß es erleuchtet. Das Paar Licht und Chit ist die Ursache für das Universum, ebenso wie Sat und Chit (Sein und Bewußtsein -> Sat-Chit-Ananda - Sein, Bewußtsein, Glückseligkeit, die Umschreibung des eigentlich eigenschaftslosen Brahman). Und so existiert im Individuum ein Gefühl für Shiva und Shakti. Doch wenn es Schmutz im Öl der Lampe oder im Docht gibt, dann ist das Licht trüb und schwach. Darum sieht man auch im Begräbnisfeuer sowohl Schmutz als auch Unglück, und Shivatva, das Wesen Shivas, unterliegt der Illusion. Im Bewußtsein (Chit) der individuellen Seele gibt es eine gewisse Schwäche, und, um diese zu heilen, wirkt überall das natürliche Wesen der Shakti. Nun Weiser, die Menschen in der Welt sagen: Er ist stark und mächtig, und auch die Veden kennen solche Ausdrücke. In der Höchsten Seele existieren sowohl das Wesen von Shiva als auch von Shakti, und die Glückseligkeit aus ihrer Vereinigung wächst stetig. Der sündenlose Asket, der sich glückselige Harmonie wünscht, konzentriert seinen Geist auf Shiva, um das Gewünschte zu erlangen.

Das Wort Brahman zeigt in den Upanishaden auf eine kollektive Seele hin. Seine Wurzel (brh) bedeutet wachsen und vermehren. Und das Wachsen ist in Shiva immer anwesend durch die fünf Brahmans. So bedeutet das Wort Brahman auch Universum. Aus Zuneigung zu dir, mein lieber Vamadeva, erkläre ich dir nun den Ursprung des Pranava (OM) aus dem Wort Hamsa (u.a. Weltseele, individuelle Seele…, der Schwan, ein Symbol für Brahma). Höre aufmerksam. Läßt man nämlich die Buchstaben Sa und Ha weg, wird Hamsa zu OM. Das ist ein Ausdruck für die große Seele, den Atman. Alle Weisen sollten es als das große Mantra anerkennen. Doch es ist subtil, ich werde dir einiges darüber erklären. Das große Mantra wird gebildet aus Sa (Shiva bzw. „Er“) und Aham („Ich“). Also ist das Mantra Soham („Er ist Ich“). Es ist die umgekehrte Form von Hamsa. Die Bedeutung des Buchstabens Sa ist Shiva, und das läßt den Schluß zu, daß das Mantra die Form der großen Shakti ausdrückt. Ja, die Belehrung des Lehrers sagt das auch. Das große Mantra ist Shiva in der Form von Shakti. Darum steht das Mantra auch für die individuelle Seele, denn die hat die Form der Shakti, ist ein Teil Shivas und sogar identisch mit Shiva.

Es gibt eine Passage (in den Veden), die heißt „Prajnanam Brahma“ und zeigt, daß Prajnana (Erkenntnis) unzweifelhaft ein Synonym von Bewußtsein ist. Oh Weiser, das ist ein Lehrsatz. Caitanya (reines Bewußtsein) ist die Freiheit bezüglich des Wissens und Handelns im Universum. Wer Chaitanya zur Natur hat, der wird als Atman, Höchste Seele, gerühmt. Das sind nur einige Lehrsätze von Shiva, die ich dir hier genannt habe. In einem anderen Lehrstück, nämlich im „Jnanam Banhah“, spricht der Herr von der Natur der individuellen Seele. Und das Wort Jnana verweist hier auf unklares (sinnliches) Wissen und Handeln. Wissen und Wirken sind die ersten Bewegungen der großen Shakti. Die Svetasvataras (Schüler der Svetasvatara Upanishad) loben diese kosmische Energie (Parashakti) und sagen: “Die Kraft von Wissen und Wirken ist natürlich.“ Sie haben erkannt, daß die drei Augen Shivas Erkenntnis, Wille und Wirken bedeuten. Mit dem Erreichen des geistigen Zentrums werden sie zum Objekt der Wahrnehmung seitens der Sinnesorgane, und die individuelle Seele tritt in sie ein, erkennt und handelt. Es sind die Eigenschaften des Atman allein.

Ich werde dir nun die Bedeutung der Schöpfung und ihre Identität mit OM erklären. Die ewigen Schriften sagen: „OM ist alles.“ Und mit dem Beginn „Wahrlich davon...“, wird die Schöpfung verherrlicht. Ich werde dir den Sinn dieser vedischen Passage erklären. Hör gut zu, oh Vamadeva, denn ich spreche aus Zuneigung zu dir. Der Inhalt wird im Sinne der Unterscheidung entwickelt. Es ist gewiß, daß die Einheit von Shiva und Shakti die Höchste Seele, Atman, sind. Aus der kosmischen Energie Parashakti wird Chitshakti, die Kraft des höchsten Bewußtseins, geboren, daraus die Macht der Glückseligkeit, weiter die Macht des Willen, die Macht der Erkenntnis und als fünfte die Macht des Handeln und Wirkens. Und aus diesen Shaktis werden die Kalas wie Nivritti (Nichthandeln) geboren. Nala und Bindu kommen aus Chit, dem Bewußtsein, und Ananda Shakti, der Kraft der Freude. Der Buchstabe „ma“ kommt aus Icchashakti, der Kraft des Willens, der Buchstabe „u“ aus Jnanashakti, der Kraft der Erkenntnis, und der Buchstabe „a“ aus Kriyashakti, der Kraft des Handelns. Das ist der Ursprung des OM.

Höre nun auch vom Ursprung der fünf Brahmans. Ishana wurde aus Shiva geboren, daraus der Purusha, dann der Aghora, weiter mit Vamadeva, und aus ihm stammt Sadyojata. Von den Bestandteilen des OM stammen die 38 Kalas (die Regionen), von Ishana kommt Santyatitakala, Santikala vom Purusha, Vidyakala von Aghora, und Pratishtha und Nivritti stammen von Vamadeva und Sadyojata. Es gibt also fünf Paare wie Ishana und Chitshakti usw. Diese Fünf sind die Ursache der Handlungen in der Welt wie Anugraha, also Segen usw. wie es die Weisen erzählt haben, welche die Prinzipien kennen. Die fünf Elemente (Raum usw.) wurden ebenso aus diesen fünf Paaren geboren, die den fünf Teilen des OM entsprechen. Bedenke also, oh Weiser, all die Paare zum Wort und seiner Bedeutung. Der Raum hat als einzige Eigenschaft den Klang. Das nächste Element, der Wind, hat als Eigenschaften Klang und Berührung. Das Feuer hat drei Eigenschaften: Klang, Berührung und Farbe. Das Wasser hat die vier Eigenschaften Klang, Berührung, Farbe und Geschmack. Und das fünfte Element Erde hat vereint alle vorherigen Eigenschaften in sich, nämlich Klang, Berührung, Farbe, Geschmack und Geruch. Das ist Vyapakatva, die Entwicklung der Bhutas, der grobstofflichen Elemente. Die Auflösung zählt man in umgekehrter Reihenfolge auf und beginnt mit dem Geruch. Die fünf Elemente bilden das Welten-Ei. Und Virat (das manifeste Universum, der Kosmos bzw. das Weltall) nennt man die Zusammensetzung von allem. So wurde das Universum gebildet. Es beginnt mit dem Element von Shiva und endet mit dem Element der Erde. Nachdem sie wieder ineinander aufgelöst und verschmolzen sind, vereinen sie sich mit der Höchsten Seele. So von Energie erregt und bewegt treten sie zum Zwecke der Schöpfung wieder heraus. Dann erscheint alles in der Form des stofflichen Kosmos und funktioniert bis zur Auflösung.

Es ist Shivas uranfänglicher Wille, das Universum zu erschaffen, und das nennt man Shivatattva (Tattva = Prinzip). Der Wunsch zu handeln heißt Shaktitattva. Überwiegt die Kraft des Handelns, nennt man das Maheshvaratattva, überwiegt die Kraft der Erkenntnis, ist es Sadashivatattva, und wenn beide ausgeglichen sind, dann herrscht reine Erkenntnis, Shivatattva.

Wenn Shiva seine strahlende Gestalt zurückgezogen hat, nachdem er mit seinem Intellekt den Unterschied zwischen Illusion und Wahrheit in seinen diversen Gefühlen seiner verschiedenen Formen verstanden hat, dann wird er zum Empfänger aller illusionären Objekte und als Purusha der „Schöpfer“ genannt. Die Veden sagen dazu Tatsrstva - nach dem Erschaffen. Dann ist er als individuelle Seele verwirrt durch Illusion (Maya) und erkennt Shiva nicht. Und seine Handlungen verwirren seinen Intellekt. Ja, die individuelle Seele ist verwirrt, nicht der Herr, denn sie meint, vom Herrn getrennt zu sein. Der Yogi kennt wie ein Magier keine Täuschung. Dann hat Shiva die vollkommene Erkenntnis, was der Lehrer enthüllt. Die fünf Shaktis von Shiva sind: Handlung, Erkenntnis, Vervollkommnung, Ewigkeit und Durchdringung. Sie wirken immer, auch wenn sie nur wenig gestaltet sind. Dazu gibt es die fünf Prinzipien der individuellen Seele, nämlich Kalah (Streit), Vidya (Wissen), Raga (Leidenschaft), Kala (Vergänglichkeit) und Niyati (Schicksal bzw. Bestimmung). Kalah ist die Ursache für jegliches Handeln. Vidya ist das Werkzeug für das natürliche Prinzip des Denkens. Raga ist die Anhaftung an die Sinnesobjekte. Kala bringt sowohl gute als auch ungute Erscheinungen hervor. Ein trennender Faktor wird Bhutadi genannt (die „Ursache der Elemente“, das Ichbewußtsein bzw. Prinzip der Trennung). Das ist der Faktor von Niyati, der unterscheidet und bestimmt, wie „Das will ich tun und das nicht.“ All diese bilden die Shakti, die Kraft des Herrn. Wird das alles nichtig, dann verschwindet die individuelle Seele. Die fünf werden auch die fünf Hüllen genannt, denn sie verhüllen sein wahres Wesen. Das ist die innerste und wichtigste Bedeutung.


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