Pushpak Mahabharata Buch 14Zurück WeiterNews

Kapitel 19 – Über Brahman und Yoga

Der erlöste Brahmane fuhr fort:
Wer sich in das Eine (wörtlich: der eine Behälter für alles, also Brahman) ganz und gar vertieft, der befreit sich sogar von dem Gedanken an die eigene Identität mit den Dingen. Tatsächlich denkt er nicht mal mehr an seine eigene Existenz. Er wirft nach und nach alle Bande ab und überschreitet seine Begrenzungen. Wer ein Freund aller ist, alles erduldet, dem Frieden verbunden ist, seine Sinne gezügelt hat, keine Angst und keinen Zorn mehr spürt und seine Seele beherrscht, der kann sich befreien. Wer sich zu allen Wesen wie zu sich selbst verhält, rein, gezügelt und ohne Habgier oder Egoismus ist, der gilt als erhaben. Man könnte auch sagen, solch ein Mensch schaut mit gleichem Auge auf Leben und Tod, Vergnügen und Schmerz, Verlust und Gewinn, Angenehmes und Unangenehmes. Befreit ist der, der niemals das Hab und Gut anderer begehrt, wer nichts mißachtet, wer alle Paare von Gegensätzen aufgelöst hat und dessen Seele frei von Durst ist. Ein Befreiter ist, wer keine Feinde hat, keine Verwandten und Kinder, und die drei Lebensziele von Tugend, Gewinn und Vergnügen sowie jede Erwartung abgestreift hat. Erlöst wird der, der weder Verdienst noch Sünde ansammelt, der alten Verdienst und vergangene Sünde aus früheren Leben aufgelöst hat, der die Elemente seines Körpers nur noch nutzt, um den Frieden der Seele zu bewahren, und alle Gegensätze transzendiert. Wer sich vom absichtsvollen Handeln fernhält, ebenso von Habsucht und Wollust, wer das Universum wie einen weitverzweigten Feigenbaum voller Alter, Krankheit und Tod betrachtet, wer sich auf die Entsagung richtet und seine Sünden (und Verdienste) durchschaut – der wird sich bald erfolgreich von den Banden lösen, die ihn eingrenzen. Wer seine Seele ohne Geruch, Geschmack, Sichtbarkeit, Fühlbarkeit und Klang als unerkennbar erkennt, der wird befreit. (Deussen: Wer den unriechbaren, unschmeckbaren, unfühlbaren, unhörbaren, unfaßbaren, unsichtbaren, unerkennbaren Atman schaut, der wird erlöst.) Mithilfe dieser Erkenntnis werden nach und nach alle Ziele, die mit Körper und Geist verbunden sind, aufgegeben, und damit erlischt die Vorstellung von getrennten Existenzen wie ein Feuer, welches keinen Brennstoff mehr hat. Wer sich von Nachwirkungen (des alten Karmas) befreit, die Gegensätze durchdringt, keine Sehnsüchte mehr hat und seine Sinne unter die Führung der Entsagung stellt, der wird befreit. Und ist alles Karma aufgegeben, gelangt man zum Brahman, welches ewig, überragend, friedlich, stabil, andauernd und unzerstörbar ist.

Nun erkläre ich dir die Lehre vom Yoga, denn sie ist unübertrefflich. Höre, wie Yogis durch Konzentration die vollkommene Seele schauen. Ich erkläre dir die rechten Regeln und die Tore, durch welche man die Seele im Körper lenkt, um das zu schauen, was ohne Anfang und Ende ist. Man zieht die Sinne von ihren Objekten zurück und lenkt den Geist auf das Selbst, nachdem man strenge Askese geübt hat. Wird diese Art der Konzentration geübt, erlangt man Befreiung. Gelehrte und kluge Brahmanen üben Enthaltsamkeit und eben diese Konzentration des Geistes nach den Regeln des Yoga, bis sie das Selbst im Körper schauen. Hat man dies gemeistert und gewöhnt man sich an außergewöhnliche Meditation, schaut man das Höchste Selbst im eigenen Selbst. Immer gezügelt und konzentriert muß man sein, die Sinne unter perfekter Kontrolle und mit gereinigter Seele – dann schaut man das Selbst mit dem Selbst. Und wie ein Mensch einen nie zuvor gesehenen Gast erst im Traume schaut und ihm dann im Wachen erkennend begegnet, ebenso schaut der Yogi die Höchste Seele erst in tiefer Versenkung des Samadhi und dann auch im Alltäglichen. Und wie man das faserige Mark aus dem Schilfrohr (Saccharum Munja) ziehen kann, so zieht der Yogi das Selbst (Atman) aus dem Körper. Das ist ein vorzügliches Bild, welches erfahrene Yogis benutzen: der Leib ist das Schilf und das Mark das Selbst. Hat ein Yogi das Selbst in den Körpern geschaut, dann hat er keinen Meister mehr über sich, und er wird zum Herrn der drei Welten. Er kann dann verschiedene Gestalten nach Belieben annehmen. Alter und Tod lassen ihn nicht erschauern. Weder bekümmert er sich, noch frohlockt er. Der selbstgezügelte, im Yoga vertiefte Mensch kann das Gottsein der Götter erlangen. Und wenn er seinen vergänglichen Körper abstreift, dann erlangt er das unveränderliche Brahman. Ihn befällt keine Furcht, auch wenn vor seinen Augen alle Geschöpfe wie Opfertiere vergehen. Und wenn alle Wesen gequält werden, er kann von niemandem gequält werden. Ohne Leidenschaften und mit stillem Geist wird ein Yogi niemals von Schmerz, Sorge, Furcht und all den gräßlichen Effekten erschüttert, die aus Anhaftung und egoistischer Zuneigung kommen. Waffen können ihn nicht verletzen, und der Tod existiert nicht für ihn. Nirgends in der Welt ist irgend jemand zufriedener als er. Ist die Seele gezügelt, dann ruht man beständig im Selbst. Ohne einen Gedanken an Vergänglichkeit und Sorgen schläft man friedlich. Und hat man den menschlichen Körper einmal abgelegt, lebt man in allen Formen ganz nach Belieben. Wer den Yoga übt, sollte niemals die Hingabe an Yoga verlieren. Wer ausreichend und hingebungsvoll Yoga übt und das Selbst in sich selbst schaut, der überwindet sogar die Herrschaft von Indra mit den hundert Opfern.

Höre nun, wie man sich in der Meditation verhalten sollte, damit man erfolgreich Yoga übt. Man ziehe seine Gedanken von der Außenwelt zurück und konzentriere den Geist auf das Innere der Stätte, in der du zufrieden leben magst. Lebt der Geist im Inneren, dann möge er ohne äußere und innere Ablenkungen den Raum betrachten, in dem er verweilt. Ist die Meditation tief, dann schaut man Alles - Brahman, die Seele des Universums, das Sein. Und nichts ist mehr außerhalb von Brahman, wo der Geist auch verweilen mag. Begib dich in einen einsamen, stillen Wald und sammle dort all deine Sinne. Dann meditiere mit standhaftem Geist über das All, sowohl inner- als auch außerhalb des Körpers. Meditiere über Zähne, Gaumen, Zunge, Kehle und auch Nacken, und meditiere über das Herz und die Adern rings um das Herz.

Nach diesen Worten fragte Kasyapa, dieser kluge Schüler, noch mehr über die Befreiung, welche so schwierig zu erklären ist:
Wie kommt es, daß die immer und immerfort genossene Nahrung im Magen verdaut wird? Wie wird sie zu Körpersäften und Blut? Wie mehrt sie Fleisch, Fett, Sehnen und Knochen? Wie wachsen alle die Glieder eines Menschen, und wie wird er stark? Wie wird das Nahrhafte vom Nichtnahrhaften und Unreinen getrennt und wieder ausgeschieden? Wie wird ein- und ausgeatmet? In welchem besonderen Körperteil verweilt die Seele? Wie bewegt die Seele den Körper? Welcher Art und von welcher Farbe (bzw. Kaste) ist der nächste Körper der Seele? Oh Heiliger, bitte erkläre mir dies alles ganz genau, oh Sündenloser.

Dies waren die Fragen des gelehrten Kasyapa, und der erlöste Brahmane antwortete:
Wie man einen Edelstein in die Schatzkammer legt und dann seinen Geist auf ihn richtet, so sollte man den Geist im Körper halten und mit gezügelten Sinnen das Selbst suchen, wobei man jegliche Unachtsamkeit meide. Bleibt man fleißig und dankbar dabei, wird man in kurzer Zeit zu Brahma gelangen, das Pradhana (Meer der Ursachen) erkennen und das Höchste schauen. Ihn sieht man weder mit den Augen, noch erfassen ihn die Sinne. Nur im Licht des Geistes dieser Großen Seele kann er geschaut werden. Er ist es, der Hände, Augen, Ohren und Füße nach allen Seiten hat, und indem er lebt, erhält er alles. Die Seele erkennt die Große Seele im Körper (wie man das Mark aus dem Schilfrohr zieht). So durchschaut man den äußeren Körper und erkennt das Selbst, das reine Brahman, wie es ewig ist - ein Lächeln des Geistes. Auf das Brahman gestützt erlangt man Befreiung im Selbst.

Dann bat mein (Krishnas) Besucher:
Oh ehrenwerter Zweifachgeborener, nun habe ich dir das Geheimnis gelüftet. Doch nun bitte ich um Abschied, denn ich möchte diesen Ort verlassen. Geh auch du, wohin es dir beliebt.

Und Krishna fuhr fort:
Nach diesen tiefen Worten über Befreiung verschwand der beste Brahmane vor unseren Augen. Hast du den Diskurs mit einem Geist vernommen, der ausschließlich auf meine Worte gerichtet war, oh Arjuna? Ebendies hast du auch gehört, als wir vor der Schlacht auf deinem Wagen standen. Ich bin überzeugt, oh Sohn der Pritha, das dies schwer zu verstehen ist von einem, dessen Verstand zerstreut ist, der keine Weisheit durch heiliges Studium erlangte oder dessen Seele nicht gereinigt ist. Selbst unter Göttern gilt das, was ich dir erklärt habe, als großes Mysterium. Zu keiner Zeit und an keinem Ort vernahm dies je ein Mensch in dieser Welt. Oh Sündenloser, und niemand außer dir verdiente solche Belehrung. Doch ist das Verständnis schwer für einen Menschen mit ungesammelter, innerer Seele. Die Bereiche der Götter sind erfüllt von jenen, welche das Dharma des Handelns loben, oh Arjuna. Das Aufgeben der sterblichen Hülle (durch nicht Handeln) ist den Göttern nicht angenehm. Und doch wurde dieses höchste Ziel von Brahma gesetzt, nämlich das Überwinden der sterblichen Hülle, das unsterblich und allseits selig Sein. Wer dieser Lehre folgt, erlangt das Höchste, sei er auch niedrig geboren, seien es Frauen, Vaisyas oder Shudras. Und was soll man da noch von Brahmanen und Kshatriyas sagen, die Studium und Pflichtbewußtsein haben und immer eifrig nach der Region von Brahma streben? Das sind die Gründe, die Mittel, das Erreichen des Ziels und die Früchte – nämlich Befreiung und Erkenntnis der Wahrheit vom Leiden. Oh Anführer der Bharatas, nichts trägt mehr Glückseligkeit in sich als dies. Der Sterbliche mit Vertrauen, Weisheit und tapferer Entschlossenheit verzichtet auf alles Unwichtige, was die Welt als wichtig betrachtet, und gelangt alsbald zum Höchsten. Mehr gibt es nicht zu sagen. Nichts ist höher als das. Yoga zeigt seine Wirkung für den, der sich für sechs Monate beständiger Praxis hingibt.


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