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63.3 – Chitralekha, die Yogini

Sri Shukadeva Ji sagte: − Oh großer König! Nachdem sie das gesagt hatte, wurde Usha sehr bedrückt; und während sie an ihren Ehemann dachte, setzte sie sich auf ihr Bett und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Als die Nacht schon längst vom neuen Morgen abgelöst worden war und der Tag schon vier Stunden andauerte, begannen ihre Freundinnen und Dienerinnen sich zu fragen: „Was ist mit Usha geschehen, dass sie sich noch nicht vom Schlaf erhoben hat, obwohl es schon so lange Tag ist?“

Eine Mitbewohnerin in Ushas Haus war Chitralekha, die Tochter Rukhabhanus, des ersten Ministers von Banasura. Sie war eine sehr begabte Künstlerin und hatte in mehreren Räumen des Hauses eine wunderschöne Bildergalerie eingerichtet. − Chitralekha kam hinzu, weil sie das Gespräch der anderen Mädchen gehört hatte, und fand Usha in ihrem Bett liegen. Bewegungslos und niedergeschlagen lag Usha hinter einem durchsichtigen Vorhang; sie vergoss Tränen und ließ schwere Seufzer hören. Als Chitralekha ihre Freundin so liegen sah, fragte sie äußerst besorgt: „Liebe Usha, erkläre mir, warum bist du heute so bedrückt und offenbar in ein Meer des Leidens gefallen? Du weinst und seufzt schwer; warum ist deine Seele so beunruhigt? − Ich kann deinen Kummer vollständig vertreiben, und ich kann für dich tun, was auch immer du dir wünschst. Du hast keine bessere Freundin als mich, keine, die größere Zuneigung für dich empfindet als ich es tue.“

Chitralekha erzählte weiter: „Ich werde durch all die drei Welten wandern, um deinen Wunsch zu erfüllen. Brahma selbst hat mir einen Segen erteilt und mir Fähigkeiten vermittelt, die er vollkommen unter meine Kontrolle stellte. Devi unterstützt mich mit ihrer Kraft und darum kann ich tun, was immer du sagst. Ich habe Macht über die Illusion, sodass ich in der Lage bin, Brahma, Rudra, und Indra hierher zu bringen. Niemand kennt die Geheimnisse, die ich besitze, deswegen muss ich meine Begabungen selbst erklären. Niemand, gleich wer es ist, ob gut oder böse, kann darüber mit demselben Wissen sprechen wie ich es kann. – Erkläre mir all deinen Kummer, was ist während der Nacht passiert? Sag’ mir, wie es war und mach’ mir nichts vor, oh Geliebte! Dann werde ich dir deine Hoffnungen erfüllen.“

Als sie diese Worte gehört hatte, oh großer König! schämte Usha sich sehr; mit gesenktem Kopf wendete sie sich an Chitralekha und begann mit einem süßen Ton in der Stimme zu reden: „Oh Geliebte! Ich weiß, dass du meine Freundin bist, darum erzähle ich dir alles, was während der Nacht geschah, aber behandle das vertraulich, und wenn du einen Ausweg weißt, dann sag’ es mir. − Während der Nacht sah ich im Traum ein männliches Wesen mit der Hautfarbe dunkler Wolken, strahlend wie der Mond, mit lotusförmigen Augen, in gelbe Seide gekleidet, mit einem Schal derselben Farbe; er kam, setzte sich neben mich und zeigte mir seine größte Zuneigung; und so fesselte er meine Aufmerksamkeit vollständig, so dass ich jede Vorsicht oder Verlegenheit vergaß. Wir unterhielten uns, und nachdem diese Plauderei eine Weile gedauert hatte, verursachte sie bei mir ein herzliches Verlangen, darum wollte ich ihn umarmen, als ich plötzlich aus dem Schlaf erwachte. Seine hinreißende Gestalt blieb mir im Gedächtnis; niemals habe ich vorher jemanden wie ihn gesehen. Wie kann ich dir eine Beschreibung von ihm geben; seine Schönheit übersteigt die Kraft der Sprache. Er hat all meine Zuneigung und Aufmerksamkeit gestohlen.“

Usha fuhr fort zu erzählen: „Als ich damals jeden Tag zum Kailasa-Gebirge wanderte, um unter der Anleitung Sri Mahadeva Jis Wissen zu erwerben, da erzählte mir Sri Parvati eines Tages, ich würde meinen Ehemann zuerst in einem Traum sehen, um mich danach auf die Suche nach ihm zu begeben. Und letzte Nacht sah ich meinen Bräutigam in einem Traum, aber wo finde ich ihn nun wieder; und wem soll ich die Qualen beschreiben, die mir die Trennung verursacht? Wohin soll ich gehen, wie soll ich ihn suchen, ich weiß seinen Namen nicht und auch nicht, wo er wohnt.“

Oh großer König! Nachdem Usha dies unter langen und schweren Seufzern erzählt hatte, wobei sie den Kopf hängen ließ und vor Gram fast verging, sagte Chitralekha zu ihr: „Sei ganz unbesorgt, meine Liebe! Ich werde deinen Ehemann suchen und finden, ganz gleich, wo er ist, und ihn zu dir bringen. Ich habe Zugang zu allen drei Welten, darum finde ich ihn für dich. Gib’ mir seinen Namen und die Erlaubnis, zu beginnen.“ Usha antwortete: „Freundin! Es wird gesagt, wenn jemand tot ist, kann er nicht atmen. Wenn ich seinen Namen hätte, dann wüsste ich auch in kürzester Zeit, wo er wohnt, und ich hätte keinen Grund traurig zu sein, und brauchte kein Heilmittel gegen meinen Kummer.“ − „Gut“, sagte Chitralekha, „wenn du weder seinen Namen noch seinen Wohnort weißt, dann beschreibe ich dir zuerst einmal alle männlichen Bewohner der drei Welten; du wirst mir zeigen, wer dein Herz gestohlen hat, und meine Aufgabe ist es danach, ihn zu dir zu bringen.“ Usha lachte und stimmte zu.

Oh großer König! Nachdem Chitralekha auf diese Weise Ushas Zustimmung erhalten hatte, ließ sie sich Schreib- und Zeichenmaterial bringen, setze sich auf den Boden und, nachdem sie Ganesha und Devi günstig gestimmt und sich auf ihren spirituellen Lehrer konzentriert hatte, begann sie zu schreiben. Zuerst schrieb und zeichnete sie Beschreibungen und Bilder der drei Welten und ihren acht verschiedenen Reichen mit jeweils vierzehn verschiedenen Ländern; den sieben Inseln, den Kontinenten der Erde, dem Himmel, den sieben Weltmeeren, und von Vishnus himmlischem Paradies. Danach zeigte sie Usha schriftliche Darstellungen der Devas, der Dämonen, der himmlischen Musiker, der himmlischen Sänger und Sängerinnen, sowie all der Halbgötter, Heiligen und Weisen, den Erhaltern der Welt und der zehn Himmelsrichtungen, und auch der Rajas der zahllosen Länder. – Aber auf diese Art und Weise konnte Usha ihren Geliebten nicht erkennen.

Deswegen begann Chitralekha, viele verschiedene Zeichnungen und Skizzen der Nachkommen Yadus anzufertigen, und als sie Usha die Bilder zeigte, wies Usha auf Aniruddhas Bild und sagte: „Das ist er! Ich habe ihn gefunden, der in der Nacht kam und mein Herz gestohlen hat. – Freundin, jetzt denk’ dir etwas aus, um ihn hierher zu bringen.“ – Er wird mir nicht entkommen“, erwiderte Chitralekha und fuhr fort: „Du kennst ihn noch nicht, aber ich kann dir sagen, wer es ist; das ist jemand aus der Yadu-Familie, der Enkel Sri Krishnas, der Sohn Pradyumnas, er heißt Aniruddha. Er lebt in Dvaraka, einer Stadt, die im Meer in der Nähe des Strandes erbaut wurde. Durch Krishnas Anweisung schwebt das Sudarshana-Chakra unaufhörlich hoch über der Stadt, sodass kein Teufel, kein Dämon, und auch sonst keine unerwünschten Personen die Nachkommen des Yadu stören können; und wenn sich doch einmal solch ein Besucher nähert, so kommt er ohne die Erlaubnis von Ugrasena und Shurasena nicht in die Stadt.“

Oh großer König! Usha wurde sehr traurig, als sie dies alles hörte, und klagte: „Freundin! Wenn das ein Ort ist, der so schwierig zu erreichen ist, wie willst du dahin kommen, um meinen Ehemann zu holen?“ Chitralekha antwortete: „Meine Liebe, sei unbesorgt, durch die glänzende Gnade Krishnas werde ich den Herrn deiner Seele herbringen.“ Nachdem sie das gesagt hatte, zog Chitralekha sich ein enges Unterhemd an, das überall mit den Namen Ramas versehen war. Sie trug mit Sandelholzpaste Zeichen und senkrechte Linien auf ihrer Stirn auf, so wie es die Kuhhirtinnen tun, und prägte sich verschiedene weitere Zeichnungen auf ihre Brüste, Oberarme und ihren Hals. Dann legte sie sich einen weiten, seidenen, zauberhaften Sari mit einem auffälligen schwarz-weißen Schachbrettmuster an; darüber legte sie sich um den Hals eine lange und breite Girlande aus fest geflochtenen Tulasi-Blumen. Anschließend nahm sie einen Rosenkranz aus funkelnden Diamanten in die Hand, der zu Ehren Tulasi-Devis hergestellt worden war. Zuletzt griff sie nach einem dicken und dunkelroten Perserteppich, auf dem sie wie eine große Geweihte Vishnus sitzen konnte. Sie rollte den Teppich ein und klemmte ihn sich unter den Arm, um nach draußen zu gehen; und so verabschiedete sie sich von Usha, wobei sie sagte: „Ich werde jetzt meine Reise durch die klare Luft antreten, die Route wird mich geradewegs durch den nachtblauen Himmel führen. Genauso werde ich mit deinem Ehemann zurückkommen, andernfalls heiße ich nicht länger Chitralekha.“

Nachdem er soviel der Geschichte erzählt hatte, sagte Sri Shukadeva Ji: − Oh großer König! Auf diese Art wendete Chitralekha ihre großartigen yogischen Fähigkeiten an. Auf einem unsichtbaren Fahrzeug aus Luft breitete sie ihren Teppich aus und nahm darauf Platz, um ihre Fahrt in die dunkle Nacht zu beginnen. – Schon nach sehr kurzer Zeit erreichte sie Dvaraka. Wie eine strahlende Sternschnuppe landete sie auf einem der Balkone von Sri Krishna Chandras Palast, so leise, dass niemand ihre Ankunft sah oder hörte. Dann trat sie geräuschlos durch die Balkontür in die Residenz ein und fand Aniruddha schlafend allein in seinem Bett liegen, wobei er sich im Traum eines Treffens mit Usha erfreute. Als Chitralekha diesen Anblick sah, nahm sie flink das ganze Bett an die Hand und flog damit fort. Sie entführte den Schlafenden mitsamt seiner Bettstatt, um ihrer Freundin einen Gefallen zu tun, und so brachte sie Aniruddha in das Haus, wo Usha gespannt und neugierig wartete.(1)

Oh großer König! Als sie Aniruddha in seinem Bett liegen sah, war Usha zuerst fassungslos, ihr Herz raste in großer Unruhe; sie ging und fiel Chitralekha zu Füßen und begann, ihren Mut und ihr Können zu lobpreisen; dass sie ihr zuliebe zu einer so schwer zugänglichen Stadt gereist war, um ihren Geliebten herzubringen, in seinem Bett, und auf diese Weise getan hatte, was sie vorher versprochen hatte. Usha rief: „Für mich hast du diese Reise auf dich genommen; ich bin nicht in der Lage, dir das zu vergelten, sondern werde in deiner Schuld bleiben.“ Chitralekha erwiderte: „Zu den schönsten Dingen in dieser Welt gehört es, zum Glück der Anderen beizutragen; und zu den guten Taten gehört es, ihnen zu helfen; unser Körper ist nutzlos, wenn wir nur unsere eigenen Vorteile im Sinn haben; jedoch ist er sehr nützlich, wenn wir damit den Nutzen der Anderen vergrößern können. Durch solch eine Handlungsweise werden sowohl unsere Ziele als auch die der Anderen erreicht.“

Oh großer König! Nachdem Chitralekha dies kundgetan hatte, wollte sie nach Hause gehen. Sie verabschiedete sich von Usha mit den Worten: „Liebe Freundin! Mit der unschätzbaren Zustimmung Bhagavans habe ich dir deinen Ehemann bringen können; wecke ihn nun auf, um deine Wünsche zu erfüllen.“


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(1) Chitralekha beherrschte offensichtlich mehrere der yogischen Fähigkeiten, genannt Siddhis.