Pushpak Ramayana Buch 7Zurück WeiterNews

Canto 72 - Der Geier und die Eule

Für lange Zeit lebten ein Geier und eine Eule auf einem Berg am Ufer des Flusses in der Nähe von Ayodhya. Überall ertönten die Rufe der Kuckucks, der Berg war mit Löwen, Tigern und vielen Vögeln angefüllt und stand inmitten eines schönen Waldes mit reichen Bäumen. Eines Tages behauptete der gemeine Geier, das Nest der Eule wäre sein eigenes und begann Streit. Beide sprachen: "Der lotusäugige Rama ist der König allen Volkes. Laßt uns zu ihm gehen, und er wird entscheiden, zu wem das Nest gehört." Ungeduldig und zornig wurde dies beschlossen, und immerfort streitend erschienen die beiden vor Rama und berührten seine Füße. Im Angesicht dieses Herrn der Menschen sprach der Geier: "Oh Erhalter der Menschheit, du bist der Erste der Götter und Asuren. Du Strahlender bist mit mehr Klugheit und Gelehrtheit ausgestattet als Vrihaspati und Sukracharya (die Lehrer der Götter und Asuras). Du weißt um die guten und schlechten Eigenschaften der Wesen. In Schönheit gleichst du dem Mond und bist unbezähmbar wie die Sonne. In Glanz bist du wie der Himalaya, in Gewichtigkeit wie der Ozean, in Tapferkeit wie der Patriarch, in Geduld wie die Erde und in Schnelligkeit wie der Wind. Oh Rama, du bist der Lehrer aller beweglichen und unbeweglichen Schöpfungen, mit allen Arten von Reichtum gesegnet, berühmt, ohne einen rachelüsternen Geist, unbesiegbar, siegreich und Meister aller Shastren und Gesetze. Oh Bester der Männer, höre. Ich habe ein Gesuch an dich. Oh Rama, ich baute ein Nest für mich. Diese Eule nimmt es nun in Beschlag als ihr eigenes. Daher, oh König, rette mich."

Danach begann die Eule: "Es ist wahr, daß im König Teile von Mond, Indra, Sonne, Kuvera und Yama sind. Doch auch ein Teil Mensch ist in ihm. Doch du, oh König, bist die allseits vorhandene Gottheit, Narayana selbst. Du urteilst über alle Wesen unparteiisch aus dir selbst heraus. Denn in dir ist auch ein Teil Sanftheit manifest, und die Menschen nennen dich dafür einen Teil des Mondes. Oh Patriarch, in Ärger, Strafe, Geschenken und Furcht bist du unser Schöpfer, Zerstörer und Beschützer, dafür wirst du Indra genannt. Du bist kraftvoll wie das Feuer und unbezähmbar für alle Wesen. Daher spendest du allen Glanz und wirst Sonne genannt. Du bist wirklich der Herr des Reichtums und übertriffst sogar Kuvera. Wie Padma den Herrn des Reichtums ständig begleitet, so ist Sri immer bei dir. Oh Rama, du schaust auf alle beweglichen und unbeweglichen Wesen mit unvoreingenommenen Augen. Auch Freunde und Feinde betrachtest du mit Unvoreingenommenheit. Du bist der wahre Schutz für deine Untertanen. Oh Sproß der Raghus, der Tod jagt denjenigen, durch den du dich beleidigt fühlst. Und dafür wirst du vom Volk auch der höchst mächtige Yama genannt. Oh Bester der Könige, du bist allen Wesen gegenüber versöhnlich, und die Menschen besingen deine Herrlichkeit, als ob du ein Mensch auf Erden bist. Der König ist die Stärke der Schwachen und Hilflosen. Er ist das Auge der Blinden und die Zuflucht der Schutzbedürftigen. Du bist unser König, und so erhöre unser Gesuch. Oh König, dieser Geier tyrannisiert mich, denn er besetzt mein Nest. Du Bester der Menschen bist die einzige göttliche Geißel der Menschheit."

Nach diesen Worten schickte Rama nach seinen Beratern, den Ministern Vrishti, Yayanta, Vijaya, Siddharta, Rashtravarddhana, Asoka, Darmapala, dem höchst mächtigen Sumantra und anderen, welche die Gesetze wohl kannten und hochbeseelt und klug waren, um die Shastren wußten, in ehrbaren Familien zur Welt gekommen und Meister im Beraten waren. Sie alle lud er ein und bestieg seinen Wagen Pushpak. Dann begaben sich alle zum Ort des Geschehens, stiegen herunter, und Rama fragte den Geier: "Wann wurde dieses Nest gebaut? Sag es mir, wenn du dich erinnerst." Der Geier erwiderte: "Seit der Zeit, als die Menschheit geboren wurde und sich in alle vier Himmelsrichtungen über den Erdball ausbreitete, lebe ich in diesem Nest." Die Eule sprach dagegen: "Zu der Zeit, als die Erde das erste Mal mit Bäumen geschmückt wurde, wurde dieses Nest von mir gebaut." Nach diesen Worten wandte sich Rama an seine Berater: "Eine Versammlung ist keine Versammlung ohne Freunde oder alte Männer, welche im Geiste bei religiösen Themen verweilen. Es gibt keine Religion ohne Wahrheit und keine Wahrheit, wenn da Heuchelei ist. Solche Berater sind Lügner, die keine angemessenen Antworten zur rechten Zeit und über Themen geben, über die sie Bescheid wissen. Jener, welcher eine Frage unter dem Einfluß von Leidenschaft, Zorn oder Furcht beantwortet, bindet sich selbst mit tausend Schlingen von Varuna, und erst nach Ablauf eines vollen Jahres wird er von einer einzigen dieser Sünden erlöst." Da sprachen die Minister zu Rama: "Oh du mit dem großen Geist, was die Eule sagte, ist wahr. Der Geier hat nicht die Wahrheit gesprochen. Gib du den Beweis, großer König, denn der König ist die letzte Zuflucht für alle, die Wurzel der Untertanen und die ewige Religion. Wer vom König bestraft wird, wird nicht in einen niederen Zustand verbannt. Tatsächlich wird er vor der Hölle gerettet und erreicht einen besseren Status."

Darauf sprach Rama: "Hört, was in den Puranas erwähnt wird. Einst waren die Sonne, der Mond, das Himmelsgewölbe mit den Sternen, die Erde mit ihren Bergen und Wäldern, also die drei Welten mit allem Beweglichen und Unbeweglichen im Wasser verborgen. Nur Narayana existierte zu jener Zeit wie ein zweiter Sumeru. In Narayanas Bauch befand sich die Erde mit Lakshmi. Nachdem er die Schöpfung zerstört und ins Wasser eingegangen war, lag der strahlende Vishnu, welcher mit der Seele der Wesen identisch ist, und schlief für viele, lange Jahre. Als der große Asket Brahma Vishnu nach der Zerstörung des Universums schlafen sah, wußte er, daß Vishnu seinen Atem anhielt und trat in seinen Unterleib ein. Als dann ein goldener Lotus aus Vishnus Bauchnabel wuchs, war dies der Ursprung für den großen Herrn, den asketischen Brahma, welcher in tiefster Buße versunken war, um Erde, Luft, Berge, Bäume, Menschen, Reptilien und alle Tiere zu erschaffen, welche aus einem Leib oder Ei geboren werden. Zu dieser Zeit entsprangen den Ohren Narayanas zwei mutige und furchtbare Dämonen mit Namen Madhu und Kaithabha. Als sie den Patriarchen erblickten, wurden sie zornig und verfolgten ihn. Der Selbstgeborene schrie daraufhin laut und schrecklich. Vom Schrei geweckt, begann Narayana mit Madhu und Kaithabha zu kämpfen und tötete sie mit seinem Diskus. Ihr Blut überschwemmte die ganze Erde. Um die Erde wieder zu reinigen, bedeckte sie Hari, der Erhalter der Welt, mit Bäumen. Es wurden auch verschiedene Kräuter erschaffen. Die Erde wurde seither Medini genannt, denn sie war mit Medas (Fett) angefüllt, dem inneren Mark von Madhu und Kaithabha. Daher meine ich, daß dieses Haus nicht dem Geier gehört, oh Minister, sondern der Eule. Und der niederträchtige Geier sollte bestraft werden, denn dieser Hinterhältige und Gemeine raubte eines anderen Nest und tyrannisierte ihn."

In der Zwischenzeit hörte man eine Stimme aus dem Himmel, welche die wahren Zusammenhänge aufzeigte: "Oh Rama, töte den Geier nicht, denn er wurde schon durch die Kraft von Gautamas Askese zu Asche verbrannt. Oh Herr der Menschen, dieser Geier war in einer früheren Geburt ein heldenhafter und reiner König namens Brahmadatta. Einmal kam ein Brahmane mit Namen Gautama, die Personifikation von Kala, zum Haus des Brahmadatta um Nahrung und sagte: "Oh König, ich sollte in deinem Haus für mehr als hundert Jahre gespeist werden." Daraufhin bot König Brahmadatta dem strahlenden Brahmanen mit eigenen Händen Wasser zum Waschen seiner Füße an und arrangierte alles für die Mahlzeit. Doch zufällig wurde Fleisch mit in die Mahlzeit des hochbeseelten Gautama gemischt. Darob sehr wütend sprach der Asket über dem König einen gräßlichen Fluch aus: "Oh König, werde du ein Geier." Und der König antwortete: "Sei versöhnlich, oh du mit den großen Gelübden, verfluche mich nicht derart. Aus Unwissenheit beging ich diese Kränkung. Oh du Großer, du Schuldloser, handle so, daß dieser Fluch ein Ende finden mag." Nun verstand der Asket, daß der König die Beleidigung unwissentlich begangen hatte, und erwiderte: "Oh König, im Geschlecht der Ikshvakus wird ein König mit Namen Rama geboren werden. Oh Bester der Männer, du sollst vom Fluch erlöst werden, wenn er dich berührt." Nachdem er die Stimme im Himmel vernommen hatte, berührte Rama den Brahmadatta. Dieser verließ seine unangenehme Form und nahm eine wunderschöne Gestalt an, welche göttlichen Duft verströmte. Er pries Rama und sprach: "Oh du in Frömmigkeit Lebender, durch deine Gunst wurde ich aus dieser grimmigen Hölle gerettet. Nun ist mein Fluch beendet."


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