Da fragte Janamejaya:
Welche Buße hat den hochbeseelten Utanka befähigt, einen Fluch über Krishna aussprechen zu wollen, wo dieser doch die Quelle aller Gerechtigkeit ist?
Vaisampayana antwortete:
Oh Janamejaya, Utanka hatte wahrlich schwerste Buße geübt. Seinem Lehrer war er ergeben, und mit großer Energie verehrte er niemanden sonst. Alle Kinder der Rishis sehnten sich danach, genauso hingebungsvoll ihrem Lehrer dienen zu können wie Utanka. Sein Lehrer Gautama war sehr mit Utanka zufrieden, und unter allen seinen Schülern hegte er besondere Zuneigung zu ihm. Denn Utanka war gezügelt, rein im Verhalten und tapfer und entschlossen im Dienste an seinem Lehrer. Tausende Schüler Gautamas erhielten nach und nach seine Erlaubnis heimzukehren, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Doch weil Gautama den Utanka so sehr mochte, konnte er ihn nicht gehen lassen. Mit den Jahren wurde Utanka, der große Asket, alt und schwach in der Einsiedelei seines Lehrers. Doch vor lauter Hingabe an seinen Lehrer bemerkte Utanka dies gar nicht. Eines Tages ging er aus, um Brennholz zu sammeln, und kehrte mit einer großen und schweren Ladung auf seinem Kopf zurück. Er war völlig erschöpft, schwach und matt und mußte die Last zu Boden werfen. Doch eine silberne Locke seines Haarschopfes hatte sich im Holz verfangen und fiel mit zu Boden. Utanka wurde dies Zeichen seines hohen Alters bewußt, und bedrückt von der schweren Last begann er, laut zu klagen. Pflichtbewußt dem Gebot ihres Vaters folgend kam Gautamas Tochter mit gesenktem Blick schnell herbei. Mit Augen wie Lotusblüten und vollen, runden Hüften fing sie mit ihren Händen Utankas Tränen auf. Doch die Tränen brannten so sehr in ihren Händen, daß sie sie zur Erde fallen lassen mußte. Und selbst die Erde konnte Utankas Tränen nicht ertragen.
Da sprach Gautama mit dem zufriedenen Herzen zu Utanka:
Warum ist dein Geist heute so kummervoll bewegt, mein Sohn? Erzähl es mir ruhig und leise, oh gelehrter Rishi, denn ich möchte es genau erfahren.
Utanka sprach:
Mein Geist war dir völlig ergeben, immer tat ich gern, was dir nützte und angenehm war, mein Herz war dir geneigt und meine Gedanken nur bei dir - so lebte ich hier, bis mich das Alter überkam und ich es nicht einmal bemerkte. Ein anderes Glück habe ich nie erfahren. Für hundert Jahre lebte ich mit dir, und du hast mir nie den Abschied erlaubt. So viele andere Schüler, die viel jünger waren als ich, bekamen diese Erlaubnis von dir. Und hunderte, ja tausende vorzügliche Brahmanen entließest du mit Wissen.
Gautama antwortete:
Du hast mir so treu gedient, daß ich aus Liebe und Zuneigung zu dir nicht bemerkte, wieviel Zeit vergangen ist, oh bester Brahmane. Doch wenn es dein Wunsch ist, diesen Ort zu verlassen, dann geh sogleich und mit meiner Erlaubnis.
Utanka fragte:
Was soll ich meinem Lehrer geben (als Dakshina)? Sag es mir, ob bester Zweifachgeborener. Erst wenn ich es dir gebracht habe, werde ich mit deiner Erlaubnis von hier fortgehen, mein Herr.
Gautama erwiderte:
Die Weisen sagen, daß die Zufriedenheit des Lehrers das beste Dakshina ist. Und ich bin mit deinem Verhalten sehr zufrieden, oh Zweifachgeborener. Daran gibt es keinen Zweifel. Wenn du wieder ein Jüngling von sechzehn Jahren wirst, werde ich dir meine Tochter zur Frau geben. Denn keine andere Frau ist in der Lage, deiner Energie zu dienen.
Nach diesen Worten Gautamas wurde Utanka wieder jung und nahm das ruhmreiche Mädchen zur Frau. Und mit Erlaubnis Gautamas wandte er sich an Gautamas Frau und fragte sie:
Was soll ich meinem Lehrer als Abschiedsgeschenk geben? Bitte sag es mir. Ich werde alles vollbringen, was dir angenehm oder nützlich ist, sei es Reichtum oder mein Leben. Welches Juwel oder kostbare oder wunderbare Ding es auch sei, ich werde es dir mithilfe meiner Buße beschaffen. Daran zweifle ich nicht.
Und Ahalya sprach:
Ich bin sehr zufrieden mit deiner ununterbrochenen Hingabe, oh Sündenloser. Dies ist genug. Sei gesegnet und geh, wohin es dir beliebt.
Doch Utanka gab nicht auf:
Oh Mutter, gebiete mir. Ich muß etwas Nützliches für dich tun.
So sprach Ahalya:
Sei gesegnet, und bring mir dir himmlischen Ohrringe, welche die Gattin von Saudasa trägt. Was du deinem Lehrer schuldest, sei damit beglichen.
Utanka sprach:
So sei es.
Und ging davon, um der Gattin seines Lehrers die Ohrringe zu beschaffen. Ohne Zeit zu verlieren, begab sich Utanka zu Saudasa, der (durch einen Fluch Vasishtas) zum Kannibalen geworden war.
Nach einer Weile sprach Gautama zu seiner Frau:
Utanka ist heute nirgends zu sehen.
Da informierte sie ihn, daß er losgegangen sei, um die Juwelen- Ohrringe von Saudasas Königin zu holen. Daraufhin sprach Gautama:
Du hast nicht weise gehandelt. Der König ist verflucht und wird Utanka bestimmt töten.
Ahalya sprach daraufhin:
Das wußte ich nicht, oh Heiliger, als ich Utanka diese Aufgabe gab. Doch durch deine Gnade wird ihm keine Gefahr begegnen.
Und Gautama meinte:
So möge es sein.
Und so kam es, daß Utanka in der Wüste auf König Saudasa traf.
(Für eine andere Version der Geschichte, siehe Mahabharata Buch 1, Kapitel 3 und Ramayana Buch 7)