Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 329 - Vyasa belehrt Suka über den Wind

Bhishma sprach:
Diese Worte ihres Lehrers hörend, wurden die energievollen Schüler von Vyasa mit Freude erfüllt und umarmten einander. Dann sprachen sie zu sich:
Was unser ruhmreicher Lehrer hinsichtlich unseres zukünftigen Wohlergehens gesprochen hat, wird in unserer Erinnerung leben, und wir werden sicher entsprechend handeln.

Nachdem sie dies mit freudigen Herzen zueinander gesprochen hatten, wandten sich die Schüler des Vyasa, welche gründliche Meister der Rede waren, noch einmal an ihren Lehrer und sprachen:
Wenn es dich erfreut, oh Mächtiger, so wollen wir von diesem Berg hinab zur Erde steigen, um die Veden zu verbreiten.

Auf diese Rede seiner Schüler antwortete der mächtige Sohn des Parasara mit folgenden wohlwollenden Worten, die voller Gerechtigkeit und Gewinn (Dharma und Artha) waren:
Möget ihr euch nach Belieben zur Erde begeben oder in die Bereiche der Himmlischen. Doch seid immer achtsam, denn die Veden können leicht mißverstanden werden!

So verließen die Schüler ihren wahrhaften Lehrer mit seiner Erlaubnis, nachdem sie ihn verehrend umrundet hatten. Auf die Erde hinabgestiegen, führten sie das Agnistoma und andere Opfer durch und begannen, in den Opfern von Brahmanen, Kshatriyas und Vaisyas zu amtieren. So verbrachten sie ihre Tage glücklich im Hausleben und wurden von den Brahmanen mit großem Respekt behandelt. Voller Ruhm und Wohlstand erfüllten sie ihre Aufgaben im Lehren und Amtieren in Opfern. Nachdem seine Schüler gegangen waren, blieb Vyasa in seiner Einsiedelei nur in Gesellschaft seines Sohnes zurück. Sie verbrachten ihre Tage schweigend und meditierten in der Einsamkeit. Doch eines Tages kam Narada, der verdienstvolle Asket, zu jenem Ort, um Vyasa zu besuchen, und sprach zu ihm mit wohlklingenden Worten.

Narada sprach:
Oh Rishi aus dem Stamm von Vasishta, warum sind die vedischen Gesänge verklungen? Warum sitzt du schweigend und allein in Meditation wie jemand, der in fesselnde Gedanken versunken ist? Ach, ohne das Echo der vedischen Gesänge hat dieser Berg seine Schönheit verloren, wie auch der Mond seine Herrlichkeit verliert, wenn er durch Rahu verschlungen oder von Staub verdeckt wird. Obwohl er von himmlischen Rishis bewohnt wird, hat dieser Berg doch ohne die vedischen Gesänge keine Schönheit mehr und gleicht einem kleinen Dorf der Nishadas (bzw. Barbaren). Die Rishis, Götter und Gandharvas erstrahlen nicht mehr wie früher, weil sie der vedischen Klänge beraubt sind!

Diese Worte von Narada hörend, antwortete der inselgeborene Vyasa:
Oh großer Rishi, oh Kenner der Veden, ich bin ganz deiner Meinung und du sprichst zu Recht solche Worte. Du bist allwissend, allschauend und vollkommen aufmerksam. Alles, was in den drei Welten geschieht, ist dir weithin bekannt. So gebiete mir, oh Rishi, und sage, was ich tun soll. Ohne meine Schüler hat mein Geist alle Freude verloren.

Und Narada antwortete:
Das Nichtrezitieren ist eine Schmach für die Veden, wie das Nichtbeachten von Gelübden eine Schmach für die Brahmanen ist, die Gottlosigkeit eine Schmach für die Erde und die Neugier eine Schmach für die Frauen. So rezitiere mit deinem weisen Sohn die Veden und zerstreue mit dem Echo der vedischen Gesänge alle dämonischen Ängste.

Bhishma fuhr fort:
Bei diesen Worten von Narada wurde Vyasa, dieser Erste aller Pflichtbewußten und Vedenkenner, wieder von Freude erfüllt und sprach „So sei es!“. Dann begann er mit seinem Sohn Suka die Veden mit lauter und klangvoller Stimme zu rezitieren und erfüllte mit diesem Gesang nach allen Regeln der Aussprache die drei Welten. Doch eines Tages, als Vater und Sohn pflichtbewußt die Veden rezitierten, erhob sich ein gewaltiger Wind wie ein Sturm auf dem Ozean. Vyasa erkannte, daß unter diesen Umständen der heilige Vortrag schweigen sollte und bat sogleich seinen Sohn, das Rezitieren zu beenden. Als Suka dieses Gebot von seinem Vater hörte, wunderte er sich und fragte:
Oh Zweifachgeborener, woher kommt dieser Wind? Mögest du mir alles über das Verhalten des Windes erzählen.

Als Vyasa diese Frage von Suka hörte, war er wiederum verwundert und antwortete:
Oh Suka, dieser Wind ist ein Zeichen, daß man die Rezitation der Veden unterbrechen sollte. Du bist mit der geistigen Sicht gesegnet, und dein Geist ist in sich selbst rein. Damit bist du von den natürlichen Qualitäten der Leidenschaft und Dunkelheit befreit worden. Du stehst jetzt in der Qualität der Güte und erkennst dein Selbst durch das Selbst, wie man ein Bild in einem Spiegel sieht. Im Selbst gegründet, durchschaust du die Veden. Dieser Pfad der Höchsten Seele wird Devayana (der Götterpfad) genannt. Der Pfad in Verbindung mit der Dunkelheit heißt dagegen Pitriyana (der Väterweg). Dies sind die beiden Pfade in die kommende Welt. Durch den einen geht man zum Himmel, durch den anderen in die irdische Welt der Geburten. So treiben die Winde zwischen Erde und Himmel auf sieben Wegen. Höre mir zu, wie ich sie nacheinander beschreibe:

Alle körperlichen Geschöpfe sind (mehr oder weniger) mit Sinnen begabt, und die Sinne werden von Sadhyas und vielen anderen mächtigen Wesen beherrscht. Dafür wurde ein unbesiegbarer Sohn namens Samana (Allhauch) geboren. Aus dem Samana entstand der Sohn namens Udana (Aufwärtshauch). Aus dem Udana entstand der Vyana (Zwischenhauch), danach der Apana (Abwärtshauch) und zuletzt der Wind namens Prana (Lebenskraft oder Lebensatem). Dieser unbesiegbare und feindevernichtende Prana blieb kinderlos. Höre auch die Bedeutung dieser inneren Winde. Sie sind die Ursache der vielfältigen Funktionen aller Lebewesen, und weil die Wesen durch sie leben können, werden diese inneren Winde auch Prana (oder Leben) genannt. Der erste (äußere) Wind in der Aufzählung heißt Pravaha (der Antreiber), weil er als Erster die aus Dunst und Hitze gebildeten Wolken hervortreibt. Der zweite Wind heißt Avaha (der Gegentreiber), der die wasserbeladenen Wolken mit lautem Sausen gegeneinander treibt und Blitz und Donner hervorbringt. Der dritte äußere Wind heißt Udvaha (der Emportreiber), der den Mond und die anderen Leuchtkörper aufsteigen läßt. Innerhalb des Körpers (der ein Mikrokosmos des Weltalls ist) nennen die Gelehrten diesen Wind Udana (Aufhauch). Er ist es, der das Wasser aus den vier Ozeanen saugt und als Wolken in die Luft aufsteigen läßt, um sie dem Gott des Regens zu übergeben. Der vierte Wind heißt Samvaha (der Zusammentreiber), der die verstreuten Wolken zusammentreibt und zu Regenwolken verdichtet, deren Grollen man von weitem hört. Er bildet für das Wohl der Welt die Regenwolken und trägt auch die Wagen aller himmlischen Wesen durch den Himmel. Dieser vierte Wind in der Aufzählung hat so große Kraft, daß er sogar Berge zertrümmern kann. Der fünfte Wind heißt Vivaha (der Zertreiber) und ist von größter Kraft und Geschwindigkeit. Er ist stürmisch und bricht oder entwurzelt die Bäume. Dieser Wind erscheint zusammen mit den Gewitterwolken und verursacht vielfältige Katastrophen, die sich mit lautem Donner und Brüllen ankündigen. Der sechste Wind heißt Parivaha (der Umtreiber), der alle himmlischen Gewässer im Himmel hält und sie vor dem Hinabfallen bewahrt. Dieser Wind stützt auch die heiligen Wasser der himmlischen Ganga. Getragen von diesem Wind erscheint sogar die Sonne, um mit ihren tausend Strahlen die Welt zu erleuchten wie ein einziges Licht. Durch die Wirkung dieses Windes nimmt auch der Mond nach dem Abnehmen wieder zu, bis er seine volle Scheibe zeigt. Der siebente Wind heißt Paravaha (der Wegtreiber) und nimmt allen lebenden Wesen das Leben, wenn die rechte Stunde gekommen ist. Ihm folgen auf seinem Weg der Tod und Yama, der Sohn von Surya. Er ist die Quelle jener Unsterblichkeit, welche die Yogis mit subtiler Sicht erreichen, die beständig in der Yoga Meditation verweilen. Mit seiner Hilfe konnten die tausenden Enkel von Daksha, diesem Vater aller Wesen, als Nachkommen seiner zehn Söhne im Laufe der Zeit bis an das Ende der Welt gelangen. Die Berührung von diesem Wind öffnet den Weg zur Erlösung, womit man von der Wiedergeburt in der Welt befreit wird. Diesem Besten aller Winde kann niemand widerstehen. Wunderbar sind diese Winde, welche alles Söhne der Diti sind (die Maruts bzw. Sturmgötter). Unermüdlich treiben sie an, durchdringen alles und stützen alle Geschöpfe. Und höchst wunderbar ist, daß sogar dieser Erste der Berge (der Himavat) durch diesen Wind, als er sich erhob, ganz plötzlich erschüttert wurde. Das kann nur der Atem von Vishnu. Wenn sich dieser stürmisch erregt und kraftvoll entfaltet, dann erzittert das ganze Weltall, oh Sohn. Wenn sich ein solcher Sturm mit Gewalt erhebt, sollten die Vedenkenner die Veden nicht rezitieren. Denn die Veden sind ebenfalls eine Form des Windes. Wenn beide mit Kraft aufeinandertreffen, werden die Veden gequält und verunstaltet.

Nachdem Vyasa, der mächtige Sohn des Parasara, diese Worte gesprochen hatte, bat er seinen Sohn die Rezitation der Veden fortzusetzen (als sich der Wind gelegt hatte). Und er selbst verließ diesen Ort, um im Wasser der himmlischen Ganga zu baden.


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