Pushpak Mahabharata Buch 12Zurück WeiterNews

Kapitel 303 - Vasishta über die Schöpfung und das Unvergängliche

Yudhishthira fragte:
Was ist das, was man das Unvergängliche nennt, von wo keiner zurückkehren muß? Und was ist das, was man das Vergängliche nennt, wo sich alles wandelt? Oh Feindevernichter, ich frage dich nach dem Unterschied zwischen dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen, um sie beide wahrhaft zu verstehen, denn die vedengelehrten Brahmanen, die hochbeseelten Rishis und Yatis bezeichnen dich als einen Ozean des Wissens. Du hast nur noch wenige Tage zu leben. Wenn sich die Sonne vom südlichen Pfad abwendet und wieder nach Norden steigt, wirst du dein hohes Ziel erreichen. Doch wenn du uns verläßt, von wem sollen wir dann erfahren, was so heilsam für uns ist? Du bist die Leuchte des Kuru Stammes. Wahrlich, du erstrahlst beständig im Licht deiner Weisheit. Oh Erhalter des Kuru Stammes, deshalb wünsche ich all das von dir zu hören. Deine Worte sind wie der Nektar der Unsterblichkeit, und ich kann mich an ihnen nie satt hören.

Bhishma sprach:
Dazu möchte ich dir eine alte Geschichte über ein Gespräch zwischen Vasishta und König Karala aus dem Stamme des Janaka erzählen. Als vor langer Zeit Vasishta, dieser Beste der Rishis mit dem Glanz der Sonne, zufrieden vor ihm saß, da fragte ihn König Janaka über die höchste Erkenntnis, die zu unserem Heil ist. Dem höchst Erfahrenen bezüglich der Selbsterkenntnis und den entsprechenden Beschreibungen in all den Zweigen des Lernens, diesem Ersten der Rishis und Sohn von Mitra-Varuna, näherte sich der König mit gefalteten Händen und fragte mit gebührenden, wohlformulierten und freundlichen Worten den entspannt Sitzenden:
Oh Heiliger, ich bitte dich, belehre mich über das Höchste und Ewige Brahman, von dem die Menschen voller Weisheit nicht zurückkehren müssen, wenn sie es einmal erreicht haben. Ich wünsche auch über das zu hören, was man das Vergängliche nennt, und auch das, wohin dieses Weltall zur universalen Auflösung eingeht. Wahrlich, was ist das, was man unvergänglich, unzerstörbar, unerkennbar, höchst heilsam und vollkommen leidfrei nennt?

Vasishta sprach:
Oh Herr der Erde, höre wie dieses Weltall vergänglich ist und von dem, was unvergänglich ist und niemals zerstört werden kann. Zwölftausend Jahre (nach dem Maß der Himmlischen) bilden ein sogenanntes Mahayuga, das aus vier Yugas (Satya, Treta, Dwapara und Kali) besteht. Eintausend solcher Mahayugas sind ein Kalpa und damit die Länge eines Brahmatages (an dem die Schöpfung entfaltet ist). Die Brahmanacht, oh König, ist vom selben Maß. Am Ende der Brahmanacht erwacht Er, der formlose, selbstseiende und alldurchdringende Sambhu und erschafft mit seiner Yogakraft erneut dieses Erste und Älteste aller Wesen, den Erstgeborenen mit grenzenlosen Proportionen, mit unendlichen Taten und vielfältigen Formen, den man auch das Universum nennt. Deshalb heißt dieser Sambhu auch Ishana (der Herr von allem) und ist reiner Glanz jenseits aller Vergänglichkeit. Dieser Erstgeborene durchdringt das ganze Universum mit Händen und Füßen in allen Richtungen, mit Augen, Gesichtern und Mündern überall und mit Ohren an jedem Ort. Er wird auch Hiranyagarbha (das goldene Ei) genannt. Im Vedanta heißt er Buddhi (Vernunft). In den Yoga Schriften heißt er der Große oder ewige Virinchi. Und auch in den Sankhya Schriften wird er durch verschiedene Namen angedeutet und man sagt, sein Wesen ist die Unendlichkeit. Mit vielfältigen Formen und als Wesen des Weltalls ist es doch immer nur der Eine und Ewige. Die drei Welten mit ihren unendlichen Erscheinungen sind durch ihn gebildet, ohne eine andere Quelle und von Ihm vollkommen erfüllt. Aufgrund seiner Vielgestaltbarkeit wird er auch als die universale Form bezeichnet. Durch beständige Umgestaltung formt er alles aus sich selbst. Voll mächtiger Energie erschafft er zuerst das Bewußtsein und damit das große bewußte Wesen, das man Prajapati, den Vater der Schöpfung nennt. So entsteht das Gestaltete aus dem Ungestalteten. Das nennen die Gelehrten die Entstehung der Erkenntnis und gleichzeitig durch die Schöpfung des Bewußtseins (in Form des Prajapati) durch Hiranyagarbha die Entstehung der Unwissenheit (bzw. Illusion). Damit ist aus einer Quelle die Wahrnehmung der Eigenschaften und ihrer Auflösung entstanden, welche die Vedengelehrten entsprechend Unwissenheit und Erkenntnis nennen.

Wisse, oh König, daß danach als Drittes aus dem Bewußtsein die feinstofflichen Elemente geschaffen wurden. Aus Umwandlung dieser dritten Schöpfung aus dem Bewußtsein fließt dann die vierte Schöpfung. Sie umfaßt (die grobstofflichen Elemente) Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde mit ihren Eigenschaften von Klang, Fühlbarkeit, Sichtbarkeit, Geschmack und Geruch. Diese fünf Eigenschaften der Elemente entstanden zweifellos zur gleichen Zeit mit den jeweiligen Elementen. Die fünfte Schöpfung, oh Monarch, ist das, was aus der Kombination dieser ursprünglichen Elemente entstanden ist. Dazu gehören die fünf Sinnesorgane der Erkenntnis, nämlich Ohr, Haut, Augen, Zunge und Nase und die fünf Handlungsorgane, nämlich Rede, Hände, Beine, After und Geschlechtsorgan. Alle diese entstanden gleichzeitig mit dem Denken, oh König, und bilden insgesamt die vierundzwanzig Prinzipien, die in den Gestaltungen aller Lebewesen (mehr oder weniger) bestehen. Die Brahmanen, die diese wahrhaft erkennen, erreichen eine tiefe Einsicht in die Wahrheit und können damit alle Sorgen überwinden. Denn in allen drei Welten nennt man die Verbindung dieser Prinzipien den „Körper“, den alle verkörperten Wesen besitzen. Wahrlich, oh König, diese Verbindung erkennt man in Göttern, Menschen, Danavas, Yakshas, Gandharvas, Kinnaras, Nagas, Charanas und Pisachas sowie in den himmlischen Rishis und Rakshasas, in Fliegen, Mücken, Würmern und ähnlichem Getier, in Ratten, Hunden, Swapakas, Chaineyas, Chandalas und Pukkasas sowie in Elefanten, Rossen, Eseln, Tigern, Kühen, Bäumen und anderen Lebewesen. Was auch immer für Wesen im Wasser, in der Luft, auf der Erde oder anderswo existieren, diese Prinzipien sind in ihnen zu finden, so haben wir es gehört. All das, oh Herr, was man in die Klasse der Gestaltungen rechnet, sieht man täglich vergehen. Deshalb gelten alle Geschöpfe, die aus einer Verbindung dieser vierundzwanzig Prinzipien geschaffen wurden, als vergänglich. Was jenseits davon ist, heißt das Unvergängliche. Und weil das ganze Weltall aus dem Ungestalteten gestaltet wurde und deshalb wieder vergehen muß, nennt man es das Vergängliche. Schon das Erstgeborene (goldene Ei) gilt als Beispiel für diese Vergänglichkeit. Damit habe ich dir erklärt, oh Monarch, wonach du mich gefragt hast.

Jenseits der genannten vierundzwanzig Prinzipien ist das fünfundzwanzigste, namens Vishnu. Doch dieser Vishnu ist aufgrund seiner Freiheit von allen Eigenschaften kein Prinzip, sondern er durchdringt alle Prinzipien, und allein die Gelehrten haben ihn so bezeichnet. Weil nun dieses Vergängliche zu all diesen Gestaltungen drängt, entstehen die vielfältigen Formen. So nennt man die vierundzwanzig Prinzipien auch Natur (Prakriti), wovon alle Geschöpfe beherrscht werden. Das Fünfundzwanzigste heißt Vishnu, ist formlos und ungestaltet und kann damit nicht als gestaltende Kraft im Weltall gelten. Und doch wohnt Er ungestaltet im Innersten aller verkörperten Wesen als ihr wahres Selbst, als das Ewige, Unvergängliche, Eigenschaftslose und Formlose. Nur in Verbindung mit der Natur, welche die Eigenschaft von Geburt und Tod hat, erscheint Er mit diesen vielfältigen Eigenschaften behaftet. Und aufgrund dieser Verbindung mit den Eigenschaften wird Er zum Gegenstand der Wahrnehmung, obwohl Er im Grunde völlig frei davon ist. Auf diese Weise geschieht es, daß der Erstgeborene (Hiranyagarbha) vereint mit der Natur und umhüllt von der Unwissenheit solche vielfältigen Umgestaltungen erlebt und sich selbst bewußt wird. Geprägt von den natürlichen Qualitäten des Sattwa, Rajas und Tamas beginnt er, sich infolge seiner Vergeßlichkeit und der karmischen Neigung zur Unwissenheit mit verschiedenartigen Wesen zu identifizieren. Aufgrund von Geburt und Tod, die durch das körperliche Wohnen innerhalb der Natur bedingt sind, erkennt er sich mithilfe des Denkens in dem Geschöpf, worin er gerade erscheint. So identifiziert er sich mit diesem und jenem und folgt den natürlichen Qualitäten von Sattwa, Rajas und Tamas.

Unter dem Einfluß von Tamas bekommt er das Dunkle und Illusorische, unter dem Einfluß von Rajas brennt er in Leidenschaft, und durch das Sattwa erreicht er das Heitere und Gütige. So entstehen die drei Farben Weiß, Rot und Schwarz. Alle diese Farben (und deren Mischungen) gehören zur Natur (der Prakriti). Durch das Tamas geht man in die niederen Bereiche. Durch das Rajas kommt und bleibt man in der Menschenwelt und durch das Sattwa steigt man in die Bereiche der Götter auf und erfährt große Glückseligkeit. Durch beständig sündhaftes Handeln fällt man in die leidvollen Bereiche hinab. Durch tugendhaftes und sündhaftes Handeln bleibt man unter den Menschen, und durch beständig tugendhaftes Handeln erreicht man den Status der Götter. Auf diese Weise, so sagen die Gelehrten, wird das unvergängliche Fünfundzwanzigste (Vishnu) durch die Verbindung mit der Natur zum Gestalteten, das damit vergänglich wird. Durch wahrhafte Erkenntnis kann jedoch das Unvergängliche in allem Vergänglichen wieder sichtbar werden.


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