Yudhishthira fragte:
Was hat höhere Wirkung, Versöhnung oder Geschenke (geistige oder materielle Gaben)? Wahrlich, sage mir, oh Führer der Bharatas, welches dieser beiden wirksamer ist.
Bhishma sprach:
Einige werde durch Versöhnung andere durch Geschenke befriedigt. Die Menschen reagieren gemäß ihrer Natur auf das eine oder andere. Höre mich, oh König, wie ich dir die Verdienste der Versöhnung erkläre, womit sogar die wildesten Wesen beruhigt werden können. Diesbezüglich wird eine alte Geschichte erzählt, wie ein Brahmane, der im Wald von einem Rakshasa ergriffen worden war, (durch Versöhnung) befreit wurde.
Ein Brahmane, der mit Redegewandtheit und Intelligenz gesegnet war, kam einst in Not, als er in einem einsamen Wald von einem Rakshasa angegriffen wurde, der ihn verschlingen wollte. Doch weil der Brahmane mit Vernunft und Weisheit begabt war, blieb er ruhig und gelassen. Ohne vom Anblick dieses schrecklichen Menschenfressers verwirrt zu werden, entschloß er sich, das Mittel der Versöhnung anzuwenden und erfuhr sogleich die Wirkung auf den Rakshasa. Der Rakshasa grüßte den wohlwollenden Brahmanen voller Respekt, soweit es Worte vermögen, und stellte ihm folgende Frage:
Du sollst frei sein! Aber sage mir: Aus welchem Grund bin ich so schwach und hungrig?
Der Brahmane dachte einen Moment nach, akzeptierte die Frage des Rakshasa und antwortete ihm beredt:
Du wanderst an Orten weit von deiner Wohnstätte entfernt, bewegst dich in einem Bereich, der dir nicht gehört, und ohne die Gesellschaft von deinen Freunden und Angehörigen suchst du nach großer Fülle. Das macht dich schwach und hungrig. Wahrlich, oh Rakshasa, obwohl du deine Freunde gut behandelt hast, sind sie dir aufgrund ihrer bösartigen Neigung dennoch nicht wohlgesinnt. Das macht dich schwach und hungrig. Du hast Verdienst, Weisheit und eine wohlgezügelte Seele. Und doch ist es dein Los, andere höher geehrt zu sehen als dich obwohl sie viel weniger Verdienst und Weisheit haben. Das macht dich schwach und hungrig. Du fühlst dich mißachtet von Personen, die mehr Reichtum und Fülle, aber viel weniger Qualitäten als du besitzen. Das macht dich schwach und hungrig. Trotz Qual und fehlender Mittel zum Lebensunterhalt wurdest du von deiner stolzen Seele geführt, so daß du die verfügbaren Mittel mißachtet hast, die dir zum Lebenserwerb offenstanden. Auch dadurch bist du schwach und hungrig geworden. Aufgrund deiner Tugend hattest du dich selbst beschränkt, um anderen Gutes zu tun. Doch von ihnen, oh rechtschaffener Rakshasa, fühlst du dich getäuscht und überwältigt. Das macht dich schwach und hungrig. Ich denke auch, du grämst dich um jene Personen, die, von Begierde und Zorn überwältigt, in dieser Welt leiden müssen. Das macht dich schwach und hungrig. Trotz deiner Weisheit fühlst du dich von anderen verspottet, denen es an Weisheit fehlt, und von übelgesinnten Personen verurteilt. Das macht dich schwach und hungrig. Viele deiner eigentlichen Feinde sprechen wie Rechtschaffene mit freundlicher Zunge zu dir und lassen dich dann im Stich, betrogen wie ein unwissendes Kind. Das macht dich schwach und hungrig. Du kennst den Lauf der Welt, bist in allen Mysterien wohlerfahren und hast große Fähigkeiten. Und doch fühlst du dich von anderen nicht respektiert und gelobt. Das macht dich schwach und hungrig. Du lebst inmitten übelgesinnter Menschen mit unheilsamen Zielen und versuchst, sie zu belehren und ihre Zweifel zu zerstreuen. Doch deine verdienstvollen Bemühungen bleiben unbeachtet. Das macht dich schwach und hungrig. Wahrlich, ohne die rechten Mittel, die vedischen Gebote und die höhere Vernunft versuchst du allein und aus eigener Kraft, etwas Großes zu vollbringen. Das macht dich schwach und hungrig. Es scheint, daß du dich trotz deiner Entschlossenheit zur strengen Entsagung in der Waldeinsamkeit von deinen Angehörigen nicht verstanden und in diesem Vorhaben unterstützt fühlst. Auch das macht dich schwach und hungrig. Du mußt zusehen, wie dein Nachbar, der mit großem Reichtum, Jugend und allen ansehnlichen Eigenschaften begabt ist, deine geliebte Gattin begehrt. Das macht dich schwach und hungrig. Du fühlst, daß deine Worte, selbst wenn sie ausgezeichnet sind, inmitten wohlhabender Menschen nicht als weise oder wohldurchdacht betrachtet werden. Das macht dich schwach und hungrig. Manch lieber Angehörige von dir, der wenig Intelligenz hat, wird äußerst zornig, obwohl du ihn wiederholt in den Tugenden belehrt hast. Du konntest ihn nicht beruhigen, und das macht dich schwach und hungrig. Mancher, mit dem du dich verbunden hast, um deine gewünschten Ziele zu erreichen, versucht dir jetzt die Früchte wegzuschnappen. Das macht dich schwach und hungrig. Wahrlich, obwohl du ausgezeichnete Qualitäten hast und dafür von allen verehrt wirst, siehst du doch, wie dich deine Freunde um ihretwillen und nicht um deinetwillen lieben. Das macht dich schwach und hungrig. Durch deine Unreinheit bist du unfähig, deine wahren Ziele zu verwirklichen, und bist enttäuscht durch die unvermeidlichen Verzögerungen auf dem Weg ihrer Verwirklichung. Das macht dich schwach und hungrig. Wahrlich, du versuchst vergeblich mit der Kraft deiner Intelligenz verschiedene Personen mit anderen Ansichten und Neigungen unter deinen Einfluß zu bringen. Das macht dich schwach und hungrig. Ohne Vedenstudium, Mut und rechte Mittel suchst du jenen großen Ruhm, der durch Erkenntnis, Geisteskraft und Hingabe erreicht wird. Wahrlich, das macht dich schwach und hungrig. Das, wonach du schon so lange strebst, konntest du nicht erlangen, und wenn du einiges erlangt hast, nicht bewahren, denn es wird von anderen immer wieder zerstört. Das macht dich schwach und hungrig. Wahrlich, ohne fähig zu sein, alle Schuld in dir zu erkennen, fühlst du dich von anderen verflucht. Das macht dich schwach und hungrig. Ohne die rechten Mittel und ohne Vollkommenheit versuchst du vergebens das Leiden deiner Freunde und die Sorgen der gramvollen Menschen zu zerstreuen. Das macht dich schwach und hungrig. Du siehst, wie Tugendhafte ein Hausleben führen, Untugendhafte in der Waldeinsamkeit leben und Erlöste der Häuslichkeit und einem festem Wohnsitz verhaftet sind. Das macht dich schwach und hungrig. Wahrlich, du siehst, wie deine Taten voller Tugend, Verdienst und Liebe (Dharma, Artha und Kama) sowie deine wohlberechneten Worte nicht die gewünschten Früchte bringen. Das macht dich schwach und hungrig. Obwohl du höhere Weisheit hast, begehrst du doch das Leben und lebst von Reichtum, der dir von Unwürdigen mit unheilsamen Verhalten geschenkt wurde. Das macht dich schwach und hungrig. Du siehst auf allen Seiten Ungerechtigkeit wachsen und Gerechtigkeit vergehen. Dadurch wirst du von Kummer erfüllt, und das macht dich schwach und hungrig. Ungeduldig versuchst du alle deine Freunde zu erfreuen, selbst wenn sie streiten und gegensätzliche Parteien bilden. Das macht dich schwach und hungrig. Du siehst Menschen, die nach den vedischen Geboten leben, unwürdige Taten vollbringen und Vedengelehrte, die ihre Sinne nicht unter Kontrolle haben. Auch das erfüllt dich mit Kummer, und macht dich schwach und hungrig.
Mit diesen wohlwollenden Worten angesprochen, verehrte der Rakshasa den gelehrten Brahmanen, schloß Freundschaft mit ihm und schenkte ihm beträchtlichen Reichtum. Und in diesem Geist verließ der Rakshasa den Brahmanen (ohne ihn zu verschlingen).