Pushpak Mahabharata Buch 6Zurück WeiterNews

Kapitel 35 - Der Yoga der kosmischen Sicht

Arjuna sprach:
Zu meinem Wohle hast du über das höchste Mysterium gesprochen, daß man auch das Selbst nennt. So zerstreut sich mein Wahn, denn ich habe Großes von dir über die Schöpfung und Auflösung der Wesen erfahren, sowie von deiner Vollkommenheit, oh Lotusäugiger, die keinen Verfall kennt. Wie du über dich selbst, oh großer Herr, mit wahrhaften Worten gesprochen hast, so wünsche ich nun, oh Höchster Geist, deine Herrschergestalt zu schauen. Wenn du meinst, oh Herr, daß ich zu dieser Sicht fähig bin, dann zeige mir, oh Meister aller Yogakräfte, deine unvergängliche Macht.

Der Heilige sprach:
Oh Sohn der Pritha, schaue meine hundert- und tausendfachen Gestaltungen, vielfältige und göttliche in unterschiedlichsten Farben und Formen. Schaue die Adityas, Vasus, Rudras, Aswins und die Maruts. Schaue, oh Bharata, unzählige Wunder, die du nie zuvor gesehen hast. Schaue, oh Arjuna, das ganze Weltall mit allem Belebten und Unbelebten in meinem Körper vereint, und auch alles, was du sonst noch sehen möchtest. Aber mit deinen Augen bist du dazu nicht fähig. So gebe ich dir die himmlische Sicht. Damit schaue meine göttliche Macht!

Sanjaya fuhr fort:
Mit diesen Worten, oh Monarch, offenbarte Hari, der mächtige Herr der Yogakraft, dem Sohn der Pritha seine göttliche Herrschergestalt mit vielen Mündern und Augen, mit zahllosen wunderbaren Gesichtern, mit vielen himmlischen Ornamenten und erhobenen, himmlischen Waffen, mit himmlischen Girlanden und Roben, mit himmlisch duftenden Salben, voll jeglicher Wunder, strahlend, unendlich, und mit Augen, die nach allen Seiten gerichtet sind. Würden am Himmel tausend Sonnen gleichzeitig erscheinen, dann wäre diese Herrlichkeit vielleicht dem Glanz dieser mächtigen Erscheinung ähnlich. So sah der Sohn des Pandu das ganze Universum, mit all den vielfältigen Gestaltungen im Körper der Gottheit vereint. Daraufhin sprach Arjuna, dem vor Erstaunen die Haare zu Berge standen, mit gefalteten Händen und geneigtem Kopf zum Göttlichen.

Krishnas kosmische Gestalt

Arjuna sprach:
Ich sehe, oh Gottheit, all die Götter mit den verschiedenen Scharen der Wesen, auch Brahma auf seinem Lotusthron mit all den Rishis und Nagas. Ich schaue Dich mit unzähligen Armen, Bäuchen, Mündern und Augen auf jeder Seite. Oh Grenzenloser, ich kann weder ein Ende, noch eine Mitte, noch einen Anfang von dir erkennen, oh Herr der Welten, oh Allgestaltiger. Ich sehe dich mit Krone, Keule und Diskus, eine Masse von Energie, die allseitig glühend strahlt und kaum zu ertragen ist, wie das Gleißen eines auflodernden Feuers oder der Sonne, aber grenzenlos. Du bist wahrlich unzerstörbar, das höchste Sein dieses Universums. Du bist unvergänglich und der Hüter der ewigen Ordnung (Dharma). Ich sehe in dir den ewigen Höchsten Geist. Ich erkenne dich ohne Anfang, Mitte und Ende. Du hast unendliche Kraft, unzählige Arme, die Sonne und den Mond als deine Augen, das lodernde Feuer als deinen Mund und erwärmst dieses Weltall mit deiner Energie. Nur du allein durchdringst den Raum zwischen Himmel und Erde in jeder erdenklichen Richtung.

Oh Höchste Seele, der Anblick deiner wunderbaren und zugleich furchterregenden Gestalt erschüttert diese dreifache Welt. Denn all diese Götterscharen sind in dir. Manche verehren dich ehrfurchtsvoll mit gefalteten Händen, manche rufen „Heil“ zu dir, und die Scharen der großen Rishis und Siddhas preisen dich mit herrlichen Lobgesängen. Die Rudras, Adityas, Vasus, Sadhyas, Vishvas, Aswins, Maruts, Ahnen, Gandharvas, Yakshas, Asuras und die Siddhas schauen dich alle an und sind voller Erstaunen. Der Anblick deiner mächtigen Gestalt, oh Starkarmiger, mit vielen Mündern und Augen, mit unzähligen Armen, Schenkeln und Füßen, mit vielen Bäuchen und schrecklichen Zähnen, erschüttert alle Wesen und auch mich. Wahrlich, wie du mit vielfarbig loderndem Glanz sogar den Himmel berührst, mit vielen, weit geöffneten Mündern und großen, feurigen Augen bebt mein Innerstes bei deinem Anblick, oh Vishnu. Ich kann weder Halt noch Ruhe finden. Wenn ich die feurigen Rachen mit den schrecklichen Zähnen von dir sehe, die dem gewaltigen Feuer (am Ende der Yugas) gleichen, verliere ich jede Orientierung in der Welt und jegliche Kontrolle über mich.

Sei gnädig, oh Gott der Götter, oh Zuflucht aller Welten! All die Dhritarashtra Söhne zusammen mit den Heerscharen von Königen, sowie Bhishma, Drona, der Suta Sohn Karna, und sogar die großen Krieger unserer Seite strömen unaufhaltsam in deine vielen schrecklichen Rachen mit den gewaltigen Fangzähnen. Einige hängen bereits mit zerquetschten Köpfen zwischen den Zähnen. Wie die vielen Flüsse auf verschiedensten Wegen zum Ozean eilen, so strömen diese Helden der Menschenwelt in deine flammenumkränzten Münder. Wie die Motten immer schneller zu ihrer eigenen Vernichtung in die Flammen fliegen, so werden auch jene unaufhaltsam in deine Feuerschlünde zu ihrem Untergang getrieben. Auf jeder Seite verschlingst du all diese Männer und beleckst sie mit deinen flammenden Zungen. Das ganze Weltall ist mit deiner Energie erfüllt, oh Vishnu, und deine strahlende Herrlichkeit erhitzt alles. Sage mir, wer du in dieser furchtregenden Gestalt bist? Ich verbeuge mich vor dir, oh Führer der Götter. Sei gnädig zu mir! Ich wünsche dich zu erkennen, oh du Ursprünglicher, denn ich verstehe dein Wirken nicht.

Der Heilige sprach:
Ich bin die alles zerstörende Zeit, der Zerstörer der Welten, in vollkommener Entfaltung. So erscheine ich, um alle Geschöpfe zu verschlingen. Auch ohne dich werden all diese Krieger, die in den verschiedenen Abteilungen aufgestellt wurden, dem Tod begegnen. Deshalb erhebe dich, gewinne Ruhm, besiege den Feind, und erfreue dich an einem blühenden Königreich. Durch mich wurden all diese bereits getötet. So sei du mein Werkzeug, oh Bester der Bogenschützen. Besiege Drona und Bhishma, Jayadratha, Karna und alle anderen heroischen Krieger, die bereits durch mich geschlagen sind. Habe keine Furcht! Du wirst im Kampf die Feinde überwinden!

Sanjaya fuhr fort:
Diese Worte von Kesava hörend, verneigte sich der Diademgekrönte (Arjuna) zitternd und mit gefalteten Händen und sprach noch einmal zu Krishna voller Ehrfurcht mit stockender Stimme.

Arjuna sprach:
Es ist wohl trefflich, oh Hrishikesha, daß sich die Welten durch Lobgesänge dir zu Ehren erfreuen und entzücken. Die Rakshasas fliehen angstvoll in alle Richtungen, und die Scharen der Siddhas verneigen sich vor dir. Warum sollten sie sich auch nicht vor dir verneigen, oh Höchste Seele, die sogar größer als Brahma selbst ist, der ursprüngliche Schöpfer? Oh Unendlicher, oh Gott der Götter, oh Zuflucht der Welten, du bist unzerstörbar, du bist das Sein und das Nichtsein, und was jenseits davon ist. Du bist der Urgott, der uralte Geist und die Höchste Zuflucht dieses Universums. Du bist der Seher, du bist das Sichtbare, und du bist die höchste Wohnstätte. Von dir ist dieses ganze Universum durchdrungen, oh Allgestaltiger. Du bist Vayu, Yama, Agni, Varuna, Soma, Prajapati und der Allvater. Tausendmal Verehrung dir und wieder und immer wieder Verehrung dir! Verehrung sei dir von allen Seiten, Verehrung überall, oh Allseiender! Denn du bist wahrlich alles, unendliche Energie und unermeßliche Kraft. Du umarmst das ganze All.

Oh Unvergänglicher, vergibt mir alles was ich in unbesonnener Gewohnheit zu dir gesprochen habe, wie „Oh Krishna, oh Yadava, oh Freund!“, deine Größe nicht kennend, aus Unwissenheit und mangelnder Verehrung. Vergib mir, wenn ich dir aus Spaß beim Zeitvertreib, beim gemeinsamen Spielen, Liegen, Sitzen oder Essen nicht respektvoll begegnet bin, oh Grenzenloser. Du bist der Vater dieses Weltalls mit allen belebten und unbelebten Geschöpfen. Du bist ihr großer, anbetungswürdiger Herr. Nichts ist mit dir vergleichbar. Wie könnte in den drei Welten etwas größer sein, als du, oh Unvergleichlicher? Deshalb verbeuge ich mich, werfe meinen Körper nieder und erbitte deine Gnade, oh Herr, oh Verehrungswürdiger. Mögest du mir wohlgesinnt sein, oh Gott, wie ein Vater seinem Sohn, wie ein Freund dem Freund und der Geliebte seiner Geliebten. Voller Freude habe ich deine niemals zuvor gesehene Gestalt geschaut, doch nun ist mein Geist zutiefst von Furcht erschüttert. Oh Gott, bitte zeige mir wieder deine gewohnte Gestalt! Sei gnädig, oh Herr der Götter, oh Zuflucht der Welten! Mit Krone, Keule und Diskus in der Hand möchte ich dich wie früher schauen. Nimm diese vierarmige Gestalt wieder an, oh Tausendarmiger, oh Allgestaltiger!

Der Heilige sprach:
Zufrieden mit dir, oh Arjuna, habe ich dir durch meine mystische Macht, diese höchste Gestalt offenbart, voller Glorie, universal, unendlich und uranfänglich, die noch niemand zuvor so gesehen hat. Nur du allein kannst diese Gestalt in der Menschenwelt schauen, die weder durch Studium, noch durch Opfer, Geschenke, Riten oder härteste Askese geschaut werden kann. Laß dich nicht von Angst und Verwirrung beim Anblick dieser schrecklichen Gestalt von mir überwältigen. Befreit von Angst und mit heiterem Herzen schaue Mich, wie ich meine Gestaltung wandle!

Sanjaya fuhr fort:
So sprach Vasudeva zu Arjuna und zeigte ihm seine gewohnte Gestalt. Damit beruhigte der Erhabene den von Furcht Erschütterten, indem er wieder eine freundliche Erscheinung annahm.

Krishnas gewöhnliche Gestalt

Und Arjuna sprach:
Da ich nun deine friedliche, menschenähnliche Gestalt erneut sehe, oh Krishna, beruhigt sich mein Innerstes, und ich finde mein gewöhnliches Bewußtsein zurück.

Der Heilige sprach:
Diese Gestalt von mir, die du gesehen hast, ist wahrlich schwer zu schauen. Sogar die Götter streben stets nach dieser Sicht. Weder durch die Veden, noch durch Askese, Geschenke oder Opfer kann ich in dieser Gestalt gesehen werden, wie du sie geschaut hast. Nur durch ungeteilte Hingabe, oh Arjuna, kann man mich in dieser Gestalt erkennen, wahrlich schauen und sogleich erreichen, oh Feindevernichter. Denn wer alles Handeln mir widmet, wer mich als Höchstes erkennt, wer frei von Anhaftung und ohne jegliche Feindseligkeit zu allen Wesen ist, der, oh Arjuna, findet zu mir.


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