Pushpak Panchatantra Buch 5Zurück WeiterNews

11. Erzählung - Der gebissene Affe

In einer gewissen Stadt herrschte ein König namens Bhadrasena („mit glücklichem Heer“). Der hatte eine mit allen Reizen geschmückte Tochter namens Ratnavati („mit Juwelen begabt“), aber diese wünschte ein gewisser Rakshasa zu rauben. In jeder Nacht kam er und genoß sie. Da sie aber von einer Leibwache umgeben war, konnte er sie nicht entführen. Zu der Zeit, wo er sie umarmte, fühlte sie infolge der Nähe des Rakshasa einen Zustand von Zittern, Fieberhitze und ähnlichem. Indem so die Zeit hinging zeigte sich einst dieser Rakshasa der Königstochter, in einem Winkel des Hauses stehend. Da sagte diese zu ihrer Freundin: „Freundin! Sieh! Dieser Rakshasa kommt immer in der Zeit der «Dämmerung» und quält mich. Gibt es irgendein Mittel, diesen Bösewicht abzuhalten?“ Als der Rakshasa dies hörte, dachte er: „Wie ich, so kommt sicherlich immer auch ein anderer namens «Dämmerung», um sie zu rauben. Aber auch er kann sie nicht entführen. Drum will ich doch einmal in ein Pferd fahren und in ihrer Nähe beobachten, wie er aussieht und wie mächtig er ist!“ Nachdem er dies getan, kam aber mitten in der Nacht in das Haus des Königs ein Pferdedieb, und nachdem dieser alle Pferde betrachtet hatte und das Rakshasa-Pferd am schönsten fand, legte er ihm einen Zaum in den Mund und bestieg es. Mittlerweile dachte der Rakshasa: „Sicherlich ist dies der Mann mit Namen «Dämmerung». Er erkennt mich als einen Bösewicht und ist voll Zorn gekommen, um mich umzubringen. Was soll ich nun tun?“ Indem er so dachte, versetzte ihm der Pferdedieb einen Hieb mit der Peitsche. Darauf fing er an, mit vor Furcht zitterndem Herzen, vorwärts zu laufen. Als er weit gelaufen war, versuchte der Dieb, ihn durch Anziehen des Zügels zum Stehen zu bringen. Denn wenn es ein Pferd ist, so folgt es dem Zügel. Dieser aber lief nur immer schneller. Als nun der Dieb sah, daß er auf das Anziehen der Zügel gar keine Rücksicht nahm, so dachte er: „Ah! So sind keine Pferde! Das muß sicher ein Rakshasa in Pferdegestalt sein! Drum werde ich, sobald ich irgendeinen weichen Erdboden sehe, herunterspringen. Anders bleibe ich nicht am Leben.“ Indem der Pferdedieb so dachte und sich seiner Schutzgottheit empfahl, lief der pferdegestaltige Rakshasa unter einen Feigenbaum. Der Dieb aber faßte einen Zweig des Feigenbaums und schwang sich darauf. Darauf faßten nun alle beide, nachdem sie voneinander losgekommen waren, Hoffnung, ihr Leben zu erhalten und fühlten die Fülle höchster Seligkeit.

Auf diesem Feigenbaum aber saß ein Affe, der ein Freund des Rakshasa war. Als er den Rakshasa weglaufen sah, rief er ihm hinterher: „He! Warum läufst du so aus törichter Furcht? Es ist ein Mensch, deine Nahrung! Friß ihn doch auf!“ Als er diese Rede desselben hörte, nahm er seine eigene Gestalt an und kehrte mit Angst im Herzen schwankenden Schritts um. Der Dieb nun, da er den vom Affen Herbeigerufenen erkannte, nahm aus Wut den weit herabhängenden Schwanz des Affen in den Mund und fing an, ihn aufs heftigste zu beißen. Der Affe aber hielt ihn nun für noch stärker als den Rakshasa und gab aus Furcht keinen Laut von sich. Er schloß nur vor Schmerz die Augen und biß die Zähne aufeinander. Der Rakshasa, als er ihn in diesem Zustand erblickte, rezitierte dann jene Strophe:

Wie sich aus deines Antlitzes Schatten, oh Affe! schließen läßt, so hat «Dämmerung» dich ergriffen: Wer sich davonmacht, kommt nicht um.“

Darauf sprach der Goldzauberer erneut: „Entlasse mich! Ich will nach meinem Hause gehen! Du aber ertrage hier stehend die Frucht des Baums deines unklugen Benehmens!“ Der Mann mit dem Rade aber sagte: „Ach! Vernunft oder Unvernunft ist barer Unsinn! Denn Glück und Unglück fällt den Menschen nach dem Willen des Schicksals zu. Man sagt auch: Ravanas Burg war der dreizackige Berg (Trikuta) und dessen Graben das große Meer, sein Heer bestand aus Dämonen, seine Schätze gab der Gott des Reichtums und sein Wissen lehrte ihm Usanas (der Lehrer der Dämonen), aber auch Ravana fiel durch die Macht des Schicksals. Und so erzählt man auch: Ein Blinder, ein Buckliger und ein dreibrüstiges Königskind werden gegen alle Vernunft durch des Schicksals Gunst geheilt.“

Da fragte der Goldzauberer „Wie war das?“, und der Mann mit dem Rad erzählte:

12. Erzählung - Wunderheilung des Blinden, des Buckeligen und der dreibrüstigen Prinzessin

Im Nordland ist eine Stadt, Madhupura („Nektar-Stadt“) mit Namen. Darin regierte ein König namens Madhusena („mit dem Nektar-Heer“). Dem wurde einst eine Tochter mit drei Brüsten geboren. Als der König hörte, daß sie mit drei Brüsten geboren war, rief er einen Diener des Harems zu sich und sagte ihm: „He! Laß das Mädchen im Wald aussetzen, damit das niemand erfährt!“ Nachdem er dies gehört hatte, sprach der Diener: „Großer König! Es ist zwar bekannt, daß ein dreibrüstiges Mädchen Unglück bringt. Dennoch rufe Brahmanen und befrage sie, damit du nichts begehst, was dir in beiden Welten Schaden bringen möchte. Denn man sagt auch: Wer immer fragt und hört und unaufhörlich überlegt, dessen Reinheit wächst, gleich einem Lotusfeld durch die Strahlen des Taggestirns. Und so: Ein kluger Mann soll stets fragen. Denn ein Brahmane ward, obgleich von einem Dämon ergriffen, durch eine Frage einstmals frei.“

Da fragte der König „Wie war das?“, und der Diener erzählte:

13. Erzählung - Der Brahmane, der durch eine Frage sein Leben rettet

In irgendeinem Walde hauste ein Rakshasa namens Chandakarman („mit wilden Taten“). Als dieser einst umherschweifte, stieß er auf einen Brahmanen. Da sprang er auf dessen Schulter und rief: „He! Geh vorwärts!“ Der Brahmane aber, das Herz von Furcht erschreckt, machte sich mit ihm auf den Weg. Als er nun dessen Füße sah, die so weich waren wie das Innere einer Lotusblume, so fragte er ihn: „He! Wieso hast du so weiche Füße?“ Der Rakshasa antwortete: „Ich bewege meine Füße nie und berühre nie und nimmer mit ihnen die Erde. Das ist ein Gelübde, das ich geschworen habe.“ Nachdem dies der Brahmane gehört, kam er, sinnend auf ein Mittel sich zu befreien, an einen großen Teich. Da sagte der Rakshasa: „Bis ich mich gebadet, die Götter angebetet und wieder aus dem Teich komme, darfst du dich nicht von dieser Stelle irgendwohin entfernen!“ Nachdem so geschehen war, dachte der Brahmane: „Sicher wird er mich auffressen, sobald er zu den Göttern gebetet hat. Drum will ich mich so rasch als möglich auf- und davonmachen! Denn, da er seine Füße nicht bewegt, so kann er mich nicht verfolgen.“ Nachdem nun so geschehen war, verfolgte ihn der Rakshasa nicht, aus Furcht, sein Gelübde zu brechen. - Daher sage ich: Ein kluger Mann soll stets fragen. Denn ein Brahmane ward, obgleich von einem Dämon ergriffen, durch eine Frage einstmals frei.“

Fortsetzung der 12. Erzählung

Als er dessen Rede gehört hatte, ließ der König Brahmanen rufen und sprach: „Oh Brahmanen! Mir ist eine Tochter mit drei Brüsten geboren. Gibt es dagegen eine Hilfe oder nicht?“ Diese sagten: „Majestät! Höre! Ein Mädchen, dem ein Glied fehlt oder das eins zu viel besitzt, das bringt seinem Mann Unheil und wird auch an Charakter schlecht. Doch ein Mädchen mit drei Brüsten, das ihrem Vater zu Gesicht kommt, bringt diesem - daran ist kein Zweifel - schleunigen Untergang. Darum vermeide Majestät, sie zu sehen! Wenn jemand sie zur Frau begehrt, so gib sie ihm und befiehl ihm, das Land zu verlassen. Wenn man so verfährt, so geschieht nichts, was in beiden Welten Schaden bringen könnte.“

Nachdem der König ihre Rede gehört hatte, ließ er allenthalben unter Trommelschlag ausrufen: „Holla! Wer eine Königstochter mit drei Brüsten heiraten will, dem wird der König hunderttausend Goldstücke geben. Dann muß er aber das Land verlassen!“ Nachdem dies ausgerufen war, verstrich eine lange Zeit, ohne daß irgend jemand sie heiraten wollte. Sie aber befand sich an einem verborgenen Ort und erreichte die Reife der Jugend. Nun war aber in dieser Stadt ein Blinder. Dieser hatte einen Buckligen namens Manthara („Krüppel“), welcher ihn an einem vorgestreckten Stock führte. Als diese beiden nun den Schall der Trommel hörten, berieten sie miteinander: „Laß uns die Trommel berühren! Wenn wir durch den Willen des Schicksals das Mädchen und das Gold erhalten, so wird uns durch das empfangene Gold die Zeit in Freuden hinfließen. Trifft uns aber durch das Mädchen der Tod, so macht das der Plage ein Ende, welche uns die Armut bringt. Denn man sagt auch: Bescheidenheit, Liebe, Lieblichkeit der Rede, Geistesgaben, der Jugend Reiz, Verein mit der Geliebten, Vollkommenheit des Opfers, Freiheit von Schmerz, Vergnügen, Tugend, Wissenschaft, der Verstand des Götterlehrers (Vrihaspati), Redlichkeit und kluges Benehmen: alles wird den Menschen zuteil, wenn der Topf voll ist, den man Magen nennt.“

Nachdem sie sich so beraten hatten, ging der Blinde, berührte die Trommel und sagte: „Ich will das Mädchen heiraten, wenn der König es mir gibt.“ Darauf gingen des Königs Diener und taten es dem Könige kund: „Majestät! Irgendein Blinder hat die Trommel berührt. Majestät haben in dieser Angelegenheit zu befehlen!“ Der König sprach: „Hm! Ein Blinder, Tauber selbst Krätziger oder aus tiefster Kaste gar nehme das Mädchen samt Gold hin und entferne sich aus dem Land!“

Nun wurde er unmittelbar nach des Königs Befehl von den Dienern desselben zum Ufer des Flusses geführt, empfing die hunderttausend Goldstücke und dann wurde das dreibrüstige Mädchen mit dem Blinden verheiratet. Darauf ward er auf ein Boot gesetzt und den Schiffern der Befehl gegeben: „Hört! Bringt diesen Blinden samt dem Buckligen und der Frau an irgendeinen Ort in der Fremde und laßt sie da frei!“ Nachdem so geschehen, kamen sie in die Fremde, erwarben sich an irgendeinem Orte für Geld ein Haus und brachten daselbst alle drei vergnügt ihre Zeit hin. Der Blinde tat nichts weiter, als daß er immer im Bett schlief, und die Hausangelegenheiten besorgte der Bucklige.

Indem die Zeit so verlief, faßte die Dreibrüstige Begierde nach dem Buckligen und sagte: „Oh du Schöner! Wenn dieser Blinde auf irgendwelche Weise aus der Welt geschafft wird, dann werden wir beide ein vergnügtes Leben führen. Drum suche irgendwo Gift, damit ich ihm das gebe und nach seinem Tode vergnügt werde!“ Nun fand der Bucklige eines Tages auf seinen Wanderungen irgendwo eine tote schwarze Schlange. Diese nahm er, ging hochvergnügten Herzens nach Hause und sagte zu jener: „Oh Schöne! Ich habe hier eine schwarze Schlange gefunden. Diese schneide nun in Stücke, mache sie mit vielem trocknen Ingwer und anderem zurecht und gib sie diesem Gesichtlosen, indem du sagst, es wäre Fischfleisch, damit er rasch umkommt. Denn Fleisch von Fischen hat er immer gern.“

Nachdem Manthara so gesprochen hatte, machte er sich wieder auf den Weg zum Markt. Sie aber, nachdem sie ein Feuer angezündet, die schwarze Schlange in Stücke geschnitten, in einen Topf mit Buttermilch gelegt und auf den Herd gesetzt hatte, sagte, da sie selbst mit häuslichen Arbeiten zu tun hatte, liebevoll zu dem Blinden: „Sohn eines Hochwürdigen! Ich habe heute Fische geholt, die du so gerne hast, und bin im Begriff, sie zu kochen. Während ich nun eine andere häusliche Arbeit verrichte, nimm du den Löffel und rühre sie um!“ Er aber, als er dies hörte, leckte sich mit überaus vergnügtem Herzen beide Mundwinkel, stand eilig auf, nahm den Löffel und fing an, sie umzurühren. Indem er aber so rührte, fiel durch den giftgeschwängerten Dunst das schwarze Häutchen allmählich von seinen Augen ab. Da er diesen Dunst nun sehr zuträglich fand, ließ er ihn mit großer Sorgfalt in die Augen ziehen. Wie nun sein Gesicht klar ward und er hinsieht, so sind in der Butter nichts als Stücke einer schwarzen Schlange. Darauf dachte er: „Aha! Was ist das? Zu mir sagt sie, das wäre Fischfleisch, und nun sind es Stücke einer schwarzen Schlange. Da muß ich doch genauer erforschen, ob das das Werk der Dreibrüstigen ist oder ob dieser Anschlag auf mein Leben von Manthara ausgeht, oder auch von irgendeinem andern.“

Nachdem er so überlegt hatte, verbarg er seinen Zustand und betrieb sein Geschäft wie vorher, als ob er noch blind wäre. Mittlerweile kam Manthara zurück und fing an, ohne alle Furcht die Dreibrüstige mit Umarmung, Küssen und so weiter zu bedienen. Der Blinde aber, der dies alles sah, da er kein Messer erblickte, tritt vor Zorn blind wie früher zu ihnen hin, hebt den Manthara an den Beinen in die Höhe, schleudert ihn, da er ein Mann von großer Körperkraft war, über seinen Kopf im Kreis herum und wirft ihn der Dreibrüstigen ans Herz. Da wurde nun durch den Stoß vom Körper des Buckligen ihre dritte Brust in den Körper zurückgedrückt, und der Bucklige wurde dadurch, daß sein Höcker an die Brust von jener stieß, gerade. - Daher sage ich: Ein Blinder, ein Buckliger und ein dreibrüstiges Königskind werden gegen alle Vernunft durch des Schicksals Gunst geheilt.“

Der Goldzauberer sagte: „Ach! Was du sagst, ist wahr. Wenn das Schicksal günstig ist, geht es allerorten glücklich. Aber trotzdem soll der Mensch den Rat der Guten befolgen. Wer sich gerade umgekehrt benimmt, der geht zugrunde, wie du. Es heißt auch so: Gleichwie der Bharunda Vogel mit zwei Köpfen und einem Bauch einer gegen den andern fraß, so geht auch der Uneinige zugrunde.“

Da fragte der Mann mit dem Rad „Wie war das?“, und jener erzählte:

14. Erzählung - Der Vogel mit zwei unverträglichen Köpfen

An einem Ort in der Nähe des Meeres wohnte ein Vogel mit Namen Bharunda, welcher einen Bauch und zwei Köpfe hatte. Als dieser einst am Meeresufer umherschweifte, fand er eine ambrosiagleiche Frucht, welche die Wellen ans Ufer gespült hatte. Er aß sie und sagte: „Ah! Ich habe schon viele ambrosiagleiche Früchte gegessen, die die Wogen des Meeres herbeigeführt hatten. Aber der Geschmack von dieser ist mir ganz neu. Sollte sie auf dem paradiesischen Goldsandelbaum gewachsen sein? Oder sollte sie irgendeine andre Ambrosiafrucht sein, welche durch irgendein Geschick herabgefallen ist? Ich fühle eine große Seligkeit der Zunge!“ Indem er so sprach, sagte der zweite Kopf: „Wenn dem so ist, so gib mir auch ein bißchen, damit auch ich diese Seligkeit der Zunge genieße!“ Darauf lachte der erste Kopf und sagte: „Wir haben beide ja nur einen Bauch, somit also dasselbe Vergnügen. Wozu also ein doppeltes Essen? Lieber soll sich an diesem Überrest unsere Liebste erfreuen!“ Nachdem er so gesprochen hatte, gab er das vom Essen Übriggebliebene dem Bharunda-Weibchen. Diese aber, nachdem sie es gekostet hatte, war aufs höchste erfreut, ganz weg in Umarmungen, Küssen, Lieben und Kosen.

Der zweite Kopf aber war von diesem Tage an voll Kummer und Betrübnis. Eines Tages nun fand dieser zweite Kopf eine giftige Frucht. Als er sie erblickte, sagte er: „Ha! Du grausames, schlechtes Geschöpf! Ich habe zufällig eine giftige Frucht gefunden. Die werde ich deiner Mißachtung wegen essen.“ Der erste Kopf entgegnete: „Du Tor! Tue das um Gottes willen nicht! Wenn du es tust, werden wir alle beide umkommen. Drum verzeihe mir meine Schuld! Ich werde dir niemals wieder etwas zuleide tun.“ Obgleich er aber so sprach, aß jener trotzdem die giftige Frucht. Um es kurz zu machen: Beide kamen um. - Daher sage ich: Gleichwie der Bharunda Vogel mit zwei Köpfen und einem Bauch einer gegen den andern fraß, so geht auch der Uneinige zugrunde.“

Der Mann mit dem Rad auf dem Kopf sagte: „Ach! Das ist in der Tat so! Du hast die Wahrheit gesagt. Drum geh nach Hause! Aber du darfst nicht allein gehen. Denn man sagt auch: Man soll nichts Gutes allein essen, nicht wachen unter Schlafenden, keine Reise allein machen und nicht allein sich Ratgeber sein. Und auch: Selbst ein geringer Mitwanderer verschafft Segen auf dem Weg: Vor der Schlange beschützte einst ein Krebs den Wanderer als Begleiter.“

Da fragte der Goldzauberer „Wie war das?“, und jener erzählte:

15. Erzählung - Der rettende Krebs

An einem gewissen Ort wohnte einst ein Brahmane mit Namen Brahmadatta („von Brahma gegeben“). Dieser machte sich eines Geschäfts wegen auf den Weg nach einem andern Dorf. Doch seine Mutter sagte zu ihm: „Kind? Warum gehst du allein? Suche doch irgendeinen zweiten, der dir Gesellschaft auf dem Wege leistet.“ Jener aber entgegnete: „Mutter! Fürchte dich nicht! Dieser Weg hat keine Gefahr! Drum will ich ihn, um der Verehrungswürdigen Geschäft zu besorgen, heute selbst allein gehen.“ Als sie ihn darauf entschlossen sah, nahm die Mutter aus einer Höhlung eines in der Nähe befindlichen Brunnens einen Krebs und sprach zu ihrem Sohne: „Kind! Wenn du denn unweigerlich gehen mußt, dann möge dieser Krebs dein Reisegefährte sein. Drum nimm ihn sorglich und gehe!“ Er aber ergriff ihn aus Ehrfurcht vor seiner Mutter mit beiden Händen, wickelte ihn in eine aus Kampferblättern gemachten Hülle, legte ihn mitten in sein Gepäck und machte sich schnell auf den Weg. Indem er nun wanderte, wurde er von der Sonnenhitze gequält, ging deshalb zu einem Baum am Weg und schlief sorglos unter demselben ein. Währenddessen kam eine schwarze Schlange aus einer Höhle dieses Baums und ging auf ihn los. Da wurden aber die Sinne der schwarzen Schlange von dem Geruch des Kampfers angelockt, sie ließ den Mann unberührt, riß den Gepäckbeutel auf und fraß mit großer Begierde die Kampferblätter. Der Krebs aber, welchen sie ebenfalls verschlang, geriet ihr in die Kehle und nahm der Schlange das Leben. Der Brahmane nun, als er sich ausgeschlafen hatte, und sich umsieht, so liegt da in seiner Nähe eine tote schwarze Schlange, der Gepäckbeutel zerrissen, die Kampferblätter aufgefressen und in der Nähe der Schlange der Krebs. Als er dies sah, dachte er: „Ach! Meine Mutter hat mit Recht gesagt, daß man irgendeinen zweiten als Reisegefährten nehmen, nicht aber eine Reise allein machen soll. Weil ich mit gläubigem Sinn ihre Rede befolgt habe, darum wurde ich sogar von einem Krebs vor dem Tod durch diese Schlange beschützt. Sagt man ja doch mit Recht: Abgezehrt schwindet der Mond bei der Fülle der Sonne, doch den Ozean als Herrn aller Flüsse läßt er anwachsen: Manche sind Genossen im Unglück, andere genießen der Glücklichen Heil. Wie einer im Rat, bei Wallfahrten, Priestern, Gott, Wahrsagern, Heilern oder Lehrern sich aufführt, so wenden sich seine Wege.“ Nachdem er so gesagt hatte, ging er, wohin er zu gehen beabsichtigte. - Daher sage ich: Selbst ein geringer Mitwanderer verschafft Segen auf dem Weg: Vor der Schlange beschützte einst ein Krebs den Wanderer als Begleiter.“

Schluß der 3. Erzählung

Nachdem er dies gehört, bat der Goldzauberer, ihn zu entlassen, und kehrte nach seinem Haus zurück.

So schließt das fünfte Buch des vom heiligen Vishnusharman verfaßte Panchatantra, genannt: „Handeln ohne sorgfältige Prüfung“, dessen erste Strophe lautet:

Was nicht genau gesehen oder gehört, erkundet und geprüft wird, das vollziehe ein Mensch niemals, sonst geht es ihm wie dem Barbier.

Schlußstrophe

Der heilige Vishnusharman hat dieses Werk über die Art, wie sich ein König zu benehmen hat, versehen mit Erzählungen und verbunden mit Sprüchen guter Dichter verfertigt, durch welche hier die Weisen reden, die anderen Hilfe erweisen und den Himmel verehren. Möge es Glück bringen! OM


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