Pushpak Ramayana Buch 4Zurück WeiterNews

Canto 22 - Balis Tod

Immer noch lag Bali schwach atmend auf dem Boden, und seine Augen waren feucht von den Tränen des Todes. Er richtete sich auf, starrte auf den siegreichen Sugriva und drückte dann in klarster Sprache die zärtlichen Gefühle in seiner Brust aus: "Lege mir nicht deine heutigen Verletzungen zu Last, Sugriva. Beschuldige lieber das unwiderstehliche Schicksal, welches mich wütend machte. Das Schicksal stimmte nie zu, unsere Leben gleichzeitig mit Glück zu segnen. Daß wir als Brüder Seite an Seite in zärtlicher Liebe lebten, war uns verwehrt. Das Reich der Vanars ist ab heute dein. Beginne, oh König, deine rechtmäßige Herrschaft, denn ich muß Yamas Ruf folgen und in seine düstere Halle reisen. Ich muß mich trennen und in dieser Stunde alles verlassen, mein Leben, mein Reich und meine königliche Macht. Loslassend gehe ich dahin, um mir herrlichen Ruhm frei von Makel und Verunreinigung zu gewinnen.

Doch mit den letzten Worten, die meine Lippen sprechen sollen, suche ich einen Segen von deinen Händen zu erlangen. Und obwohl es kein Leichtes sein wird, erfülle die Aufgabe, die ich dir gebe, oh König. Sieh diesen meinen Sohn. Er ist kein närrischer Junge, dem Glücke hold und ward in Freude erzogen. Er liegt auf dem Boden und heiße Tränen quellen aus seinen Augen. Dieses Kind liebe ich so sehr. Er ist mir lieber als das Leben selbst und nicht geeignet für Kummer. Zeige ihm freundliche Aufmerksamkeit. Oh beschütze und bewahre ihn, als wäre er dein Eigen. Behalte ihn immer an deiner Seite als Vater, Helfer, Freund und Führer. Bewahre sein junges Leben vor Furcht und Kummer, und gib ihm alles, was ihm sein Vater gab. Dann wird Taras Sohn im Laufe der Zeit tapfer, entschlossen und berühmt werden wie du. Und er wird vor dir in den Kampf marschieren, und schwer getroffene Unholde werden seine Macht eingestehen müssen. Obwohl er jetzt noch ein zartes Bürschlein ist, soll bald Ruhm über seinen kriegerischen Namen erstrahlen, und hell soll sein Glanz aufleuchten aus Heldentaten, die seines Geschlechts würdig sind.

Das Kind von Sushen(1), meine Tara, kann sehr gut subtilste Überlieferungen lesen und erklären. In wunderbarer Kunst geübt, kann sie jedes Rätsel verkündeter Vorzeichen weissagen. Verachte niemals ihre ernsten Warnungen und tue kühn, was ihre Lippen raten. Denn ihr Auge kann kommende Dinge sehen, und die Ereignisse stimmen mit ihren Worten überein.

Unterwirf dich für den Sohn des Raghu aller Mühe und Gefahr, denn ein Bruch der geschworenen Treue wäre ein bitterer Fehler, und du würdest nicht lange unbestraft bleiben. Nun Bruder, nimm diese goldene Kette, die alte Gabe aus göttlicher Hand. Sonst wird ihr Zauber verfliegen, wenn ich sterbe, und alle ihre Macht wäre mit mir verloren."

Nachdem Sugriva die lieben Worte vernommen hatte, wurde sein ganzes Herz von Kummer aufgewühlt. Reue und sanftes Mitgefühl warfen jeden Gedanken an Triumph aus seiner Seele. So schwindet das Licht, wenn Rahu(2) den Glanz des Herrn der Sterne (Mond) stört. Alle ärgerlichen Gedanken waren verschwunden und gestillt, und freundliche Liebe erfüllte seine Brust. Der Prinz gehorchte dem Wort seines Bruders und nahm die Kette, wie Bali gebeten hatte. Dann richtete der sterbende Held seine Blicke auf den kleinen, nahebei stehenden Angad und sprach, bereit, diese Welt zu verlassen, folgende zärtliche Worte seines Herzens: "Bestimme dem Gebrauch deiner Gedanken die rechte Zeit und den rechten Ort: Sei stark im Leid und bescheiden bei Erfolg. Akzeptiere beides, Schmerz und Vergnügen, und folge immer dem Willen von Sugriva. Du, mein Liebling, wurdest von Anfang an mit zärtlicher Sorge sanft erzogen. Doch schwerere Tage müssen nun folgen, wenn du Sugrivas Liebe gewinnen willst. Halte dich nie an jene, die ihn hassen, und zähle niemals seine Feinde zu deinen Freunden. Suche mit allen deinen Gedanken sein Wohl, gehorsam, demütig, treu und bescheiden. Laß keine voreilige Bitte sein Herz Schmerzen erleiden, doch halte dich auch nicht von passenden Anfragen fern. Ein jedes wäre ein schlimmer Fehler, denn zwischen den beiden ist die glückliche Mitte."

Dann verstummte Bali. Seine Augäpfel rollten im Schmerz von unkontrollierter Qual, seine schweren Zähne waren den Blicken entblößt, und sein Geist entfloh dem Körper. Tot war ihr Herr und Anführer, und die Menge der edelsten Vanars schrie laut auf: "Nun, da du den Himmel aufgesucht hast, oh König, liegt Kishkinda verlassen. Die Wälder, Hügel und Haine, in denen die Vanars gerne wanderten, sind leer. Aus jedem Auge ist das Licht geflohen, da du, oh mächtiger Herr, tot bist. Dein war der nie ermüdende Arm, der die Hauptlast der tödlichen Kämpfe von einst mit Golabh, dem Gandharva, trug. Damals dauerte der fürchterliche Konflikt fünf lange Jahre und zehn dazu. In der Düsternis der Nacht und im grellen Schein des Tages gab es keinen Aufschub. Und als das fünfzehnte Jahr vorüber war, da fiel endlich dein schrecklicher Gegner. Wenn solch ein Feind unter unseres Helden Arm und seinen gräßlichen Zähnen fiel, und er uns damit von unserer Angst befreite, wie konnte der siegreiche Bali nun umkommen?" Als sie ihren Führer getötet sahen, ergriff große Furcht das Gefolge der Vanars. Sie beweinten ihren mächtigen Herrn, wie Kühe auf einer Weide nahe einer Löwenhöhle plötzliche Furcht befällt, wenn der kühne Stier erschlagen ist, der die Herde anführte. Die unglückliche Tara sank unter den zermalmenden Wellen ihrer Pein zusammen, schaute auf Balis Gesicht und fiel neben ihm, den sie so sehr liebte, zu Boden; wie ein junger Efeutrieb sich um einen großen, auf der Erde liegenden Baum schlingt.


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(1) Sushena ist der Sohn Varunas, des Meeresgottes
(2) ein Dämon mit dem Schwanz eines Drachen, verursacht Finsternisse indem er sich bemüht, Sonne und Mond zu verschlingen