Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 330 - Narada belehrt Suka über den Weg zur Erlösung

Bhishma sprach:
Nachdem Vyasa den Ort verlassen hatte, kam Narada auf seinem Weg durch den Himmel zu Suka, als dieser in das Studium der heiligen Schriften vertieft war. Der himmlische Rishi kam, um Suka über die Bedeutung der Veden zu befragen. Als dieser den himmlischen Rishi Narada nahen sah, verehrte er ihn mit Arghya gemäß den vedischen Geboten, und erfreut darüber sprach Narada: „Sage mir, oh Erster der Rechtschaffenen, was ich zu deinem höchsten Heil vollbringen kann, oh Kind!“ Als Suka diese Worte von Narada hörte, antwortete er: „Ich bitte dich, mich zu belehren, so daß es mir zum Heil gereichen möge.“

Und Narada begann:
Vor langer Zeit sprach einst der berühmte Sanatkumara die folgenden Worte zu einem Rishi mit gereinigter Seele, der ihn nach der Wahrheit gefragt hatte:

Kein Auge ist der Erkenntnis gleich und keine Askese der Entsagung. Die Enthaltung von sündigen Taten, beständige Wahrhaftigkeit, heilsames Verhalten und die Vollendung aller Lebensaufgaben führen zum höchsten Heil. Wer den sorgenvollen Zustand des Menschseins erreicht hat und daran anhaftet, der verliert sich in der Illusion. Solch ein Mensch kann sich nie vom Leiden befreien. Denn die Anhaftung ist die Quelle des Leidens. Der Verstand einer Person, die den weltlichen Dingen anhaftet, wird immer mehr in das Netz der Verblendung verstrickt. Wer jedoch in dieses Netz der Verblendung verstrickt ist, der wird in dieser Welt und auch der kommenden viel Leid erfahren. Deshalb sollte man mit ganzer Kraft versuchen, die Begierde und den Zorn zu zügeln, wenn man sein Heil sucht. Denn diese beiden erheben sich, um das Heil zu zerstören. Man sollte seine Askese stets vor dem Zorn beschützen, seinen Wohlstand vor dem Stolz, seine Weisheit vor Lob und Tadel und sich selbst vor Sünde. Mitgefühl ist die höchste Tugend. Vergebung ist die höchste Kraft. Selbsterkenntnis ist die höchste Erkenntnis, und Wahrheit ist das Höchste überhaupt. Es gibt nichts Höheres als die Wahrheit. Deshalb ist es immer richtig, wahrhaftig zu sprechen. Wer wahrhaft spricht, der wirkt zum Guten, und ich bin sicher, daß die Wahrhaftigkeit das größte Heil aller Wesen ist.

Ein Mensch gilt als wahrlich erfahren und mit Weisheit gesegnet, der jede Anhaftung am Handeln aufgibt, der keiner Hoffnung nachhängt, der von allen weltlichen Zwängen frei ist und allem entsagt hat, was zur Welt gehört. Wer die Anhaftung überwunden und die Sinne unter völliger Kontrolle hat, wer im Innersten gestillt ist, von Glück und Leid nicht mehr ergriffen wird, wer die Yoga Meditation pflegt, in der Einheit mit den Göttern lebt und keine Identifizierung mit dem Körper und den Sinnen mehr kennt, der wird befreit und erreicht bald das höchste Heil. Wer keine „anderen“ mehr sieht, keine „anderen“ mehr berührt oder mit „anderen“ spricht, der erreicht bald, oh Asket, was zum höchstem Heil ist. Deshalb verletze man kein Wesen, sondern bewahre vollkommene Freundlichkeit zu allen. Wer den Rang des Menschseins erreicht hat, sollte sich nicht mehr feindlich verhalten. Vollkommene Entsagung und Zufriedenheit, das Aufgeben jeglicher Hoffnungen auf irgendetwas und Geduld bilden das höchste Heil von dem, der seine Sinne zügelt und Selbsterkenntnis erreicht hat.

So überwinde, oh Kind, alle Anhaftungen und zügle deine Sinne, wodurch du die Glückseligkeit sowohl in dieser als auch der kommenden Welt erreichst. Wer keine Habgier hat, muß auch keinerlei Sorgen ertragen. Deshalb sollte man alle Habgier von seiner Seele lösen. Durch Überwindung der Habgier, oh Gesegneter, wirst du von allen Sorgen und Leiden befreit sein. Wer das überwinden möchte, was (von einem Ego) unüberwindbar ist, der gebe sich der Entsagung hin, der Selbstzügelung und Schweigsamkeit, um die Ichhaftigkeit aufzulösen. Nur solch ein Wesen kann in der Sinneswelt ohne Anhaftung verweilen. Der Brahmane, der nicht mehr in die Fesseln der natürlichen Qualitäten verstrickt ist, sondern inmitten dieser Welt in der Alleinsamkeit lebt, der wird bald zur unvergleichlichen Seligkeit finden. Wer selig inmitten der Geschöpfe verweilt, die man in gegenseitiger Abhängigkeit sieht, der gilt als ein Befreiter, dessen Durst durch Erkenntnis gestillt worden ist. Denn es ist wohlbekannt, daß ein Mensch, dessen Durst durch Erkenntnis gestillt wurde, vom Leiden nicht mehr ergriffen werden kann.

Durch heilsame Taten erreicht man die Götterwelt, durch gemischte Taten die Menschenwelt, und durch unheilsame Taten fällt man hilflos in die Welt der Tiere. Beständig angegriffen durch Sorgen, Alter und Tod wird ein lebendes Wesen in dieser Welt (im großen Kessel der Zeit) gekocht. Kannst du das erkennen? Du betrachtest oft als heilsam, was in Wirklichkeit unheilsam ist, als sicher, was in Wirklichkeit unsicher ist, und als wünschenswert und wertvoll, was in Wirklichkeit wertlos ist. Ach, warum erwachst du nicht zur wahrhaften Sicht? Wie eine Seidenraupe sich selbst in ihrem Kokon einspinnt, so spinnst du dich in eine körperliche Hülle, die aus unzähligen persönlichen Taten gebildet wird und aus Verblendung und Unvollkommenheit geboren wurde. Ach, warum erwachst du nicht zur wahrhaften Sicht? Es gibt keinen Grund, dich an die Dinge dieser Welt zu binden. Die Anhaftung an weltliche Erscheinungen ist eine Quelle großer Sorgen. Du bist gebunden wie die Seidenraupe durch ihr eigenes Wirken. Wer an Kindern, Ehegatten und Verwandten anhaftet, wird schließlich auf seinen Untergang treffen, wie wilde Elefanten, die im Sumpf eines Sees versinken, allmählich vom Tod eingeholt werden. Schau nur, wie sich die Menschen im Netz der Anhaftung fangen lassen und in großes Leid geraten, so wie die Fische mit einem Netz aufs Land gezogen werden. Verwandte, Söhne, Ehegatten, der eigene Körper und all die umsorgten Besitztümer sind unwesentlich und vergänglich. Nur die guten und schlechten Taten nimmt man als Karma mit in die kommende Welt. Wenn es jedoch sicher ist, daß du ohne einen Halt in die andere Welt gehen und alle weltlichen Besitztümer zurücklassen mußt, warum quälst du dich dann durch die Anhaftung an so unwesentliche Dinge, die keinen echten Wert haben? Warum suchst du nicht deinen wahren und unvergänglichen Reichtum?

Du wirst einen Weg gehen, wo es keine Ruhe, keine Rast und keinen Halt gibt. Der Weg geht durch ein dunkles, unbekanntes und wildes Land. Ach, warum willst du diesen Weg unvorbereitet und schlecht gerüstet gehen? Wenn du allein auf dieser Straße gehst, wird niemand hinter dir sein. Nur deine guten und schlechten Taten werden dir wie ein Schatten folgen, wenn du aus dieser Welt gehen wirst. Deshalb sucht man das Ziel der Ziele auf dem Weg des Lernens, der Taten, der Reinigung (innerlich und äußerlich) und der Selbsterkenntnis. Wer dieses Höchste erreicht, wird befreit (von der Wiedergeburt). Das Verlangen, das man nach dem Wohnen inmitten anderer Menschen fühlt, ist wie ein fesselnder Strick. Wer heilsam handelt, kann diese Fesseln lösen und sich befreien. Nur Übelgesinnte können diese Bindungen nicht lösen.

Der Fluß des Lebens (oder der Welt) ist mit Leiden angefüllt. Persönliche Schönheit oder Gestalt bilden seine Ufer, der Geist ist die mitreißende Strömung, die Gefühle sind die Inseln, der Geschmack ist sein Gefälle, der Geruch ist sein Sumpf, und der Klang ist sein Wasser. Die besondere Strömung in diesem Fluß, die zum Himmel führt, ist schwer zu finden. Der Körper ist das Boot, womit man diesen Fluß durchqueren muß. Mitgefühl sollte das Ruder sein, die Wahrheit die Ladung, das Dharma das Führungsseil und hingebungsvolle Entsagung der Wind, der die Segel füllt und das Boot voranbringt, damit man den Fluß des Lebens durchqueren kann. Wirf Verdienst und Sünde ab sowie richtig und falsch! Und wenn du richtig und falsch abgeworfen hast, dann überwinde auch den, der diese abgeworfen hat. Durch Entsagung aller Ziele wirf den Verdienst ab, und durch Entsagung aller Begierden wirf die Sünde ab. Mithilfe des Verstandes wirf das Richtig und Falsch ab und danach den Verstand selbst durch die Selbsterkenntnis. Wirf schließlich diesen Körper ab, der die Knochen als Ecksäulen hat, die Sehnen als Bindestricke, das Fleisch und Blut als Mörtel, die Haut als Putz, und den Urin und die Fäkalien als stinkende Abwässer. Dieses Haus ist beständig den Angriffen des Alters und der Sorgen ausgesetzt, ein Wohnort vielfältiger Krankheiten, geschwächt durch den Schmerz, geprägt von der natürlichen Qualität der Leidenschaft, weder verläßlich noch haltbar und damit nur eine zeitweilige Behausung für seinen Bewohner.

Dieses ganze Weltall aus den fünf Elementen mit allem Belebten und Unbelebten, das Mahat (die universelle Intelligenz), das sich auf das Höchste gründet, sowie die fünf Sinne und die drei natürlichen Qualitäten von Tamas, Sattwa und Rajas bilden eine siebzehnfache Anhäufung, die man Natur nennt. Fügt man noch die fünf Sinnesobjekte mit dem Bewußtsein und den Verstand hinzu, dann erhöht sich diese Aufzählung auf die wohlbekannten vierundzwanzig. Das, was mit diesen vierundzwanzig Bestandteilen ausgestattet ist, nennt man verkörperte Seele (Jiva). Wer die dreifache Anhäufung (von Dharma, Artha und Kama bzw. Gerechtigkeit, Verdienst und Liebe) sowie Glück und Leid wie auch Leben und Tod wahrhaft erkennt, der gilt als Kenner des Werdens und Vergehens. Alles Erkennbare sollte man als Einheit betrachten. Was dabei die Sinne als Objekte wahrnehmen, heißt das Entfaltete, und alles was jenseits davon durch Schlußfolgerung erkannt wird, heißt das Unentfaltete.

Indem man die Sinne zügelt, gewinnt man große Zufriedenheit, wie ein durstiger Reisender an einer klaren Quelle. Mit gezügelten Sinnen schaut man seine Seele, wie sie alle Erscheinungen durchdringt, und wie alle Erscheinungen in dieser Seele sind. Gegründet in der Selbsterkenntnis wird die Kraft eines Menschen unvergänglich, wenn er das Höchste in sich selbst erkennt. Man sagt, dieser Mensch durchschaut allzeit alle Wesen in allen Zuständen. Wer durch die Erkenntnis alle Arten des Leidens überwindet, die aus Unvollkommenheit und Illusion geboren werden, wird nicht mehr verunreinigt, egal mit welchen Geschöpfen er zusammenkommt. Solch ein Mensch, dessen Sicht sich vollkommen geöffnet hat, kritisiert auch nicht mehr den Lauf der Welt und das Verhalten der Wesen. (Wenn das Licht der Erkenntnis in der Welt leuchtet, so wird dadurch der Lauf der Welt nicht gestört.) Die Kenner der Befreiung sagen, daß die Höchste Seele ohne Anfang und Ende ist, daß sie Geburt in allen Geschöpfen nimmt, daß sie (als alleiniger Zeuge) in allen verkörperten Wesen wohnt, und daß sie untätig und formlos ist.

Ein Mensch, der aufgrund seiner eigenen Untaten auf sein Leiden trifft, quält zahllose Wesen, weil er dieses Leiden nicht ertragen will. Aufgrund seiner unheilsamen Taten muß er im Rad der Wiedergeburten wandern und erneut vielfältige Handlungen begehen. Solch ein Mensch, der durch Sünde verblendet ist und das als Weg zur Glückseligkeit betrachtet, was in Wirklichkeit eine Quelle des Leidens ist, wird beständig unglücklicher, wie ein Kranker, der sich weiterhin von Gift ernährt. Er wird durch das Karma seiner Taten bedrückt und getrieben, wie man einen immer dicker werdenden Brei quirlt. Durch seine Taten gebunden ist er im Rad der Wiedergeburten gefangen, wobei die Art seines Lebens durch das Wesen seiner Taten bestimmt wird. So muß er viele Arten der Folter ertragen und wandert beständig durch Geburt und Tod wie in einem Rad, das sich unaufhörlich dreht.

Narada fuhr fort:
Du hast jedoch all deine Fesseln gelöst und jegliche Anhaftung am Handeln überwunden. Mögest du mit Allwissenheit gesegnet sein, mit der Vollkommenheit des Allsiegers und höchster Erlösung! So haben bereits viele durch Sinneszügelung und die Kraft der Entsagung die Vollendung erreicht, die karmischen Fesseln aller Handlungen gelöst und zeitlose Seligkeit gefunden.


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